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Kitabı oku: «El Salteador», sayfa 6

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Elftes Capitel.
Das Täubchennest

Dieses Hinabsteigen, welches Ginesta nicht zum ersten Male zu versuchen schien, war selbst für Fernand gefährlich und würde für einen Andern unmöglich gewesen seyn.

Der weiße Dunst, der an den Seiten der Berge schwebt und von dem Windeshauche bewegt wird, konnte nicht leichter und anmuthiger seyn, als die junge Zigeunerin, während sie an dem fast senkrecht abfallenden Felsen hinabging.

Glücklicherweise wuchsen hier und da in den Granitrissen Myrthen- oder Erdbeerbaumgebüsch, welche im Nothfalle als Stützpunkt für die Füße Fernands dienen konnten, während seine Hände sich an die Lianen hielten, welche gleich riesigen Tausendfüßern an der Felsenwand empor kletterten.

In manchen Augenblicken schien selbst die Ziege zu zögern; dann ging Ginesta voraus – man wußte nicht wie – und zeigte ihm so, ohne ein Wort zu sagen, den Weg.

Von Zeit zu Zeit drehte sie sich um und winkte Fernand ermuthigend zu, denn ihre Stimme würde er im Tosen und Brausen des Wassersturzes, unter dem Prasseln der Flammen und dem verzweiflungsvollen Geschrei der immer enger eingeschlossenen wilden Thiere nicht vernommen haben.

Mehr als einmal blieb das Mädchen zitternd stehet-, wenn sie Fernand über dem Abgrund schweben sah, wie von den Flügeln eines Vogels getragen; mehr als einmal streckte sie die Hände nach ihm aus und ging dann ein paar Schritte wieder zurück, damit er sich auf ihren Arm stützen könnte.

Er aber schämte sich, durch ein Mädchen übertroffen zu werden, die nur ein Spiel da zu sehen schien, wo nicht blos einmal, sondern zwanzigmal Todesgefahr war, nahm alle seine Kräfte, seine ganze Unerschrockenheit, seine ganze Kaltblütigkeit zusammen und folgte der Ziege und dem Mädchen auf dem halsbrecherischen Wege.

Als die Zigeunerin etwa fünfundzwanzig Fuß weit hinabgekommen war, das heißt an die Stelle, wo der Wassersturz sich auf einem vorstehenden Felsenblocke brach, ging sie nicht weiter hinunter, sondern schief an dem Berge hin und näherte sich dem Wasser wieder, von dem sie sich anfänglich aus Vorsicht entfernt hatte, da der umherspritzende Schaum und Regen die Steine so glatter, schlüpfriger und folglich gefährlicher machte.

Uebrigens verbreitete der Waldbrand einen so hellen Schein, daß er den steilen Weg fast so glänzend beleuchtete wie Sonnenlicht. Dieses Licht verringerte indeß die Gefahr keineswegs, vergrößerte sie vielmehr, eben weil es dieselbe sichtbar machte.

Fernand begann den Plan Ginestas zu errathen und bald blieb ihm kein Zweifel mehr darüber, da die Ziege mit einigen Sprüngen den Felsen erreicht hatte, auf dessen äußerstem Rande der Wasserfall sich brach.

Die Zigeunerin langte fast gleichzeitig auch an, aber kehrte sich alsbald um, damit sie im Nothfalle Fernand bei dem Hinabsteigen beistehen könne.

Sie glich dem Geiste des Gebirges, der Fee des Wasserfalls, als sie so dastand, nach dem jungen Manne hin vorgebeugt, dem sie die Hand entgegenstreckte, auf der einen Seite von der Einbiegung des dunkeln Felsens, auf der andern von dem Bogen des Wasserfalles umrahmt, der im Widerscheine der Flamme dem Diamantbogen einer von der Erde nach dem Himmel gespannten Brücke glich.

Fernand gelangte nicht ohne Mühe über den wenn auch nur kurzen Raum, der ihn noch von Ginesta trennte. Der nackte Fuß der Zigeunerin stand sicher auf den kleinen Unebenheiten des Gestades, auf welchem der Schuh Fernands ausglitt. In dem Augenblick als er eben den Granitblock erreichte, trat er fehl und es wäre um den kühnen Salteador geschehen gewesen, wenn ihn Ginesta nicht mit einer Kraft, die man dem zarten Wesen nicht zutrauen konnte, an dem Mantel gefaßt, eine Secunde schwebend über dem Abgrunde gehalten und ihm so Zeit gegeben hätte, den Stützpunkt wieder zu finden.

