Kitabı oku: «Der Page des Herzogs von Savoyen», sayfa 6
VIII.
Der Knappe und der Page
Unsere Absicht ist es gar nicht – denn Andere haben es viel besser gethan, als wir es thun könnten – die Geschichte der großen Rivalität zu erzählen, welche im Anfang des sechzehnten Jahrhunderts so viel Unglück und Elend erzeugte. Gott hat uns eine bescheidene, aber zugleich doch auch angenehmere und für unsere Leser unterhaltendere Aufgabe gestellt. Wir werden also in der nachfolgenden Erzählung nur, die Gipfel der großen Ereignisse sehen, die gleich den hohen Gipfeln der Alpen sich über die Wolken in schneebedeckten Zacken erheben.
Franz I. zog durch Savoyen, durch Piemont und verbreitete sich über Italien.
Drei Jahre lang donnerten die Kanonen des Reiches und Frankreichs bald in der Provence, bald im Mailändischen.
Nur der Engel des Todes weiß, wie viele Leichen dazu gehörten, um euch, ihr schönen Ebenen der Lombardei und Piemonts, die unerschöpfliche Fruchtbarkeit zu geben!
Unterdeß wuchsen die Kinder unter dem Auge der Herzogin Beatrice und unter dem Auge Gottes unter dem schönen Himmel Nizzas auf, der am Tage reines Blau und in der Nacht voll Flammen ist und unter dem selbst die Insecten fliegende Funken sind.
Leone war ein unentbehrliches Mitglied des lustigen Kleeblattes geworden; er theilte alle Spiele, aber nicht alle Leibesübungen; die zu gewaltsamen Studien der Kriegskunst paßten nicht für seine kleinen Hände, und seine Arme schienen den Meistern jener Kunst zu schwach zu seyn, als daß sie jemals Schild und Lanze in kriegerischer Weise würden führen können. Allerdings war Leone drei Jahre jünger als seine Gefährten, aber es schien ein Unterschied von zehn Jahren zwischen ihnen zu seyn, besonders seit Emanuel, ohne Zweifel durch die Gnade Gottes, der ihn zu großen Dingen ausersehen hatte, an Kraft und Gesundheit rüstig zunahm, als wolle er nachholen, was sein Milchbruder Scianca-Ferro ihm voraus war.
So theilten sich denn auch die Rollen ganz naturgemäß den beiden Gefährten des jungen Herzogs zu: Scianca-Ferro wurde der Knappe, der minder ehrgeizige Leon begnügte sich der Page zu seyn.
Unterdeß erfuhr man, daß der älteste Sohn des Herzogs der Prinz Ludwig, in Madrid gestorben sey.
Es war ein großer Schmerz für den Herzog Carl und die Herzogin Beatrice; indeß gab ihnen Gott nach dem Schmerze einen Trost, wenn es für einen Vater, besonders aber für eine Mutter, einen Trost über den Tod ihres Kindes gibt.
Der Prinz Ludwig war seit langer Zeit von seinen Eltern entfernt, während Emanuel Philibert, der jeden Tag die Prophezeiung des Astrologen glaubhafter machen zu wollen schien, wie eine Lilie blühte und wie eine Eiche wuchs unter den Augen des Vaters und der Mutter.
Gott, der die Vertriebenen wohl nur hatte prüfen wollen, suchte sie alle darauf mit weit schmerzlicherem Schlage heim. Die Herzogin Beatrice erkrankte und trotz der Kunst der Aerzte, der Pflege des Gemahls, des Sohnes und ihrer Damen und Dienerinen starb sie am 8. Jänner 1538.
Der Schmerz des Herzogs war tief, aber voll Ergebung; die Trauer Emanuels grenzte an Verzweiflung. Zum Glück hatte der junge Prinz auch eine Waise bei sich, welche die Thränen schon kannte. Was wäre aus ihm geworden ohne den sanften Gefährten, der nicht zu trösten versuchte, sondern mit ihm weinte?
Scianca-Ferro fühlte bei diesem Verluste gewiß auch Schmerz; hätte er der Herzogin das Leben wieder geben können, wenn er irgend einen schrecklichen Riesen in dessen Thurme herausgefordert oder einen Drachen in der Höhle ausgesucht, der Ritter von elf Jahren würde augenblicklich und ohne, Zögern aufgebrochen seyn, um die That zu verrichten, welche, wenn auch, mit Verlust seines eigenen Lebens, seinen Freunden Glück und Freude wieder geben sollte; darauf aber beschränkte sich der Trost, den er bieten konnte; seine mächtige Natur eignete sich nicht für erweichende Thränen; eine Wunde konnte Blut aus seinen Adern ziehen, kein Schmerz vermochte Thränen in seine Augen zu locken.
