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Kitabı oku: «Der Wolfsführer», sayfa 7

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VII
Der Mühlknecht

Als Thibault sah, daß er das verwünschte Haar weder abschneiden noch ausraufen konnte, so beschloß er es so gut wie möglich unter den andern zu verstecken. Vielleicht sah nicht Jedermann so scharf wie Agnelette. Im Uebrigen besaß Thibault, wie wir bereits gesagt haben, ein sehr schönes schwarzes Haar, und durch einen Scheitel auf der Seite, sowie durch eine gewisse Frisur hoffte er das einzelne Unglückshaar unbemerkbar zu machen.

Wie beneidete er die jungen Herrn, die er am Hof der Frau von Maintenon gesehen hatte, und welche Puder trugen, unter dem sie jede beliebige Haarfarbe verstecken konnten!

Leider war es unmöglich, Puder zu tragen: die Luxusgesetze des Augenblicks gestatteten es nicht.

Nachdem Thibault vermöge einer geschickten Führung des Kammes sein rothes Haar glücklich unter den andern verborgen hatte, beschloß er der schönen Müllerin seinen Besuch abzustatten.

Nur suchte er diesmal einer Begegnung mit Agnelette auszuweichen und hütete sich also wohl, denselben Weg wieder einzuschlagen; statt sich links zu halten, hielt er sich rechts.

So geschah es, daß er auf die Straße von Ferté-Milon kam und sodann einen Fußweg durch die Felder einschlug, der ihn geradezu nach Pisseleux führte.

Von da ging er in das Thal hinab, das nach Coyolles führt.

Kaum war er fünf Minuten in demselben, als er vor sich, zwei kornbeladene Esel treibend, einen großen Burschen gewahrte, den er als seinen Vetter Landry erkannte.

Vetter Landry war der erste Mühlknecht bei der schönen Müllerin.

Da Thibault die Wittwe Polet noch nicht persönlich kannte, so hatte er darauf gerechnet, daß Landry ihn in der Mühle vorstellen würde.

Er betrachtete also dieses Zusammentreffen als ein großes Glück.

Thibault verdoppelte seine Schritte und hatte Landry bald eingeholt.

Als dieser Fußtritte hinter den seinigen hörte, drehte er sich um und erkannte Thibault.

Thibault, der in Landry immer einen fröhlichen Cumpan gefunden hatte, war ganz erstaunt, als er diesmal ein trauriges und verdrießliches Gesicht zu schauen bekam.

Landry blieb stehen, während seine Esel weiter liefen, und erwartete Thibault.

Dieser redete den Andern zuerst an.

»Nun, nun, Vetter Landry,« fragte er, »was soll das bedeuten? Ich hänge heute mein Handwerk an den Nagel, um einen Vetter und Freund zu begrüßen, den ich schon über sechs Wochen nicht mehr gesehen habe, und jetzt machst Du mir ein solches Gesicht?«

»Ach nein, mein guter Thibault,« antwortete Landry, »glaube das nicht. Ich mache mein ganz gewöhnliches Gesicht, und dennoch bin ich, Du magst es nun glauben oder nicht, im Grunde sehr erfreut Dich zu sehen.«

»Im Grund, ja, aber nicht auf der Oberfläche.«

»Wie so?«

»Weil Du Deine Freude in einem Ton äußerst, womit Du den Teufel in die Hölle zurückjagen könntest. Sonst, mein lieber Landry, warst Du lustig und munter, wie das Ticketack Deiner Mühle, das Du beständig mit Deinen Liedern accompagnirtest; aber jetzt bist Du trübselig wie ein Kirchhofkreuz. Zum Henker, treibt denn das Wasser Deinen Mühlstein nicht mehr herum?«

»O freilich, Thibault, an Wasser fehlt es nicht; im Gegentheil, daß Wasser kommt besser als je, und die Schleuse laßt uns nie im Stich; aber, siehst Du, statt des Kornes ist mein Herz, jetzt unter dem Mühlstein, und dieser Mühlstein geht so gut und so fest herum, daß mein Herz ganz zermalmt ist und Nichts als Staub davon übrig bleibt.«

»Fühlst Du Dich denn so unglücklich in der Mühle der Polet?«

»Ach wollte Gott, ich wäre unter das Mühlrad gefallen, als ich sie zum ersten Mal betrat!«

»Wahrhaftig, Du erschreckst mich, Landry. Erzähle nur Deine Leiden, mein Junge.«

Landry stieß einen schweren Seufzer aus.

