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Kitabı oku: «Der Geflügelschütze», sayfa 5

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Alain erzählte ihr die Unterredung mit dem Vater Jousselin und die klägliche Art, wie dieselbe geendet.

Lisa versuchte, ihm den Unterschied zwischen dem berechnenden Gehirn eines Greises von sechzig und dem mitleidigen Herzen eines jungen Mädchens von zweiundzwanzig Jahren begreiflich zu machen. Sie tröstete Alain so gut sie konnte und suchte ihm durch Worte zu beweisen, daß das Unglück ihre Zärtlichkeit durchaus nicht abgekühlt habe; sie gelobte ihm bei allen Heiligen des Paradieses und selbst bei der heiligen Jungfrau, daß sie nie einen anderen Gatten, als ihn haben wolle, und in Folge dieses Gelöbnisses bestellte sie ihn zwei Tage später zu sich, um das Tröstungswerk fortzusetzen, zu welchem ihre Liebe für den armen Alain sie bestimmte.

Man begreift wohl, daß Alain am zweiten Tage pünktlich zu dem Stelldichein erschien.

Um acht Uhr Abends fand er sich vor der Thür des Butterhändlers ein, dessen Laden hermetisch verschlossen war, was ihm als ein Uebermaß der Vorsicht von Seiten Lisa’s erschien.

Aber er wartete vergebens bis neun Uhr, ja bis halb zehn, daß die Thür wie das erste Mal sich öffnen möge.

– Jetzt wurde er unruhig und erkundigte sich in der Nachbarschaft.

Da erfuhr er, daß seine bezaubernde Geliebte und ihr Vater am Morgen des Tages nach Paris abgereist wären.

Der unglückliche junge Mann konnte nicht an diese verzweiflungsvolle Nachricht glauben. Er kehrte zu der Wohnung des Plaitre Jousselin zurück, und auf die Gefahr hin, von dem Vater hinausgewiesen zu werden klopfte er heftig an die Thür.

Die Thür öffnete sich, aber es war nicht das verdrießliche Gesicht des alten Jousselin, noch das reizende Gesicht der Tochter, welches Alain Montplet erschien.

Es war das rothe Gesicht einer wohlbeleibten Magd, von der er wußte, daß sie im besonderen Dienste Lisa’s war. —

Javotte war mit einem Briefe an Alain beauftragt.

Alain lief unter eine Straßenlaterne, um diesen Brief ganz nach Gefallen zu lesen.

Dort entsiegelte er ihn mit klopfendem Herzen und zitternder Hand.

Die reizende Lisa begann ihre Epistel, indem sie ihrem Freunde die Beständigkeit ihrer Gefühle versicherte; aber zu gleicher Zeit gestand sie, daß sie dem bestimmt ausgesprochenen Willen ihres Vaters nicht habe widerstehen können, der als ein neuer Agamemnon entschlossen sei, die auf dem Altar der Ehe zu opfern, und sollte die Heirath, die er im Auge habe, ihr das Leben kosten.

Auf jeden Fall gelobte sie ihm, daß sie, Frau oder Mädchen, frei oder in der Gewalt des Mannes, niemals aufhören werde, wenigstens dem Willen nach Alain zu gehören, dem Ersten, den sie je geliebt, und dem Einzigen, den sie je lieben werde.

In Ermangelung der physischen Treue sicherte sie ihm also die moralische Treue zu, – eine Treue, die nach Ansicht der erhabenen Herzen viel kostbarer ist, die aber, wie wir gestehen müssen, von den gemeinen Herzen nur wenig geschätzt wird.

Bei den letzten Worten blieb Alain wie eingewurzelt stehen.

Der Tod seines Vaters und der Verlust seines Vermögens waren schwere Schläge für ihn gewesen; doch die Zärtlichkeit und das Mitleid des Mädchens, welches er liebte, die Gewißheit, daß eine Zärtlichkeit, die solchen Schlägen widerstand, ihn nicht im Stiche lassen würde, hatte ihm eine Prüfungen erleichtert.

Aber als Alain sich von Gott verlassen sah, der ihm seinen Vater nahm, von dem Schicksale verfolgt, welches ihm sein Vermögen entriß, von seiner Geliebten vergessen, die ihm ihre Liebe entzog, traten die beiden ersteren Schmerzen, welche gemildert gewesen waren, in ihre Rechte ein und erhielten ihre Macht wieder, die halb vernarbten Wunden öffneten sich und das Blut eines Herzens floß aus drei mächtigen Wunden.

