Kitabı oku: «Die Fünf und Vierzig», sayfa 21
Zwanzigstes Kapitel
Wie Chicot seine Reise fortsetzte und was ihm dabei begegnete
Chicot brachte den ganzen Morgen damit zu, daß er sich Beifall zu der Kaltblütigkeit und Geduld spendete, die er in der Nacht erprobt hatte.
»Aber,« dachte er, »man fängt einen alten Wolf nicht zweimal in derselben Falle; es ist also beinahe gewiß, daß man heute eine neue Teufelei gegen mich ersinnen wird; wir wollen daher auf unserer Hut sein.«
Die Folge dieses äußerst klugen Schlusses war, daß Chicot diesen ganzen Tag einen Marsch machte, den Xenophon in seinem Rückzug der Zehntausend zu verewigen nicht für unwürdig gehalten haben würde.
Jeder Baum, jede Veränderung des Terrain, jede Mauer diente ihm als Beobachtungspunkt oder als natürliches Festungswerk.
Er hatte sogar unter Weges Bündnisse erschlossen, wenn nicht gerade offensive, doch wenigstens defensive.
Vier dicke Specereihändler von Paris, welche in Orleans ihre Confituren von Cotignac und in Limoges ihre getrocknete Früchte bestellen wollten, ließen sich herbei, in ihre Gesellschaft Chicot aufzunehmen, welcher sich für einen Strumpfwirker ausgab, der, nachdem er seine Geschäfte abgemacht, nach Bordeaux zurückkehrte. Da nun Chicot, seines Ursprungs ein Gascogner, seinen Accent nur verlor, wenn ihm die Abwesenheit dieses Accents besonders nothwendig zu sein schien, so flößte er seinen Reisegefährten kein Mißtrauen ein.
Diese Armee bestand also aus fünf Herren und vier Specereihändler-Commis. Sie war eben so wenig, was den Geist, als was die Anzahl betrifft, zu verachten, in Betracht der durch die Ligue im Pariser Krämerthum eingeführten kriegerischen Sitten.
Wir wollen nicht behaupten, daß Chicot große Achtung vor der Tapferkeit seiner Gefährten hegte, aber jeden Falls ist das Sprichwort wahr, welches sagt, drei Feige haben beisammen weniger Furcht, als ein Braver ganz allein.
Chicot hatte vor gar nichts mehr bange, sobald er mit vier Poltrons war. Von nun an verachtete er es, sich umzudrehen, wie er es zuvor gemacht hatte, um diejenigen zu sehen, welche ihm folgen konnten.
So erreichte man, viel politisirend und viel prahlend die zum Abendbrod und Nachtlager der Truppe bezeichnete Stadt.
Man speiste zu Nacht, man trank tüchtig, und jeder ging in sein Zimmer.
Chicot hatte während des Mahles weder seine spöttische Redseligkeit, welche seine Gefährten ergötzte, noch den Muskat und den Burgunder geschont, die ihn in der Begeisterung erhielten. Man hatte unter Handelsleuten, das heißt unter freien Männern, wenig Umstände mit Seiner Majestät dem König von Frankreich und allen übrigen Majestäten gemacht, waren sie nun nun Lothringen, von Navarra, von Flandern oder von anderen Ländern.
Chicot legte sich nieder, nachdem er sich mit seinen vier Specereihändlern, welche ihn gleichsam im Triumph in sein Zimmer geleiteten, für den andern Morgen zusammenbeschieden hatte.
Meister Chicot sah sich wie ein Fürst in seinem Corridor von den vier Reisenden bewacht, deren vier Zellen vor der seinigen kamen, welche am Ende des Ganges lag und folglich durch die dazwischen liegenden Allianzen uneinnehmbar war.
Da in jener Zeit die Straßen selbst für diejenigen, welche nur in ihren eigenen Angelegenheiten reisten, sehr wenig sicher waren, so hatte sich jeder der Hilfe seines Nachbars im Falle eines Unglücks versichert. Chicot der sich wohl gehütet, sein schlimmes Abenteuer von der vergangenen Nacht zu erzählen, hatte zu der Aufnahme dieses Artikels im Vertrag angetrieben, dem man auch einstimmig beipflichtete.
