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Kitabı oku: «Die Zwillingsschwestern von Machecoul», sayfa 49

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Während sie sich diesen Gedanken überließ, sah sie die weißen Wände des Meierhofes zwischen den dunkeln Nußbäumen schimmern. Das Hofthor stand offen. Sie stieg ab, band das Pferd an einen Ring in der äußern Mauer und ging auf den Hof.

Der Dünger, mit welchem der Hof bestreut war, dämpfte das Geräusch ihrer Schritte. Kein Hund bellte.

Bertha bemerkte zu ihrem großen Erstaunen ein gesatteltes und gezäumtes Pferd vor der Thür. Es konnte Michel, aber auch einem Andern gehören. Sie wollte Gewißheit haben und ging ins Haus.

Ein Fensterladen derselben Stube, in welcher Petit-Pierre für Michel um ihre Hand geworben, war nur angelehnt. Bertha trat leise näher und schaute hinein.

Kaum hatte sie einen Blick in die Stube geworfen, so taumelte sie mit einem leisen Schrei zurück.

Sie hatte Michel zu Mary’s Füßen gesehen. Er hatte eine Hand ihrer Schwester gefaßt, während sie mit der andern mit seinen Haaren spielte. Sie sahen einander lächelnd und mit zärtlichen Blicken an.

Die Niedergeschlagenheit welche diese Entdeckung folgte, dauerte bei Bertha nur eine Secunde. Sie eilte an die Hausthür, riß sie hastig auf und stürzte einer Rachegöttin gleich, mit entsetzlich blassem Gesicht, mit aufgelöstem Haar und zornglühenden Augen in die Stube.

Mary schrie laut auf, sank auf die Knie und drückte die Hände aufs Gesicht. Sie hatte auf den ersten Anblick Alles errathen. Die heftige Aufregung Bertha’s ließ ihr keinen Zweifel.

Michel, durch Bertha’s Blick erschreckt, sprang auf und legte die Hand unwillkürlich an seine Waffen, als ob er einen Feind vor sich gehabt hätte.

»Morde mich nur!« rief Bertha, »morde mich – von einem Verräther ist ja nichts Anderes zu erwarten.«

»Bertha,« stammelte Michel, »hören Sie mich an – »ich will Ihnen erklären – »Nieder auf die Knie!« eiferte Bertha. »Auf den Knien müßt Ihr die Lügen aussprechen, die Ihr zu eurer Vertheidigung ersinnen wollt. – O, der Elende! ich eilte herbei, sein Leben zu retten! Ich war fast wahnsinnig von Schrecken und Verzweiflung, weil eine Gefahr über seinem Haupte schwebte – ich vergesse Alles, Ehre und Pflicht! Ich hatte nur einen Wunsch – ich wollte zu ihm sagen: Sieh, Michel, und urtheile selbst, ob ich Dich liebe! – und nun finde ich ihn als Verräther an den theuersten, heiligsten Gefühlen – er denkt nicht an Liebe, nicht an Dankbarkeit! Und für wen wird er an mir zum Verräther? Für das Wesen, das ich nach ihm am innigsten liebte, für die Gespielin meiner Kindheit, für meine Schwester! – Fandest Du denn keine Andere zu verführen, Elender?« setzte Bertha hinzu und faßte ihn beim Arm. »Wolltest Du mir auch noch den Trost rauben, den man in dem Herzen einer Schwester findet?«

»Hören Sie mich an« Bertha,« erwiderte Michel. »Ich beschwöre Sie! Wir sind nicht so schuldig, wie Sie glauben. O! wenn Sie wüßten, Bertha —«

»Ich will nichts hören – ich höre nur die verzweifelte Klage meines gebrochenen Herzens; ich höre nur die Stimme meines Gewissens, die mir sagt, daß Du ein Verräther bist. – Mein Gott! mein Gott!« klagte sie, die Hände ringend, »ist dies der Lohn meiner blinden Zärtlichkeit? Ich blieb taub, als man mir sagte, dieser weichliche, blöde, feige Knabe sey meiner Liebe nicht würdig. O, wie thöricht, wir verblendet war ich doch! Ich hoffte, die Dankbarkeit würde ihn an Die fesseln, die Mitleid hatte mit seiner Schwäche, die den Vorurtheilen der öffentlichen Meinung trotz bot, um ihn aus dem Schlamm zu ziehen, um seinen Namen von dem Makel zu befreien und zu Ehren zu bringen!«

»Genug! genug!« sagte Michel auffahrend.

