Kitabı oku: «Die Holländerin», sayfa 9
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Wie eine Wahnsinnige rannte Madame Van-Dick aus dem Hause ihres Gatten. Als sie indeß sah, daß man sie beobachtete, ging sie langsamer und suchte sich das Ansehen einer Spaziergängerin zu geben. Sechs Uhr war bereits vorüber, und als ihr Geist ein wenig ruhiger geworden war, drängte sich ihr die Frage auf: wohin? Um Herrn Van-Dick zu erschrecken, hatte sie ihm zwar gesagt, daß sie nicht wieder zurückkehren würde, aber in dem Augenblicke, in dem sie diese Worte sprach, wußte sie noch nicht, wo sie die gastliche Aufnahme finden würde, deren sie, fern von dem Dache des Gemahls, bedurfte. Als sie der Ironie gedachte, mit welcher ihr Mann die angedrohte Scheidung aufgenommen, beschloß Euphrasia, um jeden Preis die Nacht außerhalb ihrer Wohnung zuzubringen, denn sie war überzeugt, daß Herr Van-Dick, wenn er am folgenden Morgen erführe, sie sei nicht im Hause gewesen, in alles willigen würde, um den Eclat zu vermeiden.
Euphrasia dachte, wie wohl natürlich, an die Freundin, welche am Morgen Zeugin jener Scene gewesen war; bei ihr hoffte sie ein Asyl zu finden, um so mehr, da sie ihr Verfahren gebilligt hatte. Sie schlug demnach den Weg nach der Wohnung dieser Freundin ein, die, beiläufig gesagt, Witwe war. Das Haus, welches diese Witwe bewohnte, lag nicht weit vom Prinzen-Kanale und bald hatte sie die Thür desselben erreicht. Madame Van-Dick stieg die Treppen hinan bis zum zweiten Stockwerke, blieb vor der ersten Thür rechts stehen und zog die Glocke.
Es erfolgte keine Antwort.
Euphrasia wartete einige Augenblicke und zog zum zweiten Male die Glocke. dasselbe Schweigen.
Man sollte glauben, daß Madame Van-Dick ungeduldig werden würde; o nein – ruhig klopfte sie nun mit der Hand an die Thür, die aber verschlossen blieb. Die Thür gegenüber öffnete sich und eine alte Frau, die mit dem Kopfe heraussah, theilte unserer Dame mit, daß es unnütz sei, länger zu klopfen, da alle Bewohner dieser Wohnung ausgegangen seien.
Euphrasia befand sich demnach in einer großen Verlegenheit; die Nothwendigkeit, unter das Dach des Gatten zurückzukehren, kämpfte mit Vortheil gegen Eigenliebe und Zorn, die ihr sagten, es zu fliehen. Plötzlich, als ob ein rettender Gedanke in ihr aufstiege, blieb sie stehen, schlug dann eine Querstraße ein und schritt einem der einsamsten Stadttheile zu. Endlich trat sie in eine von den ruhigen Straßen, welche, obgleich noch zur Stadt gehörig, dennoch schon das Land ankündigen. Vor einem kleinen Hause, dessen Giebel der Straße zugewandt war und gastlich einige Schwalbennester bedeckte, blieb sie stehen.
Die Fenster dieses kleinen, freundlichen Hauses erglänzten im letzten Schimmer der scheidenden Sonne, und wie eine zierliche Arabeske wand sich ein Weinstock, dessen grünes Laub mit der Weiße der Mauer lieblich contrastierte, an der Façade desselben hin.
In den Fenstern des ersten Stockwerks sangen Vögel und feierten in Liedern den Abschied der Sonne. Man fühlte bei dem Anblicke dieser friedlichen Wohnung, daß nie ein schlechter Gedanke die Schwelle derselben überschritten hatte.
Madame Van-Dick blieb also vor diesem Hause einen Augenblick stehen, stieg dann die zwei Stufen zur Thür hinan und setzte den kleinen ciselirten Hammer in Bewegung, der in der Mitte derselben angebracht war.
