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Kitabı oku: «Die Zwillingsschwestern von Machecoul», sayfa 50

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»Verzeihst Du mir nicht, Vater, wie sie mir verziehen?« sagte sie mit sanftem und wehmüthigem Tone, der seltsam gegen ihr früheres ungestümes Wesen abstach.

Der alte Edelmann schüttelte traurig den Kopf und erwiderte:

»Wo soll ich meinen armen Jean Oullier wiederfinden? Gott hat mir ihn erhalten, und ich will ihn sehen; er soll mich in die Fremde begleiten.«

»Du willst Souday verlassen, Vater?«

»Ja.«

»Wohin gehst Du?«

»In ein Land, wo ich meinen Namen verbergen kann.«

»Aber Mary, die arme, schuldlose Mary?«

»Sie wird die Frau dessen, der auch die Ursache ist, daß diese abscheuliche Unthat geschehen ist. Nein, ich will Mary nicht wiedersehen.«

»Aber Du wirst dann ganz allein seyn.«

»Nein, ich habe ja Jean Oullier.«

Bertha schlug die Augen nieder. Sie ging ins Gasthaus und legte Trauerkleider an, die sie inzwischen gekauft hatte. Als sie wieder aus dem Hause kam, fand sie den Marquis nicht mehr auf der Bank. Er ging gebückt, die Hände auf den Rücken gekreuzt, in der Richtung von St. Philibert.

Bertha brach in Thränen aus. Dann warf sie noch einen Blick auf die grünen Gefilde des Landes Retz, die sich, von dem Walde von Machecoul begrenzt, in der Ferne ausbreiteten.

»Jetzt sage ich Allem was mir hiernieden theuer war, auf immer Lebewohl!« rief sie und ging wieder in die Stadt.

XV.
Der Rächer

Während der drei Stunden, die Courtin an Händen und Füßen gebunden, auf dem Rücken liegend in den Burgruinen von St. Philibert neben der Leiche Joseph Picaut’s zubrachte, litt er alle Qualen, die das Menschenherz martern können. Er fühlte unter sich den kostbaren Gürtel, auf den er sich gelegt hatte. Aber selbst dieses Gold brachte ihm neue Pein, neues Entsetzen. Dieses Gold, das für ihn mehr als das Leben war, sollte er es nicht verlieren? Wer war der Unbekannte, von welchem Maître Jacques mit der Witwe gesprochen? was für eine Rache hatte er zu fürchten?

Der Maire von La Logerie ließ in Gedanken alle Menschen, denen er in seinem lieben Schaden gethan, die Revue passieren, und die Reihe seiner Feinde war lang, ihre drohenden Gesichter grinsten ihn in der Dunkelheit an.

Zuweilen jedoch drang ein Hoffnungsstrahl durch diese düsteren Gedanken. War’s möglich, daß der Besitzer so schöner Goldstücke sterben konnte? War die Rachegöttin nicht mit Gold zum Schweigen zu bringen? Er zählte in Gedanken immer und wieder die Summe, die ihm gehörte, deren Druck er mit Wollust an seiner Seite fühlte, und obgleich das über seinem Haupte hängende Damoklesschwert jede Minute fallen konnte, so überließ er sich doch immer mehr den wonnigen Goldgedanken, die ihn am Ende völlig berauschten. Aber bald nahmen seine Gedanken eine andere Richtung; er fragte sich, ob sein Spießgeselle seine Abwesenheit nicht benutzen werde, um ihm den noch gebührenden Antheil zu entziehen; er sah ihn mit einem schweren Geldsack davonlaufen und sich weigernd mit dem Hauptverräter das Sündengeld zu theilen. Für diesen Fall hielt er Bitten und Vorwürfe in Bereitschaft, die ihn rühren, und Drohungen, die ihn schrecken sollten. Und wenn er dachte, daß Hyacinthe ebenso goldgierig sey wie er selbst – und dies war nicht zu bezweifeln, denn Hyacinthe war ja ein Jude – wenn er erwog, welch ein schweres Opfer er seinem Spießgesellen zumuthete, wenn er fürchtete, daß Bitten, Vorwürfe, Drohungen fruchtlos bleiben konnten: dann wurde er rasend und brüllte so laut, daß die Mauern des alten Thurmes erdröhnten. Er wand sich wie ein Wurm in seinen Banden, er biß hinein und suchte sie mit den Zähnen zu zerreißen. Aber die dünnen zähen Stricke schienen Leben zu bekommen und sich immer fester zusammenzuziehen je toller er zappelte, und drangen, gleichsam zur Strafe für seine fruchtlosen Versuche, noch tiefer in seine wunde Haut ein. Alle Wonneträume von Reichthum und Glück schwanden nun wie eine Wolke, die vom Sturm verjagt wird. Die Gespenster derer, die er verfolgt hatte, erschienen furchtbar drohend; alle ihn umgebenden Gegenstände, Steine, Balken, halbverwitterte Mauern und Zinnen, eingestürzte Gewölbe nahmen in der Finsterniß eine Gestalt an und rollten ihre feurigen Augen, die wie Tausende von Sternen auf einem schwarzen Bahrtuch schimmerten. Sein Kopf wurde verwirrt; fast wahnsinnig von Entsetzen und Verzweiflung wandte er sich an den Leichnam Picaut’s, dessen starre Umrisse er vier Schritte von sich bemerkte; er bot ihm ein Drittheil, ein Viertheil, die Hälfte seines Goldes, wenn er ihn von seinen Banden befreien wollte; aber nur das Echo der Bogenwölbungen antwortete ihm mit hohler, dumpfer Stimme, und von der heftigen Aufregung erschöpft, lag er wieder eine Weile regungslos.