Was that er also, während Emanuel Philibert mit und bei Leone weinte? Er sattelte sein Pferd, schnallte sein Schwert um, hing die Streitaxt an den Sattelbogen und ritt an den Hügeln hin, welche am Mittelmeere stehen, stellte sich vor, er habe mit den Ketzern Deutschlands oder den Saracenen in Afrika zu kämpfen, sah in leblosen Gegenständen Feinde aller Art, hieb mit der Streitaxt auf Steine statt auf Eisenhelme und mit dem Degen nach Fichtenzweigen und suchte seinen Schmerz durch körperliche Anstrengung zu überwinden.
Die Stunden, die Tage, die Monate vergingen, die Thränen versiegten, der Schmerz, der noch als Sehnen und Erinnerungen in dem Herzen lag, verschwand allmälig von den Gesichtern und die Augen, die vergebens nach der Gemahlin, der Mutter und Freundin blickten, richteten sich empor, um den Engel zu suchen.
Das Herz, das sich Gott zuwendet, findet bald Trost.
Die Ereignisse gingen übrigens ihren Gang und setzten dem Schmerze ihre Zerstreuungskraft entgegen.
Ein Congreß war zwischen dem Papste Paul III. (Alexander Farnese), Franz I. und Carl V. beschlossen worden. Es handelte sich darum, die Türken aus Europa zu vertreiben, dem Ludwig Farnese ein Herzogthum zu schaffen und dem Herzoge von Savoyen seine Staaten zurückzugeben.
Der Congreß sollte in Nizza gehalten werden.
Nizza war durch den Papst und Carl V. gewählt worden, weil sie hofften, der König Franz I. werde aus Dankbarkeit für die gastliche Aufnahme bei seinem Oheime gegen denselben nachgiebiger seyn.
Dann war auch eine Art Aussöhnung zwischen dem Papste Paul III. und Kaiser Carl V. zu bewerkstelligen. Alexander Farnese hatte seinem ältesten Sohne Ludwig die Städte Parma und Piacenza zum Tausche für die Fürstenthümer Camerino und Nepi gegeben, die er ihm genommen, um sie seinem zweiten Sohne Octavio zu übertragen. Dies hatte Carl V. mißfallen, der eben nach dem Tode Franz Maria Sforza’s 1535 dem Papste, welche Summe dieser ihm auch dafür bot, das Herzogthum Mailand versagt hatte, die Ursache oder doch wenigstens der Vorwand des endlosen Krieges zwischen Frankreich und dem Reiche.
Carl V. hatte übrigens vollkommen Recht, denn der neue Herzog von Parma war jener schändliche Ludwig Farnese, welcher sagte, es sey ihm sehr gleichgültig, ob er geliebt werde, wenn man ihn nur fürchte, und der die Adeligen entwaffnete, den Frauen Gewalt anthat und die Bischöfe peitschte.
Der Congreß von Nizza hatte also den Zweck, nicht blos den Herzog von Savoyen mit dem Könige von Frankreich, sondern auch den Papst mit dem Kaiser wieder zu versöhnen.
Carl III. aber, den das Unglück klug gemacht hatte, sah seinen Neffen, seinen Schwager und deren heiligen Schiedsrichter nicht ohne Besorgniß in seinen letzten befestigten Ort kommen.
Wer gab ihm die Bürgschaft, daß man ihm die letzte Stadt, die man ihm gelassen, nicht auch nehme, statt ihm das Land zurückzugeben, das man ihm genommen?
Er brachte deshalb für jeden Fall und um größerer Sicherheit willen Emanuel Philibert, seinen letzten Erben, in das Castell, welches die Stadt beherrschte, und empfahl dem Commandanten, das Castell durchaus keinen Truppen zu öffnen, sie möchten vom Kaiser, von dem Könige Franz oder von dem Papste kommen.
Dann reiste er selbst dem Papste Paul III. entgegen, welcher nach der getroffenen Bestimmung einige Tage vor dem Kaiser und dem Könige ankommen sollte.
Der Papst war nur noch eine Stunde von Nizza entfernt, als der Herzog einen Brief an den Commandanten absandte und diesem befahl, die Wohnung des Papstes in dem Schlosse bereit zu machen.
Diesen Brief brachte der Capitän der Leibwache Seiner Heiligkeit, welcher an der Spitze von zweihundert Mann ankam und Einlaß verlangte, damit er Dienst bei seinem Souverain thun könne.
