Kitabı oku: «Das Halsband der Königin Denkwürdigkeiten eines Arztes 2», sayfa 12
XI.
Der Suffren
Gegen alle Gewohnheiten des Hofes war das Geheimniß von Ludwig XVI. und dem Grafen von Artois getreulich bewahrt worden.
Niemand wußte, zu welcher Stunde und wie Herr von Suffren kommen sollte.
Der König hatte sein Spiel für den Abend angekündigt.
Um sieben Uhr trat er mit den Prinzen und Prinzessinnen seiner Familie ein.
Die Königin führte Madame Noyale, die erst sieben Jahre alt war, bei der Hand.
Die Gesellschaft war zahlreich und glänzend.
Während der Präliminarien der Versammlung, in dem Augenblick, wo Jedermann Platz nahm, näherte sich der Graf von Artois sachte der Königin und sprach zu ihr:
»Meine Schwester, schauen Sie umher.«
»Nun wohl, ich schaue.«
»Was sehen Sie?«
Die Königin ließ ihre Blicke im Kreise umherlaufen, durchsuchte die Massen, sondirte die leeren Räume und erwiderte, als sie überall Freunde, überall Diener erblickte, worunter Andrée und ihr Bruder:
»Ich sehe angenehme und besonders sehr befreundete Gesichter.«
»Schauen Sie nicht, wen wir haben, meine Schwester, schauen Sie, wer uns fehlt.«
»Ah! es ist meiner Treue wahr!« rief Marie Antoinette.
Der Graf von Artois lachte.
»Abermals abwesend,« sagte die Königin. «Oh! wird er mich immer so fliehen?«
»Nein, der Scherz währt nur länger. Monsieur ist an die Barrière von Fontainebleau abgegangen, um den Bailli von Suffren zu erwarten.«
»Dann sehe ich nicht ein, warum Sie lachen, mein Bruder.«
»Sie sehen nicht ein, warum ich lache?«
»Allerdings, wenn Monsieur den Bailli von Suffren bei der Barrière erwartet, so ist er feiner als Sie gewesen, denn er wird ihn zuerst sehen und vor Jedermann beglückwünschen.«
»Ah! liebe Schwester,« entgegnete der Prinz lachend, »Sie haben einen sehr kleinen Begriff von unserer Diplomatie. Es ist wahr, Monsieur hat sich an die Barrière von Fontainebleau begeben, um den Bailli zu erwarten, aber wir haben Jemand, der ihn auf der Station von Villejuif erwartet.«
»Wahrhaftig?«
»So daß sich Monsieur allein an der Barrière erkälten wird, indeß auf einen Befehl des Königs Herr von Suffren Paris umfährt und unmittelbar nach Versailles kommt, wo wir ihn erwarten.«
»Das ist vortrefflich ausgedacht.«
»Nicht schlecht, und ich bin ziemlich zufrieden mit mir. Machen Sie Ihr Spiel, meine Schwester.«
Es waren in diesem Augenblick im Spielsaal wenigstens hundert Personen vom höchsten Rang, Herr von Condé, Herr von Penthièvre, Herr de la Trémouille, die Prinzessinnen.
Der König allein bemerkte, daß der Graf von Artois die Königin lachen machte, und um ein wenig an ihrem Komplott Theil zu nehmen, sandte er ihnen einen äußerst bezeichnenden Blick zu.
Die Nachricht von der Ankunft des Kommandeur von Suffren hatte sich, wie wir gesagt, nicht verbreitet, und dennoch hatte man eine Art von Ahnung, die über den Geistern schwebte, nicht unterdrücken können.
Man fühlte etwas Verborgenes, was erscheinen, etwas Neues, was sich erschließen sollte; es war ein unbekanntes Interesse, das sich durch diese ganze Welt verbreitete, wo das geringste Ereigniß Wichtigkeit gewinnt, sobald der Herr die Stirne gefaltet hat, um zu mißbilligen, oder den Mund bewegt, um zu lächeln.
Der König, der um einen Sechs-Livres-Thaler zu spielen pflegte, um das Spiel der Prinzen und der Herren des Hofes zu mäßigen, der König bemerkte nicht, daß er Alles, was er an Geld in der Tasche hatte, auf den Tisch legte.
Ganz ihrer Rolle sich hingebend, ging die Königin mit List zu Werke und lockte die Aufmerksamkeit des Kreises durch den Eifer ab, mit dem sie ihr Spiel betrieb.