»Wir sind Geschwisterkinder,« fuhr Thibault fort, »und beim Teufel, wenn ich auch zu arm bin, um Dir ein paar Thaler leihen zu können, falls Du in einer Geldverlegenheit bist, so kann ich Dir doch vielleicht einen guten Rath ertheilen, wenn Du Herzenskummer hast.«

»Dank, Thibault; aber was ich habe, da kann weder guter Rath noch Geld helfen«

»So sag« mir’s doch; man macht sich das Herz immer leichter, wenn man seinen Kummer erzählt.«

»Nein, nein, Du magst mir zureden, so lange Du willst, ich werde es nicht sagen.«

Thibault lachte.

»Du lachst? « fragte ihn Landry verwundert und beleidigt zugleich; »Du lachst über meinen Kummer!«

»Nein, Laudry, ich lache nicht über Deinen Kummer, sondern bloß darüber, daß Du meinst, Du könntest mir die Ursache desselben verbergen, während sie doch ganz leicht zu errathen ist.«

»Nun, so rathe einmal.«

»Du bist verliebt, bei Gott! Das ist sehr leicht zu merken.«

»Ich verliebt?« rief Landry. »Woher hast Du dieses.Lüge?«

»Es ist keine Lüge, sondern die klare Wahrheit.«

Landry stieß einen zweiten Seufzer aus, der noch verzweiflungsvoller war als der erste.

»Nun ja,« sagte er, »es ist wahr, ich bin verliebt.«

»Gestehst Du es doch endlich?« sagte Thibault, nicht ohne ein gewisses Herzklopfen, denn er ahnte in seinem Vetter einen Nebenbuhler. »Und in wen bist Du verliebt?«

»In wen ich verliebt bin?«

»Ja, das frage ich Dich.«

»Was das betrifft, Vetter Thibault, so kannst Du mir eher das Herz aus der Brust reißen, als daß ich Dir’s sage.«

»Du hast mir’s ja schon gesagt.«

»Wie kannst Du das behaupten?« rief Landry, « indem er den Holzschuhmacher starr ansah.

»Allerdings.«

»Das möchte ich doch sehen.«

»Hast Du nicht gesagt, es wäre besser gewesen, Du wärest an dem Tag, wo Du bei der Polet Arbeit suchtest, unter das Mühlrad gefallen, als daß sie Dich als Oberknecht annahm? Du bist unglücklich in der Mühle, Du bist verliebt, also bist Du in die Müllerin verliebt, und diese Liebe macht Dich unglücklich.«

»Ach, schweige doch, Thibault! Wenn sie uns hörte!«

»Wie soll sie uns hören können, wenn sie nicht anders die Kunst bellst, sich unsichtbar zu machen oder sich in einen Schmetterling oder eine Blume zu verwandeln?«

»Gleichviel, Thibault, schweig!«

»Ist sie denn so streng, die Müllerin? Hat sie denn gar kein Mitleid mit Deiner Verzweiflung, armer Junge?« fuhr Thibault fort.

Aus diesen scheinbar vom reinsten Mitgefühl eingegebenen Worten ließ sich allerdings ein gewisses Vergnügen, ein gewisser Spott heraushören.

Landry aber war nicht der Mann dazu.

»Ach ja, ich glaub’s wohl, daß sie streng ist,« klagte er. »Im Anfang hatte ich mir eingebildet, daß sie meine Liebe nicht verschmähe; den ganzen Tag verschlang ich sie mit den Augen, und von Zeit zu Zeit ließ auch sie ihren Blick auf mir haften, und wenn sie mich angesehen hatte, so lächelte sie. Ach mein lieber Thibault, es that mir so wohl, wenn sie mich so ansah und anlächelte. Mein Gott, warum habe ich mich nicht immer damit begnügt?«

»Das ist ganz natürlich,« erklärte Thibault als Philosoph, »der Mensch ist unersättlich.«

»Ach ja, ich habe ganz vergessen, daß sie vornehmer ist als ich, und ich habe gesprochen. Da ist Frau Polet in großen Zorn gerathen; sie hat mich einen armseligen Lumpen und einen Unverschämten Kerl geheißen, und hat gesagt, in der nächsten Wache werde sie mich aus dem Hause werfen.«

»Uf!« sagte Thibault, »und wie lange ist es her?«

»Ungefähr drei Wochen«

»Und die nächste Woche ist also immer noch nicht gekommen? « fragte der Holzschuhmacher, der sich auf Weiberherzen besser verstand als sein Vetter Landry, und bei dem seine auf einen Augenblick zum Schweigen gebrachten Besorgnisse sich wieder einstellten.

