Kitabı oku: «Denkwürdigkeiten eines Fechtmeisters», sayfa 10
IX
Katharina sagte, daß es in St. Petersburg nicht einen Winter und einen Sommer gäbe, sondern nur zwei Winter: nämlich einen weißen und einen grünen Winter.
Wir näherten uns mit starken Schritten dem weißen Winter, und ich gestehe, daß ich für mein Theil ihn nicht ohne eine gewisse Neugierde herannahen sah. Ich liebe die Länder in ihren Extremen, denn dann nur allein zeigen sie sich in ihrem wahren Charakter. Wenn man St. Petersburg im Sommer, und Neapel im Winter sehen will; so ist es eben so gut zu Haus zu bleiben, denn man würde dann in Wahrheit nichts gesehen haben.
Der Großfürst Konstantin war nach Warschau zurückgekehrt, ohne daß er etwas von der Verschwörung hätte entdecken können, die ihn nach St. Petersburg geführt, und der Kaiser Alexander, der sich unsichtbar in diese weit verzweigte Verschwörung eingehüllt sah, hatte noch viel trauriger seine schönen Bäume von Zarsko-Selo verlassen, deren Blätter jetzt den Boden bedeckten. Die heißen Tage und die bleichen Nächte waren verschwunden; kein Azurblau am Himmel, kein mit den Wellen der Newa rollender Saphir mehr; keine äolische Musik, keine mit Frauen und Blumen beladenen Gondeln mehr. Ich hatte noch einmal jene wundervollen Inseln sehen wollen, die ich bei meiner Ankunft ganz von fremden Pflanzen mit dicken Blättern und breiten Blumen besetzt gefunden hatte; aber die Pflanzen waren für acht Monate lang in ihre Treibhäuser zurückgekehrt. Ich suchte die Paläste, die Tempel, die köstlichen Parks, und ich sah nichts, als in Nebel gehüllte Baracken wieder, um welche die Birken ihre entlaubten Zweige und die Tannen ihre ganz mit Trauer Fransen behangenen finsteren Arme bewegten, und deren Bewohner, glänzende Sommervögel, selbst schon nach St. Petersburg entflohen waren.
Ich hatte den Rath befolgt, welchen mir bei meiner Ankunft mein Lyonner an der Table-d’hote gegeben hatte, und ich eilte nur noch mit bei ihm gekauftem Pelz bedeckt von einem Ende der Stadt zum anderen, um meine Stunden zu geben, welche übrigens fast alle Tage vielmehr in Plaudereien, als in Erklärungen oder in Fechtübungen hingingen. Herr von Gorgoli vor allem, der nach dreizehn Dienstjahren als Großmeister der Polizei in Folge eines Streites mit dem General Miloradowitsch, dem Gouverneur der Stadt, seine Entlassung eingereicht hatte, und welcher, in das Privatleben zurückgekehrt, nach einem so langen bewegten Leben das Bedürfniß nach Ruhe empfand, Herr von Gorgoli, sage ich, ließ mich oft ganze Stunden damit zubringen, daß ich ihm von Frankreich erzählte, und ihm wie einem Freunde meine Privatangelegenheiten mittheilte. Nach ihm war es der Herr von Bobrinski, der mir die meiste Freundschaft zeigte, und außer anderen Geschenken, die er mir ohne Unterlaß machte, hatte er mir einen schönen türkischen Säbel gegeben. Was den Grafen Alexis anbetrifft, so war er immer mein eifrigster Gönner, obgleich ich ihn selten in seiner Wohnung sah, da er sehr beschäftigt durch die Zusammenkünfte mit seinen Freunden in St. Petersburg und selbst in Moskau war, denn trotz der zwei hundert Stunden, welche diese beiden Hauptstädte trennen, war er fast beständig auf dem Wege; so sehr ist der Russe aus sonderbaren Widersprüchen zusammengesetzt, und voller Trägheit aus Temperament, läßt er sich leicht zur fieberhaften Thätigkeit aus langer Weile hinreißen,
Bei Louisen war es besonders, wo ich ihn von Zeit zu Zeit wiederfand. Mit tiefem Kummer sah ich, wie meine arme Landsmännin mit jedem Tage trauriger wurde. Wenn ich sie allein fand, so frug ich sie um die Ursache dieser Traurigkeit, welche ich irgend einer weiblichen Eifersucht zuschrieb; aber wenn ich diesen Gegenstand berührte, so schüttelte sie den Kopf, und sprach mit so vielem Vertrauen von dem Grafen Alexis, daß, indem ich mich an dasjenige erinnerte, was sie mir von der tiefen Langenweile Waninkoffs erzählt, ich zu glauben begann, er nähme thätigen Antheil an dieser schleichenden Verschwörung, von der man geheimnißvoll sprach, ohne diejenigen zu wissen, welche sie entspannen, noch denjenigen zu kennen, den sie treffen sollte. Was ihn anbelangt, und es ist das ein Lob, welches man den russischen Verschworenen geben muß, so erinnere ich mich nicht, nur ein einziges Mal die geringste Veränderung in einen Zügen, die geringste Unruhe in seinem Charakter gesehen zu haben, und gewiß war Machiavell, als er Konstantinopel als die beste Schule für Verschwörer bezeichnete, ungerecht gegen das heilige Moskau gewesen.
