Kitabı oku: «Die Fünf und Vierzig», sayfa 17
Dreizehntes Kapitel
Zwei Freunde
Wenn es dem Leser gefällt, wollen wir nun den zwei jungen Leuten folgen, die der König, entzückt, seine eigenen kleinen Geheimnisse zu haben, seinem Boten Chicot zusandte.
Kaum zu Pferde, hatten sich Ernauton und Sainte-Maline als sie durch die Pforte ritten, beinahe erdrückt, damit nicht einer dem andern zuvorkomme.
Die beiden Pferde, welche neben einander gingen, preßten in der That die Kniee ihrer zwei Reiter zusammen.
Das Gesicht von Sainte-Maline wurde purpurroth, das von Ernauton wurde blaß.
»Ihr thut mir wehe, mein Herr,« rief der erstere, als sie außerhalb des Thores waren, »wollt Ihr mich denn zermalmen?«
»Ihr thut auch mir wehe,« sagte Ernauton, »nur beklage ich mich nicht.«
»Ihr wollt mir glaube ich, eine Lection geben.«
»Ich will Euch gar nichts geben.«
»Hoho!« versetzte Sainte-Maline, der sein Pferd antrieb, um mehr in der Nähe mit seinem Gefährten sprechen zu können, »wiederholt mir ein wenig dieses Wort.«
»Warum?«
»Weil ich es nicht verstehe.«
»Ihr sucht Streit mit mir, nicht wahr?« sagte phlegmatisch Ernauton. »Schlimm für Euch!«
»Aus welchem Grunde sollte ich Streit mit Euch suchen? kenne ich Euch?« entgegnete Sainte-Maline verächtlich.
»Ihr kennt mich ganz gut,« erwiederte Ernauton, »Einmal, weil dort, woher wir kommen mein Haus zwei Meilen von dem Eurigen liegt und ich im Land als von gutem Geschlecht bekannt bin; sodann, weil Ihr wüthend seid, daß Ihr mich in Paris seht, während Ihr allein berufen zu sein glaubtet; und endlich, weil mir der König seinen Brief zu tragen gegeben hat.«
»Wohl! es mag sein,« rief Sainte-Maline, bleich vor Wuth, »ich nehme dies Alles für wahr an. Doch es geht Eines daraus hervor…«
»Was?«
»Daß ich mich schlimm bei Euch befinde.«
»Geht, wenn Ihr wollt, ich halte Euch, bei Gott! nicht zurück.«
»Ihr stellt Euch, als verstündet Ihr nicht.«
»Im Gegentheil, mein Herr, ich verstehe Euch vortrefflich. Es wäre Euch lieb, wenn Ihr mir den Brief nehmen könntet, um ihn selbst zu tragen? Leider müßtet Ihr mich zu diesem Behufe tödten.«
»Wer sagt Euch, daß ich nicht Lust hierzu habe?«
»Wünschen und thun ist zweierlei.«
»Steigt mit mir nur bis zum Rande des Wassers hinab, und Ihr werdet sehen, ob für mich wünschen und thun mehr als eines ist.«
»Mein lieber Herr, wenn mir der König einen Brief zu tragen gibt …«
»Nun?«
»Nun! so trage ich ihn.«
»Ich werde ihn Euch mit Gewalt einreißen, Ihr Geck.«
»Ihr wollt mich hoffentlich nicht in die Nothwendigkeit versetzen, Euch wie einem tollen Hund den Schädel zu zerschmettern?«
»Ihr?«
»Allerdings; ich habe eine große Pistole, und Ihr habt keine.«
»Ah! Du wirst mir das bezahlen,« rief Sainte-Maline, der sein Pferd einen Seitensprung machen ließ.
»Ich hoffe es wohl, nachdem ich meinen Auftrag besorgt habe.«
»Schelm.«
»Für diesen Augenblick gebt auf Euch Obacht, ich bitte Euch, Herr von Sainte-Maline, denn wir haben die Ehre, dem König zu gehören, und wir müßten einen schlimmen Begriff vom königlichen Haus geben, wenn wir das Volk aufwiegelten. Und dann bedenkt, welch ein Triumph für die Feinde Seiner Majestät, wenn sie Uneinigkeit zwischen den Vertheidigern des Thrones wahrnehmen würden.«
Sainte-Maline biß in seine Handschuhe; das Blut lief unter seinem wüthenden Zahn.