Dann sagte er nach einer kurzen Pause:

»Es hat keine Gefahr, Du bist nicht so unglücklich, als ich glaubte.«

»Nicht so unglücklich, als Du glaubtest?«

»Nein.«

»Ach, wenn Du wüßtest, was ich für ein Leben führe! Kein Blick, kein Lächeln mehr. Wenn sie mir begegnet, wendet sie sich ab, und wenn ich ihr über einen Vorfall in der Mühle zu berichten habe, so hört sie mich mit so höhnischer Miene an, daß ich, statt von Kleie, Korn, Roggen, Gerste oder Hafer, von Mehl und Nachmehl zu sprechen, weinen muß, und dann sagt sie in so drohendem Tone: Gib Acht! zu mir, daß ich davon laufe und mich schnell hinter meinen Mehlbeuteln verstecke.«

»Aber warum mußt Du Dir auch gerade Deine Meisterin aussuchen? Es fehlt ja im Bezirk nicht an Mädchen, die seelenfroh wären, wenn sie Dich zum Liebhaber hätten.«

»Ach, ich kann wahrhaftig Nichts dafür, daß ich mich in sie verliebt habe.«

»Such’ Dir eine Andere und Denk« nicht mehr an sie.«

»Ich kann nicht.«

»Probir’s einmal. Gib Acht, sobald die Müllerin sieht, daß Du Dein Herz einer Andern schenkst, so wird sie eifersüchtig, und dann wird sie Dir ebenso nachlaufen, wie Du jetzt ihr nachläufst. Diese Weiber sind so eigen!’

»O wenn ich das hoffen könnte, so würde ich’s sogleich versuchen . . . obschon jetzt . . «

Und Landry schüttelte den Kopf.

»Nun, was jetzt?«

»Obschon jetzt nach dem, was vorgefallen ist, Alles doch vergeblich wäre.«

»Was ist denn vorgefallen?« fragte Thibault, der Alles wissen wollte.

»O Nichts,« antwortete Landry, »ich wage es gar nicht davon zu sprechen.«

»Warum?«

»Weil man, wie die Leute bei uns sagen, das Unglück nicht wecken soll, wenn es schläft.«

Thibault würde darauf bestanden heben, zu erfahren, welches Unglück Landry meinte, aber sie waren schon nahe bei der Mühle, und eine Erklärung würde also, vorausgesetzt, daß sie begonnen hätte, in keinem Fall ihr Ende erreicht haben.

Aber Thibault glaubte genug zu wissen.

Landry liebte die schöne Müllerin, aber die schöne Müllerin liebte Landry nicht.

Und in der That schien ihm ein solcher Nebenbuhler nicht sehr gefährlich.

Er verglich mit einem gewissen Stolz und nicht ohne innere Befriedigung das kindische, läppische Aussehen seines Vetters, eines Bürschchens von achtzehn Jahren, mit seinen fünf Fuß sechs Zoll und seinem schlanken Wuchs, eine Vergleichung, die ihn ganz natürlich zu der Ueberzeugung führte, daß, wenn Madame Polet auch nur einigen Geschmack besitze, die Erfolglosigkeit Landry’s unfehlbar seinen eigenen Sieg herbeiführen müsse.

Die Mühle von Coyolles liegt reizend in einem anmuthigen Thal; das Wasser, welches sie speist, bildet einen kleinen Teich, beschattet von dickbewipfelten Weiden und schlanken Pappeln; die Zwergbäume und die Riesenbäume stehen durch prächtige Erlen und durch gewaltige Nußbäume mit duftendem Blätterwerk unter sich in Verbindung. Nachdem das schäumende Wasser das Mühlrad umgetrieben, fließt es in einen kleinen Bach, der seine ewige Hymne singt, indem er über die Kieselsteine seines Bettes dahinhüpft und im Aufspringen mit seinen feuchten Diamanten die Blumen bespritzt, die sich kokett herabneigen und in der Flut bespiegeln.

Die Mühle selbst sitzt dermaßen in einer Gruppe von Platanen, Maulbeerfeigenbäumen und Trauerweiden versteckt, daß man erst, wenn man auf hundert Schritte nahe gekommen ist, das Kamin bemerkt, aus welchem der Rauch gleich einer Säule von blauem Alabaster zwischen den Bäumen aufsteigt.

Obschon Thibault diese Lage gar wohl kannte, so versetzte sie ihn doch diesmal in ein Entzücken, das er noch nie empfunden, denn er hatte sich noch nie in einer ähnlichen Gemüthsverfassung befunden; jetzt regte sich in ihm bereits Etwas von der egoistischen Befriedigung des Eigenthümers, welcher ein Gut besichtigt, das er durch einen Andern hat kaufen lassen.