Sechstes Capitel.
Die Erbschaft des Vater Gabion

Der junge Mann zerdrückte Lisa’s Brief zwischen seinen Fingern; dann empfand er das Bedürfniß, freier zu athmen, ungestört zu schreien, sich wahnsinnig am Boden zu wälzen, und er ging aus der Stadt und begann wie ein neuer rasender Roland auf dem Felde hin und her zu laufen, ohne zu wissen, was er that.

Alain war außer sich; seine beständig ungeordneten Leidenschaften rissen ihn wie ein wüthendes Gespann fort. Der Zorn und die Eifersucht hatten ein Blut entzündet. Er erinnerte sich an die ausgezeichnete Schönheit des jungen Mädchens; er stellte sich das Mädchen, welches für ihn das Ideal der Schönheit war, in den Armen eines Anderen vor, und dieser Andere machte ihm Qual. Ein glühendes Fieber verzehrte ihn; er schritt einher wie ein Narr, die Beute von tausend Ideen, welche sich in seinem Gehirn durchkreuzten und ihm einen heftigen Schwindel verursachten.

Endlich, als der Schmerz seinen Höhepunct erreichte, fehlte seinen Lungen die Luft. Er fiel auf den Boden und rollte sich heulend an der Erde; dann drangen einige Thränen durch eine trockenen und glühenden Augenlider – er weinte, und diese Thränen verschafften ihm Erleichterung und er fühlte sich ein Wenig ruhig.

Dann richtete er sich auf seine Kniee, rief die Ungetreue mit lauter Stimme und bat sie flehend, ihrer Liebe nicht untreu zu werden, ihre Versprechungen nicht zu brechen. Er richtete die glühendsten Bitten an sie; dann versank er in eine Ermattung, aus welcher er sich nur aufraffte, um sich einem neuen Ausbruche der Wuth hinzugeben.

Indessen nach einigen Stunden dieses Zustandes, der an Wahnsinn grenzte, ließ seine Verzweiflung, die zu heftig war, um von Dauer zu sein, endlich nach und Alain erlangte einige Kaltblütigkeit wieder.

Die Nacht war bereits vorgerückt und der arme Verzweifelte hatte sich so oft auf dem Boden herumgewälzt, daß die Feuchtigkeit durch seine Kleider gedrungen war und ein Schauder sich seiner bemächtigt hatte.

Alain suchte den Ort zu erkennen, wo er sich befand, nicht als wünschte er, Menschen zu begegnen – die Männer, besonders aber die Frauen waren ihm in diesem Augenblicke unerträglich, aber er fühlte, daß ein Obdach, welches dasselbe auch sein mochte, ihm nothwendig war.

Der Zufall hatte ihn zu der Mündung der Vire geführt.

Rings um sich sah er nur Binsenbüschel und einige Wasserflächen, welche glänzten, wann der Mond für einen Augenblick aus den Wolken trat, welche über den azurnen Raum des Himmels dahineilten.

Plötzlich hörte er das traurige Heulen eines Hundes, welcher nicht weiter als fünf- oder sechshundert Schritte von ihm entfernt war.

Er orientierte sich.

Dieser Hund, welcher heulte, mußte der des Vater Gabion, eines ersten Lehrers in der Jagd, sein.

Alain hatte den Vater Gabion seit seiner Rückkehr nicht gesehen.

Er erinnerte sich, daß die Hütte, die der gute Mann bewohnte, in der Gegend stand, und er zweifelte nicht mehr, daß dieser Hund ein alter Freund Pavillon sei.

Es war eine Stimme, welche ihm, der sich in der Wüste verirrt hatte, zurief: »Komm zu mir!«

Es war eine traurige, eine klägliche Stimme, aber in Harmonie mit dem Zustande seines Herzens.

Wenn es die Stimme eines Menschen gewesen wäre, würde er sich in einem Anfalle von Menschenhaß vielleicht nach der entgegengesetzten Seite gewendet haben.

Es war jedoch die Stimme eines Hundes. Er ging deshalb gerade darauf zu.

Kaum hatte er hundert Schritte zurückgelegt, als er eine dunkle Erhöhung bemerkte, welche die Ebene beherrschte und gegen den Horizont abstach.

Es war Gabion’s Hütte.

Er nahm seinen Weg dorthin.

Je mehr er sich näherte, desto kläglicher wurde das Geheul des Hundes.

Es kam aus dem Inneren der Hütte, deren Thür geschlossen war.

Alain ging gerade auf diese Thür zu und erhob die Klinke.

Die Thür öffnete sich.