Als dies geschehen war, brachte ihn ein kräftiger Schwung zu dem Mädchen und der Ziege.

Sobald er aber auf dem Felsen, sobald er in Sicherheit war, verließ ihn auch die Kraft, seine Kniee knickten, seine Stirn bedeckte sich mit Schweiß und er würde aus den Felsen niedergefallen seyn, wenn er nicht, als er eine Stütze suchte, unter seiner Hand die liebende Achsel Ginesta’s gefunden hätte.

Durch den Wasserstrom hindurch, der klar und durchsichtig wie Krystall war, erblickte er den Waldbrand wie ein Zauberbild.

»Ach!« rief er außer sich aus, »siehe doch, Ginesta! Das ist großartig! Das ist schön! Das ist erhaben!« Wie der Adler, der über dem Aetna schwebt, erhob sich die Seele des Dichters auf Fittigen über das Gebirge, das in einen Vulkan umgewandelt zu seyn schien.

Als Ginesta erkannte, daß Fernando ihrer nicht mehr! bedürfe, machte sie sich sanft aus seinen Armen los, die sie einen Augenblick krampfhaft umfaßt hatten, überließ ihn der Betrachtung und trat in die Tiefe der Grotte hinein, die bald durch das bleiche Licht einer Lampe erhellt wurde, von dem so grell der blutige Widerschein des Riesenbrandes abstach.

Fernand war von der Betrachtung zum Nachdenken übergegangen. Er zweifelte nicht mehr: der Waldbrand war keineswegs das Werk des Zufalles, sondern die Ausführung eines wohlberechneten Planes der ihn verfolgenden königlichen Truppen.

Die drei Töne des Silberhornes, durch welche er seine Gefährten hatte zu sich bescheiden wollen, hatten den Truppen, die ihn suchten, angedeutet, an welcher Stelle er sey. Zweihundert Soldaten, mehr vielleicht, waren dann aufgebrochen, jeder mit einer Fackel in der Hand; sie hatten einen weiten Kreis gebildet und sodann die Fackeln in das harzige Gebüsch, auf das dürre Gras geworfen, von wo das Feuer mit Blitzesschnelligkeit sich weiter verbreitete.

Nur ein Wunder hatte Fernand retten können. Dieses Wunder war die Hingebung Ginesta’s, die es bewirkt.

Im Gefühle der Dankbarkeit drehte er sich um, denn erst in den eben vergangenen wenigen Minuten hatte er alles erkannt, was er dem Mädchen schuldig war.

Da erblickte er mit Erstaunen eine von blassem Lampenschimmer erhellte Grotte, deren Daseyn er, der Mann des Gebirges, nicht geahnt.

Er trat langsam näher und je näher er kam, um so höher stieg sein Staunen.

Durch eine schmale Oeffnung hindurch, die von dem Felsen in die Grotte hinein führte, sah er wie das Zigeunermädchen eine Platte im Fußboden der Höhle aufhob, aus dem Raume darunter einen Ring, den sie an einen Finger steckte, und ein Pergament nahm, das sie in ihrem Busen verbarg.

Die Grotte war in dem Felsen ausgehöhlt. Theile der Wände bestanden aus Granit wie der Fels, auf welchem Fernand stand, andere aus Erde oder vielmehr aus dem trockenen zerreiblichen Sande, den man in Spanien überall findet, wenn man die dünne Schichte fruchtbarer Erde oben hinweg nimmt.

Ein Mooslager, mit frischem Farrenkraut bedeckt, dehnte sich in einer Ecke der Grotte hin; über diesem Lager hing in einem Rahmen von Eichenholz ein grobes Gemälde, das wohl noch aus dem dreizehnten Jahrhunderte herrührte und eine jener Madonnen mit schwarzem Gesicht darstellte, welche die Sage ein Werk des heiligen Lucas nennt.

Dem Moosbette gegenüber hingen in zwei Goldrahmen zwei andere Gemälde in weit besserem Geschmacke. Die goldenen Rahmen hatten von der Zeit viel gelitten. Eines der Bilder stellte einen Mann dar, das andere eine Frau; beide hatten eine Krone aus dem Haupte und über der Krone sah man Titel, Namen und Beinamen.

Die Frau hatte die braune Hautfarbe der Töchter des Südens und war seltsam gekleidet, so viel man wenigstens sehen konnte, und die Krone hatte eine phantastische Gestalt gleich jener irgend einer orientalischen Königin. Wer das Bild sah und Ginesta kannte, mußte sofort an die junge Zigeunerin denken; stand Ginesta dabei, so wandte man sich gewiß nach ihr um, denn wenn man das Werk des Malers und das Geschöpf Gottes verglich, so fand man eine ausfallende Aehnlichkeit zwischen beiden, obwohl Ginesta das Alter noch nicht erreicht hatte, in welchem das Original des Bildes dem Maler gesessen hatte.