Während er in diesem Zustande der Erstarrung lag, wurde er durch ein von draußen kommendes Geräusch aufgeschreckt. In dem innern Burghofe ging Jemand, und bald darauf hörte er die Riegel knarren.

Courtins Herz pochte fast hörbar, er vermochte kaum zu athmen, denn er ahnte daß es der von Maître Jacques angekündigte Rächer sey.

Die Thür that sich auf. Eine brennende Fackel warf einen röthlichen Schein auf das alte Gemäuer. Courtin bekam wieder einige Hoffnung, denn er bemerkte anfangs nur die Witwe, welche die Fackel trug. Aber als sie ein paar Schritte näher getreten war, erschien ein Mann hinter ihr.

Die Haare des Gefangenen sträubten sich – er fühlte nicht den Muth, diesen Mann anzusehen – er schloß die Augen und blieb stumm. Der Mann und die Witwe traten aus ihn zu.

Die Witwe gab ihrem Begleiter die Fackel und zeigte mit dem Finger auf Courtin. Dann kniete sie neben der Leiche Josephs nieder und fing an zu beten.

Der Mann hielt ihm die Fackel vors Gesicht, um zu sehen, ob er’s wirklich war.

»Sollte er schlafen?« sagte er für sich. »O nein, er ist zu feig, um zu schlafen. Nein, sein Gesicht ist zu blaß – er schläft nicht.«

Er steckte nun die Fackel in eine Mauerspalte, setzte sich auf einen großen Stein und sagte zu Courtin:

»Macht doch die Augen auf, Herr Maire; wir haben miteinander zu reden, und ich sehe denen, die mit mir sprechen, gern in’s Auge.«

»Jean Oullier!« rief Courtin und machte eine verzweifelte Anstrengung, um seine Bande zu zerreißen und zu fliehen. »Jean Oullier lebt!«

»Wenn’s auch nur mein Geist wäre, so hättet Ihr doch Ursache zu erschrecken, denn Ihr würdet ihm eine schwere Rechenschaft zu geben haben.«

»O mein Gott! mein Gott!« ächzte Courtin.

»Unser Haß ist schon alt,« fuhr Jean Oullier fort, »Ihr habt mich schon lange verfolgt, und heute treibt er mich, wie schwach ich auch bin, zu Euch.«

»Ich habe Euch nie gehaßt,« sagte Courtin, der noch einige Hoffnung hatte, sein Leben durch begütigende Vorstellungen zu retten. »Die Kugel, die Euch getroffen, war keineswegs für Euch bestimmt; ich wußte ja nicht, daß Ihr hinter dem Busch waret.«

»O, ich hatte mich schon weit früher über Euch zu beklagen,« erwiderte Jean Oullier.

»Schon früher?« sagte Courtin, der nach und nach wieder einigen Muth bekam. »Ich schwöre Euch, daß ich Euch vor diesem Unfall, den ich sehr bedauere, nie in Gefahr gebracht, nie Schaden verursacht habe.«

»Ihr habt ein sehr kurzes Gedächtniß – ich erinnere mich sehr genau.«

»Was habt Ihr mir vorzuwerfen, Jean Oullier? Redet. Man soll ja Niemand verurtheilen, ohne ihn anzuhören. Wollt Ihr denn einen Unglücklichen tödten, ohne ihm ein Wort zu seiner Vertheidigung zu gönnen?«

»Wer sagt denn, daß ich Euch tödten will?« erwiderte Jean Oullier mit derselben kalten Ruhe, die er noch keinen Augenblick verloren hatte, »wahrscheinlich euer Gewissen?«

»Redet, Jean. Sagt, was Ihr mir außer dem unglücklichen Schuß vorzuwerfen habt, und ich werde mich gewiß rechtfertigen. Ja, ich will Euch beweisen, daß ich immer der beste Freund der achtbaren Bewohner des Schlosses Souday gewesen bin, daß es Niemand mit ihnen so gut gemeint hat als ich, daß sich Niemand mehr über die Heirath, die meine Herrschaft mit der eurigen verbindet, aufrichtiger freut als ich.«

»Ihr habt Recht, Courtin,« sagte Jean Oullier, »jeder Angeklagte muß sich vertheidigen. Vertheidigt Euch. Höret zu, ich fange an.«

»O, ich fürchte nichts,« versicherte Courtin.

