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Kitabı oku: «Ingénue», sayfa 24

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»Gut,« erwiederte Danton mit dem von seinem Freunde geforderten Ernste; »doch zuvor muß ich Ihnen Eines gestehen.«

»Gestehen Sie.«

»Sie werden sich nicht ärgern?«

»Ich ärgere mich über nichts antwortete Marat mit seinem Hyänenlächeln; »gestehen Sie also.«

»Nun wohl, ich gestehe, daß ich nicht ein einziges Wort von den Abenteuern, die Sie mir heute zu erzählen die Güte gehabt, geglaubt hatte.«

»Ah!« versetzte Marat mit Ironie, »ich begreife . . .«

»Was begreifen Sie?«

»Sie wollten nicht glauben, daß ich jung gewesen.«

»Ei! . .

»Daß ich schön gewesen.«

»Was wollen Sie? der heilige Thomas war ein Gläubiger gegen mich!«

»Sie wollten nicht glauben, ich sei muthig, kühn gewesen, und man habe mich bis auf einen gewissen Grad lieben können. Oh! ja, Sie haben Recht gehabt; ich begreife, daß Sie Alles dies nicht glauben wollten.«

»Ja; doch nun thue ich feierliche Abbitte, und sage: Ich glaube Alles, was Sie mich wollen glauben machen.«

»Und dies beweist,« murmelte Marat, wie mit sich selbst sprechend, »dies beweist, wie kleinmüthig und einfältig, wie wahnsinnig und dumm derjenige ist, welcher die Dämme seines Herzens öffnet, um ihn ins Vage laufen zu lassen, um ihn fruchtlos von einem durstigen, dürren Sande, von einem undankbaren, geizigen Sande trinken zu lassen, den Strom der Erinnerungen seines Lebens. Ich bin ein Feiger gewesen, daß ich meinen Schmerz nicht bei mir zu behalten gewußt habe; ein Dummkopf, daß ich einen Augenblick an Sie als an einen Mann von Gemüth geglaubt habe; ein Wahnsinniger, ein Thier, daß ich mein Geheimniß aus Eitelkeit preisgegeben, ja, aus Eitelkeit! und ich bin Alles dies gewesen, weil mir mein lächerliches Vertrauen nicht einmal den Glauben von Danton einträgt.«

»Ah! ah! Marat!« rief der Coloß, indem er seinen Gefährten an dem Arme schüttelte, den er unter dem seinigen festhielt, »ärgern wir uns nicht; ich habe feierliche Abbitte gethan: was Teufels wollen Sie mehr?«

»Nun, wenn Sie nicht glauben konnten, daß ich einst schön gewesen, werden Sie wenigstens glauben, daß sie schön gewesen ist?«

»Oh! ja, ja, sie muß wunderbar schön gewesen sein! ich glaube Ihnen, und ich beklage Sie.«

»Ah! ich danke,« erwiederte ironisch der Zwerg, der wieder boshaft geworden; »meinen Dank!«

»Doch sagen Sie. . .« rief Danton, plötzlich von einer neuen Idee betroffen.

»Was?«

»Ich stelle die Data zusammen.«

»Welche Data?«

»Das des Alters vom jungen Manne verglichen mit dem Punkte, bei dem wir sind.«

Marat lächelte.

»Nun?« fragte er.

»Nun, dieser Junge ist nicht über siebzehn Jahre alt.«

»Vielleicht wohl.«

»Es hätte also nichts Unmögliches . . .«

»Es hätte nichts Unmögliches?«

»Daß er wäre. . .«

Hierbei schaute Danton Marat starr an.

»Gehen Sie!« versetzte dieser bitter; »haben Sie nicht bemerkt, wie schön er ist? Sie sehen wohl, daß das, was Sie denken, nicht sein kann.«

Nach diesen Worten gelangten sie in die Rue du Paon und trafen in das Haus des Advocaten vom Cassationshofe ein.

