Kitabı oku: «Der Wolfsführer», sayfa 6
Er schrie mit der ganzen Kraft seiner Lunge:
»Kreuz Donnerwetter! rettet Markotte! fünfundzwanzig Louisd’or, fünfzig Louisd’or, hundert Louisd’or demjenigen, der ihn rettet!«
Menschen und Pferde sprangen gleich aufgeschreckten Fröschen ins Wasser.
Er selbst trieb sein Pferd an den Fluß, aber hier hielten ihn seine Leute zurück und zeigten einen solchen Eifer, um den würdigen Baron an der Ausführung seines heroischen Entschlusses zu verhindern, daß die Liebesbeweise, welche der Herr erhielt, dem unglücklichen Rüdenknecht den Untergang brachten.
Man vergaß ihn eine Minute lang.
Diese Minute reichte hin, um ihn ins, Verderben zu stürzen.
Markotte kam an einer Biegung des Ourcq noch einmal zum Vorschein, schlug mit seinen Armen auf das Wasser, konnte auch sein Gesicht noch emporstrecken und rief zum letzten Mal:
»Zurück, Hunde, zurück!«
Aber das Wasser das ihm in den Mund drang, erstickte die legte Silbe des letzten Wortes, und erst nach einer Viertelstunde fand man seine Leiche auf einer kleinen Sandbank, wohin der Strom sie getrieben hatte.
Markotte war todt.
Dieses Ereigniß hatte unheilvolle Folgen für Herrn Jean.
Als edler Rittersmann war er den edlen Weinen nicht abhold, und diese Neigung hatte ihm eine gewisse Disposition zum Blutsturz gegeben.
Nun wurde er Angesichts der entseelten Hülle seines Dieners von einer so heftigen Gemüthsbewegung ergriffen, daß das Blut ihm gewaltsam nach dem Hirn strömte und einen Schlagfluß veranlaßte.
Thibault entsetzte sich über die gewissenhafte Pünktlichkeit, womit der schwarze Wolf seine Verpflichtung erfüllt hatte. Er dachte nicht ohne einen gewissen Schauder an die Genauigkeit, die Meister Isegrimm seinerseits von ihm zu fordern berechtigt war. Dann fragte er sich unruhvoll, ob der Wolf sich wohl immer mit einigen Haaren begnügen würde, und dieser Gedanke beängstigte ihn um so mehr, als er im Augenblick des Wunsches und in den nächstfolgenden Secunden, d.h. Im Augenblick seiner Erfüllung, nicht: die mindesten Empfindung, ja nicht einmal den geringsten Kitzel in seiner Haarhaut verspürt hatte.
Der Leichnam des armen Markotte machte einen garstigen Eindruck auf ihn. Er liebte ihn allerdings nicht und glaubte sich dazu vollkommen berechtigt; allein seine Abneigung gegen den Verstorbenen war niemals so weit gegangen, daß er ihm den Tod gewünscht hätte, und der Wolf hatte offenbar seine Wünsche überschritten.
Freilich hatte Thibault seinen eigentlichen Willen nicht genau angegeben, sondern der eigenen Bosheit des Wolfes einen gewaltigen Spielraum gelassen.
Er nahm sich vor, seine Wünsche in Zukunft bestimmter auszusprechen und namentlich auch rückhaltender darin zu sein.
Der Baron seinerseits war nicht todt, doch stand es nicht viel besser um ihn.
Er war seit dem Augenblick, wo Thibaults Wunsch ihn wie ein Blitzstrahl getroffen, noch nicht wieder zum Bewußtsein gelangt.
Man hatte ihn im Freien auf den Haufen Haidekraut gelegt, welchen der Holzschuhmacher zusammengetragen hatte, um seine Stallthüre zu verbergen, und seine Leute warfen in ihrer Herzensangst Alles im Haus drunter und drüber, um irgend ein Mittel zu Finden, das ihren guten Herrn ins Leben zurückriefe.
Der Eine verlangte Essig, um ihm die Schläfen einzureiben, der Andere einen Schlüssel, um ihn dem Patienten hinter den Rücken zu halten, der Dritte ein Stückchen Holz, um ihn damit in die Hände zu schlagen, der vierte Schwefel, um denselben unter der Nase des Kranken zu verbrennen.
