Kitabı oku: «Denkwürdigkeiten eines Fechtmeisters», sayfa 23
An gewissen Tagen des Jahres besuchen die Bauern diese Glocke mit großer Andacht, indem sie sich auf jeder Stufe der Treppe, sowohl beim Hinabsteigen, wie beim Hinaufsteigen, bekreuzigen.
Da ich mit einem Male mit dem Kreml fertig werden wollte, so ging ich in die Himmelfahrtskirche, wo sechs Wochen zuvor die Krönung des Kaisers stattgefunden hatte. Sie ist ein ziemlich kleines Gebäude in viereckiger Gestalt, welches im Jahre 1325 gegründet wurde, im Jahre 1474 einfiel, und im folgenden Jahre durch italienische Baumeister, welche Iwan III. von Florenz kommen ließ, wieder aufgeführt wurde. Diese Kirche, welche kaum fünf hundert Personen fassen kann, enthält die Gräber der Patriarchen und den Thron der Czaren. Vor 1812 ward sie durch einen silbernen mehr als drei tausend sieben hundert Pfund wiegenden Kronleuchter erhellt, welcher während der Französischen Besetzung verschwand. Dagegen ist derjenige, welcher ihn ersetzt hat, aus dem, uns auf dem Rückzuge abgenommenen Silber gegossen worden. Freilich hat die Kirche bei diesem gezwungenen Ersatze verloren, da der jetzige nur sechs hundert sechzig Pfund wiegt.
Ich hätte große Lust gehabt, noch am selben Tage Petroskoi zu besuchen, aber meine Einladung zum Mittagessen bei der Gräfin Waninkoff ließ mir keine Zeit dazu übrig. Ich begnügte mich demnach, im Vorbeigehen einen Blick auf das steinerne Schaffot zu werfen, auf welchem der blutige Civilisator Rußlands mehr als einmal das Todesurtheil mit derselben Hand vollstreckte, die es untere zeichnet hatte, und sagte zu Iwan, mich nach der Kirche »der schirmenden Jungfrau« zu führen, weiche die Russen Wassili-Blajennoi nennen, und die die sehenswürdigste von den zwei hundert und drei und sechzig Kirchen ist, welche die Mauern der Hauptstadt einschließen.
Dieses Denkmal, das im Jahre 1354 unter der Regierung Iwan des Schrecklichen zum Gedächtnisse der Einnahme von Kasan erbauet wurde, ist das Werk eines italienischen Baumeisters, welcher, ans dem Herzen der glänzendsten Civilisation in die Mitte eines barbarischen Volkes berufen, Etwas machen wollte, das durch seine Sonderbarkeit der rohen Laune des Czaren genügte. Siebzehn Kuppeln erheben sich auf dem Dache von Wassili-Blajennoi, und jede ist von verschiedener Gestalt und Farbe. Durch diese ungereimte Zusammenstellung von Kuppeln, Tannzapfen, Melonen und Ananas in grün, roth, blau, gelb und violett schien Iwan der Schreckliche sehr befriedigt. Diese Zufriedenheit wuchs so sehr und in dem Grade an den folgenden Tagen, daß in dem Augenblicke, wo der Baumeister zum Abschiede zu ihm kam, um seinen Gehalt in Empfang zu nehmen und nach Italien zurückzukehren, er ihm das Doppelte der versprochenen Summe auszahlen und ihm die Augen ausstechen ließ, aus Furcht, daß ihn die Lust anwandeln möchte, die Stadt der Medicis mit einem dem ähnlichen Meisterwerke, als er besaß, zu begaben. —
Die Stunde war herbeigekommen, um mich zur Gräfin Waninkoff zu begeben. Ich fand Louisen daselbst eingerichtet. Inzwischen Alles, was man von ihr hatte erlangen können, war, daß sie nicht vor übermorgen früh abreisen würde. Was das Kind anbelangt, so war es schon Herr vom Hause geworden; bei dem geringsten Geschrei, das es ausstieß, war Jedermann auf den Füßen, und ich fand die Amme in einem prachtvollen Nationalcostüme, das ihr die beiden jungen Mädchen gekauft hatten. —
Man wird wohl errathen, das sich die Unterhaltung nur um die Verbannung Waninkoffs und die Aufopferung Louisens drehte. Niemand wußte, wie er im Herzen von Sibirien, ob frei oder als Gefangener, lebte, und der herannahende Winter, während welchem die Kälte zuweilen in diesen nordischen Gegenden bis zu vierzig und fünf und vierzig Graden steigt, flößte den armen Frauen die lebhaftesten Besorgnisse ein, da sie wußten, daß der Graf Alexis, wie die meisten jungen Russischen Adeligen und Reichen, an alle Genüsse des Luxus und an alle Ueppigkeit des Morgenlandes gewöhnt war. Man hatte demnach auch schon unter dem Vorwende, die Verbannung Waninkoffs zu versüßen, Louisen unter Tausend verschiedenen Gestalten ein wahrhaftes Vermögen angebotene aber, ausgenommen Pelze, hatte sie Alles ausgeschlagen, indem sie sagte, daß Waninkoff vor allem Liebe, Sorgfalt und Hingebung bedürfte, und daß sie davon ihm einen ganzen Schatz mitbrächte.