Ein dickes braunes Mädchen öffnete.
– Ist Herr Mametin zu Hause? fragte Madame Van-Dick.
– Ja, antwortete die Magd.
– Ist er bei Tische?
– Ja, Madame.
– Allein?
– Mit Madame Mametin.
– Das meine ich. Kann ich eintreten?
– Ja.
– Melden Sie Madame Van-Dick.
– O, ich weiß Ihren Namen, sprach das Mädchen.
Hierauf öffnete sie die Thür, welche sich rechts am Fuße der Treppe befand, ging durch ein Vorzimmer, öffnete dann die Thür des Speisesaals und meldete Madame Van-Dick. Madame Mametin erhob sich und eilte der Ankommenden entgegen.
– Ah, vortrefflich, rief sie, daß Sie uns endlich einmal besuchen! Haben Sie schon gespeist?
– Nein.
– Speisen Sie mit uns?
– Gern.
– Noch ein Couvert! befahl Madame Mametin.
Euphrasia näherte sich nun dem Doctor, der ebenfalls aufgestanden war.
– Gestern war Herr Van-Dick hier, sprach er; ich war recht böse, daß er ohne Sie kam. Louise trug ein so großes Verlangen, Sie zu sehen, daß sie Ihnen morgen einen Besuch abgestattet haben würde. Wir haben uns seit unserer Rückkehr noch nicht gesehen.
– Wie war Ihre Reise?
– Vortrefflich!
– Ist sie allen wohl bekommen?
– Allen.
– Auch dem Jakob?
– Auch dem Jakob; er hat die Anstrengungen der Reise ertragen, wie es sich für einen guten Papagei schickt.
– So reist Jakob stets mit Ihnen? fragte Madame Van-Dick, nachdem sie Hut und Shawl abgelegt und zwischen dem Doctor und Louisen Platz genommen hatte.
– Stets!
– Diese Begleitung muß aber sehr lästig sein?
– Nein; wir reisen mit Extrapost, und ich möchte lieber nicht reisen, als mich von ihm trennen.
– So ist er wohl ein Andenken?
– Ja, ein Andenken, auf das mein Mann nicht eifersüchtig sein will, sprach Louise, indem sie dem Greise lächelnd die Hand reichte. Dieser sah die junge Frau mit einem Blicke väterlicher Zärtlichkeit an und drückte innig die dargebotene Rechte.
– Ach, Sie sind sehr glücklich!
– Sind Sie es nicht?
– Nicht immer, und dieser Umstand ist es, der mich zu Ihnen führt, um mir Rath und Trost von Ihnen zu erbitten.
– Sie sind unglücklich?
– Ja.
– Das ist unmöglich! Herr Van-Dick liebt Sie.
– Ich werde Ihnen heute Abend alles erzählen, antwortete Madame Van-Dick, indem sie die Suppe zu essen begann, die man ihr serviert hatte. Von wo kommen Sie? fragte die Louise, um dem Gespräche eine andere Richtung zu geben, denn sie wollte die Frau allein zu ihrer Vertrauten machen.
– Von Mailand.
– Sie wollten doch sobald nicht zurückkehren?
– Es ist wahr; aber Louise wollte abreisen, sprach der Doctor, und wie immer, war ich auch diesmal ihrer Meinung.
– O mein Gott, welch eine glückliche Ehe!
– Sie beklagen sich, Sie, die beneidetste Frau der ganzen Stadt?
– Sie werden sehen, daß ich sehr zu beklagen bin.
– Gedenken Sie eine zweite Reise zu unternehmen?
– Nein, antwortete Louise.
– Wollen Sie auf das Land gehen?
– Noch nicht.
