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Kitabı oku: «Der Graf von Monte Christo», sayfa 105

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Und nachdem sie die Hand des Grafen mit ihrer bebenden Hand berührt, stürzte Mercedes nach der Treppe und verschwand aus seinen Augen.

Monte Christo verließ langsam das Haus und schlug den Weg nach dem Hafen ein.

Doch Mercedes sah nicht, wie er sich entfernte, obgleich sie in dem kleinen Zimmer des Vaters von Dantes an dem Fenster stand. Ihre Augen suchten in der Ferne das Schiff, das ihren Sohn nach dem weiten Meere fort trug,

Wohl murmelte ihre Stimme gleichsam unwillkürlich und ganz leise:

»Edmond! Edmond! Edmond!«

Neunzehntes Kapitel.
Die Vergangenheit

Der Graf ging mit wundem Herzen aus dem Hause, wo er Mercedes zurückließ, um sie aller Wahrscheinlichkeit nach nie mehr zu sehen.

Seit dem Tode des kleinen Eduard war eine gewaltige Veränderung in Monte Christo vorgegangen. Aus dem Gipfel seiner Rache angelangt, zu dem er auf einem steilen und gekrümmten Pfade hinaufgestiegen war, hatte er aus der anderen Seite des Berges den Abgrund des Zweifels erblickt.

Mehr noch: das Gespräch, das so eben zwischen ihm und Mercedes stattgefunden, hatte so viele Erinnerungen in seinem Herzen erweckt, daß diese Erinnerungen selbst bekämpft werden mußten.

Ein Mann von der mächtigen Beschaffenheit des Grafen konnte nicht lange in dieser Schwermut schweben, welche gemeine Geister, denselben eine scheinbare Originalität verleihend, leben zu lassen vermag, erhabene Seelen aber tötet. Der Graf sagte sich, insofern es beinahe dahin gekommen, daß er sich mißbilligt hätte, müßte sich ein Irrtum in seine Berechnungen eingeschlichen haben.

»Ich betrachte die Vergangenheit in einem falschen Lichte,« sprach er, »ich kann mich nicht so sehr getäuscht haben.

»Wie!« fuhr er fort, »der Zweck, den ich mir vorgesetzt, wäre ein unsinniger Zweck gewesen! wie! ich hätte seit zehn Jahren einen falschen Weg verfolgt! wie! eine Stunde hätte genügt, um dem Architekten zu beweisen, das Werk aller seiner Hoffnungen wäre ein, wenn nicht unmögliches, doch wenigstens gotteslästerliches Werk!

»Ich will mich an diesen Gedanken nicht gewöhnen, er würde mich verrückt machen. Was meinem Urteile von heute fehlt, ist die genaue Würdigung der Vergangenheit, weil ich diese Vergangenheit vom andern Ende des Horizonts ansehe. In der Tat, je mehr man fortschreitet, desto mehr verschwindet die Vergangenheit nach dem Maaßstabe der Entfernung, der Landschaft ähnlich, die man durchwandert. Es begegnet mir, was den Leuten begegnet, die sich im Traume verwundet haben: sie sehen, und fühlen ihre Wunde und erinnern sich nicht, dieselbe bekommen zu haben.

»Vorwärts Wiedergeborener: vorwärts unermeßlich Reicher: vorwärts, erweckter Schläfer; vorwärts allmächtiger Seher: vorwärts unbesiegbarer Millionär, nimm für einen Augenblick wieder die traurige Perspektive Deines elenden, hungrigen Lebens, durchwandere wieder die Wege, aus die Dich das Verhängnis gestoßen und das Unglück geführt, wo die Verzweiflung Dich ausgenommen hat; es strahlen heute zu viele Diamanten, zu viel Gold, zu viel Glück aus den Gläsern des Spiegels, worin Monte Christo Dantes betrachtet: verbirg diese Diamanten, beschmutze dieses Gold, vertilge diese Strahlen; Reicher, suche den Armen auf; Freier, suche den Gefangenen auf; Wiedererweckter, suche den Leichnam auf.«

Während Monte Christo so mit sich sprach, folgte er der Rue de la Caisserie. Es war die Straße, durch die ihn vier und zwanzig Jahre vorher eine schweigsame, nächtliche Wache geführt hatte; diese Häuser mit dem lachenden, belebten Anblick waren in jener Nacht, düster, stumm und geschlossen.

»Es sind dennoch dieselben,« murmelte Monte Christo: »nur war es damals Nacht, und heute ist es heller Tag. die Sonne beleuchtet dies Alles, die Sonne macht Alles freudig.

