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Kitabı oku: «Der Graf von Monte Christo», sayfa 102

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Vierzehntes Kapitel.
Die Assisen

Die Affaire Benedetto, wie man damals in Paris und in der Gesellschaft sagte, machte ein ungeheures Aufsehen. Ein täglicher Gast des Café de Paris, des Boulevard de Gand und des Bois de Boulogne, hatte der falsche Cavalcanti während seines Aufenthalts in Paris und während der paar Monate, die sein Glanz gedauert, eine Menge von Bekanntschaften gemacht. Die Zeitungen erzählten von den verschiedenen Stellungen des Angeklagten in seinem eleganten Leben und in seinem Leben im Bagno; hieraus erfolgte die größte Neugierde besonders bei denjenigen, welche den Prinzen Cavalcanti persönlich gekannt hatten; diese beschlossen auch, Alles daran zu setzen, um auf der Bank der Angeklagten Herrn Benedetto, den Mörder seines Kettenkameraden, zu sehen.

Für Viele war Benedetto, wenn nicht ein Opfer, doch wenigstens ein Irrtum der Justiz: man hatte Herrn Cavalcanti Vater in Paris gesehen, und man erwartete, er würde abermals erscheinen, um seinen erhabenen Sprößling zu reklamieren. Manche Personen, welche nie etwas von der berühmten Polonaise gehört, mit der er bei dem Grafen von Monte Christo angekommen war, hatten sich betroffen gefühlt von der würdigen Miene, von dem edelmännischen Wesen und der Weltkenntniß des alten Patriciers, welcher allerdings als ein vollkommener vornehmer Herr erschien, so oft er nichts sprach und nicht Arithmetik trieb.

Was den Angeklagten selbst betrifft, so erinnerten sich viele Leute, ihn so liebenswürdig, so schön, so verschwenderisch gesehen zu haben, daß sie eher an eine Machination von Seiten irgend eines Feindes glauben wollten, wie man solche in dieser Welt trifft, wo die großen Vermögen die Mittel, das Gute oder das Böse zu tun, zu der Höhe des Wunderbaren und zu der Macht des Unerhörten erheben.

Alle Welt lies also zu der Sitzung des Assisenhofes, die Einen, um das Schauspiel zu genießen, die Andern, um es mit ihren Erläuterungen und Bemerkungen zu begleiten. Von Morgens um sieben Uhr machte man Queue am Gitter, und eine Stunde vor Eröffnung der Sitzung war der Saal bereits voll von Bevorzugten.

Vor dem Eintritt des Gerichtshofes und häufig noch nach demselben gleicht der Audienzsaal, an Tagen von großen Prozessen, ungemein einem Salon, wo sich viele Leute erkennen, anreden, besuchen, wenn sie einander nahe genug sind, um ihre Plätze nicht zu verlieren, sich Zeichen machen, wenn sie durch eine zu große Menge von Volk, Advokaten und Gendarmen getrennt sind.

Es war einer von den herrlichen Herbsttagen, die uns zuweilen für einen fehlenden oder für einen verkürzten Sommer entschädigen; die Wolken, welche Herr von Villefort am Morgen die ausgehende Sonne halte mit Streifen überziehen sehen, waren wie durch einen Zauber verschwunden und ließen in seiner ganzen Reinheit einen von den letzten, von den schönsten Septembertagen erglänzen.

Beauchamp, der zu den Königen der Presse gehörte und folglich seinen Thron überall hatte, lorgnirte rechts und links. Er erblickte Chateau-Renaud und Debray, welche sich die Gunst eines Stadtsergenten erworben und diesen bestimmt hatten, sich hinter sie zu stellen, statt sie zu maskieren, wie es sein Recht war. Der würdige Agent hatte den Sekretär des Ministers und den Millionär gerochen: er benahm sich voll Rücksicht gegen seine edlen Nachbarn und erlaubte ihnen, mit dem Versprechen, ihre Plätze aufzubewahren, Beauchamp einen Besuch zu machen.

»Nun! wir werden also unsern Freund sehen!« sagte Beauchamp.

»Ei! mein Gott, ja!« erwiderte Debray, »dieser würdige Prinz! Der Teufel sei mit den italienischen Prinzen!«

»Ein Mensch, der Dante zum Genealogen hatte und zu der Divina Comedia hinausstieg!«

»Adel des Strickes,« bemerkte phlegmatisch Chateau-Renaud.

»Nicht wahr, er wird verurteilt werden?« fragte Debray Beauchamp.