Der neunte November 1824 war auf diese Weise herbeigekommen; die Stadt war in dichten Nebel gehüllt, und seit drei Tagen blies aus dem finnischen Meerbusen her ein heftiger kalter und feuchter Südwestwind, so daß die Newa so hohl wie ein Meer ging. Zahlreiche, trotz dem scharfen und pfeifenden Winde, der das Gesicht zerschnitt, auf den Kais versammelte Gruppen, bemerkten mit Besorgniß die unter der Oberfläche statthabende Aufregung des Flusses, und zählten längs der ihn einschließenden Granitmauer hin, die übereinander angebrachten Ringe, welche die verschiedenen Höhen und das verschiedene Wachen andeuten. Einige andere berechneten, während dem sie am Fuße der Jungfrau, welche beinahe, wie wir erzählt haben, Peter den Großen abgehalten hätte, die kaiserliche Stadt zu bauen, beteten, daß die Höhe des Flusses die der ersten Stockwerke erreichte. In der Stadt erschrak jedermann darüber, daß er die Brunnen viel reichlicher fließen und die Quellen dick hervorsprudeln sah, als ob sie in ihren unterirdischen Kanälen durch eine fremde Macht gedrängt würden. Kurz, etwas Unheilbringendes schwebte über der Stadt, welches die Annäherung eines großen Unglückes andeutete.
Der Abend kam herbei; die für die Signale bestimmten Posten wurden überall verdoppelt.
In der Nacht fand ein fürchterlicher Sturm statt. Man hatte befohlen, die Brücken abzunehmen, damit die Schiffe bis in dem Herzen der Stadt eine Zufluchtsstätte suchen könnten, so daß sie die ganze Nacht hindurch den Lauf der Newa hinaufstiegen, um gleich weißen Gespenstern vor der Festung ihre Anker auszuwerfen.
Ich blieb bis Mitternacht bei Louisen. Sie war um so banger, als der Graf Alexis den Befehl erhalten hatte, sich in die Kaserne der Ritter-Garden zu begeben; die Vorsichtsmaßregeln waren in der That dieselben, als ob die Stadt im Belagerungsstande wäre. Als ich sie verließ, ging ich einen Augenblick auf die Kais. Die Newa schien unruhig, und indessen wuchs sie noch nicht auf eine sichtliche Weise; aber von Zeit zu Zeit hörte man von der Meeres-Seite her sonderbares, einem tiefen Stöhnen ähnliches Brausen.