Er ging aus dem Quai hinab durch die Rue Saint-Laurent, und wanderte nach der Consigne: dies war der Punkt des Hafens, wo man ihn eingeschifft hatte. Ein zu Spazierfahrten bestimmtes Schiff kam mit seinem Drillichdache vorüber; Monte Christo rief dem Patron, der sogleich mit dem Eifer auf ihn zufuhr, den die Ruderer an den Tag legen, wenn sie eine gute Ernte riechen.

Das Wetter war herrlich, die Fahrt war ein Fest. Am Horizont stieg die Sonne rot und flammend in die Wellen hinab, die sich bei ihrer Annäherung entzündeten; glatt wie ein Spiegel, runzelte sich zuweilen das Meer unter den Sprüngen von Fischen, die. von irgend einem verborgenen Feinde verfolgt, sich aus dem Wasser warfen, um ihr Heil von einem anderen Elemente zu fordern: in der Ferne sah man endlich, weiß und anmutig wie die Wandernieren, die Fischerbarken, die sich nach den Martigues begaben, und die für Corsica oder Spanien geladenen Schiffe hinziehen.

Trotz, dieses schönen Himmels, trotz dieser Barken mit den anmutigen Umrissen, trotz des goldenen Lichtes, das die Landschaft übergoß, erinnerte sich der Graf, in seinen Mantel gehüllt, hinter einander aller der einzelnen Umstände dieser furchtbaren Fahrt: das einzige Licht, das bei den Cataloniern brannte, der Anblick des Castells If, der ihn belehrte, wohin er geführt wurde, der Kampf mit den Gendarmen, als er sich in das Meer stürzen wollte, seine Verzweiflung, da er sich besiegt sah, und die kalte Empfindung des Carabinerlaufes, der sich wie ein eiserner Ring an seinen Schläfe drückte, Alles dies trat lebhaft vor sein Gedächtnis.

Und allmälig fühlte der Graf von Monte Christo, wie jene durch den Sommer ausgetrockneten Quellen, welche, wenn sich die Herbstwolken aufhäufen, nach und nach sich befeuchten und Tropfen für Tropfen Wasser von sich geben, fühlte der Graf von Monte Christo, sagen wir, Tropfen für Tropfen in seiner Brust die alte ausgetretene Galle quellen, die einst das Herz von Edmond Dantes überströmt hatte.

Für ihn gab es von nun an keinen schönen Himmel, keine anmutige Barken, kein glühendes Licht mehr, der Himmel umzog sich mit einem Trauerflor, und die Erscheinung des schwarzen Riesen, den man das Castell If nennt, machte ihn beben, als ob plötzlich das Gespenst eines Todfeindes vor ihn getreten wäre.

Man kam an Ort und Stelle.

Instinktmäßig wich der Graf bis an das Ende der Barke zurück.

Der Patron mochte immerhin mit seinem freundlichsten Tone sagen:

»Wir landen, mein Herr.«

Monte Christo erinnerte sich, daß er aus derselben Stelle, aus demselben Felsen von seinen Wachen fortgeschleppt worden war, daß man ihn, mit der Spitze eines Bajonetes in seine Seite stechend, diese jähe Treppe hinauszusteigen genötigt hatte.

Der Weg war Dantes sehr lang vorgekommen; Monte Christo hatte ihn sehr kurz gesunden; jeder Ruderschlag, machte mit dem feuchten Staube des Meeres eine Million von Gedanken und Erinnerungen empor springen.

Seit der Julirevolution waren keine Gefangene mehr im Castell If; ein Posten, bestimmt, das Schmuggeln zu verhindern, bewohnte allein seine Wachtstuben; der Hausmeister erwartete die Fremden an der Thüre, um ihnen dieses Denkmal des Schreckens zu zeigen, das sich in ein Denkmal der Neugierde verwandelt hatte.

Und obgleich er von allen diesen Einzelheiten unterrichtet war, bemächtigte sich doch, als er unter das Gewölbe trat, als er die schwarze Treppe hinabstieg, als er in die Kerker geführt wurde, die er z« sehen verlangt hatte, eine kalte Blässe seiner Stirne, deren eisiger Schweiß bis in sein Herz zurückgedrängt wurde.

Der Graf erkundigte sich, ob noch irgend ein Gefangenenwärter aus der Zeit der Restauration vorhanden wäre: alle waren mit Ruhegehalt entlassen, oder zu anderen Ämtern übergegangen.

Der Hausmeister, der ihm das Castell zeigte, war erst seit 1830 da.

Man führte ihn in seinen eigenen Kerker.