»Ei! mein Lieber,« erwiderte der Journalist, »mir scheint, das muß man Sie fragen: Sie wissen besser, als wir, wie es im Bureau aussieht: haben Sie den Präsidenten bei der letzten Soirée Ihres Ministers gesprochen?«

»Ja.«

»Was hat er Ihnen gesagt?«

»Etwas, was Sie in Erstaunen setzen wird.«

»Ah! sprechen Sie geschwinde, ich habe schon lange nichts dergleichen mehr gehört.«

»Wohl! er hat gesagt, Benedetto, den man für einen Phönix der Feinheit, für einen Riesen an Schlauheit halte, sei nur ein ungeordneter, einfältiger Schuft, und ganz unwürdig der Versuche, die man nach seinem Tode an seinen phrenologischen Organen machen werde.«

»Bah!« rief Beauchamp, »er spielte den Prinzen gar nicht übel.«

»Für Sie, Beauchamp, der Sie diese unglücklichen Prinzen hassen und entzückt sind, wenn Sie schlechte Manieren bei Ihnen finden, aber nicht für mich, der ich aus Instinkt den Edelmann rieche und einer aristokratischen Familie als wahrer Wappenspürhund ihren Standpunkt anweise.«

»Sie haben also nie an seinen Fürstenstand geglaubt?«

»Nie.«

»Ich versichere Sie jedoch, daß er für jeden Andern, als für Sie, seine Geltung haben konnte,« bemerkte Debray. »Ich habe ihn bei den Ministern getroffen.«

»Ah! ja,« erwiderte Chateau-Renaud, »Ihre Minister verstehen sich auf die Prinzen.«

»Es liegt etwas Gutes in dem, was Sie so eben gesagt haben, Chateau-Renaud,« versetzte Beauchamp, in ein Gelächter ausbrechend: »die Phrase ist kurz, aber angenehm. Ich bitte Sie um Erlaubnis, in meinem Berichte davon Gebrauch machen zu dürfen.«

»Immerhin, mein lieber Beauchamp, immerhin; ich gebe Ihnen meine Phrase für das, was sie wert ist.«

»Doch wenn ich mit dem Präsidenten gesprochen,« sagte Debray zu Beauchamp, »so müssen Sie mit dem Staatsanwalt gesprochen haben?«

»Unmöglich; seit acht Tagen verbirgt sich Herr von Villefort, und das ist ganz natürlich: diese Reihenfolge von häuslichen Unglücksfällen, denen der nicht minder seltsame Tod seiner Tochter die Krone aussetzte . . . «

»Der seltsame Tod! was sagen Sie da, Beauchamp?«

»Ah! ja, spielen Sie den Unwissenden, unter dem Vorwande, dies Alles ereigne sich bei dem Adel der Robe,« sagte Beauchamp, indem er sein Glas an sein Auge drückte und allein zu halten nötigte.

»Mein lieber Herr,« rief Chateau-Renaud, »erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Sie in Beziehung auf den Lorgnon nicht die Stärke von Debray besitzen. Debray, geben Sie Herrn Beauchamp eine Lection.«

»Halt,« sagte Beauchamp, »ich täusche mich nicht.«

»was denn?«

»Sie ist es.«

»Wer, sie?«

»Man sagte, sie sei abgereist.«

»Fräulein Eugenie?« fragte Chateau-Renaud, »sollte sie zurückgekommen sein?«

»Nein, ihre Mutter.«

»Madame Danglars?«

»Unmöglich,« rief Chateau-Renaud; »zehn Tage nach der Flucht ihrer Tochter, drei Tage nach dem Bankerott ihres Mannes!«

Debray errötete leicht und folgte der Richtung des Blickes von Beauchamp.

»Gehen Sie doch!« sagte er, »es ist eine verschleierte Frau, eine unbekannte Dame, vielleicht die Mutter des Fürsten Cavalcanti; aber mir scheint, Sie wollten uns sehr interessante Dinge mitteilen, Beauchamp?«

»Ich?«

»Ja. Sie sprachen von dem seltsamen Tode von Valentine.«

»Ah! ja, das ist wahr; doch warum ist Frau von Villefort nicht hier?«

»Die liebe arme Frau!« versetzte Debray; »sie ist ohne Zweifel damit beschäftigt, Melissenwasser für die Hospitäler zu destillieren und kosmetische Mittel für sich und ihre Freundinnen zu bereiten. Sie wissen, daß sie für diese Unterhaltung jährlich, wie man sagt, zwei bis dreitausend Thaler ausgibt. Sie haben in der Tat Recht, warum ist Frau von Villefort nicht hier? Ich hätte sie mit großem Vergnügen gesehen, denn ich liebe diese Frau ungemein.«

»Und ich.« sprach Chateau-Renaud, »ich hasse sie.«

»Warum?«

»Ich weiß es nicht. Warum liebt man? warum haßt man? Ich hasse sie aus Antipathie.«

»Oder abermals aus Instinkt.«

»Möglich . . . Doch kommen wir aus Ihre Rede zurück, Beauchamp.«

»Wohl!« versetzte Beauchamp, »sind Sie nicht neugierig, zu erfahren, warum man so plötzlich in dem Hause von Villefort stirbt?«

»Meiner Treue!« sagte Debray, »ich verliere dieses seit drei Monaten mit Trauer behängte Haus nicht aus dem Auge, und noch vorgestern, bei Veranlassung des Todes von Valentine, sprach Madame*** mit mir darüber.«

»Wer ist Madame***?« fragte Chateau-Renaud.