Mitten unter all diesen sich durchkreuzenden Vorschlägen hörte man den kleinen Engoulevent rufen: »So wahr Gott im Himmel lebt, wir brauchen das alles nicht, sondern nur eine Ziege. Ach wenn wir nur eine Ziege hätten!«
»Eine Ziege!« rief Thibault, der aufrichtig die Genesung des Herrn Jean wünschte, weil er dadurch sein Gewissen von der Hälfte der Last, die ihn bedrückte, zu befreien und seine arme Hütte vor Plünderung zu schützen hoffte.
»Ei wie! solltet Ihr wirklich eine Ziege besitze?« rief Engoulevent. »Ach, liebe Freunde, dann ist unser theurer Herr gerettet.«
Und voll Entzücken sprang Engoulevent dem Holzschuhmacher an den Hals, mit den Worten:
»Bringt Eure Ziege her, bringt Eure Ziege her!«
Thibault ging in den Stall und zog das Thier nach, das ihm blöckend folgte.
»Haltet sie fest an den Hörnern,« sagte der kleine Hundejunge, »und hebet ihre Vordertatze in die Höhe.«
So sprechend hatte der angehende Jägersmann das Messerchen, das er im Gürtel trug, aus seiner Scheide gezogen und schärfte es sorgfältig an dem Schleifstein, woran Thibault sein Handwerkszeug wetzte.
»Was wollt Ihr denn machen?« fragte der Holzschuhmacher, den diese Vorbereitungen nicht wenig beunruhigten.
»Ei wie?« sagte Engoulevent, »wißt Ihr denn nicht, daß die Ziegen ein kreuzförmiges Beinchen im Herzen haben, das, zu Pulver zerrieben, das beste Mittel gegen den Blutsturz ist?«
»Ihr wollt meine Ziege umbringen?« rief Thibault, indem er auf einmal das Horn und die Pfote des armen Thieres losließ; »das dulde ich nicht.«
»Pfui doch!« sagte Engoulevent, »das ist nicht schön von Euch, Herr Thibault. Wie könnt Ihr das Leben unseres guten Herrn und das Leben dieses elenden Thieres auf die gleiche Linie stellen! Wahrhaftig, ich schäme mich für Euch.«
»Ihr habt gut schwatzen. Die Ziege bildet mein ganzes Vermögen, sie ist all mein Hab’ und Gut. Sie versorgt mich mit Milch, und darum ist sie mir theuer und werth.«
»Ach Herr Thibault, das Alles kann Euch nicht Ernst sein, und zum Glück hört Euch der Herr Baron nicht, denn sonst würde es ihn schwer betrüben, daß ein Bauer auf solche Art merkten kann, wenn es sich um die kostbare Gesundheit des edlen Herrn handelt.«
»Ueberdies,« bemerkte einer der Rüdenknechte mit spöttischem Lachen, »wenn Meister Thibault seine Ziege so hoch im Preise hält, daß nur der gnädige Herr sie bezahlen kann, so wird ihn Nichts hindern, aufs Schloß Vez zu kommen und diesen Preis zu verlangen. Man wird ihm denselben sammt dem Rest von seiner gestrigen Rechnung ausbezahlen.«
Thibault war nicht der Stärkere, wenn er nicht von Neuem den Teufel um Hilfe anrief.
Aber er hatte kaum erst vom Herrn Satan eine so schöne Lection erhalten, daß er wenigstens für heute keinen ähnlichen Freundschaftsdienst mehr von ihm begehrte.
Er hatte also für den Augenblick nur eine einzige Sorge: nämlich keinem von allen Anwesenden etwas Böses zu wünschen.
Ein Mensch todt, ein anderer im Sterben, das war ihm eine genügende Warnung.
So kam es denn, daß er, obschon die Anwesenden ohne Unterschied entweder drohende oder spöttische Gesichter gegen ihn schnitten, seine Blicke von ihnen abwandte, um sich nicht darüber ärgern zu müssen.