Der Herzog sprach in seinem Briefe von dem Papste, aber weder von dem Capitän der Leibwache noch von den zweihundert Mann.
Es war jedenfalls eine Verlegenheit: der Papst verlangte ausdrücklich, was der Herzog ausdrücklich verboten hatte.
Der Commandant berief einen Rath.
Emanuel Philibert wohnte diesem Rathe bei, obgleich er erst elf Jahre alt war; wahrscheinlich war er mit beschieden worden, um den Muth der Vertheidiger noch mehr zu steigern.
Während man berathschlagte, bemerkte der Knabe an der Wand das hölzerne Modell der Veste, welche der Gegenstand der Uneinigkeit zwischen dem Papste und Carl III. war.
»Ihr Herren,« sagte er zu den versammelten Räthen, die seit einigen Stunden deliberirten, ohne zu etwas zu gelangen, »Ihr seyd wegen sehr wenig in Verlegenheit; da wir eine Veste von Holz und eine von Stein haben, so wollen wir die hölzerne dem Papste geben und die steinerne für uns behalten.«
»Meine Herren,« fiel der Commandant ein, »unsere Pflicht ist durch das Wort eines Kindes dictirt. Seine Heiligkeit soll, wenn man darauf besteht, die hölzerne Veste haben, so lange ich aber lebe die steinerne nicht, das schwöre ich bei Gott.«
Die Antwort des Knaben und des Commandanten wurde dem Papst überbracht, der sich damit begnügte und im Franciscanerkloster abstieg.
Der Kaiser kam an, dann der König von Frankreich.
Ein jeder nahm seinen Aufenthalt unter einem Zelte, der an der einen, jener an der andern Seite der Stadt, so daß sich der Papst in ihrer Mitte befand.
Der Congreß begann, er gab aber leider bei Weitem die Resultate nicht, welche man davon erwartete.
Der Kaiser verlangte Savoyen und Piemont für seinen Schwager zurück; Franz I. wollte das Herzogthum Mailands für seinen zweiten Sohn, den Herzog von Orléans, haben, und der Papst, der auch seinen Sohn unterzubringen wünschte, verlangte, daß ein Prinz, der weder zu der Familie Franz I. noch zu der Carls V. gehörte, zum Herzoge von Mailand erwählt werde und zwar unter der Bedingung, daß er sein Herzogthum von dem Kaiser zum Lehen nehme und dem König von Frankreich Tribut zahle.
Ein jeder wollte also das Unmögliche, weil er eben gerade das Gegentheil von dem wollte, was die Andern verlangten.
So kam man denn zu einem Waffenstillstand, den Alle wünschten.
Franz I. um seinen Soldaten Ruhe zu gönnen, die halb erschöpft waren, und um seine Finanzen, die es ganz waren, sich erholen zu lassen.
Carl V. um die Einfälle zurückzutreiben, welche die Türken in seine Reiche Neapel und Sicilien machten.
Paul III., um seinen Sohn Ludwig Farnese wenigstens in den Fürstenthümern Parma und Piacenza festsetzen zu lassen, da er ihm Mailand nicht verschaffen konnte.
Es wurde ein Waffenstillstand von zehn Jahren beschlossen. Franz selbst bestimmte diese Dauer, »zehn Jahre oder nichts,« sagte er.
Die zehn Jahre wurden bewilligt, und Franz war es, welcher den Waffenstillstand nach vier Jahren brach.
Carl III., welcher fürchtete, die Unterhandlungen würden mit der Beschlagnahme des geringen Gebietes endigen, das ihm geblieben war, sah seine erlauchten Gäste freudiger abreisen, als er sie hatte kommen sehen.
Sie verließen ihn, wie sie ihn gefunden hatten, nur ärmer um die Kosten, welche ihm ihr Aufenthalt verursacht hatte und die sie nicht bezahlten.
Nur der Papst hatte etwas von der Sache gehabt, nemlich zwei Heirathen zu Stande gebracht: die seines zweiten Sohnes Octavian Farnese mit Margarethe von Oesterreich, der Witwe Julians von Medici, welcher in der Kirche St. Maria der Blumen in Florenz ermordet worden war, und die seiner Nichte Viktoria mit Anton, dem ältesten Sohn Carls von Vendôme.
Da Carl V. sich nun nicht mehr wegen Franz I. zu beunruhigen hatte, begann er in Genua Rüstungen gegen die Türken, die so ungeheuer waren, daß sie zwei Jahre in Anspruch nahmen.