Sie hatten ganz Paris durchschritten, ohne eine andere Spur vom Tumulte des Abends zu finden, als, einander fast gegenüber, die noch rauchenden Trümmer vom Scheiterhaufen von Herrn von Brienne und die vom Wachthause der Soldaten von der Nachtwache.

Wäre es Tag gewesen, so hätten sie freilich auch das Blut sehen können, welches das Pflaster vom Grève-Platze bis zum Eingange der Rue Dauphine befleckte.

XXXVI
Bei Marat

Und nun, nachdem wir Marat bis zu seinem Freunde Danton begleitet haben, kehren wir zu Christian zurück, den wir auf seinem Schmerzensbette verlassen, und der noch mehr durch die Qualen des Geistes, als durch die Wunde des Körpers leidet.

Seine Mutter, welche, wie wir gesehen, aus die Nachricht von dem Unfalle, der ihm begegnet, herbeigeeilt war, saß an seinem Bette und suchte über ihn mit der zartesten Fürsorge ihre liebreichsten Worte auszugießen; doch der junge Mann, statt auf die mütterlichen Tröstungen zu hören, statt sich durch den Ausdruck dieser bezaubernden Güte, deren Geheimniß die Frau allein hat, wiegen zu lassen, richtete seine Gedanken anderswohin und faltete die Stirne bei der Erinnerung an seine so ungeschlacht unterbrochene Liebe.

Seine Mutter, eine Frau von strengem Herzen und bleichem Gesichte, brauchte ein paar Tage, um einzusehen, daß in diesem kranken jungen Manne ein Geheimniß war, – eine zweite Wunde gefährlicher als die erste.

Als sie ihn schweigsam und voller plötzlicher Schauer sah, schrieb sie das Stillschweigen und die Bangigkeiten von Christian dem physischen Schmerze zu, gegen den er sich sträube, und den sein ganzer Muth nicht zu bewältigen vermöge.

Nun ergriff das Uebel des jungen Mannes bald die Mutter selbst; sie litt an dem Leiden ihres Sohnes, und da sie sah, daß sich das Uebel jeden Tag verschlimmerte, und daß es ihr an Mitteln fehlte, dasselbe zu bekämpfen, so fing sie an zu verzweifeln.

Dieses eiserne Herz, – wir glauben es so genau geschildert zu haben, daß wir hier nicht in neue Einzelheiten einzugehen brauchen, – dieses eiserne Herz, sagen wir, wurde allmälig weich; vor dem Bette knieend, wo Christian lag, hoffte die Mutter auf ein Lächeln, flehte sie Stunden lang um ein Lächeln, das nicht kam, oder traurig wie ein Schluchzen, gezwungen wie ein Almosen kam.

Und dieser Mann, dieser so tief gehaßte und, was mehr ist, so tief von ihr verachtete Mann wurde mit Bangigkeit erwartet; und wenn sich seine Abwesenheiten verlängerten, erkundigte sie sich bei Jedem nach dem wahrscheinlichen Augenblicke seiner Rückkehr; denn sie fühlte wohl, daß, wenn irgend Jemand ihr Kind mit einem dem ihrigen fast gleichen Eifer pflegte, er es war.

Sie lauerte also auf die Ankunft von Marat, und sobald sie seinen Tritt oder seine Stimme hörte, öffnete sie die Thüre, ging sie ihm entgegen, und trotz ihres tiefen Widerwillens, ihn anzureden, bestürmte sie ihn mit Fragen, bat sie ihn, flehte sie ihn an, das Werk der Natur zu beschleunigen.

Marat fühlte jedoch, das eisige Herz der Frau würde nie an der glühenden Liebe der Mutter schmelzen; er begriff, wenn sie ihn hätte tödten können, unter der Bedingung, jeder vergossene Blutstropfen werde ein Atom Gesundheit ihrem Sohne wiedergeben, sie würde ihm mit Wollust einen Dolch ins Herz gestoßen haben.