Während er wegschaute, wurde die Ziege umgebracht, und er erfuhr die Todesqualen des armen Thieres nur aus dem Schmerzensschrei den es ausstieß.
Als die Ziege todt war, suchte man in ihrem noch zuckenden Herzen nach dem Beinchen, von welchem Engoulevent gesprochen hatte.
Man nahm es, zerrieb es zu Pulver, verdünnte es mit Essig, in welchen man dreizehn Tropfen ans der Gallenblase geträufelt hatte, und rührte dann das Ganze mit dem Kreuz eines Rosenkranzes in einem Glas Wasser um; hierauf brach man Herrn Jean mit einer Dolchklinge die Zähne auf und goß ihm die Mixtur ganz sachte ein.
Der Trank wirkte schnell und wahrhaft wunderbar.
Herr Jean nieste, setzte sich aufrecht und sagte mit einer etwas stockendem aber doch bereits verständlichen Stimme:
»Gebt mir zu trinken!«
Engoulevent reichte ihm Wasser in einem hölzernen Becher, einem Erbstück, auf welches sich Thibault gewaltig viel einbildete.
Aber kaum hatte der Baron seine Lippen damit geneigt, kaum hatte er bemerkt, welche abscheuliche Flüssigkeit man sich unterstanden ihm zu bieten, so stieß er ein höchst Bedeutsames Pfui aus und schleuderte den Becher mit aller Macht: an die Wand, so daß er in tausend Scherben zerflog.
Dann rief er mit einer vollen und wohltönenden Stimme, die seine vollkommene Genesung verrieth:
»Wein her!«
Einer der Rüdenknechte schwang sich aus sein Roß und jagte nach dem Schloß von Oigny, um den Burgherrn um einige Flaschen alten Burgunder zu bitten.
Nach zehn Minuten war er wieder da.
Man öffnete zwei Flaschen, welche der edle Herr Jean, in Ermangelung von Gläsern, ohne langen Umschweif an den Mund setzte und eine um die andere auf einen einzigen Zug leerte.
Dann drehte er sich gegen die Wand, indem er vor sich hin tummelte:
»Macon, 1745er!«
Und er versank in einen tiefen Schlaf.
VI
Das Haar des Teufels
Die Knechte waren jetzt über die Gesundheit ihres Herrn beruhigt und brachen also auf, um die Hunde zu suchen, denen man die Jagd allein überlassen hatte.
Sie fanden dieselben schlafend auf einem von Blut gerötheten Platze.
Es war klar, daß sie den Damhirsch eingeholt, erwischt und aufgefressen hatten; wäre noch ein Zweifel daran möglich gewesen, so hätte er Angesichts des Geweihes und eines Restes vom Kiefer, der einzigen Körpertheile, welche sie nicht hatten zermalmen und vertilgen können, schwinden müssen.
Jedenfalls waren sie die einzigen Jagdgenossen welche Ursache hatten, mit ihrem Tag zufrieden zu sein.
Man führte sie in Thibaults Stall, und da der Baron noch immer schlief, so dachten die Jäger an ein Abendbrod.
Sie bemächtigten sich des Brodes, das der arme Teufel in seinem Kasten hatte, brieten die Ziege und luden Thibault höflich zur Theilnahme an diesem Mahle ein, dessen Kosten er bestreiten mußte.
Thibault lehnte die Einladung ab unter dem scheinbaren Vorwand, daß er sich immer noch nicht von der tiefen Gemüthsbewegung erholt habe, welche Markotte’s Tod und der Unfall des Barons ihm verursacht.
Er las die Trümmer seines schönen Bechers auf, und nachdem er sich genau versichert, daß es vergebliche Mühe wäre, ihn wieder zusammensetzen zu wollen, stellte er Betrachtungen darüber an, was er wohl thun könnte, um so schnell als möglich aus dem elenden Leben hinauszukommen, das ihm die zwei lehren Tage unerträglicher als je machten.
Das erste Bild, das vor sein geistiges Auge trat, war Agnelette.