Nach diesen zwei Jahren, als die Flotte auf dem Punkte stand unter Segel zu gehen, entschloß sich Carl III. seinem Schwager einen Besuch zu machen und ihm seinen Sohn Emanuel Philibert vorzustellen, der sein dreizehntes Jahr erreicht hatte.
Es versteht sich von selbst, daß Scianca-Ferro und Leone ihn begleiteten.
Seit einiger Zeit beschäftigte den jungen Prinzen fast ausschließlich eine Rede, die er seinen Lehrern nicht zeigen wollte und die er nur seinem Knappen und seinem Pagen mittheilte.
Er wollte nemlich den Kaiser Carl V. um die Erlaubniß bitten, ihn auf dem Kriegszuge zu begleiten.
Scianca-Ferro lehnte die Mitwirkung ab, und zwar weil er nichts von der Abfassung einer Rede verstehe; Leone that dasselbe, weil er nicht zwei Worte werde zusammenbringen können, wenn er an die Gefahren denke, welchen Emanuel sich aussetze.
Der junge Prinz war also auf sich selbst angewiesen und er verfaßte mit Hilfe von Livius, Quintus Curtius, Plutarch u.s.w. die Rede, welche er an den Kaiser halten wollte.
Der Kaiser wohnte bei seinem Freunde Andreas Doria, in jenem schönen Palaste, welcher der König des Hafens von Genua zu seyn scheint, beaufsichtigte die Arbeiten auf der Flotte und ging auf den herrlichen Terrassen umher, von welchen der Admiral sein Silbergeschirr in das Meer werfen ließ, nachdem er die Gesandten von Venedig bewirthet.
Der Herzog und sein Gefolge wurden zu dem Kaisergeführt, sobald sie angemeldet waren.
Der Kaiser umarmte seinen Schwager und wollte auch seinen Neffen umarmen.
Emanuel Philibert aber machte sich ehrerbietig aus den kaiserlichen Armen los, ließ sich auf ein Knie nieder zwischen seinem Knappen und seinem Pagen, so daß selbst sein Vater nicht wußte, was er beginnen wollte, und sprach im größten Ernst:
»Da ich mich der Unterstützung Eurer Würde und Eurer Sache weihe, welche jene Gottes und der heiligen Religion sind, so komme ich freiwillig und mit Freuden, Euch zu bitten, hoher Kaiser, mich als Freiwilligen unter die Krieger aufzunehmen, welche von allen Seiten sich unter Eure Fahnen stellen, denn ich würde mich glücklich preisen, unter dem Größten der Fürsten, unter einem unbesieglichen Kaiser die Kriegskunst zu erlernen.«
Der Kaiser sah ihn lächelnd an und antwortete, während Scianca-Ferro laut seine Bewunderung über die Rede des Prinzen aussprach, Leone aber zu Gott betete, er möge dem Kaiser den guten Gedanken eingehen, das Anerbieten zurückzuweisen:
»Ich danke, Prinz, für diesen Beweis von Zuneigung; verharre in diesen Gesinnungen und wir werden beide nützlich seyn; Du bist nur noch zu jung, mir in den Krieg zu folgen, wenn Du aber diesen Willen und Eifer behältst, wird es nach einigen Jahren an Gelegenheiten nicht fehlen.«
Er hob den jungen Prinzen auf, küßte ihn, nahm, um ihn zu trösten, sein eigenes goldenes Vließ ab und hing es ihm um den Hals.
»Ach, bei Gott!« rief Scianca-Ferro, »das ist besser als der Cardinalshut!«
»Du hast da einen kecken Begleiter, Neffe,« sagte Carl V., »und wir wollen ihm vorläufig eine Kette geben, bis wir ihm später ein Kreuz anhängen können.«
Er nahm eine goldene Kette von dem Halse eines der Herren, die da standen, warf sie Scianca-Ferro zu und sagte:
»Da, junger Knappe!«
So schnell auch, die Bewegung Carls V. gewesen war, Scianca-Ferro hatte Zeit sich auf ein Knie niederzulassen, so daß er in dieser ehrerbietigen Stellung das Geschenk des Kaisers empfing.
»Nun,« sagte der Sieger von Pavia, der in guter Laune war, »Jeder soll seinen Theil bekommen, selbst der Page.«
Er nahm einen Diamantring vom Finger und sagte :
»Dies für Dich, schöner Page!«
Zum großen Erstaunen Emanuel Philiberts, Scianca-Ferro’s und aller Anwesenden schien Leone nicht gehört zu haben und blieb unbeweglich stehen.