Unter Fragen und Antworten dieser Art, die für uns ohne Interesse sind, ward die Mahlzeit beschlossen. Herr Mametin stand zuerst vom Tische auf, indem er zu seiner Frau sprach:
– Ich habe einige Briefe zu schreiben und lasse Dich mit Madame Van-Dick allein, damit sie Dir ihren Kummer mittheilen kann. Und nachdem er Euphrasia die Hand geküßt, ergriff er sanft mit beiden Händen Louise’s Kopf und drückte einen Kuß auf ihre Stirn, wie ein Vater bei dem Abschiede von einer Tochter zu thun pflegt; dann verließ er das Zimmer. Die beiden Frauen gingen in den Garten und ließen sich auf den Stühlen nieder, die am Eingange einer Laube standen.
– Wie glücklich sind Sie, da Sie so geliebt werden! begann Madame Van-Dick.
– Der würdige Mann! antwortete Louise. Nie habe ich eine aufmerksamere Zärtlichkeit gefunden, als die seinige. Ich bin ein einziges Glück auf dieser Welt, ich würde in den Tod gehen, um ihm einen Kummer zu ersparen.
– Sie sind sehr glücklich!
– Es ist wahr! Jener Kummer, von dem Sie vorhin sprachen, ist wohl nur ein Scherz gewesen, nicht wahr?
– Durchaus nicht!
– Was ist Ihnen denn begegnet, liebe Freundin?
– Zunächst muß ich Ihnen mittheilen, was sich während Ihrer Abwesenheit ereignet hat. Sie wissen doch, daß mein Mann eine Reise nach Mailand gemacht, wo er Sie besucht hat. Ohne sich um meinen Schmerz zu kümmern, führte er diese Reise eben so plötzlich aus, als der Gedanke in ihm aufstieg. Aber nun denken Sie sich, beste Freundin, was jetzt wieder geschehen ist.
– Nun?
– Herr Van-Dick interessiert sich bis zur Leidenschaft für einen Menschen, den er auf der Straße von Mailand angetroffen, hierher geführt und in unser Haus aufgenommen hat, und dieser Mensch richtet nun die größeste Verwirrung in unserm Hauswesen an.
– Welch eine Idee!
– Hören Sie nur weiter, das ist noch nicht alles. Derselbe Mensch nun – ich muß gestehen, daß er ein eleganter und ziemlich hübscher Mann ist, obgleich er ein fades, nichtssagendes Gesicht besitzt – ist leidenschaftlich in mich verliebt und macht mir auf eine sehr zudringliche Art den Hof.
– Und Sie?
– Ich habe meinen Mann davon unterrichtet.
– Daran haben Sie unrecht gethan. Sie hätten dem jungen Manne sagen sollen, daß er seine Zeit besser anwenden möge, und alles wäre gesagt gewesen.
– Glauben Sie?
– Gewiß.
– Nun, ich habe es ihm gesagt, er fuhr aber beharrlich fort.
– Und dann?
– Dann sagte ich Herrn Van-Dick, daß ich gehört habe, der Neuangekommene verlasse das Haus.
– Die Antwort?
– War ein lautes Lachen.
– Weiter!
– Als die Nachstellungen dieses Herrn mir zu stark wurden, sagte ich meinem Manne, daß ihm die Wahl bliebe zwischen mir und Herrn Tristan.
– Tristan! rief Louise und bebte zusammen.
– Ja, Tristan. Kennen Sie ihn?
– Vielleicht! Wie sieht er aus?
– Er ist ein schlanker, brauner Mann mit schwarzen Augen, singt und zeichnet. Wie er sagt, ist er Franzose und war früher mit einer Frau verheirather, die er liebte, wie er nie eine andere liebte und lieben wird; sie ist aber todt. Ist er das?
– Nein, antwortete Louise, die Zeit gehabt hatte, ihre Sinne zu sammeln und um alles in der Welt eine Frau wie Madame Van-Dick nicht zur Vertrauten eines solchen Geheimnisses machen wollte; nein, der, den ich kenne, fuhr sie fort und hustete, um ihr Zittern zu verbergen, ist blond.
– Dann ist er es nicht.
– Und dieser Herr liebt Sie? fragte Louise.
– Bis zum Wahnsinn.