»Bei Gott! die Frau des Ministers.«

»Ah! verzeihen Sie, ich besuche die Minister nicht, ich überlasse dies den Prinzen.«

»Sie waren nur schön. Sie werden strahlend, Baron, haben Sie Mitleid mit uns, oder Sie werden uns, wie ein zweiter Jupiter, versengen.«

»Ich werde nichts mehr sagen,« erwiderte Chateau-Renaud. »doch haben Sie Mitleid mit mir und verschonen Sie mich mit Gegenbemerkungen.«

»Lassen Sie uns zum Ziele unseres Gespräches kommen, Beauchamp? ich sagte Ihnen, Madame*** habe mich vorgestern um Auskunft über diese Sache gebeten, belehren Sie mich, und ich werde sie belehren.«

»Ei! meine Herren, wenn man in dem Hause Villefort so plötzlich stirbt, so geschieht es, weil ein Mörder dort ist.«

Die zwei jungen Leute bebten, denn es war Ihnen mehr als einmal derselbe Gedanke gekommen.

»Und wer ist dieser Mörder?« fragten sie gleichzeitig.

»Der junge Eduard.«

Ein schallendes Gelächter der zwei Zuhörer brachte den Redner durchaus nicht aus der Fassung, und er fuhr fort:

»Ja, meine Herren, der junge Eduard, ein Kind, das man als ein Phänomen zu betrachten hat, denn es bringt bereits Alles um.«

»Das ist ein Scherz!«

»Keines Wegs: ich habe gestern einen Bedienten angenommen, der bei Villefort ausgetreten ist: hören Sie, was ich Ihnen sage.«

»Wir hören.«

»Morgen schicke ich ihn wieder fort, denn er ißt ungeheuer, um sich von dem Fasten zu erholen, das er sich dort aus Schrecken auferlegt hatte. Nun, es scheint, dieses Kind hat sich eines Fläschchens mit einer Drogue bemächtigt, und bedient sich dieser Drogue von Zeit zu Zeit gegen diejenigen, welche ihm nicht gefallen. Zuerst mißfielen ihm der gute Papa und die gute Mama Saint-Meran, und er flößte ihnen drei Tropfen von seinem Elixir ein: drei Tropfen genügen: dann war es der brave Barrois, ein alter Diener des guten Papa Noirtier, der bisweilen den liebenswürdigen Jungen hart anließ: der liebenswürdige Junge gab ihm drei Tropfen von seinem Elixir; dann kam die Reihe an Valentine, diese ließ ihn zwar nicht hart an, aber er war eifersüchtig aus sie: er flößte ihr drei Tropfen ein, und für sie, wie für die Andern, war Alles vorbei.«

»Aber was Teufels erzählen Sie uns denn da?« sagte Chateau-Renaud.

»Ja, nicht wahr, ein Märchen aus der andern Welt?« erwiderte Beauchamp.

^Das ist abgeschmackt,« sprach Debray.

»Ah! Sie suchen bereits verzögernde Mittel!« entgegnete Beauchamp. »Fragen Sie meinen Bedienten, oder vielmehr denjenigen, welcher morgen nicht mehr mein Bedienter sein wird: es herrschte dieses Gerücht im ganzen Hause.«

»Doch das Elixir, wo ist es? was ist es?«

»Verdammt! das Kind verbirgt es.«

»Wo hat es dasselbe genommen?«

»In dem Laboratorium seiner Frau Mutter.«

»Seine Mutter hat also Gift in ihrem Laborstorium?«

»Weiß ich es? Sie stellen da Fragen an mich, wie ein Staatsanwalt. Ich wiederhole nur, was man mir gesagt hat; ich nenne Ihnen meine Quelle, mehr kann ich nicht tun. Der arme Teufel von einem Bedienten aß vor Angst nicht mehr.«

»Das ist unglaublich!«

»Nein, mein Lieber, das ist durchaus nicht unglaublich: Sie haben gesehen, wie sich im vorigen Jahre jenes Kind der Rue Richelieu damit belustigte, daß es seine Brüder und Schwestern umbrachte, indem es ihnen, während sie schliefen, eine Nadel in das Ohr steckte. Die aus uns folgende Generation ist sehr frühreif, mein Lieber!«