Über der Krone standen die Worte:

 
La Reyna Topacio la Hermosa,
 

welches heißt: »die Königin Topaz, die Schöne.«

Der Mann in kostbarer Kleidung trug die Königskrone um ein schwarzes Sammtbarett; sein langes blondes Haar fiel an jeder Seite des Gesichtes herunter, dessen Milch- und Blutfarbe von dem der Frau abstach, die er mit liebenden Blicken anzuschauen schien. Er schien ein Sohn des Nordens zu seyn, zeichnete sich aber in seiner Art der Schönheit eben so aus, wie die Frau in der ihrigen, so daß beide den schmeichelhaften Beinamen verdienten, den sie trugen, denn über dem Haupte des Mannes las man:

 
»El Ray Felippo el Haksan,«
 

was heißt: »der König Philipp, der Schöne.«

Der junge Mann überblickte dies Alles, seine Augen aber kehrten, nachdem sie einen Augenblick auf dem Moosbette geweilt, vorzugsweise zu den beiden Porträts zurück.

Ginesta hatte mehr geahnt als gesehen, daß er herbei getreten war; sie kehrte sich in dem Augenblicke um, als sie, wie gesagt, den Ring an den Finger steckte und das Pergament in ihrem Busen barg.

Dann hieß sie mit dem Lächeln einer Königin Fernand willkommen und sagte in ihrer Bildersprache:

»Tritt ein; Du wirst aus diesem Täubchennest einen Adlerhorst machen.«

»Will mir das Täubchen vor allen Dingen sagen, was für ein Nest dies ist,« entgegnete Fernand.

»Das, in welchem ich geboren wurde,« antwortete Ginesta, »und wo ich aufwuchs, das, wohin ich gehe, um zu lachen oder zu weinen, so oft ich glücklich oder unglücklich bin. Weißt Du nicht, daß jedes erschaffene Wesen mit unendlicher Liebe an seiner Wiege hängt?«

»O, ich weiß es wohl, da ich zweimal jeden Monat mein Leben wage, um eine Stunde lang mit meiner Mutter in dem Gemache zu seyn, wo ich geboren wurde.«

Fernand trat in die Grotte hinein.

»Da Ginesta mir auf meine erste Frage Antwort gab,» sagte er, »antwortet sie vielleicht auch auf die zweite.«

»Frage,« entgegnete das Mädchen, »und ich werde antworten.«

»Wen stellen die beiden Porträts vor?«

»Ich glaubte Fernand sey ein Stadtkind; irrte ich mich?«

»Warum?«

»Kann Fernand nicht lesen?«

»Das kann ich.«

»So mag er lesen.«

Sie hob die Lampe empor und ließ das Licht derselben auf die Bilder fallen.

»Nun!« sagte sie. »Was liesest Du?«

»Ich lese: »Die Königin Topaz, die Schöne.«

»Nun?«

»Ich kenne keine Königin dieses Namens.«

»Selbst nicht unter den Zingaris?«

»Ah,« fiel Fernand ein, »ich vergaß, daß die Zigeuner auch Könige haben.«

»Und Königinnen,« setzte Ginesta hinzu.

»Warum aber gleicht das Porträt Dir?« fragte der Salteador.

»Weil es das Bild meiner Mutter ist,» antwortete das Mädchen stolz.

Fernand verglich nochmals die beiden Gesichter und die Aehnlichkeit trat ihm noch auffallender entgegen.

»Und das zweite Bild?« fragte er.

»Lies.«

»Ich sehe und lese da: »Der König Philipp, der Schöne.«

»Ist Dir auch unbekannt, daß es in Spanien einen König dieses Namens gegeben hat?«

»Nein, denn als Kind habe ich ihn gesehen.«

»Ich auch.«

»Jedenfalls dann als sehr kleines Kind.«

»Ja, aber manche Erinnerungen drücken sich so tief in das Herz, daß man sie lebenslänglich bewahrt, in welchem Alter man sie auch in sich aufgenommen hat.«

»Allerdings,« sagte Fernand mit einem Seufzer, »ich kenne diese Erinnerungen auch; aber warum hängen die Bilder einander gegenüber?«

Ginesta lächelte und fragte:

»Ist es nicht das Bild eines Königs und das einer Königin?«

»Allerdings, aber . . . «

Er hielt inne, da er fühlte, daß er den Stolz des Mädchens verletzen würde.