Philipp, der zu der Parthie zugelassen war und seinen Platz seiner Schwester gegenüber hatte, verschlang mit allen seinen Sinnen zugleich den unerhörten, Staunen erregenden Eindruck dieser Gunst, die ihn unversehens wieder erhitzte.
Die Worte seines Vaters kamen ihm wieder in's Gedächtniß. Er fragte sich, ob der Greis, der drei bis vier Regierungen von Favoritinnen gesehen, nicht wirklich ganz genau die Geschichte der Zeiten und der Sitten kenne.
Er fragte sich, ob der Puritanismus, der eine Aehnlichkeit mit der religiösen Anbetung hat, nicht eine Lächerlichkeit mehr sei, die er aus entfernten Ländern mitgebracht.
War die so poetische, so schöne, gegen ihn so schwesterliche Königin nicht im Ganzen nur eine furchtbare Cokette, die eine Leidenschaft mehr ihren Erinnerungen einzureihen wünschte, wie ein Entomolog ein Insect oder einen Schmetterling mehr in seinem Kästchen anheftet, ohne sich darum zu bekümmern, was das arme Thier leidet, dessen Herz eine Nadel durchsticht?
Und dennoch war die Königin keine gewöhnliche Frau, kein alltäglicher Character: ein Blick von ihr bedeutete etwas, zumal da sie nie einen Blick fallen ließ, ohne das Gewicht desselben zu berechnen.
»Coigny, Vaudreuil,« wiederholte Philipp, »haben die Königin geliebt, und sind von ihr geliebt worden. Oh! warum ist diese Verläumdung so finster, warum dringt nicht ein Lichtstrahl in diesen tiefen Abgrund, den man ein Frauenherz nennt, und der noch tiefer ist, wenn er das Herz einer Königin ist?«
Und als Philipp diese zwei Namen genugsam in seinem Geiste hin- und hergeworfen hatte, erblickte er am Ende des Tisches die Herren von Coigny und Vaudreuil, die durch eine seltsame Laune des Zufalls, die Augen auf einen andern Punkt gerichtet, als den, wo sich die Königin befand, sorglos, um nicht zu sagen vergeßlich, neben einander saßen.
Philipp sagte sich, diese zwei Menschen können unmöglich geliebt haben und so ruhig sein, geliebt worden sein und so vergessen haben. Oh! wenn die Königin ihn liebte, er würde vor Glück wahnsinnig werden; wenn sie ihn vergäße, nachdem sie ihn geliebt, er würde sich vor Verzweiflung tödten.
Von den Herren von Coigny und Vaudreuil ging er zur Königin Marie Antoinette über.
Und beständig träumend befragte er diese so reine Stirne, diesen so gebieterischen Mund, diesen so majestätischen Blick; er verlangte von allen Schönheiten dieses Weibes die Enthüllung des Geheimnisses der Königin.
»Oh! nein! Verläumdungen, nichts als Verläumdungen können alle diese schwankenden Gerüchte sein, die beim Volk in Umlauf zu kommen anfangen, und denen die Interessen, die Gehässigkeiten oder die Intriguen des Hofes allein ihre Haltbarkeit verleihen.«
Philipp war so weit in seinen Betrachtungen gekommen, als es drei Viertel auf acht Uhr im Saale der Garden schlug.
In diesem Saale erschollen hastige Schritte. Die Gewehrkolben stießen auf die Platten. Ein Geräusch von Stimmen erregte, durch die ein wenig geöffnete Thüre eindringend, die Aufmerksamkeit des Königs, der, um besser zu hören, den Kopf zurückwarf und dann der Königin ein Zeichen machte.
Diese begriff die Andeutung und hob die Sitzung sogleich auf.
Jeder Spieler raffte, was er vor sich hatte, zusammen, und wartete, um einen Entschluß zu fassen, bis die Königin den ihrigen errathen ließ.
Die Königin ging in den großen Empfangsaal.
Der König war vor ihr dahin gekommen.
Ein Adjutant des Marineministers, Herr von Castries, näherte sich dem König und sagte ihm ein paar Worte in's Ohr.
»Gut,« erwiderte der König, »gehen Sie.«
Dann fügte er gegen die Königin gewendet bei:
»Alles geht gut.«
Jeder befragte seinen Nachbar mit dem Blick, denn das »Alles geht gut« gab den sämmtlichen Anwesenden viel zu denken.
Plötzlich trat der Marschall von Castries in den Saal und sprach laut:
»Geruht Seine Majestät den Herrn Bailli von Suffren, der von Toulon ankommt, zu empfangen?«
Bei diesem mit lauter, triumphirender, freudiger Stimme ausgesprochenen Namen entstand ein unaussprechlicher Tumult in der Versammlung.