»Oh! oh! mein Herr,« sagte Ernauton, »bewahrt Eure Hände, um den Degen zu halten, wenn wir daran sind.«
»Oh! ich zerberste!« rief Sainte-Maline.
»Dann ist das ganze Geschäft für mich abgemacht,« versetzte Ernauton.
Man kann nicht wissen, wie weit die wachsende Wuth von Sainte-Maline gegangen wäre, als plötzlich Ernauton durch die Rue Saint-Antoine, in der Reihe von Saint-Paul reitend eine Sänfte erblickte, einen Schrei des Erstaunens ausstieß und anhielt, um eine halb verschleierte Dame zu betrachten.
»Mein Page von gestern!« murmelte er.
Die Dame sah nicht aus, als erinnerte sie ihn; sie fuhr vorüber, ohne eine Miene zu verziehen, warf sich jedoch in den Hintergrund der Sänfte.
»Cordieu! ich glaube, Ihr laßt mich warten,« sagte Sainte-Maline, »und zwar, um Frauen anzuschauen.«
»Ich bitte Euch um Verzeihung, mein Herr,« versetzte Ernauton und ritt weiter.
Von diesem Augenblick an folgten die jungen Leute in starkem Trab der Rue du Faubourg Saint-Marceau, und sprachen nicht einmal mehr, um zu streiten.
Sainte-Maline schien äußerlich ziemlich ruhig; in Wirklichkeit bebten aber noch alle Muskeln seines Körpers vor Zorn.
Ueberdies hatte er erkannt, und diese Entdeckung besänftigte ihn keines Wegs, wie man leicht begreifen wird, er hatte erkannt, sagen wir, daß er, obgleich ein guter Reiter, im gegebenen Fall Ernauton nicht zu folgen vermöchte, indem sein Pferd weit geringer war, als das seines Gefährten, und schon schwitzte, ohne nur gelaufen zu sein.
Dies beunruhigte ihn ungemein; um sich zu versichern, was sein Roß zu thun im Stande wäre, plagte er es mit der Gerte und mit dem Sporn.
Sein Drängen führte einen Streit zwischen seinem Pferde und ihm herbei. Dies fiel in der Gegend der Bièvre vor. Das Thier setzte sich nicht durch Beredtsamkeit in Unkosten, wie es Ernauton gethan hatte; sondern es machte, sich seines Ursprungs erinnernd, (es war normannisch), seinem Reiter einen Prozeß, den dieser verlor.
Es debutirte mit einem Seitensprung, bäumte sich sodann, bockte und manoeuvrirte so fort bis in die Bièvre, wo es sich seines Reiters entledigte.
Man hätte auf eine Stunde die Verwünschungen von Sainte-Maline hören können, obgleich sie halb durch das Wasser erstickt wurden. Als es ihm gelungen war, sich wieder auf seine Beine zu stellen, hingen ihm die Augen aus dem Kopf und einige Blutstropfen, die aus seiner geschundenen Stirne flößen, durchfurchten sein Gesicht.
Sainte-Maline schaute umher; sein Pferd war scheu wieder die Böschung hinaufgestiegen, und man erblickte noch sein Kreuz, woraus hervorging, daß der Kopf dem Louvre zugewendet sein mußte.
Gerädert, mit Koth bedeckt, bis auf die Knochen naß, blutend und gequetscht, begriff Sainte-Maline die Unmöglichkeit, sein Roß wieder einzufangen; nur einen Versuch in dieser Hinsicht zu machen, wäre lächerlich gewesen.
Da erinnerte er sich der Worte, die er zu Ernauton gesagt hatte; wenn er in der Rue Saint-Antoine nicht eine Minute auf seinen Gefährten warten wollte, warum sollte sein Gefährte die Gefälligkeit haben, ein paar Stunden auf der Straße auf ihn zu warten?
Diese Betrachtung versetzte Sainte-Maline vom Zorn in die heftigste Verzweiflung, besonders als er aus seiner Tiefe sah, wie der schweigsame Ernauton seinem Pferde beide Sporen gab und eine schräge Richtung auf einen Wege nahm, den er ohne Zweifel für den kürzesten hielt.