Sie fuhr indeß lächelnd fort:

»Aber, willst Du sagen, der Eine war König eines wirklichen, die Andere Königin eines nicht wirklichen Reiches.«

»Das war allerdings mein Gedanke, liebe Ginesta.«

»Wer sagt Dir, daß das Reich Egvpten kein wirkliches sey? Wer sagt Dir, daß die, welche von der schönen Nicosia, der Königin von Saba, abstammt, nicht eben so wirklich Königin sey als der König ist, welcher von Maximilian, vom Kaiser Oesterreichs abstammt?«

»Aber wer ist der Philipp der Schöne?«

»Philipp der Schöne,« antwortete Ginesta, »ist der Vater des Königs Don Carlos, der morgen in Granada seyn soll. Ich habe also keine Zeit zu verlieren, wenn ich von dem Könige Don Carlos das erbittert will, was er vielleicht Don Inigo abschlägt.«

»Wie?« fragte Fernand. »Du gehst nach Granada?«

»Jetzt eben. Erwarte mich hier.«

»Du bist nicht bei Sinnen, Ginesta.«

»In dieser Vertiefung wirst Du Brot und Datteln finden. Sey unbesorgt, ich bin zurück, ehe deine Lebensmittel ausgehen, und an Wasser, wie Du siehst, wird es Dir nicht fehlen.«

»Ginesta, ich werde nicht zugeben, daß Du meinetwegen. . .«

»Fernand, wenn Du mich nicht augenblicklich gehen lässest, kann ich vielleicht des Brandes wegen das Flußbett nicht erreichen.«

»Die, welche mich verfolgen, die um den Berg, auf den ich geflüchtet, wie sie wissen, einen Flammengürtel gelegt haben, werden Dich nicht durchlassen; sie werden Dich mißhandeln, vielleicht Dich tödten . . .«

»Was soll man zu einem Mädchen sagen, das von dem Brande im Gebirge überrascht, mit ihrer Ziege in dem Bette eines Wildbaches sich rettet?«

»Ja, Du hast Recht, Ginesta,« entgegnete Fernand, »und wenn man Dich auch anhält, ist es besser, es geschieht, während Du fern von mir, nicht bei mir bist.«

»Fernand,« sagte das Mädchen ernst, »wenn ich nicht die Gewißheit hätte, Dich zu retten, würde ich bei Dir bleiben, um mit Dir zu sterben; aber ich weiß, daß ich Dich rette, und darum gehe ich. Komm, Maza.«

Ohne auf die Antwort Fernands zu warten, mit einem letzten Abschiedswinke, schwang sich Ginesta von dem Felsen an die Seite des Berges und stieg, leicht wie eine Schneeflocke, mit so sicherem Fuße, wie die ihr vorangehende Ziege in den Abgrund hinab, dessen Fee sie zu, seyn schien.

Fernand bog sich über den Abgrund und sah ihr angstvoll nach, bis sie unten das Bett des Wildbaches erreicht hatte, in welchem sie von Steinblock zu Steinblock hüpfte, wie eine Bachstelze und wo sie bald zwischen den beiden Feuerwänden verschwand.

Zwölftes Capitel.
Der König Don Carlos

Lassen wir Fernand ruhig zwischen der Gefahr, welcher er entgangen ist, und der vielleicht größeren, die ihn bedroht, betreten wir denselben Weg wie Ginesta und gleiten andern brennenden Berge hinunter zu dem Wildbache, wo sie in der Tiefe des Thales verschwunden ist.

Der Bach durchläuft, wie gesagt, eine Strecke von einigen Stunden, wird dann zu einem kleinen Flusse und ergießt sich in den Xenil.

Bis dahin folgen wir ihm indessen nicht, wir verlassen ihn da, wo auch Ginesta ihn ohne Zweifel verlassen hat, nämlich wo er etwa eine Stunde vor Armilla unter einer Brücke hingeht, die auf der Straße von Granada nach Malaga über ihn gespannt ist.

Hier können wir uns nicht mehr irren, denn es ist eine wirkliche Straße.

Und seht, in Gratiada ist großes Fest, auf den tausend Thürmen wehen die Fahnen Castiliens und Aragoniens, Spaniens und Oesterreichs; die siebzigtausend Häuser haben sich geputzt und die dreimalhundertfünfzigtausend Einwohner – in den siebenundzwanzig Jahren, seit die Stadt von den maurischen Königen unter die christlichen gekommen, hatte sie etwa fünfzigtausend verloren – hatten sich in den Straßen aufgestellt, welche von dem Thore von Jaën nach der Alhambra führen, in welcher man dem Könige die Zimmer eingerichtet, die der König Boabdil vor einem Vierteljahrhunderte so ungern verlassen hatte.

