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Kitabı oku: «Black», sayfa 18

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VI
Wie die Piraten vom Boulevard des Italiens die Taue Kappen und ein in’s Schlepptau genommenes Schiff Kapern

Die Idee, welche der Chevalier de la Graverie seinem älteren Bruder mitgeteilt, und dadurch das Nervensystem des selben so stark gereizt hatte, schien unserem Helden vollkommen ausführbar er ließ sich daher durch die Erfolglosigkeit der in weniger als zwölf Stunden genommenen Maßregeln nicht irre machen, und verließ dem Anschein nach sehr heiter das Hotel in der Straße St. Guillaume.

»Der Eine,« sagte er, »weigert sich den lieben kleinen Engel zu heiraten; der Andere will mich hindern, ihr den Namen zu geben, der ihr gebührt. Ich werde sie aber Beide schön anführen. Ich war in der Tat sehr gütig, Chartres zu verlassen, mich in die verwünschte Postkutsche zu setzen – ich habe Gliederschmerzen von der abenteuerlichen Fahrt bekommen, und es wäre vielleicht sehr notwendig, das Übel durch Friktionen im Entstehen zu bekämpfen. Was habe ich jetzt von dem Besuch bei dem alten selbstsüchtigen Narren? Ich stehe hier auf der Straße ohne Wäsche, ohne Kleider, ohne Obdach – und es wäre mir doch ein Leichtes gewesen, der armen Therese eine sorgenfreie Zukunft zu sichern und ihrem Kind einen Vater zu geben. Ich will es tun, ja bei Gott! ich will es! Und meinem Herrn Bruder, der mich zu beerben gedenkt, werde ich eine Nase drehen. Es versteht sich von selbst, dass ich das arme Kind um der Leute willen zum Altar führe, in der Wirklichkeit aber nur ein Vater für sie sein werde.«

Der Chevalier wurde in seinem Selbstgespräch unterbrochen; er hörte seinen Namen rufen.

Er sah sich um und bemerkte den Kammerdiener seines Bruders, der mit einem kleinen Reisekoffer auf der Schulter hinter ihm herlief.

»Herr Chevalier! Herr Chevalier!« rief ihm der Kammerdiener nach: »Sie vergessen Ihren Reisekoffer.«

»Meinen Reisekoffer?« erwiderte der Chevalier stillstehend.

»Ich habe ja, soviel ich wenigstens weiß, keinen Reisekoffer bei mir.«

»Aber der Kutscher,« keuchte der Kammerdiener, der den Chevalier endlich einholte, »der Kutscher, der Sie gefahren, hat diesen kleinen Koffer unter dem Fenster der Hausmeisterin abgesetzt.«

Der Chevalier nahm dem Kammerdiener den kleinen Koffer aus der Hand und betrachtete ihn von allen Seiten; endlich fand er eine am Deckel befestigte Karte, auf welcher er las:

»Gratien d’Elbéne, Kavallerieoffizier, Vorstadt St. Honoré, Hauptstraße Nr. 42.«

»Wahrhaftig,« sagte der Chevalier, »über diesen Irrtum werde ich mich nicht beklagen. Jetzt weiß ich gewiss, dass ich meinen Mann finden werde, wann ich will.«

Dieudonné dankte dem Kammerdiener, drückte ihm einen Napoleond’or in die Hand, winkte einen Eckensteher herbei, lud ihm den Reisekoffer auf die Schulter und ging weiter, um sich nach einem Gasthofe umzusehen , wo er sich von seinen Strapazen erholen könnte.

Diesen Gasthof fand er in der Rivolistraße.

Er nahm ein Zimmer innersten Stocke, um nicht zu hoch steigen zu müssen, ließ sogleich ein großes Feuer anzünden, nahm von dem mit Samt überzogenen Sofa ein paar Polster, um für Black ein bequemes Lager zu bereiten, wärmte sich eine Welle am Kaminfeuer, und legte sich in’s Bett. Aber ungeachtet seiner Ermüdung war es ihm nicht möglich zu schlafen. Aus seinem aufmerksam belauschten Selbstgespräch, welches er in der ersten Aufregung nach der Unterredung mit seinem Bruder führte, haben wir ersehen, dass er es ganz einfach und natürlich fand, Therese zu heiraten; aber seitdem ihm der Zufall den Namen ihres Verführers vor die Augen gebracht hatte, begann er ruhiger zu überlegen, und er stieß auf Einwürfe, die sein Zartgefühl verletzten.

Der wichtigste unter diesen Einwürfen war folgender: Konnte er als erwiesen betrachten, dass Therese seine Tochter nicht war? Und wenn sie es wäre, musste ihm dann eine solche Verbindung, trotz aller Zurückhaltung in seinem Benehmen, nicht als höchst anstößig erscheinen?