Ich kehrte in meine Wohnung zurück, niemand schlief im Hause. Eine Quelle, welche im Hofe floß, war seit zwei Stunden übergetreten, und hatte sich im Erdgeschoß verbreitet. Man sagte, daß sich an anderen Orten die Granit-Platten erhoben, und daß das Wasser gesprudelt hätte. Auf dem ganzen Wege hatte es mir in der That geschienen, als ob ich Wasser zwischen den Steinen hervorquellen sähe; da ich aber, weil mir die Gefahr unbekannt war, nicht an die Gefahr der Ueberschwemmung glaubte, so ging ich auf mein Zimmer, welches übrigens, da es im zweiten Stockwerke lag, mir alle Sicherheit bot. Inzwischen hielt mich während einiger Zeit die Aufregung, welche ich an den anderen bemerkt hatte, mehr noch, als die, welche ich selbst empfand, wach; aber bald entschlief ich von Ermüdung erschöpft, indem mich das Tosen des Sturmes selbst ein wiegte.
Gegen acht Uhr Morgens wurde ich durch einen Kanonenschuß erweckt. Ich zog meinen Schlafrock an, und eilte an das Fenster. Die Straßen boten das Schauspiel einer außerordentlichen Aufregung. Ich kleidete mich rasch an, und ging hinab.
– Was bedeutet der Kanonenschuß? frug ich einen Mann, der Matratzen in den ersten Stock trug.
– Daß das Wasser steigt, mein Herr, antwortete er mir.
Und er setzte feinen Weg fort. Ich ging nach dem Erdgeschoß hinab; man hatte daselbst das Wasser schon bis an die Knöchel, obgleich die Hausdielen um die ganze Höhe der drei Stufen, welche die Eingangstreppe bildeten, über der Straße lagen. Ich eilte an die Thür-Schwelle; die Mitte der Straße war überschwemmt, und eine durch das Fahren der Wagen veranlaßte Art von Fluth peitschte die Trottoirs.
Ich erblickte eine Droschke, ich rief, aber der Ivoschik weigerte sich zu fahren, und wollte auf das schnellste seinen Schoppen wieder erreichen. Ein Billet von zwanzig Rubel bestimmte ihn. Ich sprang in den Wagen und gab die Adresse von Luisen auf der Newskischen Perspektive. Mein Pferd war bis an die Knie im Wasser; von fünf Minuten zu fünf Minuten feuerte man eine Kanone ab, und bei jedem Schusse wiederholten die, an welchen wir vorbei kamen: das Wasser steigt!
Ich langte bei Louisen an; ein Soldat zu Pferde hielt vor der Thür. Er war im Galop herbeigesprengt, um ihr von Seiten des Grafen Alexis zu sagen, daß sie höher im Hause hinaufziehen müsse, um nicht überrascht zu werden. Der Wind hatte sich nach Westen gedreht, und trieb die Newa gerade nach ihrer Quelle zurück, so daß das Meer mit dem Flusse zu kämpfen schien, um ihn in sein Bett zurückzuwerfen. Der Soldat beendigte einen Auftrag, als ich bei Louisen eintrat, und sprengte- im gestreckten Galopp wieder nach der Seite der Kaserne zu, indem er das Wasser um sich herum spritzen ließ. Die Kanonen schossen immer fort.
Es war Zeit, daß ich ankam: Louise war halb todt vor Schrecken, weniger vielleicht noch für sich selbst, als für den Grafen Alexis, dessen im Quartiere der Narwa gelegene Kaserne zuerst der Ueberschwemmung ausgesetzt sein mußte. Inzwischen hatte sie die so eben empfangene Nachricht ein wenig beruhigt. Wir gingen zusammen auf den Altan des Hauses, welches, da es eines der höchsten war, die ganze Stadt übersah, und von wo aus man während der schönen Tage die Aussicht nach dem Meere hatte. Aber für den Augenblick war der Nebel so dicht, daß sich das Auge in einem sehr nahen Kreise im Dunst verlor.
Bald folgten sich die Kanonenschüsse schneller, und wir sahen von dem Admiralitäts-Platze nach allen Richtungen die Miethkutschen davon eilen, deren Kutscher, welche wegen der unterirdischen Anhäufung des Wassers eine gute Spekulation zu machen geglaubt, sich auf ihrem gewohnten Platze versammelt hatten. Gezwungen vor der Ueberschwemmung des Flusses zu fliehen, schrieen sie: das Wasser steigt, das Wasser steigt. Und in der That, hinter den Wagen, und wie um sie in den Straßen zu verfolgen, zeigte eine hohe Woge ihr grünliches Haupt über dem Kai, brach sich an der Isaaks-Brücke, und rollte ihren Schaum bis an den Fuß von Peter des Großen Statue.