Auch war auf dem schattigen Wege, der sanft ansteigt nach dem Gipfel des Sonnenberges, auf welchem die Veste steht und die Alhambra blüht, jener von den Geistern des Orients erbaute Palast, die Volksmenge so zahlreich, daß man sie durch eine Reihe Hellebardiere in Ordnung halten mußte, welche sich bisweilen genöthigt sahen, wenn Zureden nichts half, den Stiel ihrer Lanzen zu gebrauchen, um die Neugierigen auf den verlassenen Platz zurückzudrängen.

Der Abhang, zu dessen beiden Seiten in einem Kieselbett ein frischer murmelnder Bach um so reichlicher fließt, je wärmer die Luft ist, weil dies Wasser am Tage vorher noch wie ein weißer Mantel um die Schultern des Malahacen lag und von schmelzendem Schnee herkommt, der Abhang also war jetzt noch in seiner ganzen Breite frei, denn später erst sollte Don Luiz, Marquis von Mendoza, das, Haupt des Hauses Mondejar, zu Ehren des Kaisers mit blondem Haar und rothem Bart den wappengeschmückten Springbrunnen anlegen, welcher den Weg versperrt, eine riesige Wassergarbe empor wirft, die in Diamantenstaub empor steigt, um in eiskalten Tropfen wieder herabzufallen, und einen Augenblick auf den Blättern der jungen Buchen zu zittern, welche ihre Aeste zu einer den Sonnenstrahlen undurchdringlichen Laube verflochten.

Es war gewiß eine Coketterie der Bewohner von Granada, welche unter den zwanzig oder dreißig Palästen in ihrer Stadt als Wohnung des jungen Königs den Palast erwählten, zu dem man auf diesem schattigen kühlen Wege, gelangt: von dem Thore Granada, wo die Gerichtsbarkeit der Alhambra beginnt, bis an die Pforte des Gerichts, durch welche man in die Veste hinein gelangt, kann kein, Sonnenstrahl sein Auge blenden, und wenn der Gesang der Grillen und Cicaden nicht wäre, könnte er sich hier, sechzig Stunden von Afrika, in den kühlen Schatten seines geliebten Flanderns versetzt glauben.

Freilich würde er in ganz Flandern vergebens nach einem Thore gleich dem suchen, welches um das Jahr 1348 unserer Zeitrechnung der König Yusef Abul Hagiag bauen ließ und welches seinen Namen: »Pforte des Gerichts,« der Sitte der maurischen Könige verdankt, auf der Schwelle ihrer Paläste Recht zu sprechen.

Wenn wir sagen: eine Pforte, so drücken wir uns nicht recht aus; wir sollten sagen: ein Thurm, denn ein wirklicher vierseitiger hoher Thurm ist es mit einem großen herzförmigen Bogen, über welchem der König Don Carlos als ein Beispiel der Unbeständigkeit der menschlichen Dinge jene doppelte maurische Hieroglyphe wird sehen können, die einen Schlüssel und eine Hand vorstellt . . . Hat er seinen gelehrten Lehrer Adrian von Utrecht bei sich, so wird ihm dieser sagen, der Schlüssel sey da, um an den Koranvers zu erinnern, welcher mit den Worten beginnt: er hat geöffnet, die Hand dagegen strecke sich aus, um den bösen Blick zu beschwören, welcher den Arabern und Neapolitanern so schlimme Streiche spielt. Wenn sich dagegen der König nicht an den Cardinal Adrian wendet, sondern an das erste beste Kind, in welchem ihm die olivenbraune Hautfarbe, das große sammtschwarze Auge und die Kehllaute seiner Sprache das maurische Geschlecht verrathen, das er zu verfolgen beginnen und das sein Nachfolger Philipp III. gänzlich aus Spanien verdrängen wird, so wird das Kind ihm antworten, Hand und Schlüssel wären auf den Antrieb eines alten Propheten da angebracht worden, welcher vorausgesagt, Granada werde erst dann in die Gewalt der Christen fallen, wenn die Hand den Schlüssel erfaßt.

Dann wird der fromme König Don Carlos sich bekreuzigend verächtlich über diese lügnerischen Propheten lächeln, welche der Gott der Christen durch den glänzenden Sieg Ferdinands von Aragonien und Isabella‘s von Castilien, seiner väterlichen und mütterlichen Vorfahren, so empfindlich Lügen gestraft.

