Kitabı oku: «Denkwürdigkeiten eines Fechtmeisters», sayfa 8
VII
Die Kaiserliche Residenz von Czarsko-Selo liegt nur drei oder vier Stunden von St. Petersburg, und inzwischen bietet die Straße einen ganz verschiedenen Anblick von dem derjenigen, welche ich gestern gefahren war, um nach Strelna zu gehen. Es sind nicht mehr prachtvolle Landhäuser und breite Aussichten auf den finnischen Meerbusen; es sind reiche Ebenen mit fetten Ernten und grünen Wiesen, welche vor wenig Jahren erst durch den Ackerbau dem riesenhaften Farnkraute, welches ungestört seit der Schöpfung deren Herr geblieben war, abgewonnen worden waren.
Nach der Fahrt von weniger als einer Stunde befand ich mich, nachdem ich durch die deutsche Kolonie gekommen war, in einer kleinen Hügelkette, wo ich von dem Gipfel des einen die Bäume, die Obelisken, und die fünf vergoldeten Kuppeln der Kapelle zu sehen begann, welche die Wohnung des Herrschers verkünden.
Der Palast von Czarsko-Selo steht genau auf der Baustelle einer kleinen Hütte, welche einer alten Holländerin Namens Sara gehörte, und wo Peter der Große hinzugehen pflegte, um Milch zu trinken. Die arme Bäuerin starb, und Peter, der diese Hütte wegen der prachtvollen Aussicht, die man von ihrem Fenster aus entdeckte, lieb gewonnen hatte, schenkte sie mit allem dieselbe umgebenden Boden Katharinen, um daselbst einen Meierhof bauen zu lassen. Katharina ließ einen Baumeister kommen, und erklärte ihm deutlich alles was sie wünschte. Der Baumeister that, wie es alle Baumeister machen, gerade des Gegentheil von dem, was man von ihm verlangte, das heißt, er baute ein Schloß.
Nichts desto weniger erschien Elisabeth, diese Residenz, so sehr sie auch von ihrer frühern. Einfachheit schon abwich, in schlechtem Einklange mit der Größe und der Macht einer Kaiserin von Rußland; sie ließ demnach das auf sie übergegangene Schloß abbrechen, und nach den Zeichnungen des Grafen Rastreti einen glänzenden Palast erbauen. Der edle Baumeister, der von Versailles als einem Meisterstücke der Pracht hatte reden hören, wollte Versailles an Glanz übertreffen: und da er hatte sagen hören, daß der Palast des großen Königs im Innern nichts als Vergoldung wäre; so suchte er ihn dadurch zu übertreffen, daß er alle äußeren Basreliefs, Leisten, Gesimse und Säulen von Czarsko-Selo bis auf das Dach vergolden ließ. Nachdem dieses Werk beendigt, wählte Elisabeth einen prächtigen Tag, und lud ihren ganzen Hof, sowie auch die Gesandten der verschiedenen Mächte zur Einweihung ihres blendenden Absteigequartiers ein. Bei dem Anblicke dieser Pracht, so sonderbar sie auch angebracht war, schrie jeder laut auf über dieses achte Wunder der Welt, mit Ausnahme des französischen Gesandten, das Marquis de la Chatardie, welcher allein unter alle den Hofleuten nicht ein Wort sagte, und der im Gegentheile alles um sich herum zu betrachten begann. Ein wenig gereizt über diese Zerstreuung, fragte ihn die Kaiserin, was er suche.
– Was ich suche, gnädige Frau, antwortete der Gesandte kalt, bei Gott! ich suche das Futteral zu diesem Kleinode. Das war zu jener Zeit, wo man mit einem Verse Mitglied der Akademie, und durch ein Witzwort unsterblich wurde. Herr de la Chatardie wird demnach auch in St. Petersburg unsterblich sein.
Unglücklicher Weise hatte der Baumeister für den Sommer gebauet, und den Winter gänzlich vergessen. Im folgenden Frühlinge mußte man kostspielige Ausbesserungen an all dieser Vergoldung machen, und da jeder Winter dieselben Verwüstungen, und jeder Frühling dieselben Ausbesserungen herbeiführte; so beschloß Katharina II., die Vergoldung durch einen einfachen und bescheidenen gelben Firniß zu ersetzen; was das Dach anbelangt, so wurde bestimmt, daß dasselbe nach dem Gebrauche in Petersburg mattgrün angestrichen würde. Kaum hatte sich das Gerücht von dieser Veränderung verbreitet, als sich ein Spekulant zeigte, der Katharinen zweimal Hundert und vierzig Tausend Livres für alle diese Vergoldung, die sie verschwinden zu lassen beschlossen hatte, zu bezahlen anbot. Katharina dankte ihm, antwortete ihm aber, daß sie keine abgelegten Sachen verkaufe.