Nun hörte man einen lauten Schrei des Entsetzens, als ob diese Welle von der ganzen Stadt gesehen, worden sei. Die Newa trat über.
Auf dieses Geschrei bedeckte sich der Balkon des Winter-Palastes mit Uniformen. Der Kaiser war umringt von seinem Generalstabe hinaufgestiegen, um Befehle zu ertheilen, denn die Gefahr rückte immer dringender heran. Dort angelangt sah er, daß das Wasser schon über die Hälfte von der Höhe der Festungsmauer erreicht hatte, und er dachte an die armen Gefangenen, welche sich in den vergitterten, auf die Newa gehenden Kellern befanden. Der Führer einer Barke erhielt augenblicklich den Befehl, den Gouverneur im Namen des Kaisers zu benachrichtigen, dieselben aus ihren Kerkern herausgehen zu lassen und sie in Sicherheit zu bringen; aber die Barke langte zu spät an, in der allgemeinen Verwirrung hatte man sie vergessen; sie waren todt.
In diesem Augenblicke erblickten wir oberhalb des Winter-Palastes die Wimpel der kaiserlichen Jacht, welche sich genähert hatte, um für den Nothfall dem Kaiser und seiner Familie eine Zufluchtsstätte zu gewähren. Das Wasser mußte nun mit den Brüstungen der Kais, welche zu verschwinden begannen, gleich stehen, und als wir einen Wagen sahen, der sich mit seinem Kutscher und seinem Pferde abkämpfte, bemerkten wir, daß man in den Straßen den Grund zu verlieren begann. Bald fing der Kutscher an zu schwimmen, erreichte ein Fenster, und wurde auf dem Balkon des ersten Stockes aufgenommen.
Einen Augenblick mit diesem Schauspiele beschäftigt, hatten wir die Blicke von der Newa weggewandt, als wir sie aber wieder dorthin richteten, bemerkten wir auf dem Admiralitäts-Platze zwei Barken. Diese Barken waren von dem Kaiser zur Hilfe derer gesandt, welche ertranken; drei andere folgten ihnen. Nun richteten wir unwillkührlich die Augen wieder nach dem Wagen und nach dem Pferde; das Dach des Wagens war noch sichtbar, aber das Pferd gänzlich versunken. Es standen demnach schon ohngefähr sechs Fuß Wasser in den Straßen. Seit einem Augenblicke hatten die Kanonen zu schießen aufgehört, was den Beweiß gab, daß die Ueberschwemmung die Höhe von den Wällen der Citadelle erreicht hatte.
Nun kamen Trümmer von Häusern geschwommen, welche von den Wellen getrieben aus den Vorstädten herbei kamen; sie rührten von elenden hölzernen Baracken des Narva-Quartieres her, welche dem Orkane nicht hatten widerstehen können, und die mit ihren unglücklichen Bewohnern fortgerissen worden waren. Eine der Barken, welche an der Aussicht vorüber kam, fischte vor uns einen Menschen auf, der aber schon todt war. Es ist schwer den Eindruck zu beschreiben, den der Anblick dieser ersten Leiche auf uns hervorbrachte.
Das Wasser fuhr fort, mit einer entsetzlichen Schnelligkeit zu steigen; die drei die Stadt einschließenden Kanäle entluden ihre mit Steinen, Fourage und Holz beladenen Schiffe in die Straßen. Von Zeit zu Zeit sah man sich einen Menschen an eine dieser schwimmenden Inseln anklammern und ihren Gipfel erreichen, von wo aus er den Barken Zeichen gab, die dann zu ihm zu gelangen versuchten; aber das war eine schwierige Sache, so wüthend schlugen die in den Straßen, wie in Kanälen eingeschlossenen Wellen, so daß oft der Unglückliche, bevor die Hilfe zu ihm gelangt, von einer Woge fortgerissen worden war, oder diejenigen, welche er als seine Retter betrachtete, selbst verschlingen sah.