Bei wahrhaft zornmüthigen Menschen ist der Culminationspunkt des Zorns ein Blitz des Wahnsinns. Einige kommen nur bis zum Delirium, Andere gehen bis zum gänzlichen Zusammensinken der Kräfte und des Verstandes.
Sainte-Maline zog maschinenmäßig seinen Dolch, einen Augenblick hatte er den Gedanken, sich denselben bis an das Heft in die Brust zu bohren. Was er in diesen Augenblick litt, vermöchte Niemand zu sagen, nicht einmal er selbst… Man stirbt an einer solchen Krise, oder wenn man sie aushält, wird man darüber um zehn Jahre älter.
Er stieg die Böschung des Flusses hinauf, wobei er sich seiner Kniee und seiner Hände bediente, bis er die Höhe erreicht hatte; als er hier angelangt war, befragte sein irres Auge die Straße; man sah nichts mehr; rechts war Ernauton verschwunden, auf der andern Seite war sein eigenes Pferd ebenfalls verschwunden.
Während Sainte-Maline in seinem trostlosen Geiste tausend düstere Gedanken gegen die Anderen und gegen sich selbst hin- und her wälzte, erscholl der Galopp eines Pferdes an sein Ohr, und er sah auf der Straße rechts, welche Ernauton gewählt hatte, ein Pferd und einen Reiter herbeikommen.
Dieser Reiter hielt ein anderes Pferd an der Hand. Es war dies das Resultat des Rennens von Herrn von Carmainges; er war nach rechts geritten, da er wohl wußte, daß ein Pferd verfolgen seine Thätigkeit durch die Furcht verdoppeln hieß.
Er hatte also einen Umweg gemacht, dem Niedernormannen den Weg abgeschnitten und ihn auf einer schmalen Straße erwartet.
Bei diesem Anblick überströmte das Herz von Sainte-Maline vor Freude, er fühlte eine Bewegung des Ergusses und der Dankbarkeit, welche seinem Blick einen milden Ausdruck verlieh; doch plötzlich verdüsterte sich sein Gesicht: er begriff, in welchem Grade Ernauton über ihm erhaben war, denn er gestand sich, daß er an der Stelle seines Gefährten nicht einmal den Gedanken gehabt hätte, zu handeln wie er.
Das Edle dieses Benehmens beugte ihn nieder, er ermaß dasselbe und litt darunter.
Er stammelte einen Dank, dem Ernauton keine Aufmerksamkeit schenkte, ergriff wüthend den Zaum seines Pferdes und schwang sich, trotz des Schmerzes, in den Sattel.
Ernauton war, seinem Pferde schmeichelnd, ohne ein Wort zu sagen, im Schritt vorangeritten.
Sainte-Maline war, wie gesagt, ein vortrefflicher Reiter; der Unfall, dessen Opfer er gewesen, hatte sich in Folge einer Ueberraschung ereignet; nach einem kurzen Kampfe, bei welchem der Vortheil diesmal auf seiner Seite blieb, wieder Meister seines Rosses, ließ er dieses traben.
»Ich danke, mein Herr,« sagte et zum zweiten Male zu Ernauton, nachdem er sich hundertmal mit seinem Stolz und dem Wohlanstand berathen hatte.
Ernauton verbeugte sich nur und berührte seinen Hut mit der Hand.
Der Weg kam Sainte-Maline lang vor.
Ungefähr gegen halb drei Uhr erblickten sie einen Mann, der in Begleitung eines Hundes marschirte; er war groß und hatte einen Degen an seiner Seite, doch es war nicht Chicot, obgleich er desselben würdige Arme und Beine hatte.
Noch ganz kothig, konnte Sainte-Maline nicht an sich halten; er sah, daß Ernauton weiter ritt und gar nicht auf diesen Mann Obacht nahm. Der Gedanke, seinen Gefährten auf einem Fehler zu ertappen, durchzuckte wie ein boshafter Blitz den Geist des Gascogners; er ritt auf den Unbekannten zu und sprach ihn an.