»Da scheinen wir einen tauben Pagen zu haben,« fuhr Carl V. fort und er sprach lauter: »Komm zu mir, schöner Page!«
Leone gehorchte nicht, sondern trat einen Schritt zurück.
»Leone,« sagte Emanuel, indem er die Hand des Freundes erfaßte, um ihn zu dem Kaiser zu führen.
Seltsam! Leone machte sich von der Hand Emanuels los, stieß einen Schrei aus und eilte aus dem Gemache hinaus.
»Da haben wir einen Pagen, der nicht eigennützig ist,« sagte Carl V. »Du mußt mir sagen, Neffe, wo Du dergleichen findest; sie sind sehr selten. Der Diamant, den ich ihm geben wollte, ist tausend Pistolen werth.«
Er wendete sich zu den Höflingen und sagte:
»Ihr Herren, Ihr seht da ein nachahmungswerthes Beispiel!«
IX.
Leone Leona
Welche Mühe Emanuel Philibert sich auch gab, als er in den Palast zurück kam, in welchem er mit seinem Vater wohnte, von Leone zu erfahren, was ihn veranlaßt habe den Diamantring auszuschlagen und sogar mit einem Angstschrei zu entfliehen, das Kind blieb stumm und kein Bitten vermochte ein Wort aus seinem Munde zu bringen.
Es war dasselbe hartnäckige Schweigen, welches früher die Herzogin Beatrice nicht hatte brechen können, als sie Näheres über die Mutter des Kindes zu erfahren sich bemüht.
Wie aber konnte der Kaiser Carl V. mit dem Unglücke, welches den Pagen zur Waise gemacht hatte, in Verbindung stehen? Das vermochte Emanuel Philibert nicht zu errathen. Wie dem auch seyn mochte, er gab lieber im Voraus Jederman und selbst seinem Oheime Unrecht, als daß er Leone einen Augenblick beschuldigte.
Zwei Jahre waren seit dem Waffenstillstande von Nizza verstrichen, und König Franz I. hatte also sehr lange bereits sein Wort gehalten. Auch wunderte sich Jedermann darüber, besonders Carl V. welcher bei der erwähnten Unterredung mit seinem Schwager fortwährend sein Mißtrauen gegen Franz I. ausgesprochen hatte, der dem Herzoge gewiß etwas zu Leide thue, sobald er, der Kaiser, nicht da sey ihn zu schützen.
Carl V. war in der That kaum unter Segel gegangen, als der Herzog von Savoyen bei seiner Rückkehr nach Nizza eine Botschaft von Franz I. empfing.
Franz I. machte dem Oheime den Antrag, ihm Savoyen zurück zu geben, wenn ihm dafür Piemont abgetreten werde, so daß es der Krone Frankreichs einverleibt werden könnte.
Der Herzog war höchst unwillig über einen solchen Antrag, entließ die Boten seines Neffen und verbot ihnen wieder vor ihm zu erscheinen.
Was hatte Franz I. die Zuversicht gegeben, dem Kaiser zum vierten Male den Krieg zu erklären? Er hatte zwei neue Verbündete: Luther und Soliman, die Ketzer in Deutschland und die Saracenen in Afrika.
Seltsame Bundesgenossen für den allerchristlichsten König, für den ältesten Sohn der Kirche! In dem langen Kampfe zwischen Franz I. und Carl V. nennt man den Erstern immer den ritterlichen König und gleichwohl bricht er fortwährend sein Wort. Nachdem er auf dem Schlachtfelde von Pavia Alles verloren, nur die Ehre nicht, befleckte er in unverlöschlicher Weise jene trotz der Niederlage unverletzt gebliebene Ehre durch Unterzeichnung eines Vertrags, den er nicht halten wollte.
Dieser König, den die Historiker aus der Geschichte peitschen sollten, wie Jesus die Wechsler aus dem Tempel trieb; dieser Soldat, den Bayard zum Ritter schlug und den St. Vallier verfluchte, scheint in Wahnsinn zu verfallen, sobald er sein Wort gebrochen hat; er ist der Freund des Türken und des Ketzers, er reicht die rechte Hand Soliman und die linke Luther; er der Nachkomme Ludwigs des Heiligen, geht mit dem Nachkommen Mohameds! Freilich sandte ihm Gott auch, nachdem er ihm die Niederlage gesandt, die Tochter seines Zornes, die Pest, die Tochter seiner Rache.