»Mein Freund.« sprach Chateau-Renaud, »ich wette, Sie glauben nicht ein Wort von dem, was Sie uns da erzählen? . . . Doch ich sehe den Grafen von Monte Christo nicht: warum ist er nicht hier?«

»Er ist solcher Szenen überdrüssig.« sagte Debray; »auch wird er nicht vor der Welt erscheinen wollen, nachdem er sich von allen diesen Cavalcanti hat bethören lassen; sie kamen, wie es scheint, mit falschen Beglaubigungsschreiben zu ihm, und er hat nun für hunderttausend Franken Hypotheken aus das Fürstentum.«

»Ei! Herr von Chateau-Renaud, wie geht es Morrel?« fragte Beauchamp.

»Meiner Treue, ich bin bereits dreimal bei ihm gewesen, und es war kein Morrel zu finden. Seine Schwester kam mir indessen nicht dadurch beunruhigt vor, und sie sagte mir mit einem sehr heiteren Gesichte, sie hätte ihn seit ein paar Tagen auch nicht gesehen, doch sie wäre überzeugt, er befände sich wohl.«

»Ah! es fällt mir ein, der Graf von Monte Christo kann nicht in den Saal kommen!« sprach Beauchamp.

»Warum dies?«

»Weil er bei diesem Drama handelnde Person ist.«

»Hat er auch Jemand ermordet?« fragte Debray.

»Nein, man wollte im Gegenteil ihn ermorden. Sie wissen, daß der gute Herr von Caderousse, als er von dem Hause des Grafen wegging, von seinem Freunde Benedetto ermordet worden ist. Sie wissen, daß man bei Monte Christo die berüchtigte Weste gefunden hat, in der der Brief war, durch welchen die Unterzeichnung des Vertrages gestört wurde. Sehen Sie die berüchtigte Weste? sie liegt dort ganz blutig als Beweisstück aus dem Bureau.«

»Ah! sehr gut!«

»Stille, meine Herren, der Gerichtshof erscheint; gehen wir an unsere Plätze.«

Man vernahm in der Tat ein gewaltiges Geräusch im Gerichtssaale; der Stadtsergent machte seine zwei Schützlinge durch ein kräftiges He! aufmerksam, und der Huissier rief, aus der Schwelle des Beratungssaales erscheinend, mit jener quiekenden Stimme, welche den Huissiers schon zur Zeit von Beaumarchais eigenthümlich war:

»Meine Herren, der Gerichtshof!«

Fünfzehntes Kapitel.
Die Anklageakte

Die Richter traten mitten unter dem tiefsten Stillschweigen ein; die Geschworenen nahmen ihre Plätze; Herr von Villefort, der Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit, wir möchten beinahe sagen Bewunderung, setzte sich bedeckt in seinen Lehnstuhl und schaute ruhig umher.

Jeder betrachtete mit Erstaunen das ernste, strenge Antlitz, über dessen Unempfindlichkeit die persönlichen Schmerzen keine Gewalt zu haben schienen, und man sah mit einem gewissen Schrecken diesen den Regungen der Menschlichkeit fremden Mann an.

»Gendarmen,« sprach der Präsident, »führt den Angeklagten vor.«

Bei diesen Worten wurde die Aufmerksamkeit des Publicums lebhafter und Aller Augen waren aus die Thüre gerichtet, durch welche Benedetto eintreten sollte.

Bald öffnete sich diese Thüre und der Angeklagte erschien.

Der Eindruck war bei Jedermann der gleiche, Niemand täuschte sich in dem, was in seinem Gesichte zu lesen war.

Seine Züge trugen nicht das Gepräge jener tiefen Aufregung, welche das Blut zum Herzen zurückdrängt und die Stirne und die Wangen entfärbt. Seine Hände, die eine zierlich aus den Hut, die andere in die Öffnung seiner Weste von weißem Piqué gelegt, wurden von keinem Schauer geschüttelt, sein Auge war ruhig und glänzend. Kaum war er im Saal, als der Blick des jungen Mannes alle Reihen der Richter und der Anwesenden durchlief und länger auf dem Präsidenten und besonders aus dem Staatsanwalt haften blieb.

Neben Andrea setzte sich der Advokat, den er gewählt, oder vielmehr der von Amtswegen gewählte Advokat (denn Andrea hatte sich mit diesen Einzelheiten, auf die er keinen Wert legte, nicht beschäftigen wollen), ein junger Mensch mit mattblonden Haaren und einem Gesichte, das hundertmal mehr durch die Aufregung geröthet war, als das des Angeklagten.

