Kitabı oku: «Denkwürdigkeiten eines Fechtmeisters», sayfa 11
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Der Wind hatte, indem er von Westen nach Norden herumsprang, die Ankunft des Winters verkündet; kaum hatte man auch die durch den sich zurückziehenden Feind veranlaßten hauptsächlichsten Verwüstungen wieder hergestellt, als man dem herannahenden Feinde die Spitze bieten mußte. Es war um so dringender sich zu eilen, als zu der Zeit, wo die Ueberschwemmung statt gefunden hatte, schon der zehnte November herbeigekommen war. Man sah die dem Orkane entronnenen Schiffe in aller Eile wieder das hohe Meer erreichen, um gleich den Schwalben erst mit dem Frühlinge wieder zu er scheinen, die Brücken waren abgenommen, und von nun an erwartete man ruhiger den ersten Frost. Am dritten December trat er ein, am vierten December sie Schnee, und ob es gleich nur fünf oder sechs Grad unter dem Gefrierpunkt war; so fing doch das Schlittenfahren an; das war ein großes Glück, alle Wintervorräthe waren durch die Ueberschwemmung verdorben worden, die Schlittenbahn bewahrte vor der Hungersnoth.
In der That, durch die Schlittenbahn, die an Schnelligkeit beinahe dem Dampfe gleich kommt, langt, sobald diese Transportart eingerichtet ist, von einem Ende des Reiches zum anderen Wildpret an, das oft Tausend oder zwölf Hundert Stunden weit von dem Orte getödtet ist, wo es verzehrt werden soll. Dann strömen Auerhähne, Rebhühner, Wasserhühner und wilde Enten, Lagenweise mit Schnee in die Fässer gepackt, auf den Markt, wo sie eher verschenkt, als verkauft werden. Neben ihnen erblickt man auf Tischen oder in Haufen aufgestapelt, die ausgesuchtesten Fische des schwarzen Meeres und der Wolga; was das Schlachtvieh anbelangt, so stellt man es stehend, als ob es lebendig wäre, auf seinen vier Füßen zum Verkaufe aus, und verschneidet es auch so.
Die ersten Tage, wo St. Petersburg sein weißes Winterkleid angelegt hatte, waren für mich Tage eines sehenswürdigen Schauspieles, denn alles war neu. Ich konnte besonders nicht müde werden, im Schlitten zu fahren, denn es liegt eine wahre Wollust darin, sich auf einem spiegelglatten Boden von Pferden dahin ziehen zu fühlen, die von der Strenge der Luft aufgereizt und kaum das Gewicht ihrer Last spürend, eher zu fliegen als zu laufen scheinen. Diese Tage waren um so angenehmer für mich, als der Winter mit einer ungewohnten Koketterie sich nur nach und nach zeigte; so daß ich, Dank meinen Pelzkleidern! bis zum zwanzigsten Grade gelangte, ohne es kaum bemerkt zu haben; am zwölften December begann die Newa mit Eis zu gehen.
Ich hatte meine unglücklichen Pferde so viel laufen lassen daß mir mein Kutscher eines Morgens erklärte, wenn ich ihnen nicht zum mindesten acht und vierzig Stunden Ruhe ließe, sie nach acht Tagen gänzlich dienstunfähig sein würden. Da der Himmel sehr schön, obgleich die Luft schärfer war, als ich sie noch gefühlt, so entschloß ich mich, meine Gänge zu Fuß zu machen. Ich bewaffnete mich vom Kopf bis zu den Füßen gegen die Feindseligkeiten des Frostes; ich hüllte mich in einen weiten Astrachanüberrock, zog eine Pelzmütze über die Ohren, band um meinen Hals eine Cachemirbinde, und wagte mich auf die Straße, indem ich von meiner ganzen Person nichts als die Nase in die Luft streckte.