**Und Carl V. erkannte so deutlich, daß Gott für ihn sey, daß er, der kluge Kaiser, der schlaue Staatsmann, der zu den Waffen erst greift, nachdem alle Hilfsmittel der Diplomatie erschöpft sind, dem Riesen trotzt, dem Manne, welcher einen Harnisch, einen Helm und einen Schild führt, die Niemand außer ihm in seinem Reiche regieren kann. Den König, den man bei Marignan Reiter bis zum Gürtel spalten sah, so daß seine Schmeichler ihn mit Ajax oder mit Judas Maccabäus verglichen, diesen Goliath forderte Carl V. heraus zum Zweikampfe, auf jede beliebige Waffe, nackt bis zum Gürtel, allein in einem Bote oder auf einer Brücke.**
Und der König Franz I. schlug diesen Zweikampf aus, was indeß nicht hindert, daß er in den Büchern der ritterliche König heißt.
Wir Dichter freilich, wir nennen ihn den ehrlosen König, welcher seinen Feinden, seinen Freunden und Gott selbst des beschworne Wort brach.
Diesmal bedrohte er Nizza, als er die Antwort des Herzogs von Savoyen erhalten hatte.
Der Herzog ließ in Nizza einen tapfern Ritter, Odinet von Montfort, und begab sich selbst nach Vercelli, wo er die wenigen Streitkräfte sammelte, über die er noch verfügen konnte.
Emanuel Philibert hatte seinen Vetter um die Erlaubniß gebeten in Nizza bleiben zu dürfen, um da zuerst seine Waffen zu versuchen, da er aber der einzige und letzte Sprößling seines Hauses war, so hielt ihn der Herzog für zu kostbar, als daß er ihm ein solches Gesuch hätte bewilligen können.
Scianca-Ferro dagegen erhielt die Erlaubniß und er machte Gebrauch davon.
Kaum war der Herzog mit seinem Sohne, Leone und dem Gefolge abgereist, so sah man eine Flotte von zweihundert Segeln mit türkischer und französischer Flagge erscheinen, welche zehntausend Türken unter Khaïr-Eddin und zwölftausend Franzosen unter dem Herzoge von Enghien aussetzte.
Die Belagerung war fürchterlich; die Besatzung vertheidigte jeden Fußbreit Boden und Alle, Soldaten und Bürger, thaten Wunder der Tapferkeit. Die Stadt wurde an zehn Stellen geöffnet; Türken und Franzosen drangen durch zehn Breschen ein; man vertheidigte jede Straße, jeden Platz, jedes Haus; das Feuer rückte mit den Belagerern vor; Odinet zog sich in das Castell zurück und überließ dem Feinde eine Stadt in Trümmern.
Am andern Tage forderte ein Herold ihn auf sich zu ergeben, er aber schüttelte den Kopf und sagte:
Guter Freund, Du bist aus falschem Wege, wenn Du Dich zu einer solchen Feigheit an mich wendest. Ich heiße Montfort; meine Wappen sind Pfähle und meine Devise lautet: Aushalten.«
Montfort war seiner Devise, seines Wappens und seines Namens würdig; er hielt aus, bis auf der einen Seite der Herzog selbst mit viertausend Piemontesen und auf der andern Don Alfonso von Avallos im Namen des Kaisers mit zehntausend Spaniern ankam, da hoben Türken und Franzosen die Belagerung auf.
Es war ein großes Fest für den Herzog Carl und seine Unterthanen, als er in Nizza einzog, so verfallen auch die Stadt war.
Es war auch ein großes Fest für Emanuel Philibert und dessen Knappen Scianca-Ferro hatte den Namen verdient, welchen ihm Carl III. gegeben, und als sein Milchbruder ihn fragte, wie es gegangen, da er auf wirkliche Harnische und wirkliche Schilde habe schlagen müssen, antwortete er:
»Es ist nicht so hart wie Eichen zu spalten, nicht so schwer wie Felsen zu zermalmen.«
»Ach, warum war ich nicht dabei!« murmelte Emanuel Philibert, ohne zu bemerken, daß Leone, der sich an seinen Arm festhielt, bei dem Gedanken an die Gefahren erbleichte, die Scianca-Ferro bereits bestanden hatte und denen Emanuel auch einmal sich aussetzen werde.
Allerdings wurde der arme Page einige Zeit nachher durch den Frieden von Crespy vollständig beruhigt, die Folge des Einfalles Carls in die Provence und gleichzeitig der Schlacht von Cérisolles.
Der Friede wurde am 4. October 1544 unterzeichnet.