»Reisender,« fragte er, »er-wartet Ihr etwas?«
Der Reisende schaute Sainte-Maline an, dessen Aussehen, es ist nicht zu leugnen, in diesem Augenblick nicht sehr lieblich war. Das durch den Zorn verstörte Gesicht, der auf den Kleidern schlecht getrocknete Koth, das auf den Wangen schlecht getrocknete Blut, seine dicken zusammengezogenen Augbrauen, eine fieberhafte, mehr mit einer Geberde der Drohung als der Frage gegen ihn ausgestreckten Hand, dies Alles kam dem Fußgänger Unheil weissagend vor.
»Erwarte ich etwas, so erwarte ich nicht einen Menschen,« antwortete er, »und erwarte ich einen Menschen, so seid Ihr dieser Mensch sicherlich nicht.«
»Ihr seid sehr unhöflich,« sagte Sainte-Maline entzückt, endlich eine Gelegenheit zu finden, seinem Zorn die Zügel schießen lassen zu können, und zugleich wüthend, daß er durch seinen Irrthum seinem Gegner einen neuen Triumph verschaffte.
Und während er sprach, hob er seine mit einer Gerte bewaffnete Hand auf, um den Reisenden zu schlagen; diesen aber schwang seinen Stock, versetzte Sainte-Maline einen Schlag auf die Schulter und pfiff sodann seinem Hund, der dem Pferde an die Haxsen und dem Reiter an den Schenkel sprang und von jedem Ort einen Fetzen Fleisch und ein Stück Stoff abriß.
Durch den Schmerz gestachelt, lief das Pferd abermals davon, diesmal geradeaus, doch ohne daß es Sainte-Maline, der im Sattel blieb, anhalten konnte. So fortgetragen, schoß er an Ernauton vorüber, der ihn vorbeireiten sah, ohne nur über sein Mißgeschick zu lächeln.
Als es ihm gelungen war, sein Pferd wieder zu beruhigen, und als ihn Ernauton wieder eingeholt hatte, fing sein Stolz an, nicht abzunehmen, sondern sich zu legen.
»Nun, nun!« sprach er, indem er zu lächeln suchte, »ich habe heute meinen unglücklichen Tag, wie es scheint. Dieser Mensch glich doch sehr dem Portrait, das uns Seiner Majestät von dem entworfen hat, welchen wir aufsuchen sollen.«
Ernauton schwieg.
»Ich spreche mit Euch, mein Herr,« sagte Sainte-Maline, außer sich über diese Kaltblütigkeit, die er mit Recht als einen Beweis der Verachtung ansah, und die er durch einen entscheidenden Schlag aufhören machen wollte, und sollte es ihn auch das Leben kosten. »Ich spreche mit Euch… hört Ihr nicht?«
»Derjenige, welchen uns seine Majestät bezeichnete, hatte keinen Stock und keinen Hund,« antwortete Herr von Carmainges.
»Es ist wahr,« sagte Sainte-Maline, »wenn ich es, überlegt hätte, so hätte ich eine Quetschung weniger an den Schultern und zwei Bisse weniger am Schenkel. Wie ich sehe ist es ersprießlich, weise und ruhig zu sein.«
Ernauton antwortete nicht; doch er erhob sich auf den Steigbügeln, hielt die Hand in Form eines Lichtschirms über die Augen und rief:
»Dort ist der, welchen wir suchen; er wartet auf, uns.«
»Pest! mein Herr, Ihr habt ein gutes Gesicht,« sprach mit dumpfem Tone Sainte-Maline, eifersüchtig über diesen neuen Vorzug seines Gefährten. »Ich unterscheide nur einen schwarzen Punkt, und dies mit Mühe.«
Ernauton ritt, ohne etwas zu erwiedern weiter; bald konnte Sainte-Maline ebenfalls den vom König bezeichneten Mann sehen und erkennen. Es ergriff ihn eine schlimme Bewegung. Er trieb sein Pferd vorwärts, um zuerst anzukommen.
Ernauton war darauf gefaßt: er schaute ihn ohne eine Drohung und ohne eine scheinbare Absicht an. Dieser Blick machte, daß Sainte-Maline in sich ging und sein Pferd wieder in Schritt setzte.
Vierzehntes Kapitel
Sainte-Maline
Ernauton hatte sich nicht getäuscht, der bezeichnete Mann war wirklich Chicot.
Chicot besaß seinerseits ein gutes Gesicht und ein gutes Gehör; er hatte die Reiter von ferne gesehen und gehört. Er vermuthete, sie hätten mit ihm zu thun, und erwartete sie deshalb.