Anfangs ging alles herrlich; ich wunderte mich selbst über den geringen Eindruck, den die Kälte auf mich machte, und lachte im Stillen über die Märchen, die ich davon hatte erzählen hören; übrigens war ich entzückt, daß der Zufall mir diese Gelegenheit mich zu acclimatisieren gegeben hatte. Nichts desto weniger fing ich an, da die beiden ersten Schüler, zu welchen ich mich begab, Herr von Bobrinski und Herr von Marischkin nicht zu Hause waren, zu finden, daß der Zufall die Sachen zu gut mache, als ich zu bemerken glaubte, daß die an mir Vorübergehenden mich mit einer gewissen Besorgniß betrachteten, ohne mir aber inzwischen etwas zu sagen. Bald sagte mir ein, wie es scheint gesprächigerer Herr, an mir vorbeigehend: Noss! Da ich kein Wort russisch verstand, so glaubte ich, daß es nicht der Mühe werth sei, mich für eine einzige Sylbe aufzuhalten, und setzte meinen Weg fort. An der Ecke der Erbsenstraße begegnete ich einem Ivoschik, der im gestreckten Galopp seinen Schlitten an mir vorüberfuhr; aber so schnell er auch fuhr, so hielt er sich doch für verpflichtet mich anzureden, und rief mir zu: Noss, Noss! Als ich endlich auf dem Admiralitäts-Platze anlangte, befand ich mich einem Moujick gegenüber, der mir nichts zurief, aber, eine Hand voll Schnee aufraffend, sich auf mich warf, und bevor ich mich noch meiner Rüstung entledigen konnte, mir das Gesicht zu waschen und besonders die Nase nach allen Kräften zu reiben begann. Ich fand besonders bei dem kalten Wetter den Scherz ziemlich einfältig, und einen meiner Arme aus der Tasche ziehend versetzte ich ihn einen Faustschlag, der ihn zehn Schritte weit zurückwarf. Unglücklicher oder glücklicher Weise für mich, kamen in dem Augenblicke zwei Bauern vorüber, welche, nachdem sie mich einen Augenblick angeblickt, sich auf mich warfen, mir, trotz meiner Gegenwehr, die Arme hielten, während dem mein in Eifer gerathener Moujick eine andere Hand voll Schnee aufraffte, und als ob er nicht zu Schanden werden wollte, sich von neuem auf mich stürzte. Dieses Mal die Unmöglichkeit mich zu wehren benutzend, begann er seine Reibungen wieder. Aber, wenn mir auch die Arme gefangen waren; so hatte ich doch die Zunge frei; in der Meinung, daß ich das Opfer irgend eines Mißverständnisses oder irgend einer Hinterlist sei, rief ich nach allen Kräften um Hilfe. Ein Officier eilte herbei, und fragte mich auf französisch, was ich hätte.
– Wie, mein Herr, rief ich aus, indem ich eine letzte Anstrengung machte, mich meiner drei Männer zu entledigen, welche mit der ruhigsten Miene von der Welt, der eine nach der Aussicht, die anderen beiden nach dem englischen Kai ihren Weg fortzusetzen begannen; Sie sehen also nicht, was die Schelme mir gethan?
– Was thaten sie Ihnen denn?
– Mein Gott, sie rieben mir das Gesicht mit Schnee. Halten Sie das etwa bei dem kalten Wetter für einen guten Scherz?
– Aber, mein Herr, sie erzeigten Ihnen einen ungemeinen Dienst, antwortete der mich Anredende, indem er mir in das Weiße der Augen sah, wie wir Franzosen sagen.
– Wie das?
– Ohne Zweifel, Ihre Nase war erfroren.
– Barmherziger Gott! rief ich aus, indem ich mit der Hand nach dem bedroheten Theile fuhr.
– Mein Herr, sagte ein Vorübergehender zu dem mit mir Sprechenden gewandt, Herr Officier ich warne Sie, Ihre Nase erfriert.
– Ich danke, mein Herr, sagte der Officier als ob man ihm die natürlichste Sache von der Welt gesagt, und er zeigte sich selbst den Dienst, den mir der arme Moujick erwiesen, welchen ich so rauh für seine Gefälligkeit belohnt hatte.
– Das will sagen, mein Herr, daß ohne diesen Mann. . .
– Sie keine Nase mehr hätten, fuhr der Officier fort, indem er sich die seinige rieb.
– Dann, mein Herr, entschuldigen Sie!. . .
Und ich begann meinem Moujick nachzulaufen, der, in der Meinung, ich wolle ihn vollends um bringen, nun auch zu laufen begann, so daß, da die Furcht natürlicher Weise behender, als die Dankbarkeit ist, ich ihn wahrscheinlich niemals wieder eingeholt hätte, wenn nicht einige Personen, als sie ihn fliehen und mich ihn verfolgen sahen, denselben für einen Dieb gehalten, und ihm den Weg versperrt hätten. Als ich anlangte fand ich ihn mit einer großen Geläufigkeit sprechen, um begreiflich zu machen, daß er nur einer zu großen Menschenfreundlichkeit schuldig wäre; zehn Rubel, welche ich ihm gab, erklärten die Sache. Der Moujick küßte mir die Hände, und einer der Anwesenden, der Französisch sprach, forderte mich auf, von nun an mehr Achtung auf meine Nase zu geben. Die Aufforderung war unnöthig, während dem übrigen Theile meiner Gänge verlor ich sie nicht mehr aus dem Gesicht.