»Ja, mein Herr, mit großem Vergnügen,« antwortete der König.
Herr von Castries ging hinaus.
Es fand beinahe eine Massenbewegung gegen die Thüre statt, durch welche Herr von Castries verschwunden war.
Um die Sympathie Frankreichs für Herrn von Suffren zu erklären, um das Interesse begreiflich zu machen, das ein König, eine Königin, Prinzen von königlichem Geblüt in den Genuß der Erstlinge eines Blickes von Herrn von Suffren setzten, werden wenige Worte genügen. Suffren ist ein eigentlich französischer Name, wie Turenne, wie Catinat, wie Jean Bart.
Seit dem Kriege mit England, ober vielmehr seit der letzten Periode der Kämpfe, die dem Frieden vorhergegangen waren, hatte der Herr Commandant von Suffren sieben große Seeschlachten geliefert, ohne eine Niederlage zu erleiden; er hatte Trinquemale und Gondelour genommen, die französischen Besitzungen gesichert, das Meer gesäubert und den Nabob Hander Ali gelehrt, daß Frankreich die erste Macht Europa's sei. Er hatte mit der Ausübung des Seemannsgewerbes die ganze Diplomatie eines feinen und redlichen Unterhändlers, die ganze Tapferkeit und die ganze Tactik eines Soldaten, die ganze Routine eines Administrators zu vermählen gewußt. Kühn, unermüdlich, stolz, wenn es sich um die Ehre der französischen Flagge handelte, hatte er zu Wasser und zu Land die Engländer dergestalt ermüdet, daß diese hoffärtigen Seeleute es nie wagten, einen begonnenen Sieg zu vollenden, oder einen Angriff auf Suffren zu versuchen, wenn der Löwe seine Zähne zeigte.
Dann, nach dem Treffen, in dem er sein Leben mit der Sorglosigkeit des letzten Matrosen preisgegeben, hatte man ihn menschlich, großmüthig, mitleidig gesehen; das seit Jean Bart und Duguay-Trouin ein wenig in Vergessenheit gerathene Urbild eines ächten Seemanns war es, was Frankreich im Bailli von Suffren wieder fand.
Wir wollen es nicht versuchen, die geräuschvolle Begeisterung zu schildern, welche seine Ankunft unter den zu dieser Gesellschaft in Versailles zusammenberufenen Edelleuten hervorrief.
Suffren war ein Mann von sechsundfünfzig Jahren, stark, kurz, mit feurigem Auge und leichter, edler Geberde. Behend trotz seiner Beleibtheit, majestätisch trotz seiner Geschwindigkeit, trug er stolz seine Frisur oder vielmehr seine Mähne; wie ein Mensch, der gewohnt ist, aller Schwierigkeiten zu spotten, hatte er das Mittel gefunden, sich in seiner Postchaise ankleiden und frisiren zu lassen.
Er trug einen blauen, goldgestickten Rock, eine rothe Weste, blaue Beinkleider, und hatte den militärischen Kragen beibehalten, auf dem sich sein mächtiges Kinn wie die notwendige Ergänzung seines kolossalen Kopfes rundete.
Als er in den Saal der Garden eintrat, sagte Jemand ein Wort zu Herrn von Castries, der ungeduldig auf- und abging, und alsbald rief dieser:
»Herr von Suffren, meine Herren!«
Sogleich sprangen die Garden nach ihren Mousquetons und stellten sich von selbst in Linie auf, als hätte es sich um den König von Frankreich gehandelt, und sobald der Bailli vorüber war, formirten sie sich in guter Ordnung zu vier und vier, gleichsam um ihm als Geleite zu dienen.
Er drückte Herrn von Castries die Hand und suchte ihn zu umarmen; doch der Marineminister schob ihn sanft zurück und sprach:
»Nein, mein Herr, nein, ich will des Glücks, Sie zuerst zu umarmen, den Mann, der dessen würdiger ist, als ich, nicht berauben.«
Und auf diese Art fühlte er Herrn von Suffren bis zu Ludwig XVI.
»Herr Bailli,« rief der König ganz strahlend, sobald er ihn erblickte, »seien Sie in Versailles willkommen. Sie bringen dahin den Ruhm, Sie bringen Alles, was die Helden ihren Zeitgenossen auf Erden geben. Ich spreche nicht von der Zukunft, das ist Ihr Eigenthum. Umarmen Sie mich, Herr Bailli.«
Herr von Suffren hatte das Knie gebeugt, der König hob ihn auf und umarmte ihn so herzlich, daß ein langes Beben der Freude und des Triumphes die ganze Versammlung durchlief.