Wie die Kinder im Traum schöne Engel kommen sehen, so sah er Agnelette immer in ganz weißer Kleidung und mit großen weißen Flügeln über einen blauen Himmel hingleiten. Sie sah ganz selig aus, gab ihm ein Zeichen, ihr zu folgen, und sagte:
»Diejenigen, die mit mir kommen, werden selig sein.«
Aber dieser lieblichen Erscheinung antwortete Thibault mit Kopfschütteln und Achselzucken, als wollte er sagen:
»Ja, ja, Agnelette, ich erkenne Dich wohl, Du bist’s. Gestern konnte ich Dir wohl nachlaufen, aber heute, wo ich wie ein König über Leben und Tod gebiete, habe ich nicht im Sinn, um einer Liebe willen, die kaum einen Tag alt ist und noch ihr erstes Wörtchen lallt, dumme Streiche zu machen. Wenn ich Dein Mann würde, meine gute Agnelette, so würden wir uns nicht von den bitteren Nöthen des Lebens befreien, sondern vielmehr die Last, die uns beide gleich sehr bedrückt, verdoppeln und verdreifachen. Nein, Agnelette, nein! Du gäbest ein allerliebstes Schätzchen, aber zur Frau brauche ich eine, die ebenso viele Thaler ins Haus mitbringt, als meine Macht werth ist.«
Sein Gewissen sagte ihm allerdings, daß es Agnelette gegenüber eine förmliche Verpflichtung eingegangen habe, aber er antwortete sich, es geschehe ja im Interesse des holden Geschöpfes selbst, wenn er diese Verbindlichkeit nicht einhalte.
»Ich bin ein ehrlicher Mann,« murmelte er leise, »und ich muß meine persönlichen Wünsche dem Glück des theuren Kindes opfern. Ueberdies ist sie jung, hübsch und klug genug, um ein weit besseres Loos zu finden, als sie an der Seite eines simpeln Holzschuhmachers zu erwarten hätte.«
Aus all diesen Erwägungen ging für Thibault der Schluß hervor, daß er die lächerlichen Versprechungen von gestern in die Winde streuen und ein Eheversprechen, daß nur die zitternden Blätter der Birken und die Haideröslein zu Zeugen gehabt, als nichtgegeben betrachten müsse.
Ueberdies befand sich in der Mühle von Coholles eine schöne Müllerin, deren Bild dem neuen Entschlusse Thibaults nicht ganz fremd war.
Sie war eine junge Wittwe von sechs bis achtundzwanzig Jahren, frisch und rund, mit schalkhaften, herausfordernden Augen.
Dabei galt sie für die reichste Partie in der ganzen Umgegend, denn ihre Mühle feierte niemals, und sie paßte, wie man sieht, in allen Beziehungen besser für Thibault.
In anderen Zeiten würde Thibault es nie gewagt haben, seine Blicke bis zu Madame Polet zu erheben.
So hieß die Müllerin, deren Name sich jetzt zum ersten Mal unter unserer Feder befindet.
Und in der That trat die Trägerin dieses Namens jetzt zum ersten Male ernstlich vor das geistige Auge unseres Helden.
Er wunderte sich selbst höchlich darüber, daß er nicht schon früher an die schöne Müllerin gedacht, und er sagte sich, daß er zwar an sie gedacht habe, aber ohne alle Hoffnung, während er es jetzt, da er sich der Gönnerschaft des Wolfes und durch ihn einer bereits erprobten übernatürlichen Macht erfreute, für kinderleicht hielt, alle seine Mitbewerber zu Verdrängen und zu seinem Ziel zu gelangen.
Man sagte allerdings, die Müllerin von Coyolles sei ein wenig böse und zänkisch.
Aber der Holzschuhmacher dachte, daß er mit dem Teufel in seinem Aermel sich wohl nicht viel um den bösen Geist, den armseligen kleinen Dämon zweiten Ranges, welcher der Frau Wittwe Polet im Leib stecken könne, zu kümmern brauche.
Als daher der Tag kam, war Thibault entschlossen, sich nach Coyolles zu begeben, denn alle diese Visionen waren natürlich bei Nacht aufgetreten.