Und wer bürgte ihm dafür, dass der Baron nicht Beweise von Theresens Geburt in der Hand hatte? Diese bisher geheim gehaltenen Beweise würde der Baron gewiss aus Rache veröffentlichen, und dadurch ein unerhörtes Skandal hervorrufen.

Diese beiden quälenden Gedanken machten den Chevalier wieder unschlüssig und besorgt. Nach langem Besinnen entschloss er sich, seinen Plan wenigstens scheinbar festzuhalten, um ihn wie ein Damoklesschwert über dem Haupt seines älteren Bruders hängen zu lassen: zugleich aber fasste er den Entschluss, Alles aufzubieten, um dem Geschick der armen Therese eine andere Wendung zu geben. Er musste seine Bequemlichkeitsliebe freilich opfern, aber sein Entschluss stand fest.

Er warf sich lange im Bett hin und her; endlich stand er auf, kleidete sich an, knöpfte seine Weste so hoch wie möglich zu, um sein zerknittertes Hemd zu verbergen, und ging fort. Er hoffte in der freien Luft seine Gedanken besser zu sammeln, als im Gasthofzimmer.

Wir kennen den Chevalier de la Graverie bereits als einen leidenschaftlichen Spaziergänger, und obschon er mit ernsten Gedanken beschäftigt war, so fand er doch in den Straßen von Paris, die er seit siebzehn oder achtzehn Jahren nicht durchwandert hatte, die mannigfaltige Zerstreuung.

Vor Allem fesselten die ihm ganz neuen Omnibusse seine Aufmerksamkeit. Dann war an den Schaufenstern der Kaufläden so viel Schönes zu sehen. Und die prächtigen Kaffeehäuser! einen solchen Glanz hätte er sich nie träumen lassen.

Black schien mitten in dem Gewühl nicht minder erstaunt als sein Herr: er lief ganz verdutzt hin und her, wurde bald gestoßen bald aufgehalten, verlor alle fünf Minuten seinen Herrn, lief mit hoch aufgehobener Nase über die Straße, suchte in allen offenstehenden Haustüren , beroch die Vorübergehenden, verschwand, kam wieder zum Vorschein, um von neuem im Gedränge zu verschwinden; kurz, er begann den Chevalier ernstlich besorgt zu machen.

»Sacrebleu!« sagte Dieudonné, »wenn das so fortgeht, so verliere ich meinen Hund. Es ist sonderbar, wie der Mensch nach der Seelenwanderung die Gewohnheiten des Leibes annimmt, in den er gefahren ist! Wer würde den ernsten, gesetzten Grenadierkapitän Dumesnil in meinem Black wiedererkennen, der wie toll umherläuft, statt vernünftig neben mir zu gehen.«

Diese Betrachtungen führten den Chevalier auf den sinnreichen Gedanken, einen Koppelriemen zu kaufen. Er zog den Riemen durch den Halsbandring des Jagdhundes, und schleppte diesen, seine Wanderung fortsetzend, mit sich fort.

Black, der nun jeder Sorge überhoben war, schien über diese neue Art zu Spazieren sehr erfreut, und folgte seinem Herrn, ohne sich im mindesten zu sträuben.

Inzwischen begann der Tag sich zu neigen, ohne dass der Chevalier de la Graverie einen Entschluss gefasst hatte. Endlich fühlte er die Notwendigkeit, die Bedürfnisse seines Magens zu befriedigen.

Anfangs dachte er an Véry, an den Rocher de Cancale und an die Fréres Provencaur, welche gar angenehme gastronomische Erinnerungen in ihm weckten; aber er sah eine Magenbefriedigungsanstalt, die so prächtig mit Gold und Schnitzwerk verziert war, dass er dachte, die Küche der Anstalt müsse mit der äußern Eleganz des Hauses im Einklang sein. Er trat also ein, und bestellte für sich und Black eine Mahlzeit, die er abscheulich fand , die sich aber Black sehr wohl schmecken ließ. Er bezahlte und ging fort. Der Chevalier machte ein etwas saures Gesicht, als er für ein Diner, welches nach seinem gastronomischen Gutachten keinen Thaler wert war, beinahe vierzig Francs bezahlen musste. Er hatte freilich bei Tische beständig gemurrt, dass der Kellner die Tür seines Cabinets so stark zuschlug; er hatte über jedes Gericht seine Bemerkungen gemacht, er hatte den Kellner beauftragt, dem Koch zu erklären, dass ein Frieandeau oben und unten braun gebraten sein, dass man die Krebse mit Bordeaux sieden, und heiß in der Sauce, nicht kalt auf Petersilie servilen müsse; und während er diese gastronomischen Theorien zum Nutz und Frommen künftiger Gäste entwickelte, hatte er eine Flasche Chambertin und eine halbe Flasche Château-Lafitte ausgestochen.