– Wie aber kommt es, daß er Sie liebt, wie Sie sagen, nachdem er Ihnen gestanden hat, daß er nie eine Person lieben wird, wie er seine Frau geliebt?
Madame Van-Dick ward ein wenig roth, denn sie sah, daß sie sich festgefahren hatte.
– Die Männer sprechen immer so, entgegnete sie nach einem Augenblicke, um sich interessant zu machen, oder die Frau, die sie begehren, an einen doppelten Sieg glauben zu machen.
– Es ist wahr, das Mittel ist nicht schlecht. Befindet sich dieser Herr Tristan immer noch in Ihrem Hause?
– Ja.
– Und was hat Ihr Mann geantwortet, als Sie ihm die Wahl zwischen Ihnen und Tristan ließen?
– Er hat Tristan gewählt.
– Und nun?
– Nun habe ich das Haus verlassen und zähle auf Sie.
– Auf mich! Was kann ich dabei thun?
– Nichts, als mir ein Asyl geben.
– Hier?
– Hier!
– Wollen Sie denn wirklich nicht wieder zurückkehren?
– Nein.
– Ich bin untröstlich, Ihnen das, was Sie wünschen, nicht gewähren zu können.
– Warum?
– Weil wir morgen auf das Land reisen.
– Sie sagten mir aber vorhin, daß Sie nicht reisen würden.
– Das ist wahr; aber ich weiß, daß es Herr Mametin sehnlichst wünscht, und da er mir nie etwas verweigert, glaube ich mich ihm nachgiebig zeigen zu müssen.
Eine andere, die weniger mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen wäre, als Madame Van-Dick, hätte sehr leicht Louise’s große Bewegung bemerkt.
– Ein unglückliches Zusammentreffen! sprach Euphrasia in einem schmerzlichen Tone.
– Außerdem, meine beste Freundin, ist der Entschluß, den Sie glauben gefaßt zu haben, nur eine Grille. Denken Sie denn, daß Sie das Haus Ihres Gatten verlassen können, ohne Aufsehen in der Stadt zu erregen? Da die Welt die wahre Ursache nicht kennt, wird man alle Schuld auf Sie wälzen. Denken Sie an Ihr Kind und glauben Sie sicherlich, Herr Van-Dick hat Sie nur gehen lassen, weil er weiß, daß Sie wieder zurückkehren, wenn Sie den Rath einer Freundin gehört, die Ihnen offen und frei erklärt, daß das Unrecht auf Ihrer Seite ist. Darum gehen Sie diesen Abend ruhig in Ihr Haus zurück und thun Sie, als ob nichts vorgefallen sei, Sie werden dann durch Milde erlangen, was man Ihrem Zorne verweigerte.
– Ach, ich bin sehr unglücklich! rief Madame Van-Dick.
– Sie denken sich Ihre Lage schlimmer, als sie in der That ist. Ich bin indeß Ihrer Ansicht, Herr Tristan muß nicht nur Ihr Haus, sondern Amsterdam, selbst Holland verlassen. Man kann den Zwischenraum zwischen sich und einem Manne, der liebt, nie genug ausdehnen.
– Sie haben Recht.
– Machen Sie dies Ihrem Manne begreiflich. Ist Tristan reich?
– Nein.
– Hat er keine andere Stellung, als die, welche ihm Ihr Mann gegeben?
– Nein.
– Das ist nicht gut.
– Warum?
– Weil man ihn nicht fortschicken kann, ohne ihm seine Stellung zu rauben.
– Was thut das? Er hat mich beleidigt.
– Ich gebe es zu; das Elend ist aber für einen Mann, der nichts verbrochen hat als eine junge, hübsche Frau zu lieben, eine zu harte Strafe.
Euphrasia schlug die Augen nieder. Nach einer Pause fuhr sie fort:
– Sie sagten mir vorhin, liebe Freundin, Herr Tristan müsse Holland verlassen, und jetzt meinen Sie wieder, es dürfe nicht geschehen, ohne ihm seine Stellung zu rauben? Beides läßt sich nicht vereinigen.