Aber noch weit größer war seine Freude, als er in den Hof trat und das Gemälde sich belebte. Tauben mit blauen und purpurrothen Hälsen girrten auf den Dächern, die Enten führten schreiend tausenderlei Bewegungen im Bache aus, die Hühner glucksten auf dem Mist, die Truthähne schlugen blähend ihre Räder bei ihren Weibchen, schöne braune und weiße Kühe kehrten mit vollen Eutern von den Feldern heim. Hier lud man einen Wagen ab, dort schirrte man zwei schöne Perchepferde aus, die wiehernd ihre gutmüthigen entfesselten Köpfe zu ihren Raufen emporstreckten. Ein Knecht trug einen Sack aus den Speicher, eine Magd brachte einen Kübel voll Spülicht einem ungeheuren Schwein, das sich in der Sonne wärmte und abwartete, bis seine Verwandlung in eingesalzenes Fleisch, in Blut- und Bratwürste vor sich ging. Alle Thiere aus der Arche, vom schreienden Esel an bis zum singenden Hahn, lieferten ihre Mißtöne zu diesem ländlichen Concert, während das Ticketack der Mühle den Tact dazu schlug und den Rythmus zu regeln schien.

Thibault war wie geblendet.

Er betrachtete sich zum Voraus als Eigenthümer von all dieser Herrlichkeit und rieb sich so vergnügt die Hände, daß Landry diese durch Nichts motivirte Lustigkeit nothwendig hätte bemerken müssen, wenn er nicht allzu tief in seinen Schmerz versunken gewesen wäre, der mit jedem weiteren Schritt nach dem Wohnhaus zu überhand nahm.

Die Wittwe, die sich gerade im Speisezimmer aufhielt, bemerkte die Kommenden auf der Thürschwelle.

Die Neugierde, zu erfahren, wer der Fremde war, der mit ihrem Oberknecht heimkam, schien sie gewaltig zu plagen.

Thibault ging über den Hof, schritt ganz unbefangen auf das Wohnhaus zu, nannte seinen Namen und erklärte der Müllerin, wasmaßen sein Wunsch, seinen einzigen Verwandten Landry zu besuchen, ihn bestimmt habe, ihr seine Aufwartung zu machen.

Die Müllerin war ungemein höflich.

Mit einem Lächeln, worin Thibault die schönsten Verheißungen erblickte, lud sie ihren Gast ein, einen Tag in der Mühle vorliebzunehmen.

Thibault rückte mit seinem Geschenk heraus.

Während seines Ganges durch den Wald hatte er einige Krammetsvögel befreit, die an leimbestrichenen Vogelbeerzweigen hängen geblieben waren.

Die Müllerin gab sie augenblicklich zum Rupfen, mit dem Bemerken, sie hoffe, daß Herr Thibault selbst davon kosten werde.

Inzwischen bemerkte Thibault, daß die schöne Müllerin, während sie mit ihm plauderte, über seine Schulter hinweg Zerstreuungen zu suchen schien.

Er wandte sich schnell um und sah, daß der Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit Niemand anders als Landry war, der die beiden Esel ablud.

Als Madame Polet sah, daß ihre Nebenbeschäftigung Thibault nicht entgangen trat, wurde sie kirschroth.

Doch faßte sie sich sogleich.

»Herr Thibault,« sagte sie zu ihrem neuen Bekannten, »da Ihr so kräftig ausseht, so könntet Ihr wohl ein gutes Werk thun und Eurem Vetter ein wenig helfen; Ihr sehet ja, daß diese Arbeit für ihn allein zu schwer ist.«

Und sie ging in’s Haus zurück.

»Ei der Teufels« sagte Thibault, indem er der Müllerin nachblickte und dann seine Augen auf Landry heftete, »sollte dieser Bursche da glücklicher sein, als er selbst ahnt, und werde ich wohl den schwarzen Wolf zu Hilfe rufen müssen, um ihn mir vom Halse zu schaffen?«

Gleichwohl that er, um was die Müllerin ihn ersucht hatte.

Da er sich dachte, die schöne Wittwe werde zu irgend einer Vorhangritze heraussehen, so bot er bei der Arbeit alle seine Kräfte zur Schau und entwickelte seine ganze Anmuth.

Nach vollendeter Arbeit traf man sich wieder im Zimmer, wo ein Dienstmädchen den Tisch deckte.

Die Wittwe nahm den Ehrenplatz ein, und ließ Thibault zu ihrer Rechten sitzen.

Madame Polet war äußerst aufmerksam gegen ihn, so daß er seine flüchtigen Zweifel vergaß und sein Herz aufs Neue der Freude und Hoffnung öffnete.

Die Müllerin hatte, um dem Geschenk Thibaults alle Ehre zu erweisen, die Kramentsvögel eigenhändig mit Wachholderbeeren zugerichtet, und so waren sie das beste Essen geworden, das je einen Gaumen kitzeln konnte.