Er war daher bedeutend erhitzt, als er, seinen Hund am Riemen führend, seinen Spaziergang über den Boulevard fortsetzte.

Der Chevalier war sehr schlecht bei Laune; er hatte die schlaflose Nacht und das schlechte Bett mit ziemlicher Geduld ertragen, aber die schlechte Mahlzeit, die er gehalten, hatte ihn empört, und er dachte, es wäre vielleicht am besten, so schnell als möglich nach Chartres zurückzureisen, wo er doch wenigstens ein leidliches Diner und die seinem Herzen so wohltuende Gesellschaft Theresens hatte. Der Baron und Gratien wollten ja durchaus nicht tun, was er von ihnen verlangte, warum sollte er also noch länger in Paris bleiben?

Der Chevalier drängte sich, gestikulierend und mit sich selbst redend, durch die Menge, die zwischen sieben und acht Uhr Abends über den Boulevard des Italiens wogt; er wurde mehr als einmal geschimpft von Leuten, die er im Vorbeigehen stieß, aber der würdige Chevalier nahm sich nicht einmal die Mühe darauf zu antworten.

Endlich, als das Gedränge immer größer wurde, geriet der Chevalier de la Graverie in Zorn, wie die meisten Fremden aus der Provinz, wenn sie sich gegen die dichtgedrängten Scharen der Pariser Bummler zu wehren haben. Er kehrte dem Gewühl den Rücken und fasste den Entschluss nach Chartres zurückzureisen, vorher aber in seinen Gasthof zu gehen, der ihm eine nicht zu vermeidende Etappe seiner Reise schien.

»Ja,« sagte er mit Ingrimm, »ich verlasse Dich auf immer, verwünschte, verruchte Stadt; ich will mich einschließen in meinem Hause, bei meiner armen Therese, die meine Adoptivtochter werden soll, da ich sie weder zu meiner Frau, noch zu meiner wirklichen Tochter machen kann. Und ich schwöre, dass ich ihr eine sorgenfreie Zukunft sichern will und sollte ich die Hälfte meines Vermögens in einem Rechtsstreit gegen meinen Bruder verlieren! – sei nur ruhig, Dumesnil!«

Bis daher hatte der Chevalier mit der linken Hand gestikuliert, die rechte, mit der er den Riemen hielt, hatte er in die Beinkleidertasche gesteckt; aber dieses Mal streckte er, durch seine Gefühle fortgerissen, die rechte Hand hoch empor, als ob er den Himmel als Zeugen dieses sich selbst und seinem Freunde gegebenen Versprechens anrufen wollte.

Zu seinem größten Erstaunen bemerkte er, dass am Ende der um seine Hand gewickelten ledernen Schnur nichts mehr war.

Der Chevalier sah sich um. Black war weder an seiner Seite noch hinter ihm.

Er trat an ein Gaslicht und betrachtete die Schnur: sie war mit einem scharfen Instrument durchschnitten.

Man hatte ihm seinen Hund gestohlen. Der Chevalier wollte fortlaufen und Black rufen. Aber was konnte es ihm nützen? Wohin sollte er laufen? Nach welcher Seite rufen? Und wie konnte er das dröhnende Wagengerassel und das betäubende Getöse der Menschenmenge überschreien?

Er redete die Vorübergehenden an. Einige beantworteten seine hastigen Fragen mit Achselzucken, Andere erklärten, keinen schwarzen Jagdhund gesehen zu haben; ein Mann in einer Blouse versicherte, einen Unbekannten gesehen zu haben, der einen sich sträubenden Hund am Schnupftuch geführt und in der Richtung der Rue Vivienne fortgeschleppt habe.

Der Hund war übrigens der Beschreibung, welche der Chevalier von seinem Herzensfreunde gab, ganz ähnlich.

»Geschwind in die Rue Vivienne!« sagte der Chevalier, in der angegebenen Richtung forteilend.