– Sie haben Recht, ich dachte so eben daran; man müßte ihm eine ähnliche an einem dritten Orte, entfernt von hier, zu verschaffen suchen.
In diesem Augenblicke trat der Doctor zu den beiden Damen.
– Nun, sprach er mit einem wohlwollenden Lächeln, haben Sie Ihre großen Geheimnisse ausgetauscht? Darf man näher treten?
– Ja, mein bester Freund, antwortete Louise mit zitternder Stimme, vor Ihnen haben wir keine Geheimnisse.
– Welche von Ihnen bedurfte einer Vertrauten?
– Ich! sprach Euphrasia.
– Um in dieser Angelegenheit ein baldiges Resultat zu erzielen, können Sie uns ein wenig helfen, fügte Louise hinzu.
– Diese Sorge überlasse ich Ihnen, sprach Euphrasia, indem sie aufstand, ich muß nach Hause zurückkehren, da Sie mir die erbetene Gastfreundschaft verweigern.
– Wie, rief Herr Mametin, Du verweigert Madame Van-Dick eine gastliche Aufnahme?
– Ich liebe meine Freundin zu sehr, um ihr eine solche zu bewilligen. Unsere liebe Uebermüthige will nämlich eines kleinen Streites wegen, den sie mit ihrem Gemahle gehabt, nicht wieder zu ihm zurückkehren, sondern hier bleiben und uns zu Genossen des Kummers machen, den sie dem armen Herrn Van-Dick dadurch bereiten wird. Ich habe ihr deshalb ein wenig gegrollt und sie will nun zurückkehren und ihren Mann um Verzeihung bitten, nicht wahr?
– Ach, meine beste Freundin! antwortete Euphrasia, indem sie Louise die Hand reichte.
– Um die Sache noch einfacher zu machen, fuhr der Doctor fort, wollen wir Madame Van-Dick begleiten.
– O, das ist unnütz, der Abend ist schön und hell wie der Tag, außerdem will ich auch nicht, um ihn zu bestrafen, daß mein Mann um meine Rückkunft weiß.
Louise athmete wieder auf, denn der Leser kann sich wohl denken, daß dieser Vorschlag, wenn Euphrasia ihn angenommen, ihr eine nicht geringe Verlegenheit herbeigeführt haben würde.
– Freunde, meine theuren Freunde, verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen mit meinen Familienangelegenheiten lästig gewesen bin, sprach Madame Van-Dick, indem sie sich zu seufzen bemühte; erlauben Sie, daß ich mich zurückziehe! Die beiden Frauen umarmten sich.
– Morgen, sprach Herr Mametin, sehen wir uns vielleicht.
– Ach ja, kommen Sie, kommen Sie, rief Euphrasia, Sie werden mich sehr glücklich machen! Mit diesen Worten näherte sie sich der Straßenthür, welche ihr eine Magd öffnete.
– Wir wollen Ihnen nicht fest versprechen, daß wir morgen bestimmt kommen, fügte Louise hinzu, aber jedenfalls werden wir uns mit dem beschäftigen, wovon wir sprachen.
Noch einmal drückten sich die beiden Frauen die Hand, dann schieden sie.
Madame Van-Dick ging, im höchsten Grade auf Tristan erbittert, aber erfreut einen Vorwand gefunden zu haben, um unter ihr eheliches Dach zurückkehren zu können, dem Prinzen-Kanale zu, und Herr Mametin und Louise kehrten Arm in Arm in den Saal zurück.
Es ist leicht begreiflich, daß Louise ein wenig nachdenkend geworden war.
– Was fehlt Dir, mein Kind? sprach der Doctor, indem er sich ihr zur Seite niederließ.
– O nichts, mein Freund, ich dachte noch an das, was mir Madame Van-Dick vorhin mittheilte, antwortete Louise und konnte sich eines hohen Erröthens nicht erwehren.
– Was hat sie Dir erzählt?
– Nichts als Thorheiten.