»Ja, von dem Makel,« wiederholte Bertha. »Ha! das ergreift Dich! Ich sage es noch einmal: Dein Name ist durch schmählichen Verrath geschändet! Es ist eine Familie von, Verräthern – der Sohn tritt in die Fußstapfen des Vaters. Ich hätte es erwarten können.«

»Mein Fräulein,« sagte Michel, »Sie mißbrauchen das Vorrecht Ihres Geschlechtes, mich nicht nur persönlich zu beleidigen, sondern auch das Andenken meines Vaters zu besudeln.«

»Mein Geschlecht! Da ich nicht jammere und klage, da ich mich nicht zu deinen Füßen winde und mir die Haare ausraufe, findest Du auf einmal, daß ich ein Weib bin, ein Wesen, das man mit Schonung behandeln soll, weil es schüchtern ist, dem man keinen Schmerz bereiten soll, weil es schwach ist. Nein, nein, für Dich bin ich kein Weib mehr. Du hast es von jetzt an mit einem Geschöpf zu thun, das Du unendlich beleidigt hast und das jetzt Gleiches mit Gleichem vergilt. Baron La Logerie, ich habe Dir schon gesagt, daß der Verführer der Schwester seiner Braut ein schändlicher Verräther ist; denn ich war deine Braut, Du bist nicht nur selbst ein Verräther, Du bist auch der Sohn eines Verräthers: dein Vater hat Charette verkauft und ausgeliefert. Er hat wenigstens sein Verbrechen mit dem Leben gebüßt. Man hat Dir gesagt, er habe sich auf der Jagd selbst aus Unvorsichtigkeit erschossen. Aber dies ist eine Fabel, die man aus Schonung gegen Dich erfunden. Nein, er ist von einem Zeugen seiner schändlichen That, von —«

»Schwester!« rief Mary sich ausrichtend und ihr die Hand auf den Mund haltend, »Du darfst fremde Geheimnisse nicht preisgeben.«

»Gut; aber er möge reden; er möge mir entgegentreten Und in seiner Schmach und in seinem Stolz die Kraft finden, mir das Leben zu nehmen, das mir verhaßt geworden ist das nur fortan noch eine Qual, eine Rasereri seyn wird. Er möge wenigstens sein angefangenes Werk vollenden. O mein Gott!« sagte Bertha, aus deren Augen endlich Thränen hervorbrachen, »wie kannst Du den Menschen erlauben, deinen Geschöpfen so das Herz zu brechen! Wer soll mich künftig trösten?«

»Ich,« erwiderte Mary, »ich, Schwester, liebe theure Schwester. Ich will’s, wenn Du mich anhören, wenn Du mir verzeihen willst.«

»Dir verzeihen!« rief Bertha, ihre Schwester zurückstoßend. »Nein, Du bist die Mitschuldige dieses Treulosen, ich kenne Dich nicht mehr. Seyd Beide auf eurer Hut, denn euer Verrath muß Euch Unglück bringen.«

»Bertha – Bertha, sprich nicht so, beleidige uns nicht, verwünsche uns nicht!«

»Sollen denn die, welche uns die »Wölfinnen« nennen, Recht behalten?« entgegnete Bertha. »Sollen die Leute sagen: die Fräulein von Souday haben Herrn von La Logerie geliebt, und nachdem er Beiden die Ehe versprochen, hat er eine Dritte genommen? Das wäre doch sogar für Wölfinnen unerhört!«

»Bertha! Bertha!«

»Ich habe diesen Spottnamen nicht beachtet, ich habe den faden, oberflächlichen Weltton verschmäht,« fuhr Bertha in der höchsten Aufregung fort, »ich habe in meiner Unabhängigkeit mit Verachtung auf das Salonleben geblickt, weil wir Beide das Recht hatten, unsere eigene ehrenhafte Bahn zu wandeln, weil wir in unserem Bewußtseyn so hoch standen, daß wir von jenen erbärmlichen Schmähungen nicht erreicht wurden.

Aber heute erkläre ich Dir, daß ich für Dich thun werde, was ich für mich nicht thun will: ich würde diesen Mann umbringen, Mary, wenn er Dich nicht heirathet. Es ist genug, daß Eine Schmach auf dem Namen unseres Vaters lastet.«

»Dieser Name soll nicht entehrt werden, das schwöre ich Dir, Bertha!« betheuerte Mary und kniete noch einmal vor ihrer Schwester, die endlich erschöpft auf einen Stuhl sank und das Gesicht mit beiden Händen bedeckte.

»Gut – es ist dann ein Schmerz weniger für die, welche Du nicht mehr sehen wirst. Mein Gott! ich habe sie Beide so innig geliebt, und muß sie nun hassen!«

»Nein, Du wirst mich nicht hassen, Bertha! Dein Schmerz, deine Thränen thun mir weher als dein Zorn. O mein Gott! was sage ich da? Du wirst mich für schuldig halten, weil ich deine Knie umfasse, Dich um Verzeihung bitte. Nein, ich bin nicht schuldig, ich schwöre es Dir. Ich will Dir’s sagen – aber Du sollst nicht weinen, ich will Dir nicht weh thun. Herr von La Logerie,« setzte Mary hinzu, indem sie ihr mit Thränen benetztes Gesicht zu ihm wandte, »die ganze Vergangenheit ist nur ein Traum; der Tag bricht an – entfernen Sie sich – vergessen Sie mich. Fort! verlieren Sie keine Minute.«

»Nein, nein, Mary!« entgegnete Bertha, die der Schwester ihre Hand ließ, welche diese mit Küssen und Thränen bedeckte, »es ist unmöglich!«

»Doch, Bertha, es ist möglich,« sagte Mary mit herzzerreißendem Lächeln, »wir Beide nehmen einen Gatten, dessen Name über alle Verleumdungen der Welt erhaben ist.«

»Wen meinst Du, armes Kind?«

»Gott!« sagte Mary, die Hand zum Himmel erhebend.

Bertha vermochte nicht zu antworten, der Schmerz raubte ihr die Sprache; aber sie drückte Mary an ihr Herz, während Michel auf einen Stuhl sank.

»Verzeihe uns,« flüsterte Mary ihrer Schwester zu, »sey nicht grausam gegen ihn. Ist es denn seine Schuld, daß ihn, seine Erziehung so unschlüssig und zaghaft gemacht, daß er nicht den Muth hatte zu reden, als es seine Pflicht war? Schon längst wollte er Dir Alles gestehen, aber ich wollte es nicht zugeben; ich hoffte, daß ich ihn einst vergessen würde. Aber ich vermochte die Gefühle meines Herzens nicht zu bekämpfen. Doch wir werden uns nicht mehr trennen, liebe Schwester. Zeige mir deine Augen, daß ich sie küsse. Nichts soll fortan unsere Eintracht stören; wir wollen uns lieben, fern von fremden Menschen, die doch nur Zwietracht unter uns bringen würden. Wir werden noch glücklich in unserer Einsamkeit – wir werden für ihn beten!»

Mary sprach diese letzten Worte in herzzerreißendem Ton. Michel kniete neben Mary nieder. Bertha, ganz mit ihrer Schwester beschäftigt, stieß ihn nicht zurück.

In diesem Augenblick erschienen Soldaten in der offengebliebenen Thür und der Offizier, den wir im Wirthshause zu St. Philibert gesehen, trat mitten in die Stube und sagte, die Hand auf Michels Schulter legend:

»Sind Sie Herr von La Logerie?»

»Ja,» antwortete Michel.

»Dann verhafte ich Sie im Namen des Gesetzes.»

»Großer Gott!» rief Bertha, die nun wieder zur Besinnung kam, »ich hatte vergessen – ich habe ihn in’s Verderben gestürzt!«

»Michel,« sagte Mary, bei dem Anblick der Gefahr Alles vergessend, »wenn Du stirbst, so sterbe ich mit Dir!«

»Nein, nein, er soll nicht sterben, Schwester! Ihr sollt glücklich werden. Platz da!« rief Bertha dem Offizier zu.

»Mademoiselle,« erwiderte dieser mit höflichem Bedauern, »ich weiß so gut wie Sie, was mir die Pflicht gebietet. Zu St. Philibert waren Sie für mich nur eine Unbekannte, die Verdacht erregte; ich bin kein Polizeicommissär und hatte Ihnen nichts zu sagen. Hier aber finde ich Sie in offener Empörung gegen das Gesetz und verhafte Sie.«

»Sie wollen mich verhaften! in diesem Augenblicke verhaften! Sie können mir das Leben nehmen; lebend bekommen Sie mich nicht!«

Ehe der Offizier es hindern konnte, erstieg Bertha das Fenster, sprang in den Hof und lief auf die Thür zu.

Die Hofthür war von Soldaten besetzt.

Bertha sah sich um und bemerkte Michel’s Pferd, das, von der Erscheinung der Soldaten und von dem Lärm scheu gemacht, auf dem Hofe hin- und herlief. Sie ging auf das Thier zu, schwang sieh auf den Sattel, setzte es in Galopp und sprengte auf eine halb eingestürzte Stelle der Hofmauer zu. Das Pferd, ein trefflicher englischer Renner, sprang mit Leichtigkeit über das beinahe fünf Fuß hohe Hinderniß hinweg und lief querfeldein.

»Schießt nicht!« rief der Offizier, der die Verhaftung des jungen Mädchens nicht für wichtig genug hielt, um die Fliehende, die er nicht lebend verhaften konnte, todt auszuliefern.

Aber die außerhalb der Hofmauer aufgestellten Soldaten, die den Befehl nicht hörten oder nicht verstanden, schickten der davonjagenden kühnen Reiterin einen Hagel von Kugeln nach.

XIV.
Die Caminplatte

Wir wollen jetzt sehen, was in der Nacht, die mit dem Tode Joseph Picauts anfing und mit der Verhaftung Michel’s de La Logerie endete, in Nantes vorging.

Gegen neun Uhr Abends kam auf die Präfectur ein Mann mit durchnäßten Kleidern, und auf die Weigerung des Dieners, ihn vorzulassen, übergab er diesem eine Karte. Der Präfect kam, sobald er einen Blick auf die Karte geworfen, dein Fremden sogleich entgegen.

Zehn Minuten nach dieser kurzen Unterredung marschierte seine starke Abtheilung Gendarmen und Polizeiagenten in die Marktstraße und besetzte die in dieser Straße befindliche Thür des von Pascal bewohnten Hauses.

Die Colonne marschierte laut und ohne alle Vorsicht, so daß Pascal Zeit hatte, aus der andern in die Seitengasse führenden Thür zu entkommen, ehe die Agenten der Behörde die verschlossene Thür an der Marktstraße gesprengt hatten.

Er ging in die Schloßgasse, in das Haus Nr. 3.

Hyacinthe – denn das war der Fremde, der die kurze Unterredung mit dem Präfecten gehabt – war in einem Winkel versteckt und folgte ihm mit großer Vorsicht.

Während dieser Vorkehrungen, deren Erfolg Hyacinthe wahrscheinlich verbürgt hatte, wurden noch mehr Truppen in Bereitschaft gehalten, und sobald er dem Präfecten gemeldet, was er gesehen hatte, marschierten zwölfhundert Mann auf das Haus zu, in welches sich Pascal begeben hatte.

Die zwölfhundert Mann waren in drei Colonnen getheilt: die erste marschierte, an der Gartenmauer des bischöflichen Palastes, zahlreiche Schildwachen zurücklassend, am Schloßgraben hin und stellte sich vor dem Hause Nr. 3 auf. Die zweite marschierte über den Petersplatz, durch die Grand-Lieu und die untere Schloßgasse, und vereinigte sich mit der ersten. Die dritte nahm den Weg durch die obere Schloßgasse und stieß zu den beiden andern, nachdem sie, wie diese, einen langen Cordon von Bajonetten zurückgelassen hatte.

Die ganze Häusergruppe in der sich Nr. 3 befand, war umstellt.

Einige Polizeicommissäre, mit Pistolen bewaffnet und von Soldaten gefolgt, drangen in das Erdgeschoß. Die Truppe vertheilte sich im Hause, alle Ausgänge wurden besetzt. Sie hatte nichts weiter zu thun, die Thätigkeit der Polizei begann.

Das Haus schien nur von vier Damen bewohnt. Diese gehörten der hohen Aristokratie von Nantes an und wurden verhaftet.

Draußen rottete sich das Volk zusammen und bildete einen zweiten Cordon um die Soldaten. Die ganze Bevölkerung der Stadt war auf der Straße. Man bemerkte indeß keine royalistische Kundgebung; es war nur eine ernste Neugierde.

Die Haussuchung hatte, begonnen, und die ersten Resultate derselben bestärkten die Behörde in der Ueberzeugung, daß die Herzogin von Berry im Hause sey. Ein an Ihre königliche Hoheit adressierter Brief fand sich offen auf einem Tische. Das Verschwinden Pascal’s, der ins Haus gegangen und nicht zu finden war, setzte das Vorhandenseyn eines Verstecks außer Zweifel.

Die Möbels wurden geöffnet oder zerschlagen; die Sapeurs und Maurer untersuchten die Fußboden und Wände; einige herbeigerufene Architekten erklärten nach genauer Untersuchung aller Zimmer, daß andere Schlupfwinkel außer den aufgefundenen da seyn könnten. In einigen der letzteren fand man verschiedene Gegenstände, unter anderen Drucksachen, Geschmeide und Silberzeug, wodurch die Anwesenheit der Prinzessin im Hause zur Gewißheit wurde. Auf dem Dachboden konnte nach der Versicherung der Architekten noch weniger als anderswo ein Versteck seyn.

Man durchsuchte nun die Nachbarhäuser; man brach große Stücke aus den dicken Mauern, so daß der Einsturz zu fürchten war.

Unterdessen zeigten die verhafteten Damen große Fassung, und obschon von den Soldaten streng bewacht, setzten sie sich zu Tisch.

Zwei andere Frauenzimmer, deren Namen die Geschichte verewigen sollte, wurden ebenfalls sorgfältig beobachtet. Charlotte Moreau und Marie Boß, die Hausmägde, wurden in’s Schloß und von da in die Gendarmeriecaserne geführt. Da sie allen Drohungen widerstanden, suchte man sie zu bestechen; man bot ihnen immer größere Summen, und zählte ihnen das Geld sogar auf; aber sie blieben bei der Behauptung, daß ihnen der Aufenthalt der Herzogin von Berry nicht bekannt sey.

Nach langen fruchtlosen Bemühungen gab der Präfect das Zeichen zum Rückzuge, ließ aber aus Vorsicht eine hinlängliche Anzahl Soldaten zurück, um alle Zimmer des Hauses zu besetzen. Einige Polizeicommissäre blieben im Erdgeschoß. Die ganze Häusergruppe blieb umstellt, und die Linientruppen wurden von der Nationalgarde abgelöst. Zwei Gendarmen befanden sich als Schildwache auf einem der durchsuchten Dachböden. Es war so kalt, daß der Eine hinunter ging und Torf holte. Zehn Minuten nachher brannte ein prächtiges Feuer im Camin, und nach einer Viertelstunde wurde die Platte glühend.

Gleich darauf, obschon es noch nicht Tag war, fingen die Maurer, Schlosser und Zimmerleute wieder an zu brechen und zu hämmern. Ungeachtet des schrecklichen Lärms war einer der Gendarmen eingeschlafen. Sein Camerad, der sich nun gewärmt hatte, ließ das Feuer ausgehen. Endlich verließen die Arbeiter diesen Theil des Hauses, den sie so sorgfältig durchsucht hatten. Der wache Gendarm wünschte die willkommene Stille zu einem kurzen Schlummer zu benutzen; er weckte seinen Cameraden und schlief ein. Der Andere schürte das erlöschende Feuer, und da der Torf nicht schnell genug anbrannte, so benutzte er eine sehr große Menge Zeitungen, die zusammengebunden umher lagen, um Feuer zu machen. Das brennende Papier gab einen dickeren Rauch als der Torf. Der Gendarme nahm behaglich am Feuer Platz und fing an in der »Quotidienne« zu lesen« als plötzlich sein pyrotechnisches Gebäude einstürzte und die an der Caminplatte aufgehäuften Torfstücke mitten in die Dachstube rollten. Zugleich hörte er hinter der Platte ein Geräusch, das ihm auffiel: er meinte, es steckten Ratten im Camin und die Hitze habe dieselben vertrieben. Er weckte seinen Cameraden, und Beide begannen mit dem Säbel die Rattenjagd.

Während sie lauerten, bemerkte der Eine, daß die Platte eine Bewegung gemacht hatte. Er rief:

»Wer ist da?«

Eine weibliche Stimme antwortete ihm:

»Wir ergeben uns – wir wollen sogleich öffnen. Löscht das Feuer aus!«

Die beiden Gendarmen traten sogleich das Feuer mit den Füßen aus. Die Caminplatte drehte sich auf ihren Angeln und aus der weiten Oeffnung kam, Hände und Füße auf den heißen Herd stützend, eine weibliche Gestalt mit blassem Gesicht und emporstehendem kurzen Haar, wie das eines Mannes. Sie trug ein einfaches, an einigen Stellen verbranntes, braunes Kleid. Es war Petit-Pierre – oder vielmehr die Herzogin von Berry.

Ihre Getreuen kamen ebenfalls hervor. Sie waren sechzehn Stunden ohne Nahrung in diesem Versteck eingeschlossen gewesen.

Die Oeffnung, die ihnen eine Zuflucht gewährte, war zwischen dem Caminrohr und der Mauer des Nachbarhauses angebracht worden. Die Dachsparren bildeten die Decke des Schlupfwinkels.

Als die Truppen anrückten, um das Haus zu umstellen, erzählte Pascal der Herzogin lachend das Abenteuer, das ihn aus seinem Hause vertrieben. Sie sah durch das Fenster den Mond aufgehen. Die dunkeln Umrisse des alten Schlosses traten vor dem heitern Himmel recht deutlich hervor. Es gibt Augenblicke, wo die Natur so lieblich und freundlich scheint, daß man es kaum für möglich hält, in dieser heitern Ruhe laure eine Gefahr.

Plötzlich sah Pascal, an’s Fenster tretend, die Bajonette blinken. Er trat rasch zurück und rief:

»Retten Sie sich, Madame!«

Die Herzogin eilte sogleich die Treppe hinauf, und ihre Getreuen folgten ihr. Als sie das Versteck erreicht hatte, rief sie ihre Begleiter, die vor ihr hineinschlüpften; sie war die Letzte und sagte scherzend, als die Andern zögerten, auf einem Rückzuge müsse der Commandant immer der Letzte seyn.

Als die Soldaten die Hausthür öffneten, wurde die Thür des Schlupfwinkels geschlossen. Wir haben gesehen, wie sorgfältig die Haussuchung gehalten wurde. Unter den Schlägen der Hämmer und Aexte fielen Ziegel und Mörtel und die Gefangenen waren in Gefahr unter dem Schutt begraben zu werden. Als die Gendarmen Feuer machten, wurde die Platte und die Mauer des Camins so heiß, daß die Gefangenen fast erstickten; sie mußten den Mund an die Dachziegel halten, um frische Luft zu schöpfen. Die Herzogin litt am meisten, denn als die Letzte, die hineingeschlüpft war, stand sie an der Platte. Jeder ihrer Mitgefangenen bot ihr wiederholt einen Tausch des Platzes an, aber sie nahm es nicht an.

Zu der Erstickungsgefahr kam die des Verbrennens. Die Caminplatte war glühend, und die Kleider der Frauen waren in Gefahr in Brand zu gerathen. Zweimal fing das Kleid der Herzogin Feuer, und sie dämpfte es mit den Händen, an denen noch lange nachher die Brandwunden sichtbar waren. Mit jeder Minute wurde die innere Luft heißer, und die äußere drang durch die Fugen des Daches in zu geringer Menge, um sie zu erneuern. Längeres Ausharren würde das Leben der Herzogin in Gefahr gebracht haben. Man bat, man beschwor sie, das Versteck zu verlassen, aber sie wollte nicht; sie vergoß Thränen des Zornes, die schnell auf ihren Wangen trockneten. Sie dämpfte noch einmal das Feuer, welches ihre Kleider ergriff; aber in der hastigen Bewegung stieß sie an den Riegel der Platte, die nun aufging und die Aufmerksamkeit der Gendarmen erregte. Ihr Versteck war nun verrathen, und überdies hatte sie Mitleid mit den Qualen ihrer Leidensgenossen. Sie entschloß sich nun, aus dem Camin hervorzukommen und sich zu ergeben.

Sie verlangte sogleich den General zu sprechen. Einer der Gendarmen ging hinunter ins Erdgeschoß, welches der Commandirende nicht verlassen hatte.

Sobald man ihr seine Ankunft meldete, ging sie rasch auf ihn zu und sagte entschlossen:

»General, ich ergebe mich im Vertrauen auf Ihre Biederkeit.«

»Madame,« antwortete er, »Ew. königliche Hoheit stehen unter dem Schutz der französischen Ehre.«

Er führte sie zu einem Sessel. Sie setzte sich und sagte, ihn beim Arme fassend:

»General, ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe meine Mutterpflicht erfüllt, die mir gebot, das Erbe meines Sohnes wieder zu erobern.«

Sie schien sehr durstig zu seyn, und trotz ihrer Blässe war sie in einer fieberhaften Aufregung. Der General ließ ihr ein Glas Wasser bringen, in welches sie die Finger tauchte. Die Kühlung beruhigte sie etwas.

Unterdessen hatte man den Präfecten und den Divisionscommandanten von dem wichtigen Ereigniß in Kenntniß gesetzt. Der Präfect erschien zuerst.

Er kam mit dem Hute auf dem Kopf in das Zimmer, wo sich die Herzogin befand, als ob keine Gefangene da gewesen wäre, die durch ihren Rang und ihr Unglück mehr Rücksichten verdiente, als man ihr je erwiesen. Er trat auf die Herzogin zu, sah sie, an, griff an den Hut, den er kaum lüftete, und sagte:

»Ja, sie ist’s.«

Dann entfernte er sich, um seine Befehle zu geben.

»Wer ist der Mann?« fragte die Prinzessin.

Diese Frage war nicht unziemlich, denn der Präfect erschien ohne ein Zeichen seiner hohen Amtswürde.

»Errathen es Ew. Hoheit nicht?« sagte der General.

Sie sah ihn mit etwas spöttischem Lächeln an.

»Es kann nur der Präfect seyn,« sagte sie.

»Ew. Hoheit hätten nicht richtiger rathen können, wenn Sie sein Anstellungsdecret gesehen hätten.«

»Hat er unter der Restauration gedient?«

»Nein, Madame.«

»Das freut mich.«

Der Präfect kam wieder, ohne sich weiter melden zu lassen und ohne den Hut abzunehmen. Er schien Hunger zu haben, denn er trug einen Teller mit einem Stück Pastete in der Hand. Er stellte den Teller auf einen Tisch, ließ sich Messer und Gabel bringen und fing, der Prinzessin den Rücken kehrend, an zu essen.

Madame warf einen Blick voller Verachtung und Zorn auf ihn.

»General,« sagte sie laut, »wissen Sie, was ich mir aus der früheren Zeit wünsche?«

»Nein, Madame.«

»Zwei Gerichtsdiener, um den Herrn zur Rechenschaft zu ziehen.«

Als der Präfect seine Pastete verzehrt hatte, trat er wieder näher und verlangte die Papiere der Herzogin.

Sie erwiderte, in dem Versteck sey eine weiße Brieftasche zurückgeblieben.

Der Präfect holte die Brieftasche.

»Mein Herr,« sagte sie, »die in dieser Brieftasche enthaltenden Sachen sind unbedeutend; aber ich wünsche sie Ihnen persönlich einzuhändigen, um Ihnen ihre Bestimmung anzugeben.«

Sie übergab ihm nun nach einander alle in der Brieftasche enthaltenen Gegenstände.

»Wissen Sie, Madame, wie viel Geld Sie haben?« fragte der Präfect.

»Es müssen etwa 36.000 Francs in dem Versteck seyn, davon gehören 12.000 den zu bezeichnenden Personen.«

Der General trat nun näher und fragte die Herzogin, ob sie sich etwas besser befinde, es sey Zeit, daß sie das Haus verlasse.

»Wohin soll ich gehen?« fragte sie, ihn scharf ansehend.

»Ins Schloß, Madame.«

»Aha! – und von da vermuthlich nach Blaye?«

»General,« sagte nun ein Begleiter der Herzogin, »Ihre königliche Hoheit kann den Weg nicht zu Fuß machen, das wäre nicht schicklich.«

»Ein Wagen,« erwiderte der General, »würde uns nur lästig seyn; Madame kann einen Mantel umhängen und einen Hut aufsetzen.«

Der Secretär des Generals und der Präfect, der dieses Mal den Galanten spielen wollte, gingen in den zweiten Stock hinunter und holten drei Hüte. Die Prinzessin wählte einen davon. Es war ein schwarzer Hut; diese Farbe, sagte sie, sey den Umständen angemessen. Dann nahm sie den Arm des Generals, und als sie an dem verhängnißvollen Camin vorüberging, sagte sie lachend:

»General, wenn Sie mich nicht wie den heiligen Laurentius behandelt hätten – was, beiläufig gesagt, mit der militärischen Großmuth nicht übereinstimmt – so würden Sie mich jetzt nicht am Arm führen. – Kommen Sie, Freunde!« sagte sie zu ihren Getreuen.

Die Prinzessin ging die Treppe hinunter. Als sie in die Hausthür trat, hörte sie ein Getöse unter der hinter den Soldaten harrenden Menschenmenge. Sie konnte glauben, daß das Schreien und Rasen ihr galt; aber sie gab kein anderes Zeichen der Furcht als daß sie den Arm des Generals fester hielt.

Als sie durch die Doppelreihe der Soldaten und Nationialgardisten ging, wurde der Lärm noch größer. Der General sah sich nach der Seite um, woher der Tumult kam. Er bemerkte eine junge Bäuerin, die sich durch die Reihen der Soldaten einen Weg zu bahnen suchte. Diese, von der Schönheit und dem Schmerz des Mädchens überrascht, stellten ihr vor, daß sie strengen Befehl hätten, Niemand durchzulassen, aber ohne sie mit Gewalt zurückzustoßen.

Der General erkannte Bertha, und zeigte sie der Prinzessin. Diese stieß einen Schrei aus.

»General,« sagte sie hastig. »Sie haben mir versprochen, daß ich von meinen Freunden nicht getrennt werden soll. Lassen Sie jenes junge Mädchen zu mir kommen.«

Auf einen Wink des Generals öffneten sich die Reihen und Bertha konnte zu der Prinzessin gelangen.

»Gnade, Madame – Gnade für eine Unglückliche, welche Sie retten, konnte und es nicht gethan hat! – O, ich will sterben und die unheilvolle Liebe verwünschen, die mich wider meinen Willen zur Mitschuldigen der Verräther gemacht hat.«

»Ich weiß nicht was Sie meinen, Bertha,« sagte die Prinzessin, indem sie ihr den noch freien Arm bot. »Was Sie jetzt thun, beweist Ihre treue Ergebenheit, die ich nie vergessen werde. – Doch ich habe Sie noch um Verzeihung zu bitten, liebes Kind, daß ich zu einem Irrthum der vielleicht Ihr Unglück ist, beigetragen habe; ich wollte Ihnen sagen —«

»Ich weiß Alles,« Madame, unterbrach Bertha, ihre verweinten Augen zu der Prinzessin aufschlagend.

»Armes Kind!« erwiderte die Prinzessin, die Hand des jungen Mädchens drückend. »Folgen Sie mir – Ihr Schmerz, den ich kenne und achte, wird durch die Zeit und durch meine Freundschaft gemildert werden.«

»Ich bitte um Verzeihung, daß ich Ew. Hoheit nicht gehorchen kann. Ich habe ein Gelübde gethan, und ich muß es erfüllen.«

»Gehen Sie, liebes Kind,« sagte die Prinzessin, die den Vorsatz des jungen Mädchens ahnte. »Gott sey mit Ihnen! Schließen Sie Petit-Pierre in Ihr Gebet ein. Gott erhört die Gebete der gebrochenen Herzen.«

Man war an das Schloßthor gekommen. Die Prinzessin blickte zu den geschwärzten Mauern hinauf; dann reichte sie Bertha die Hand. Bertha kniete nieder und drückte, noch einmal um Verzeihung bittend, einen Kuß auf diese Hand. Einen Augenblick zögerte die Prinzessin, dann ging sie, Bertha noch einmal Lebewohl zuwinkend, in das Schloßthor.

Der General ließ die Prinzessin vorangehen. Er wandte sich zu Bertha und fragte:

»Wo ist Ihr Vater?«

»Er ist in Nantes.«

»Sagen Sie ihm, er möge in sein Schloß zurückkehren und sich ruhig verhalten; er soll nicht belästigt werden. Ich würde lieber meinen Degen zerbrechen, als meinen alten Feind verhaften lassen.«

»Ich danke Ihnen in seinem Namen Herr General.«

»Und wenn Sie an mich ein Anliegen haben, mein Fräulein, so verfügen Sie über mich.«

»Ich wünsche einen Paß nach Paris.«

»Wann?«

»Sogleich.«

»Wohin soll ich Ihnen den Paß schicken?«

»Ja das Gasthaus »Zum Tagesanbruch,« unweit der Rousseaubrücke«

»In einer Stunde sollen Sie ihn haben, mein Fräulein,« erwiderte der General, winkte ihr ein Lebewohl zu und ging ebenfalls in die düstere Thorwölbung.

Bertha drängte sich durch die Menge und kniete an der Thür der nächsten Kirche nieder. Als sie wieder aufstand, waren die Steinplatten feucht von ihren Thränen. Sie ging nun durch die Stadt, der Rousseaubrücke zu. Als sie dem Gasthause nahe kam, bemerkte sie Ihren Vater, der vor der Thür saß.

Der Marquis von Souday war in einigen Stunden um zehn Jahre gealtert. Sein Auge hatte den heitern, lebhaften Ausdruck verloren; er trug den Kopf gesenkt, wie ein von schwerer Last gebeugter Mann.

Von dem Geistlichen, der die letzten Bekenntnisse des Bandenführers Jacques empfangen hatte, in seinem Versteck benachrichtigt, hatte sich der alte Edelmann sogleich nach Nantes begeben. Eine halbe Stunde von der Rousseaubrücke fand ihn Bertha, deren Pferd in dem tollen Ritt gestürzt war und nicht weiter konnte. Sie gestand ihrem Vater was vorgegangen war. Der Marquis machte ihr keine Vorwürfe; er zerschlug in seinem Grimm den Wanderstab auf dem Steinpflaster der Landstraße.

Es war erst sieben Uhr Morgens, als sie an die Rousseaubrücke kamen, aber das Gerücht von der Verhaftung der Prinzessin hatte sich schon verbreitet, obgleich diese Verhaftung noch nicht stattgefunden hatte. Bertha war nun in die Stadt geeilt, und der alte Marquis hatte sich auf die Bank gesetzt, wo wir ihn vier Stunden später wieder finden.

Dieser Schmerz war der einzige, gegen den seine epikuräische und egoistische Philosophie nichts vermochte. Er würde seiner Tochter manchen Fehler verziehen haben: aber er konnte nicht ohne Verzweiflung daran denken, daß der Name Souday mit dem Sturz des Königthums in so unrühmlicher Weise verknüpft war.

Als Bertha ihm nahe kam, reichte er ihr schweigend ein zusammengefaltetes Papier, das ihm ein Gendarme übergeben hatte.