Ohne die dem König schuldige Achtung würden alle Anwesenden in Bravos und Beifallsrufe ausgebrochen sein.
Der König wandte sich gegen die Königin und sprach:
»Madame, das ist Herr von Suffren, der Sieger von Trinquemale und Gondelour, der Schrecken unserer Nachbarn, der Engländer, mein Jean Bart.«
»Mein Herr,« sagte die Königin, »ich habe Ihnen kein Lob zu spenden. Erfahren Sie nur, daß Sie keinen Kanonenschuß für den Ruhm Frankreichs gethan haben, ohne daß mein Herz vor Bewunderung und Dankbarkeit für Sie geschlagen.«
Die Königin hatte kaum geendigt, als der Graf von Artois mit seinem Sohne, dem Herzog von Angoulême, sich näherte und zu diesem sagte:
»Mein Sohn, Du siehst einen Helden. Schau ihn wohl an, das ist etwas Seltenes.«
»Monseigneur,« antwortete der junge Prinz seinem Vater, »kürzlich las ich die großen Männer von Plutarch, aber ich sah sie nicht. Ich danke Ihnen, daß Sie mir Herrn von Suffren gezeigt haben.«
Es erhob sich ein Gemurmel um den Prinzen. Der Knabe konnte wahrnehmen, daß er ein Wort gesagt hatte, das bleiben würde.
Der König nahm Herrn von Suffren nun beim Arm und schickte sich an, ihn in sein Cabinet zu nehmen, um mit ihm über seine Reise und seine Expedition zu sprechen.
Herr von Suffren leistete aber einen ehrfurchtsvollen Widerstand und sprach:
»Sire, wollen Sie mir erlauben, da Eure Majestät so viel Güte für mich hat…«
»Oh!« rief der König, »Sie wünschen, Herr von Suffren?«
»Sire, einer meiner Officiere hat einen so schweren Fehler gegen die Disciplin begangen, daß ich dachte, Eure Majestät allein könne Richter in dieser Sache sein.«
»Oh! Herr von Suffren, ich hoffte, Ihre erste Bitte werde eine Gunst und nicht eine Bestrafung betreffen.«
»Sire, Eure Majestät wird, wie ich zu sagen die Ehre hatte, selbst beurtheilen, was zu thun ist.«
»Ich höre.«
»Bei dem letzten Gefecht commandirte der Officier, von dem ich spreche, den Sévère.«
»Oh! das Schiff, das die Flagge strich,« sagte der König, die Stirne faltend.
»Sire, der Capitän des Sévère hatte in der That seine Flagge gestrichen,« antwortete Herr von Suffren, »und schon schickte Sir Hugues, der englische Admiral, ein Boot ab, um die Prise mit seinen Leuten zu bemannen; als aber der Lieutenant des Schiffes, der die Kanonen des Zwischendecks überwachte, wahrnahm, daß das Feuer aufhörte, und den Befehl erhielt, die Kanonen schweigen zu lassen, stieg er auf das Verdeck; er sah, daß die Flagge gestrichen und der Capitän bereit war, sich zu ergeben. Ich bitte Eure Majestät um Verzeihung, Sire, aber bei diesem Anblick empörte sich Alles, was er von französischem Blut in sich hatte. Er nahm die Flagge, die sich im Bereich seiner Hand befand, griff nach einem Hammer, befahl das Feuer wieder zu beginnen und nagelte die Flagge über den Wimpel. Durch dieses Ereigniß, Sire, wurde der Sévère Eurer Majestät erhalten.«
»Ein schöner Zug, sagte der König.
»Eine wackere Handlung,« sprach die Königin.
»Ja, Sire, ja, Madame; aber eine schwere Rebellion gegen die Disciplin. Der Capitän hatte befohlen, der Lieutenant mußte gehorchen. Ich bitte Sie um Begnadigung dieses Officiers, Sire, ich bitte Sie um so dringender darum, als er mein Neffe ist.«
»Ihr Neffe!« rief der König, »und Sie haben mir nichts davon gesagt?«
»Dem König, nein; doch ich hatte die Ehre, dem Herrn Marine-Minister meinen Bericht abzustatten, und ersuchte ihn dabei, Eurer Majestät nichts zu sagen, bevor ich die Begnadigung des Schuldigen erlangt hätte.«
»Bewilligt! bewilligt!« rief der König, »und ich verspreche zum Voraus jedem Sünder gegen die Disciplin, der so die Ehre der Flagge und des Königs von Frankreich zu rächen weiß, meinen Schutz. Sie hätten mir diesen Offner vorstellen sollen, Herr Bailli.«
»Er ist hier,« erwiderte Herr von Suffren, »und da Eure Majestät erlaubt…«
Dann sich umwendend:
»Nähern Sie sich, Herr von Charny.«
Die Königin bebte, dieser Name erweckte in ihrem Geiste eine Erinnerung, welche zu frisch war, um schon verwischt zu sein.