Er sah wieder das bleiche Licht durch das enge Lustloch dringen, er sah den Platz, wo einst sein, seitdem weggenommenes, Bett stand, und hinter dem Bette, obgleich verstopft, doch immer noch durch die neueren Steine sichtbar, die von dem Abbé Faria gemachte Öffnung.

Monte Christo fühlte, wie seine Beine wankten; er nahm einen hölzernen Schemel und setzte sich darauf.

»Erzählt man auch noch andere Geschichten von dem Kastell, außer der von der Einkerkerung von Mirabeau?« fragte der Graf; »gibt es irgend eine Sage über diese finsteren Kerker, von denen man kaum glauben kann, es sei je ein Mensch lebendig darin eingeschlossen gewesen

»Ja, mein Herr,« antwortete der Hausmeister, »und gerade von diesem Kerker hat mir der Gefangenenwärter Antoine eine Geschichte mitgeteilt.«

Monte Christo bebte. Der Gefangenenwärter Antoine war sein Gefangenenwärter gewesen. Er hatte seinen Namen und sein Gesicht beinahe vergessen, doch als man ihm denselben nannte, sah er ihn wieder vor sich, wie er war, mit seinem dicken Barte, seinem braunen Wamms und seinem Schlüsselbund, dessen Klirren er noch zu hören wähnte.

Der Graf wandte sich um, er glaubte ihn im Gange mitten in dem Schatten zu sehen, welcher durch das Licht der in der Hand des Hausmeisters brennenden Fackel noch dichter geworden war.

»Soll ich dem Herrn die Geschichte erzählen?« fragte der Hausmeister.

»Ja,« erwiderte Monte Christo, »sprechen Sie.«

Und erschrocken darüber, daß er seine eigene Geschichte erzählen hören sollte, legte er die Hand aus seine Brust, um ein heftiges Schlagen des Herzens zurückzudrängen.

»Sprechen Sie,« wiederholte er.

»Dieser Kerker,« sagte der Hausmeister, »war vor langer Zeit von einem, wie es scheint, sehr gefährlichen Menschen bewohnt, von einem Menschen, den man um so mehr für gefährlich zu halten hatte, als er voll Gewandtheit und Schlauheit war. Gleichzeitig mit ihm bewohnte ein anderer Mensch das Castell; dieser war nicht bösartig, sondern nur ein armer, närrischer Priester.«

»Ah! ja, närrisch,« wiederholte Monte Christo, »und worin bestand seine Narrheit?«

»Er bot Millionen, wenn man ihn in Freiheit setzen würde.«

Monte Christo schlug die Augen zum Himmel aus, doch er sah den Himmel nicht; es war ein steinerner Schleier zwischen ihm und dem Firmament, Er bedachte, daß ein nicht minder dicker Schleier zwischen den Augen von denjenigen, welchen der Abbé seine Schätze bot, und diesen Schätzen selbst gewesen war.

»Konnten sich die Gefangenen sehen?« fragte Monte Christo.

»Oh! nein, mein Herr, das war ausdrücklich verboten; doch sie vereitelten das Verbot, indem sie eine Galerie von einem Kerker zum andern aushöhlten.«

»Wer von Beiden machte die Galerie?«

»Sicherlich der junge Mann,« sprach der Hausmeister; »der junge Mann war erfinderisch und stark, der alte Abbé aber alt und schwach; überdies war sein Geist zu schwankend, als daß er einen Gedanken hätte verfolgen können.«

»Die Blinden!« murmelte Monte Christo.

»So viel ist gewiss,« fuhr der Hausmeister fort, »der junge Mann höhlte eine Galerie aus: womit? das weiß man nicht; aber er höhlte sie aus, und zum Beweise dient, daß man noch die Spur davon sieht. Sehen Sie.«

Und er hielt die Fackel an die Wand.

»Ah! ja, in der Tat,« sprach Monte Christo mit erschütterter Stimme.

»Daraus ging hervor, daß die Gefangenen mit einander in Verbindung standen. Wie lange diese Verbindung dauerte, weiß man nicht. Eines Tages wurde nun der alte Gefangene krank und starb. Erraten Sie, was der junge that?« fragte der Hausmeister sich unterbrechend.

»Sprechen Sie.«

»Er trug den Gestorbenen fort, legte ihn mit der Nase gegen die Wand in sein eigenes Bett, kehrte in den leeren Kerker zurück, verstopfte das Loch und schlüpfte in den Sack des Toten. Haben Sie je von einem solchen Gedanken gehört?«

Monte Christo schloß die Augen und durchwanderte alle Eindrücke, die er empfunden, als ihm die grobe Leinwand, welche noch die Kälte des Leichnams an sich hatte, das Gesicht streifte.