Chicot konnte also, ohne sich gegen seine gewöhnliche Klugheit zu verfehlen, zu Bette gehen und einschlafen. Er konnte dies um so eher thun, als er, zu Verstärkung der Vorsicht, ängstlich das Zimmer untersucht, die Riegel seiner Thüre vorgeschoben und die Läden seines Fensters, des einzigen in seiner Stube, geschlossen hätte; es versteht sich von selbst, daß er die Wand mit der Faust sondirte, wobei dieselbe immer den befriedigenden Ton von sich gab.
Aber es trat während seines ersten Schlafes ein Ereigniß ein, das der Sphinx selbst, dieser vorzugsweise Wahrsager, nicht errathen hätte; dies kam davon her, daß der Teufel im Zuge war, sich in die Angelegenheiten von Chicot zu mischen, und daß der Teufel feiner ist, als alle Sphinxe der Welt.
Um halb zehn Uhr wurde schüchtern an die Thüre der vier Specereihändler-Commis geklopft, welche alle vier beisammen in einer Dachstube über dem Corridor der Kaufleute, ihrer Herren, wohnten. Der Eine öffnete in ziemlicher übler Laune und stand dem Wirthe gegenüber.
»Meine Herren,« sagte der Letztere, »ich sehe mit Vergnügen, daß Ihr Euch ganz angekleidet niedergelegt habt; ich will Euch einen großen Dienst erweisen. Eure Patrone haben sich bei Tische in politischen Gesprächen sehr erhitzt. Es scheint, ein Schöppe hat sie gehört und ihre Reden dem Maire hinterbracht. Unsere Stadt thut sich etwas darauf zu gut, treu zu sein, der Maire schickte die Wache, welche Eure Herren festgenommen, und nach dem Rathhause gebracht hat, wo sie sich erklären müssen. Das Gefängniß ist ganz nahe beim Rathhaus; meine Jungen, macht Euch auf die Beine, Eure Maulthiere erwarten Euch, Eure Patrone werden Euch wohl einholen.«
Die vier Commis sprangen wie junge Ziegen, stürzten nach der Treppe, bestiegen zitternd ihre Maulthiere und schlugen wieder den Weg nach Paris ein, nachdem sie den Wirth beauftragt hatten, ihre Herren von ihrer Abreise und von der Richtung, die sie genommen, in Kenntniß zu setzen, wenn dieselben zufällig in den Gasthof zurückkämen.
Sobald der Wirth die vier Commis an der Straßenecke verschwinden sah, klopfte er mit derselben Vorsicht an die erste Thüre des Corridor.
Er kratzte so gut, daß ihm der erste Kaufmann mit einer Stentorstimme zurief:
»Wer ist da?«
»Stille, Unglücklicher!« erwiederte der Wirth, »kommt zur Thüre und geht auf den Fußspitzen.«
Der Kaufmann gehorchte, da er aber ein kluger Mann war, so drückte er zwar sein Ohr an die Thüre, öffnete aber nicht und fragte:
»Wer seid Ihr?«
»Erkennt Ihr nicht die Stimme Eures Wirthes?«
»Es ist wahr; ei! mein Gott, was gibt es denn?«
»Ihr habt bei Tische ein wenig frei vom König gesprochen, und der Maire ist davon durch einen Spion unterrichtet worden, worauf der Maire sich hierher begeben. Zum Glück hatte ich den Gedanken, ihm das Zimmer Eurer Commis zu bezeichnen, so daß er eben beschäftigt ist, Eure Commis oben zu verhaften, statt Euch hier festzunehmen.«
»Oh! oh! was sagt Ihr mir da?« versetzte der Kaufmann.
»Die reine Wahrheit. Flüchtet Euch eiligst, so lange die Treppe noch frei ist…«
»Aber meine Gefährten?«
»Ihr werdet nicht Zeit haben, sie zu benachrichtigen.«
»Arme Leute!« sagte der Kaufmann und kleidete sich in aller Hast an.
Während dieser Zeit klopfte der Wirth, wie von einer plötzlichen Eingebung berührt, mit dem Finger an den Verschlag, der den ersten Kaufmann vom zweiten schied.