»Das wird sich finden. Wer hat mich auf dem Markte zu Montaigu den Gendarmen ausgeliefert, um den Gästen meines Herrn den Vertheidiger zu rauben? Wer hat sich hinter der letzten Gartenhecke von Montaigu versteckt und auf meinen Hund geschossen? Wer anders als Ihr? Antwortet, Maître Courtin?«

»Wer kann behaupten, daß er’s gesehen?« entgegnete Courtin.

»Drei Personen habend bezeugt, und unter ihnen ist der Mann, von dem Ihr das Gewehr geliehen.«

»Konnte ich denn wissen, daß es euer Hund war? Nein, Jean, auf Ehre, ich wußte es nicht.«

Jean Oullier sah ihn mit Verachtung an.

»Wer,« fuhr er in demselben ruhig-ernsten Tone fort, »wer hat sich in Pascal Picaut’s Haus geschlichen und den Blauen verrathen, wer daselbst eine Zuflucht gefunden?«

»Ich bezeuge es!« sagte die Witwe, sich aufrichtend.

Der Maire erschrak und wagte kein Wort zu seiner Entschuldigung.

»Wen habe ich seit vier Monaten beständig am Wege lauernd und Fallstricke legend gefunden?« fuhr Jean Oullier fort. »Wer hat sich hinter dem Namen seines Herrn versteckt und Treue und Anhänglichkeit geheuchelt, um schändliche Pläne zu schmieden? Wer hat auf der Heide um das Blutgeld für den ruchlosesten Verrath gefeilscht? Wer anders als Ihr?«

»Ich schwöre Euch bei Allem was heilig ist,« betheuerte Courtin, der immer noch glaubte Oullier beschwere sich hauptsächlich über die Wunde, die er von ihm erhalten, »ich schwöre Euch, daß ich eure Anwesenheit nicht ahnte.«

»Ich sage Euch ja, daß ich Euch dies nicht vorwerfe,« ich habe es nicht einmal erwähnt. Euer Sündenregister ist ohnedies lang genug.«

»Ihr sprecht von meinen Sünden, Jean, und Ihr vergeßt, daß mein Herr, der bald der eurige wird, mir das Leben verdankt. Wäre ich, wie Ihr meint, ein Verräther, so würde ich ihn den Soldaten, die täglich an meiner Thür vorbei gingen, ausgeliefert haben. Ihr vergeßt Alles, was ich für ihn gethan, und werfet mir die unbedeutendsten Dinge vor.«

»Diese erheuchelte Großmuth,« entgegnete Jean Oullier, »war deinen teuflischen Anschlägen nützlich. Es wäre für ihn und die beiden armen Mädchen besser gewesen, wenn sie ihr Leben mit Ehre und Ruhm beschlossen hätten, als daß sie in diese schändlichen Umtriebe hineingezogen wurden. Dies werfe ich Dir vor, Courtin, und dieser Gedanke verdoppelt meinen Haß gegen Dich.«

»Wenn ich gewollt hätte, Jean Oullier,« sagte Courtin, »so wäret Ihr längst nicht mehr auf der Welt.«

»Was meinst Du?«

»Als der Vater des jungen Barons getödtet, ermordet wurde, war nur zehn Schritte von ihm ein Treibet, und dieser Treiber hieß Courtin.«

Jean Oullier erwiderte mit Selbstgefühl:

»Ja,« sagte er, »der Treiber hat gesehen, daß Jean Oullier den Verräther erschoß. Und wenn er’s erzählt, so sagt er die Wahrheit, denn es war kein Verbrechen, es war eine gerechte Strafe, und ich bin stolz, daß mich die Vorsehung zum Werkzeug erkoren.«

»Nur Gott kann strafen, Oullier!«

»Nein. O, ich täusche mich nicht. Er hatte mir diesen unauslöschlichen Haß, diese unvertilgbare Erinnerung an die Untat ins Herz gepflanzt. Gottes Finger berührte mein Herz, wenn es bebte, so oft ich den Namen des Judas nennen hörte. Sobald ich den schändlichen Verrath gerächt hatte, fand ich die Ruhe wieder, die von mir gewichen war, seitdem ich das Verbrechen vor meinen Augen in Uebermuth und Ueppigkeit sah. Du siehst, daß Gott mit mir war.«

»Gott kann nicht mit dem Mörder seyn!«

»Gott ist stets mit dem Rächer, der das Schwert seiner Gerechtigkeit führt. Ich führte es damals, wie ich es heute führe.«

»Wollt Ihr mich denn morden, wie den Baron Michel?«

»Ich will den Nichtwürdigen züchtigen, der Petit-Pierre verkauft hat, wie ich den gezüchtigt, der Charette verkaufte; ich will ihn ohne Furcht und Reue züchtigen.«

»Nehmt Euch in Acht, die Reue kann kommen, wenn euer Herr Euch zur Rechenschaft zieht über den Tod seines Vaters.«

»Der junge Mann ist gerecht und aufrichtig: wenn er berufen ist, mich zur Rechenschaft zu ziehen, so werde ich ihm erzählen, was ich im Walde von La Chabottièrie gesehen habe, er wird dann urtheilen.«

»Wer wird bezeugen, daß Ihr die Wahrheit sagt? Nur Einer, und dieser Eine bin ich. Laßt mir das Leben, Jean; wenn’s seyn muß, werde ich, wie dieses Weib, auftreten und sagen: Ich bezeuge es!«

»Du faselst, Courtin. Herr von La Logerie wird kein Zeugniß verlangen, wenn ihm Jean Oullier sagt: Dies ist die Wahrheit; wenn Jean Oullier seine Brust entblößt und zu ihm sagt: Stoßen Sie zu, wenn Sie Ihren Vater rächen wollen. – Du, Courtin, hast noch mehr verbrochen, als Michel; denn das Blut, das Du verkauft hast, ist noch edler als das, an welchem er zum Verräther geworden ist; das Haupt, das Du dem Henker überliefert, ist noch heiliger. Ich habe Michel’s nicht geschont, und sollte Deiner schonen! Nein, nie!«

»Bester Jean Oullier, tödtet mich nicht!« schluchzte der Elende.

»Bitte diese Steine um Mitleid, vielleicht werden sie Dich erhören – »aber mein Wille, mein Entschluß ist unerschütterlich. Courtin, Du mußt sterben!«

»Ach mein Gott! mein Gott!« jammerte Courtin, »kommt mir denn Niemand zu Hilfe? Witwe Picaut, steht mir bei, ich beschwöre Euch! Ich will Euch Gold geben, wenn’s Euch rühren kann. Ich habe Gold – doch nein; ich rede irre – ich habe keines,« sagte der Elende, denn er fürchtete die Mordlust zu stacheln, die er in den Augen seines Feindes blitzen sah. »Nein – Gold habe ich nicht – aber ich habe Land, Ihr sollt es haben – ich will Euch Beide reich machen! Gnade, Jean Oullier – Witwe Picaut, steht mir bei!—«

Die Witwe rührte sich nicht. Sie blieb stumm und kalt wie Marmor; ohne die Bewegung ihrer Lippen hätte man sie für eine der an den alten Grabmälern knienden Statuen halten können.

»Was: Ihr wollt mich umbringen,« fuhr Courtin fort, »mich tödten, ohne daß ich einen Fuß aufheben kann, um zu fliehen, ohne daß ich eine Hand rühren kann, mich zu vertheidigen! Ihr wollt mich in meinen Banden morden, wie ein Thier, das man zur Schlachtbank schleppt! O, Jean Oullier, das thut kein Soldat!«

»Wer sagt Dir denn, daß es so geschehen soll? Nein, nein, Courtin, sieh die Wunde auf meiner Brust – sie blutet noch – ich bin noch schwach und hinfällig. Ich bin vogelfrei, man hat einen Preis auf meinen Kopf gesetzt; aber trotzdem bin ich der Gerechtigkeit meiner Sache so gewiß, daß ich kein Bedenken trage, es auf ein Gottesurtheil ankommen zu lassen. Courtin, ich lasse Dich frei.«

»Ihr wollt mich freilassen?«

»Ja – frohlocke nicht, danke mir nicht. Ich thue es für mich und nicht für Dich: man soll nicht sagen, Jean Oullier habe einen Wehrlosen getödtet. Aber das Leben, daß ich Dir jetzt schenke, werde ich Dir bald wieder nehmen.«

»Mein Gott!«

»Du sollst frei von hier fortgehen, Courtin; aber ich warne Dich, sey auf deiner Hut! Sobald Du diese Ruinen verlassen hast, werde ich deine Spur verfolgen, bis ich Dich kalt gemacht habe. Nimm Dich in Acht, Courtin!»

Jean Oullier nahm sein Messer und durchschnitt die Stricke, mit denen Courtin’s Hände und Füße gebunden waren.

Courtin war außer sich vor Freude; aber diese Aufwallung bekämpfte er sogleich. Beim Aufstehen fühlte er den mit Gold gefüllten Gürtel, der ihn gewissermaßen zur Besinnung brachte. Mit der Hoffnung hatte ihm Jean Oullier das Leben wiedergegeben; aber was war das Leben ohne sein Gold?

Er legte sich so schnell wieder nieder, wie er sich aufgerichtet hatte.

Jean Oullier sah den vollgestopften, leinernen Gürtel und ahnte, was in Courtin’s Herzen vorging.

»Warum gehst Du denn nicht?« sagte er. »Ja, ich sehe es wohl: Du fürchtest, mein Zorn werde wieder auflodern, wenn ich Dich frei und stärker sehe, als ich bin; Du fürchtest, ich würde Dir ein zweites Messer zu werfen und mit diesem bewaffnet Dir zurufen: Vertheidige Dich, Courtin! – Nein, Jean Oullier nimmt sein Wort nicht zurück. Fort, beeile Dich! Wenn Gott mit Dir ist, so wird er Dich schützen; wenn er Dich verurtheilt hat, so wird Dir der Vortheil, den ich Dir gebe, nichts nützen. Nimm dein verfluchtes Gold und geh!«

Courtin antwortete nicht. Er stand wankend auf, wie ein Betrunkener; er versuchte sich den Gürtel um den Leib zur schnallen, aber es gelang ihm nicht, seine Finger bebten, als ob er das kalte Fieber hätte.

Ehe er die Burgruinen verließ, sah er sich scheu nach Jean Oullier um: der Verräther fürchtete einen Verrath; er konnte nicht glauben, daß hinter der Großmuth seines Feindes keine Falle verborgen sey.

Jean Oullier zeigte mit dem Finger aus die Thür. Courtin stürzte in den Hof.

»Nimm Dich in Acht, Courtin!« rief ihm der Vendéer warnend nach.

Courtin zitterte. In seiner eiligen Flucht stieß er an einen Stein und fiel rücklings zu Boden.

Er schrie laut auf. Er glaubte der Vendéer werde über ihn herfallen – es schien ihm, als ob er die kalte Messer- klinge schon im Rücken fühlte.

Es war nur eine üble Vorbedeutung. Courtin stand auf, und eine Minute nachher hatte er das Thor hinter sich.

Als er verschwunden war, trat die Witwe auf Jean Oullier zu und reichte ihm die Hand.

»Jean,« sagte sie, »als ich Euch zuhörte, dachte ich, was mein armer Pascal oft gesagt hat: daß es unter jeder Fahne brave Leute gibt.«

Jean Oullier drückte seiner Retterin die Hand.

»Wie befindet Ihr Euch jetzt?« fragte sie.

»Besser. Im Kampfe findet man immer Kraft.«

»Wohin wollt Ihr jetzt gehen?«

»Nach Nantes. Wie eure Mutter sagt, ist ja Bertha nicht in die Stadt geritten, und ich fürchte, daß drüben ein Unglück geschehen ist.«

»Aber nehmt wenigstens ein Boot; Ihr seyd noch schwach auf den Füßen. Der halbe Weg wird dadurch erspart,«

»Gut, das will ich thun,« antwortete Jean Oullier.

Er folgte der Witwe bis an die Stelle des Sees, wo die Fischerbarken auf den Sand gezogen waren.

XVI.
Wo gezeigt wird, daß ein Mann, der fünfzigtausend France bei sich hat, zuweilen in großer Geldverlegenheit seyn kann

Sobald Courtin die Burg St. Philibert verlassen hatte, fing er an zu laufen wie ein Wahnsinniger. Die Angst beflügelte seine Schritte. Er lief querfeldein, ohne zu wissen, wohin er kommen würde. Wenn er die Kraft gehabt hätte, wäre er bis an’s Ende der Welt gelaufen, um den beständig in seinen Ohren klingenden Drohungen des Vendéers zu entrinnen. Aber als er eine halbe Stunde in der Richtung von Machecoul fortgelaufen war, sank er erschöpft und athemlos nieder. Als er allmälig zur Besinnung kam, sann er nach, was er thun sollte.

Anfangs entschloß er sich nach Hause zu gehen; aber diesen Vorsatz gab er gleich wieder auf. Denn ungeachtet des Schutzes der Behörde hatte er von dem klugen, rastlos thätigen Oullier und dessen Freunden Alles zu fürchten. In Nantes mußte er sich verbergen – in Nantes, wo eine geschickte, zahlreiche Polizei sein Leben schützen konnte, bis Jean Oullier verhaftet seyn würde. Dies, hoffte Courtin, würde sehr bald der Fall seyn in Folge der Nachweisungen, die er über die gewöhnlichen Schlupfwinkel der Verurtheilten und Mißvergnügten geben konnte.

Ueberdies mußte er ja Hyacinthe in Nantes finden, um von diesem, wenn ihr Anschlag gelungen war, eine gleiche Summe zu bekommen, wie er bereits erhalten hatte. Er zögerte keine Sekunde mehr; er kehrte sogleich um.

Anfangs wollte er querfeldein gehen. Auf einer Landstraße konnte er beobachtet werden. Jean Oullier konnte zufällig seine Spur finden. Aber seine durch die Ereignisse des Abends erhitzte Phantasie war stärker als seine Vernunft. Er mochte sich immerhin an den Hecken fortschleichen und jedes freie Feld erst sorgfältig beobachten, ehe er sich aus dem Dunkel hervorwagte, er war doch in unaufhörlicher Angst. Die über den Hecken hervorragenden Kopfweiden hielt er für lauernde Meuchler; in den knorrigen Aesten, die sich über seinem Kopf ausbreiteten, glaubte er drohend gehobene, mit Dolchen bewaffnete Arme zu erblicken. Dann stand er zitternd still, seine Füße mochten ihn nicht mehr tragen, als ob sie in der Erde Wurzel geschlagen hätten. Ein kalter Schweiß bedeckte seinen ganzen Körper, seine Zähne klapperten und seine Hände hielten das Gold krampfhaft gefaßt. Es dauerte lange, bis er sich von seinem Schrecken erholte.

Er ging auf die Landstraße, wo er ruhiger zu seyn hoffte. Die ihm etwa begegnende Leute konnten allerdings Feinde seyn, aber vielleicht waren es Freunde, die ihm nöthigenfalls beistehen konnten, und in seiner Angst meinte er, ein lebendes Wesen, gleichviel ob Freund oder Feind, könnte nicht so furchtbar seyn wie jene schwarzen, drohenden Gespenster, die er auf den Feldern zu sehen wähnte. Auf der Landstraße konnte er ja auch einen nach Nantes fahrenden Wagen finden und einen Platz auf demselben erhalten.

Als er fünfhundert Schritte gegangen war, befand er sich auf der Landstraße, die etwa eine Viertelstunde Weges am Ufer des Sees Grand-Lieu hinführt und zugleich als Damm dient.

Courtin stand von Minute zu Minute still und lauschte. Jetzt glaubte er Hufschläge auf dem Steinpflaster zu hören.

Er versteckte sich im Schilf dicht am See und wartete in athemloser Angst.

Bald darauf hätte er zu seiner Linken das Plätschern von Rudern auf dem See. Er ging vorsichtig noch einige Schritte weiter und bemerkte in der Dunkelheit eine langsam am Ufer fahrende Barke. Es war vermuthlich ein Fischer, der die Abends gestellten Netze noch vor Tagesanbruch aufziehen wollte. Das Pferd kam näher; Courtin zitterte vor den schallenden Hufschlägen, er glaubte verfolgt zu werden und dachte nur an schleunige Flucht.

Er pfiff leise, um die Aufmerksamkeit des Fischers auf sich zu lenken. Dieser ließ seine Ruder ruhen und horchte.

»Hierher!« rief Courtin.

Ein kräftiger Ruderschlag trieb die Barke rasch in seine Nähe.

»Könnt Ihr mich über den See fahren?« fragte Courtin, »ich zahle Euch einen Franc.«

Der Schiffer, der einen Kittel trug und eine Mütze tief ins Gesicht gezogen hatte, antwortete mit zustimmendem Kopfnicken und trieb den Kahn mit der Stange mitten in das Rohr, des sich unter dem Vordertheil des kleinen Fahrzeuges bog. Als das Pferd herankam, sprang Courtin in den Kahn.

Der Fischer ruderte nun rasch auf die Mitte des Sees zu, als ob er die Angst des Maire getheilt hätte. Nach zehn Minuten erschien der Damm mit den Bäumen nur noch wie ein dunkler Streifen am Horizont.

Courtin war außer sich vor Freude. Diese Barke, die wie gerufen gekommen war, übertraf alle seine Wünsche und Hoffnungen. Wenn er im Port St. Martin war, so hatte er nur noch eine Stunde Weges nach Nantes auf einer, die ganze Nacht belebten Straße, und in Nantes war er geborgen.

Seine Freude war so groß, daß er sich nicht enthalten konnte, sie laut zu äußern. Er saß hinter dem Fischer, den er mit einem wahren Wonnetausch aus allen Kräften rudern sah, und jeder Ruderschlag entfernte ihn immer weiter von dem Ufer, wo die Gefahr war. Dann murmelte er ein Gebet, das er aber bald unterbrach, um den kostbaren Ledergürtel zu betasten und einzelne Goldstücke hin- und herzuschieben.

Endlich aber fand er, daß ihn der Fischer weit genug vom Ufer weggerudert hatte und daß er, in dieser Richtung weiter fahrend, den Hafen St. Martin rechts liegen lassen würde. Eine kleine Weile wartete er noch; er dachte, der Fischer suche vielleicht eine Strömung, in welcher er leichter auf den Hafen zusteuern könne. Aber der Fischer ruderte immer geradeaus, auf die Mitte des Sees zu.

»Ihr habt mich nicht recht verstanden,« sagte Courtin endlich, »ich will ja nicht nach St. Père, sondern nach St. Martin. Steuert also rechts, Ihr verdienet dann schneller euer Geld.«

Der Fischer schwieg.

»Habt Ihr mich verstanden?« setzte Courtin ungeduldig hinzu. »Nach Port St. Martin will ich! Ihr müßt Euch rechts halten. Es ist mir recht lieb, daß wir nicht zu nahe an der Landstraße fahren und von den Kugeln, die man uns vom Ufer zuschicken könnte, nichts zu fürchten haben, aber jetzt müßt Ihr seitwärts steuern.«

Der Fischer schien ihn noch immer nicht zu verstehen.

»Seyd Ihr denn taub?« rief Courtin erzürnt.

Der Fischer antwortete nur durch einen neuen Ruderschlag der die Barke noch zehn Schritte weiter trieb.

Courtin sprang auf und wollte den Fischer zwingen seinen Befehl zu vollziehen. Er zog ihm die Mütze vom Kopfe – der Schrecken entlockte ihm einen Schrei und er sank auf die Knie.

Der Mann ließ die Ruder los und sagte ohne aufzustehen: »Gott hat gegen Euch entschieden, Courtin, Ich habe Euch nicht gesucht, und er schickt mich zu Euch; ich dachte nicht mehr an Euch, und er führt mir Euch in den Weg. Gott will euren Tod, Courtin!«

»Nein, nein! Jean Oullier, Ihr werdet mich nicht umbringen!« rief der Elende, der wieder von Todesschrecken ergriffen wurde.

»Eure letzte Stunde hat geschlagen, so wahr die Sterne am Himmel leuchten. Bereut also eure Missethaten und bittet Gott um Gnade!«

»Nein, Jean Oullier, das werdet Ihr nicht thun! Bedenkt doch, daß Ihr einem Mitmenschen das Leben nehmen wollt. Mein Gott, ich sollte die schöne Erde nicht mehr sehen! Ich sollte fern von Allen, die mir theuer sind, in das nasse kalte Grab versenkt werden! Nein, das ist unmöglich!«

»Wenn Du Vater wärest, wenn Du ein Weib, eine Mutter, eine Schwester hättest, so könnten mich deine Bitten rühren. Aber Du bist den Menschen ganz unnütz, Du hast nur gelebt, um ihnen Gutes mit Bösem zu vergelten. Du hast nie einen deiner Mitmenschen geliebt, hast nie einen Freund gehabt Courtin, Du wirst bald vor deinem Richter erscheinen: bitte ihn um Gnade!«

»Kann ich denn das in einigen Minuten? Ein Sünder wie ich braucht Jahre, seine Reue durch die That zu zeigen. Ihr seyd ja so fromm, Jean Oullier, Ihr werdet mir das Leben lassen, damit ich es zur Reue benütze.«

»Nein, Du würdest das Leben nur zu neuen Unthaten benützen. Courtin, die Zeit vergeht – in zehn Minuten wirst Du vor deinem Richter stehen; thue Buße, und es wird Dir Gnade werden.«

»Zehn Minuten! Habt Erbarmen!«

»Bedenke, Courtin, daß die Zeit, die Du mit fruchtlosen Bitten verschwendest, für deine Seele verloren ist.«

Courtin antwortete nicht. Er hatte ein Ruder ergriffen und ein Hoffnungsschimmer drang durch die Nacht seiner Verzweiflung. Er sprang rasch auf und schlug nach dem Vendéer. Dieser aber wich dem Schlage aus, und das Ruder zersplitterte auf dem Bord des Kahnes. Courtin behielt nur einen Stumpf in der Hand.

Mit Blitzesschnelle stürzte Jean Oullier auf ihn los und faßte ihn an der Kehle. Der Elende, vom Schrecken gelähmt, fiel auf den Boden des Kahnes und stammelte:

»Gnade! Gnade!«

»Ha, die Todesfurcht hat Dir ein bisschen Muth gemacht!« rief Jean Oullier. »Du hast eine Waffe gefunden. Wohlan, vertheidige Dich, und wenn Dir die, welche Du in der Hand hast, nicht ansteht, so nimm die meinige.«

Bei diesen Worten warf er ihm seinen Dolch vor die Füße.

Aber Courtin war keiner Bewegung fähig. Er stammelte abgebrochene verworrene Worte. Sein ganzer Körper bebte, wie vom Fieber geschüttelt; die Sinnesthätigkeit war gelähmt, ein verworrenes Getöse in seinen Ohren hinderte ihn zu hören, was um ihn vorging.

»Mein Gott!« sagte Jean Oullier die regungslose Masse mit dem Fuße von sich stoßend »ich kann diesen Leichnam doch nicht mit dem Messer durchbohren.«

Der Vendéer sah sich um, als ob er etwas suchte.

Es war eine stille heitere Nacht; die Wasserfläche wurde durch ein leises Lüftchen nur leicht gekräuselt; man hätte nur das Schreien der Wasservögel, die vor der Barke davonflogen und deren dunkle Körper gegen die aufsteigende Morgenröthe abstachen.«

Jean Oullier wandte sich rasch zu Courtin und rüttelte ihn.

»Maître Courtin,« sagte er, »ich bin kein Meuchler, ich will meinen Antheil an der Gefahr haben. Du mußt Dich vertheidigen, ich werde Dich dazu zwingen. Wehre Dich wenigstens gegen den Tod, wenn auch nicht gegen mich.«

Courtin ächzte und ließ seine irren Blicke umherschweifen; aber es war leicht zu sehen, daß er nichts mehr von den ihn umgebenden Gegenständen erkannte, der Tod, der ihm in seiner furchtbarsten, drohendsten Gestalt erschien, machte Alles unkenntlich.

In demselben Augenblicke trat Jean Oullier mit aller Kraft gegen die Planken des Kahn; die halbverfaulten Dielen wichen und das Wasser trat in das kleine Fahrzeug.

Courtin durch das nasse, kalte Element aus seiner Betäubung geweckt, stieß einen lauten, furchtbaren Schrei aus.

»Ich bin verloren!« stöhnte er.

»Es ist Gottes Gericht!« rief Jean Oullier, die Arme emporstreckend. »Als Du gebunden warst, mochte ich Dich nicht tödten; auch jetzt will ich mich nicht an Dir vergreifen; wenn dein Schutzengel Dich am Leben erhalten will, so möge er Dich retten, dein Leben ist in seiner Hand – ich besudle meine Hände nicht mit deinem Blute!«

Courtin stand auf und ging, das Wasser um sich her spritzend im Kahn auf und ab.

Jean Oullier kniete mit großer Ruhe nieder und betete. Das Wasser stieg immer hoher.

»O, wer wird mich retten!« jammerte Courtin, mit Entsetzen die Handbreit Holz betrachtend, die noch über dem Wasserspiegel war.

»Gott, wenn’s sein Wille ist! Dein Leben, wie das meine, ist in seiner Hand. Er nehme das deine oder meine, oder er rette oder verurtheile uns Beide. Noch einmal, Courtin, unterwirf Dich seinem Urtheil!«

Das Boot begann nun in allen Fugen zu krachen. Das Wasser war bis an den Rand gestiegen. Die Barke drehte sich, hielt sich noch eine Secunde aus der Wasserfläche, dann sank sie unter.

Courtin wurde mit fortgezogen, aber er tauchte wieder auf und griff nach dem zweiten Ruder, das neben ihm schwamm. Dieses leichte trockene Stück Holz hielt ihn so lange auf dem Wasser, daß er noch eine Bitte an Jean Oullier richten konnte. Dieser antwortete ihm nicht, er schwamm langsam in der Richtung, wo der Tag anbrach.

»Hilf mir, Jean Oullier!« flehte der feige Courtin, »ich will Dir alles Gold lassen, das ich bei mir habe.«

»Wirf das Sündengeld in den See,« sagte der Vendéer, »es ist das einzige Mittel, dein Leben zu retten. Einen andern Rath kann ich Dir nicht geben.«

Courtin griff nach dem Gürtel; aber er zog die Hand zurück, als ob sie durch die Berührung des Goldes verbrannt würde, als ob ihm der Vendéer gerathen hätte, sich das Herz aus der Brust zu reißen.

»Nein, nein!« schrie er, »mein Geld muß ich retten!«

Aber er hatte weder die Kraft noch die Geschicklichkeit Oullier’s. Das Gewicht der Ledertasche war zu groß – er sank immer tiefer in das Wasser, das ihm bereits in die Kehle drang. Er rief den Vendéer noch einmal, aber dieser war schon hundert Klafter entfernt.