Kaum war sie offen, als er fühlte, wie der Hund seine beiden Tatzen gegen eine Brust stemmte und wie der heiße und feuchte Hauch desselben sein Gesicht berührte.

Dann ließ sich ein neues Geheul hören und der Hund kehrte in die Tiefe des Zimmers zurück, wo das Bett seines Herrn stand.

Das Zimmer befand sich in der größten Dunkelheit.

Alain rief zwei Mal den Namen des Vater Gabion.

Niemand antwortete, oder die Antwort, wenn ihm eine erheilt wurde, war ein so leichter Hauch, ein so schwacher Seufzer, daß Alain nicht recht gehört zu haben glaubte.

Er kannte das Zimmer des Vater Gabion wie ein eigenes.

Er tappte nach dem Camin hin, fand die Schwefelhölzer und durchwühlte die Asche.

Die Asche war noch heiß, aber das Feuer erloschen.

Alain war ein Raucher und Jäger.

In dieser Eigenschaft hatte er Alles bei sich, was nöthig ist, um Feuer anzuzünden.

Ein chemisches Streichholz, über die Wand hingestrichen, knisterte und erleuchtete knisternd das Zimmer.

Wie bei dem Scheine eines Blitzes sah Alain, Pavillon bei dem Bette seines Herrn mit erhobenem Kopfe heulend sitzen.

Auf diesem Bette, welches in einer einzigen, am Boden ausgestreckten Matratze bestand, glaubte er undeutlich eine menschliche Gestalt gesehen zu haben.

Er zündete ein zweites Streichholz gleich dem ersten an und näherte sich dem Bette.

Er hatte sich nicht geirrt: der Vater Gabion lag da; er schlief oder war todt.

Das zweite Streichholz erlosch, als er es dem Gesichte des alten Jägers näherte.

Alain kehrte zu dem Camine zurück, suchte die Lampe und fand sie endlich auf einen Schemel.

Er wollte sie anzünden, aber das Oel war ausgebrannt, Er raffte in dem Kamin einige Farnkräuter, einige Rohrstengel und Holzüberreste zusammen und näherte sich diesem Haufen mit der Flamme eines dritten Streichholzes.

Das Feuer bemächtigte sich rasch des brennbaren Stoffes, knisterte und warf einen zitternden Schein bis in die Tiefen des Zimmers.

Der Hund war noch immer an derselben Stelle und der Mann noch unbeweglich.

Nur schwieg der Hund und leckte das Gesicht eines Herrn.

Alain näherte sich der Gruppe.

Alles war noch in demselben Zustande.

Indessen schien es ihm, daß der Vater Gabion, welcher einen Augenblick vorher die Augen offen gehabt, sie jetzt geschlossen hatte.

Er neigte sich zu dem Bette und berührte die Hand des guten Mannes.

Die Hand war schon abgestorben, aber noch nicht kalt.

Es leuchtete ihm ein, daß der Vater Gabion eben erst gestorben war.

Dieser Hauch, welchen Alain beim Eintreten gehört hatte, war sein letzter Seufzer gewesen.

Das Geheul Pavillons war das letzte Lebewohl, welches der Freund dem Freunde sagte.

Indem das arme Thier das Gesicht seines Herrn leckte, hatte es ihm die Augen geschlossen.

Alain fiel unwillkürlich auf die Kniee.

Es liegt in dem Tode eine Majestät, welche die am Meisten rebellierenden Stirnen, die ungelehrigsten Kniee beugt: es ist Majestät des Unbekannten.

Welches seltsame Geschick war das dieses Mannes! Er war eines Tages erschienen und kam, Niemand wußte, woher; er hatte außer dem Umgange der Menschen gelebt, hatte nur im Verkehre mit dem Wildhändler in Isigny gestanden, welcher alle zwei Tage kam, um sein Wild abzuholen und ihm das Geld dafür zu bringen; er war allein gestorben, wie er gelebt, hatte die Verpflegung keines Freundes, das Gebet keines Priesters verlangt.

Er war dahingeschieden und hatte nur einen Hund zurückgelassen, um ihn zu bedauern, er hatte ein Feuer und seine Lampe angezündet, und dann hatte er sich niedergelegt.

Das Feuer war ausgebrannt, die Lampe war erloschen.

Und er war ebenfalls erloschen, wie die Lampe.

Blieb von ihm noch weiter.

Etwas übrig, als von dem Feuer – Asche, als von der Lampe – ein ausgebrannter Docht?

Dies konnte diese Leiche selber nicht sagen.

Nach einem stillen Gebete stand Alain auf und ging, um sich am Camine auf den eichenen Schemel zu setzen, wo er so oft gesessen hatte.