– Ich glaube es, denn sie ist ein wenig töricht.
– Sie behauptet nämlich, daß ein junger Mann, dem ihr Gatte sehr zugethan ist und der als Erzieher ihres Sohnes im Hause wohnt, sie liebt. Da die Nachstellungen desselben ihr lästig werden, verlangt sie, daß er das Haus des Herrn Van-Dick verlasse. Nun aber hat der arme junge Mann keine andere Stelle, und ich habe ihr gesagt, daß man, bevor man ihm diese raubte, ihm eine andere, wo möglich sehr entfernt von hier, verschaffen müsse. Ich dachte, daß Sie ihm vielleicht dabei nützlich sein könnten.
– Was hat der junge Mann gelernt?
– Alles, wie mir Madame Van-Dick sagte; er hat sogar Medicin studiert, fügte Louise hinzu, die sich der Einzelheiten, welche Euphrasia mitgetheilt, nicht mehr entsinnen, diesen Umstand aber, ohne Befürchtung eines Widerspruches, anführen konnte.
– Und Du hältst dafür, daß man sich um diesen jungen Mann bemühe?
– Ja.
– Wie heißt er?
Louise stockte und wurde roth.
– Weißt Du einen Namen nicht?
– O ja, er nennt sich Tristan, antwortete sie sehr laut, um die Bewegung zu verbergen, die sich ihrer unwillkührlich bei Nennung dieses Namens bemächtigte.
– Ich verstehe, sprach der Doctor mit einem Blicke voll unaussprechlicher Milde; Du interessirst Dich für den Mann, weil sein Name Dich an Dein früheres Glück erinnert. Sei ruhig, mein Kind, ich werde an ihn denken.
– Wie gut sind Sie!
– Mein armes Kind, Du bist gut, Du, so jung und schön, opfert einem Greise Dein Leben; er wird sich jedoch beeilen, recht bald zu Gott zurückzukehren und Dich Deiner Freiheit und Dein Herz den Illusionen der Jugend zurückzugeben. Glaubst Du, Louise, daß ich eifersüchtig bin, oder daß ich eine andere Sorge hege als die, Dich glücklich zu machen? Es giebt Tage, meine beste Louise, wo ich bereit bin, das Haus zu verlassen, um in irgend einem Winkel zu sterben und Dich reich und glücklich zu machen, denn ich, der hohe Greis, ich maße mir durchaus nicht das Recht an, mein Geschick an das Deinige zu ketten; aber ich bleibe, weil ich Dich liebe und weil ich die Ueberzeugung hege, daß die Natur in das Opfer, das Du mir bringt, nicht lange mehr willigen wird.
– Was sagen Sie da, mein Freund, mein Vater? Verdanke ich Ihnen nicht Alles? Was wäre aus mir geworden, wenn die Vorsehung Sie mir nicht entgegengeführt? Glauben Sie, daß ich auch nur einen Augenblick das Glück vergesse, dessen Sie mich theilhaftig werden lassen, und dessen ich vielleicht nicht einmal würdig bin? Es ist wahr, indem ich von Madame Van-Dick diesen Namen nennen hörte, erinnerte ich mich des unglücklichen Todes meines Mannes und ich fürchtete, daß der Verlust seiner Stelle und das Elend jenen jungen Mann zu demselben Entschlusse verleiten könnten. Sie sehen, daß ich keinen Augenblick an Ihrem Herzen gezweifelt, da ich mich an Sie wandte.
– Und daran hast Du wohlgethan. Morgen schon werde ich mich mit dem jungen Manne beschäftigen und für ihn sorgen, als ob er mein eigener Sohn wäre. Umarme mich, liebes Kind, denn ich will mich zurückziehen, um Dir nicht länger lästig zu sein.
– Wie können Sie mir nur solche Sachen sagen! rief Louise, umschlang mit ihren Armen den Hals des Greises und drückte einen Kuß auf seine Stirn.