Ist dieses Thor überschritten, welches man das Himmelsthor nennen könnte, denn, von unten gesehen, scheint es sich unmittelbar in den Himmel zu öffnen, so wird der König Don Carlos auf den großen Platz las Algives gelangen, da einen Augenblick stillhalten, um sich von seinem Pferde über die Brustwehr hinauslehnen können, um in einem grünen Abgrunde die maurische Stadt zu übersehen, die er zuletzt nur einige Tage bewohnt hat und die ihm völlig unbekannt ist; dann wird er auf dem Boden eines Abgrundes den Darro sehen, welcher Granada durchströmt, und den Xenil, der sich um die Stadt herumzieht, den Xenil, der Silber führt, wie der Darro Gold; er wird in der weiten Ebene hin, welche den arabischen Namen der Vega behalten hat, ihren Lauf unter Cactus und Oleander verfolgen können, unter denen sie bisweilen ganz verschwinden, um weiterhin kleiner, geschlängelt und glänzend wie die Seidenfäden, wieder zu erscheinen, welche die ersten Herbstwinde dem Rocken der Mutter unseres Herrn entführen.

Auf diesem Platze, um einen Brunnen her, der mit Marmorplatten belegt ist, wandern die Bevorzugten in Erwartung der Ankunft des Königs, welche mit dem Schlage zwei Uhr Nachmittags erfolgen soll. Einige sind durch den Titel Ricos Hombres geschützt, welchen derselbe König Don Carlos in Granden von Spanien verwandeln wird, wie er den minder pomphaften Titel »Hoheit,« mit welchem die Könige von Castilien und Aragonien bisher sich begnügten, in »Majestät« umwandeln sollte, und die Vorfahren dieser Dons sind Freunde des Cid Campeador, die Vorfahren dieser Señors Gefährten Pelagos gewesen und der geringste unter ihnen – wohlverstanden, dem Vermögen nach, denn nach Geburt wollen alle gleich seyn – hält sich gewiß für so adelig wie der Prinz von Oesterreich, der in ihren Augen nur durch seine Mutter Johanna, die Wahnsinnige, Tochter Isabella’s der Katholischen, Spanier ist, d. h. Hidalgo.

Alle diese alten Castilianer versprechen sich nicht viel Gutes von dem jungen Könige, dessen deutsche Herkunft an seinem blonden Haar, an dem rothen Bart und dem vorstehenden Kinn erkennbar ist; sie haben es nicht vergessen, daß Maximilian, dem für seinen Enkel wenig an dem spanischen Throne, viel aber an der Kaiserkrone lag, seine schwangere Mutter von Valladolid nach Gent kommen ließ, damit sie in dieser Stadt von einem Sohne entbunden werde, welcher nicht blos Infant von Castilien, sondern auch flamändischer Bürger sey. Wenn man ihnen auch sagt, alle möglichen glücklichen-Vorzeichen hätten die Geburt des Kindes begleitet, die am Sonntage, 22. Februar 1500, am Tage des heiligen Mathias erfolgt, und daß Rutilio Benincasa, der größte Astrolog jener Zeit, wunderbare Dinge über ihn in Bezug auf die Geschenke verkündigt, welche ihm durch seine Pathen, den Prinzen von Chimay und die Erzherzogin Margaretha von Oesterreich, an dem Tage übergeben wurden, als sie ihn im Gefolge von sechshundert Knappen, zweihundert Pferden und fünfzehnhundert Fackeln auf Teppichen von dem Schlosse bis zur Cathedrale zur Taufe trugen, in welcher er den Namen Carl erhielt, zum Andenken an seinen ritterlichen Ahnherrn Carl von Burgund, genannt der Kühne. Die beiden Pathen hatten nämlich an diesem Tage dem Kinde, Margaretha von Oesterreich ein Becken von vergoldetem Silber voll Edelsteinen und der Prinz von Chimay einen goldenen Heim mit einem Phönix daraus übergeben, weshalb Rutilio Benincasa gesagt, derjenige, welcher diese kostbaren Geschenke empfangen habe, werde eines Tages König der Länder werden, in welchen man das Gold und die Diamanten finde, und gleich dem Vogel, den er auf seinem Helme trage, der Phönix der Könige und Kaiser seyn. Sie schüttelten alle die Köpfe bei der Erinnerung an das Unglück, welches seine Jugend begleitete und von seinem Eintritt in die Welt an die großartigen Geschicke Lügen zu strafen schien, die man ihm aus Schmeichelei, wie sie sagten, nicht aus wirklicher Kenntniß der Zukunft, verheißen.