Als ihm in dieser Hinsicht kein Zweifel mehr blieb und er gesehen hatte, daß die Reiter ihre Richtung gegen ihn nahmen, legte er ohne Association seine Hand an den Griff seines Degens, als wollte er eine edle Haltung annehmen.
Ernauton und Sainte-Maline schauten sich eine Minute lang, Beide stumm, an.
»An Euch ist es, mein Herr,« sagte Ernauton, sich vor seinem Gegner verbeugend, denn unter solchen Umständen ist das Wort Gegner passender, als das Wort Gefährte.
Sainte-Maline erstickte beinahe; die Ueberraschung durch diese Höflichkeit schnürte ihm die Gurgel zusammen; er antwortete nur, indem er den Kopf neigte.
Als Ernauton sah, daß er schwieg, nahm er das Wort und sprach zu Chicot:
»Mein Herr, wir sind, dieser Herr und ich, Eure Diener.«
Chicot verbeugte sich mit seinem anmuthigsten Lächeln.
»Wäre es unbescheiden, Euch um Euren Namen zu fragen?«fuhr der junge Mann fort.
»Ich heiße der Schatten, mein Herr,« antwortete, Chicot.
»Ihr erwartet etwas?«
»Ja, mein Herr.«
»Nicht wahr, Ihr werdet so gut sein, uns zu sagen, was Ihr erwartet?«
»Ich erwarte einen Brief.«
»Ihr begreift unsere Neugierde, mein Herr, sie hat nichts Beleidigendes für Euch.«
Chicot verbeugte sich beständig und zwar mit einem immer freundlicheren Lächeln.
»Woher erwartet Ihr diesen Brief?« fuhr Ernauton fort.
»Vom Louvre.«
»Mit welchem Siegel?«
»Mit dem königlichen Siegel.«
Ernauton legte die Hand an die Brust und fragte:
»Ihr würdet diesen Brief wohl erkennen?«
»Ja, wenn ich ihn sehen würde.«
Ernauton zog den Brief aus der Brust.
»Das ist er,« sagte Chicot, »und nicht wahr, Ihr wißt, daß ich Euch etwas dafür geben muß?«
»Einen Empfangsschein.«
»Ganz richtig.«
»Mein Herr, sagte Ernauton, »ich war vom König bestellt, Euch diesen Brief zu tragen, doch dieser Herr ist beauftragt, Euch denselben zu übergeben.«
Und er reichte den Brief Sainte-Maline, der ihn nahm und Chicot in die Hände legte.
»Ich danke, meine Herren,« sagte der Letztere.
»Ihr seht,« fügte Ernauton bei, »wir haben unsere Sendung getreulich erfüllt, es ist Niemand auf der Straße, und es hat uns folglich Niemand mit Euch sprechen oder Euch den Brief überreichen sehen.«
»Das ist wahr, ich muß es anerkennen und werde es im Falle der Noth beschwören. Nun ist die Reihe an mir.«
»Den Empfangsschein,« sagten gleichzeitig die zwei jungen Leute.
»Welchen von Beiden soll ich ihn übergeben?«
»Der König hat es nicht gesagt,« rief Sainte-Maline und schaute dabei seinen Gefährten mit einer drohenden Miene an.
»Macht ein Duplicat von dem Empfangsschein und gebt jeden von uns einen, mein Herr,« sagte Ernauton, »es ist weit von hier bis in den Louvre und unter Wegs kann dem Einen oder dem Andern Unglück zustoßen.«
»Ihr seid ein weiser Mann, mein Herr,« sprach Chicot zu Ernauton.
Und er zog Tabletten aus seiner Tasche, zerriß zwei Blätter und schrieb auf jedes:
»Aus den Händen von Herrn René von Sainte-Maline den von Herrn Ernauton von Carmainges getragenen Brief empfangen zu haben, bescheint
»Der Schatten.«
»Gott befohlen, mein Herr,« sagte Sainte-Maline, der sich seines Scheins bemächtigte.
»Gott befohlen, und glückliche Reise,« fügte Ernauton bei, »habt Ihr noch etwas Anderes im Louvre zu bestellen?«
»Durchaus nichts; meine Herren, großen Dank,« erwiederte Chicot.