Inzwischen warf sie, obschon sie über die Schwänke lachte, die Thibault preisgab von Zeit zu Zeit verstohlene Blicke auf Landry und bemerkte, daß der arme Junge die Speisen, welche sie ihm selbst auf den Teller gelegt, noch nicht einmal berührt hatte.

Ueberdies bemerkte sie, daß dicke Thränen über seine Wangen hinab in die Wachholderbeersauce der Krammetsvögel liefen, die noch unberührt auf seinem Teller lagen.

Dieser stumme Schmerz rührte sie.

Ihr Blick wurde beinahe zärtlich, und sie machte mit ihrem Kopf eine so ausdrucksvolle Geberde, als wollte sie sagen:

»Eßt doch, Landry, ich bitte Euch« Eine ganze Welt von Liebesverheißungen lag in dieser kleinen Pantomime.

Landry begriff die schöne Müllerin, denn er erstickte beinahe, indem er, aus eitel Beeiferung seiner Herrin zu gehorchen, sein Vögelchen auf einmal hinab schluckte.

Nichts von alle dem entging Thibault.

»Bei der Milz Gottes!« murmelte er (dies war ein Fluch, den er von dem Baron Jean gehört hatte, denn jetzt, seit er ein Freund des Teufels war, glaubte er die Sprache der vornehmen Herren reden zu dürfen); »bei der Milz Gottes, sollte sie wirklich in diesen Laffen verliebt sein? Das würde erstens von sehr schlechtem Geschmack zeugen und zweitens ganz und gar nicht in meinen Kram nassen. Nein, nein, schöne Müllerin, Du brauchst einen gescheidten Kerl, der Deinem Geschäft verstehen kann, und dieser gescheidte Kerl bin ich, oder der schwarze Wolf müßte gar Nichts vermögen.«

Als er sodann beinahe unmittelbar darauf bemerkte, daß die Müllerin die alten Traditionen von verstohlenen Liebesblicken und zärtlichem Lächeln, wovon Landry ihm erzählt, wieder aufgenommen hatte, da fuhr er in seinem Selbstgespräch also fort: »Schon gut, schon gut, ich sehe wohl, daß ich hier zu den großen Mitteln greifen muß, denn die Müllerin kann ich unmöglich hinauslassen; sie ist in der ganzen Gegend die einzige Parthie, die mir ansteht. Ja, aber was mit dem Vetter Landry machen? Seine Liebe durchkreuzt meine Pläne, aber ich kann ihn doch wahrhaftig wegen einer solchen Kleinigkeit nicht dem armen Markotte in die andere Welt nachschicken. Doch wie einfältig, daß ich mir den Kopf zerbreche, um einen Ausweg zu finden! Das alles geht mich ja gar nicht an, sondern ist Sache des schwarzen Wolfes.«

Dann fügte er ganz leise hinzu:

»Schwarzer Wolf, lieber Freund, richte es so ein, daß ich von meinem Vetter Landry befreit werde, ohne daß ihm ein Leid oder Unglück widerfährt.«

Er hatte dieses Gebet noch nicht vollendet, als er auch schon vier oder fünf Männer in militärischen Uniformen den Berg herabkommen und auf die Mühle zuschreiten sah.

Landry bemerkte sie ebenfalls, denn er stieß einen lauten Schrei ans und erhob sich, um zu fliehen, sank aber auf seinen Stuhl zurück, wie wenn ihn all seine Kraft verlassen hätte.

VIII
Thibaults Wünsche

Als Frau Polet die Wirkung sah, welche der Anblick der auf die Mühle zu schreitenden Krieger bei Landry hervorbrachte, da erschrak sie beinahe ebenso heftig wie ihr Oberknecht.

»Ach, mein Gott,« fragte sie, »was gibt es denn, mein guter Landry?«

»Ja, was gibt es?« fragte auch Thibault; nur zitterte seine Stimme ein wenig.

»Letzten Donnerstag,« klagte Landry »bin ich in einem Augenblick der Verzweiflung zum Werboffizier im Hotel du Dauphin gegangen und habe Handgeld genommen.«

»In einem Augenblick der Verzweiflung!« rief die Müllerin, »und warum verzweifeltet Ihr denn?«

»Ich verzweifelte,« antwortete Landry mit einer großen Kraftanstrengung, »ich verzweifelte, weil ich Euch liebte.«

»Und weil Ihr mich liebtet, seid Ihr also Soldat geworden, Unglückseliger!«

»Habt Ihr mir nicht gesagt, daß Ihr mich von der Mühle jagen, würdet?«

»Habe ich Euch fortgejagt?« fragte die Müllerin mit einem Ausdruck, über dessen Bedeutung kein Irrthum möglich war.