– Ich will damit nur gesagt haben, daß Du Alles thun sollst, was Dir gut scheint, antwortete der Doctor, und daß ich glücklich bin, den geringsten Deiner Launen zuvorzukommen. Habe ich Dir je etwas verweigert? Du wolltest Frankreich verlassen, und ich habe Dich in dieses Land geführt, weil ich hoffte, Dir Zerstreuung zu bereiten; Du hast Italien sehen wollen, und vierundzwanzig Stunden später saßen wir im Wagen. In Mailand, wo wir uns einige Zeit aufhalten wollten, fiel es Dir plötzlich ein, abzureisen; ich ließ Postpferde bestellen und wir sind hierher zurückgekehrt: dies alles macht mich so glücklich, daß ich die Last meines Alters kaum fühle. Darum sei immerhin ausgelassen und launisch, und grolle mit mir, wenn ich nicht im Augenblicke gehorche, Du hast das Recht dazu, denn, indem ich für Dein Glück sorge, mache ich vielleicht nur ein wenig das Unrecht wieder gut, das ich in meinem Leben begangen habe.
– Wie, Sie haben etwas Unrechtes begangen?
– Vielleicht; jedoch ohne meinen Willen. Jugend hat nicht Tugend, und ich war einmal jung, obgleich man mir es heute nicht mehr ansieht. Es lebt vielleicht jemand in der Welt, der durch meine Schuld leidet, und das Gute, das ich ausübe, wenn man anders meinen Gehorsam für Dich so nennen kann, ist nur eine kleine Sühnung der Vergangenheit.
– Was wollen Sie damit sagen?
– Ich will sagen, liebes Kind, daß sich vielleicht alles ausgleichen wird, daß ich in Dir die Gelegenheit erblicke, welche die Vorsehung mir gesendet, um mich mit Gott auszusöhnen, und daß das Glück, mit welchem ich Dich zu umgeben versucht habe, mich glücklicher macht, als Dich. Ich will sagen, daß Du mir behilflich bist, eine schwarze Erinnerung aus meinem Leben zu verlöschen. Wenn ich mein Alter und meine Schwachheit betrachte, so denke ich immer, daß der gütige Gott mich nicht sterben läßt, ehe ich allen denen, die ich liebe, nicht das gegeben habe, was ich ihnen schulde.
– So haben Sie noch nie zu mir gesprochen!
– Verzeihe mir, mein Kind, wenn ich Deine Traurigkeit durch die Erzählung meiner Sünden noch vermehre. Reden wir nicht mehr davon, sondern suchen wir morgen unserm Unbekannten zu helfen. Morgen früh wollen wir ihn besuchen.
– Und ich, antwortete Louise, die fürchtete, daß ihr Mann sie zu Madame Van-Dick führte, ich gehe auf das Land.
– Ich glaubte, Du zögest es vor, hier zu bleiben?
– Nein, ich will lieber auf das Land gehen.
– Gut, so gehst Du morgen dahin, und wenn Du es erlaubt, begleite ich Dich. Doch nun wollen wir uns trennen, mein Engel, es ist schon spät. Bitte Gott, daß er mir verzeiht, und er wird mir verzeihen.
– Gute Nacht, mein Freund, antwortete Louise und bedeckte die dargebotene Hand des Greises mit Küssen.
Louise zog die Glocke. Die Kammerfrau erschien und beide gingen in das Schlafzimmer der Madame Mametin, ein Meisterwerk, das Koketterie, Luxus und Geschmack erfunden.
Später zog auch Herr Mametin die Glocke. Ein alter Diener erschien und beide gingen nach dem entgegengesetzten Flügel des Hauses in das Schlafzimmer des Greises, ein wahres Muster von Einfachheit.
Eine Stunde später waren, mit Ausnahme eines einzigen, alle Lichter im Hause ausgelöscht. Dieses Licht brannte in Louise’s Zimmer, welche, ein Buch in der Hand, zu lesen schien; sie las aber nicht, sondern gedachte der Begebnisse des verflossenen Tages und derer, die sich vielleicht am nächsten Morgen ereignen würden.