»O! er hat einen großen Vorsprung,« sagte der Mann in der Blouse, »und ich bezweifle, dass Sie ihn einholen werden, mein lieber Herr; ich vermute, dass Ihr Hund in die Hände eines Diebes gefallen ist, der ihn wieder verkaufen will und bereits in Sicherheit gebracht hat.«

»Aber wo soll ich ihn wiederfinden?«

»Sie müssen vor Allem die Anzeige beim Polizeicommissär machen.«

»Und dann?«

»Und dann durch einen Anschlagzettel eine Belohnung versprechen.«

»Ich will zahlen, was man verlangt, wenn ich nur meinen Hund wiederfinde.«

»Sie müssen nickt gleich verzagen,« erwiderte der Mann teilnehmend, »Sie werden Ihren Hund schon wiederfinden – und wenn’s dieser nicht ist, so ist’s ein anderer. Versprechen Sie eine angemessene Belohnung, so können Sie versichert sein, dass morgen Früh um neun Uhr mindestens zwei ähnliche Hunde vor Ihrer Tür warten.«

»Aber ich will meinen Hund und keinen andern!« sagte der Chevalier.

»Sie wissen nicht wie lieb mir mein Hund ist. Ach! wenn ich meinen armen Dumesnil noch einmal verlieren müsste, ich glaube, dass ich es nicht überleben würde!«

»So! Ihr Hund heißt Dumesnil? Ein komischer Hundename! Ich kenne Leute, die so heißen. – Beruhigen Sie sich, lieber Herr. Paris ist groß, aber ich kenne alle Schliche. Haben Sie Vertrauen zu mir?«

»O ja, lieber Freund,« erwiderte der Chevalier.

»Gut, Sie sollen Ihren Hund wiederbekommen. Es ist heute Freitag; ich verspreche Ihnen, dass Sie am Sonntagmorgen Ihren Monsieur Dumesnil wieder am Riemen führen sollen. Aber wenn Sie wieder mit ihm in Paris Spazieren gehen, so führen Sie ihn an einer Kette, das ist sicherer, »wenn auch ein bisschen schwerer zu tragen.«

»Wenn Sie das tun, ’wenn Sie mir meinen Black wiederbringen —«

»Black! Wer ist das?«

»So heißt ja mein Hund.«

»Wie soll ich das verstehen?« erwiderte der Blousenmann; »wie heißt Ihr Hund? Black oder Dumesnil?«

»Black, lieber Freund, Black heißt er; nur für mich, für mich allein ist er bald Dumesnil, bald Black.«

»Ich verstehe, er hat einen Familiennamen und einen Vornamen.«

»Kurz und gut, mein Freund,« sagte der Chevalier, »wenn Sie ihn wiederfinden, so gebe ich Ihnen, was Sie verlangen. Sind fünfhundert Francs genug?«

»Ich bin kein Flibustier, wie die Leute, die Ihren Hund gestohlen haben, mein lieber Herr. Sie mögen mir Zeit und Mühe bezahlen; denn während ich Ihrem Hunde nachlaufe und mit den Füßen arbeite, können meine Hände nichts verdienen. Mehr verlange ich nicht, ich tue Anderen gern einen Gefallen. Es tut mir leid, dass Sie sich um Ihren Hund so grämen. Es ist ein Beweis von Ihrem guten Herzen und ein gutes Herz findet bei mir immer Teilnahme. Jetzt reden Sie nicht mehr von Belohnung; wir rechnen, wenn der Hund wiedergefunden ist.«

»Aber Sie müssen einen Wagen nehmen mein Freund,« entgegnete der Chevalier;

»Sie müssen Druck und Papier für die Anschlagzettel bezahlen. Warten Sie, ich will Ihnen wenigstens einen Vorschuss geben.«

»Anschlagzettel sind nicht nötig; ich gab Ihnen wohl den Rat, weil wir uns noch nicht kannten. Lassen Sie nur Pierre Marteau machen, lieber Herr; wir müssen keinem Menschen ein Sterbenswörtchen sagen, und verlassen Sie sich darauf, dass Sie spätestens Sonntag Früh Ihren Jagdhund wiederbekommen werden.«

»Ach, mein Gott!« seufzte Dieudonné, »das ist noch lange hin; wenn man ihn nur bis Sonntag gehörig füttert.«

»Nun, ich will nicht sagen, dass er so gut speisen wird wie in Ihrem Gasthofe, aber es ist im Grunde doch nur ein Hund, und es gibt viele Leute, die nicht so gut leben.«

»Wann werden wir uns wiedersehen?« fragte der Chevalier.