Da trennte sich ein junger Officier von der um Herrn von Suffren gebildeten Gruppe und erschien plötzlich vor den Augen des Königs.
Ganz begeistert von der Erzählung seiner schönen That, hatte die Königin ihrerseits eine Bewegung gemacht, um dem jungen Mann entgegen zu gehen.
Aber beim Namen und beim Anblick des Seemanns, den Herr von Suffren dem König vorstellte, blieb sie stehen, erbleichte und gab ein kleines Gemurmel von sich.
Fräulein von Taverney erbleichte auch und schaute voll Angst die Königin an.
Ohne etwas zu sehen, ohne etwas anzuschauen, ohne daß sein Gesicht irgend eine andere Bewegung als Ehrfurcht ausdrückte, verbeugte sich Herr von Charny vor dem König, der ihm die Hand zum Kusse reichte, dann kehrte er bescheiden und zitternd unter den gierigen Blicken der Versammlung in den Kreis der Officiere zurück, die ihn geräuschvoll beglückwünschten und mit Schmeicheleien erdrückten.
Da trat ein Augenblick des Stillschweigens und der Aufregung ein, in dem man den König strahlend, die Königin lächelnd und unentschlossen, und Philipp, dem die Bewegtheit der Königin nicht entgangen war, unruhig und fragend sehen konnte.
»Auf! auf!« sagte endlich der König, »kommen Sie Herr von Suffren, kommen Sie, daß wir plaudern; ich sterbe vor Verlangen, Sie zu hören und Ihnen zu beweisen, wie viel ich an Sie gedacht habe.«
»Sire, so viel Güte…«
»Oh! Sie werden meine Karten sehen, Herr Bailli, Sie werden jede Phase Ihrer Expedition zum Voraus durch meine Sorgfalt errathen sehen. Kommen Sie, kommen Sie.«
Nachdem er hierauf, Herrn von Suffren mit sich fortziehend, einige Schritte gemacht hatte, wandte er sich plötzlich gegen die Königin um und sagte:
»Oh! Madame, ich lasse, wie Sie wissen, ein Schiff von hundert Kanonen bauen, ich habe meine Ansicht über den Namen, den es bekommen soll, geändert; statt es zu nennen, wie wir gesagt habe, nicht wahr, Madame…«
Marie Antoinette, die sich wieder ein wenig gefaßt hatte, griff den Gedanken des Königs im Fluge auf und antwortete:
»Ja, ja, wir nennen es den Suffren, und ich werde mit dem Herrn Bailli die Pathin sein.«
Bis dahin zurückgehaltene Rufe: Es lebe der König! es lebe die Königin! brachen mit Gewalt hervor.
»Es lebe der Suffren!« fügte der König mit großer Zartheit bei, denn Niemand konnte in Gegenwart des Königs rufen: Es lebe Herr von Suffren! während die ängstlichsten Beobachter der Etikette rufen konnten: »Es lebe das Schiff Seiner Majestät!«
»Es lebe der Suffren!« wiederholte die Versammlung voll Begeisterung.
Der König machte ein Zeichen des Dankes dafür, daß man seine Gedanken so gut begriffen, und führte den Bailli mit sich fort.
XII.
Herr von Charny
Sobald der König verschwunden war, gruppirte sich Alles, was sich von Prinzen und Prinzessinnen im Saale befand, um die Königin.
Der Bailli hatte seinem Neffen durch ein Zeichen zu warten befohlen, und nach einer Verbeugung, welche Gehorsam andeutete, war dieser in der Gruppe, wo wir ihn gesehen, geblieben.
Die Königin, welche mit Andrée mehrere bezeichnende Blicke gewechselt hatte, verlor den jungen Mann beinahe nicht mehr aus dem Auge, und so oft sie ihn anschaute, sagte sie zu sich selbst:
»Er ist es, es läßt sich nicht bezweifeln.«
Fräulein von Taverney antwortete dann mit einer Pantomime, die der Königin keinen Zweifel übrig lassen sollte, denn sie bedeutete:
»Oh! mein Gott, ja, Madame; er ist es, er ist es ganz gewiß.«
Philipp bemerkte, wie gesagt, die Bewegtheit der Königin; er sah sie und fühlte, wenn nicht die Ursache doch wenigstens den unbestimmten Sinn davon.