Und er selbst kam nie ohne eine große Bangigkeit, ohne eine tiefe Unruhe zurück. Es läßt sich leicht errathen, was er in Gegenwart dieser Frau litt, vielleicht litt er aber noch weniger, als in der Abwesenheit von Christian. Marat war Skeptiker in allen positiven Dingen, und selbst in der Wissenschaft, da er nur da eine volle Ueberzeugung hatte, wo die Elitemenschen keine haben wollen.

Auf die Fragen dieser in Thronen zerfließenden Mutter trat er ans Bett, hob das Tuch auf, das den jungen Mann bedeckte, sodann den Verband, der die Wunde bedeckte, und sprach:

»Sehen Sie, die Arbeit macht sich langsam, aber unablässig; diese Heilung der Wunde können weder die Wissenschaft, noch die Kunst in irgend einer Beziehung beschleunigen: die Natur geht einen gleichmäßigen und sicheren Schritt; da, wo sie sich thätig und ohne einen Vorbehalt beschäftigt, wie hier, ist unsere Hand unnütz . . . Sie bemerken übrigens, daß die Entzündung verschwunden ist; das Fleisch sucht wieder lebendig zu werden; die gebrochenen Knochen sind wieder zusammengefügt und löthen selbst an die ungleichen Brüche die correspondirenden Ungleichheiten.«

»Aber,« fragte die besorgte Mutter, »wenn, wie Sie sagen und wie ich hoffe, Christian auf dem Wege der Besserung ist, warum hat er denn fortwährend Fieber? Die Entzündung hat aufgehört: mit ihr müßte, wie mir scheint, das Fieber verschwunden sein.«

Marat nahm den Puls des jungen Mannes, der ihn manchmal einen Seufzer ausstoßend zurückzuziehen suchte.

»Ich weiß nicht, was ich antworten soll!« sagte Marat beängstigt wie die Mutter, mehr vielleicht noch als sie; »darunter ist ein unerklärliches Phänomen.«

»Unerklärlich?«

»Ich meine,« erwiederte Marat mit einer Miene absichtlichen Verschweigens, »ich meine, welches zu erklären mir nicht erlaubt ist.«

»Sagen Sie mir Alles, mein Herr: ich will nicht durch das Unvorhergesehene leiden: ich habe eine Seele, welche fähig ist, das Unglück von fern kommen zu sehen.«

Und von ihrer Seele sprechend, deren Schlag Marat so gut kannte, sandte diese die Gräfin ganz in glühenden Ausströmungen ihrem Sohne zu.

Marat schwieg.

»Nun, mein Herr,« sagte die Gräfin trostlos, »geben Sie mir eine Auflösung.«

»Wohl, Madame, Ihr Sohn zerstört mit seinem Geiste die ganze Gesundheit seines Leibes.«

»Ist das wahr, mein Sohn?« fragte die Gräfin, indem sie eine Hand von Christian ergriff, die ihr dieser vergebens wiederzunehmen suchte; »ist das wahr, mein Sohn?«

Eine lebhafte Rothe erschien bei diesen Worten auf der Stirne von Christian; da er aber sah, daß er antworten mußte, so erwiederte er, den Kopf gegen die Gräfin umwendend:

»Nein, meine Mutter, nein; ich gebe Ihnen die Versicherung, daß sich der Doctor täuscht.«

Marat lächelte traurig, wir möchten sagen, häßlich, und schüttelte den Kopf zum Zeichen der Ungläubigkeit.

»Ich betheuere es Ihnen, Doctor!« sprach Christian.

»Er würde es mir aber doch sagen!« rief die Gräfin, » denn er liebt seine Mutter.«

»Oh! ja,« sagte Christian mit einem Ausdrucke, der weder die Wahrheit, noch den Umfang dieser Liebe in Zweifel zu ziehen gestattete.

»Und überdies,« fuhr die Gräfin sich an Marat wendend fort, »welchen Kummer sollte er haben?«

Der junge Mann schwieg.

Marat umfaßte Beide mit seinem unübersetzbaren Blicke und zuckte die Achseln; dann nahm er auf feine Weise Abschied, indem er barsch grüßte und seinen Hut ungestüm auf seinen Kopf drückte.

Doch die Gräfin hielt ihn die Hand gegen ihn ausstreckend zurück, und Marat blieb, wie unter der Herrschaft einer magnetischen Gewalt, unbeweglich.

»Mein Herr,« sagte sie, »wir haben Ihnen Ihr Domicil genommen: das muß Sie ungeheuer belästigen! Wo wohnen Sie? wie leben Sie?«

»Oh! bekümmern Sie sich nicht hierum, Madame,« antwortete Marat mit seinem spöttischen Lächeln; »wo ich wohne, wie ich lebe, gleichviel!«

»Sie täuschen sich, mein Herr,« entgegnete die Gräfin; »es ist von Wichtigkeit für meine Ruhe und vielleicht für die meines Sohnes, daß wir wissen, ob wir, indem wir uns bei Ihnen einquartiert, Ihre Existenz nicht dergestalt gestört haben, daß Ihr Liebesdienst sehr beschwerlich für Sie geworden ist.«

»Oh! nein, Madame; diejenigen, welche mich kennen, wissen, daß nichts für mich beschwerlich ist.«

»Ah! wenn, mein Sohn weggebracht werden könnte!« rief die Gräfin.

Marat schaute sie fast mit Zorn an, doch dieser Eindruck verschwand rasch.

»Ei!« fragte er, »sind Sie unzufrieden mit der Art, wie ich diesen jungen Mann behandle?«

Oh! mein Herr,« erwiederte rasch Christian, »wir wären sehr undankbar, wenn wir dergleichen dächten; ein Vater hätte wahrhaftig nicht mehr milde Fürsorge für seinen Sohn.«

Die Gräfin schauerte und erbleichte.

Doch immer Herrin ihrer selbst, sprach sie:

»Mein Herr, Sie haben Christian mit zu viel Wissenschaft und Hingebung behandelt, als daß ich nur die Idee haben sollte, ihn anderen Händen als den Ihrigen anzuvertrauen; doch ich habe am Ende mein Haus, und könnte ich meinen Sohn dahin bringen lassen, so würden wir Sie nicht mehr belästigen.«

»Alles ist möglich, Madame,« erwiederte Marat; »nur spielen Sie um das Leben dieses jungen Mannes auf einen Wurf.

»Oh! dann verzeihe mir Gott!« sprach die Gräfin mit einem Seufzer.

»Noch vierzig Tage,« sagte Marat.

Die Gräfin schien zu zögern, einen Vorschlag zu machen; endlich entschloß sie sich, das Stillschweigen zu brechen.

»Kann ich Sie wenigstens bestimmen, eine Entschädigung anzunehmen?« fragte sie.

Diesmal suchte Marat die Bitterkeit seines Lächelns nicht zu verkleiden.

»Wenn die Cur vollendet ist,« sagte er, »wenn Herr Christian geheilt ist, werden Sie mich bezahlen, wie man die französischen Aerzte bezahlt. Es gibt eine Art von Tarif hierfür.«

Und er machte eine neue Bewegung nach der Thüre, um wegzugehen.

»Aber, mein Herr,« rief die Gräfin, welche begriff, daß die schöne Seite, die Seite der aufopfernden Hingebung bei Marat war, und sie ihm gern hätte entreißen mögen, »sagen Sie mir wenigstens, wie Sie leben?«

»Oh! das ist sehr einfach! Ich schweife herum,« antwortete Marat.