Der Präsident verlangte die Verlesung der, wie man weiß, durch die so geschickte und unversöhnliche Feder von Villefort abgefaßten Anklageakte.

Während dieser lang anhaltenden Verlesung, welche für jeden Andern niederdrückend gewesen wäre, war die öffentliche Aufmerksamkeit unabläßig aus Andrea gerichtet, der das Gewicht derselben mit der Seelenheiterkeit eines Spartaners ertrug.

Nie vielleicht war Villefort so scharf, so beredt gewesen; das Verbrechen wurde unter den lebhaftesten Farben dargestellt; die früheren Verhältnisse des Angeklagten, seine Verwandlung, die Verkettung seiner Handlungen seit einem ziemlich zarten Alter wurden mit dem ganzen Talente auseinandergesetzt, welches die Lebenspraxis und die Kenntnis des menschlichen Herzens einem so erhabenen Geiste, wie es der des Staatsanwaltes war, zu gewähren vermochten.

Schon durch den Eingang allein war Benedetto auf ewig in der öffentlichen Meinung verloren, bis ihn das Gesetz auf eine materiellere Weise bestraft haben würde.

Andrea schenkte den auf einander folgenden Anklagen, welche sich gegen ihn erhoben und aus ihn fielen, nicht die geringste Aufmerksamkeit. Herr von Villefort, der ihn oft prüfend anschaute und an ihm ohne Zweifel die physiologischen Studien fortsetzte, die er häufig an den Angeklagten zu machen Gelegenheit gehabt hatte, Herr von Villefort konnte es nicht einmal dahin bringen, daß er die Augen vor ihm niederschlug, wie starr und tief auch sein Blick sein mochte.

Endlich war die Verlesung vorüber.

»Angeklagter,« sprach der Präsident, »Ihr Name und Ihr Vorname?«

Andrea stand auf.

»Verzeihen Sie, Herr Präsident,« sagte er mit einer Stimme von vollkommen reinem Klang, »ich sehe, Sie belieben eine Ordnung der Fragen, in der ich Ihnen nicht folgen kann. Ich werde es mir später zur Ausgabe machen, die Behauptung zu rechtfertigen, daß ich eine Ausnahme von den gewöhnlichen Angeklagten bin. Wollen Sie mir also erlauben, einer abweichenden Ordnung folgend zu antworten; ich werde. darum nicht minder Alles beantworten.«

Der Präsident schaute erstaunt die Geschworenen an, welche ihrerseits den Staatsanwalt anschauten.

Eine große Verwunderung offenbarte sich in der ganzen Versammlung.

Doch Andrea schien keines Wegs darüber in Bewegung zu geraten.

»Ihr Alter?« fragte der Präsident; »werden Sie diese Frage beantworten?«

»Ich werde diese Frage wie die andern beantworten, doch in ihrer Reihe.«

»Ihr Alter?« wiederholte der Präsident.

»Ich bin ein und zwanzig Jahre alt, oder vielmehr ich werde es erst in einigen Tagen, denn ich bin in der Nacht vom 27. aus den 28. September im Jahre 1817 geboren.«

Herr von Villefort, der eben damit beschäftigt war, eine Note zu machen, hob bei diesem Datum rasch den Kopf empor.

»Wo sind Sie geboren? fragte der Präsident.

»In Auteuil, bei Paris,« antwortete Benedetto.

Herr von Villefort hob den Kopf abermals empor, schaute Benedetto an, als ob er das Haupt der Meduse erblickt hätte, und wurde leichenblaß.

Benedetto aber fuhr anmutig über seine Lippen mit den gestickten Zipfeln eines Sacktuches von seinem Battist.

»Ihr Gewerbe?« fragte der Präsident.

»Anfangs war ich Fälscher,« erwiderte Andrea auf das Allerruhigste, »dann wurde ich Dieb, und in der jüngsten Zeit habe ich mich zum Mörder gemacht.«

Ein Gemurmel, oder vielmehr ein Sturm der Entrüstung brach in allen Teilen des Saales los; die Richter selbst schauten ihn erstaunt an, die Richter sogar gaben den größten Ekel gegen die Schamlosigkeit kund, welche man so wenig von einem so eleganten Manne erwartete.

Herr von Villefort drückte eine Hand auf seine Stirne, welche, Anfangs bleich. Plötzlich rot und brausend geworden war: es fehlte ihm an Luft.

»Suchen Sie etwas, Herr Staatsanwalt?« fragte Benedetto mit seinem höflichsten Lächeln.

Herr von Villefort antwortete nicht, sondern setzte sich, oder sank vielmehr auf seinen Stuhl zurück.