Der Hausmeister fuhr fort:

»Hören Sie, was sein Plan war: er glaubte, man begrabe die Toten im Castell If, und da er vermutete, man mache sich nicht viel Unkosten mit einem Sarge für die Gefangenen, so gedachte er die Erde mit seinen Schultern auszuheben; doch zum Unglück war in dem Castell If ein Gebrauch, der seinen Plan verrückte: man begrub die Toten nicht, man beschränkte sich darauf, ihnen eine Kugel an die Füße zu binden und sie in das Meer zu schleudern, was auch geschah. Unser Mann wurde oben von der Galerie in das Wasser geworfen; am andern Tage fand man den wahren Toten in seinem Bett, und man erriet Alles, denn die Totengräber sagten nun, was sie bis dahin nicht zu sagen gewagt hatten, nämlich, sie hätten in dem Augenblick, wo sie den Körper in die Lust geschleudert, einen furchtbaren Schrei gehört, der auf der Stelle durch das Wasser, in welchem er verschwunden, erstickt worden wäre.

Der Graf atmete schmerzlich, der Schweiß lief von seiner Stirne, die Bangigkeit schnürte sein Herz zusammen.

»Nein!« murmelte er, »nein! der Zweifel, der sich in mir regte, war ein Anfang des Vergessens; doch hier höhlt sich das Herz abermals aus und wird wieder hungrig nach Rache. Und der Gefangene?« fragte er, »man hat nie von ihm sprechen hören?«

»Nie, gar nie: Sie begreifen, es sind nur zwei Fälle möglich: entweder ist er platt gefallen, und da er fünfzig Fuß hinabstürzte, so wird er aus der Stelle tot gewesen sein.«

»Sie sagten, man habe ihm eine Kugel an die Füße gebunden, folglich wird er senkrecht gefallen sein.«

»Oder er ist senkrecht gefallen,« fuhr der Hausmeister fort, »dann hat ihn die Kugel aus den Boden hinabgezogen, wo der arme Mensch geblieben ist.«

»Sie beklagen ihn?«

»Meiner Treue, ja! obgleich er in seinem Elemente war.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Es ging das Gerücht, dieser Unglückliche sei seiner Zeit Marineoffizier gewesen und als eifriger Bonapartist gefangen gehalten worden.«

»Wahrheit,« murmelte der Graf, »Gott hat Dich gemacht, um oben auf den Wellen und Flammen zu schwimmen. Also lebt der arme Seemann in der Erinnerung von einigen Erzählern; man teilt sich seine Geschichte an der Ecke eines Herdes mit und schauert in dem Augenblick, wo er die Lust durchschneidet, um in dem tiefen Meere zu versinken!«

»Man hat nie seinen Namen erfahren?« fragte laut der Graf.

»Ah! ja wohl, wie denn?« versetzte der Hausmeister; »er war nur unter dem Namen Nro. 34 bekannt.«

»Villefort! Villefort!« murmelte Monte Christo, »das mußtest Du Dir oftmals sagen, wenn Dich mein Gespenst in schlaflosen Nächten belästigte.«

»Will der Herr seinen Besuch fortsetzen?« fragte der Hausmeister.

»Ja, besonders wenn Sie mir das Zimmer des armen Abbé zeigen wollen.«

»Ah! des Nro. 27?«

»Ja, des Nro. 27,« wiederholte Monte Christo.

Und es kam ihm vor, als höre er noch die Stimme des Abbé Faria, wie dieser ihm die Nummer durch die Mauer, zurief.

»Folgen Sie mir.«

»Warten Sie,« sprach Monte Christo, »lassen Sie mich einen letzten Blick auf alle Teile dieses Kerkers werfen.«

»Das ist mir lieb,« versetzte der Führer, »ich habe den Schlüssel des andern vergessen.«

»Holen Sie ihn.«

»Ich lasse die Fackel hier zurück.«

»Nein, nehmen Sie die Fackel mit.«

»Doch Sie werden ohne Licht bleiben.«

»Ich sehe in der Nacht.«

»Gerade wie er.«

»Wer, er?«

»Der Nro. 34. Man sagt, er habe sich dergestalt an die Dunkelheit gewöhnt, daß. er eine Nadel in dem finstersten Winkel seines Kerkers hätte sehen können.

»Er brauchte zehn Jahre, um dazu zu gelangen,« murmelte der Graf.

, Der Führer entfernte sich mit der Fackel.

Der Graf hatte wahr gesprochen: kaum war er ein paar Minuten in der Finsternis, als er Alles wie am hellen Tage unterschied.

Er schaute nun umher und erkannte wirklich seinen Kerker.