»Morgen; denn diesen Abend werde ich in alle Schenken gehen, wo die Piraten vom Boulevard zusammenzukommen pflegen; vielleicht werde ich schon vor Sonntag Früh etwas über Ihren Hund erfahren. Sie scheinen müde zu sein, lieber Herr; gehen Sie zu Nett und verhalten Sie sich recht ruhig. Wo wohnen Sie?«

»Im Hotel de Londres, Rivolistraße.«

»In der Rivolistraße? Mir wohl bekannt, obschon ich eben nicht oft des Weges komme. Soll ich Sie begleiten? Denn Sie scheinen Ihren Weg, zu suchen, wie eine Schnepfe im Nebel, Kommen Sie hierher.«

Der Chevalier ging folgsam wie ein Kind mit Pierre Marteau. Unterwegs wiederholte er wohl zehnmal seine dringende Bitte, Alles aufzubieten, um Black wiederzufinden.

Vor dem Gasthofe nötigte er ihm ein Zwanzigfrancsstück auf, um die Nachforschungen zu erleichtern, und nachdem er ihn auf den folgenden Tag bestellt hatte, begab er sich ganz betrübt in sein Zimmer. Er setzte sich auf die Polster, auf denen Black in der vorigen Nacht geschlafen hatte, und obschon kein Feuer im Kamin war, saß er doch länger als eine Stunde in tiefen Gedanken. Die Stimmung Dieudonné s wurde immer düsterer, je länger er nachsann. Es fiel ihm ein, dass ihm jede Freundschaft, jede Annäherung an einen Gegenstand immer nur Kummer, Verdruss und Enttäuschungen gebracht hatte; er mochte gar nicht zurückdenken an alle Sorgen und Plagen, die ihm Black schon verursacht hatte, und wenn er noch dazu an die junge Eigentümerin des armen Hundes dachte, so machten alle seine Schmerzen zusammengenommen eine noch größere Gesamtsumme aus. Und gleichwohl war ihm dieser Schmerz süß, er fühlte sich unwiderstehlich hingezogen zu diesen beiden Wesen, die ihm teuer waren, und obschon er die quälenden Gedanken verwünschte, so fiel es ihm doch nicht ein, jene Zeit zurückzuwünschen, wo er sich, frei von Sorgen und Kummer, ganz dem großen Verdauungswerk und dem Studium der Gastronomie gewidmet hatte.

Endlich ging er zu Bett; noch lange sah er sich seufzend im Zimmer um, das ihm zehnmal trauriger und öder schien als Tags zuvor, und als er völlig eingeschlafen war, glaubte er, wie gestern, die schwarzen Umrisse seines Lieblings vor der Kohlenglut des Kamins zu erblicken. Es war leider nur ein Traum, Black war ja nicht mehr da und es brannte kein Feuer im Kamin.

Er war körperlich und geistig so erschöpft, dass er ungewöhnlich lange schlief. Es mochte zehn Uhr sein, als er durch plumpe dröhnende Fußtritte geweckt wurde. Er schlug die Augen auf und erblickte vor seinem Bette den Mann, der ihm gestern Abends versprochen hatte, Black wiederzufinden.

Leider brachte ihm Pierre Marteau nur erst Hoffnungen und zwar sehr hohle Hoffnungen. Er hatte vergebens die ganze Vorstadt St. Marceau durchsucht, wo sich die Hundefänger und Hundehändler aufzuhalten pflegen; er hatte nichts entdeckt.

Er war indes, weit entfernt, sich durch diese Erfolglosigkeit des ersten Versuches abschrecken zu lassen, und ohne sich erklären zu wollen, versprach er dem Chevalier wiederholt, er werde ihn am andern Morgen wieder in den Besitz seines Jagdhundes setzen.

Der Chevalier entließ ihn.

Dann fragte er sich mit einem Seufzer, wie er den Tag verleben sollte.

Nach Chartres konnte er unmöglich zurückkehren, ehe er seinen Hund wiedergefunden hatte.

Er schrieb an Therese, die sehr besorgt um ihn sein musste, und bat sie, morgen im Postwagen nach Paris zu fahren und ihn im Hotel de Londres in der Rivolistraße aufzusuchen.

In einem Schreiben an seinen Notar verlangte er eine schleunige Geldsendung.

Endlich kleidete er sich an, denn er konnte vernünftigerweise nicht den ganzen Tag im Zimmer bleiben, und beschloss zum Zeitvertreib einen Spaziergang zu machen. Als er seinen Hut nahm, bemerkte er in einem Winkel den kleinen Reisekoffer, den er aus Versehen vom Posthofe mitgenommen hatte.