»Und nun, Angeklagter, willigen Sie ein, Ihren Namen zu sagen?« fragte der Präsident. »Die rohe Eitelkeit, mit der Sie Ihre verschiedenen Verbrechen, welche Sie als Ihr Gewerbe bezeichnen, aufgezählt haben, die Ehre, die Sie in dieses Gewerbe setzen, während der Gerichtshof im Namen der Moral und der Achtung, die man der Menschheit schuldig ist, Sie hierüber aus das Strengste tadeln muß, sind vielleicht der Grund, auf dem Sie sich zu nennen zögern: Sie wollen vielleicht diesen Namen durch die ihm vorhergehenden Titel hervorheben.«

»Es ist unglaublich, Herr Präsident,« sprach Benedetto mit dem anmutigsten Tone und mit den artigsten Manieren, »es ist unglaublich, wie Sie im Grunde meines Geistes lesen; ich habe Sie in der Tat in dieser Absicht gebeten, die Ordnung der Fragen zu verkehren.«

Das Erstaunen erreichte den höchsten Grad; es lag in den Worten des Angeklagten weder mehr Prahlerei, noch Schamlosigkeit; das bewegte Auditorium hatte das Vorgefühl, daß aus dieser düstern Wolke ein Blitz hervorbrechen mußte.

»Nun!« sagte der Präsident, »Ihr Name?«

»Ich bin nicht im Stande, Ihnen meinen Namen zu nennen, denn ich weiß ihn nicht: doch ich weiß den meines Vaters und kann Ihnen denselben sagen.«

Ein schmerzhafter Schwindel blendete Villefort und ließ von seinen Wangen rasch hinter einander Tropfen herben Schweißes auf das Papier fallen, das er mit krampfhafter Hand schüttelte.

»So sagen Sie den Namen Ihres Vaters,« sprach der Präsident.

Kein Hauch, kein Atemzug störte das Stillschweigen dieser ungeheuren Versammlung: Jedermann wartete.

»Mein Vater ist Staatsanwalt,« antwortete ruhig Andrea.

»Staatsanwalt!« rief der Präsident bestürzt und ohne die Verstörung zu bemerken, welche in den Gesichtszügen von Herrn von Villefort vorging; »Staatsanwalt!«

»Ja, und da Sie seinen Namen wissen wollen, so will ich Ihnen denselben nennen: er heißt Villefort.«

Der so lange aus Achtung vor der Würde des Gerichtshofes zurückgehaltene Ausbruch erfolgte jetzt wie ein Donner aus der Brust von allen Anwesenden: der Gerichtshof selbst dachte nicht daran, diese Bewegung der Menge zu unterdrücken. Die an Benedetto, welcher stets unempfindlich blieb, gerichteten Vorwürfe und Schmähungen, die kräftigen Gebärden, die Bewegungen der Gendarmen, das Hohngelächter jenes schmutzigen Teiles, der bei jeder Versammlung in den Augenblicken der Unruhe und des Skandals auf die Oberfläche steigt.

Alles dies dauerte fünf Minuten, ehe die Behörden und die Huissiers das Stillschweigen wiederherzustellen vermochten.

Mitten unter diesem Lärmen hörte man die Stimme des Präsidenten rufen:

»Sie spotten des Gerichtes, Angeklagter: sollten Sie es wagen, Ihren Mitbürgern das Schauspiel einer Verdorbenheit zu geben, welche in einer Zeit, die in dieser Hinsicht doch nichts zu wünschen übrig läßt, ihres Gleichen nicht hätte?«

Zehn Personen drängten sich um den auf seinem Stuhle halb niedergeschmetterten Staatsanwalt und boten ihm Tröstungen, Ermutigungen, Beteuerungen ihres Eifers und ihres Mitgefühls.

Die Ruhe war im Saale wiederhergestellt, mit Ausnahme eines einzigen Punktes, wo eine ziemlich zahlreiche Gruppe sich Gebärdete und flüsterte.

Eine Frau war, wie man sagte, in Ohnmacht gefallen; man hatte sie an Salzen riechen lassen, und sie war wieder zu sich gekommen.