In Mitte ihrer Siege, ihrer Liebschaften und ihrer Reisen, hörte Katharina nicht auf, sich mit ihrer Lieblingsresidenz zu beschäftigen. Sie ließ für den ältesten ihrer Enkel Hundert Schritte weit von dem kaiserlichen Schlosse den kleinen Palast Alexander bauen, und ließ sich durch ihren Baumeister, Herrn Busch, unermeßliche Gärten zeichnen, denen nur allein das Wasser fehlte. Herr Busch machte nichts desto weniger Kanäle, Wasserfälle und Teiche dazu, überzeugt, daß wenn man sich Katharina die Große nenne und Wasser wünsche, das Wasser nicht zu kommen ermangeln würde. In der That entdeckte sein Nachfolger Bauer, daß Demidoff, welcher in der Umgebung ein herrliches Landgut besaß, an demjenigen zu viel hätte, woran es seiner Gebieterin fehlte; er stellte ihm die Trockenheit der kaiserlichen Gärten vor, und Demidoff stellte als gehorsamer Unterthan Katharinen seinen Ueberfluß zur Verfügung. Augenblicklich sah man trotz der Schwierigkeiten von allen Seiten Wasser herbeiströmen, sich in Teiche verbreiten, in Springbrunnen erheben und in Wasserfällen wieder herabfallen. Das war es, was die arme Kaiserin Elisabeth zu sagen veranlaßte: – Entzweien wir uns mit ganz Europa, aber verderben wir es nicht mit Demidoff. In der That konnte Demidoff in einem Anfalle übler Laune den Hof vor Durst sterben lassen.
In Czarsko-Selo erzogen, erbte Alexander von seiner Großmutter die Liebe für diese Residenz. Das kam daher, weil alle seine Jugend-Erinnerungen, das heißt die goldene Vergangenheit seines Lebens, sich an dieses Schloß knüpfte. Auf diesem Rasen war es, wo er seine ersten Schritte versucht hatte, in diesen Alleen, wo er hatte reiten lernen, und auf diesen Teichen, wo er seine Lehre als Matrose gemacht; kaum erschienen demnach auch die ersten schönen Tage, als er nach Czarsko-Selo eilte, um diese Residenz nicht vor dem ersten Schnee wieder zu verlassen.
In Czarsko-Selo war es, wohin ich ihn zu verfolgen gekommen war, und wo ich mir vorgenommen hatte, ihr zu erreichen.
Nachdem ich demnach auch in der Eile ein ziemlich schlechtes Frühstück in dem Hotel des französischen Restauranten eingenommen hatte, ging ich in den Park hinab, in welchem trotz der Schildwachen sich jedermann frei ergehen kann. Freilich war der Park, da der erste Frost herannahete, einsam; vielleicht enthielt man sich auch aus Ehrfurcht für den Herrscher, den ich zu stören kam, die Gärten zu betreten. Ich wußte, daß er zuweilen ganze Tage lang mit Herumwandeln in den dunkelsten Alleen zubrachte. Ich überließ mich demnach dem Zufalle, indem ich vorwärts schritt und nach den eingezogenen Erkundigungen beinahe gewiß war, daß ich ihm am Ende begegnen würde. Wenn mir übrigens der Zufall nicht gleich anfangs diente, so fehlte es mir in dessen Erwartung nicht an Gegenständen der Zerstreuung.
In der That stieß ich bald auf die chinesische Stadt, eine hübsche Gruppe von fünfzehn Häusern, von denen jedes seinen Eingang, seinen Eiskeller, und seinen Garten hat, und die den General- Adjutanten des Kaisers zur Wohnung dienen. Im Mittelpunkte dieser in der Form eines Sternes erbauten Stadt befindet sich ein Pavillon zu Bällen und Concerten; ein grüner Saal dient ihm zum Anrichtezimmer, und an den vier Ecken dieses Saales befinden sich vier Statuen von Mandarinen in Lebensgröße und ihr Pfeife rauchend. Eines Tages, und dieser Tag war der acht und fünfzigste Jahrestag ihrer Geburt, ging Katharine mit ihrem Hof in diesen Gärten spazieren, als sie, da sie ihre Promenade nach diesem Saale zu gerichtet hatte, zu ihrem großen Erstaunen einen dicken Rauch aus den Pfeifen ihrer vier Mandarinen steigen sah, die bei ihrem Anblicke anmuthig den Kopf zu bewegen und die Augen auf eine verliebte Weise zu rollen begannen. Katharina näherte sich, um diese wunderbare Erscheinung näher zu betrachten. Nun stiegen die vier Mandarinen von ihren Gestellen herab, näherten sich ihr, und, indem sie mit aller Genauigkeit des chinesischen Ceremoniels vor ihren Füßen niederknieeten, sagten sie ihr Verse in Form von Komplimenten. Diese vier Mandarinen waren der Fürst von Leiningen, Herr von Ségur, Herr von Cobentzel und Potemkin.
Von der Wohnung der Generäle gerieth ich nach der Hütte der Lama’s. Diese Kinder der Cordilleras sind ein Geschenk des Vice-Königs von Mexiko an den Kaiser Alexander. Von neun, die gesandt wurden, sind fünf gestorben; aber die vier, welche der Temperatur widerstanden, haben eine ziemlich zahlreiche Nachkommenschaft erzeugt, welche, in dem Lande geboren, sich wahrscheinlich besser an das Klima gewöhnen werden, als die Gefährten ihrer Eltern.
In einiger Entfernung von der Menagerie, in dem französischen Garten und im Mittelpunkte eines hübschen Speise-Saales befindet sich die berühmte Olympische Tafel, eine Nachahmung der des Regenten, eine wahrhafte Feen-Maschine, bedient von unsichtbaren Dienern und unbekannten Küchenmeistern, wo alles, wie in der Oper, aus dem Boden kommt. Wünschen die Gäste etwas, so wird ein Zettel auf einen Teller gelegt; der Teller versenkt sich wie durch Zauber, und fünf Minuten nachher erscheint er wieder mit dem gewünschten Gegenstand. Alle Fälle sind dermaßen vorgesehn, daß, als eines Tages ein hübscher Besuch, der die Unordnungen eines tête-à-tête wieder herstellen wollte, ohne die Hoffnung sie zu erhalten, Haarnadeln verlangte: der Teller wieder majestätisch mit einem Dutzend Haarnadeln herauf kam.
Indem ich meinen Weg fortsetzte, gelangte ich an eine Pyramide, an deren Fuße die drei Windhunde Katharinens den Schlaf der Gerechten schlummern.« Die von Herrn von Ségur verfaßte Grabschrift für einen derselben dient sparsamer Weise für alle drei. Es ist dies eine Artigkeit, welche die Kaiserin Frankreich in der Person ihres Gesandten erwiesen, denn die Kaiserin hatte auch eine Grabschrift für einen von ihnen gemacht, und da dieses Distichon die beiden einzigen Verse waren, die sie in ihrem Leben gefunden hatte, so mußte sie natürlich darauf halten, um so mehr, da nach meiner Ansicht ihre Verse den Vergleich mit denen des Nebenbuhlers des Fürsten von Leiningen aushalten können. Hier die Verse des Herrn von Ségur; sie haben nicht allein den Vortheil, das Lob der Verstorbenen zu reden, sondern auch noch auf eine gewisse Art ihren Stammbaum zu bilden, was für die Gelehrten eine Sache von ernster Wichtigkeit ist.
EPITAPHE DE ZĖMIRE
ICI MOURUT ZĖMIRE, ET LES GRACES EN
DEUIL
DOIVENT JETER DES FLEURS SUR SON CERCUEIL.
COMME TOM SON AïEUL, COMME LADY SA MĖRE,
CONSTANTE DANS SES GOUTS, A LA COURSE
LEGERE,
SON SEUL DĖFAUTĖTAIT UN PEU D’HUMEUR,
MAIS CE DĖFAUT VENAIT D’UN SI BON COEUR!
QUAND ON AIME, ON CRAINT TOUT: ZĖMIRE Al-
MAIT TANT CELLE
QUE TOUT LE MONDE AIME COMME ELLE!
VOULEZ-VOUS QU’ON VIVE EN REP0S,
AYANT CENT PEUPLES POUR RIVAUX?
LES DIEUX TĖMOINS DE SA TENDRESSE
DEVAIENT A SA FIDELITĖ
LE DON DE L’IMMORTALITE,
POUR QUELLE FUT TOUJOURS AUPRĖS DE SA
MAITRESSE.6
Jetzt hier das Distichon Katharinens:
Was den dritten anbelangt, so genießt er, obgleich ihm Niemand seine Grabschrift gemacht hat, noch eine viel größere Volksthümlichkeit, als seine beiden Gefährten. Dieses ist der berühmte Suderland, so genannt nach dem Namen des Engländers, welcher ihn der Kaiserin zum Geschenk gemacht hatte, und dessen Tod beinahe das tragischste Mißverständniß verursacht hätte, welches je seit Banquiers Gedenken in der Finanzwelt vorgefallen wäre.
Eines Morgens weckte man mit Tages Anbruch Herrn Suderland, einen reichen englischen Kapitalisten, derselbe, welcher diesen geliebten Windhund gegeben, und der durch dieses Geschenk seit drei Jahren sehr in der Gnade der Kaiserin gewonnen hatte.
– Mein Herr, sagt sein Kammerdiener zu ihm, Ihr Haus ist mit Wachen umstellt, und der Polizeimeister verlangt Sie zu sprechen.
– Was will er von mir? ruft der Banquier schon erschreckt durch diese bloße Meldung aus, indem er aus seinem Bette springt.
– Ich weiß es nicht, antwortete der Kammerdiener, aber es scheint, daß es eine Sache von der höchsten Wichtigkeit ist, und die, wie er sagt, nur Ihnen selbst mitgetheilt werden kann.
– Laßt ihn eintreten, sagte Herr Suderland, indem er in aller Eile seinen Schlafrock anzog. Der Bediente geht hinaus, und kehrt nach einigen Minuten zurück, indem er Seine Excellenz, Herrn Reliew einführt, auf dessen Gesicht der Banquier auf den ersten Blick lieset, daß er der Ueberbringer irgend einer furchtbaren Nachricht seyn müsse. Der würdige Insulaner empfängt den Polizeimeister nichts desto weniger mit seiner gewöhnlichen Leutseligkeit, und, indem er ihm einen Sessel anbietet, ersucht er ihn, sich zu setzen; aber dieser macht mit dem Kopfe ein Zeichen des Dankes, bleibt stehen, und mit dem kläglichsten Tone, den er annehmen kann, sagt er zu ihm:
– Mein Herr Suderland, glauben Sie, daß ich wahrhaft untröstlich bin, wie ehrenvoll auch für mich dieser Beweiß des Vertrauens seyn mag, von Ihro Majestät, meiner gnädigsten Gebieterin, erwählt zu seyn, um einen Befehl zu vollziehen, dessen. Strenge mich betrübt, der aber ohne Zweifel durch irgend ein großes Verbrechen hervorgerufen ist.
– Durch irgend ein großes Verbrechen! Ihro Erkelenz, rief der Banquier aus, und wer hat denn dieses Verbrechen begangen?
– Sie ohne Zweifel, mein Herr, weil Sie es sind, den die Strafe trifft.
– Mein Herr, ich schwöre Ihnen, daß, wenn ich mein Gewissen noch so genau befrage, ich mir in Bezug auf unsere Gebieterin, denn Sie wissen, ich bin naturalisierter Russe, nicht den geringsten Vorwurf zu machen habe.
– Und das ist es gerade, mein Herr, weil Sie naturalisierter Russe sind, was Ihre Lage so schrecklich macht, wenn Sie Unterthan ihrer Britanischen Majestät geblieben wären, so könnten Sie sich durch den englischen Konsul zurückfordern lassen, und auf diese Weise der Strenge des Befehles entgehen, den ich zu meinem großen Bedauern auszuführen beauftragt bin.
– Aber kurz, Eure Excellenz, was sagt dieser Befehl?
– Ach! mein Herr, ich werde niemals im Stande seyn, Ihnen denselben mitzutheilen.
– Sollte ich denn die Gnade Ihrer Majestät verloren haben?
– Ach! wenn es nur das wäre.
– Wie, wenn es nur das wäre! sollte es sich darum handeln, mich nach England abreisen zu lassen?
– Das ist Ihr Vaterland, dennoch wäre die Strafe nicht groß genug, als daß ich so lange sie Ihnen mitzutheilen zögerte.
– Großer Gott! Sie erschrecken mich, ist die Rede davon, mich nach Sibirien zu senden?
– Sibirien, mein Herr, ist ein köstliches Land, und man hat es kolonisiert; außerdem kommt man von dort zurück.
– Bin ich zum Gefängniß verdammt?
– Das Gefängniß ist nichts, aus dem Gefängnisse kommt man wieder heraus.
– Mein Herr! mein Herr! rief der Banquier immer mehr und mehr erschreckt aus, bin ich zur Knute bestimmt?
– Die Knute ist eine sehr schmerzhafte Strafe, aber die Knute tödtet nicht.
– Göttliche Barmherzigkeit sagte Suderland zu Boden geschmettert, ich sehe wohl, daß es sich um den Tod handelt.
– Und um welchen Tod rief der Polizeimeister aus, indem er die Augen mit einem Ausdrucke tiefen Mitleidens gen Himmel erhob.
– Wie, um welchen Tod! ist es nicht genug, mich ohne Prozeß zu tödten, mich ohne Ursache zu morden, Katharina befiehlt noch. . .
– Ach ja! sie befiehlt.
– Nun denn! reden Sie, mein Herr; was befiehlt sie? ich bin Mann, ich habe Muth, reden Sie.
– Ach! mein lieber Herr, sie befiehlt . . . Wenn ich es nicht selbst gewesen wäre, dem der Befehl ertheilt worden ist, so versichere ich Ihnen, mein lieber Herr Suderland, daß ich ihn nicht glauben würde.
– Aber Sie lassen mich tausend Mal sterben, lassen Sie sehen, mein Herr, was hat sie Ihnen befohlen?
– Sie hat mir befohlen, Sie ausstopfen zu lassen.
Der arme Banquier stieß einen Schrei der Herzensangst aus; dann dem Polizeimeister scharf in das Gesicht blickend, sagte er zu ihm:
– Aber, Eure Excellenz, das ist gräßlich, was Sie mir da sagen, und Sie müssen den Verstand verloren haben.
– Nein, mein Herr, ich habe ihn nicht verloren, aber ich werde ihn hundert Mal während der Operation verlieren.
– Aber wie haben Sie, Sie, der sich hundert Mal meinen Freund genannt hat, Sie endlich, dem ich so glücklich war, einige Dienste zu erzeigen, wie haben Sie einen solchen Befehl erhalten können, ohne zu versuchen, Ihro Majestät auf dessen Unmenschlichkeit aufmerksam zu machen?
– Ach! mein Herr, ich habe das gethan, was ich vermogt, und gewiß das, was Niemand an meiner Stelle gewagt hätte: ich habe Ihre Majetät gebeten, auf ihr Vorhaben zu verzichten, oder zum mindesten einen anderen, als mich mit der Ausführung zu beauftragen, und das mit Thränen in den Augen; aber Ihre Majestät hat mir mit jener Stimme, die Sie an ihr kennen, und die keinen Widerspruch zuläßt, gesagt: »Gehen Sie, mein Herr, und vergessen Sie nicht, daß es Ihre Pflicht ist, sich ohne Murren der Aufträge zu entledigen, mit deren Vollziehung ich Sie beehre.«
– Und dann?
– Dann, sagte der Polizeimeister, habe ich mich augenblicklich zu einem sehr geschickten Naturforscher begeben, der die Vögel für die Akademie der Wissenschaften ausstopft; denn am Ende, da es doch einmal nicht zu ändern ist, ist es doch am besten, daß Sie so gut als möglich ausgestopft werden.
– Und der Elende hat eingewilligt?
– Er hat mich zu seinem Collegen geschickt, demjenigen, welcher die Affen ausstopft, in Betracht der Aehnlichkeit zwischen dem Menschengeschlechte und dem Affengeschlechte.
– Nun!
– Er erwartet Sie.
– Wie? er erwartet mich! ist es denn für den Augenblick selbst?
– Für den Augenblick selbst, der Befehl Ihro Majestät läßt keinen Aufschub zu.
– Ohne mir Zeit zu lassen, meine Angelegenheiten zu ordnen! nein, daß ist unmöglich!
– Es ist so, mein Herr.
– Aber Sie werden mich doch ein Billet an die Kaiserin schreiben lassen?
– Ich weiß nicht, ob ich darf.
– Hören Sie, es ist eine letzte Gnade, eine Gnade, die man dem größten Verbrecher nicht verweigert. Ich bitte Sie inständigst darum.
– Aber ich wage meine Stelle.
– Aber es gilt mein Leben, um das es sich handelt.
– Nun denn! schreiben Sie, ich erlaube es; jeden Falls bemerke ich Ihnen, daß ich Sie keinen Augenblick verlasse.
– Danke, danke; nur lassen Sie einen Ihrer Officiere kommen, damit er den Brief überbringt.
Der Polizeimeister rief einen Lieutenant der Garden Ihrer Majestät, übergab ihm das Billet des armen Suderland, und befahl ihm, die Antwort sogleich zurück zu bringen. Zehn Minuten nachher kehrte der Lieutenant mit dem Befehle zurück, den Banquier nach dem kaiserlichen Palaste zu führen: das war alles, was der Verurtheilte wünschte.
Eine Kutsche wartete an der Thür; Suderland stieg hinein, der Lieutenant setzte sich neben ihn; fünf Minuten nachher befand man sich in der Eremitage, wo Katharina ihn erwartete: man führt den Verurtheilten zu ihr ein, er findet die Kaiserin im schallenden Gelächter.
Suderland hält sie nun für närrisch; er wirft sich zu ihren Füßen, und ihre Hand ergreifend, sagt er zu ihr:
– Gnade, gnädige Frau, im Namen des Himmels, begnadigen Sie mich, oder sagen Sie mir zum mindesten, durch welches Verbrechen ich eine so fürchterliche Strafe verdient habe!
– Aber, mein lieber Suderland, sagt Katharina zu ihm, es ist ja nicht im mindesten von der Welt bei alle dem die Rede von Ihnen.
– Wie, Ihro Majestät, es ist nicht die Rede von mir! und von wem ist denn die Rede?
– Mein Gott! von dem Hunde, den Sie mir gegeben haben, und der gestern an einer Unverdaulichkeit gestorben ist. In meinem Schmerze über diesen Verlust, und in meinem sehr natürlichen Wunsche, zum mindesten eine Haut zu bewahren, ließ ich diesen Einfaltspinsel von Reliew kommen, und sagte zu ihm: lassen Sie mir Suderland ausstopfen. Da er zögerte, so glaubte ich, daß er sich eines solchen Auftrages schäme; ich wurde verdrießlich, und darauf ist er fortgegangen.
– Gnädige Frau, antwortete der Banquier, Sie können sich rühmen, in dem Polizeimeister einen getreuen Diener zu besitzen, aber ich bitte Sie inständigt ihn zu ersuchen, sich für ein anderes Mal die Befehle, welche er empfängt, besser erklären zu lassen.
In der That, wenn sich der Polizeimeister nicht durch die Bitten des Banquiers hätte rühren lassen, so wäre der arme Suderland bei lebendigem Leibe ausgestopft worden.
Freilich muß man sagen, daß sich in St. Petersburg nicht jeder so glücklich herauszieht, als der würdige Banquier, und daß zuweilen durch die Pünktlichkeit, mit welcher die gegebenen Befehle vollzogen werden, die Mißverständnisse nicht eher entdeckt werden, als bis es zu spät ist, um sie wieder gut zu machen. Eines Tages sah Herr von Ségur, unser Gesandter bei Katharinen, einen Mann mit brennenden Augen, entzündetem Gesicht und mit in Unordnung gerathenen Kleidern bei sich eintreten.
– Gerechtigkeit, Herr Graf, Gerechtigkeit, rief unser unglücklicher Landsmann aus.
– Gerechtigkeit, gegen wen?
– Gegen einen russischen Großen, mein Herr, gegen den Gouverneur der Stadt, der mir eben hundert Peitschenhiebe hat geben lassen.
– Hundert Peitschenhiebe! rief der Gesandte erstaunt aus, was haben Sie ihm denn gethan?
– Nichts, mein Herr, durchaus nichts.
– Das ist unmöglich.
– Ich versichere es Ihnen auf Ehre, Herr Graf.
– Sie sind närrisch, mein Freund.
– Mein Herr, ich bitte Sie zu glauben, daß ich im Gegentheil meinen vollen Verstand besitze.
– Aber wie wollen Sie, daß ich begreife, daß ein Mann, dessen Milde und Unpartheilichkeit man überall preiset, sich zu einer solchen Gewaltthat hinreißen ließe.
– Entschuldigen Sie, Herr Graf, rief der Klagende aus, aber welche Ehrfurcht ich auch für Sie habe, Sie müssen mir erlauben, daß ich Ihnen den Beweiß von dem Gesagten gebe. Bei diesen Worten zieht der unglückliche Franzose Rock und Weste aus, und zeigt dem Herrn von Ségur sein blutiges, und auf seine Wunden geklebtes Hemd.
– Aber wie ist das zugegangen? fragt der Gesandte.
– Ach! mein Gott, mein Herr, auf die einfachste Weise. Ich erfuhr, daß Herr von Bruce einen französischen Koch verlangt, ich war ohne Stelle, benutzte die Gelegenheit, und stellte mich ihm vor; der Kammerdiener übernahm es, mich einzuführen, der Herr Gouverneur befand sich in seinem Arbeits-Kabinet. – Mein Herr, sagt der Kammerdiener, indem er die Thüre öffnet, da ist der Koch. – Es ist gut, antwortete Herr Bruce mit weggewandtem Gesicht, man soll ihn in den Hof führen, und ihm hundert Peitschenhiebe geben. – Nun, Herr Graf, packte man mich, führte mich in den Hof, und trotz meines Widerstandes, meines Geschreies und meiner Drohungen, gab man mir meine Zahl, nicht einen mehr, nicht einen weniger.
– Aber wenn das geschehen ist, wie Sie es sagen, so ist es schändlich.
– Wenn ich nicht die strengste Wahrheit sage, Herr Graf, so will ich das Doppelte erhalten.
– Hören Sie, mein Freund, sagte Herr von Ségur, der den Ausdruck der Wahrheit in den Klagen des armen Teufels erkannte; ich werde Erkundigungen einziehen, und wenn, wie ich zu glauben anfange, Sie mich nicht getäuscht haben, so verspreche ich Ihnen, daß Sie für diese Gewaltthat eine glänzende Genugthuung erhalten sollen; wenn Sie mich aber im Gegentheile mit einer Sylbe belogen haben, so lasse ich Sie auf der Stelle über die Grenze bringen, und Sie mögen nach Frankreich zurückkehren, wie Sie können.