Ernauton und Sainte-Maline wandten ihre Pferde gegen Paris und Chicot entfernte sich mit einem Schritt, um den ihn das beste Maulthier beneidet hätte.
Als Chicot verschwunden war, hielt Ernauton, der kaum hundert Schritte zurückgelegt hatte, sein Pferd kurz an und sagte zu Sainte-Maline:
»Nun, mein Herr, steigt ab, wenn Ihr wollt?«
»Und warum dies?« fragte Sainte-Maline erstaunt.
»Unsere Aufgabe ist vollbracht, und wir haben zu plaudern. Der Ort scheint mir vortrefflich für ein Gespräch auch Art des unserigen.«
»Nach Eurem Belieben,« erwiederte Sainte-Maline, indem er vom Pferd stieg, wie es sein Gefährte schon gethan hatte.
Als er auf der Erde war, näherte sich ihm Ernauton und sprach:
»Ihr wißt, mein Herr, daß Ihr mich ohne eine Veranlassung von meiner Seite und ohne ein Ermessen von der Eurigen, ohne allen Grund endlich, auf dem ganzen Wege schwer beleidigt habt. Mehr noch: Ihr wolltet mich bewegen, in einem ungeeigneten Augenblick den Degen in die Hand zu nehmen, und ich weigerte mich. Doch zu dieser Stunde ist der Augenblick gut geworden, und ich bin Euer Mann.«
Sainte-Maline hörte diese Worte mit düsterer Miene und gefalteter Stirne; aber Sainte-Maline, der nicht mehr in dem Strome des Zornes war, welcher ihn über alle Grenzen fortgerissen hatte, wollte sich seltsamer Weise nicht mehr schlagen. Die Ueberlegung hatte ihm feinere gesunden Verstand wieder gegeben. Er fühlte das ganze Untergeordnete seiner Stellung.
»Mein Herr,« antwortete er, nachdem er einen Augenblick geschwiegen hatte, »Ihr habt mir meine Beleidigungen durch Dienste erwiedert; ich vermöchte daher nicht mehr die Sprache gegen Euch zu führen, die ich vorhin führte.«
Ernauton faltete die Stirne und entgegnete:
»Nein, mein Herr, doch Ihr denkt noch, was Ihr vorhin ausspracht.«
»Wer sagt Euch das? warum?«
»Weil alle Eure Worte vom Haß und Neid dictirt waren, und weil seit den zwei Stunden, da Ihr sie ausgesprochen, dieser Haß und dieser Neid nicht in Eurem Herzen erloschen sein können.«
Sainte-Maline erröthete, antwortete aber nicht.
Ernauton wartete einen Augenblick und fuhr dann fort:
»Hat mich der König Euch vorgezogen, so geschah dies, weil ihm mein Gesicht besser gefällt, als das Eurige; habe ich mich nicht in die Bièvre geworfen, so geschah dies, weil ich besser reite, als Ihr; habe ich Eure Aufforderung in dem Augenblick nicht angenommen, wo es Euch dieselbe zu machen gefiel, so war dies der Fall, weil ich mehr Weisheit besitze, als Ihr; ließ ich mich nicht nun dem Hund des Mannes beißen, so war dies Folge davon, daß ich vorsichtiger bin, als Ihr; fordere ich Euch endlich zu dieser Stunde auf, mir Genugthuung zu geben und den Degen zu ziehen, so ist dies der Fall, weil ich mehr wahre Ehre und, nehmt Euch in Acht… wenn Ihr zögert, sage ich, mehr Muth besitze.«
Sainte-Maline bebte, und seine Augen schleuderten Blitze; alle schlimme Leidenschaften, welche Ernauton bezeichnete, hatten nach und nach ihre Brandmahle auf sein bleiches Gesicht gedrückt. Bei dem letzten Worte des jungen Mannes zog er seinen Degen wie ein Wüthender.
Ernauton hatte den seinigen schon in der Hand.