Andrea wandte während dieses ganzen Tumultes sein lächelndes Gesicht der Versammlung zu; dann stützte er sich mit der anmutigsten Haltung auf das eichene Geländer seiner Bank und sprach:

»Meine Herren, Gott bewahre mich, daß ich den Gerichtshof zu beleidigen und in Gegenwart dieser ehrenwerten Versammlung einen unnützen Skandal zu machen suche. Man fragt mich, wie alt ich sei, ich sage es: man fragt mich, wo ich geboren sei, ich antworte; man fragt mich nach meinem Namen, ich kann ihn nicht nennen, weil meine Eltern mich verlassen haben. Doch ohne meinen Namen zu nennen, da ich keinen habe, kann ich den meines Vaters nennen: ich wiederhole also, mein Vater heißt Herr von Villefort, und ich bin bereit, es zu beweisen.«

Der Ton des jungen Mannes hatte das Gepräge einer Gewißheit, einer Überzeugung, einer Energie, wodurch der Aufruhr zum Stillschweigen gebracht wurde. Die Blicke richteten sich allgemein aus den Staatsanwalt, der aus seinem Sitze die Unbeweglichkeit eines Menschen beobachtete, welchen der Blitz in eine Leiche verwandelt hat.

»Meine Herren,« fuhr Andrea, durch die Gebärde und durch die Stimme Stillschweigen heischend, fort, »meine Herren, ich bin Ihnen den Beweis und die Erklärung meiner Worte schuldig.«

»Aber Sie haben bei der Untersuchung erklärt, Sie hießen Benedetto,« rief heftig der Präsident, »Sie haben gesagt, Sie wären eine Waise, und nannten Corsica als Ihr Vaterland.«

»Ich habe bei der Untersuchung gesagt, was mir dabei zu sagen beliebte, denn der feierliche Klang, den ich meinen Worten geben wollte, sollte nicht, was unfehlbar geschehen wäre, geschwächt oder gehemmt werden.

»Ich wiederhole Ihnen, daß ich in Auteuil in der Nacht vom 27. aus den 28. September des Jahres 18l7 geboren wurde und der Sohn des Herrn Staatsanwaltes von Villefort bin. Wollen Sie nun die Einzelheiten wissen? ich werde sie Ihnen sagen.

»Ich wurde geboren im ersten Stocke des Hauses Nro, 28, Rue de la Fontaine, in einem mit rotem Damast austapezirten Zimmer. Mein Vater sagte meiner Mutter, ich wäre tot, nahm mich in seine Arme, wickelte mich in eine mit einem H. und mit 15. bezeichnete Serviette, und trug mich in den Garten, wo er mich lebendig begrub.«

Ein Schauer durchlief alle Anwesende, als sie sahen, daß die Sicherheit des Angeklagten mit dem Schrecken von Herrn von Villefort wuchs.

»Doch woher wissen Sie diese einzelnen Umstände?« fragte der Präsident.

»Ich will es Ihnen sagen, Herr Präsident: In den Garten, wo mich mein Vater begraben, hatte sich in dieser Nacht ein Mensch geschlichen, der ihn auf den Tod haßte und seit langer Zeit auf ihn lauerte, um eine corsische Rache an ihm zu vollziehen. Dieser Mensch war in einem Gesträuch verborgen: er sah meinen Vater ein Kistchen in die Erde verschließen und brachte ihm einen Messerstich mitten in seiner Arbeit bei: im Glauben, das Kistchen enthielte einen Schatz, öffnete er das Grab und fand mich noch am Leben. Dieser Mensch trug mich in das Hospital der Findelkinder, wo ich unter der Nummer 37 eingeschrieben wurde. Drei Monate nachher machte seine Schwägerin; die Reise von Rogliano nach Paris, um mich zu holen, forderte mich als ihren Sohn zurück und brachte mich nach Hause.

»Deshalb bin ich, obgleich in Auteuil geboren, doch in Corsica erzogen worden.«

Es herrschte einen Augenblick ein so tiefes Stillschweigen, daß man, abgesehen von der Angst, welche die Brust von Tausenden zu atmen schien, den Saal hätte für leer halten sollen.

»Fahren Sie fort,« sprach die Stimme des Präsidenten.

»Ich konnte allerdings glücklich sein bei den braven Leuten, die mich anbeteten; aber meine verkehrte Natur trug den Sieg über alle Tugenden davon, welche meine Adoptivmutter in mein Herz zu pflanzen suchte. Ich wuchs im Schlechten und gelangte zum Verbrechen.

»Eines Tages, als ich Gott verfluchte, daß er mich so böse gemacht und mir ein so abscheuliches Geschick gegeben, kam mein Adoptivvater zu mir und sprach:

»»Lästere nicht, Unglücklicher! denn Gott hat Dir das Tageslicht ohne Zorn verliehen, das Verbrechen kommt von Deinem Vater und nicht von Dir, von Deinem Vater, der Dich der Hölle weihte, wenn Du sterben, dem Elend, wenn ein Wunder Dich dem Leben zurückgeben würde!««

»Von da an hörte ich aus, Gott zu lästern, aber ich verfluchte meinen Vater; und darum ließ ich hier die Worte vernehmen, die Sie mir vorgeworfen, Herr Präsident; darum habe ich den Skandal veranlaßt, über den diese Versammlung noch bebt. Ist dies ein Verbrechen mehr, so bestrafen Sie mich, habe ich Sie jedoch überzeugt, daß von meiner Geburt an mein Schicksal ein unseliges, schmerzliches, bitteres war, so beklagen Sie mich!«

»Doch Ihre Mutter?« fragte der Präsident.