»Ja,« sagte er, »dies ist der Stein, auf welchem ich saß! dies ist die Spur meiner Schultern, welche ihren Eindruck in der Mauer zurückließen! dies ist die Spur des Blutes, das von meiner Stirne floß, als ich mir eines Tags den Schädel an der Wand zerschmettern wollte! . . . Oh! diese Zahlen,  . . . ich erinnere mich derselben, . . ich machte sie eines Tags, als ich das Alter meines Vaters berechnete, um zu wissen, ob ich ihn lebendig wiederfinden würde, und das Alter von Mercedes, um zu wissen, ob ich sie frei wiedersehen sollte. Ich hatte einen Augenblick Hoffnung, nachdem ich diese Berechnungen gemacht . . . Ich rechnete ohne den Hunger und ohne die Untreue!«

Und ein bitteres Lachen entströmte dem Munde des Grafen. Er hatte wie in einem Traume seinen Vater nach dem Grabe führen . .. Mercedes zum Altar schreiten sehen!

Aus der andern Wand traf eine Inschrift seinen Blick. Sie hob sich noch weiß aus der grünlichen Wand hervor:

»Mein Gott, erhalte mir das Gedächtnis, « las der Graf.

»Oh! ja,« rief er, »das war das einzige Gebet meiner letzten Zeit; ich verlangte nicht die Freiheit, ich verlangte das Gedächtnis, ich befürchtete, ein Narr zu werden und zu vergessen; mein Gott, Du hast mir das Gedächtnis erhalten, und ich habe mich erinnert. Dank, Dank, mein Gott!«

In diesem Augenblick spiegelte das Licht der Fackel aus den Wänden. Der Führer stieg herab.

Monte Christo ging ihm entgegen.

»Folgen Sie mir,« sagte der Hausmeister: und ohne daß man nötig hatte, wieder an den Tag hinauszusteigen, ließ er ihn durch ein unterirdisches Gewölbe wandern, das zu einem andern Eingange führte.

Auch hier wurde Monte Christo von einer Welle von Gedanken ergriffen.

Vor Allem fiel ihm der an der Wand gezogene Meridian in die Augen, mit dessen Hilfe der Abbé Faria die Stunden zählte; dann sah er die Überreste des Bettes, auf welchem der arme Gefangene gestorben war.

Statt der Beklemmung, die der Graf in seinem Kerker empfunden hatte, erfüllte sein Herz bei diesem Anblick ein höheres, zärtlicheres Gefühl, ein Gefühl der Dankbarkeit, und zwei Tränen rollten aus seinen Augen hervor,

»Hier,« sprach der Führer, »hier war der verrückte Abbé, durch dieses Loch kam der junge Mensch zu ihm, und er zeigte Monte Christo die Öffnung der Galerie, die man auf dieser Seite nicht verstopft hatte. »An der Farbe des Steines,« fuhr er fort, »erkannte ein Gelehrter, daß die zwei Gefangenen ungefähr zehn Jahre mit einander in Verbindung gestanden haben dürften. Die armen Leute müssen sich während dieser zehn Jahre viel gelangweilt haben.«

Dantes nahm ein paar Louisd’or aus seiner Tasche und reichte seine Hand dem Manne, der ihn zum zweiten Male beklagte, ohne ihn zu kennen.

Der Hausmeister nahm sie, im Glauben, er erhalte einige Stücke Silbermünze, doch bei dem Scheine der Fackel erkannte er den Wert der Summe, die ihm der Fremde gab.

»Mein Herr,« sagte er zu ihm, »Sie haben sich getäuscht.«

»Wie so?«

»Sie haben mir Gold gegeben.«

»Ich weiß es wohl.«

»Wie! Sie wissen es?«

»Ja.«

»Es ist Ihre Absicht, mir dieses Gold zu geben?«

»Ja.«

»Und ich kann es mit gutem Gewissen behalten?«

»Ja.«

Der Concierge schaute Monte Christo voll Erstaunen an.

»Ehrlichkeit!« murmelte der Graf wie Hamlet.