Wir fühlten das Haus beben und wir hörten es stöhnen unter den Stößen der Wogen, welche das erste Stockwerk erreicht hatten, und es schien uns, als ob mit jedem Augenblicke seine Grundmauer sich spalte, und seine oberen Stockwerke einstürzten; dennoch hatte Louise während dieses ganzen Gewirres kein anderes Wort im Munde, als: Alexis! ach! mein Gott, mein Gott! Alexis
Der Kaiser schien in Verzweiflung; der Graf Miloradowitsch, Gouverneur von St. Petersburg, war bei ihm, indem er seine Befehle empfing und übergab, die, so gefährlich sie auch sein mochten, augenblicklich mit einer wunderbaren Aufopferung ausgeführt wurden. Inzwischen lauteten die ihm überbrachten Nachrichten immer verderblicher. In einer der Kasernen der Stadt hatte ein ganzes Regiment Zuflucht auf dem Dache gesucht, aber das Gebäude war eingestürzt, und alle diese Unglücklichen verschwunden. Als man dem Kaiser diesen Bericht abstattete, erschien auf dem Gipfel einer Woge eine Schildwache, die mit ihrem sie bis dahin wie eine Barke schützenden Schilderhause fortgeführt worden war; als sie den Kaiser auf dem Balkon erblickte, stellte sie sich auf, und präsentierte das Gewehr. In diesem Augenblicke warf eine Welle sie und ihr zerbrechliches Fahrzeug um. Der Kaiser stieß einen Schrei aus und befahl, daß ein Boot zu seiner Hilfe eile. Glücklicher Weise konnte der Soldat schwimmen, er erhielt sich eine Zeitlang über dem Wasser, das Boot erreichte ihn, und brachte ihn in den Palast.
Alles andere war bald nur noch ein verworrenes Treiben, von dem es ohnmöglich war, den Einzelheiten zu folgen. Schiffe zerschmetterten sich im Aneinanderstoßen, und man sah ihre Trümmern in Mitte der Häuser Trümmern, schwimmenden Möbeln und Leichen von Menschen und Thieren vorüber treiben. Aus ihren Gräbern gehobene Särge gaben ihre Knochen wie am Tage des jüngsten Gerichts wieder; endlich drang ein vom Kirchhofe fortgerissenes Kreuz durch ein Fenster des kaiserlichen Palastes, und wurde gleich einer Todes-Verkündigung in dem Zimmer des Kaisers wieder gefunden.
Das Meer stieg auf diese Weise während zwölf Stunden. Ueberall waren die ersten Stockwerke unter Wasser gesetzt und in einigen Quartieren der Stadt hatte das Wasser sogar den zweiten Stock erreicht, das heißt, sechs Fuß über der Jungfrau Peters des Großen; hierauf begann es zu fallen, dem durch die Fügung Gottes drehete sich der Wind von Westen nach Norden, und die Newa konnte fortfahren ihrem Laufe zu folgen, welchem das Meer sich gleich einer Mauer widersetzt hatte; zwölf Stunden mehr, und St. Petersburg und seine Bewohner verschwanden von der Oberfläche der Erde, wie zu den Tagen der Sindfluth die alten Städte.
Während dieser ganzen Zeit verließen der Kaiser, der Großfürst Nikolaus, der Großfürst Michael und der General-Gouverneur des Platzes, der Graf Miloradowitsch, dessen Tapferkeit ihm den Namen des russischen Bayard gegeben, obgleich sein Werth weit davon entfernt war, um mit dem des französischen Helden einen Vergleich zu ertragen, den Balkon des Winter-Palastes nicht, während dem daß die Kaiserin aus ihrem Fenster Börsen voll Gold den Schiffern zuwarf, welche sich für das allgemeine Wohl opferten.
Gegen Abend landete eine Barke an dem zweiten Stockwerke unseres Hauses. Seit langer Zeit wechselte Louise freudige Zeichen mit dem in derselben fahrenden Soldaten, dessen Uniform sie erkannt hatte; in der That, er brachte Nachrichten von dem Grafen, und kam sich nach uns zu erkundigen. Sie schrieb ihm einige Zeilen mit Bleistift, in welchen sie ihn beruhigte, und ich fügte eine Nachschrift hinzu, durch welche ich ihm sie nicht zu verlassen versprach.
Da das Meer zu fallen fortfuhr, und der Wind sich aus Norden zu behaupten versprach; so gingen wir von dem Altan in das zweite Stockwerk hinab, denn es war ganz unmöglich, in das erste zu gehen; das Wasser hatte sich freilich aus demselben zurückgezogen, aber alles war darin mit Schlamm bedeckt und verdorben; die Fenster und die Thüren waren zerbrochen, und der Fußboden war mit Trümmern von Möbeln bedeckt.
Das war das dritte Mal seit einem Jahrhundert, daß St. Petersburg mit seinen Palästen von Backstein und seinen Kolonnaden von Gips auf diese Weise vom Wasser bedrohet war, indem es ein sonderbares Gegenstück von dem am anderen Ende der europäischen Welt vom Feuer bedroheten Neapel bildete.
Am anderen Morgen waren nur noch zwei oder drei Fuß Wasser in den Straßen, und nun konnte man, indem man die Trümmern und die auf dem Pflaster liegenden Leichen sah, die Verwüstung schätzen, und zu Kronstadt hatte ein auf die Mitte des Marktplatzes geschleudertes Linienschiff von Hundert Kanonen, bevor es daselbst anlangte, zwei Häuser umgeworfen, an welche dasselbe wie an Felsen gestoßen war.
In Mitte dieser göttlichen Rache war eine fürchterliche Rache durch Menschen ausgeübt worden. .
Um elf Uhr Nachts war der Minister zum Kaiser berufen worden, und hatte seine schöne Maitresse zu Hause gelassen, indem er ihr wohl anempfahl, bei dem ersten Signale von Gefahr, in die Zimmer zu gehen, welche das Wasser nicht erreichen könnte; das war etwas leichtes, da das Hotel des Ministers, eines der schönsten der Auferstehungsstraße, vier Stockwerke hatte.
Die Gossudarina war demnach mit seinen Leibeigenen allein im Hotel geblieben, und der Minister hatte sich in den Winter-Palast begeben, wo er bis zum zweiten Tage nachher, das heißt, so lange als die Ueberschwemmung gedauert, bei dem Kaiser geblieben war. Sobald er frei, war er wieder in sein Hotel zurückgekehrt, dessen Thüren er alle zerschmettert gefunden hatte; das Wasser war bis zur Höhe von siebzehn Fuß gestiegen, so daß das Haus gänzlich verlassen war.
Besorgt um seine schöne Maitresse eilte der Minister rasch nach ihrem Zimmer; die Thüre war verschlossen, und eine von denen, welche den Wellen widerstanden; beinahe alle anderen waren aus ihren Angeln gerissen und fortgeführt worden. Besorgt über diesen befremdenden Umstand klopfte er, rief, aber alles blieb stumm, wenn nicht öde; sein Entsetzen verdoppelt sich bei dieser Stille, und nach einer unerhörten Anstrengung stürzt er endlich die Thüre ein.
Der Leichnam der Gossudarina lag in Mitte des Zimmers; aber, als ein schrecklicher Beweis, daß die Ueberschwemmung nicht allein Schuld an ihrem Tode war, fehlte der Kopf am Rumpfe.
Der Minister rief beinahe sinnlos vor Schmerz aus demselben Balkon um Hilfe, auf welchem Maschinka der Züchtigung ihres früheren Kameraden zugesehen hatte. Einige Personen eilten herbei, und fanden ihn neben diesem armen verstümmelten Körper auf den Knieen.
Man suchte nun im Zimmer, und fand den Kopf auf dem Bette wieder, wohin ihn die Wellen gerollt hatten; neben dem Kopfe lag eine große Scheere, mit welcher man die Gartenhecken beschneidet, und die sichtlich zum Mordinstrumente gedient hatte.
Alle Leibeigenen des Ministers, welche beim Anblicke der Gefahr jeder nach seiner Seite entflohen war, kehrten am selben Abende oder am anderen Morgen zurück.
Nur der Gärtner kehrte nicht wieder.