»Siehe da!« sagte er zu sich, »jetzt weiß ich wie ich meine Zeit verwenden kann: ich will diesen Koffer seinem Eigentümer zurückgeben und wer weiß – sein Freund Louville ist nicht mehr bei ihm und vielleicht gelingt es mir, ihm das Unwürdige seines Benehmens begreiflich zu machen.«

Der Chevalier de la Graverie ließ einen Fiaker kommen, stieg mit dem Reisekoffer ein und sagte zu dem Kutscher:

»Vorstadt Saint Honoré, Hauptstraße Nr. 42.«

VII
Der Unterschied zwischen einem backenbärtigen und einem schnurrbärtigen Gesicht

Das Hotel d’Elbéne war ein schönes neues Gebäude, mit vielen Statuen und Schnitzwerk verziert. Diese Verzierungen waren vielleicht nicht ganz geschmackvoll, aber sie gaben einen hohen Begriff von dem Reichtum des Hausherrn.

Zwei korinthische Säulen standen zu beiden Seiten des Haustores von kunstreich geschnitztem Eichenholz. » Die mit Holzwürfeln gepflasterte Hausflur führte zu einem mit Glasfenstern geschlossenen Gange, an dessen Ende die Pferdeställe und Remisen waren. Aus dem Hofe kam man in den Garten, der an die elysäischen Felder grenzte.

Rechts war die Stube des Pförtners, links eine Glastür, durch die man zu der breiten, prächtigen Treppe gelangte. Die Stufen waren mit weichen Teppichen belegt.

Der Chevalier de la Graverie stieg aus seinem Fiaker und fragte, vor das Fenster des Pförtners tretend, nach Herrn d’Elbéne.

»Wünschen Sie den Vater oder den Sohn zu sprechen?« erwiderte der Diener.

»Den Sohn.«

Der Pförtner zog dreimal die Glocke; ein Lakai kam die Treppe herunter und trat an die Glasthür.

»Es hat Jemand nach dem Herrn Baron gefragt,« sagte der Portier.

Der Bediente führte den Chevalier die Treppe hinauf, in den Zwischenstock, wo er die Tür eines eleganten Salons öffnete.

Hier bat er ihn einige Augenblick zu warten, während er seinen Herrn benachrichtigen würde.

Der Chevalier, der die Zeit zu benutzen wusste, wärmte sich die Füße, die im Fiaker kalt geworden waren, und als er vor dem Kaminfeuer saß, sah er sich im Zimmer um.

Dieudonné, der in der vornehmen Welt erzogen war, konnte sich über den Luxus der Wohnung nicht wundern, obschon die hauptsächlich auf Bequemlichkeit gerichteten Raffinements dieses, Luxus einem Mann der alten Zeit ganz fremd waren. Aber auffallend, sonderbar fand er die Auswahl der Broschüren, die auf einem am Kamin stehenden Tische lagen. Diese Broschüren schienen ihm mit dem Charakter Gratien’s, dessen Leichtsinn er in einer kurzen, aber ernsten Unterredung kennen gelernt hatte, nicht recht übereinzustimmen: sie handelten alle von Staatswirtschaft, Philosophie und Statistik.

Und zur Parade lagen sie nicht da: sie waren alle auf geschnitten, einige sogar schon zerlesen, und auf einigen derselben bemerkte der Chevalier Randglossen, die ihm für einen jungen Kavallerieoffizier ungeheuer gelehrt schienen.

»Der Bediente wird sich geirrt haben,« sagte der Chevalier, »vermutlich hat er mich in die Wohnung des Vaters geführt, Soll ich die Gelegenheit benützen und ihm die Sache erklären? Das ist gefährlich, denn im Grunde läßt sich in Bezug auf Therese nichts beweisen: Therese hat ja keinen Namen, und wenn mein Bruder standhaft bleibt, so wird es mir vielleicht schwer sein, das arme Kind zur Erbin meines Vermögens zu machen. Die Schwierigkeiten würden daher vielleicht noch größer, wenn ich dem Papa Alles sagte.«

Während der Chevalier mit diesen Gedanken beschäftigt war, wurde der Türvorhang aufgehoben, und ein junger Mann trat auf dem weichen Teppich geräuschlos auf den Besucher zu, ohne von diesem gehört zu werden.

»Sie wünschen mich zu sprechen, mein Herr?« sagte der junge Mann. Der Chevalier de la Graverie sprang von dem Fauteuil auf, auf welchem er sich behaglich ausgestreckt hatte. Es war mehr die Überraschung als die Höflichkeit, die ihn so rasch emporschnellte.

Gratien d’Elbéne stand wirklich vor ihm; er erkannte seine Gesichtsbildung, seinen Wuchs, seine Haltung, seine Stimme. Es war indes in dem Gesicht des Eintretenden ein Gegenstand, den er, wie er sich recht gut erinnerte, in dem Gesicht des jungen Offiziers nicht gesehen hatte, und der ihm sogleich auffiel.

Dieser Gegenstand war ein schwarzer Backenbart, der übrige Teil des Gesichts war glatt rasiert.