Ich ging nach dem Fechtboden des Herrn Siverbrück, wo ich eine Zusammenkunft mit Herrn von Gorgoli hatte, der mir geschrieben, ihn dort aufzusuchen. Ich erzählte ihm das mir so eben begegnete Abenteuer als eine sehr außergewöhnliche Sache; nun erkundigte er sich, ob mir nicht andere Personen etwas gesagt hätten, bevor der arme Moujick sich aufgeopfert. Ich antwortete ihm, daß zwei Vorübergehende mich scharf angeblickt und vorbeigehend mir zugerufen hätten: Noss, Noss! »Nun, sagte er zu mir, das ist es, man rief Ihnen zu, Ihre Nase in Acht zu nehmen. Das ist die gewöhnliche Formel, ein anderes Mal halten Sie sich für gewarnt.«
Herr von Gorgoli hatte recht, und es ist nicht gerade für die Nase und für die Ohren, daß man in St. Petersburg am meisten zu fürchten hat, weil, wenn man es nicht selbst bemerkt, daß man vom Froste ergriffen ist, der erste Vorübergehende es für uns sieht und uns fast immer zeitig genug warnt, um dem Uebel abzuhelfen. Wenn aber unglücklichen Weise der Frost sich irgend eines anderen, unter den Kleidern verborgenen Körpertheiles bemächtigt, wo die Warnung dann unmöglich ist; so wird man es nicht eher, als durch die Erstarrung des angegriffenen Theiles gewahr, und dann ist es oft zu spät. Im vergangenen Winter war ein Franzose Namens Pierson, Kommis eines der ersten Banquierhäuser von Paris, aus Mangel an Vorsicht das Opfer eines Unglücksfalles dieser Art geworden.
In der That, Herr Pierson, der von Paris zur Begleitung einer beträchtlichen zu dem von den russischen Regierung gemachten Anleihen gehörenden Summe nach St. Petersburg abgereist war, und der Frankreich bei einem prächtigen Wetter verlassen hatte durchaus keine Vorsichtsmaßregeln gegen die Kälte getroffen. Als er nach Riga gekommen, hatte er das Wetter noch sehr erträglich gefunden, so das er es für unnöthig hielt, sich weder Mantel, noch Pelze, noch mit Wolle gefütterte Stiefeln zu kaufen und in der That gingen die Sachen in Liefland noch gut, aber drei Stunden jenseits Reval sie der Schnee in so dichten Flocken, daß der Postillon seinen Weg verlor und in einer Höhlung umwarf. Nun mußte Hilfe gesucht werden, da die beiden Menschen nicht stark genug waren, um den Wagen allein aufzurichten, der Postillon spannte demnach eines der Pferde ab und sprengte rasch nach der nächsten Stadt davon, während dem daß Herr Pierson, der die Nacht heranrücken sah, aus Furcht vor Dieben den Schatz, den er geleitete, keinen Augenblick verlassen wollte. Aber mit der Nacht hörte der Schnee auf, und da der Wind nach Norden übergegangen war, so stieg die Kälte bis auf zwanzig Grad. Herr Pierson, der die fürchterliche Gefahr kannte, in der er schwebte, begann sogleich um seinen Wagen herum zu gehen, um dieselbe so viel als in seinen Kräften stand zu bekämpfen. Nach Verlauf von drei Stunden des Wartens kam der Postillon mit Menschen und Pferden zurück, der Wagen wurde wieder auf seine Räder gesetzt, und Dank der doppelten Bespannung erreichte Herr Pierson rasch die nächste Stadt, wo er anhielt. Der Postmeister, bei welchem man Pferde geholt, erwartete ihn mit Unruhe, denn er wußte, in welcher Lage er während der ganzen Zeit der Abwesenheit des Postillons geblieben war; als Herr Pierson aus dem Wagen stieg, war demnach auch seine erste Frage, ob er nichts erfroren habe. Der Reisende antwortete, daß er hoffe, daß es nicht der Fall sei, da er unaufhörlich gegangen, und durch diese Bewegung siegreich gegen die Kälte gekämpf zu haben glaubte. Bei diesen Worten entblößte er sein Gesicht, und zeigte seine Hände; sie waren unangetastet.
Da inzwischen Herr Pierson eine große Müdigkeit empfand, und da er, wenn er während den Nacht seinen Weg fortsetze, irgend einen ähnlicher Unfall als den, welchem er entgangen zu sein glaubte, fürchtete; so ließ er sein Bett machen, trank ein Glas Glühwein, und schlief ein.