»Mein Herr,« sagte der Hausmeister, der nicht an sein Glück zu glauben wagte, »mein Herr, ich begreife Ihre Großmut nicht.«

»Sie ist doch leicht zu begreifen, mein Freund,« versetzte der Graf: »ich bin Seemann gewesen und Eure Geschichte mußte mich mehr rühren, als Euch.«

»Mein Herr,« sprach der Führer, »da Sie so großmütig sind, so verdienen Sie, daß ich Ihnen etwas anbiete.«

»Was habt Ihr mir anzubieten, mein Freund? Muschel», Stroharbeiten? Ich danke.«

»Nein, mein Herr, nein: einen Gegenstand, der sich auf die so eben erzählte Geschichte bezieht.«

»In der Tat!« rief der Graf, »was ist es denn?«

»Hören Sie,« sprach der Hausmeister, »hören Sie, wie das gekommen ist: ich sagte mir, man findet immer etwas in einem Zimmer, in welchem ein Gefangener fünfzehn Jahr geblieben ist, und ich fing an die Wände zu sondieren.«

»Ah!« rief Monte Christo, sich des doppelten Versteckes des Abbé erinnernd,

»Nach langem Nachsuchen,« fuhr der Hausmeister fort, »entdeckte ich, daß es oben am Bette und unter dem Herde des Kamines hohl klang.«

»Ja,« sprach Monte Christo, »ja.«

»Ich nahm die Steine weg und fand . . . «

»Eine Strickleiter, Werkzeug!« rief der Graf.

»Woher wissen Sie dies?« fragte der Hausmeister voll Erstaunen.

»Ich weiß es nicht, ich errate es nur: man findet gewöhnlich dergleichen Dinge in den Verstecken der Gefangenen.«

»Ja, mein Herr,« sprach der Führer, »eine Strickleiter, Werkzeug.«

»Und Ihr habt diese Gegenstände noch?«

»Nein, mein Herr, ich verkaufte sie an Besuche, denn sie waren sehr seltsam; doch es bleibt mir noch etwas Anderes.«

»Was denn?« fragte der Graf ungeduldig.

»Es bleibt mir eine Art von Buch aus Leinwandstreifen geschrieben.«

»Oh!« rief Monte Christo, »Ihr habt dieses Buch?«

»Ich weiß nicht, ob es ein Buch ist, aber ich habe noch, was ich sage.«

»Holt es mir, mein Freund, geht,« sprach der Graf, »und wenn es das ist, was ich glaube, so seyd unbesorgt.«

»Ich eile, mein Herr.«

Der Führer ging hinaus.

Dann kniete der Graf frommer Weise vor den Überresten des Bettes nieder, aus dem der Tod für ihn einen Altar gemacht hatte und sprach:

»O! mein zweiter Vater, »Du, der Du mir die Freiheit. das Wissen, den Reichtum gegeben hast, Du, der Du, ähnlich den Geschöpfen von einer höheren Art, als wir sind, Kenntnis des Bösen und des Guten hattest, wenn in dem Grunde des Grabes etwas von uns übrig ist, was bei der Stimme derjenigen bebt, welche aus der Erde geblieben sind, wenn nach der Umwandlung, die der Leichnam erduldet, etwas Belebtes an den Orten schwebt, wo wir viel geliebt und viel gelitten haben, edles Herz, erhabener Geist, tiefe Seele, so benimm mir durch ein Wort, durch ein Zeichen, durch irgend eine Offenbarung, ich beschwöre Dich im Namen der väterlichen Liebe, die Du mir bewilligtest, und der kindlichen Ehrfurcht, die ich Dir widmete, benimm mir diesen Rest von Zweifel, der, wenn er sich nicht in Überzeugung verwandelt, ein Gewissensbiß werden wird.«

Der Graf neigte das Haupt und faltete die Hände.

»Sehen Sie, mein Herr!« sprach eine Stimme hinter ihm.

Monte Christo bebte und wandte sich um.

Der Hausmeister reichte ihm die Leinwandstreifen, auf denen der Abbé Faria alle Schätze seines Geistes ausgebreitet hatte.

Dieses Manuskript war das große Werk des Abbé Faria über das Königtum in Italien.

Der Graf bemächtigte sich desselben mit dem größten Eifer, seine Augen fielen zuerst aus die Überschrift und er las:

»Du wirst dem Drachen die Zähne ausreißen und die Löwen mit Füßen treten,« sagt der Herr.

»Ah!« rief er, »das ist die Antwort, ich danke, mein Vater, ich danke!«

Und er zog aus seiner Tasche ein kleines Portefeuille, das zehn Bankbillets jedes von tausend Franken enthielt.

»Nehmt dieses Portefeuille,« sagte er.

»Sie schenken es mir?«

»Ja, doch unter der Bedingung, daß Ihr erst hineinschaut, wenn ich weggegangen bin.«

Und an seiner Brust die wiedergefundene Reliquie bewahrend, die für ihn den Wert des reichsten Schatzes hatte, eilte er aus dem unterirdischen Gewölbe fort, bestieg wieder seine Barke und rief:

»Nach Marseille!«

Während sich das Fahrzeug von dem Castell If entfernte, sprach er, die Augen aus das düstere Gefängnis geheftet:

»Wehe denen, die mich in diesen finsteren .Kerker einsperren ließen, und denen, welche vergaßen, daß ich darin eingesperrt war!«

Als der Graf wieder an den Cataloniern vorüberkam, wandte er sich ab und murmelte, sein Haupt in den Mantel hüllend, den Namen einer Frau.