Durch dieselben Worte und durch dieselbe Fabel erweckt, öffnete der zweite sachte die Thüre; erweckt wie der zweite, rief der dritte dem vierten, und leicht, wie ein Flug Schwalben, verschwanden alle Vier, die Arme zum Himmel erhebend und auf den Fußspitzen marschirend.
»Der arme Strumpfwirker,« sagten sie, »auf ihn wird Alles fallen; es ist nicht zu leugnen, er hat am meisten gesprochen. Meiner Treue! er mag sich hüten, denn der Wirth hat nicht mehr Zelt gehabt, ihn zu warnen wie uns.«
Meister Chicot war in der That, wie man begreift nicht benachrichtigt worden.
In dem Augenblick, wo die Kaufleute, ihn Gott empfehlend, entflohen, lag er im tiefsten Schlafe.
Der Wirth versicherte sich dessen, indem er an der Thüre horchte; dann ging er in die untere Stube, deren sorgfältig verschlossene Thüre sich auf ein Zeichen von ihm öffnete.
Er nahm seine Mütze ab und trat ein.
Die Stube war von sechs bewaffneten Männern besetzt, von denen der eine das Recht zu haben schien, den andern zu befehlen.
»Nun!« sagte der letztere.
»Herr Officier, ich habe in allen Punkten gehorcht.«
»Ist Euer Wirthshaus verlassen?«
»Durchaus.«
»Die Person, welche wir Euch bezeichnet haben, ist weder geweckt, noch benachrichtigt worden?«
»Weder geweckt, noch benachrichtigt.«
»Herr Wirth, Ihr wißt, in wessen Namen wir handeln; Ihr wißt, welcher Sache wir dienen, denn Ihr seid selbst ein Vertheidiger der heiligen Sache.«
»Ja, gewiß, Herr Officier; Ihr seht auch, daß ich, um meinem Schwure zu gehorchen, das Geld opferte, das meine Gäste bei mir verzehrt hätten; doch es ist in diesem Schwur gesagt: »»Ich werde meine Habe zur Vertheidigung der heiligen katholischen Religion opfern.««
»Und mein Leben!… Ihr vergeßt dieses Wort,« sprach der Officier mit stolzem Tone.
»Mein Gott!« rief der Wirth die Hände faltend, »verlangt man mein Leben von mir? ich habe Weib und Kinder!«
»Man wird es nur von Euch verlangen, wenn Ihr nicht blindlings dem gehorcht, was man Euch befiehlt.«
»Oh! ich werde gehorchen, seid unbesorgt.«
»Dann legt Euch zu Bette; schließt die Thüren, und was Ihr auch hören oder sehen möget, geht nicht heraus, und sollte Euer Haus brennen oder über Eurem Haupte zusammenstürzen. Ihr seht, Eure Rolle ist nicht schwierig.«
»Ach! ach! ich bin zu Grunde gerichtet,« murmelte der Wirth.
»Man hat mich beauftragt, Euch zu entschädigen,« erwiederte der Officier, »nehmt diese dreißig Thaler.«
»Mein Haus zu dreißig Thaler geschätzt!« versetzte der Wirth mit kläglichem Tone.
»Ei! bei Gott! man wird Euch nicht eine einzige Scheibe zerbrechen, Ihr Flenner… Pfui! welche gemeine Streiter der heiligen Ligue haben wir da…«
Der Wirth entfernte sich und schloß sich wie ein von der Plünderung der Stadt benachrichtigter Parlamentär ein.
Nun befahl der Officier den zwei am besten bewaffneten Leuten, sich unter das Fenster von Chicot zu stellen.
Er selbst stieg mit drei anderen in die Wohnung des armen Strumpfwirkers hinauf, wie ihn seine schon weit von der Stadt entfernten Reisegefährten nannten.
»Ihr wißt den Befehl?« sagte der Officier.
»Wenn er öffnet, wenn er sich durchsuchen läßt, wenn wir bei ihm das finden, was wir haben wollen, soll ihm nicht das geringste Leides angethan werden; geschieht das Gegentheil, so bekommt er einen guten Dolchstoß, einen Dolchstoß, versteht Ihr? nichts Pistole, nichts Büchse. Ueberdies ist das unnöthig, da wir zu vier gegen einen sind.«
Man kam zur Thüre.