»O mein Gott,« fragte Landry, »Ihr würdet mich also nicht: fortgeschickt haben?«

»Armer Junge! « sagte die Müllerin mit einem Lächeln und einem Achselzucken, das Landry in jedem andern Augenblick beseligt haben würde; jetzt aber nur seinen Schmerz verdoppelte.

»Nun wohl,« sagte Landry, »dann habe ich vielleicht noch Zeit, mich zu verstecken.«

»Dich verstecken!« versetzte Thibault; »das ist ganz umsonst, Verlaß Dich darauf.«

»Warum sollte er nicht?« meinte die Müllerin; »ich will’s einmal versuchen. Komm, mein guter Landry.«

Und sie führte den jungen Mann unter Zeichen der innigsten Theilnahme weg.

Thibault sah ihnen nach.

»Das geht schlecht für Dich, Freund Thibault,« sagte er; »aber glücklicher Weise haben diese Herren feine Nasen und werden den Burschen schon auffinden, wenn er sich auch noch so gut versteckt.«

Thibault sagte dies, ohne zu bedenken, daß er einen neuen Wunsch aussprach..

Die Wittwe konnte nicht weit gegangen sein, um Landry zu verstecken.

Sie kam schon nach einigen» Secunden zurück.

Das Versteck war also ganz nahe und gewann dadurch wahrscheinlich Nichts an Sicherheit.

Eine Minute, nachdem die Wittwe ganz keuchend wieder hereingekommen war, erschien der Werbsergeant mit einem seiner Kameraden an der Thüre.

Zwei waren draußen geblieben, wahrscheinlich um Landry für den Fall eines Fluchtversuches ins Auge zu fassen.

Der Sergeant und sein Kamerad traten ein wie Leute, die sich in ihrem Recht fühlen.

Der Sergeant warf einen forschenden Blick umher, trat mit dem rechten Fuß vor und hielt seine Hand an die Spitze seines Hutes.

Die Müllerin wartete nicht, bis der Sergeant sie anredete.

Mit ihrem zauberischsten Lächeln bot sie ihm eine Erfrischung an.

Ein Anerbieten solcher Art schlagen Werber niemals aus.

Während sie dann den Wein kosteten, fragte die Wittwe, welche den Augenblick günstig glaubte, was die Herren in die Mühle von Coyolles führe.

Der Sergeant antwortete, er suche einen jungen Müllerknecht, der, nachdem er mit ihm auf die Gesundheit Sr. Majestät getrunken und den Werbevertrag unterzeichnet habe, nicht wieder zum Vorschein gekommen sei.

Dieser junge Müllerknecht habe, als man ihn um Namen und Wohnort befragt, erklärt, er heiße Landry und wohne bei der Frau Wittwe Polet, Müllerin in Coyolles.

Kraft dieses Vertrags komme er zur Frau Wittwe Polet, Müllerin in Coyolles, um den Widerspenstigen heraus zu verlangen.

Die Müllerin, welche eine Lüge für erlaubt hielt, wenn sie durch die Absicht geheiligt wurde, antwortete, sie kenne Landry nicht, und es habe niemals ein Mensch dieses Namens in der Mühle von Coyolles gewohnt.

Der Sergeant erwiederte der Müllerin, sie habe die schönsten-Augen von der Welt und den bezauberndsten Mund, aber dies sei kein Grund dafür, daß er ihren Augen auf den Blick und ihrem Mund aufs Wort glauben müsse.

Deßhalb gab er der schönen Wittwe zu verstehen, daß er in ihrer Mühle Haussuchung anstellen werde.

Die Haussuchung begann.

Nach fünf Minuten kam der Sergeant zurück.

Er bat die schöne Müllerin um den Schlüssel zu ihrem Zimmer.

Die Müllerin schien über ein solches Verlangen sehr empört.

Aber der Sergeant bat so lange und so dringend, daß sie zuletzt den Schlüssel geben mußte.

Fünf Minuten später kam der Sergeant zurück und brachte Landry herein, den er am Kragen seines Camisols festhielt.

Bei diesem Anblick wurde die Wittwe schrecklich blaß.

Dem Holzschuhmacher dagegen pochte das Herz gewaltig in der Brust, denn er sah wohl, daß die Hilfe des schwarzen Wolfes nöthig gewesen war, damit der Sergeant den Müllerknecht am rechten Orte suchte.