Nie täuscht sich derjenige, welcher liebt, über den Eindruck derjenigen, die er liebt.
Er errieth also, die Königin sei von einem seltsamen, geheimnißvollen, Jedermann, sie und Andrée ausgenommen, unbekannten Ereigniß betroffen worden.
Die Königin hatte wirklich die Haltung verloren und eine Zuflucht hinter ihrem Fächer gesucht, während sie gewöhnlich alle Welt zwang, die Augen niederzuschlagen.
Während sich der junge Mann fragte, worauf diese Bewegtheit der Königin hinauslaufen dürfte, während er die Gesichter der Herren von Coigny und Vaudreuil zu sondiren suchte, um sich zu versichern, ob sie keinen Antheil an diesem Geheimniß hätten, und er sah, daß sie sich ganz gleichgültig mit Herrn von Haga unterhielten, der nach Versailles gekommen war, um seine Aufwartung zu machen, trat ein Mann im majestätischen Cardinalsgewand, gefolgt von Officianten und Prälaten, in den Salon.
Die Königin erkannte Herrn Ludwig von Rohan, sie sah ihn von einem Ende des Saals am andern, und wandte sogleich den Kopf ab, ohne daß sie sich auch nur die Mühe nahm, das Falten ihrer Stirne zu verbergen.
Der Prälat durchschritt die ganze Versammlung, ohne Jemand zu grüßen, und ging gerade auf die Königin zu, vor der er sich mehr als ein Weltmann, der eine Frau, denn als ein Unterthan, der eine Königin grüßt, verbeugte.
Dann richtete er ein äußerst galantes Compliment an Ihre Majestät, doch sie wandte kaum den Kopf um, murmelte ein paar eiskalt ceremoniöse Worte und setzte ihr Gespräch mit Frau von Lamballe und Frau von Polignac fort.
Der Prinz Ludwig schien den schlechten Empfang der Königin nicht bemerkt zu haben. Er beendigte seine Verbeugungen, drehte sich ohne Hast um und wandte sich mit aller Anmuth eines vollkommenen Hofmanns an Mesdames, die Tanten des Königs, mit denen er sich lange unterhielt, in Betracht daß ihm kraft des bei Hofe üblichen Schaukelspieles hier ein ebenso wohlwollender Empfang zu Theil wurde, als der der Königin eisig gewesen war.
Der Cardinal Ludwig von Rohan war ein Mann in der Kraft des Alters, von imposanter Gestalt und edler Haltung; seine Züge drückten Verstand und Sanftmuth aus; er hatte einen feinen, bedachtsamen Mund und eine bewunderungswürdige Hand; seine etwas entblößte Stirne deutete den Mann der Studien an, und bei dem Prinzen von Rohan fand sich wirklich das Eine und das Andere.
Er war ein Mann, dem die Frauen huldigten, welche die Galanterie ohne Geckenhaftigkeit und ohne Geräusch liebten; seine Freigebigkeit war sprichwörtlich und er hatte wirklich das Mittel gefunden, sich mit einem Einkommen von sechzehnmal hunderttausend Livres für arm zu halten.
Der König liebte ihn, weil er gelehrt war, die Königin dagegen haßte ihn.
Die Gründe dieses Hasses sind nie genau bekannt geworben, aber sie unterliegen zwei Arten von Commentaren.
Einmal sollte der Prinz Ludwig als Botschafter in Wien, wie man sagte, dem König Ludwig XV. über Maria Theresia Briefe voll Ironie geschrieben haben, die Marie Antoinette diesem Diplomaten nie hätte verzeihen können.
Sodann, und dieß ist menschlicher und besonders wahrscheinlicher, sollte der Botschafter in Beziehung auf die Heirath der jungen Erzherzogin mit dem Dauphin an den König Ludwig XV., der den Brief laut bei einem Abendbrod bei Madame Dubarry vorgelesen, gewisse, für die Eitelkeit der damals sehr magern jungen Frau ungünstige Details geschrieben haben.
Diese Angriffe hätten Marie Antoinette tief verletzt, die sich nicht öffentlich als Opfer derselben anerkennen konnte, und sie hatte geschworen, den Urheber früher oder später dafür zu bestrafen.
Darunter fand sich natürlich eine ganz politische Intrigue.