Der Officier klopfte.
»Wer ist da?« rief Chicot plötzlich erweckt.
»Bei Gott! wir müssen listig sein.« sagte der Officier.
»Eure Freunde, die Specereihändler, die Euch etwas Wichtiges mitzutheilen haben,« antwortete er.
»Oh! oh!« rief Chicot, »der Wein von gestern hat Eure Stimmen sehr angeschwellt, meine Gewürzhändler.«
Der Officier milderte seine Stimme und sprach im weichsten Tone:
»Oeffnet doch, lieber Gefährte und Freund.«
»Alle Wetter, wie Euer Gewürz nach Eisen riecht!« sagte Chicot.
»Ah! Du willst nicht öffnen!« rief ungeduldig der Officier, »also drauf, stoßt die Thüre ein!«
Chicot lief an das Fenster, öffnete es und sah unten die zwei bloßen Schwerter.
»Ich bin gefangen,« rief er.
»Ah! ah! Gevatter,« sagte der Officier, der den Lärmen des Fenster, das man öffnete, gehört hatte. »Du fürchtest den gefährlichen Sprung und hast Recht. Vorwärts, öffne uns, öffne.«
»Meiner Treue, nein,« erwiederte Chicot, »die Thüre ist fest, und man wird mir zu Hilfe kommen, wenn Ihr Lärmen macht.«
Der Officier brach in ein Gelächter aus und befahl den Soldaten, die Angeln loszubrechen.
Chicot brüllte, um die Kaufleute herbeizurufen.
»Dummkopf!« sagte der Officier, »glaubst Du, wir haben Dir Hilfe gelassen? Du täuschest Dich, Du bist ganz allein, und folglich verloren. Auf, mache gute Miene zum bösen Spiel… und Ihr Leute, rührt Euch.«
Chicot hörte drei Musketenkolben mit der Gewalt und der Regelmäßigkeit von drei Widdern gegen die Thüre stoßen.
»Es sind da drei Musketen und ein Officier,« sagte er, »unten sind nur zwei Degen: fünfzehn Fuß zu springen, ist eine Erbärmlichkeit. Ich ziehe die Degen den Musketen vor.«
Und er band seinen Sack an seinen Gürtel, und stieg, ohne zu zögern, sein Schwert in der Hand haltend, auf den Rand des Fensters.
Die zwei unten gebliebenen Männer hielten ihre Klinge in die Luft.
Aber Chicot hatte richtig errathen.
Nie wird ein Mensch, und wäre er ein Goliath, den Sturz eines Menschen erwarten, und wäre dieser ein Pygmäe, wenn der letztere Mensch ihn tödten kann, indem er sich tödtet.
Die Soldaten veränderten ihre Taktik und wichen zurück, entschlossen, auf Chicot einzuhauen, wenn er gefallen wäre.
Darauf machte sich der Gascogner gefaßt. Er sprang als ein gewandter Mann auf die Fußspitzen und blieb gekauert; in demselben Augenblick verletzte ihm einer von den Leuten einen Stich, der eine Mauer durchdrungen hätte.
Aber Chicot gab sich nicht einmal die Mühe, zu pariren, er empfing den Stoß mitten auf der Brust; doch, durch das Panzerhemd von Gorenflot zerbrach die Klinge seines Feindes wie Glas.
»Er ist gepanzert,« sagte der Soldat.
»Bei Gott!« erwiederte Chicot, der ihm schon mit einem Hieb, mit verkehrter Hand, den Kopf gespalten hatte.
Der Andere schrie und war nur noch darauf bedacht, zu pariren, denn Chicot griff an.
Leider besaß er nicht einmal die Stärke von Jacques Clement. Chicot streckte ihn beim zweiten Ausfall neben seinem Kameraden nieder.
So daß der Officier, nachdem die Thüre gesprengt war, aus dem Fenster schauend, nur noch seine in ihrem Blute schwimmenden Soldaten sah.
Fünfzig Schritte von den Sterbenden entfloh Chicot ganz ruhig.
»Das ist ein Teufel,« rief der Officier, »er hat dir Eisenprobe.«
»Ja, aber nicht die Bleiprobe,« erwiederte ein Soldat, auf ihn anschlagend.