»Ha, ha, mein Junge,« rief der Sergeant spöttisch, »wir ziehen also den Dienst der Schönheit dem Dienste des Königs vor? Das ist begreiflich; aber wenn man die Ehre gehabt hat, in den Ländern Sr. Majestät geboren zu sein und auf seine Gesundheit zu trinken, so muß man ihm auch ein wenig dienen. Ihr werdet uns also folgen, mein schöner Junge, und wenn Ihr einige Jährchen unter der französischen Garde verbracht haben werdet, dann könnt Ihr Euch wieder unter Eure erste Fahne stellen. Vorwärts, Marsch!«

»Aber,« sagte die Müllerin zum Serganten, »Landry ist noch nicht zwanzig Jahre alt; vor dem zwanzigsten Jahr darf man ihn nicht nehmen.«

»Das ist wahr,« sagte Landry, »ich bin noch nicht zwanzig Jahre alt!«

»Wenn werdet Ihr’s?« fragte der Sergeant.

»Erst morgen.«

»Ganz gut,« versetzte der Sergeant, »so werden wir Euch heute Nacht wie eine Mispel auf einen Bund Stroh legen und morgen als reif erwecken.«

Landry weinte.

Die Wittwe bat, flehte auf’s Dringendste, ließ sich von den Werbern küssen, ertrug geduldig die plumpen Scherze, welche sich die rauhen Krieger über ihren Kummer erlaubten, und bot zuletzt sogar hundert Thaler, um ihn loszukaufen.

Alles blieb vergeblich.

Man band den armen Landry an den Faustgelenken, einer der Soldaten nahm das Ende des Stricks, und die Krieger machten sich mit ihrem Gefangenen auf den Weg, aber nicht ohne daß der Mühlknecht Zeit gefunden hätte, die schöne Müllerin zu versichern, daß er sie nah oder fern, stets lieben, und daß, wenn er sterben müsse, ihr Name das letzte Wort aus seinem Munde sein werde.

Die schöne Wittwe ihrerseits hatte, Angesichts einer so schrecklichen Catastrophe, alle Menschenfurcht vergessen und, ehe sie Landry wegschleppen ließ, ihn zärtlich an ihr Herz gedrückt.

Als die kleine Schaar hinter den Weiden verschwunden war, da wurde der Schmerz der Müllerin so heftig, daß sie in Ohnmacht fiel und ins Bett gebracht werden mußte.

Thibault pflegte sie aufs Rührendste.

Die leidenschaftliche Neigung, welche die Wittwe seinem Vetter bewiesen hatte, erschreckte ihn ein wenig.

Gleichwohl wünschte er sich nur um so mehr Glück dazu, daß er das Uebel an seiner Wurzel abgeschnitten habe, und behielt die lebhaftesten Hoffnungen.

Als die Wittwe wieder zu sich kam, war ihr erstes Wort Landry..

Thibault machte eine erheuchelte Geberde des Mitleids.

Die Müllerin begann zu schluchzen.

»Der arme Junge!« rief sie unter heißen Thränen, »was soll aus ihm werden? Er ist so schwach und zart; schon das Gewicht seiner Flinte und seines Tornisters wird ihn tödten.«

Dann wandte sie sich wieder zu ihrem Gast und sprach:

Ach, Herr Thibault, das ist ein sehr großer Kummer für mich. Aber Ihr habt vielleicht bemerkt, daß ich ihn liebte? Er war so sanft, so gut, er hatte gar keinen Fehler; er spielte nicht, er trank nicht;er würde nie Etwas gegen meinen Willen gethan, er würde seine Frau nie tyrannisirt haben, was mir nach den zwei schrecklichen Jahren, die ich mit dem seligen Herrn Polet zugebracht habe, ein großer Trost gewesen wäre. Ach, Herr Thibault, Herr Thibault, es ist sehr schmerzlich für eine arme, unglückliche Frau, alle ihre Pläne auf eine ruhige Zukunft so ins Wasser fallen zu sehen.«

Thibault glaubte die Gelegenheit günstig für eine Erklärung.

So oft er eine Frau weinen sah, meinte er in seinem Wahn, sie weine bloß, um getröstet zu werden.

Gleichwohl glaubte er nur auf einem Umweg an sein Ziel gelangen zu können.

»Ja gewiß, ich begreife Euern Schmerz,« antwortete er; »ich theile ihn sogar, denn Ihr könnt an meiner Liebe zu meinem Vetter nicht zweifeln; aber Ihr müßt Euch darein ergeben, und ohne die guten Eigenschaften Landrys leugnen zu wollen, möchte ich zu Euch sagen: Ei nun, schöne Müllerin, suchet einen Andern, der ihm gleichkommen könnte.«