Es war allerdings möglich, dass der Schnurrbart seit gestern verschwunden war, aber der Backenbart konnte in der kurzen Zeit nicht gewachsen sein.

»Habe ich wirklich die Ehre, mit Herrn Gratien d’Elbéne zu sprechen?« fragte der Chevalier, durch diesen unerwarteten Zwischenfall in Verlegenheit gesetzt.

Wir wissen, dass Dieudonné sehr leicht in Verlegenheit kam.

Der junge Mann lächelte; das Wort wirklich erklärte ihm Alles.

»Nein, mein Herr,« antwortete er, »ich bin sein Bruder Henri d’Elbéne.

Gratien ist ausgegangen, um mit einigen Kameraden zu frühstücken. Aber wenn ich Ihr Dolmetscher bei ihm sein kann, so verfügen Sie über mich.«

»Henri! – So? Sie sind Henri d’Elbéne?« erwiderte der Chevalier, sehr tief ergriffen, denn er halte den Mann vor sich, den Therese so innig geliebt, den einzigen, den sie je geliebt hatte, und er fand es ganz begreiflich, dass Therese durch diese außerordentliche Ähnlichkeit so leicht getäuscht werden konnte.

»Ja, mein Herr,« antwortete der junge Mann lächelnd; »Gratien wird Ihnen gewiss von mir erzählt haben, , und gleichwohl wundern Sie sich wie Jedermann über unsere Ähnlichkeit. Wir sind Zwillingsbrüder.«

»Ich verstehe,« sagte der Chevalier; »aber entschuldigen Sie meine Gemütsbewegung. Diese Ähnlichkeit, an die ich mich für den Augenblick nicht erinnerte, hat meine Gedanken auf einen Vorfall gelenkt, der so schwer auf meinem Leben gelastet hat, dass ich nicht daran zurückdenken kann, ohne tief ergriffen zu werden.«

»Ich sehe, Sie zittern, mein Herr. Ich bitte Sie, erholen Sie sich, setzen Sie sich doch.«

Henri nahm selbst einen Stuhl, und setzte sich auf die andere Seite des Kamins.

»Fassen Sie sich,« setzte er hinzu, »es wird bald vorübergehen. Dann belieben Sie mir zu sagen, was Sie zu mir führt.«

»Ich brauche mich nicht zu fassen, um es Ihnen zu sagen,« erwiderte der Chevalier, der sich durch die Sanftmut und Güte in dem Wesen des jungen Mannes ermutigt fühlte. »Da ich Ihren Herrn Bruder nicht treffe, so habe ich Lust Ihnen eine Geschichte zu erzählen. Ich bin ein alter alleinstehender Mann ohne Verwandte und Freunde; Sie scheinen mir ernster und besonnener zu sein, als man gemeiniglich in Ihrem Alter ist.«

»Ich habe schon Leiden gehabt,« unterbrach ihn Henri d’Elbéne mit einem Ausdruck des Gesichts, der ein Lächeln sein sollte; »ich habe daher auf meine Kosten die Erfahrung des Herzens erworben – die Erfahrung, welche am schnellsten den Verstand zur Reife bringt, aus welcher man aber ’gemeiniglich am wenigsten Nutzen zieht.«

»Sie können mir wohl einen guten Rat geben,« fuhr der Chevalier fort; »in meinem Alter ist der Geist träge, und man fasst schwer einen Entschluss. Überdies gestehe ich Ihnen aufrichtig, dass ich von Charakter immer sehr unschlüssig gewesen bin.«

»Reden Sie,« erwiderte Henri d’Elbéne; »ich glaube zwar nicht, dass ich Ihnen nützlich sein kann , aber ich versichere Sie im voraus meiner Teilnahme.«

Der Chevalier besann sich einen Augenblick, dann sagte er, den jungen Chevalier scharf ansehend:

»Was würden Sie von einem Manne denken, der eine eben so auffallende Ähnlichkeit, wie zwischen Ihnen und Ihrem Herrn Bruder, mit Hilfe einer Verkleidung, oder der Dunkelheit oder sonst eines Mittels benutzt, um ein unglückliches junges Mädchen zu täuschen, sich für ihren Geliebten auszugeben, sie zu entehren und dann ihrer Verzweiflung zu überlassen?«

»Nach meiner Meinung,« erwiderte Henri d’Elbéne, »wäre er ein erbärmlicher Wicht, der die Verachtung jedes Ehrenmannes verdient,«