»Unglücklicher!« rief der Officier, indem er die Muskete aufhob, »kein Geräusch! Du wirst die ganze Stadt aufwecken; wir finden ihn morgen.«
»Oh!« sagte philosophisch einer von den Soldaten, »man hätte unten Vier Mann aufstellen sollen, und oben nur zwei.«
»Du bist ein Einfaltspinsel!« erwiederte der Officier.
»Wir wollen sehen, was ihm der Herzog sagt,« brummte der Soldat, um sich zu trösten.
Und er setzte den Kolben seiner Muskete auf die Erde.
Einundzwanzigstes Kapitel
Dritter Reisetag
Chicot entfloh nur mit dieser Bequemlichkeit, weil er sich in Etampes befand, das heißt mitten unter einer Bevölkerung, unter der Schutzwache einer Anzahl von Behörden, welche auf seine erste Requisition Gerechtigkeit geübt und selbst den Herzog von Guise verhaftet hätten.
Seine Gegner begriffen vortrefflich ihre falsche Stellung; der Officier verbot auch, wie wir gesehen, auf die Gefahr, Chicot entfliehen zu lassen, seinen Soldaten, von lärmenden Waffen Gebrauch zu machen.
Aus demselben Grunde enthielt er sich auch, Chicot zu verfolgen, der bei dem ersten Schritt, den man auf seiner Spur gethan haben wurde, geschrieen hätte, daß die ganze Stadt aufgeweckt worden wäre.
Um ein Drittel vermindert hüllte sich die kleine Truppe in die Finsternis, ließ, um sich weniger zu gefährden, die zwei Todten zurück, ohne ihre Schwerter mitzunehmen, die an ihrer Seite lagen, damit man glauben sollte, sie hätten sich gegenseitig getödtet.
Chicot suchte vergebens seine Kaufleute und ihre Commis.
Da er sodann annahm, daß diejenigen, mit welchen er es zu thun gehabt, sobald sie ihren Streich verfehlt sehen würden, sich wohl hüten müßten, in der Stadt zu bleiben, so dachte er, es wäre vernünftig von ihm, hier zu verweilen.
Mehr noch: als er einen Umweg gemacht und an der Ecke einer benachbarten Straße die Tritte von Pferden sich hatte entfernen hören, war er so kühn, in den Gasthof zurückzukehren.
Er fand den Wirth, der seine Kaltblütigkeit noch nicht wiedererlangt hatte und ihn sein Pferd im Stall satteln ließ, wobei er ihn mit einem Erstaunen ansah, als ob er ein Gespenst gewesen wäre.
Chicot benützte diese wohlwollende Verwunderung, um seine Zeche nicht zu bezahlen, welche von ihm zu fordern der Wirth sich seinerseits wohl hütete.
Dann brachte er die Nacht vollends in dem großen Saale eines andern Wirthshauses mitten unter Trinkern zu, die entfernt nicht vermutheten, der lange Unbekannte, mit dem lächelnden Gesicht und der freundlichen Miene habe, während er selbst beinahe getödtet worden, so eben zwei Männer erschlagen.
Der Tagesanbruch fand ihn auf der Landstraße, von einer Unruhe heimgesucht, die sich von Augenblick zu Augenblick vermehrte. Zwei Versuche waren gescheitert, ein dritter konnte unheilvoll für ihn sein.
In diesem Augenblick hätte er sich mit allen Guisards verglichen und sie mit den Mährchen bewirthet, die er so gut zu ersinnen wußte.
Ein Gebüsch jagte ihm eine nicht zu beschreibende Angst ein; ein Graben machte, daß ihm der Schauer durch den ganzen Leib lief; traf er auf eine etwas hohe Mauer, so wäre er beinahe umgekehrt.
Von Zeit zu Zeit gelobte er sich, sobald er in Orleans wäre, dem König einen Eilboten zu schicken und ihn zu bitten, ihm von Stadt zu Stadt ein Geleite zu geben.