»Meine Mutter hielt mich für tot: meine Mutter ist nicht schuldig. Ich wollte ihren Namen nicht wissen, und kenne ihn nicht.«

In diesem Augenblick ertönte ein schriller Schrei, der sich in einem Schluchzen endigte, mitten aus einer Gruppe, welche, wie gesagt, eine Frau umgab.

Diese Frau hatte einen heftigen Nervenanfall und wurde aus dem Gerichtssaale weggetragen; während man sie wegtrug, verschob sich der dicke Schleier, der ihr Gesicht verbarg, und man erkannte Madame Danglars.

Trotz des Druckes, der aus seinen geschwächten Sinnen lastete, trotz des Gesummes, das sein Ohr erfüllte, trotz des Wahnsinnes, der sein Gehirn durchtobte, erkannte sie Herr von Villefort ebenfalls und stand auf.

»Die Beweise? die Beweise?« sagte der Präsident; »Angeklagter, erinnern Sie sich, daß dieses Gewebe von Gräueln durch die untrüglichsten Beweise unterstützt werden muß.«

»Die Beweise?« versetzte Benedetto lachend, »die Beweise wollen Sie haben?«

»Ja.«

»Wohl! schauen Sie Herrn von Villefort an, und verlangen Sie noch einmal die Beweise.«

Jedermann wandte sich gegen den Staatsanwalt um, der unter dem Gewichte von tausend auf ihn gehefteten Blicken, wankend, die Haare in Unordnung, das Gesicht hochrot durch das Pressen seiner Nägel, in den Kreis des Tribunals trat.

Die ganze Versammlung ließ ein langes Gemurmel des Erstaunens vernehmen.

»Man verlangt die Beweise von mir, mein Vater,« sprach Benedetto; »soll ich sie geben?«

»Nein, nein,« stammelte Herr von Villefort mit gepreßter Stimme, »nein, es ist unnötig.«

»Wie, unnötig?« rief der Präsident, »was wollen Sie damit sagen?«

»Ich will damit sagen,« entgegnete der Staatsanwalt, »daß ich mich vergebens unter dem tröstlichen Drucke, der mich niederwirft, zerarbeiten würde. Meine Herren, ich erkenne es, ich bin in der Hand des rächenden Gottes. Keine Beweise! Es bedarf dessen nicht: Alles, was dieser junge Mensch gesagt hat, ist wahr.«

Ein düsteres, schwer lastendes Stillschweigen, wie das, welches den Katastrophen der Natur vorhergeht, hüllte in seinen bleiernen Mantel alle Anwesende, denen sich die Haare aus dem Haupte sträubten.

»Wie! Herr von Villefort,« rief der Präsident, »Sie weichen nicht der Macht eines Anfalles von Irrsinn! Wie! Sie besitzen Ihre Fähigkeiten im ganzen Umfange! Es ließe sich leicht begreifen, wenn eine so seltsame, so unvorhergesehene, so furchtbare Anklage Ihren Geist gestört hätte; auf, Herr von Villefort, beruhigen Sie sich!«

Der Staatsanwalt schüttelte den Kopf. Seine Zähne schlugen heftig an einander, wie die eines Menschen, der vom Fieber verzehrt wird, und dennoch war er bleich wie der Tod.

»Ich bin ganz und gar bei Sinnen,« sprach er; »der Körper allein leidet, und das läßt sich begreifen. Ich erkenne mich schuldig Alles dessen, was dieser junge Mensch gegen mich vorgebracht hat, und ich halte mich von dieser Stunde an in meinem Hause zur Verfügung des Herrn Staatsanwaltes, meines Nachfolgers.«

Nachdem er diese Worte mit dumpfer, beinahe erstickter Stimme gesprochen hatte, ging Herr von Villefort wankend aus die Thüre zu, die ihm mit einer maschinenmäßigen Bewegung der Huissier vom Dienste öffnete.

Die ganze Versammlung blieb stumm durch diese Offenbarung und durch dieses Geständnis, wodurch eine so furchtbare Entwicklung den räthselhaften Erscheinungen verliehen wurde, die seit vierzehn Tagen die hohe Pariser Gesellschaft in Bewegung setzten.

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Litres'teki yayın tarihi:
10 aralık 2019
Hacim:
1870 s. 17 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain