Kitabı oku: «Die Zwillingsschwestern von Machecoul», sayfa 47
»Laßt hören, Freund. Euer Herr wird Euch nicht auszanken, dafür stehe ich Euch.«
»Es ist bald geschehen. Ich soll Ihnen oder vielmehr Herrn Petit-Pierre sagen, denn so heißt der Herr, an den ich die Bestellung machen sollte —«
»Gut,« sagte Pascal lächelnd.
»Er habe den entdeckt, der die Abfahrt des Schiffes veranlaßt, ehe der Herr Baron mit Petit-Pierre und Fräulein Mary erschien.«
»Wer ist es?«
»Ein gewisser Joseph Picaut, der bis jetzt Stallknecht im Gasthause »Zum Tagesanbruch« war.«
»Es ist wahr, dieser Mann, den wir in das Wirthshaus gegeben, ist seit gestern Früh verschwunden,« erwiderte Pascal. »Weiter! weiter!«
»Man solle sich in der Stadt vor diesem Picaut hüten; auf dem Lande und im Walde werde man ein wachsames Auge auf ihn haben. Das ist Alles.«
»Gut. Dankt Herrn von La Logerie für diese Warnung; er kann versichert seyn, daß die Bestellung richtig an ihre Adresse kommen wird.«
»Mehr verlange ich nicht,« erwiderte Courtin und stand auf.
Pascal begleitete den Maire sehr höflich bis an die Gartenthür. So höflich war er nicht einmal gegen Maître Loriot gewesen.
Courtin war indeß zu schlau, um die Absicht dieser Förmlichkeiten zu verkennen. Als er sich zwanzig Schritte entfernt hatte, hörte er ohne das mindeste Erstaunen, daß sich die kleine Gartenpforte aufthat und sogleich wieder geschlossen wurde. Er sah sich nicht um, aber in der Voraussetzung, daß man ihm nachging, schlenderte er langsam fort, blieb vor allen Schaufenstern stehen, las alle Anschlagzettel und vermied, Alles was den mindesten Verdacht hätte erregen können.
Diesen Zwang legte er sich gern auf. Er war mit dem Erfolg seiner List vollkommen zufrieden; der Lohn für seine Bemühungen konnte ihm kaum noch entgehen.
Zu seiner großen Freude begegnete ihm Maître Loriot. Er fragte den Notar mit erheucheltem Erstaunen, wie es komme, daß er an einem Tage, wo kein Markt gehalten werde, in Nantes sey, und bat ihn um einen Platz in seinem Cabriolet. Der Notar wollte ihn recht gern mitnehmen, erklärte ihm jedoch, daß er noch Geschäfte habe und noch vier bis fünf Stunden in der Stadt bleiben werde. Courtin möge ihn in irgend einem Kaffeehause erwarten.
Das Kaffeehaus war ein Luxus, den sich Courtin nie erlaubte; noch weniger wäre er heute in seinem religiösen Eifer dazu geneigt gewesen. Er ging nicht einmal ins Wirthshaus, sondern wohnte in einer Kirche der Vesper bei. Endlich begab er sich zu dem Gasthofe, wo Maître Loriot eingekehrt war, setzte sich auf den Eckstein und schlief ein – oder stellte sich wenigstens so.
Zwei Stunden nachher kam der Notar. Er erklärte, daß er genöthigt sey seinen Aufenthalt in Nantes zu verlängern, und erst gegen zehn Uhr aufbrechen könne.
Dies paßte nicht in Courtins Kram. Er sollte ja mit »Monsieur Hyacinthe« – so nannte sich der Mann von Aigrefeuille – zwischen sieben und acht Uhr in St. Philibert zusammentreffen. Er verzichtete daher auf die Ehre, in Gesellschaft des Notars zu reisen und machte sich zu Fuß auf den Weg; denn die Sonne sank schon, und er wollte vor Einbruch der Nacht in St. Philibert seyn.
Als Courtin auf dem Eckstein die Augen aufgeschlagen, hatte er den Diener Pascal’s bemerkt, der ihn beobachtete. Er gab sich aber das Ansehen, als ob er den Bretagner gar nicht bemerkte, obschon ihn dieser bis über die Loire verfolgte. Der Maire von La Logerie hütete sich wohl, die mindeste Unruhe oder Hast zu zeigen. Der Bretagner kehrte also um und meldete seinem Herrn, der brave Landmann sey nicht im mindesten verdächtig, er habe seine Mußestunden mit harmlosen Zerstreuungen und Andachtsübungen ausgefüllt. Pascal fand, daß Michel gar nicht Unrecht hatte, einem so treuen Diener sein ganzes Vertrauen zu schenken.
XI.
Die Beiden Judasse
Ueber die Lage des Dorfes St. Philibert müssen wir einige erläuternde Bemerkungen vorausschicken; denn ohne diese kurze topographische Einleitung würde es schwer seyn, sich den Schauplatz der folgenden Scenen zu vergegenwärtigen.
Das Dorf St. Philibert liegt am Ende des Winkels, den die in den See Grand-Lieu sich ergießende Boulogne bildet, und am linken Ufer dieses Flusses. Die Kirche und die Hauptgebäude des Ortes sind etwa einen Kilometer vom See entfernt. Die einzige Straße folgt dem Lauf des Flusses, und je weiter man stromabwärts geht, desto weiter stehen die kleinen armseligen Häuser von einander entfernt. Wenn man den mit Schilfrohr eingefaßten großen Wasserspiegel erblickt, hat man nur noch drei bis vier von Fischern bewohnte Strohhütten um sich.
Dreißig Schritte von diesen Hütten steht ein aus Steinen und Ziegeln erbautes Haus mit rothem Dach und grünen Sommerläden, von Stroh und Heuschobern umgeben. Die Ställe sind mit Kühen und Schafen gefüllt, der Hof oder vielmehr die dicht am Hause vorbeiführende Straße ist von Federvieh belebt. Für diesen Mangel an wirklichem Hofraum findet sich der Besitzer durch große Gärten entschädigt, welche die schönsten und einträglichsten der Umgegend sind. Die herrlichen Obstbäume, welche das Dach überragen, erstrecken sich in einer Länge von etwa zweihundert Metern, in Form eines Amphitheaters gegen Süden bis an einen kleinen Hügel, auf dessen Gipfel die stattlichen Ruinen eines alten Schlosses stehen.
Dieses Haus ist der von den Eltern der Witwe Picaut bewohnte Gasthof. Jene Ruinen, die sich in dem See spiegeln, sind die Ueberreste des alten Schlosses St. Philibert. Die hohen Mauern, die gewaltigen Thürme sind halb verfallen und mit Epheu bewachsen, aber sie geben der Landschaft ein malerisches Aussehen und schützen die Obstgärten gegen den Nordwestwind, der die Blüthen so oft zerstört. Dieses Fleckchen Landes ist in der That ein wahres Eldorado, wo Alles üppig wächst und gedeiht, von dem einheimischen Birnbaum bis zur Weinrebe, von der Eberesche bis zum Feigenbaum.
Doch dies war nicht der einzige Dienst, den diese mittelalterliche Burg den neuen Besitzern leistete. In den offenen, luftigen Räumen wurden die Gartenfrüchte aufbewahrt, und diese hielten sich, dem beständigen Luftzuge ausgesetzt, bis zu einer Jahreszeit, in der sie um den doppelten Preis verkauft werden konnten. In den Verließen, wo einst die Opfer des feudalen Despotismus geschmachtet hatten, waren Milchkammern angelegt, in denen die schmackhafteste Butter, der trefflichste Käse bereitet wurde.
Die Burg St. Philibert war ursprünglich ein großes Parallelogramm. Die Mauern waren auf der einen Seite von dem See, auf der andern von einem breiten, mit Wasser gefüllten Graben umgeben gewesen. An den Ecken dieser gewaltigen Steinmasse erhoben sich vier Thürme. Das Schloßthor war einst durch Zugbrücke und Fallgitter vertheidigt gewesen. Auf der andern Seite stand ein noch höherer fünfter Thurm, der das ganze Bauwerk und den See beherrschte.
Mit Ausnahme dieses letztern Thurmes und des Thores war das alte Gemäuer ziemlich verfallen. Und auch der große Thurm war von der zerstörenden Zeit nicht ganz verschont geblieben: die angefaulten Balken des ersten Stockwerkes vermochten die Last der Steine nicht mehr zu tragen, so daß sich diese immer mehr und mehr im Erdgeschoß anhäuften. Nur die Plattform des Thurmes war noch fest.
In diesem Erdgeschoß hatte der Großvater der Witwe Picaut seine Hauptobstkammer angelegt. Die Mauern waren mit Brettergestellen besetzt, auf denen im Herbst die Gartenfrüchte ausgebreitet wurden. Die Thüren und Fenster waren hier in gutem Zustande erhalten.
Die übrigen Thürme und die Mauern des Mittelgebäudes lagen in Trümmern; das alte Gemäuer war theils in den Hof, theils in den See und den Graben gestürzt.
Das Thor mit dem Wartthurm war noch ziemlich gut erhalten und enthielt zwei Stübchen die wegen der Dicke des Mauerwerkes nur acht bis zehn Fuß ins Gevierte hielten und auch nicht viel höher waren.
Ueber den mit Trümmern bedeckten Hof führte ein schmaler Pfad zu dem Mittelthurm; ein anderer minder betretener Weg führte zu dem verfallenen östlichen Thurm. Von diesem war noch eine steinerne Treppe übrig, welche von Zeit zu Zeit, der schönen Aussicht wegen, von waghalsigen Naturfreunden erstiegen wurde. Von dieser Treppe konnte man auf einer längs der Mauer hinführenden Gallerie auf die Plattform des Hauptthurmes gelangen: ein Weg der ziemlich ebenso halsbrecherisch war wie manche Alpenpfade, die zwischen einem Abgrund und einem steilen Berge kaum einen Fußbreit Raum lassen.
»Es versteht sich, daß die Burgruinen, mit Ausnahme der Zeit, in welcher die Obstkammer gefüllt war, nicht nur nicht bewohnt, sondern oft wochenlang von keinem Fuß betreten wurden. Nur in dieser Zeit wurde ein Wächter angestellt, der in dem Markthurme schlief; in den übrigen Monaten des Jahres wurde die Thür des Thurmes verschlossen. Die Ruinen waren dann den Freunden historischer Erinnerungen und den Straßenjungen des Dorfes preisgegeben, welche hier Vogelnester auszunehmen, Blumen zu pflücken und Gefahren zu bestehen fanden – lauter Lieblingsbeschäftigungen kleiner Knaben.
In diesen Burgruinen hatte Courtin eine Zusammenkunft mit »Monsieur Hyazinthe« verabredet. Er wußte, daß sie Abends ganz verödet waren, denn sie standen in gar üblem Ruf, und sobald sich der Tag neigte, verschwand die lärmende Rotte der Straßenjungen zugleich mit den Eidechsen, die sich im Sonnenschein zwischen dem alten Gemäuer und den Epheuranken herumtrieben.
Der Maire von La Logerie hatte Nantes gegen fünf Uhr verlassen. Er war zu Fuß, aber er ging so rasch, daß er mindestens eine Stunde vor Einbruch der Nacht auf der nach St. Philibert führenden Brücke war.
Courtin war im Dorfe ein angesehener Mann. Es würde großes Aufsehen gemacht haben, wenn er, ohne bei der Witwe Picaut einzukehren, vorbeigegangen wäre. Er, hatte aber seinen Klepper nicht bei sich, der vor dem Wirthshause ein Bündel Heu zu fressen pflegte, und der sparsame Mann pflegte nur auf Anderer Kosten zu zehren. Er hielt es daher für ganz überflüssig in das Wirthshaus zu gehen. Er blieb vor der Thür des »Grand St. Jacques«, wo er mit den Einwohnern von St. Philibert, die sich ihm seit der doppelten Schlappe von Duchesne und La Penissière wieder genähert hatten, in ein Gespräch kam, das unter den obwaltenden Umständen einige Wichtigkeit für ihn hatte.
»Maître Courtin,« sagte ein Bauer, »ist es wirklich wahr, was die Leute sagen?«
»Was sagen denn die Leute, Maître Mathieu?« fragte Courtin, »erzähle mir’s doch!«
»Man sagt, Ihr hättet euren Rock umgewandt und zeigtet nur noch das Futter, so daß er also nicht mehr blau, sondern weiß ist.«
»Das sind Dummheiten,« sagte Courtin.
»Man muß es wohl glauben,« setzte der Bauer hinzu, »denn seitdem euer junger Herr unter die Weißen gegangen ist, hört man Euch nicht mehr schwatzen, wie früher.«
»Schwatzen!« erwiderte Courtin mit seinem pfiffigen Lächeln. »Wozu nützt das Schwatzen? Du wirst schon sehen, daß ich mehr kann.«
»Das ist schön, Maître Courtin; denn so lange diese Katzbalgereien dauern, ist kein Verkehr, und wenn die Patrioten nicht zusammenhalten, so verhungern wir. Gelingt es uns aber, die Handvoll Gesindel, das sich hier in der Gegend herumtreibt, auseinander zu jagen, so werden die Geschäfte bald wieder gut gehen, und mehr wollen wir Ja nicht.«
»Ich meine,« erwiderte Courtin, »daß sich nur noch Gespenster hier herumtreiben.»
»O, es gibt auch noch Strauchdiebe von Fleisch und Bein,« entgegnete der Andere. »Es sind kaum zehn Minuten, da kam so ein Strolch hier vorbei, der seine Büchse und Pistolen so keck trug, als ob keine Rothhosen im Lande wären.«
»Wer war’s denn?«
»Joseph Picaut, der Mann, der seinen Bruder erschlagen hat.«
»Joseph Picaut hier?« rief der Maire erblassend. »Das ist nicht möglich!«
»So wahr als Ihr Maître Courtin seyd, habe ich ihn erkannt, obschon er eine Matrosenjacke und einen getheerten Hut trägt.«
Courtin besann sich eine Minute. Der Plan, den er auf das Haus mit den zwei Ausgängen und auf den täglichen Verkehr Pascal’s mit Petit-Pierre gebaut hatte, konnte scheitern, und in diesem Falle konnte, er nur noch auf Bertha seine Hoffnung setzen. Um den Aufenthalt Petit-Pierre’s zu entdecken, mußte er ihr folgen, wenn sie sich nach Nantes begab. Wenn aber Bertha mit Joseph Picaut sprach, so konnte Alles vereitelt werden; noch schlimmer war’s, wenn Bertha den Chouan mit Michel in Berührung brachte. Dann mußte Alles klar werden: die Rolle, die er in der Nacht der vereitelten Flucht gespielt, wurde dem jungen Baron erklärt, und er war verloren.
Er verlangte Papier, Feder und Tinte, schrieb einige Zeiten und übergab dem Bauern den Zettel.
»Hier, Mathieu,« sagte er, »ist der Beweis, daß ich ein Patriot bin und daß ich mich nicht wie eine Wetterfahne nach dem Winde drehe. Du meinst, ich hätte mit meinem jungen Herrn gemeinschaftliche Sache gemacht; aber ich weiß erst seit einer Stunde, wo er sich versteckt hält, und ich will ihn festnehmen lassen. Ich werde jede Gelegenheit benutzen, die Feinde des Vaterlandes zu vernichten, gleichviel ob ich Vortheil davon habe oder nicht, es sey nun Freund oder Feind.«
Der Bauer, der ein eifriger Blauer war, drückte dem Maire mit Wärme die Hand.
»Bist Du flink auf den Füßen?« fragte Courtin.
»Das will ich meinen,« erwiderte der Bauer.
»Dann trage diesen Zettel geschwind nach Nantes. Aber Du mußt reinen Mund halten, denn Du wirst einsehen, daß ich schwerlich mein Korn in die Scheune bringen könnte, wenn es bekannt würde, daß ich den jungen Baron festnehmen ließ.«
Der Bauer gab ihm sein Wort, und da es Nacht wurde, verließ Courtin das Dorf, ging eine Strecke querfeldein, kehrte wieder um und wandte sich zu den Burgruinen.
Er kam von der Seeseite, ging an dem äußern Graben fort und gelangte über die steinerne Brücke, die an der Stelle der alten Zugbrücke erbaut war, in den Burghof.
Hier pfiff er leise.
Ein hinter verfallenem Gemäuer versteckter Mann kam hervor und ging auf ihn zu.
Es war »Monsieur Hyacinthe.«
»Seyd Ihr’s?« fragte er, langsam und vorsichtig näher tretend.
»Ja wohl,« antwortete Courtin, »fürchten Sie nichts.«
»Was gibt’s Neues?«
»Ich bringe gute Nachrichten; aber hier kann ich sie nicht sagen.«
»Warum nicht?«
»Weil es hier so finster ist wie in einem Ofen. Ich hätte Sie beinahe getreten, ohne Sie zu sehen. Es könnte Jemand hier versteckt seyn und uns belauschen. Kommen Sie. Die Sache steht jetzt so gut, daß wie uns um so sorgfältiger vorsehen müssen.«
»Aber wo findet Ihr einen einsameren Ort?»
»Wir müssen einen Ort finden, wo wir nicht belauscht werden können. Wäre eine Wüste in der Nähe, ich würde Sie dahinführen und ganz leise sprechen. Wir wollen wenigstens einen Ort aufsuchen, wo wir allein sind.»
Courtin führte seinen Helfershelfer zu dem Mittelthurm. Er stand ein paarmal still, denn er glaubte Fußtritte zu hören, Gestalten vorbeischleichen zu sehen. Da ihn aber Hyacinthe beruhigte, gestand er, daß es eine Täuschung seiner aufgeregten Phantasie sey. Er stieß eine Thür auf, ging voran in den Thurm, holte eine Wachskerze und ein Streichfeuerzeug aus der Tasche hervor, zündete die Kerze an und leuchtete in alle Winkel. Eine in der Mauer befindliche und unter Trümmern halb vergrabene Thür erregte seine Besorgniß. Er stieß die Thür auf und stand vor einer weiten Oeffnung, aus der ein feuchter Dunst aufstieg.
»Sehet doch!» sagte Hyacinthe, der sich genähert hatte und auf eine große Bresche zeigte, durch die man den im Mondlicht schimmernden See bemerkte.
»O ich sehe wohl,« antwortete Courtin lachend, »die Milchkammer des alten Champré muß repariert werden. Seitdem ich hier war, ist das Loch in der Mauer um die Hälfte größer geworden.«
Courtin hielt sein Licht über das mit Wasser gefüllte Souterrain, aber er konnte nicht bis in die Tiefe hinunter schauen. Er warf einen Stein hinein, der an die Mauern und Treppenstufen schlug und endlich tief unten in’s Wasser fiel.
»Hier könnten uns nicht einmal die Fische im See hören,« sagte Courtin, »und wenn auch, so sagt doch das Sprichwort: stumm wie ein Fisch.»
In diesem Augenblick fiel ein Stein, der sich von der Plattform abgelöst, an den äußern Mauern hinunter, auf den Hof.
»Habt Ihr’s gehört?» fragte Hyacinthe unruhig.
»O ja,« erwiderte Courtin, der nun wieder einigen Muth bekommen hatte, »es ist nicht das erste Mal, daß ich Steine, ja ganze Mauerstücke von diesen alten Thürmen fallen sehe. Ein auffliegender Nachtvogel reißt leicht einen Stein ab. —«
»He, he!« lachte Hyacinthe mit jenem näselnden Tone, der den deutschen Juden eigen ist, »eben die Nachtvögel haben wir zu fürchten.«
»Ach ja, die Chouans,« [Das gleichlautende Wort chouant bedeutet nämlich eine Ohreule.] sagte Courtin. »Aber diese Ruinen sind zu nahe bei dem Dorfe, und obgleich man hier in der Gegend einen gefährlichen Menschen, den ich weit von hier auf dem Meere glaubte, gesehen hat, so würden sie sich doch nicht hierher wagen.«
»Dann löscht euer Licht aus.«
»Nein. Zum Sprechen brauchen wir’s freilich nicht, aber wir haben mehr zu thun.«
»Wirklich? sagte Hyacinthe grinsend.
»Allerdings. Kommen Sie in diese Ecke, da können wir unser Licht verbergen.«
Courtin zog den Andern unter die Bogenwölbung, die zu der Thür des Souterrains führte, steckte die Kerze zwischen zwei Steine und setzte sich auf die Stufen.
Hyacinthe setzte sich ihm gegenüber und begann:
»Ihr wolltet mir die Straße und die Nummer des Hauses nennen, wo Petit-Pierre versteckt ist. Wir wollen keine Zeit mit unnützen Reden verlieren. Wißt Ihr das Haus?
»Nein.«
»Warum habt Ihr mich denn hierher bestellt? Ich bereue wirklich, daß ich mich an einen Zauderer, wie Ihr seyd, gewandt habe.«
Statt der Antwort nahm Courtin das Papier, das er in Pascals Hause aus dem Camin genommen hatte, und reichte es seinem Spießgesellen.
»Wer hat das geschrieben? fragte der Jude.
»Das Mädchen, welches bei der Person war, die wir suchen.«
»Aber das Mädchen ist nicht mehr bei ihr.«
»Das ist wahr.«
»Dann erklärt mir, wozu uns dieses Billet nützen kann.«
»Wahrhaftig, für einen Herrn aus der Stadt sind Sie nicht sehr klug.«
»Wieso?«
»Sehen Sie denn nicht, daß Petit-Pierre dem Betreffenden einen Zufluchtsort anbietet, falls er belästigt würde?«
»Ja wohl. Was weiter?«
»Er braucht nur belästigt zu werden, um ihn zu bewegen, der Einladung Folge zu leisten.«
»Und dann?«
»Dann braucht man nur das Haus, in das er sich geflüchtet, zu durchsuchen, um die ganze Sippschaft beisammen zu finden.«
Hyacinthe sann nach.
»Ja, das Mittel ist gut,« sagte er, indem er den Brief an’s Licht hielt und von allen Seiten betrachtete, um zu sehen, ob etwa noch mehr darauf stand.
»Ja, es ist gewiß gut.«
»Wo wohnt der Mann?« fragte Hyacinthe mit scheinbarer Gleichgültigkeit.
»Das ist eine andere Sache,« erwiderte Courtin. »Sie sagen selbst, das Mittel sey gut; aber ich verlange Sicherstellung, wie die Advocaten sagen, ehe ich sage, wie Sie es anwenden können.«
»Aber wenn er von dem Anerbieten keinen Gebrauch macht?« entgegnete Hyacinthe, »wenn er sich nicht zu der Person flüchtet, die wir suchen?«
»O, er muß sich zu ihr begeben, mein Mittel ist unfehlbar. Das Haus hat zwei Ausgänge; wir erscheinen an der einen Thür mit Soldaten; er flüchtet sich aus der andern, die wir absichtlich frei lassen. Aber wir halten beide Enden der Straße besetzt, und folgen ihm. Sie sehen, daß es nicht fehlen kann. Also ziehen Sie den Beutel.«
»Ihr werdet mit mir gehen?«
»Das versteht sich.«
»Und bis zur Ausführung werdet Ihr mich keine Minute verlassen?«
»Ich werde Ihnen nicht von der Seite gehen, ich habe ja erst die Hälfte.«
»Aber sobald Ihr sichergestellt seyd,« sagte Hyacinthe mit einer Entschlossenheit, die man ihm nicht zugetraut hätte, »nehmt Euch in Acht; so wie Ihr Euch verdächtig macht, so wie ich merke, daß Ihr mich betrügen wollt, schieße ich Euch nieder!«
Bei diesen Worten zog er ein Pistol aus der Tasche und zeigte es dem Maire von La Logerie. Sein Gesicht blieb kalt und ruhig, aber das in seinen Augen glühende Feuer zeigte, daß er Willens war, Wort zu halten.
»Wie Sie wollen,« antwortete Courtin, »es wird Ihnen um so leichter seyn, da ich keine Waffen habe.«
»Da habt Ihr Unrecht,« sagte Hyacinthe.
»Jetzt geben Sie mir das Versprochene,« fuhr Courtin fort, »und schwören Sie, daß Sie mir, wenn die Sache gelingt, noch eben so viel geben wollen.«
»Ihr könnt Euch darauf verlassen, was ich versprochen, halte ich. Aber wozu habt Ihr nöthig, dieses Gold mit Euch zu schleppen? Wir werden uns ja nicht verlassen,« sagte Hyacinthe, der gar keine Lust zu haben schien, den Beutel zu ziehen.
»Sehen Sie denn nicht,« versetzte Courtin, »daß ich vor Begierde brenne, das Gold zu berühren, zu betasten, durch meine Finger gleiten zu lassen? Sie müssen mir’s geben, sonst rede ich nicht. Um es zu bekommen, habe ich Muth gefunden und mich in die größten Gefahren begeben – ich, der ich mich sonst vor meinem Schatten fürchtete, der ich zitterte, wenn ich in der Nacht durch unsere Allee gehen mußte. Geben Sie mir das Gold, mein Herr! Geben Sie mir das Gold! Wir haben noch manche Gefahr zu bestehen, dieses Gold wird mir Muth geben. Geben Sie es her, wenn Sie wollen, daß ich ruhig und ohne Erbarmen sey, wie Sie.«
»Ja, erwiderte Hyacinthe, »gegen die Adresse des Mannes gebe ich’s Euch. Also her mit der Adresse!«
Er stand auf und machte seinen Gürtel los. Courtin, durch das Klingen des Metalls trunken gemacht, streckte die Hand aus.
»Halt!« sagte Hyacinthe, »die Adresse her!«
»Ja, aber ich muß erst sehen, ob wirklich Gold darin ist.«
Hyacinthe zuckte die Achseln, aber er fügte sich doch dem Wunsche seines Spießgesellen. Er zog die dünne eiserne Kette auf, welche die lederne Tasche schloß, und Courtin griff mit bebender Hand hinein, um einige Goldstücke herauszunehmen und beim Lichte zu betrachten.