Der junge Mann brachte die Nacht dort zu, ohne einen einzigen Augenblick zu schlafen, indem er das Feuer immer wieder schürte, wenn es im Begriffe war, zu erlöschen, indem er die Leidenschaften, die sich in seinem Herzen empörten, dadurch zu besänftigen versuchte, daß er eine düsteren und philosophischen Gedanken darüber ausgoß, welche wie Nachtvögel das Sterbebett umschweben, wo eine Leiche liegt.

Der Hund dagegen lag auf feinem Bauche nach Art der Sphinxe, unbeweglich die Augen auf das Gesicht seines Herrn gerichtet.

Man hätte denken sollen, er studire das große Räthsel, welches den Menschen ewig unbekannt sein wird: »was ist der Tod?«

Der Tag kam, die grauen und trüben Strahlen schlichen sich durch die Thürspalten und die Fensterscheiben herein.

Ein Papier lag auf dem Tische, worauf einige Zeilen mit Bleistift geschrieben waren.

Alain nahm dieses Papier und las:

»Ich lege mich nieder, um nicht mehr aufzustehen.

»Ich habe fern von den Menschen gelebt und sterbe fern von ihnen.

»Ich habe während meines Lebens Nichts von ihnen verlangt und habe nach meinem Tode Wenig von ihnen zu verlangen.

»Ich bitte Den, der hier eintreten und mich todt finden wird, meinen Tod Niemanden anzuzeigen.

»Mein Tod interessiert Niemanden.

»Wenn Er ein frommes Herz hat, wird er aus dem Winkel des Zimmers den Spaten nehmen, der sich dort befindet, am Ufer des Meeres eine Grube in den Sand graben, mich in mein Betttuch hüllen, mich in diese Grube legen, sie mit Erde auffüllen und ein Kreuz darauf setzen.

»Ich sterbe als Christ.

»Wenn Dieser keinen Zufluchtsort hat, so kann er diese Hütte nehmen. Die Wohnung ist nicht schön, aber sie hat mich achtzehn Jahre lang vor dem Regen, dem Winde und der Kälte geschützt.

»Wenn er ein Jäger ist, so rathe ich ihm, dasselbe Geschäft auszuüben, welches ich betrieben habe. Es macht seinen Mann nicht reich, aber es reicht hin, ihn zu ernähren. Ich hätte jährlich wohl tausend Franken ersparen können, wenn ich gewußt hätte, wem ich sie hinterlassen sollte.

»Ich habe es vorgezogen, nur so viel Wild zu tödten, als zu meinen täglichen Bedürfnissen nöthig war, und die Geschöpfe des guten Gottes leben zu lassen.

»Ich bin dem Wildhändler von Isigny achtzehn Franken schuldig, da er mir seit den acht Tagen, daß ich krank bin, beständig gebracht hat, was zu meinen Bedürfnissen nöthig war, obgleich ich ihm kein Wild mehr zu geben hatte.

»Ich bitte Den, der meinen Platz in dieser Hütte einnehmen wird, wenn er sich entschließt, denselben Beruf auszuüben, wie ich, diesem wackeren Manne an Wild seine achtzehn Franken zu ersetzen, und ich wünsche ihm als Belohnung für den Dienst, den er mir leisten wird, indem er mich begräbt und ein Kreuz auf mein Grab jetzt, daß er eines eben so ruhigen und sanften Todes, wie ich zu sterben im Begriffe bin, sterben möge.«

Den 27. September 1841. »Vater Gabion.«

Alain wendete sich zu dem Bette, wo der Tode lag und streckte seine Hand mit einer feierlichen Geberde gegen ihn aus, welche bedeutete: »Sei ruhig, arme Seele, Deine letzten Anordnungen sollen befolgt, Deine letzten Wünsche erfüllt werden.«

Dann, als er sah, daß der Tag vollständig angebrochen war, blickte er um sich.

Der Spaten, wie es das Testament des Todten bejagte, befand sich in einem Winkel des Zimmers.

Alain ging, um diesen Spaten zu nehmen, und begab sich dann hinaus, um einen passenden Ort aufzusuchen und dort die letzte Ruhestätte für den alten Jäger zu graben.

Er blieb am Fuße eines Felsens stehen, wo die höchsten Springfluthen einen Damm fanden.

Der Felsen bildete eine Vertiefung, wo er in seiner Jugend oft mit dem Vater Gabion auf dem Anstande gestanden hatte.

Es war der Lieblingsposten des alten Jägers.