Er setzte fest, daß Philipp von Orléans, der zweite Sohn Franz I., nach zwei Jahren sich mit der Tochter des Kaisers vermähle, und als Mitgift das Herzogthum Mailand und die Niederlande erhalte, daß der König von Frankreich seinerseits seinem Anspruche auf das Königreich Neapel entsage und dem Herzoge von Savoyen alles zurückgebe, was er ihm genommen, mit Ausnahme der Festungen Pignerolles und Montmeillant, welche mit dem französischen Gebiete vereinigt bleiben sollten.
Der Vertrag sollte seine Ausführung nach zwei Jahren erhalten, das heißt bei der Vermählung des Herzogs von Orléans mit der Tochter des Kaisers.
Wie man sieht, war man zum Jahre 1545 gelangt, die Kinder waren herangewachsen, Leone, der jüngste von den Dreien, zählte vierzehn Jahre, Emanuel siebenzehn und Scianca-Ferro noch sechs Monate mehr.
Was ging in dem Herzen Leone’s vor und warum wurde er von Tag zu Tag trauriger? Das fragten einander Scianca-Ferro und Emanuel vergeblich, das fragte Emanuel auch Leone umsonst.
Seltsam! Je älter Leone wurde, um so weniger folgte er dem Beispiele seiner beiden Gefährten. Emanuel und Scianca-Ferro übten sich den ganzen Tag in dem Gebrauche der Waffen, der erstere, um den Namen Cardinälchen vergessen zu lassen, der letztere, um seinen Namen immer mehr zu verdienen. Emanuel hatte denn auch bereits alles erlangt, was Geschicklichkeit geben kann, und Scianca-Ferro hatte von Gott alles empfangen, was er menschlichen Muskeln an Kraft gibt.
Währenddessen befand Leone sich auf irgend einem Thurm, von wo er den Uebungen der beiden Freunde zusehen konnte, und wenn sie ihr Eifer zu weit hinwegtrieb, nahm er ein Buch, setzte sich in einen Winkel des Gartens, und las.
Das Einzige was Leone mit Freuden erlernt hatte, ohne Zweifel, weil er darin ein Mittel sah Emanuel zu folgen, war das Reiten, aber seit einiger Zeit entsagte der Page auch diesem und zwar in demselben Maße, als er trauriger wurde.
Eines besonders setzte Emanuel immer in Verwunderung, nemlich, daß das Gesicht Leone’s sich stets verdüsterte, wenn davon die Rede war, daß er, Emanuel, einmal ein reicher mächtiger Fürst werde.
Eines Tages erhielt der Herzog ein Schreiben von dem Kaiser Carl V., in welchem von einer Vermälung zwischen Emanuel Philibert und der Tochter des Königs Ferdinand, des Bruders des Kaisers, die Rede war. Leone hörte dieses Schreiben vorlesen, er konnte die Wirkung nicht verheimlichen, die es auf ihn machte, und eilte schluchzend hinaus, zum großen Erstaunen des Herzogs Carl III. und Scianca-Ferro’s, welche vergebens nach den Gründen eines solchen Schmerzes suchten.
Sobald der Herzog sich in seine Gemächer begeben hatte, eilte Emanuel seinem Pagen nach. Das, was er für Leone empfand, war etwas ganz Anderes, als was er für Scianca-Ferro fühlte. Er hätte sein Leben hingegeben, um das Leben Scianca-Ferro’s zu retten, sein eigenes Blut vergossen, um das seines Milchbruders zu schonen; aber Leben und alles Blut hätte er freudig hingegeben, um eine Thräne zurückzuhalten, die an den sammtgleichen Lidern und an den langte schwarzen Wimpern Leone’s zitterte.
Da er ihn jetzt hatte weinen sehen, wollte er die Ursache des Schmerzes kennen. Seit länger als einem Jahr bemerkte er die zunehmende Traurigkeit des Pagen und oftmals hatte er ihn um den Grund derselben gefragt, aber alsbald hatte auch Leone seine Kraft zusammengenommen, den Kopf geschüttelt, um trübe Gedanken zu verscheuchen, und dann lächelnd geantwortet:
»Ich bin zu glücklich, Prinz Emanuel, und ich fürchte immer, ein solches Glück könne nicht von Dauer seyn.«
Da hatte Emanuel seinerseits den Kopf geschüttelt, weil er aber schon wußte, daß Leone noch trauriger würde, wenn man in ihn drang, so begnügte er sich, die Hände des Freundes zu fassen und ihn fest anzusehen, als wollte er ihn mit allen Sinnen zugleich fragen; aber Leone wendete langsam die Augen ab und entzog Emanuel sanft die Hände.