Da aber die Straße bis Orleans verlassen und vollkommen sicher war, so dachte Chicot er würde unnöthiger Weise das Aussehen eines Feigen haben, der König müßte seine gute Meinung von Chicot verlieren und eine Escorte wäre sehr lästig; überdies war er schon an hundert Gräben, fünfzig Hecken, zwanzig Mauern, zehn Gehölzen vorübergekommen, ohne daß sich der geringste verdächtige Gegenstand unter den Bäumen oder unter den Steinen gezeigt hatte.
Doch nach Orleans fühlte Chicot seine Angst sich verdoppeln; es war bald vier Uhr und es kam folglich der Abend. Die Straße war von Gebüschen begränzt, als ob man im Walde marschirte und stieg wie eine Leiter aufwärts; von dem gewöhnlichen Wege sich abhebend, erschien der Reisende wie das Schwarze in der Scheibe für Jeden, der ein Verlangen gefühlt hätte, ihm eine Büchsenkugel zuzusenden.«
Plötzlich hörte Chicot in der Ferne ein Geräusch, ähnlich dem Gepolten das galoppirende Pferde auf trockenem Boden machen.
Er wandte sich um und sah unten am Abhang, den, er zur Hälfte zurückgelegt hatte, Reiter, welche mit verhängten Zügeln heraufsprengten.
Er zählte sie; es waren ihrer sieben.
Vier hatten Musketen auf der Schulter.
Die untergehende Sonne zog auf jedem Lauf einen langen blutrothen Schimmer.
Die Pferde dieser Reiter liefen viel schneller als das Pferd von Chicot. Dieser wollte sich durchaus nicht in einen Kampf der Geschwindigkeit einlassen, dessen Resultat eine Verminderung seiner Mittel für den Fall eines Angriffs gewesen wäre.
Er ließ nur sein Pferd im Zickzack gehen, um den Büchsenschützen die Festigkeit des Zielpunktes zu entziehen.
Nicht ohne eine tiefe Kenntniß der Büchse im Allgemeinen und der Büchsenschützen ins Besondere, wandte Chicot dieses Manoeuvre an, denn in dem Augenblick, wo die Reiter noch fünfzig Schritte von ihm entfernt waren, wurde er mit vier Schüssen begrüßt, von denen drei, der Richtung folgend, in der die Reiter schossen, über seinem Kopfe hingingen.
Chicot erwartete, wie wir gesehen, diese vier Büchsenschüsse und hatte auch zum Voraus seinen Plan gemacht, als er die Kugeln pfeifen hörte, ließ er die Zügel los und glitt von seinem Pferde herab.
Er war so vorsichtig gewesen, sein Schwert aus der Scheide zu ziehen, und hielt in der linken Hand einen Dolch so schneidend wie ein Rasirmesser und so spitzig wie eine Nabel.
Er fiel also, und dies so, daß seine Beine gebogene Federn, bereit, sich abzuspannen, waren; durch die Stellung, die er im Fallen genommen, war sein Kopf zugleich durch die Brust seines Pferdes geschützt.
Ein Freudengeschrei erhob sieh aus der Gruppe der Reiter, die, als sie Chicot fallen sahen, ihn für todt hielten.
»Ich sagte es Euch wohl, Dummkopf,« rief im Galopp herbeisprengend ein Verlarvter, »Ihr habt Alles verfehlt, weil man nicht buchstäblich meinen Befehlen gehorchte. Diesmal liegt er unten. Man durchsuche ihn mag er todt oder lebendig sein, und wenn er sich rührt, mache man ihm den Garaus.«
»Sehr wohl, gnädiger Herr,« sagte ehrfurchtsvoll einer von den Leuten.
Sie stiegen Alle ab, mit Ausnahme eines Mannes, der die Zügel zusammenfaßte und die Pferde bewachte.
Chicot war nicht gerade ein frommer Mann, doch in solchen Augenblicken dachte er, daran, daß es einen Gott gibt, daß ihm dieser Gott die Arme öffnete und daß vielleicht, ehe fünf Minuten vergingen, der Sünder vor seinem Richter stehen würde.
Er murmelte ein finsteres, glühendes Gebet, das sicherlich oben gehört wurde.
Zwei Männer näherten sich Chicot; sie hatten beide das Schwert in der Hand.
Aus der Art, wie Chicot seufzte, ersah man wohl, daß er nicht todt war.