Am anderen Morgen erwacht er und will auf stehen, aber er scheint in sein Bett genagelt, mit einem seiner Arme, den er mit Mühe erhebt, er reicht er den Schellenzug und ruft. Man kommt, er sagt, daß er etwas, wie eine allgemeine Lähmung empfindet; man eilt zu einem Arzte, er kommt, hebt die Decke auf und findet die Beine des Kranken bleifarbig und schwarz gefleckt: der schwarze Brand begann sich zu zeigen. Der Arzt verkündet dem Kranken, daß die Amputation dringend nothwendig sei.
Wie schrecklich dieses Hilfsmittel auch war, Herr Pierson entschloß sich dazu. Der Arzt sandte sogleich hin, um die nöthigen Instrumente holen zu lassen; aber, während dem er seine Vorbereitungen traf, beklagte sich der Kranke plötzlich, daß sein Gesicht schwach würde und daß er kaum die ihn umgebenden Gegenstände zu unterscheiden vermögte. Nun begann der Doktor zu fürchten, daß das Uebel noch größer sein möchte, als er vermuthet hätte, er schritt zu einer neuen Untersuchung, und erkannte, daß das Rückenfleisch aufzubrechen begann. Nun, anstatt Herrn Pierson die gemachte neue und fürchterliche Entdeckung zu verkünden, beruhigte er ihn, versprach ihm, daß sein Zustand minder beunruhigend sei, als er anfangs geglaubt, und sagte ihm als Beweis dessen, was er behauptet, daß er ein großes Bedürfniß zum Schlaf empfinden müsse. Der Kranke antwortet, daß er sich in der That sonderbar schläfrig fühle. Zehn Minuten nachher war er eingeschlafen, und nach Verlauf einer Viertelstunde des Schlafes todt.
Wenn man an seinem Körper sogleich die Angriffe des Frostes erkannt, und ihn augenblicklich mit Schnee gerieben hätte, wie es der gute Moujick mit meiner Nase gemacht; so würde sich Herr Pierson am anderen Morgen wieder auf den Weg begeben haben, als ob ihm nichts begegnet wäre.
Das war eine Lehre für mich, und in der Furcht, nicht immer dieselbe günstige Gefälligkeit bei den Vorübergehenden zu finden, ging ich nicht mehr aus, als mit einem kleinen Spiegel in der Tasche, und von zehn Minuten zu zehn Minuten betrachtete ich meine Nase. Uebrigens hatte St. Petersburg in weniger als zehn Tagen sein Winterkleid angelegt: die Newa war gefroren, und man ging nach allen Richtungen zu Fuße wie zu Wagen über sie. Ueberall hatten die Schlitten die Wägen ersetzt; die Aussicht war eine Art von Longchamp8 geworden, die Oefen waren in den Kirchen geheizt, und am Abend brannten an den Thüren der Theater in zu diesem Zwecke erbaueten geschlossenen Räumen, welche oben bedeckt, an den Seiten offen und ringsum mit Bänken versehen waren, auf welchen die Bedienten ihre Herrschaften erwarteten, große Feuer. Was die Kutscher anbelangte; so schickten die Herren, welche einiges Mitleiden mit ihnen hatten, sie wieder nach Hause, indem sie ihnen die Zeit bestimmten, wann sie zurückkehren sollten. Die unglücklichsten von allen sind die Soldaten und die Boutchnicks, und es vergeht keine Nacht, wo man nicht bei der Ablösung einige von ihnen, die man lebend verlassen hatte, todt wieder findet.
Inzwischen stieg die Kälte immer mehr, und sie erreichte einen solchen Grad, daß in der Umgebung von St. Petersburg Haufen von Wölfen erblickt wurden, und daß man eines Morgens eines dieser Thiere fand, das in dem Quartiere der Gießereien wie ein Hund herumwanderte. Das arme Thier hatte übrigens nichts sehr drohendes, und machte auf mich eher den Eindruck wie jemand, der um Almosen zu bitten gekommen, als in der Absicht um etwas mit Gewalt zu nehmen; man schlug ihn mit Knüppeln todt.