Emanuel ging dann selbst traurig zu Scianca-Ferro, der nicht daran dachte, ihn zu fragen, und dem es nicht eingefallen seyn würde, die Hände zu fassen, so sehr war die Freundschaft zwischen Scianca-Ferro und Emanuel verschieden von der zwischen Emanuel und Leon.
An diesem Tage suchte Emanuel den Pagen vergebens länger als eine Stunde in dem Schlosse und im Park; er erkundigte sich bei Jedermann; Niemand hatte Leone gesehen. Endlich sagte ein Stalldiener, Leone sey in die Kirche gegangen und müsse wohl noch da seyn.
Emanuel eilte in die Kirche, überschaute sogleich den ganzen düstern Raum und sah wirklich Leone in der dunkelsten Ecke der verstecktesten Capelle knien.
Er trat so nahe an ihn, daß er ihn fast berührte, ohne daß der Page in seinem inbrünstigen Gebete seine Gegenwart zu bemerken schien.
Da klopfte er ihm leicht auf die Achsel und nannte seinen Namen.
Leone erschrak und sah Emanuel fast furchtsam an.
»Was thust Du zu dieser Stunde in der Kirche?« fragte Emanuel besorgt.
»Ich bete zu Gott,« antwortete Leone schwermüthig, »daß er mir die Kraft gebe das auszuführen, was ich im Sinne habe.«
»Und was hast Du im Sinne?« fragte Emanuel, »darf ich es nicht wissen?«
»Ihr werdet es im Gegentheil zuerst erfahren,« antwortete Leone.
»Du schwörst es mir, Leone?«
»Ja wohl,« antwortete dieser mit traurigem Lächeln.
Emanuel ergriff seine Hand und versuchte ihn aus der Kirche hinauszuziehen, aber Leone machte sanft seine Hand los, wie er es seit einiger Zeit immer zu thun pflegte, kniete wieder nieder und bat mit einer Geberde den jungen Herzog ihn allein zu lassen, dann setzte er hinzu:
»Ich muß noch einen Augenblick mit Gott allein seyn.«
Es lag in dem Tone des Pagen etwas so Feierliches und so Schwermüthiges, daß Emanuel gar keinen Versuch machte ihm entgegen zu seyn.
Er verließ die Kirche, wartete aber an der Thür auf Leone.
Dieser zuckte zusammen, als er ihn bemerkte, schien sich aber gleichwohl nicht zu wundern ihn da zu finden.
»Nun,« fragte Emanuel, »kann ich das Geheimniß nun erfahren?«
»Morgen hoffe ich die Kraft zu haben, es Euch mittheilen zu können,« antwortete Leone.
»Wo?«
»Hier in der Kirche.«
»Zu welcher Zeit?«
»Kommt um dieselbe Stunde wie heute.«
»Und bis dahin, Leone?« fragte Emanuel fast bittend.
»Bis dahin werdet Ihr hoffentlich mich nicht nöthigen, mein Zimmer zu verlassen. Ich bedarf der Einsamkeit und des Nachdenkens.«
Emanuel sah seinen Pagen mit unbeschreiblicher Herzbeklemmung an und begleitete ihn bis an die Thür; hier wollte Leone die Hand des Prinzen ergreifen und küssen, aber jetzt zog Emanuel sie zurück und streckte beide Arme aus, um den Knaben an sich zu ziehen und ihn zu küssen; Leone hielt ihn indeß sanft von sich zurück, machte sich aus Emanuels Armen los und sagte in einem Tone unbeschreiblicher Trauer:
»Morgen, gnädiger Prinz.«
Er ging darauf in sein Zimmer.
Emanuel blieb einen Augenblick an der Thür stehen und hörte so, daß Leone den Riegel vorschob.
»Mein Gott!« dachte der Prinz bei sich, »was geht in mir vor? was empfinde ich?«
»Zum Teufel, was machst Du da?« fragte hinter Emanuel eine rauhe Stimme, während eine kräftige Hand sich ihm auf die Achsel legte.
Emanuel seufzte, faßte den Arm Scianca-Ferro’s und zog ihn mit sich in den Garten.
Da setzten sie sich neben einander auf eine Bank.
Emanuel erzählte, was zwischen ihm und Leone vorgegangen war.
Scianca-Ferro dachte einen Augenblick nach, sah empor und und biß sich in die Hand.
Mit einem Male sagte er dann:
»Ich wette, daß ich weiß was es ist.«
»Was?«
»Leone ist verliebt.«
Emanuel war es als erhalte er einen Stich in das Herz.