Die Botschafterstelle in Wien war Herrn von Breteuil zu Gunsten des Herrn von Rohan entzogen worden.
Zu schwach, um offen gegen den Prinzen zu kämpfen, hatte Herr von Breteuil dann das angewandt, was man in der Diplomatie Geschicklichkeit nennt. Er hatte sich die Abschriften oder sogar die Originale des Prälaten, der damals Botschafter in Wien war, verschafft und, indem er wirklich von dem Prälaten geleistete Dienste durch die Feindseligkeiten gegen die österreichische Kaiserfamilie aufwog, in der Dauphine einen Bundesgenossen gefunden, entschlossen, eines Tags den Herrn Prinzen von Rohan zu Grunde zu richten.
Dieser Haß brütete dumpf bei Hofe fort und machte die Stellung des Cardinals sehr schwierig.
So oft er die Königin sah, hatte er den eisigen Empfang zu ertragen, von dem wir einen Begriff gegeben haben.
Doch über die Verachtung erhaben, war er nun wirklich stark oder riß ihn ein unwiderstehliches Gefühl hin, seiner Feindin Alles zu verzeihen, versäumte Ludwig von Rohan keine Gelegenheit, sich Marie Antoinette zu nähern, und hiezu fehlt es ihm nicht an Mitteln: Ludwig von Rohan war Großalmosenier des Hofes.
Nie hatte er sich beklagt, nie hatte er sich gegen Jemand ausgesprochen. Ein kleiner Kreis von Freunden, unter denen man den Baron von Planta, einen deutschen Officier, seinen innigen Vertrauten, auszeichnete, diente dazu, ihn über die königlichen Zurückstoßungen zu trösten, wenn die Damen des Hofes, die sich im Punkt der Strenge gegen den Cardinal nicht alle nach dem Muster der Königin richteten, dieses glückliche Resultat nicht bewerkstelligt hatten.
Der Kardinal war wie ein Schatten über das lachende Gemälde hingezogen, das in der Einbildungskraft der Königin spielte. Kaum hatte er sich entfernt, als sich Marie Antoinette wieder erheiterte und zur Frau Prinzessin von Lamballe sagte:
»Wissen Sie, daß die That dieses jungen Officiers, des Neffen des Herrn Bailli, eine der merkwürdigsten dieses Krieges ist? Wie heißt er doch?«
»Herr von Charny, glaube ich,« antwortete die Prinzessin.
Dann sich gegen Andrée umwendend, fragte sie:
»Ist es nicht so, Fräulein von Taverney?«
»Charny, ja, Eure Hoheit,« erwiderte Andrée.
»Herr von Charny,« fuhr die Königin fort, »muß uns diese Episode selbst erzählen, ohne daß er einen einzigen Umstand übergehen darf. Man suche ihn. Ist er noch hier?«
Ein Officier ging eiligst weg, um den Befehl der Königin zu vollziehen.
In demselben Augenblick, wo sie umherschaute, gewahrte sie Philipp, und ungeduldig, wie immer, rief sie ihm zu:
»Herr von Taverney, sehen Sie doch nach.«
Philipp erröthete; vielleicht dachte er, er hätte dem Wunsche seiner Fürstin zuvorkommen müssen. Er schickte sich also an, den glücklichen Officier aufzusuchen, den er seit seiner Vorstellung nicht mit dem Auge verlassen hatte.
Das Suchen war ihm daher sehr leicht.
Herr von Charny kam nach einem Augenblick zwischen den Boten der Königin.
Der Kreis erweiterte sich vor ihm; die Königin konnte ihn nun mit größerer Aufmerksamkeit prüfen, als ihr dieß am Abend zuvor möglich gewesen war.
Es war ein junger Mann von sieben- bis achtundzwanzig Jahren, von schlankem, geradem Wuchs, mit breiten Schultern und vollkommenem Bein. Sein feines und zugleich sanftes Gesicht nahm einen seltsamen Character von Energie an, so oft er sein großes, blaues Auge mit dem tiefen Blick erweiterte; er war, merkwürdigerweise für einen Mann, der kurz zuvor die Kriege in Indien mitgemacht, ebenso weiß von Teint, als Philipp braun. Von einer bewunderungswürdigen Zeichnung, spielte sein nerviger Hals in einer Binde von weniger glänzender Weise, als seine schöne Haut.
Als er sich der Gruppe näherte, in deren Mittelpunkt die Königin sich befand, hatte er noch auf keine Weise kundgegeben, daß er Fräulein von Taverney oder die Königin selbst kenne.