Da er sich nicht rührte und sich durchaus nicht zur Vertheidigung anschickte, so beging der eifrigere von Beiden die Unklugheit, sich dem Bereiche der linken Hand zu nähern; wie durch eine Feder gestoßen, drang ihm sogleich der Dolch in seine Gurgel, wo sich das Stichblatt wie auf weichem Wachs eindrückte. Zu gleicher Zeit verschwand die Hälfte des Schwertes, das Chicot in der rechten Hand hielt, in den Lenden des zweiten Reiters, der entfliehen wollte.
»Bei Gott!« rief der Anführer, »das ist Verrath. Schlagt an, der Bursche ist noch sehr lebendig.«
»Gewiß, ich bin noch sehr lebendig,« rief Chicot, dessen Augen Blitze schleuderten, und rasch wie der Gedanke warf er sich auf den Anführer und setzte ihm die Spitze auf die Larve.
Doch schon hielten ihn zwei Soldaten umfangen; er wandte sich um, durchschlug einen Schenkel mit einem gewaltigen Schwertstreich und war befreit.
»Kinder! Kinder! Mord und Tod, greift zu den Büchsen.« rief der Anführer.
»Ehe die Büchsen fertig sind,« sprach Chicot, »habe ich Dir die Eingeweide geöffnet, Schurke, und die Stricke Deiner Maske durchschnitten, daß ich weiß, wer Du bist?«
»Haltet fest, Herr, haltet fest, und ich werde Euch beschützen,« rief eine Stimme, bei deren Klang Chicot glaubte, sie komme vom Himmel.
Es war die Stimme eines schönen jungen Mannes, der auf einem guten Rappen ritt. Er hatte zwei Pistolen in der Hand und rief Chicot zu:
»Bückt Euch, bückt Euch, beim Himmel! bückt Euch doch!
Chicot gehorchte.
Es krachte ein Pistolenschuß und ein Mann, der seinen Degen fallen ließ, wälzte sich zu den Füßen von Chicot.
Indessen sträubten sich die Pferde; die drei überlebenden Reiter wollten die Steigbügel wieder erreichen, aber es gelang ihnen nicht; der junge Mann feuerte mitten in dieses Gemenge einen zweiten Pistolenschuß, der abermals einen Soldaten niederwarf.
»Zwei gegen zwei,« sagte Chicot, »edler Retter, nehmt den Eurigen, hier ist der meinige.«
Und er drang auf den verlarvten Reiter ein, der ihm indessen, zitternd vor Wuth oder vor Furcht, wie ein in der Handhabung der Waffen geübter Mann Stand hielt.
Der junge Mann hatte seinerseits seinen Feind um den Leib gefaßt, niedergeworfen, ohne nur das Schwert in die Hand zu nehmen, und knebelte ihn mit seiner Degenkuppel wie ein Lamm auf der Schlachtbank.
Als sich Chicot einem einzigen Feinde gegenübersah, gewann er wieder seine Kaltblütigkeit und folglich seine Ueberlegenheit.
Er griff seinen Gegner, der ziemlich beleibt war, gewaltig an, drängte ihn an den Graben der Straße zurück und brachte ihm, auf eine Secundfinte, einen Degenstich mitten in die Rippen bei.
Der Mann fiel.
Chicot setzte den Fuß auf das Schwert des Besiegten, daß er es nicht mehr fassen konnte, durchschnitt mit seinem Dolche die Schnüre der Larve und rief:
»Herr von Mayenne!… Alle Wetter! ich vermuthete es.«
Der Herzog antwortete nicht; er war ohnmächtig, gelb durch den Blutverlust, halb durch das Gewicht des Sturzes.
Chicot kratzte sich an seiner Nase, seiner Gewohnheit gemäß, wenn er einen Akt von hoher Bedeutung zu vollbringen hätte. Nachdem er eine halbe Minute nachgedacht, schlug er seinen Aermel zurück, nahm seinen breiten Dolch und näherte sich dem Herzog, um ihm ganz einfach den Kopf abzuschneiden.