Herr Jean erwachte mit dem ersten Sang der Grasmücke Er hatte sich von seinem gestrigen Unwohlsein vollkommen erholt, er brachte seine Leute durch derbe Peitschenhiebe schnell auf die Beine, und nachdem er Markotte’s Leichnam nach dem Schloß Vez abgeschickt, beschloß er, nicht unverrichteter Dinge nach Hause zurückzukehren, sondern ein wildes Schwein zu jagen, wie wenn sich am vorhergehenden Tag gar nichts Außerordentliches zugetragen hätte.
Endlich, gegen sechs Uhr Morgens, zog er ab, nachdem er Thibault seines Dankes für die gute Gastfreundschaft versichert, die er selbst, seine Hunde und seine Leute in dieser armen Hütte genossen; er schwur sogar, daß er aus Rücksicht darauf Alles verzeihen wolle, was der Holzschuhmacher sonst gegen ihn verschuldet haben möge.
Man kann sich denken, daß Thibault ohne sonderlichen Schmerz Herrn, Hunde und Leute scheiden sah.
Als sodann Herr, Hunde und Leute fort waren, betrachtete er eine Weile sein ausgeplündertes Häuschen, seine leere Mulde, seine zerbrochenen Möbel, seinen verödeten Stall, den mit Trümmern übersäeten Boden.
Aber er sagte sich, dies sei die natürliche Folge vom Besuch eines großen Herrn, und die Zukunft erschien ihm zu leuchtend, als daß er sich lange bei diesem Anblick hätte aushalten sollen.
Er zog seine Sonntagskleider an, putzte sich so zierlich als möglich heraus, aß zu seinem letzten Stück Brod den letzten Brocken von seiner Ziege, trank ein großes Glas Quellwasser und machte sich aus den Weg nach Coyolles.
Thibault war fest entschlossen, heute noch sein Heil bei Madame Polet zu versuchten.
Ei: brach also gegen neun Uhr Morgens auf.
Der kürzeste Weg nach Coyolles führte über Oigny und Pisseleux.
Wie kam es seht, daß Thibault, der den ganzen Wald von Villers-Coterets so gut kannte, wie ein Schneider die Taschen kennt, die er gemacht hat, wie kam es, daß Thibault den eine gute halbe Stunde längeren Weg nach Chretiennelle einschlug?.
Das kam daher, daß dieser Weg von Chretiennelle ihn zu dem Platz führte, wo er Agnelette zum ersten Mal gesehen hatte, und daß, wenn er auch auf Berechnung nach der Mühle von Coyolles ging, sein Herz ihn nach Preciamont zog.
Und in der That bemerkte er unweit von Forté-Milon am Rand des Weges die schöne Agnelette, die für ihre Ziegen Gras holte.
Er hätte ganz leicht ungesehen vorbeigehen können, denn sie kehrte ihm den Rücken zu.
Aber der Teufel versuchte ihn, und so ging er gerade auf sie zu.
Agnelette ihrerseits, die sich gebückt hatte, um mit ihrer Sichel Gras abzuschneiden, schaute, als sie Jemand kommen hörte, auf und erkannte Thibault.
Sie erröthete.
Zugleich aber breitete sich ein vergnügtes Lächeln über ihr ganzes Gesicht, was deutlich genug bewies, daß in diesem Erröthen keine Feindseligkeit gegen Thibault lag.
»Ah!« sagte sie, »Ihr seid da; ich habe heute Nacht viel an Euch gedacht und viel für Euch gebetet.«
Thibault erinnerte sich seht wirklich, daß er selbst in seinen Träumen Agnelette gesehen hatte, wie sie mit gefalteten Händen, in weißem Kleid und mit Engelsflügeln, in den Himmel fuhr.
»Und warum habt Ihr an mich gedacht und für mich gebettet, mein schönes Kind? « fragte Thibault so unbefangen, wie nur irgend ein junger Herr vom Hofe des Prinzen hätte thun können.
Agnelette sah ihn mit ihren großen himmelblauen Augen an.
Ich habe an Euch gedacht, weil ich Euch liebe, Thibault,« sagte sie; »ich habe für Euch gebetet, weil ich das Unglück, das dem Herrn Jean und seinem Rüdenknecht zustieß, wie auch die ganze Verlegenheit sah, die für Euch daraus erwuchs. Ach! hätte ich nur auf mein Herz hören wollen, ich wäre so gern zu Euch gelaufen, um Euch zu helfen.«
»Ihr hättet kommen sollen, Agnelette; Ihr hättet lustige Gesellschaft getroffen, das kann ich Euch versichern.«
»O das hätte ich nicht gesucht, Herr Thibault, ich hätte Euch bloß beistehen mögen, um sie zu empfangen. Ach! aber was bedeutet denn dieser schöne Ring, den Ihr am Finger habt, Herr Thibault?
Und das Mädchen deutete aus den Ring, welchen Thibault vom Wolf erhalten hatte.
Dem Holzschuhmacher lief es eiskalt durch die Adern.
»Dieses Ring?« sagte er.
»Ja, dieser Ring?«
Als Agnelette sah, daß Thibault nicht mit der Sprache herausrücken wollte, wandte sie sich ab und stieß einen Seufzer aus.
»Ohne Zweifel ein Geschenk von irgend einer schönen Dame?« murmelte sie.
»Ihr täuschet Euch, Agnelette,« versetzte Thibault mit der Dreistigkeit eines vollendeten Lügners:
»das ist unser Verlobungsring, den ich gestern gekauft habe, um ihn an unserem Hochzeittag an Euern Finger zu stecken.«
Agnelette schüttelte traurig den Kopf.
»Warum saget Ihr mir nicht die Wahrheit, Herr Thibault?« fragte sie.
»Ich sage sie Euch ja, Agnelette.«
»Nein.«
Und sie schüttelte ihren Köpf noch trauriger.
»Warum, glaubet Ihr, daß ich lüge?«
»Weil dieses: Ring so groß ist, daß man zwei von meinen Fingern hineinstecken könnte.«
In« der That war Thibaults Finger so dick wie zwei Finger des Mädchens.
»Wenn er zu groß ist, Agnelette,« sagte er, »so lassen wir ihn kleiner machen.«
»Adieu, Herr Thibault.«
»Wieso, Adieu?«
»Ja.«
»Ihr geht?«
»Ja.«
»Und warum, Agnelette?«
»Weil ich die Lügner nicht liebe.«
Thibault suchte nach einem Schwur, um Agnelette zu beruhigen, aber er konnte keinen finden.
»Hört,« sagte Agnelette mit Thränen in den Augen, denn es kostete sie große Selbstüberwindung zu gehen, »wenn dieser Ring wirklich für mich bestimmt ist . . . «
»Ich schwöre es Euch.«
»Nun, so gebt ihn mir bis zu unserem Hochzeittag in Verwahrung, und dann will ich ihn Euch heimgehen, damit Ihr ihn einsegnen lasset.
»Ich würde ihn Euch von Herzen gern geben, Agnelette,« antwortete Thibault;»aber ich will ihn an Eurer schönen Hand sehen. Ihr habt mir eine sehr richtige Bemerkung gemacht, nämlich daß er Euch zu weit sei. Ich gehe heute nach Villers-Coterets, wir wollen sogleich das Maß Eures Fingers nehmen, und dann lasse ich den Ring von Herrn Dugué dem Goldschmied, kleiner machen.«
Das Lächeln erschien wieder auf Agnelette’s Lippen, und die Thränen trockneten sich plötzlich in ihren Augen.
Sie bot Thibault ihr Händchen hin.
Thibault nahm die Hand einen Augenblick zwischen die seinigen, drehte sie um und um, und drückte dann einen Kuß darauf.
»O,« sagte Agnelette, »küsset doch meine Hand nicht so, sie ist nicht schön genug, Herr Thibault.«
»So gebt mir etwas Anderes.«
Agnelette bot ihm ihre Stirne dar.
Dann sagte sie mit kindlichem Vergnügen:
»Laßt laßt mich den Ring sehen.«
Thibault zog den Ring vom Finger und wollte ihn lachend an Agnelettes Daumen stecken.
Aber zu seiner Verwunderung zeigte sichs, daß der Ring zu eng war und nicht über das zweite Glied hinauskam.
»Ei, ei,« sagte Thibault, »wer hätte das gedacht?«
Agnelette lachte,
»Ja der That,« sagte sie, »das ist sonderbar.«
Thibault versuchte den Ring an Agnelette’s Zeigefinger.
Der Ring ging da ebenso wenig hinein als in den Daumen.
Jetzt probirte es Thibault mit dem Mittelfinger.
Es war, als verengere sich der Ring nach Bedürfniß, um diese jungfräuliche Hand nicht zu beschmutzen.
Nach dem Mittelfinger wollte Thibault den Ring an den Goldfinger stecken.
Er trug ihn ebenfalls an diesem.
Dieselbe Unmöglichkeit wie bei den andern Fingern.
Während dieser Versuche spürte Thibault, wie Agnelette’s Hand in der seinigen zitterte, und der Schweiß rann ihm von der Stirne, als hätte er die ermüdendste Arbeit vollbracht.
Er sah ein, daß irgend eine Teufelei dahinter steckte.
Endlich versuchte er es noch mit Agnelette’s kleinem Finger.
Dieser kleine Finger, beinahe durchsichtig und so dünn, daß der Ring ebenso leicht um ihn herum spielen mußte, wie ein Armband um den Finger Thibaults, dieser kleine Finger konnte, trotz aller Anstrengungen Agnelette’s, nicht in den Ring kommen.
»Ach, Herr Thibault.« rief das Kind, »was soll das Alles bedeuten, mein Gott?«
»Satansring, geh’ zum Satan zurück!« rief Thibault.
Und er schleuderte den Ring gegen einen Felsen, in der Hoffnung, daß er zerbrechen würde.
Der Ring gab Feuer, wie wenn Thibault mit dem Fuß an den Granit gestoßen hätte, prallte gegen ihn zurück und steckte sich von selbst wieder an seinen Finger.
Agnelette sah diese Bewegungen des Ringes und betrachtete Thibault mit Entsetzen.
»Nun,« fragte Thibault, der es jetzt mit Keckheit versuchen wollte, »was gibt?«
Agnelette antwortete nicht.
Sie betrachtete ihn bloß mit immer größerer Angst.
Thibault wußte nicht, warum sie ihn so ansah.
Aber sie erhob langsam ihre Hand bis zu Thibaults Kopf, streckte den Finger aus und sagte:
»Ach Herr Thibault, ach Herr Thibault, was habt Ihr denn da?«
»Wo?« fragte Thibault.
»Da! Da!« rief Agnelette, indem sie immer blässer wurde.
»Wo denn?« rief der Holzschuhmacher, auf den Boden stampfend. »Sagt was Ihr sehet.«
Aber statt zu antworten, hielt Agnelette ihre Hände vor die Augen, stieß dann einen Angstschrei aus und entfloh, so schnell sie konnte.
Thibault war von dem ganzen Vorgang dermaßen verblüfft, daß er nicht einmal einen Versuch machte, ihr zu folgen.
Er blieb unbeweglich, stumm, vernichtet auf dem Platze stehen.
Was hatte denn Agnelette so Erschreckliches gesehen und was bezeichnete sie mit ihrem Finger?
War es das Zeichen, das Gott dem ersten Mörder auf die Stirne gedrückt?
Warum nicht? Hatte Thibault nicht, gleich Cain, einen Menschen getödtet, und hatte nicht der Pfarrer von Oigny in seiner letzten Predigt gesagt, daß alle Menschen Brüder seien?
Diese Ungewißheit peinigte Thibault.
Er mußte vor allen Dingen erfahren, was Agnelette so sehr erschreckt hatte.
Thibault beschloß nach Bourg-Fontaine zu gehen und sich in einem Spiegel zu betrachten.
Aber wenn er wirklich mit dem unseligen Zeichen gestempelt war, und wenn dieses unselige Zeichen noch von andern Leuten als von Agnelette gesehen wurde?
Nein, er mußte ein anderes Mittel ausfindig machen.
Er konnte allerdings seinen Hut tief in die Stirne drücken, in aller Eile nach Oigny zurückgehen und sich in einem Trümmer seines Spiegels betrachten.
Aber der Weg war sehr lang.
Hundert Schritte von da befand sich eine krystallquelle Quelle, welche die Teiche von Baisemont und von Bourg mit Wasser versah.
Thibault konnte sich darin so gut besehen, wie in dem feinsten Spiegel von Saint-Gobain.
Er kniete am Rand der Quelle nieder und betrachtete sich.
Er hatte noch immer dieselben Augen, dieselbe Nase, denselben Mund, und nicht das geringste Zeichen auf der Stirne.
Thibault athmete neu auf.
Aber Etwas mußte doch jedenfalls da sein. Agnelette hatte sich offenbar nicht ohne allen Grund so geängstigt.
Thibault beugte sich etwas mehr über den Krystall der Quelle hin.
Jetzt bemerkte er mitten in seinen Haaren etwas Glänzendes, was in den schwarzen Locken funkelte und auf feine Stirne herabfiel – Er beugte sich noch mehr über.
Es war ein rothes Haar, das er bemerkt hatte.
Aber es war ein eigentümliches Roth: weder röthlich blond, noch möhrenartig, weder die Schattirung Ochsenblut, noch das eigentliche Hochroth.
Es war ein blutiges Roth, das die Farbe und den Glanz der hellsten Flamme hatte.
Ohne sich lange den Kopf zu zerbrechen, durch welches Wunder ein Haar von so ungewöhnlicher Farbe hier habe wachsen können, versuchte Thibault es auszureißen.
Er ließ die Locke, in welcher das furchtbare rothe Haar funkelte, bis auf die Wasserfläche herabhängen, faßte sie sachte zwischen den Daumen und den Zeigefinger, und zerrte dann heftig daran.
Das Haar leistete Widerstand.
Thibault dachte, er habe es nicht fest genug gefaßt, und ergriff ein anderes Mittel.
Er wickelte das Haar um seinen Finger und zerrte mit aller Kraft.
Das Haar ritzte die Fingerhaut auf, gab aber nicht nach.
Thibault wickelte das widerspenstige Haar um zwei Finger und zerrte.
Das Haar hob die Kopfhaut in die Höhe, bewegte sich aber eben so wenig als die Eiche, die ihre schattigen Zweige über der Quelle ausbreitete.
Thibault dachte zuerst daran, seinen Weg nach Coyolles fortzusetzen, denn er sagte zu sich selbst, daß doch wohl die zweideutige Schattirung eines einzigen Haares seine Heirathspläne nicht vereiteln könnte.
Aber dieses unglückselige Haar necke und quälte ihn, denn es flitterte ihm beständig vor den Augen mit dem tausendfachen blendenden Schimmer, welchen die Flamme mit sich bringt, wenn sie von einem Feuerbrand auf den andern hüpft.
Endlich riß ihm die Geduld.
Er stampfte mit dem Fuß und rief:
»Tausend Teufel, ich bin noch nicht so weit von meiner Wohnung entfernt, und ich will mit diesem gottverfluchten Haar schon fertig werden.«
Er ging in großer Hast zurück trat in seine Hütte, fand sein Haar wieder, indem er sich in seinem Spiegeltrümmer besah, nahm eine Tischlerscheere, erfaßte damit das Haar so nahe als möglich beim Kopf, brachte Haar und Scheere in dieser Lage auf seinen Werktisch und drückte mit aller Kraft auf die Scheere.
Diese schnitt tief in das Holz des Werktisches, aber das Haar blieb unversehrt.
Er wiederholte sein Manöver, nahm aber diesmal einen Klöpfel, fuhr mit seinem Arm bis über seinen Kopf empor und schlug einmal ums andere auf die Scheere.
Aber Alles das half Nichts.
Er bemerkte blos, daß die Schneide seiner Scheere eine kleine Scharte just von der Breite eines Haares bekommen hatte.
Thibault seufzte und begriff, daß dieses Haar, der Preis des Wunsches, den er gethan, dem schwarzen Wolf gehöre. Er verzichtete also auf sein Vorhaben.