Und vom spanischen Standpunkt aus hatten sie allerdings einiges Recht daran zu zweifeln, denn in dem Jahre seiner Geburt und in den ersten Monaten ihrer Schwangerschaft hatte Johanna die ersten Spuren der Krankheit; empfunden, gegen welche sie sich neunzehn Jahre sträubte, ohne sie überwinden zu können und die ihr endlich den traurigen Beinamen in der Geschichte erwarb.

Sechs Jahre nach der Geburt des Infanten, an demselben 22, ebenfalls an einem Sonntage, die ihm so vortheilhaft seyn sollten, hatte Philipp der Schöne, dessen Liebeleien die Eifersucht Johanna’s erregten und endlich sie um den Verstand brachten, nach dem Frühstück in einer Burg in der Nähe von Burgos, die er einem seiner Günstlinge, Don Juan Manuel geschenkt, Ball gespielt, sich dabei erhitzt und ein Glas Wasser verlangt, das ihm durch einen Mann übergeben worden war, welcher weder zum Gefolge des Königs noch zu den Leuten Don Manuels gehörte. Der König hatte dies Wasser getrunken und fast sogleich Schmerzen im Leibe gespürt, was ihn indeß nicht gehindert, Abends sofort nach Burgos zurückzukehren und am andern Tage wiederum auszugehen. Statt aber das Leiden dadurch zu beseitigen, hatte er es verschlimmert, so daß er sich am Dienstag ins Bett gelegt, am Mittwoch vergebens aufzustehen versucht, am Donnerstag die Sprache verlorene und am Freitag den Geist aufgegeben hatte.

Es versteht sich von selbst, daß die eifrigsten Nachforschungen gemacht worden waren, um den Unbekannten wieder zu finden, welcher dem König das Glas Wasser gereicht hatte. Der Mann war nicht wieder zum Vorschein gekommen und alles was man damals über die Sache gesprochen, glich mehr einer Fabel als Wahrheit. So sagte eines der umlaufenden Gerüchte, unter den zahlreichen Geliebten, welche Philipp der Schöne gehabt, befinde sich auch eine Zigeunerin Upaz, die dem Glauben ihrer Genossen zu Folge von der Königin von Saba abstamme, mit einem Fürsten der Zingyri’s verlobt gewesen, als sie aber sich in Philipp verliebt, welcher, wie sein Beiname zeigte, einer der schönsten Männer nicht blos in Spanien, sondern in der ganzen Welt gewesen, die Liebe des Zingaro verschmäht, der sich dadurch gerächt habe, daß er dem König Philipp das Glas eiskalten Wassers gegeben, an welchem derselbe gestorben.

Dieser Todesfall, mochte er nun durch ein Verbrechen herbeigeführt oder auf natürlichem Wege entstanden seyn, versetzte der armen Johanna den entscheidenden Streich.Sie hatte bereits mehre Anfälle von Irrsinn gehabt und verlor nun den Verstand gänzlich. Sie wollte an den Tod ihres Gemals nicht glauben; sie glaubte – man ließ sie auch in dem Irrthume – er schlafe und so legte sie selbst dem Leichname einen Anzug an, der ihn ihrer Meinung nach besser kleide: ein Wams von Drap d’Or, scharlachrothe Beinkleider, einen mit Hermelin gefütterten Mantel, schwarze Sammtschuhe und ein Barett mit einer Krone. So ließ sie den Todten auf ein Paradebett legen und befahl, vierundzwanzig Stunden lang die Pforten des Palastes zu öffnen, das mit ihm Jedermann wie bei Lebzeiten die Hand küssen könne.

Endlich gelang es, sie von dem Leichnam zu entfernen, denselben einzubalsamiren und in einen Bleisarg zu legen. Dann begleitete Johanna, die immer dem schlafenden Gemal zu folgen meinte, den Sarg bis Tordesillas im Königreiche Leon, wo er im Kloster der heiligen Clara beigesetzt wurde.

So wurde die Prophezeiung einer Zauberin verwirklicht, welche den Sohn Maximilians aus Flandern nach Spanien kommen sah und achselzuckend sagte: »König Philipp der Schöne, ich sage Dir, Du wirst todt weiter in Castilien reisen als lebendig.«

Johanna gab die Hoffnung nicht aus, daß er einmal von seinem Todtenbette aufstehen werde, wollte deshalb nicht, daß er in dem Grabgewöibe beigesetzt werde, sondern ließ den Sarg in der Mitte des Chors auf eine Estrade stellen, wo vier Hellebardiere Tag und Nacht Wache hielten und vier Franciscaner, einer an jeder Ecke des Katafalks, unaufhörlich beteten.