Der Sieg war vollständig, der Graf hatte zweimal den Zweifel niedergeschlagen.

Der Name, den er mit einem Ausdrucke der Zärtlichkeit, beinahe der Liebe aussprach, war der von Hayde.

Als Monte Christo den Fuß wieder aus die Erde setzte, wanderte er nach dem Kirchhofe, wo er Morrel zu finden wußte.

Auch er hatte zehn Jahre vorher frommer Weise ein Grab auf dem Friedhofe gesucht und vergebens gesucht. Er, der nach Frankreich mit Millionen zurückkam, hatte das Grab seines vor Hunger gestorbenen Vaters nicht finden können.

Morrel hatte ein Kreuz darauf setzen lassen, doch dieses Kreuz war gefallen, und der Totengräber hatte Feuer damit gemacht, wie dies die Totengräber mit allem alten Holze tun, das auf den Friedhöfen liegt.

Der würdige Handelsmann war glücklicher gewesen. In den Armen seiner Kinder gestorben, wurde er, von diesen geleitet, neben seiner Frau niedergelegt, die ihm um zwei Jahre in die Ewigkeit vorangegangen war.

Zwei große Marmorplatten, aus denen ihre Namen geschrieben standen, waren nebeneinander in einem kleinen Gehege ausgebreitet, das, durch die eiserne Balustrade geschlossen, von vier Zypressen überschattet wurde.

Maximilian lehnte an einem von diesen Bäumen heftete auf die zwei Gräber Augen ohne Blick.

Sein Schmerz war tief, beinahe der Schmerz eines Irrsinnigen.

»Maximilian,« sprach der Graf zu ihm, »nicht dorthin müssen Sie schauen, sondern hierher!«

»Die Toten sind überall,« erwiderte Morrel. »Ist es nicht das, was Sie mir sagten, als Sie mich Paris zu verlassen bewogen?«

»Maximilian, Sie drückten auf der Reise das Verlangen aus, sich einige Tage in Marseille auszuhalten; ist dies noch Ihr Wunsch?«

»Ich habe keinen Wunsch mehr, Graf; nur kommt es mir vor, ich werde weniger peinlich in Marseille als anderswo warten.«

»Desto besser, Maximilian, denn ich verlasse Sie und nehme Ihr Wort mit, nicht wahr?«

»Ah! ich werde es vergessen, Graf, ich werde es vergessen!«

»Nein, Sie werden es nicht vergessen, weil Sie vor Allem ein Mann von Ehre sind, Morrel, weil Sie geschworen haben, weil Sie noch einmal schwören werden.«

»Oh! Graf, haben Sie Mitleid mit mir! Graf, ich bin so unglücklich!«

»Ich habe einen Menschen gekannt, der unglücklicher war, als Sie, Morrel.«

»Unmöglich!«

»Ach!« sprach Monte Christo, »es gehört zum Stolze unserer armen Menschheit, daß Jeder sich unglücklicher glaubt, als einen andern Unglücklichen, der an seiner Seite weint und seufzt.«

»Was gibt es Unglücklicheres, als einen Menschen, der das einzige Gut, welches er aus der Welt begehrte und liebte, verloren hat?«

»Hören Sie, Morrel, und lassen Sie einen Augenblick Ihren Geist auf dem haften, was ich Ihnen sagen werde. Ich habe einen Menschen gekannt; bei dem alle seine Hoffnungen auf Glück, wie bei Ihnen, auf einer Frau beruhten. Dieser Mensch war jung, er hatte einen alten Vater, den er liebte, eine Braut, die er anbetete; er war im Begriff, sie zu heiraten, als plötzlich eine von den Launen des Schicksals, welche an Gott zweifeln machen könnten, wenn sich Gott nicht später offenbaren und zeigen würde, daß für ihn Alles ein Mittel ist, zu seiner unendlichen Einheit zu führen. als plötzlich eine Laune des Schicksals ihm seine Freiheit, seine Geliebte und die Zukunft raubte, die er träumte und für die seinige hielt (denn der Blinde vermochte nur in der Gegenwart zu lesen), um ihn in die Tiefe eines Kerkers zu stürzen.«

»Ah!« entgegnete Morrel, »man verläßt einen Kerker nach Verlauf von acht Tagen, von einem Monat, von einem Jahr.«

»Er blieb vierzehn Jahre, Morrel,« sprach der Graf, seine Hand auf die Schulter des jungen Mannes legend.