– Ich unterwerfe mich allem, mein Herr.
– Nun denn, fuhr Herr von Ségur fort, indem er sich an einen Schreibtisch setzte, überbringen Sie diesen Brief dem Gouverneur selbst.
– Nein, nein, danke, mit der Erlaubniß Eurer Excellenz werde ich nicht abermals das Haus eines Mannes betreten, welcher auf eine so sonderbare Weise diejenigen empfängt, die mit ihm zu thun haben.
– Einer meiner Secretaire wird Sie begleiten.
– Dann ist es etwas anderes, Herr Graf, begleitet von irgend Jemandem Ihres Hauses würde ich in die Hölle gehen.
– Nun so gehen Sie denn, sagte Herr von Ségur, indem er diesem wackern Manne den Brief übergab, und einem seiner Angestellten ihn zu begleiten befahl.
Nach Verlauf von drei Viertelstunden kehrte der Kläger mit einem strahlenden Gesicht zurück.
– Nun? fragte Herr von Ségur.
– Nun! alles ist aufgeklärt, mein Herr.
– Zu Ihrer Zufriedenheit, wie es scheint?
– Ja, mein Herr.
– Ich gestehe, daß Sie mir ein Vergnügen erzeigen werden, mir die Sache zu erklären.
– Nichts leichter, mein Herr: Seine Excellenz, der Herr Graf von Bruce hatte einen seiner Leibeigenen zum Koch, in den er alles Vertrauen setzte, vor vier Tagen ist dieser Elende entflohen, indem er seinem Herrn fünf Hundert Rubel mitgenommen hat, und dem zu Folge seine Stelle offen ließ.
– Nun!
– Nun, diese Stelle war es, die den Gegenstand meiner Wünsche ausmachte; so daß ich mich dem Herrn Gouverneur anbot, um sie auszufüllen.
– Und weiter?
– Unglücklicher Weise für mich hatte er am Morgen die Nachricht empfangen, daß sein Diener zwanzig Werste von St. Petersburg festgenommen worden sey, so daß, als der Kammerdiener zu ihm sagte: Mein Herr, da ist der Koch, er glaubte, ich sey der Dieb, den man zurückbrächte, und da er in diesem Augenblicke sehr mit einem Berichte an den Kaiser beschäftigt war, so sagte er, ohne sich nur umzuwenden: – Es ist gut, man soll ihn in den Hof führen, und ihm hundert Peitschenhiebe geben. – Das sind die hundert Peitschenhiebe, die ich empfangen habe.
– Nun wird der Herr Graf von Bruce sich entschuldigt haben?
– Er hat Besseres gethan, als das, mein Herr, sagte der Koch, indem er in der hohlen Hand eine Börse voller Gold klingen ließ, er hat mir für jeden Peitschenhieb einen Louis d’or auszahlen lassen, so daß ich, da es nun einmal vorbei ist, bedaure, daß er mir nicht hat zwei Hundert, statt Hundert geben lassen; ferner hat er mich in seine Dienste genommen, indem er mir versichert, daß das, was ich empfangen hätte, mir im voraus gerechnet, und mir an jedem Fehler, den ich begehen würde, abgezogen werden sollte, so daß, wenn ich ein wenig Acht auf mich gebe, ich für drei oder vier Jahre genug habe ohne einen Nasenstüber zu empfangen, was nur sehr tröstlich seyn kann.
In diesem Augenblicke trat der Adjutant des Gouverneurs ein, welcher kam, Herrn von Ségur in dessen Namen für den andern Tag einzuladen, um die Küche des Neuangenommenen zu versuchen.
Der Koch blieb zehn Jahre bei Herrn von Bruce, und kehrte nach Verlauf dieser Zeit mit einer Pension von sechs Tausend Rubel nach Frankreich zurück, indem er bis zu einer letzten Stunde das glückselige Mißverständniß segnete, dem er dieselbe verdankte.
Alle diese Anekdoten, welche sich eine nach der andern, und in all ihren Einzelheiten meinem Gedächtnisse vorstellten, waren nicht sehr beruhigend für mich, besonders verglichen mit dem, was mir am Tage zuvor mit dem Großfürsten begegnet war. Aber ich kannte den Kaiser Alexander als so durchaus gut, daß, wie ungebräuchlich auch mein Schritt in Rußland war, ich doch nicht ihn bis zum Ende zu führen zögerte, und meinen Spaziergang, immer in der Hoffnung ihm zu begegnen fortsetzte.
Indessen hatte ich bereits nach und nach die Säule Gregor Orloffs, die dem Sieger von Tschesme errichtete Pyramide, und die Grotte des Pausilippus besucht. Seit vier Uhr irrte ich in diesem Garten herum, der Teiche, Ebenen und Forsten einschließt, indem ich daran zu verzweifeln anfing, demjenigen zu begegnen, welchen ich darin aufzusuchen gekommen war, als ich an einer Einfahrt vorüberschreitend in einer Neben-Allee einen Officier im Uniforms-Ueberrocke erblickte, der mich grüßte und seinen Weg fortsetzte. Hinter mir befand sich ein Gärtner-Bursche, der eine Allee säuberte, ich frug ihn, wer dieser so höfliche Officier wäre: – Es ist der Kaiser, antwortete er mir.
Sogleich stürzte ich in eine Querallee, welche den Fußpfad schräg durchschneiden mußte, auf welchem der Kaiser ging, und in der That, kaum hatte ich achtzig Schritte gethan, als ich ihn von neuem sah; aber kaum hatte ich ihn erblickt, als ich auch nicht die Kraft hatte, einen Schritt weiter zu thun.
Der Kaiser blieb einen Augenblick stehen, dann, als er sah, daß die Ehrfurcht mich abhielt, auf ihn zuzugehen, setzte er seinen Weg nach mir fort; ich erwartete ihn den Hut in der Hand, und während dem er etwas hinkend, denn eine Wunde, die er auf einer seiner Reifen an den Ufern des Don am Bein erhalten, war wieder aufgebrochen, näher kam, konnte ich die außerordentliche Veränderung bemerken, die mit ihm seit neun Jahren, daß ich ihn in Paris gesehen hatte, vorgegangen war. Sein früher so offenes und heiteres Gesicht war ganz finster von einer krankhaften Traurigkeit, und es war sichtlich, was man übrigens auch ganz laut sagte, daß eine tiefe Schwermuth ihn verzehrte. Inzwischen hatten seine Züge einen Ausdruck von Wohlwollen behalten, so daß ich beinahe ermuthigt war, und in dem Augenblicke, als er vorübergehen wollte, einen Schritt auf ihn zuthat.
– Sire, sagte ich zu ihm. . . .
– Setzen Sie Ihren Hut auf, mein Herr, sagte er zu mir, die Luft ist zu scharf, um im bloßen Kopfe zu bleiben.
– Wolle Eure Majestät erlauben. . .
– Bedecken Sie sich doch, mein Herr, bedecken Sie sich doch. Und da er sah, daß die Ehrfurcht mich abhielt, diesem Befehle zu gehorchen, nahm er meinen Hut, und indem er ihn mir mit der einen Hand auf den Kopf drückte, ergriff er mit der andern meinen Arm, um mich zu zwingen, ihn aufzubehalten. Nun, als er sah, daß mein Widerstand zu Ende war, sagte er zu mir:
– Und jetzt, was wünschen Sie?
– Sire, diese Bittschrift.
Und ich zog das Gesuch aus meiner Tasche. Im selben Augenblicke verfinsterte sich sein Gesicht.
– Wissen Sie, mein Herr, sagte er zu mir, Sie, der mich hier verfolgt, daß ich St. Petersburg verlasse, um den Bittschriften zu entgehen?
– Ja, Sire, ich weiß es, antwortete ich, und ich verhehle mir die Vermessenheit meines Schrittes nicht; aber diese Bitte hat vielleicht mehr als eine andere ein Recht auf das Wohlwollen Eurer Majetät: sie ist empfohlen.
– Durch wen? fiel der Kaiser rasch ein.
– Durch den erhabenen Bruder Eurer Majestät, durch Seine kaiserliche Hoheit den Großfürsten Konstantin.
– Ah! ah! machte der Kaiser, indem er die Hand vorstreckte, aber sie sogleich wieder zurückzog.
– So daß ich gehofft habe, sagte ich, daß Eure Majestät von ihrer Gewohnheit abweichend, dieses Gesuch anzunehmen geruhen würden.
– Nein, mein Herr, nein, sagte der Kaiser, ich werde es nicht annehmen, denn morgen würde man mir Tausend überreichen, und ich würde genöthigt sein, diese Gärten zu meiden, in denen ich nicht mehr allein wäre. Aber, fügte er hinzu, als er die getäuschte Hoffnung sah, welche diese Weigerung in meinen Zügen hervorbrachte, und indem er die Hand nach der Seite der Sanct-Sophien-Kirche ausstreckte, legen Sie dieses Gesuch dort in der Stadt auf die Post; heute noch werde ich es sehen, und übermorgen sollen Sie Ihre Antwort haben.
Hier liegt die Herzogin Anderson,Die biß Herrn Rogertson.
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