»Hört, mein Herr,« rief Sainte-Maline, »nehmt das letzte Wort, das Ihr gesprochen, zurück, es ist zu viel, Ihr müßt es gestehen, Ihr, der Ihr mich genau kennt, da wir, wie Ihr gesagt, nur zwei Meilen von einander wohnen; nehmt es zurück, Ihr müßt Euch mit meiner Demüthigung begnügen; entehrt mich nicht.«
»Mein Herr,« erwiederte Ernauton, »da ich nie in Zorn gerathe, so sage ich immer nur das, was ich sagen will, folglich werde ich gar nichts zurücknehmen. Ich bin auch empfindlich und neu bei Hofe, und will nicht zu erröthen haben, so oft ich Euch begegne. Einen Degenstich, wenn’s beliebt, das ist eben so wohl zur Genugthuung für mich, als für Euch.«
»Oh! mein Herr,« sprach Sainte-Maline, mit einem düstern Lächeln, »ich habe mich elfmal geschlagen, und von meinen elf Gegnern sind zwei gestorben. Ich denke, Ihr wißt das noch?«
»Und ich, mein Herr,« entgegnete Ernauton, »ich habe mich nie geschlagen, weil sich mir nie eine Gelegenheit geboten hat; ich finde sie nach meinem Wohlgefallen, sie kommt auf mich zu, da ich sie nicht suchte, und ich ergreife sie bei den Haaren. Ich erwarte Euer Belieben, mein Herr.«
»Hört,« sagte Sainte-Maline den Kopf schüttelnd, »wir sind Landsleute, wir sind im Dienst des Königs, zanken wir uns nicht mehr, ich halte Euch für einen wackern Mann; ich würde Euch sogar die Hand bieten, wenn dies nicht beinahe unmöglich wäre. Was wollt Ihr? ich zeige mich Euch, wie ich bin, schwärend bis in den Grund des Herzens, das ist nicht mein Fehler. Ich bin neidisch, was soll ich machen? Die Natur hat mich an einem schlimmen Tag geschaffen. Herr von Chalabre, oder Herr von Montcrabeau, oder Herr von Pincorney haben mich nicht in Zorn gebracht; Euer Verdienst ist es, was meinen Aerger verursacht; tröstet Euch also, da mein Neid nichts gegen Euch vermag und Euch Euer Verdienst zu meinem großen Bedauern bleibt. Wir werden nicht weiter gehen, nicht wahr, mein Herr, ich würde zu sehr leiden, wenn Ihr den Beweggrund unseres Streites sagtet.«
»Niemand wird unseren Streit erfahren, mein Herr.«
»Niemand?«
»Nein, mein Herr, in Betracht, daß, wenn wir uns schlagen, ich entweder Euch tödten oder mich tödten lassen werde. Ich bin keiner von denen, welchen wenig am Leben gelegen ist, im Gegentheil, es liegt mir sehr viel daran. Ich zähle drei und zwanzig Jahre, habe einen schönen Namen, bin nicht ganz arm; ich hoffe auf mich und auf die Zukunft, und werde mich, seid unbesorgt, wie ein Löwe vertheidigen.«
»Ich, mein Herr, zähle im Gegentheil schon dreißig Jahre, und bin des Lebens ziemlich überdrüssig, denn ich glaube weder an die Zukunft noch an mich; doch obgleich des Lebens überdrüssig, obgleich ungläubig in Beziehung auf das Glück, will ich mich lieber nicht mit Euch schlagen.«
»Dann werdet Ihr Euch bei mir entschuldigen.«
»Nein, ich habe genug gethan und genug gesagt. Seid Ihr nicht zufrieden, desto besser, dann hört Ihr auf mir überlegen zu sein.«
»Ich muß Euch daran erinnern, mein Herr, daß man einen Streit nicht so endigt, ohne sich dem Gelächter auszusetzen, wenn der Eine und der Andere ein Gascogner ist.«
»Das ist es gerade, worauf ich warte.«
»Ihr wartet?«
»Auf einen Lacher!… Oh! das wird ein herrlicher Augenblick für mich sein.«
»Ihr verweigert also den Zweikampf?»
»Ich wünsche mich nicht zu schlagen, es versteht sich mit Euch.«
»Nachdem Ihr mich herausgefordert?»
»Ich gestehe es.«
»Aber wenn mir die Geduld ausgeht und ich Euch mit dem Degen angreife?»
Sainte-Maline ballte krampfhaft die Fäuste und erwiederte:
»Dann desto besser, ich werfe meinen Degen zehn Schritte von mir.«
»Nehmt Euch in Acht, mein Herr, denn in diesem Falle bediene ich mich nicht der Spitze.«
»Gut, dann habe ich einen Grund, Euch zu hassen. Und eines Tages, an einem Tage der Schwäche von Eurer Seite; werde ich Euch erwischen, wie Ihr es gethan habt, und Euch in der Verzweiflung tödten.«
Ernauton steckte seinen Degen wieder in die Scheide und sprach:
»Ihr seid ein seltsamer Mann, und ich beklage Euch aus tiefstem Herzen.«
»Ihr beklagt mich?«
»Ja, denn Ihr müßt furchtbar leiden.«
»Furchtbar.«
»Ihr müßt nie lieben?«
»Nie.«
»Doch Ihr habt wenigstens Leidenschaften?«
»Eine einzige.«
»Die Eifersucht, wie Ihr mir gesagt habt.«
»Ja, und Folge davon ist, daß ich sie alle in einem unsäglichen Grade der Schande und des Unglücks habe – ich bete eine Frau an, sobald sie einen Andern als mich liebt, – ich liebe das Gold, wenn es von einer andern Hand berührt wird, – ich bin stets durch Vergleichung stolz, – ich trinke, um den Zorn in mir zu erhitzen, das heißt, um ihn scharf zu machen, wenn er nicht chronisch ist, um ihn ausbrechen und brennen zu lassen, wie Blitz und Donner; – oh! ja, ja, Ihr habt es gesagt, Herr von Ernauton, ich bin unglücklich.«
»Habt Ihr es nie versucht, gut zu werden?« fragte Ernauton.
»Es ist mir nicht gelungen?«
»Was hofft Ihr denn? was gedenkt Ihr zu thun?«
»Was thut die Giftpflanze? sie hat Blüthen, wie die anderen Pflanzen, und einige Leute wissen Nutzen daraus zu ziehen. Was machen der Bär und der Raubvogel? sie beißen; doch gewisse Aufzieher wissen sie für die Jagd zu dressiren, so bin ich und so bleibe ich wahrscheinlich in den Händen von Herrn von Épernon und Herrn von Loignac, die zu dem Tage, wo man sagen wird: diese Pflanze ist schädlich, reißen wir sie aus, dieses Thier ist wüthend, tödten wir es.«
Ernauton hatte sich allmälig besänftigt: Sainte-Maline war für ihn nicht mehr ein Gegenstand des Zorns, sondern des Studiums; er fühlte beinahe Mitleid mit diesem Menschen, den die Umstände ihm ein so seltsames Geständnis abzulegen gezwungen hatten.
»Ein großes Vermögen, und Ihr könnt es Euch machen, da Ihr große Eigenschaften habt, wird Euch, heilen,« sagte er, »entwickelt Euch in der Richtung Eurer Instincte, Herr von Sainte-Maline, und es wird Euch im Krieg oder in der Intrigue gelingen; weil Ihr dann herrschen könnt, – werdet Ihr weniger hassen.«
»So hoch ich mich erhebe, so tief ich Wurzel schlage, so wird immer noch über mir dieses oder jenes höhere Glück sein, das mich verletzt, unter mir höhnisches Gelächter, das mir die Ohren zerreißt.«
»Ich beklage Euch,« wiederholte Ernauton.
Und dies war Alles.
Ernauton ging zu seinem Pferd, das er an einen Baum gebunden hatte, band es los und schwang sich in den Sattel.
Sainte-Maline hatte den Zaum des seinigen nicht losgelassen.
Beide schlugen wieder den Weg nach Paris ein. Der Eine stumm und düster über das was er gehört, der Andere über das, was er gesagt hatte.
Plötzlich reichte Ernauton Sainte-Maline die Hand und sprach:
»Soll ich Euch heilen?«
»Kein Wort mehr, mein Herr,« erwiederte Sainte-Maline, »versucht das nicht, Ihr würdet scheitern. Haßt mich im Gegentheil, dies wird das Mittel sein, daß ich Euch bewunderte.«
»Noch einmal, ich beklage Euch,« sprach Ernauton.
Eine Stunde nachher kamen die zwei Reiter in den Louvre zurück und wandten sich nach der Wohnung der Fünf und Vierzig.
Der König war ausgefahren und sollte erst am Abend zurückkehren.