»Und wenn die arme Getäuschte in Folge dieses Verbrechens Mutter geworden ist?«

»Solche Verbrechen werden leider vom Gesetz nicht bestraft; aber ich erkläre Ihnen auf mein Ehrenwort, dass ich lieber einem Banditen, der mit Dolch und Pistolen im Gürtel in ein Haus dringt und Freiheit und Leben aufs Spiel setzt, die Hand drücken, als mit einem herz- und gewissenlosen Menschen, der die von Ihnen erwähnte Tat begangen, in Berührung kommen möchte.«

»Ich habe Ihnen meine eigene Geschichte erzählt,« sagte der Chevalier; »das sanfte, seelengute Mädchen, das ein Opfer solcher Täuschung geworden, das man nicht sehen kann, ohne sich zu ihr hingezogen zu fühlen, ist meine Tochter.«

»Ihre Tochter!«

»Wenigstens meine Adoptivtochter.«

»Und Sie haben keine gerechte Wiedervergeltung geübt? Sie haben den Mann , der eine solche Schmach über Ihr Haus gebracht, nicht totgeschossen?«

»Ich bin ein alter Mann, ich bin so schwach, meine Hand hat kaum die Kraft, einen Degen oder ein Pistol zu halten.«

»Gott würde Ihnen die Kraft dazu gegeben haben,« erwiderte Henri d’Elbéne mit Begeisterung; »denn Gott ist mit dem Vater, der die Schmach seines Kindes rächt; er gibt dem Sperling Mut, der seine Jungen gegen den Raubvogel verteidigt; wie könnte er den Mann verlassen, der seine heiligste Pflicht erfüllt?«

»Aber der Zweikampf ist von allen göttlichen und menschlichen Gesehen verboten —«

»Der Zweikampf wird notwendig sein, so lange als es die Gesellschaft recht und zuweilen sogar unterhaltend findet, wenn gewissenlose Männer mit der Tugend junger Mädchen und mit der Ehre der Gattinnen ein frevelhaftes Spiel treiben.«

»Sie raten mir also, mich mit dem Schuldigen zu schlagen, wenn er dem Mädchen die gebührende Genugtuung verweigert?«

»Ja,« antwortete Henri d’Elbéne, »ich rate es Ihnen aus voller Überzeugung.«

»Dann,« erwiderte der Chevalier, »muss ich Ihnen gestehen, dass ich ungeachtet meiner Friedens- und Bequemlichkeitsliebe Ihre Ansicht teilte, und ich würde mich schon dazu entschlossen haben, wenn ich nicht durch eine Besorgnis zurückgehalten worden wäre.«

»Durch welche Besorgnis,?«

»Ich bin die einzige Stütze des armen Kindes; der Sieg ist nicht immer auf der Seite der gerechten Sachen das Geschick kann mir ungünstig sein; was soll aus der Unglücklichen werden, wenn sie mich verliert? sie hat ja Niemand in der Welt, als mich.«

»Wenn dem so ist,« erwiderte Henri d’Elbéne gutmütig, »so würde ich mich bestreben, Ihre Stelle bei ihr zu vertreten.«

»Versprechen Sie mir’s?«

»Ich schwöre es Ihnen.«

»Herr d’Elbéne,« sagte der Chevalier mit einer Begeisterung, die seinem nüchternen, pedantischen Wesen sonst ganz fremd war, »es ist so viel edler Freimut, so viel Offenheit in Ihrem Blick, dass ich Ihnen glauben will. Ich schwöre Ihnen ebenfalls, der Schuldige soll gezüchtigt werden; aber ich werde genötigt sein, Ihre Güte noch weiter in Anspruch zu nehmen.«

»Was kann ich für Sie tun?«

»Ich habe keine Bekannte in Paris, und würde nicht wissen, an wen ich mich wenden soll , wenn Sie mir meine Bitte nicht gewährten. Ich werde Sie bitten, mein Zeuge zu sein.«

»Sehr gern.«

»Versprechen Sie, dass Sie mir, ohne Rücksicht auf die Person meines Gegners und auf die gewählte Kampfweise, beistehen wollen in dem Rachewerk, das ich zu voll, bringen habe? Denn Sie werden mir’s bereits angesehen haben, dass ich in solchen Dingen sehr unerfahren bin; und da Sie so gütig waren; mir guten Rat zu geben, so will ich hoffen, dass Sie mich im, entscheidenden Moment nicht im Stich lassen werden.«

»Sie haben mein Wort,« erwiderte Henri d’Elbéne.

»Aber ich muss mir ebenfalls eine Frage erlauben. Sie sind, wie es scheint, ein Freund meines Bruders, ich hingegen habe nicht die Ehre Sie zu kennen; haben Sie daher die Güte, mir Ihren Namen zu nennen und Ihre Adresse zu lassen.«