»Er wohnt,« sagte er fast athemlos, »er wohnt in der Marktstraße Nr. 22. Die zweite Thür ist in dem Gäßchen, das mit der Marktstraße parallel ist.«
Hyacinthe ließ den Gürtel los, den Courtin tief aufathmend und gierig ergriff.
Aber in demselben Augenblicke sah er sich erschrocken um.
»Was gibt’s?« fragte Hyacinthe.
»Jetzt habe ich wirklich Fußtritte gehört,« sagte Courtin erblassend.
»Ich habe nichts gehört,« versicherte Hyacinthe. »Ich hätte Euch wirklich dieses Gold nicht geben sollen —«
»Warum nicht?« fragte Courtin und drückte die lederne Tasche an seine Brust, als hätte er gefürchtet, man werde sie ihm wieder abnehmen.
»Weil es Euch wieder verzagt zu machen scheint.«
Courtin legte rasch die Hand auf den Arm des Andern.
»Was gibts denn?« fragte Hyazinthe, der nun auch Angst bekam.
»Ich sage Ihnen, daß ich über unsern Köpfen gehen höre,« erwiderte Courtin, zu dem hohen, dunkeln Gewölbe aufblickend.
»Es wird Euch wohl gar übel?« sagte der Jude mit gezwungenem Lachen.
»Es ist mir nicht ganz wohl.«
»Dann wollen wir fort. Wir haben hier nichts mehr zu thun, und es ist Zeit, daß wir nach Nantes aufbrechen.«
»Noch nicht.«
»Wie, noch nicht?«
»Nein, wir wollen uns verstecken und horchen. Man schleicht uns nach und lauert uns am Thore auf – o mein Gott! man will mir mein Gold schon wieder abjagen!« jammerte Courtin der den Gürtel um den Leib legte, aber so heftig zitterte, daß er ihn nicht zuschnallen konnte.
»Ihr verlieret wahrhaftig den Kopf,« sagte Hyacinthe, der von den Beiden am meisten Muth hatte. »Vor Allem müssen wir das Licht auslöschen. Dann können wir uns im Souterrain verstecken, um zu sehen, ob Sie sich irren.«
»Sie haben Recht,« erwiderte Courtin, indem er das Licht ausblies, die Thür des unter Wasser stehenden Souterrains an sich zog und die oberste Stufe hinabstieg.
Weiter aber ging er nicht. Er stieß einen Schrei des Schreckens aus, in welchem man die Worte: »Zu Hilfe, Herr Hyacinthe!« unterscheiden konnte.
Der Jude wollte nach seinen Pistolen greifen, aber eine nervige Hand faßte seinen Arm und hielt ihn wie in einem Schraubstocke fest.
Der Schmerz war so heftig, daß der Jude auf die Knie sank und um Gnade bat.
»So wie Du noch ein Wort sagst, noch eine Bewegung machst, schlage ich Dich todt wie einen Hund!« sagte die Stimme des Bandenführers Jacques. Dann wandte er sich an Joseph Picaut und fragte: »Nun, hast Du ihn?«
»O, der Hallunke!« antwortete Picaut keuchend, denn er hatte große Mühe mit Courtin, den er in dem Augenblicke, wo er die Thür des Souterrains geöffnet, ergriffen hatte. »Er beißt und kratzt, der Schurke! Ich würde ihm schon den Garaus gemacht haben, wenn Ihr mir nicht verboten hättet, ihm zur Ader zu lassen.«
In demselben Augenblicke hörte man zwei Körper zu Boden fallen. Hyacinthe wurde von Maître Jacques gehalten.
»Wenn er sich wehrt, so mache ihn todt,« sagte Maître Jacques, »jetzt, da ich weiß, was ich wissen wollte, liegt nichts mehr an seinem Leben.«
»Mordieu! warum habt Ihr das nicht früher gesagt? Er wäre jetzt schon abgethan.«
Joseph Picaut fragte nicht weiter. Er warf Courtin nieder, setzte ihm ein Knie auf die Brust und zog ein spitzes Messer aus dem Gürtel. Courtin sah in der Dunkelheit die blanke Klinge blitzen.
»Gnade! Gnade!« flehte der Maire. »Ich will ja Alles sagen, Alles gestehen – aber laßt mir das Leben!«
Maître Jacques faßte Picaut’s Arm, der zum Stoß erhoben war.
»Nein,« sagte er, »noch nicht. Es fällt mir ein, er kann uns noch nützlich seyn. Schnüre ihn ein, wie eine Wurst, daß er weder Hände noch Füße rühren kann.«
Der unglückliche Courtin war so erschrocken, daß er selbst die Hände herreichte. Picaut band sie ihm mit einem dünnen Strick, den ihm der Bandenführer gegeben hatte.
Er hatte indeß den mit Gold gefüllten Gürtel noch nicht losgelassen; er hielt ihn mit dem Ellbogen fest auf dem Magen.
»Nun, bist Du bald fertig?« fragte der Chouan.
»Ich will ihm nur diese Pfote noch festschnüren,« antwortete Joseph.
»Gut, und dann mach’s mit diesem hier eben so,« fuhr der Bandenführer fort und deutete auf Hyacinthe, der sich von der kräftigen Faust des Letztern befreit, auf ein Knie aufgerichtet hatte, und in dieser Stellung stumm und regungslos blieb.
»Es würde geschwinder gehen, wenn ich sehen könnte,« sagte Joseph Picaut, der in der Dunkelheit einen Knoten in die Schnur gemacht hatte.
»Wir können ja unsere Laterne anzünden,« sagte Maître Jacques. »Es wird eine Freude seyn, die Gesichter dieser Prinzenverkäufer zu sehen.«
Maître Jacques nahm eine kleine Laterne aus der Tasche und schlug so ruhig Feuer, als ob er im Touvoiswalde gewesen wäre. Dann beleuchtete er die Gesichter der beiden Gefangenen.
Joseph bemerkte nun den ledernen Gürtel, den der Maire festhielt, und fiel über ihn her, um ihm den Schatz zu entreißen.
Maître Jacques glaubte, Joseph wolle seinen Feind erstechen und stürzte auf ihn zu, um ihn daran zu verhindern.
In demselben Augenblicke flammte ein Feuerstrahl von der Höhe des Thurmes, ein dumpfer Knall folgte, und Maître Jacques fiel auf den Maire, der sein Gesicht mit Blut benetzt fühlte.
»O der Schuft!« rief Maître Jacques dem andern Chouan zu und richtete sich auf. »Du hast mir eine Falle gestellt. Deine Lüge hatte ich Dir verziehen, aber für deinen Verrath sollst Du büßen!«
Er zog ein Pistol aus dem Gürtel und schoß Joseph Picaut nieder.
Die Laterne war die Treppe hinunter in den See gefallen. Der Pulverrauch hatte die Finsterniß noch dichter gemacht.
Hyacinthe war inzwischen aufgesprungen und lief schweigend, fast wahnsinnig vor Schrecken in dem Thurme hin und her, ohne einen Ausweg zu finden. Endlich erblickte er durch eine schmale Fensteröffnung die Sterne, und ohne sich um seinen Mitschuldigen zu kümmern, erstieg er die Brüstung und sprang in den See.
Das kalte Wasser gab ihm einige Ruhe und Fassung wieder. Während er sich durch Schwimmen auf dem Wasser erhielt und noch unschlüssig war, wohin er sich wenden sollte, bemerkte er eine Barke in der Mauerbresche, durch welche das Wasser des Sees in den Thurm gedrungen war.
Mittelst dieser Barke waren die beiden Chouans wahrscheinlich in das Souterrain gelangt.
Hyacinthe schwamm darauf zu, stieg hinein, ergriff die Ruder und steuerte dem weiten Wasserspiegel zu.
Erst fünfhundert Schritte vom Ufer dachte er an seinen Genossen.
»Marktstraße Nr. 22,« sagte er frohlockend. »Ich hab’s in dem Schrecken nicht vergessen. Der Erfolg hängt jetzt ab von der Schnelligkeit, mit der ich wieder nach Nantes komme. Armer Courtin! ich könnte mich jetzt als den Erben der fünfzigtausend Francs betrachten, die ich ihm zu geben hatte. Es war recht dumm, daß ich ihm meine Tasche überließ – ich würde jetzt die Adresse und das Geld haben. O wie dumm! wie dumm!«
Um seine Gewissensbisse zu beschwichtigen, ruderte der Jude mit einer Kraft, die man bei seinem schwächlichen Aussehen nicht erwartet hätte.