Es schien Alain, wenn der Vater Gabion den Einfall gehabt hätte, sich einen Platz auszuwählen, daß es Dieser hätte sein müssen, den er gewählt haben würde.

Er grub die Grube sehr tief, die Leiche mußte vor den Hunden und den Wölfen geschützt sein.

Dann brachte er so viel Steine und Geröll, wie er finden konnte, zusammen.

Als er dann diese beiden Vorkehrungen getroffen hatte, kehrte er zu der Hütte zurück, hüllte die Leiche in das Betttuch, lud sie auf eine Schulter und machte sich auf den Weg zu der Grube.

Erst jetzt stand Pavillon auf und folgte der Leiche.

Der alte Jäger wurde, wie er es gewünscht hatte, ohne Vorgesang, ohne Leichenrede, ohne Leichengebete in sein Grab gesenkt.

Das Kreuz wurde aus zwei Stangen gemacht, die der Sturm an das Ufer geführt hatte, und als Grabhügel Erde, Sand, Gerölle und Steine aufgehäuft.

Als Dies geschehen war, kehrte Alain mit leerem Herzen, die Arme niederhängend und den Kopf gesenkt zu dem einsamen Hause zurück.

Der Hund blieb einen Augenblick auf dem Grabe, stieß als letztes Lebewohl ein lang gehaltenes und klagendes Geheul aus und folgte Alain.

Er nahm den theilnehmenden Mann, der eben gegen seinen alten Herrn die letzten Pflichten erfüllt hatte, als Herrn an.

Aus der Ferne sah Alain die Gestalt eines Mannes auf der Thürschwelle.

Es war der Wildhändler von Isigny.

»Es scheint Alles zu Ende zu sein,« sagte er; »ich kam, um ihm die letzten Dienste zu erweisen, denn ich dachte wohl, daß er die Nacht nicht überleben würde. Aber Sie sind mir zuvorgekommen, Monsieur Montplet.«

»Mein Freund,« sagte Alain, »der Verstorbene war Ihnen achtzehn Franken schuldig; er hat mich beauftragt, sie Ihnen zuzustellen: hier sind sie.«

»Der Vater Gabion hat Sie also zu einem Erben eingesetzt?« fragte der Wildhändler.

»Ja,« antwortete Alain, »und der Beweis ist, daß Sie dem ersten besten Armen, der Ihnen auf Ihrem Wege begegnet, sagen können, daß er hier ein ganzes Mobiliar abholen kann.«

Der Wildhändler nahm die achtzehn Franken, grüßte Montplet und entfernte sich.

Als er aber fünf oder sechs Schritte gemacht hatte, hörte er den jungen Mann, welcher ihm nachrief Er wendete sich um.

»Was steht zu Ihren Diensten?« fragte er.

»Wenn Sie von jetzt an Wild bedürfen, so wenden Sie sich an mich,« sagte Montplet zu ihm; »ich bitte Sie um den Vorzug.«

»Wie Das?« entgegnete der Wildhändler erstaunt.

»Ich will Geflügelschütze werden.«

»Ohne Scherz?« sagte der Wildhändler.

»Es ist vollkommen wahr. Ich bin ruiniert und weiß Nichts anzufangen; ich bin ein zu guter Christ, um mich zu tödten, und da die Vorsehung mich zum Erben dieses armen Mannes gemacht hat, welcher diese Hütte bewohnte, so will ich den Wegen der Vorsehung folgen.«

Der Wildhändler entfernte sich und versprach Alain Montplet seine Kundschaft.

Siebentes Kapitel.
Am Strande

Alain Montplet war weder ein Träumer, noch ein Philosoph; er wußte nicht seine Empfindungen einer genauen Prüfung zu unterwerfen, die Ursachen zu ergründen und die Folgen nachzuweisen.

Wie er eben zu dem Wildhändler von Isigny gejagt hatte, dachte er nicht daran, sich von dem Dasein zu befreien, welches ihm indessen sehr verhaßt war, weil seine Ausschweifungen, trotzdem sie ihn von den religiösen Uebungen abhielten, den Glauben nicht hatten entwurzeln können, den eine ländliche Erziehung einer Seele so tief eingepflanzt hatte.

Einen Augenblick hatte er daran gedacht, Soldat zu werden; aber dieser Gedanke war ihm kaum in den Sinn gekommen, als er auch schon so verständig gewesen war, über den Widerwillen nachzudenken, welchen ihm jede Disciplin beständig eingeflößt hatte.

Entschlossen, seine Unabhängigkeit zu bewahren, konnte er nur eine mechanische Beschäftigung wählen.