Maximilian bebte.

»Vierzehn Jahre!« murmelte er.

»Vierzehn Jahre,« wiederholte der Graf: »auch er hatte während dieser vierzehn Jahre viele Augenblicke der Verzweiflung, auch er hielt sich, wie Sie, Morrel, für den Unglücklichsten der Menschen und wollte sich töten.«

»Nun?«

»Nun! im äußersten Augenblick enthüllte sich ihm Gott durch ein menschliches Mittel, wenn Gott tut keine Wunder mehr: ganz am Anfang (es bedarf der Zeit für Augen, welche durch die Tränen verschleiert worden sind, um sich gänzlich zu öffnen) am Anfang begriff er vielleicht nicht die unendliche Barmherzigkeit des Herrn: endlich aber faßte er Geduld und wartete. Eines Tags kam er wie durch ein Wunder aus seinem Grabe verwandelt, reich, mächtig, beinahe Gott: sein erster Schrei galt einem Vater; sein Vater war tot.«

»Mein Vater ist auch tot,« sprach Morrel.

»Ja, aber Ihr Vater starb in Ihren Armen, unter Freunden, glücklich, geehrt, reich; sein Vater starb arm, hoffnungslos, an Gott zweifelnd. Und als zehn Jahre nach seinem Tode der Sohn sein Grab suchte, da war sogar sein Grab verschwunden, und Niemand konnte ihm sagen: Hier ruht im Herrn das Herz, das Dich so sehr geliebt.«

»Oh!« seufzte Morrel,

»Dieser war also ein unglücklicherer Sohn, als Sie, Morrel, denn er wußte nicht einmal, wo er das Grab seines Vaters wiederfinden sollte.«

»Aber es blieb ihm doch wenigstens die Frau, die er so sehr geliebt hatte.«

»Sie täuschen sich, Morrel, diese Frau . . . «

»Sie war tot?« rief Morrel.

»Noch schlimmer, als dies: sie war untreu geworden, sie hatte einen von den Verfolgern ihres Bräutigams geheiratet. Sie sehen also, daß dieser Mensch in seiner Liebe unglücklicher war. als Sie.«

»Und ihm hat Gott den Trost geschickt?« fragte Morrel,

»Er hat ihm wenigstens die Ruhe geschickt.«

»Und dieser Mensch wird noch glücklich sein können?«

»Ich hoffe es, Maximilian.«

Der junge Mann ließ sein Haupt auf seine Brust sinken.

»Sie haben mein Versprechen,« sagte er nach kurzem Stillschweigen, Monte Christo die Hand reichend: »nur erinnern Sie sich . . . «

»Am 5ten Oktober, Morrel, erwarte ich Sie aus der Insel Monte Christo. Am 4ten holt Sie eine Yacht im Hasen von Bastia ab; diese Yacht heißt Der Eurus, Sie nennen sich dem Patron, und er führt Sie zu mir. Nicht wahr, das ist abgemacht, Maximilian?«

»Es ist abgemacht, Graf, und ich werde tun, was gesagt ist; nur erinnern Sie sich des 5, Oktobers.«

»Kind, das noch nicht einmal weiß, was ein Versprechen bedeutet . . . Ich habe Ihnen zwanzigmal gesagt, wenn Sie an diesem Tage sterben wollten, so würde ich Sie unterstützen, Morrel. Gott befohlen.«

»Sie verlassen mich?«

»Ja, ich habe Geschäfte in Italien: ich lasse Sie allein im Kampfe mit dem Unglück, allein mit dem Adler mit den mächtigen Schwingen, den der Herr seinen Auserwählten schickt, um sie zu seinen Füßen zu tragen: die Geschichte von Ganymed ist keine Fabel, Maximilian, es ist eine Allegorie.«

»Wann reisen Sie ab?«

»Auf der Stelle: das Dampfboot erwartet mich, einer Stunde bin ich fern von Ihnen; werden Sie mich bis zum Hafen begleiten?«

Ich gehöre ganz Ihnen.«

Umarmen Sie mich.«

Morrel begleitete Monte Christo bis zum Hafen: bereits wirbelte der Rauch wie ein ungeheurer Helmstutz aus dem schwarzen Rohr hervor. Bald lief das Schiff aus, und eine Stunde nachher durchstreifte derselbe Busch von weißlichen Rauch, kaum sichtbar, den durch die ersten Nebel verdüsterten östlichen Horizont.

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10 aralık 2019
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1870 s. 17 illüstrasyon
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