Als ich am selben Abende diese Begebenheit in Gegenwart des Grafen Alexis erzählte, so sagte er mir dagegen von einer großen Bärenjagd, welche übermorgen in einem zehn oder zwölf Stunden von St. Petersburg gelegenen Walde stattfinden sollte. Da die Jagd von Herrn von Narischkin, einem meiner Schüler, gegeben wurde; so kostete es mir keine Mühe von dem Grafen zu erlangen, daß er mit demselben von meinem Wunsche ihr beizuwohnen spräche; er versprach es mir, und in der That empfing ich am andern Tage eine Einladung mit dem Programme, nicht des Festes, sondern des Kostümes. Dieses Kostüm bestand in einem ganz mit Pelz besetzten Kleide, wovon das Rauche inwendig war, mit einer ledernen Mütze, die gleich einer Pellerine über die Schultern sie; der Jäger ist an der rechten Hand mit einem Panzerhandschuhe bewaffnet, und hält in dieser Hand einen Dolch. Mit diesem Dolche ist es, daß er den Bären in einem Kampfe Körper gegen Körper angreift, und ihn fast immer auf den ersten Stoß tödtet.
Die Einzelheiten dieser Jagd, die ich mir zwei oder drei Male mit der größesten Sorgfalt hatte wiederholen lassen, hatten mir ein wenig von meinem Eifer für dieselbe genommen. Da ich inzwischen mich angeboten, so wollte ich nicht zurückweichen, und ich traf meine Vorbereitungen, indem ich mir den Rock, Mütze und Dolch kaufte, um sie am selben Abende zu probieren, damit ich nicht zu unbeholfen in meiner Rüstung wäre.
Ich war bis ziemlich spät bei Louisen geblieben, so daß ich erst nach Mitternacht nach Hause zurückkehrte. Ich begann sogleich meine Uebungen im Kostüm; ich stellte mein Kopfkissen auf einen Stuhl, und stürzte mich auf dasselbe, um es gerade an einer bezeichneten Stelle zu durchbohren, welche für den Bären mit der sechsten Rippe übereinstimmen mußte, als plötzlich meine auf diese Uebung verwandte Aufmerksamkeit durch ein entsetzliches Gerassel im Kamin abgelenkt wurde. Ich eilte sogleich auf dasselbe zu, und indem ich meinen Kopf zwischen die bereits geschlossenen Thüren steckte (denn in St. Petersburg verschließt man des Nachts die Kaminthüren wie die Oefen), bemerkte ich einen Gegenstand, dessen Gestalt ich nicht unterscheiden konnte, welcher, nachdem er beinahe bis zur Höhe meiner Platte hinabgestiegen war, rasch wieder hinauf stieg. Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß das nicht irgend ein Dieb sei, der in seinem Abscheue gegen den Einbruch wahrscheinlich dieses Mittel angewandt hatte, um bei mir einzudringen, und der, als er bemerkte, daß ich noch nicht schlafen gegangen war, sich eiligst wieder zurückzog. Da ich mehrere Male rief: wer ist da? und da mir niemand antwortete; so diente dieses Schweigen nur dazu, mich in meiner Meinung zu bestätigen: es ging daraus hervor, daß ich ohngefähr eine halbe Stunde lang auf meiner Huth blieb; als ich aber durchaus kein Geräusch mehr hörte, so dachte ich, daß sich der Dieb entfernt habe, um nicht wiederzukehren, und nachdem ich meine Kaminthüre auf das sorgfältigste verrammelt hatte, legte ich mich zu Bett und schlief ein.
Kaum mochte eine Viertelstunde seitdem verflossen sein, daß ich mein Haupt auf das Kopfkissen gelegt, als es mir in Mitte meines Schlafes schien, als ob ich Schritte auf dem Vorplatze höre. Ganz beschäftigt noch mit der unerklärlichen Geschichte meines Kamines wachte ich plötzlich auf und horchte. Kein Zweifel mehr, es war jemand da, welcher vor meiner Zimmerthür auf und niederging, und der trotz der Vorsicht, die er darauf zu verwenden schien, nicht das geringste Geräusch zu verursachen, den Fußboden knirschen machte. Bald hielten diese Schritte zögernd vor meiner Thüre an; es war wahrscheinlich, daß man sich versichern wollte, ob ich schliefe. Ich streckte meine Hand nach dem Stuhle aus, wo ich meine ganze Kutte hingeworfen hatte, ergreife meine Mütze und den Dolch, bedecke mich mit der einen, bewaffne mich mit dem anderen und warte.
Nach einem Augenblick Zögerns höre ich, daß man die Hand auf meinen Schlüssel legt, mein Schloß knarrt, meine Thüre öffnet sich, und ich sehe, beleuchtet von einer auf dem Vorplatze gelassenen Laterne ein fantastisches Wesen auf mich zu schreiten, dessen Gesicht, so viel ich in der Dunkelheit beurtheilen kann, mir mit einer Maske bedeckt zu sein scheint. Sogleich denke ich, daß es besser sei zuvorzukommen, als abzuwarten; dem zu Folge, da er mit einer Dreistigkeit nach dem Kamine vorschreitet, die seine Ortskenntniß beweist, springe ich aus dem Bette, fasse ihn bei der Gurgel, werfe ihn zu Boden, und ihm den Dolch auf die Brust setzend frage ich ihn, was er hat und was er will; aber nun ist es zu meinem größten Erstaunen mein Gegner, der ein fürchterliches Geschrei ausstößt und um Hilfe zu rufen scheint. Nun, indem ich durchaus wissen wollte, mit wem ich zu thun hätte, stürze ich auf den Vorplatz, ergreife die Laterne, und kehre zurück; aber, wie kurz auch meine Abwesenheit gewesen, der Dieb war wie durch einen Zauber verschwunden. Nur hörte ich in dem Kamine ein leichtes Knistern, ich eile hin, sehe hinein, und erblicke in der Höhe die Sohlen der Schuhe und den hinteren Theil der Beinkleider meines Mannes, die sich mit einer Schnelligkeit entfernen, welche die Bekanntschaft ihres Eigenthümers mit solchen Wegen an den Tag legte; ich blieb ganz verblüfft.
In diesem Augenblicke tritt ein Nachbar, der den Teufels-Lärm, den ich seit zehn Minuten verführe, gehört hat, bei mir ein, indem er glaubt, daß man mich ermorde, und findet mich im Hemde, eine Laterne in der einen, einen Dolch in der anderen Hand, und meine Mütze auf dem Kopfe stehen. Sein erstes Wort ist mich zu fragen, ob ich närrisch geworden wäre.
Nun, um ihm zu beweisen, daß ich bei vollem Verstande sei, und um ihm auch eine Idee von meinem Muthe zu geben, erzählte ich ihm, was vorgefallen war. Mein Nachbar brach in ein Gelächter aus, ich hatte einen Schornsteinfeger besiegt. Ich wollte noch daran zweifeln, aber meine Hände, mein Hemd, und selbst mein Gesicht, die voller Ruß sind, beweisen die Wahrheit seiner Worte. Mein Nachbar gab mir nun einige Erklärung, und ich habe keinen Zweifel mehr.
In der That wird der Schornsteinfeger, welcher in Frankreich selbst im Winter nur eine Art von Zugvogel ist, der einmal des Jahres von der Höhe des Rauchfangs aus singt, in St. Petersburg ein Wesen der ersten Nothwendigkeit; demnach hält er auch zum mindesten alle vierzehn Tage in jedem Hause seinen Umgang. Nur sind seine vorsorglichen Arbeiten nächtlich, denn wenn man am Tage die Ofenröhren öffnete, oder das Feuer in den Kaminen auslöschte, so würde die Kälte in die Zimmer dringen. Die Oefen schließen sich demnach alle Morgen, so bald man das Feuer in ihnen angezündet, und die Kamine alle Abend, sobald man es in ihnen ausgelöscht hat. Daraus geht hervor, daß die Schornsteinfeger, bei welchen die Hauseigenthümer abonniert sind, auf das Dach klimmen, und ohne nur den Bewohner davon zu benachrichtigen, eine Dornen-Wase, in deren Mitte ein schwerer Stein befestigt ist, in das Kamin herablassen, und mit dieser Art von Besen den Schornstein auf zwei Drittheile seiner Höhe auskratzen. Wenn hierauf die obere Arbeit beendigt ist, so gehen sie in das Haus, dringen in die Zimmer der Bewohner, und reinigen dann den unteren Theil der Röhren. Diejenigen, welche daran gewöhnt oder benachrichtigt sind, bekümmern sich nicht darum; unglücklicher Weise hatte man vergessen, mich davon in Kenntniß zu setzen, und da es das erste Mal war, daß der arme Teufel von Schornsteinfeger zur Ausübung seines Gewerbes bei mir eintrat, so wäre er beinahe das Opfer meines vorschnellen falschen Urtheiles geworden.
Am anderen Tage erhielt ich den Beweiß, daß mein Nachbar mir die Wahrheit gesagt; meine Wirthin trat am frühen Morgen zu mir ein, und sagte, daß ein Schornsteinfeger unten sei, der seine Laterne verlange.
Nachmittags um drei Uhr kam der Graf Alexis, um mich in seinem Schlitten abzuholen, der nichts anderes als ein vortrefflicher, auf Schleifen gesetzter Kutschenkasten war, und wir machten uns mit einer wunderbaren Schnelligkeit nach dem Sammelplatze der Jagd auf den Weg; derselbe war ein ohngefähr zehn oder zwölf Stunden von St. Petersburg, in Mitte eines sehr dichten Waldes gelegenes Landhaus des Herrn von Marischkin; wir kamen daselbst gegen fünf Uhr an, und fanden fast alle Jäger angelangt. Nach Verlauf einiger Augenblicke war die Versammlung vollständig, und man meldete, daß das Mittagessen aufgetragen sei. Man muß ein Mittagessen bei einem russischen Großen gesehen haben, um sich eine Idee zu machen, wie weit man den Luxus der Tafel treiben kann. Wir waren in der Mitte des Monat December, und die erste Sache, welche mich unter dem die Tafel bedeckenden Geschirre überraschte, war ein prachtvoller, wie in Frankreich zu Ende des Monat Mai ganz mit Kirschen beladener Kirschbaum. Um den Baum herum erhoben sich Orangen, Ananas, Feigen und Trauben in Pyramiden auf gestellt, und machten einen Nachtisch vollständig, den man in Paris Mühe gehabt haben würde, sich so im Monat September zu verschaffen. Ich bin überzeugt, daß der Nachtisch allein mehr als drei Tausend Rubel kostete.
Wir setzten uns zu Tische; zu dieser Zeit hatte man in St. Petersburg die vortreffliche Gewohnheit angenommen, von dem Haushofmeister vorschneiden, und die Gäste sich im Trinken selbst bedienen zu lassen; deshalb standen, da die Russen die ersten Trinker der Welt sind, zwischen jedem der übrigens sehr geräumig sitzenden Tischgenossen fünf Flaschen verschiedener Weine vom besten Gewächs von Bordeaux, Epernay, Madera, Constanzia und Tokay; was das Fleisch anbelangt, so war das Kalbfleisch von Archangel, das Rindfleisch aus der Ukraine, und Wildpret von überall her bezogen.
Nach dem ersten Gange trat der Haushofmeister herein, indem er auf einer silbernen Schüssel zwei lebendige Fische trug, die mir unbekannt waren. Sogleich brachen alle Gäste in Bewunderung aus: es waren zwei Störe: Da nun die Störe nur in der Wolga gefischt werden, und der nächste Theil der Wolga mehr als drei hundert und fünfzig Stunden von St. Petersburg entfernt ist, so mußte man, da diese Fische nur in dem gewohnten Wasser leben können, das Eis des Flusses aufhauen, zwei seiner Bewohner aus seiner Tiefe herausfischen, und sie während fünf Tagen und fünf Nächten in einem verschlossenen Wagen bewahren, der zu einer Temperatur geheizt war, daß das Flußwasser darin nicht gefrieren konnte.
Demnach hatte auch jeder achthundert Rubel, mehr als sechzehn hundert Franken die beiden gekostet. Potemkin, fabelhaften Andenkens, hätte es nicht besser machen können!
Zehn Minuten nachher erschienen sie auf der Tafel, aber dieses Mal so gut gekocht, daß sich die Lobeserhebungen zwischen dem Wirthe, der sie hatte fischen lassen, und dem Haushofmeister, der sie hatte kochen lassen, theilten; hierauf kamen die Frühgewächse, grüne Erbsen, Spargel, grüne Bohnen; alle Sachen hatten das wahrhafte Ansehen der Gegenstände, welche sie vorstellen sollten, aber ihr nichtssagender und wässeriger Geschmack tritt gegen das Ansehen.
Man verließ die Tafel nur, um in den Salon zu gehen, in welchem die Spieltische aufgestellt waren; da ich weder arm, noch reich genug war, um diese Leidenschaft zu besitzen, so sah ich den anderen zu. Um Mitternacht, das heißt zu der Stunde, wo ich mich schlafen legte, waren schon von einer und der anderen Seite drei mal hunderttausend Rubel und fünf und zwanzig tausend Bauern verloren worden.
Am anderen Morgen kam man mit Tagesanbruche mich zu wecken. Die Jäger hatten die Fährte von fünf, in einem Walde von ungefähr einer Stunde im Umkreise, umstellten Bären. Ich empfing diese Nachricht, so angenehm man auch glaubte, daß mir dieselbe sei, mit einem leichten Schauder. So tapfer man auch sein mag, so empfindet man doch immer einige Bangigkeit, wenn man sich einem unbekannten Feinde nahet, dem man zum ersten Male begegnen soll.
Nichts desto weniger legte ich munter mein so eingerichtetes Kostüm, daß ich nichts von der Kälte zu fürchten hatte, an. Außerdem schien die Sonne, wie um an dem Feste Theil zu nehmen, prachtvoll, und die sich unter ihren Strahlen mildernde Kälte zeigte um diese frühe Stunde nicht mehr als fünf zehn Grad, was gegen Mittag nur sieben oder acht versprach.
Ich ging hinab und fand alle unsere Jäger bereit und in einem gleichmäßigen Kostüm, so daß wir Mühe hatten, uns einander selbst zu erkennen. Bespannte Schlitten erwarteten uns, wir stiegen hinein, und zehn Minuten nachher befanden wir uns am Sammelplatze.
Es war ein allerliebstes, ganz aus Holz und mit der Axt gebauetes russisches Bauernhaus, mit seinem großen Ofen und seinem heiligen Schutzpatron, den jeder von uns dem Gebrauche gemäß beim über die Schwelle treten ehrfurchtsvoll grüßte. Ein kräftiges Frühstück erwartete uns, jeder machte ihm Ehre, aber ich bemerkte, daß gegen ihre Gewohnheit keiner unserer Jäger trank. Das kam daher, weil man sich vor einem Zweikampfe nicht betrinkt, und daß die Jagd, welche wir zu unternehmen im Begriffe standen, ein wahrer Zweikampf ist.
Gegen das Ende des Frühstückes erschien ein Jäger in der Thür, was so viel andeuten sollte, als daß es sich auf den Weg zu begeben Zeit sei. An der Thür übergab man jedem von uns eine geladene Flinte, die wir am Bande umhängen sollten, der wir uns aber nur im Falle der Gefahr bedienen durften. Außer diesem Gewehr empfing jeder von uns noch fünf oder sechs Schilder von weißem Blech, die man dem Bären zuwirft, und deren Ton und Klang den Zweck hat ihn zu reizen.
Nach ungefähr hundert Schritten gelangten wir an die Einschließung. Sie war von der Musik des Herrn von Narischkin umgeben, derselben, welche ich während der schönen Sommernächte auf der Newa gehört hatte; jeder Mann hielt sein Horn in der Hand, bereit seine Note zu blasen. Die ganze Einschließung war auf diese Weise umringt, so daß die Bären, von welcher Seite sie sich auch zeigen mochten, durch das Getöse zurückgetrieben wurden. Zwischen jedem Musiker befand sich ein Jäger, ein Bedienter oder ein Bauer mit einem, jedoch aus Besorgniß, daß eine der Kugeln uns treffen möchte, nur mit Pulver geladenen Gewehre; das Knallen der Schüsse sollte sich, wenn die Bären versuchen sollten, durchzubrechen, mit den Tönen der Instrumente vereinigen. Wir überschritten diese Linie, und traten in die Einschließung.
Augenblicklich war der Wald in einem harmonischen Kreis gehüllt, welcher auf uns dieselbe Wirkung machte, als die Militair-Musik im Augenblicke der Schlacht auf die Soldaten hervorbringen muß; so daß ich mich selbst zu einem ganz kriegerischen Feuer hingerissen fühlte, dessen ich mich fünf Minuten zuvor nicht für fähig gehalten hätte.
Ich war zwischen den Jäger des Herrn von Narischkin, der die Ehre an der Jagd Theil nehmen zu dürfen, meiner Unerfahrenheit verdankte, und dem Grafen Alexis gestellt, über welchen ich Louisen versprochen hatte zu wachen, und der im Gegentheil über mich wachte. Er hatte zu seiner Linken den Fürsten Nikita Murawieff, und konnte durch die Bäume noch Herrn von Narischkin sehen, Weiterhin erkannte ich niemand mehr.
So gingen wir seit ohngefähr zehn Minuten, als der Ruf medvede, medvede,9 begleitet von einigen Flintenschüssen ertönte. Ein Bär, der sich bei dem Blasen der Hörner erhoben, war wahrscheinlich an dem Saume des Waldes erschienen, und von den Jägern und den Musikern zurückgetrieben worden. Meine beiden Nachbarn gaben mir mit der Hand ein Zeichen, stehen zu bleiben. Nach Verlauf von einem Augenblicke hörten wir begleitet von einem dumpfen Brummen das Knistern der Hecken. Ich gestehe, daß mir bei diesem Geräusch, das sich meiner Seite zu nähern schien, trotz der Kälte der Schweiß auf die Stirn stieg. Aber ich blickte um mich, meine beiden Nachbaren hielten wacker Stand; ich machte es wie sie. In diesem Augenblicke erschien der Bär, indem er mit dem Kopfe und dem halben Leibe aus einer, zwischen mir und dem Grafen Alexis gelegenen Dornenhecke hervorblickte.