Ich erhielt auch mein Theil Anerbietungen, die ich ausschlug, wie es Louise gemacht hatte. Inzwischen ließ ich mich durch einen Türkischen Säbel in Versuchung führen, der dem Grafen angehört hatte, und dessen Werth mehr in seiner kostbaren Härtung, als in seiner Fassung bestand.
So ermüdet als wir auch durch zwei Tage und zwei Nächte der Reise sein mochten, diese vortreffliche Familie, welche in uns Etwas von demjenigen, den sie verloren hatte, wiederzusehen glaubte, hielt uns bis Mitternacht zurück. Endlich um Mitternacht erhielt ich die Erlaubniß, mich zu entfernen. Was Louisen anbetrifft, so war es schon am Morgen beschlossen worden, daß sie nicht in das Wirthshaus zurückkehren würde, und man hatte augenblicklich für sie das beste Zimmer des Hauses eingerichtet.
Ich hatte, bevor ich ihn verließ, Iwan in Kenntniß gesetzt, daß ich am folgenden Tage in Petroskoi zu frühstücken gedachte, und er war Punct sieben Uhr Morgens mit einer Droschke vor meiner Thür. Das war, wie man sich erinnert, eine vaterländische Pilgerschaft, die ich vollzog. Petroskoi war es, wohin sich Napoleon während der drei Tage, welche der Brand von Moskau dauerte, zurückzog.
Drei Viertelstunden nach unserer Abfahrt ans dem Wirthshause waren wir auf dem Schlosse, welches seinen Namen einem reizenden Dorfe gibt, das fast ganz aus prachtvollen Landhäusern der reichsten Großen Moskaus besteht. Es ist ein Gebäude von sonderbarer Gestalt, das durch, seine moderne Wunderlichkeit den Styl der alten Tartarischen Paläste nachzuahmen sucht. Bevor ich daselbst anlangte, fuhr ich durch einen kleinen Wald, in welchem ich in Mitte schwarzer Tannen mit einer beinahe kindischen Freude einige schöne grüne Eichen begrüßte, die mich an unsere majestätischen Wälder in Frankreich erinnerten.
Als ich ans dem Schlosse trat, kam Iwan, der mich seit einigen Minuten verlassen hatte, um im Wirthshause ein Frühstück zu bestellen, ganz vergnügt zu mir zurück, um mir zu sagen, daß durch einen für mich sehr günstigen Zufall Zigeuner Petroskoi dieses Jahr zu ihrem Wohnsitze auserwählt hätten. Ich kannte die Leidenschaft der Russischen Großen für diese Tsiganes, welche für sie das sind, was die Almen12 für die Aegyptier und die Bajaderen für die Indier sind, so daß ich, nachdem ich meine Taschen untersucht, beschloß, mir beim Frühstück ein fürstliches Vergnügen zu gewähren. Dem zu Folge gab ich, neugierig wie ich war, mit eigenen Augen, und in ihrer eigenen Wohnung die Ankömmling; der Kopten und der Nubier zu sehen, Iwan den Auftrag, mich nach dem Hause der Zigeuner zu führen.
Iwan blieb vor einem der schönsten Häuser des Dorfes stehen; es war dasjenige, welches unsere Tsiganes zu ihrer Wohnung auserlesen hatten; aber sie waren schon ausgegangen, indem sie während der Nacht in verschiedene Paläste gerufen worden, aus denen sie noch nicht zurückgekehrt waren. Diese Antwort wurde uns durch eine Maltesische Magd ertheilt, die sich in ihren Diensten befand, und welche ein wenig italienisch sprach. Ich fragte nun, ob ich nicht in Abwesenheit der Herrschaft ohne Unbescheidenheit ihre Wohnung besuchen könnte. Sie antwortete mir mit ja, und die Thüre des Heiligthumes wurde mir geöffnet.
Das Zimmer, in welches ich eingeführt wurde, und das das gemeinschaftliche Zimmer war, konnte etwa dreißig Fuß Länge bei zwanzig Fuß Breite haben. An beiden Seiten waren Betten ausgestellt, die mit viel besseren, und vor Allem viel reichlicheren Matratzen, Tüchern und Decken versehen waren, als es gewöhnlich die Russischen Betten sind. Diese Betten erinnerten sogar an den orientalischen Ursprung derer, welche sie einnahmen; denn auf einigen von ihnen zählte ich sechs und acht Kissen von verschiedener Art. Die einen waren lange Rollen, die anderen Kopfkissen von der Größe der unsrigen, andere endlich hatten die Gestalt der kleinen Kissen, welche unsere Frauen unter ihre Füße legen. Zu dem Kopfende eines jeden Bettes waren die Instrumente, Waffen oder Schmucksachen desjenigen oder derjenigen aufgehängt, welchen das Bett angehörte.
Nachdem ich zwei oder drei Mal die Runde in dieser Art von Schlafsaale gemacht, drückte ich ihrer Magd, da ich sah, daß die Tsiganes nicht nach, Hause kamen, mit dem Wunsche, vier oder fünf Zigeuner während meines Frühstückes zu haben, zu gleicher Zeit die Besorgniß aus, daß sie zu ermüdet sein möchten, um zu kommen, da sie die Nacht außerhalb zugebracht. Tiber das junge Mädchen beruhigte mich, indem sie mir sagte, daß ich auf die ersten Zurückkommenden zählen könne, und daß, so ermüdet sie auch sein möchten, sie später schlafen würden.
Der Restaurateur, bei welchem Iwan das Frühstück bestellt, war ein nach dem Rückzuge im Lande gebliebener Franzose, der, da er Koch des Prinzen von Neuschatel gewesen, seine Talente zu benutzen gedacht hatte. In Rußland sind die Köche und die Lehrer immer gewiß, nicht lange ohne Stelle zu bleiben, so daß er auf die Anzeige seines Wissens schnell in die Dienste eines Russischen Fürsten getreten war. Das Haue war gut; nach Verlauf von sieben oder acht Jahren hatte er sich mit einer beträchtlichen Summe zurückgezogen, und auf eigene Rechnung diese Restauration gegründet, in welcher er auf dem besten Wege war, sein Glück zu machen. Der würdige Gastwirth welcher wußte, daß er es mit einem Landsmnanne zu thun, hatte mich dem zu Folge behandelt, und ich fand ein prachtvollen Frühstück in einem der schönsten Zimmer seiner Anstalt aufgetragen. Der Luxus machte mir für meinen Geldbeutel bange, aber er war einmal beschlossen, daß ich einen Morgen als großer Herr zubringen wollte, und daß Iwan meine prunkvolle Verschwendung theilen sollte.
Wir waren am Nachtische, und ich begann die Hoffnung zu verlieren, meine Zigeuner ankommen zu sehen, als unser Wirth selbst mit der Anzeige herauf kam, daß sie unten wären. Ich gab sogleich den Auftrag, daß sie eingeführt würden, und sah zwei Männer und drei Frauen eintreten.
Ich gestehe, daß ich in: ersten Augenblicke einige Mühe hatte, die Leidenschaft der Rassen für diese sonderbaren Geschöpfe zu begreifen, unter denen sich der berühmte Graf Tolstoy und der Fürst Gazarin rechtmäßige Frauen gewählt haben. Zwei schienen mir keinesweges hübsch; was die dritte anbelangt, die sich mit der Zuversicht, welche die Ueberlegenheit der Schönheit oder des Talentes verleihen, vorstellte, so machte sie, gleich ihren Gefährtinnen, eher den Eindruck eines wilden Thieres in menschlicher Gestalt, als den einer Frau auf mich. In der That, ihre ganz von Ermüdung belasteten Augen hatten den scheuen Ausdruck der Augen einer halb eingeschlafenen Gazelle, während ihre kupferfarbige Haut etwas von dem Kleide einer Schlange hatte. Uebrigens glänzten unter den beinahe todtenbleichen Lippen perlenweiße Zähne, und aus den weiten Türkischen Beinkleidern traten so kleine und feine Kinderfüße hervor, wie ich sie niemals gesehen hatte. Außerdem schienen alle, Männer und Frauen, erschöpft, so daß ich glaubte, daß die Liebe zum Gewinn über ihre Kräfte gesiegt habe, und zu bedauern begann, daß, anstatt später zu schlafen, sie nicht lieber früher geschlafen hätten.
Der älteste der Männer, der eine Art patriarchalischen Ansehens über die Truppe auszuüben schien, setzte sich, eine Guitarre in der Hand, auf einen jener riesenhaften Russischen Oefen, die so unbequem sind, daß sie den dritten Theil des ganzen Zimmers einnehmen, und während er seinem Instrumente einige Töne entlockte, kauerten sich der andere Mann und die beiden Frauen zu seinen Füßen. Die hübscheste und die eleganteste der drei Frauen blieb allein stehen, ein wenig auf sich selbst gebeugt, die Kniee leicht gebogen und den Kopf auf ihre Schulter gesenkt, wie ein Vogel, der Schutz unter seinem Flügel sucht, um einzuschlummern.
Bald verwandelten sich die unbestimmten Töne in Akkorde, hierauf, nach einem Akkorde und ohne irgend eine Einleitung, stimmte der Gitarrenspieler plötzlich einen Gesang, oder vielmehr eine rasche, lebhafte und durchdringende Cantate an, in welche nach einigen Takten die beiden niedergekauerten Frauen und der Mann im Chor einstimmige, während welchem die stehen gebliebene Zigeunerin zu erwachen schien, indem sie, wie um den Takt zu bezeichnen, sanft den Kopf bewegte; als hierauf das Chor beendigt war, ließ sie aus diesem Dickicht von Tönen, wenn ich so sagen darf, einen zierlichen, süßen, zarten und feinen Gesang hervortreten, welcher sich am Ende in einer Woge von feinen hohen Tönen von wundervoller Genauigkeit und außerordentlich reizend verlor; nun begann das Chor wieder, und auf das Chor pflanzte sich von neuem ihre liebliche und melodiereiche Improvisation. Endlich, ein zweiten Mal von dem Chore unterbrochen, begann sie ein drittes Mal wieder, immer mit derselben Richtigkeit und derselben Lieblichkeit, als ob sie einen Strauß von drei Blumen von verschiedener Farbe und Geruche zu flechten hätte, und auch das Chor begann ein letztes Mal, und endigte smorzando; man hätte sagen können, daß die Kräfte der Sänger in einem letzten, trauervollen Tone wie in einem lebten Seufzer erloschen wären.
Ich vermag den herben und tiefen Eindruck nicht zu beschreiben, den dieser wilde und dennoch so melodiereiche Gesang auf mich hervorbrachte. Er war gleich demjenigen, welchen man empfinden würde, plötzlich in einem unserer an das Zwitschern der Nachtigall und der Grasmücke gewöhnten Gärten einen unbekannten Vogel der jungfräulichen Wälder Amerikas zu hören, der auch nicht für die Menschen singt, sondern für die Einsamkeit und für Gott. Ich wagte kaum zu athmen und war, wie mit durch einen Schmerz gepreßtem Herzen, ohne Bewegung und die Blicke auf die Sängerin geheftet stumm geblieben. Plötzlich sprudelte die Guitarre unter den Fingern des alten Zigeuners einen Schauder erregenden Akkord, die niedergekauerten Frauen und der Mann hüpften auf ihren Plätzen in die Höhe, und fielen wieder auf ihre Füße zurück; ein kraftvoller Takt gab das Signal zum Tanz, und sich bei den Händen fassend, begannen die drei Zigeuner eine Art den Runde um die Tänzerin, indem sie dieselbe in ihre Arme wie in einen Kreis einschlossen, während sie, sich auf sich selbst wiegend, sich immer mehr und mehr zu beleben schien, bis endlich, als die anderen stille standen, sie es war, welche die von ihnen gebildete Kette durchbrechend, ihrer Seits zu hüpfen begann.
Die Art den Pas, welche die Zigeunerin ausführte, war anfangs eher eine Pontomime, als ein Tanz. Wie ein aus seiner Puppe schlüpfender Schmetterling, der zum ersten Male den Raum her seinen Flügeln offen sieht, schien sie ungewiß zu flattern, und sich auf Alles niederlassen zu wollen; sie machte mit ihren kleinen Füßen unermeßliche und so leichte Pas, daß man sie gleich unseren Sylphiden der Oper durch irgend einen Faden gehalten glaubte. Während dieser Zeit nahmen ihre Glieder, die ich der Ermüdung gebrochen glaubte, wieder die Geschmeidigkeit und die Kraft einer Gazelle an; ihre Augen, die eingeschlafen Mienen, hatten sich wieder belebt und sprühten Flammen; ihre Lippen, die anfangs sich kaum öffnen zu können schienen, erhoben sich wollüstig an den beiden Winkeln des Mundes, und ließen, gleich einem Perlenbesatz, zwei Reihen prachtvoller Zähne sehen; der Schmetterling war zum Weibe geworden, und das Weib wurde Bachantin.
Nun, wie selbst hingerissen durch die Schwingungen der Gitarre, und angezogen zur Verfolgung der Zigeunerin, sprang auch der Mann hervor, und berührte mit seinen Lippen an der Schulter; die junge Wilde sprang, einen Schrei ausstoßend, auf, als ob sie ein glühenden Eisen berührt hörte. Nun begann unter ihnen eine Art von Kreislauf, worin das Mädchen nach und nach ihre Luft zum Fliehen verlor; endlich blieb sie stehen, stellte sich ihrem Mittänzer gegenüber, und begann eine Art von Tanz, der zu gleicher Zeit mit dem Griechischen Pyrrhus, dem Spanischen Jaleo und der Amerikanischen Chika Aehnlichkeit hatte; es war eben sowohl eine Flucht als eine Herausforderung, ein Kampf, in dem das Mädchen, gleich einer Schlange, entwischte, und der Mann sie wie ein Tiger verfolgte. Während dieser Zeit stieg die Musik immer zitternder; die beiden anderen Frauen schrieen und hüpften wie verliebte Hyänen, indem sie den Boden mit den Füßen stampften und ihre Hände, gleich Cymbeln, aneinander schlugen; endlich stießen Gauner und Sängerinnen, Tänzer und Tänzerin, nachdem sie den höchsten, menschlicher Kraft möglichen Grad erreicht zu haben schienen, alle zusammen einen Schrei der Erschöpfung, der Raserei, der Liebe aus; die beiden Frauen und der Mann sanken auf den Boden, und die schöne Zigeunerin stürzte sich mit einem letzten Sprunge in dem Augenblicke, wo ich es am wenigsten gewärtig war, auf meine Kniee, und mich mit ihren Armen wie eine doppelte Schlange umschlingend, drückte sie ihre, ich weiß nicht von welchem orientalischen Kraute duftenden Lippen auf meine Lippen.
Das war ihre Art, dasjenige zu verlangen, was ich ihr für das mir so eben gewährte wundervolle Schauspiel schuldig war.
Ich leerte meine Taschen, und war sehr glücklich, nur zwei bis dreihundert Rubel darin zu haben; hätte ich ein Vermögen bei mir gehabt, ich würde es hingegeben haben.
Ich begriff nun die Leidenschaft der Russen für die Zigeunerinnen.
XXIII
Je mehr der Augenblick der Abreise Louisens herannahete, desto mehr stellte sich ein schon mehrere Male in meinem Geiste aufgestiegener Gedanke, wenn ich mich so ausdrücken darf, meinem Herzen und meinem Gewissen vor. Ich hatte mich in Moskau nach den Schwierigkeiten erkundigt, welche die Reise nach Tobolsk um diese Jahreszeit bietet, und alle diejenigen, an welche ich mich gewandt, hatten mir geantwortet, daß es nicht allein Schwierigkeiten wären, die Louise zu besiegen habe, sondern wirkliche Gefahren, die sie überwinden müsse. Man begreift wohl, daß ich von nun an von dem Gedanken gequält wurde, eine arme, acht Hundert Stunden von ihrem Vaterlande entfernte Frau, die im Begriffe stand, sich nach weitere neun Hundert Stunden von demselben entfernen, ohne Familie, ohne Aeltern, kurz ohne anderen Freund als mich, auf diese Weise ihrer Aufopferung zu überlassen. Der Antheil, den ich seit beinahe achtzehn Monaten, die ich in St. Petersburg war, an ihren Freuden und an ihren Leiden genommen; die Verwendung für mich, welche auf ihre Empfehlung der Graf Alexis mir gewährt, eine Verwendung, der ich die Stelle verdankte, welche mir der Kaiser gnädigst bewilligt hatte, endlich mehr als alles das, jene innere Stimme, welche dem Menschen bei wichtigen Verhältnissen des Lebens, wo sein Interesse mit seinem Gewissen kämpft, seine Pflicht vorschreibt; Alles sagte mir, daß ich Louisen bis an das Ziel ihrer Reise begleiten und sie Alexis Händen übergeben müsse. Außerdem fühlte ich, daß, wenn ich sie in Moskau verließe, und ihr auf der Reise irgend ein Unfall begegnete, das für mich nicht blos ein Schmerz, sondern ein Gewissensvorwurf sein würde. Ich beschloß demnach – denn ich verhehlte mir das Unpassende nicht, welches für mich und in meiner Stellung eine solche Reise hatte, zu der ich die Erlaubniß vom Kaiser nicht nachgesucht, und die mir vielleicht falsch ausgelegt werden konnte – ich beschloß demnach, Alles, was in meinen Kräften stünde, dazu anzuwenden, um von Louisen den Aufschub ihrer Reise bis zum Frühjahre zu erlangen, und, wenn sie auf ihrem Entschlusse beharrte, mit ihr abzureisen.
Die Gelegenheit ließ nicht auf lieh warten, um bei Louisen einen letzten Versuch zu machen. Als wir am selben Abende, die Gräfin, ihre beiden Töchter, Louise und ich, um den Theetisch saßen, nahm die Gräfin ihre beiden Hände in die ihrigen, und, indem sie ihr alles das erzählte was man ihr von den Gefahren der Reise gesagt, bat sie dieselbe inständigst, welches Verlangen als Mutter sie auch hätte, daß ihr Sohn eine Trösterin haben mögte, den Winter bei ihr und ihren Töchtern in Moskau zuzubringen. Ich benutzte diese Einleitung, und fügte meine Bitten zu den ihrigen; aber Louise antwortete uns immer mit ihrem sanften und schwermüthigen Lächeln: »Seid ruhig, ich werde ankommen.« Wie baten sie nun, zum mindestens die Zeit der Schlittenfahrt abzuwarten; aber sie schüttelte von Neuem den Kopf, indem sie sagte »Das wäre zu lange.« In der That, der Herbst war naß und regnerisch, so daß man nicht voraussagen konnte, zu welcher Zeit der Frost beginnen würde. Und da mir immer noch in sie drangen, sagte sie mit einigem Unwillen: »Wollt Ihr denn, daß er dort, und ich hier sterbe?« Wie man sieht, war es ein unwiderruflich gefaßter Entschluß, und ich schwankte meiner Seite nicht mehr.
Louise sollte am folgenden Morgen um zehn Uhr, nach dem Frühstücke, abreisen, das wir eingeladen waren, zusammen bei der Gräfin einzunehmen. Ich stand demnach früh auf, und kaufte einen Ueberrock, eine Mütze, große Pelzstiefeln, eine Flinte und ein Paar Pistolen. Ich beauftragte Iwan, alles das in den Reisewagen zu legen, der, wie ich bemerkt, eine vortreffliche Postchaise war, die wir ohne Zweifel gezwungen sein würden, zu verlassen, um sie gegen eine Telegue oder einen Schlitten zu vertauschen, die wir aber wenigstens so lange zu behalten gedachten, als es uns das Wetter und der Weg erlauben würden. Ich schrieb dein Kaiser, daß in dem Augenblicke, wo ich die Frau, welche er eines so großmüthigen Schutzes gewürdigt, zu einer so langen und so gefährlichen Reise hätte in den Wagen steigen sehen, als ihr Landsmann und ihr Freund nicht den Muth gehabt hätte, sie allein abreisen zu lassen; daß ich dem zu Folge Seine Majestät bäte, einen Entschluß zu entschuldigen, für welchen ich ihn nicht um seine Zustimmung hätte bitten können, weil dieser Entschluß plötzlich gekommen sei, und ihn vor Allein in seinem wahren Lichte zu betrachten. Hierauf begab ich mich zur Gräfin.
Das Frühstück wurde, wie man sich wohl denkt, ernst und traurig. Louise allein strahlte vor Freude; bei der Annäherung der Gefahr, und bei dein Gedanken an die Belohnung, welche ihr folgen sollte, lag in ihr Etwas von der frommen Begeisterung der alten Christen, die bereit waren in die Marterstätte hinabzusteigen, über welcher sich der Himmel öffnete; übrigens durchdrang diese Heiterkeit mich selbst, und wie Louise war ich voll Hoffnung und Vertrauen aus Gott.
Die Gräfin und ihre beiden Töchter führten Louisen in den Hof, wo sie der Wagen erwartete; dort erneuerte sich das Abschiednehmen viel zärtlicher und schmerzlicher von ihrer, entschlossener noch von Louisens Seite; als die Reihe hierauf an mich kam, reichte sie mir die Hand, ich führte sie an den Wagen.
Nun! sagte sie zu mir, Sie sagen mir nicht Lebewohl?
– Wozu das? antwortete ich.
– Wie? ich reise ab.
– Ich auch.
– Wie? Sie auch?
– Ohne Zweifel, Sie kennen den Kiesel des Persischen Dichters, der nicht die Blume war; der aber bei ihr gelebt hatte.
– Dann?
– Ei nun! die Aufopferung hat mich angesteckt, und ich reise mit Ihnen ab; ich übergebe Sie wohlbehalten dem Grafen, und kehre zurück.
Louise machte eine Bewegung, wie um mich deren zu verhindern, dann, nach einem Augenblicke des Schweigens sagte sie:
– Ich habe kein Recht, Sie an der Ausführung einer guten und heiligen That zu verhindern; wenn Sie wie ich Vertrauen in Gott haben, wenn Sie entschlossen sind, wie ich entschieden bin, so kommen Sie.
In diesem Augenblicke fühlte ich, daß man meine andere Hand ergriff, um sie zu küssen, es war die arme Mutter; ihre beiden Töchter weinten.
– Seien Sie ruhig, sagte ich zu ihnen, er wird von mir erfahren, daß, wenn Sie nicht gekommen sind, Sie nicht kommen konnten.
– Ach! ja, sagen Sie ihm das wohl, rief die Mutter aus; sagen Sie ihm, daß wir darum haben nachsuchen lassen, daß man uns aber geantwortet hat, daß kein Beispiel von der Bewilligung einer solchen Vergünstigung vorhanden sei; sagen Sie ihm, daß, wenn man es uns erlaubt hätte, wir zu ihm gekommen wären, und wenn es hätte zu Fuße sein müssen, und wenn wir Almosen am Wege hätten betteln müssen.
– Wir werden ihm das sagen, was er bereite weiß, daß Sie ein wahrhaftes Mutterherz haben, und das ist Alles.
– Bringt mir mein Kind, rief Louise ans, die bis dahin fest geblieben war, die aber bei diesen Worten in Schluchzen ausbrach; bringt mir mein Kind, daß ich es ein letztes Mal umarme
Das wurde nun der grausamste Moment; man brachte ihr des Kind, welches sie mit Küssen bedeckte; endlich entzog ich es ihr, übergab es der Gräfin, und indem ich in den Wagen sprang, schloß ich den Schlag unter dem Ausruf Vorwärts! Iwan befand sich bereite auf dem Bock, der Postillon ließ es sich nicht noch einmal sagen, fuhr im Galopp davon, und unter dem Rollen der Räder auf dem Pflaster hörten wir noch einmal das Lebewohl der ganzen Familie, einen letzten Ruf der Trennung, einen letzten Glückwunsch zur Reise. Zehn Minuten nachher waren wir außerhalb Moskau.
Ich hatte Iwan davon in Kenntnis gesetzt, uns weder Tag noch Nacht aufzuhalten, und dieses Mal war die Ungeduld Louisens mit der Vorsicht einverstanden; denn, wie ich schon bemerkt habe, hatte der Herbst einen regnerischen Charakter angenommen, und es war möglich, daß wir vor dem ersten Schnee in Tobolsk anlangten, was der Reise alle Gefahr nahm, und uns erlaubte, sie in etwa vierzehn Tagen zu machen. Wir fuhren demnach mit der wunderbaren Schnelligkeit der Reisen in Russland, durch Pokrow, Wladimir und Kurow, und langten am zweiten Tage in der Nacht in Nischnei Nowgorod an. Dort war ich der erste, der von Louisen verlangte, sich einige Stunden auszuruhen, dessen sie, kaum hergestellt von ihren Leiden und ihren Gemüthsbewegungen, sehr bedürftig war. So sehenswürdig diese Stadt auch war, so nahmen wir und dennoch nicht Zeit, sie zu besuchen, und gegen acht Uhr Morgens fuhren wir mit derselben Schnelligkeit wieder fort, so daß wir am nämlichen: Abende in Kosmoderniansk anlangten. Bin dahin war Alles vortrefflich gegangen, und wir wurden durchaus nicht gewahr, daß wir und auf dem Wege nach Sibirien befanden. Die Dörfer waren reich, und hatten alle mehrere Cerqaias;13 die Bauern schienen glücklich, ihre Häuser glichen den Schlössern anderer Provinzen, und in jedem dieser Häuser von einer außerordentlichen Sauberkeit fanden wir zu unserem großen Erstaunen ein Badezimmer und einen Schenktisch zum Anrichten den Thees. Uebrigens wurden wir überall mit demselben Eifer und derselben Gutmüthigkeit aufgenommen, was man nicht dem Befehle des Kaisers, dessen wir und noch nicht zu bedienen nöthig gehabt hatten, sondern dem natürlichen Wohlwollen des Russischen Bauern zuschreiben muß.
Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen, einige Stöße kalten Windes, die vom Eismeere zu kommen schienen, fuhren von Zeit zu Zeit über unsere Häupter, und machten und frösteln; der Himmel glich einer unermeßlichen schweren und dichten Zinnplatte, und Kasan, wo wir bald anlangten, konnte uns trotz des sonderbaren Anblickes seiner alten Tartarischen Physiognomie nur zwei Stunden aufhalten. Unter allen anderen Umständen hätte ich im zwischen große Lust gehabt, einige der großen Schleier der Frauen von Kasan, die im Rufe hoher Schönheit stehen, zu lüften, aber es war nicht der Augenblick, um mich Forschungen dieser Art hinzugeben, der Anblick den Himmels wurde immer drohender; wir hörten die Stimme Iwans fast nicht mehr, als wenn er jedem neuen Postillone mit jenem Tone, der keine Erwiederung zuläßt, sagte: Pascaré, pascaré, schneller, schneller, so daß wir über diese weite Ebene, auf der kein Hügelchen die Fahrt verzögert, zu fliegen schienen. Es war sichtlich, daß das große Verlangen unseren Führern darin bestand, über das Uralgebirge zu kommen, bevor der Schnee gefallen wäre, und daß die Eile, die er sich auferlegte, keinen anderen Zweck hatte.
Bei unserer Ankunft in Perm war Louise inzwischen so ermüdet, daß wir gezwungen wurden, Iwan um eine Nacht zu bitten; er zögerte einen Augenblick, dann, den noch viel matteren und viel drohenderen Himmel als gewöhnlich, betrachtend, sagte er: Ja, bleiben Sie; der Schneefall wird jetzt nicht mehr zögern, und es ist besser, daß er uns hier erreicht, als auf dem Wege. – So wenig beruhigend diese Vorhersagung auch war, so schlief ich dennoch Nichts desto weniger mit Wonne die ganze Nacht; aber, als ich erwachte, hatte sich die Weissagung Iwans erfüllt, die Dächer der Häuser und die Straßen von Perm waren mit beinahe zwei Fuß hohem Schnee bedeckt.
Ich kleidete mich rasch an und ging hinab, um mich mit Iwan über das, was dabei zu thun sei, zu berathen. Ich fand ihn sehr besorge; der Schnee war in solchen Massen gefallen, daß alle Wege verschwunden, und alle Gräben gefüllt sein mußten; dabei war es noch nicht kalt genug, um die Schlittenfahrt einzurichten, und die leichte Eiskruste welche die Flüsse bedeckte, konnte noch nicht stark genug sein, um Wagen zu tragen. Iwan gab uns demnach den Rath, in Perm zu warten, bin es entschieden Frostwetter sei; ich schüttelte den Kopf, denn ich war fest überzeugt, daß ihn Louise nicht annehmen werde.
In der That, wir sahen sie einen Augenblick nachher selbst sehr besorgt herabkommen; sie fand uns in der Berathung über das beste Theil, das zu ergreifen sei, und mischte sich in unsere Verhandlung, um es zu bestimmen, indem sie sagte, daß sie abreisen wolle; wir erinnerten sie nun an alle die Schwierigkeiten, welche die Ausführung diesen Vorhabens hindern könnten; als wir hierauf geendigt hatten, sagte sie: Ich gebe Euch zwei Tage, Gott, der uns bin dahin beschützt hat, wird uns nicht verlassen. – Ich fürchtete, furchtsamer zu erscheinen, als eine Frau und an dem sanften, aber festen Tone der Worte, welche Louise an Iwan gerichtet, hatte ich erkannt, daß sie ein Befehl waren; ich wiederholte ihm demnach, daß wir ihm zwei Tage gaben, und forderte ihn auf, während dieser zwei Tage alle nothwendigen Vorbereitungen zu unsrer neuen Art zu reisen zu treffen.
Diese Verfügungen bestanden darin, unsere Postchaise zurückzulassen, und eine Telegue, eine Art kleinen, nicht in Riemen hängenden hölzernen Karrens zu kaufen, den wir späterhin, wenn es entschiedenes Frostwetter geworden, gegen einen auf Kufen stehenden Schlitten vertauschen mußten. Der Kauf wurde im Laufe des Tages geschlossen, und unsere Pelze und unsere Waffen in unser neues Fuhrwerk gebracht. Iwan hatte als wahrer Russe gehorcht, ohne einen einzigen Einwand zu machen, und welche Gewißheit von Gefahr er auch haben mochte, er wäre doch am selben Tage noch bereit gewesen, ohne Murren weiter zu reisen.