Umgeben von Officieren, die ihn befragten und denen er höflich antwortete, schien er vergessen zu haben, daß er mit einem König gesprochen, daß eine Königin ihn angeschaut.
Diese Höflichkeit, diese Zurückhaltung waren ganz geeignet, ihn noch viel bemerkbarer für die Königin zu machen, welche so zartfühlend war in Allem, was das Benehmen betraf.
Herr von Charny hatte vollkommen Recht, vor Andern sein Erstaunen bei dem so unerwarteten Anblick der Damen vom Fiaker zu verbergen. Es war das höchste Maß von Klugheit und zarter Biederkeit, wo möglich sie selbst nicht wissen zu lassen, daß sie erkannt worden waren.
Natürlich und mit einer angemessenen Schüchternheit gleichsam belastet geblieben, erhob sich der Blick des Herrn von Charny nicht eher, als bis ihn die Königin angeredet hatte.
»Herr von Charny,« sagte sie, »diese Damen wünschen, und es ist dieß ein sehr natürlicher Wunsch, da ich ihn auch hege, diese Damen wünschen die Affaire des Schiffes in allen ihren Einzelnheiten zu kennen: ich bitte, erzählen Sie uns das.«
»Madame,« erwiderte der Seemann unter einem tiefen Stillschweigen, »ich bitte Eure Majestät flehentlich, nicht aus Bescheidenheit, sondern aus Menschlichkeit, mich von dieser Erzählung freizusprechen; was ich als Lieutenant des Sévère gethan habe, gedachten zu gleicher Zeit wie ich zehn Officiere, meine Cameraden, zu thun; ich schritt zuerst zur Ausführung, das ist mein ganzes Verdienst. Dem Geschehenen die Wichtigkeit einer an Ihre Majestät gerichteten Erzählung zu geben, nein, Madame, das ist unmöglich, und Ihr großes Herz, Ihr Königliches Herz besonders, wird es begreifen. Der Commandant des Sévère ist ein braver Officier, der an diesem Tag den Kopf verloren hatte. Ach! Madame, Sie können es die Muthigsten sagen hören, man ist nicht alle Tage tapfer; er brauchte zehn Minuten, um sich zu erholen; unser Entschluß uns nicht zu ergeben, hat ihm die Frist verliehen und der Muth ist bei ihm wiedergekehrt; von diesem Augenblick an war er der Tapferste von uns Allen; darum beschwöre ich Eure Majestät, das Verdienst meiner Handlung nicht zu übertreiben, das wäre eine Gelegenheit, den armen Officier niederzuschmettern, der tagtäglich seine Vergeßlichkeit einer Minute beweint.«
»Gut, gut,« sagte die Königin, gerührt und strahlend vor Freude, da sie das günstige Gemurmel hörte, das die edelmüthigen Worte des jungen Officiers um sie her hervorgerufen hatten, »gut, Herr von Charny, Sie sind ein redlicher Mann, als einen solchen kannte ich Sie.«
Bei diesen Worten erhob der Officier das Haupt; eine ächt jugendliche Röthe bepurpurte sein Antlitz; seine Augen gingen mit einer Art Angst von der Königin zu Andrée über. Er fürchtete den Anblick dieser so edelmüthigen und in ihrem Edelmuth so schüchternen Natur.
Herr von Charny war in der That noch nicht beim Ende.
»Denn,« fuhr die unerschrockene Königin fort, »denn mögen Sie allesammt erfahren, daß Herr von Charny, dieser junge Officier, der sich gestern erst ausgeschifft, dieser Unbekannte uns sehr bekannt war, ehe er uns heute Abend vorgestellt wurde, und daß er allen Frauen bekannt zu sein und von allen bewundert zu werden verdient.«
Man sah, daß die Königin sprechen, daß sie eine Geschichte erzählen wollte, aus der Jeder einen kleinen Scandal, ein kleines Geheimniß auflesen konnte. Man bildete einen Kreis, man horchte, man drängte sich zusammen.
»Meine Damen,« sprach die Königin, »stellen Sie sich vor, daß Herr von Charny ebenso nachsichtig gegen die Damen ist, als unbarmherzig gegen die Engländer. Man hat mir von ihm eine Geschichte erzählt, die ihm, ich erkläre es Ihnen zum Voraus, in meinen Augen die größte Ehre macht.«
»Oh! Madame,« stammelte der junge Officier.
Man erräth, daß die Worte der Königin und die Gegenwart des Mannes, an welchen sie gerichtet waren, die Neugierde nur verdoppelten.