Hier hatte der König Don Carlos, als er zwei Jahre vor unserer Geschichte mit sechsunddreißig Schiffen über das Meer gefahren, in Vließingen abgesegelt und in Villa Viciosa gelandet war, seine Mutter wahnsinnig und seinen Vater todt gefunden.

Der fromme Sohn hatte den seit elf Jahren geschlossenen Sarg öffnen lassen, sich über den vollkommen erhaltenen Leichnam gebeugt, ihn ernst und kalt auf die Stirn geküßt, darauf seiner Mutter geschworen sich bei ihren Lebzeiten nicht als König von Spanien anzusehen und seinen Weg nach Valladolid fortgesetzt, um sich da krönen zu lassen.

Bei Gelegenheit dieser Krönung hatten Festlichkeiten und Turniere stattgefunden, an welchen der König in Person Theil genommen; da aber in dem Gedränge acht Herren verletzt worden waren, zwei tödtlich, so hatte der König geschworen, nie wieder die Erlaubniß zu einem Turniere zu geben.

Uebrigens fand sich eine Gelegenheit zu einem wirklichen Kampfe statt eines Scheinkampfes: Saragossa hatte erklärt, es wolle einen spanischen Prinzen zum Könige und werde einem flamändischen Erzherzoge seine Thore nicht öffnen.

Don Carlos nahm die Nachricht mit vollkommener Ruhe auf. Sein blaues Auge verdüsterte sich eine kurze Zeit unter dem zuckenden Lide, dann gab er im gewöhnlichen Tone Befehl gegen Saragossa zu ziehen.

Der junge König ließ die Thore mit Kanonen einschießen, hielt seinen Einzug mit bloßem Schwert in der Hand und führte seine Kanonen mit brennender Lunte hinter sich, die gleich bei ihrem ersten Erscheinen die Bezeichnung »letzter Grund der Könige« verdienten.

Hier nun gab er gegen das Räuberwesen die schrecklichen Befehle, welche gleich den Blitzen des olympischen Zeus Spanien in allen Richtungen durchflogen.

Natürlich verstand derjenige, welcher einmal Carl V. werden sollte, unter Räuberwesen vorzugsweise Aufstand.

Darum gestattete auch der finstere junge Mann, der neunzehnjährige Tiberius, keine Entschuldigung für die Nichtvollziehung seiner Befehle.

Unter Kämpfen jeden Tages, die halb Feste und halb wirkliche Kämpfe waren, erschien am 9. Februar ein Bote in Saragossa. Er hatte wegen Frostes und Thaues achtundzwanzig Tage gebraucht, um aus Flandern anzukommen und brachte die Nachricht, daß der Kaiser Maximilian am 12. Januar 1519 gestorben.

Der Kaiser Maximilian, an sich klein, war durch seine Zeitgenossen, Alexander VI. und Franz I. gezwungen worden auch groß zu werden.

Der Papst Julius II. sagte von ihm: »Die Cardinale und die Chorfürsten haben sich versehen. Die Cardinale machten mich zum Papst, die Churfürsten Maximilian zum Kaiser. Mich hätte man zum Kaiser und Maximilian zum Papste machen sollen.«

Dieser Todesfall versetzte den jungen König in die größte Besorgniß. Wenn er an dem Sterbebette des Kaisers gesessen hätte, wenn die beiden Staatsmänner, von denen, der jüngere der Minister war, einige Schritte nebeneinander auf der Brücke hingegangen wären, welche von der Erde nach dem Himmel führt, und auf einem Ruhepunkte auf dem Wege nach dem Tode die Pläne hätten verabreden können, die der ins Leben Zurückkehrende zu befolgen habe, würde die Erwählung Carls sicherlich nicht zweifelhaft gewesen seyn. Aber es war keine Vorsichtsmaßregel getroffen, so plötzlich und unerwartet war der Tod gekommen, und Don Carlos, welcher den Beistand des Cardinals Ximenes entbehrte, der eben unter seinen habsüchtigen Flamändern gestorben, hatte einen zu schlechten Eindruck, auf das Spanien gemacht, welches er in Zukunft bereichern sollte, das er aber jetzt arm machte, um die unter seinen Füßen hervorwachsende Unzufriedenheit möglichen Fortschritten überlassen zu können. Ging er nach Deutschland, so war er nicht sicher zum Kaiser ernannt zu werden; verließ er Spanien, so blieb er sicherlich nicht König.