»Ihm gleichkommen!« rief die Wittwe; »es gibt gar keinen mehr, wie er war. Wo sollte ich einen so artigen und so verständigen Jungen finden, wie mein Landry war? Er hatte ein Puppengesichtchen, woran ich meine Herzenslust sah, und dabei war er so still, so gesetzt; er arbeitete Tag und Nacht, und doch brauchte ich ihm nur einen Blick zuzuwerfen, so verkroch er sich unter die Erde. Nein, nein, Herr Thibault, ich sage es Euch ganz aufrichtig, die Erinnerung an diesen Jungen raubt mir alle Lust, andere Männer zu suchen, und ich sehe wohl, ich werde meiner Lebtage Wittwe bleiben müssen.«

»Ah bah!« machte Thibault, »Landry war noch sehr jung.«

»O,« sagte die Wittwe, »das ist kein Fehler.«

»Wer weiß, ob er später all diese liebenswürdigen Eigenschaften behalten hätte! Laßt Euch rathen, Müllerin, grämet Euch nicht mehr um ihn, sondern suchet, wie ich Euch schon gesagt habe, nach einem Andern, bei dem Ihr ihn vergessen können. Ihr brauchet kein solches Bübchen, sondern einen fertigen Mann, der alle guten Eigenschaften Landry’s hat, zugleich aber gesetzt genug ist, daß Ihr nicht fürchten müsset, eines schönen Tags könnten alle Eure Wahnbilder verfliegen, und es könnte sich herausstellen, daß Euer Eheherr liederlich und brutal wäre.«

Die Müllerin schüttelte den Kopf.

Aber Thibault fuhr fort:

»Um es kurz zu sagen, Ihr brauchet einen Burschen, der Euch mit aller Achtung behandelt und zugleich die Mühle gehörig umzutreiben versteht. Zum Teufel, schöne Müllerin, saget ein einziges Wörtchen, und Ihr werdet Euch bald weit besser berathen finden, als Ihr bisher waret.«

»Und wo sollte ich ein solches Wunder von einem Mann finden?« fragte die Müllerin, indem sie aufstand und den Holzschuhmacher gleichsam herausfordernd musterte. Dieser täuschte sich im Ton der Wittwe und glaubte, jetzt könne es ihm nicht mehr fehlen.

Er beschloß also die Gelegenheit zu benützen und ihr seine Absichten kundzutun.

»Ei nun, schöne Polet,« versetzte er, »wenn ich Euch sagte, daß Ihr nicht weit zu gehen hättet, um den rechten Mann zu finden, so will ich Euch nur gestehen, daß ich dabei an mich selbst dachte, denn ich würde mich ungemein glücklich schätzen und sehr stolz darauf sein, Euer Mann zu werden. Ach!« fuhr er fort, während die Blicke der Müllerin immer drohender wurden, »ach! bei mir hättet Ihr nicht zu fürchten, daß man Eurem Willen zuwiderhandelte; ich bin ein Lamm von Sanftmuth und ich würde nur ein einziges Gesetz und einen einzigen Wunsch haben: das Gesetz Euch zu gehorchen, den Wunsch Euch zu gefallen; was Euer Vermögen betrifft, so besitze ich gewisse Mittel, um es zu vermehren, die ich Euch später mittheilen werde.«

Thibault durfte seine Rede nicht vollenden.

»Ei wie!« rief die Müllerin, um so wüthender, je länger sie an sich gehalten hatte, »ei wie! Ihr, den ich für seinen Freund hielt, Ihr untersteht Euch, seinen Platz in meinem Herzen einnehmen zu wollen! Ihr suchet die Treue an Euch zu reißen, die ich Eurem Vetter bewahren will! Hinaus, Elender! Packe Dich! denn wenn ich nur meinem Zorn und meiner Entrüstung Gehör schenken wollte, so riefe ich vier Männer her und ließe Dich unter’s Mühlrad werfen.«

Thibault wollte antworten.

Aber so wenig er sonst, wie man zu sagen pflegt, aufs Maul gefallen war, so fand er doch jetzt kein Wort zu seiner Rechtfertigung.

Freilich ließ ihm auch die Müllerin nicht Zeit dazu. Ein schöner neuer Krug stand in ihrer Nähe.

Sie faßte ihn beim Griff und schleuderte ihn nach Thibaults Kopf.

Glücklicher Weise bückte sich Thibault nach links, so daß der Krug an ihm vorbeiflog und am Kamin in Stücke zerfuhr.

Die Müllerin nahm einen Schemel und schleuderte ihn mit derselben Gewalt nach demselben Ziel.

Diesmal bückte sich Thibault nach rechts, und der Schemel zertrümmerte drei oder vier Fensterschreiben.

Beim Geklirr, das dadurch entstand, eilten die Knechte und Mägde aus der Mühle herbei.

Sie fanden ihre Meisterin beschäftigt, Flaschen, Wasserkrug Salzbüchse, Teller, kurz Alles, was sie unter ihrer Hand fand, nach Thibault zu werfen.