Da fühlte er aber, wie ein eiserner Arm den seinigen preßte, und er hörte eine Stimme sagen:
»Alles schön und gut, mein Herr, doch man tödtet einen zu Boden liegenden Feind nicht.«
»Junger Mann,« erwiederte Chicot, »es ist wahr, Ihr habt mir das Leben gerettet und ich danke Euch von ganzem Herzen dafür; doch empfangt eine kleine, in den Zeiten der Entartung, in denen wir leben, sehr nützliche Lection. Wenn ein Mensch in drei Tagen drei Angriffe ausgehalten hat, wenn er dreimal in Lebensgefahr gewesen ist, wenn er noch ganz warm ist von dem Blute von Feinden, welche aus der Ferne, ohne irgend eine Aufforderung von seiner Seite, vier Büchsenschüsse nach ihm abfeuerten, wie nach einem wüthenden Wolf, dann, junger Mann, kann dieser Muthige, erlaubt mir, es zu sagen, kühn thun, was ich thun werde.«
Und Chicot nahm seinen Feind wieder beim Hals, um seine Operation zu vollenden.
Doch auch diesmal hielt ihn der junge Mann zurück und sprach:
»Ihr werdet das nicht thun, mein Herr, wenigstens nicht, so lange ich da bin, man vergießt nicht so ganz und gar ein Blut wie das, welches der Wunde entströmt, die Ihr schon gemacht habt.«
»Bah!« sagte Chicot erstaunt, »Ihr kennt diesen Elenden?«
»Dieser Elende ist der Herr Herzog von Mayenne, ein Fürst an Größe vielen Königen gleich.«
»Ein Grund mehr,« sprach Chicot mit düsterem Tone… »Doch Ihr, wer seid Ihr?«
»Ich bin derjenige, welcher Euch das Leben gerettet,« antwortete kalt der junge Mann.
»Und der mir, wenn ich mich nicht täusche, vor drei Tagen bei Charenton einen Brief vom König übergeben hat.«
»Ganz richtig.«
»Dann seid Ihr im Dienst des Königs, mein Herr?«
»Ich habe die Ehre.«
»Und während Ihr im Dienst des Königs seid, schont Ihr Herrn von Mayenne? Gottes Tod! erlaubt mir, Euch zu sagen, daß dies nicht das Benehmen eines guten Dieners ist.«
»Ich glaube im Gegentheil, daß ich in diesem Augenblick der gute Diener des Königs bin.«
»Vielleicht,« erwiederte Chicot traurig, »vielleicht; doch es ist hier nicht der Ort und die Zeit, zu philosophiren. Wie heißt Ihr?«
»Ernauton von Carmainges.«
»Nun, Herr Ernauton, was machen wir mit diesem dicken Aas, das an Größe allen Königen der Erde gleich ist? denn ich, ich suche das weite Feld, das sage ich Euch zum Voraus.«
»Ich werde über Herrn von Mayenne wachen.«
»Und was macht Ihr mit dem Gesellen, der dort horcht?«
»Der arme Teufel hört nichts, ich habe ihn, wie mir scheint, zu fest zusammengeschnürt, und er ist ohnmächtig.«
»Herr von Carmainges, Ihr habt mir das Leben gerettet, doch Ihr gefährdet es furchtbar für später.«
»Ich thue heute meine Pflicht, Gott wird für die Zukunft sorgen.«
»Es geschehe also, wie Ihr wünscht. Ueberdies widerstrebt es mir, diesen wehrlosen Menschen zu tödten, obgleich er mein grausamster Feind ist. Gott befohlen, mein Herr.«
Nach diesen Worten drückte Chicot Ernauton die Hand.
»Er hat vielleicht Recht,« sagte er, während er sich entfernte, um sein Pferd wieder zu besteigen.
Dann kehrte er noch einmal um und sprach:
»Ihr habt im Ganzen hier sieben gute Pferde; ich glaube vier für meinen Antheil gewonnen zu haben; helft mir eines auswählen… Ihr versteht Euch darauf?«
»Nehmet das meinige,« erwiederte Ernauton, »ich weiß, was es zu leisten vermag.«
»Oh! das ist zu viel Großmuth, behaltet es für Euch.«
»Nein, ich brauche nicht so schnell zu marschiren.«
Chicot ließ sich nicht bitten. Er schwang sich auf das Pferd von Ernauton und verschwand.