Und welche?

Alain Montplet verstand kein Handwerk.

Es war also die Vorsehung, wie er gesagt, die ihn zu der Hütte des Vater Gabion geführt hatte, in den Augenblicke, als Dieser eben die Augen geschlossen und wo er, Alain, sich ohne Vermögen, ohne Verwandte, ohne Freunde, ohne Geliebte befand.

Wie wir gesehen haben, hatte Alain Montplet, ein leidenschaftlicher Jäger, ein vortrefflicher Schütze, beschlossen, Geflügelschütze zu werden.

Auch, als der Wildhändler sich entfernt hatte, sagte er:

»Ja, ja, der gute Gott selber hat mich hierher geführt; es ist eine Hand, die mir diesen Zufluchtsort und diese Profession gezeigt hat, die mich ernähren soll, wie sie Den ernährte, der diese Hütte vor mir bewohnt hat. Ich werde also allein, fern von den Menschen, leben können, ohne zu ihrem Mitleid meine Zuflucht nehmen zu müssen, und vielleicht wird es mir möglich sein, ihnen einst das Leid zu vergelten, welches sie mir zugefügt haben —«

Die Frauen, müssen mir hinzufügen, waren schweigend in diese Verwünschung mit eingeschlossen.

In der That hatte Alain Montplet den feierlichen Eid abgelegt, sich nie zu verheirathen und diesem bezaubernden Theile der Gesellschaft, den man mit dem Namen des weiblichen Geschlechts bezeichnet, im Allgemeinen oder in ihren einzelnen Mitgliedern das Unrecht zu vergelten, welches ihm Lisa Jousselin zugefügt hatte.

Wie bei dem Duell wollte Alain Montplet den Makel, wie es in der Schülersprache heißt, nicht auf sich sitzen lassen.

Dieser Eid, obgleich er in einem Augenblicke der Wuth abgelegt worden, und ihn Niemand als Gott gehört hatte, vor dessen Auge er sich seiner Qual hingab, schien Alain Montplet nicht weniger geheiligt, und er nahm sich vor, ihn nie zu brechen, was sich auch ereignen möchte.

Als er diesen Entschluß gefaßt hatte, handelte es sich darum, ihn sobald wie möglich in Ausführung zu bringen.

Alain Montplet besaß die nöthigen Erfordernisse zu einem Jägerberufe: vortreffliche Waffen und einen vortrefflichen Hund; er hatte sich also nur mit seiner Einrichtung zu beschäftigen.

Es blieben unserem jungen Mann fünf bis sechs Louisd’or und einige Schmucksachen übrig.

Er machte sich auf dem Weg nach Isigny, um die Schmucksachen zu verkaufen und ein Bett, einen Tisch, vier Stühle, eine Kücheneinrichtung und ein vollständiges Geflügelschützencostüm zu kaufen.

Auf dem Wege begegnete ihm eine arme Familie, die der Wildhändler geschickt hatte, und welche kam, um die Hütte auszuräumen.

Nach einem Aufenthalte von einer Stunde in Isigny waren seine Schmucksachen verkauft, eine Einkäufe gemacht und ein Maurer abgeschickt, um das Innere der Hütte zu weißen und die Spalten zu verstreichen.

Gegen fünf Uhr Abends war Alain Montplet wieder in die Hütte zurückgekehrt.

Für die vierhundert Franken, welche er aus dem Verkaufe seiner Schmucksachen gelöst hatte, hinzugerechnet zu den wenigen Louisd’or, die ihm übrig waren, hatte sich Alain Montplet alle die nothwendigsten Bedürfnisse verschafft.

Indessen war er ohne einen Sou in die Hütte zurückgekehrt.

Aber er hatte Brod für den Tag und den folgenden Tag, und er hatte Pulver und Blei für den ganzen Winter.

Es war ein ganz neues Leben, welches er begann.

Er begann es an demselben Abende.

Wir haben schon oben gesagt, worin die Geflügeljagd besteht und welches ihre Schwierigkeiten und Gefahren sind.

Vermöge der Leidenschaft, welche Alain seit seiner Kindheit für jede Art der Jagd gezeigt hatte, mußten diese Schwierigkeiten und Gefahren für ihn nur ein Reizmittel sein.

Er gab sich also mit Eifer seinem neuen Berufe hin, und da diese übermäßigen Anstrengungen, diese Aufregungen, diese unaufhörlichen Beschäftigungen die traurigen Gedanken, die ihn verfolgten, aus seinem Geiste verbannten, da die Anstrengung des Körpers die Sorgen des Geistes tödtete, da dieses Herz, welches sich nur einmal geöffnet und sich über einer Wunde geschlossen hatte, eine wahrhafte Erleichterung bei diesen Zerstreuungen fand, so verwandelte sich ein Eifer bald in Leidenschaft. Er brachte ganze Wochen an den Ufern der Mündung der Vire zu, wo das wilde Geflügel reichlich vorhanden ist; er schlief dort, er aß dort, er lebte dort, schoß während des Tages die großen und die kleinen Stelzenläufer, stellte sich während der Nacht auf den Anstand, um die vorüberziehenden Vögel zu erlegen, schoß ganze Haufen Wild, welches der Händler aus Isigny alle zwei Tage von ihm abholte und ihm den Preis für das zurückbrachte, welches er zwei Tage vorher mitgenommen hatte, und wurde nie eines verheerenden Genusses überdrüssig.

Indessen erfüllte er nur die Hälfte Dessen, was er sich in Betreff des Menschengeschlechts vorgenommen hatte, obgleich er, wenn er daran dachte, und er dachte oft daran, eben so tief, wie am ersten Tage, den Kummer empfand, den die Menschen ihm verursacht hatten.

Da er nicht die Charakterstärke eines Timon oder Alcestes besaß, so verzichtete er nicht gänzlich auf die Gesellschaft seines Gleichen, und wenn sie ihm zufällig begegneten, sprach er von Zeit zu Zeit mit feinen alten Freunden den Fischern von Grand-Camp, von Maisy und von Saint-Pierre-du-Mont.

Freilich hatten diese ihm nie Etwas zu Leide gethan und hatten ebenso viel und selbst noch mehr Achtung vor dem Geflügelschützen, als vor Alain Montplet, dem muthmaßlichen Erben der Meyerei.

Nur blieb er trotzig und unerbittlich dem zweiten Theile seines Vorsatzes treu.

Er bewahrte einen Groll gegen das Geschlecht, welchem Lisa Jousselin angehörte; er floh die Gesellschaft der Frauen, und der Haß, den er gegen sie hegte, obgleich er sich bisher nur durch Worte kundgegeben hatte, schien nicht weniger heftig, tief und aufrichtig.

Eines Tages im November 1841 bereitete sich Alain vor, zu gehen, um diesen Abend den Strich am östlichen Ufer zwei Stunden von Maisy abzuwarten.

Er zog eine großen Stiefel an, die ihm bis an den Gürtel gingen, legte über seine Blouse einen Matrosenmantel von geöltem Tuch, nahm seine Flinte, seine Nachtdecke, rief Pavillon, feinen Gefährten der Einsamkeit – diesen stummen Tröster, der alle Tage einen Besuch bei dem Grabe seines alten Herrn machte und seine Philosophie hinsichtlich der Vergangenheit lebendig erhielt – und nahm seinen Weg nach der Richtung des Fleckens.

Indem er dem Fußwege folgte, bemerkte der Jäger, daß das Wetter einen Sturm verkündete. Die Wellen gingen hoch und das Meer schien am Horizonte noch ungestümer zu werden.

Der Wind, der plötzlich von Norden nach Südosten herumgegangen war, wurde jeden Augenblick stärker und lange blutige Streifen rötheten den Himmel.

Der Jäger hatte noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als der Sturm in einer ganzen Heftigkeit losbrach.

Die Wogen kamen wie wahre Berge, die sich bewegen, heran, um sich krachend an dem Kieselufer zu brechen.

Endlich erhob der Wind den Sand in so dichten Wirbeln, daß der junge Mann hinter der Brustwehr, die an der Seite der Felder für die Zollbeamten angebracht war, Zuflucht suchen mußte.

Als Alain zu den Häusern kam, sah er die ganze Bevölkerung von Maisy am Strande. Die Frauen lagen auf dem feuchten und mit Schlamm bedeckten Sande auf den Knieen und beteten mit Inbrunst; die Männer sahen mit einem Ausdruck der lebhaften Unruhe zu und die Seeleute schoben ein Boot mit Ruderstangen unter dem Kiel vorwärts, um es aufs Wasser zu bringen.

Alain erfuhr bald, was diese ungewohnte Aufregung zu bedeuten hatte.

Bei der Fluth am Nachmittage waren drei von den Fischerböten von Maisy zu der Austernbank abgefahren, und man fürchtete, daß sie – von dem Sturme überrascht, ehe sie das Weite suchen könnten, – an das Ufer geworfen werden möchten.

Montplet mischte sich unter die Gruppen von Männern, welche die Tiefe des Horizontes mit den Augen zu durchdringen schienen, der in einen dichten Vorhang von Regen gehüllt war, und begann mit ihnen die Wahrscheinlichkeit des Unterganges oder der Rettung zu besprechen, welche die Böte hatten.

Thomas Langot war wie die andern Bewohner des Fleckens am Strande; nur schien er unruhiger als Alle.

Die Anderen zitterten nur für ihre Verwandten oder ihre Freunde; der Wucherer zitterte für seine eigenen Eingeweide; zwei von den drei Boten, die in diesem Augenblicke auf dem Meere waren, gehörten ihm.

Aber Langot war nicht der Einzige von seiner Familie, welcher zitterte.

Jeanne Marie, diese Wittwe, die er unter dem Vorwande, ihr beizustehen, zu einer Dienerin gemacht hatte, begleitete ihn und empfand selber eine bittere Qual.

Jeder, der die Beide in so großer Verzweiflung sah, machte die Bemerkung, daß die Befürchtungen Thomas Langot’s sehr lebhaft sein müßten, weil er zugebe, daß die arme Frau, die er gewöhnlich wegen der geringsten Abwesenheit so hart behandelte, den Laden zugleich mit ihm verlasse.

Ungeachtet seiner Zerstreuung bemerkte Langot den Jäger. Es schien ihm, als ob diese anklagende Gestalt ihm Unglück bringe: Der Schrecken machte ihn abergläubig; es schien ihm, als er sich von der Gleichgültigkeit des jungen Mannes versicherte, den er seit dem Tode Jean Montplet’s und seit dem Verkaufe der Meyerei nicht wiedergesehen, daß er die Gefahren beschwören werde, welche seinen Fahrzeugen drohten.

Er begann also geschickt zu manövrieren, und sich der Gruppe der Seeleute zu nähern, unter welcher sich Alain befand.

Aber Dieser, welcher ihn seinerseits nicht aus den Augen ließ, sah ihn kommen, entfernte sich und setzte sich einige Schritte von dort auf einen Felsen nieder.

Langot wollte sich aussprechen.

Er that, als verzichte er auf sein Vorhaben, mit Alain zu sprechen; aber auf einen Umwege, und indem er einen Kreis beschrieb, näherte er sich ihm, und ehe der junge Mann Zeit hatte, ihn zu bemerken, sagte er plötzlich, um ihm nicht Zeit zu lassen, sich zu entfernen, ohne zu antworten:

»Ein schlechtes Wetter – ein sehr schlechtes Wetter, mein Junge.«

»Meinen Sie, Monsieur Langot?« antwortete Montplet kalt.

»Freilich meine ich Das.«

»Nun, ich finde es nicht.«

»Indessen,« stotterte Langot, sehr unruhig bei dem Tone, womit ihm diese Antwort gegeben wurde, »müssen Sie begreifen, daß es Denen wenig angenehm scheinen muß, welche Etwas dabei zu verlieren haben.«

»Aus demselben Grunde müssen, Sie begreifen, Monsieur Langot, Sie, der Sie einen so wohl entwickelten Verstand haben, daß es so angenehm wie möglich für Diejenigen ist, welche Etwas dabei zu gewinnen haben.«

»Aber, mein Gott!« rief der Wucherer, indem er seine gefalteten Hände zum Himmel erhob, »was denken Sie denn bei einem solchen Sturme zu gewinnen?«

»Fürs Erste werde ich dabei gewinnen, daß das wilde Geflügel, von der See und den Sandbänken vertrieben, ans Ufer kommen wird, und daß ich, um es zu erlegen, nicht einmal nöthig haben werde, mir die Füße naß zu machen, da das Wild – nur bemüht, Schutz zu suchen, – sich nicht um meine Flinte kümmern wird, und daß ich meine Jagdtasche füllen werde, ohne mir mehr Mühe zu geben, als wenn ich auf einem Lehnsessel mit Rollen jagte. Dann werde ich noch vielleicht Etwas dabei gewinnen, was ich sehr lebhaft wünsche, obgleich man seine Gebete nur an den Teufel richten muß, um es zu erlangen.«

Indem er diese Worte sagte, sah Alain den alten Wucherer spöttisch an.

Dieser verstand vollkommen, worauf der junge Mann anspielte, und der Schrecken, den er empfand, daß der Himmel oder die Hölle dieses Gebet eines Opfers erhören möge, indem er durch den Untergang einer Böte betroffen werde, verursachte ihm Gänsehaut.

»Aber Sie sind also kein Christ, um solche Wünsche zu hegen?« rief der Wucherer.