»Wie! Sie schweifen herum?«

»Ja, Madame; doch bekümmern Sie sich nicht um mich: in diesem Augenblicke ist es sehr Vortheilhaft für mich, nicht bei mir zu wohnen.«

»Warum dies?«

»Weil ich viele Feinde habe.«

»Sie, mein Herr?« versetzte die Gräfin mit einem Tone, der zu sagen schien: »Das befremdet mich nicht!«

»Sie begreifen das nicht?« erwiederte er mit spöttischem Tone; »nun wohl, ich will es Ihnen mit zwei Worten begreiflich machen. Man behauptet, ich habe einiges Verdienst in der Medicin und in der Chemie; man behauptet, ich wende meine Kenntnisse dazu an, daß ich unentgeldlich die armen Leute aus dem Volke heile. Ueberdies bin ich ein wenig Schriftsteller: ich verfasse für die Patrioten politische und öconomische Artikel, welche gelesen werden. Die Einen beschuldigen mich der Aristokratie, weil ich im Hause des Prinzen bin, die Anderen schaden mir beim Prinzen, weil ich Patriotismus habe. So bin ich von den Einen und von den Andern gehaßt. Und dann hat mich die Natur herb gemacht; sie hat mir den Anschein eines schwachen Wesens gegeben, obgleich dieser Anschein lügt. Denn ich bin kräftig, Madame, und wenn Sie wüßten, was ich schon gelitten habe . . .«

Er hielt inne.

»Ah! Sie haben gelitten?« sagte die Gräfin mit einem Phlegma, das das Herz von Marat in Eis verwandelte.

»Oh! sprechen wir nicht mehr hiervon, vergessen wir die Vergangenheit. . . Ich wollte Ihnen sagen, was ich in der Gegenwart leiden würde, wäre nichts gegen das, was ich in der Vergangenheit gelitten; angenommen, es sei Ihre Absicht, mich zu beklagen, wiederhole ich also: geben Sie sich nicht die Mühe. Seitdem Christian da ist, fange ich ein Leben der Wanderung und der Verbannung an, was wahrscheinlich fortan das meine sein wird. Ueberdies ist das mein Beruf: ich liebe die Menschen nicht, ich liebe den Tag nicht; meine Freude ist es, ohne Geräusch zu leben, weil ich nie genug für meinen Ehrgeiz zu machen vermöchte, und da es vernünftig ist, seine Neigungen nach seinen Kräften abzumessen, da die Enthaltsamkeit eine der verständigsten Tugenden ist, die ich kenne, so werde ich mich der Menschen, so werde ich mich des Tages enthalten!«

»Wie!« sprach ernst die Gräfin, »Sie gedenken blind zu werden oder sich die Augen auszustechen?«

»Die Nachteulen haben nicht die Mühe, blind zu werden, die Nachteulen stechen sich nicht die Augen aus, Madame: sie sind für die Finsterniß gemacht und leben in der Finsterniß. Erblickt man bei Tage eine Nachteule, so necken und plagen sie hundert kreischende Vögel auf tausenderlei Arten; es weiß das dieses Thier, das man bei den Alten den Vogel der Weisheit nannte, und es fliegt nur bei Nacht ans. Ah! bei Nacht greife man die Eule an, man wage es, in ihr schwarzes Loch einzudringen, und man wird sehen!«

»Eine traurige Existenz, mein Herr! . . . Sie lieben also nichts auf der Welt?«

»Nein, Madame.«

»Ich beklage Sie,« sprach die Gräfin mit einer Miene des Ekels, welche Marat aufspringen machte.

»Ich liebe nicht, wenn ich nicht achte,« antwortete er mit der Schnelligkeit der Entgegnung einer verwundeten Schlange.

Es war an der Gräfin, das Haupt zu erheben.

»Die Welt,« sagte sie, »ist also sehr arm, daß sie nicht ein einziges Wesen, welches fähig, Ihnen Achtung oder Zuneigung einzuflößen, enthält oder enthalten hat?«

»Das ist so!« antwortete Marat mit barschem Tone.

Diesmal hielt es die Gräfin nicht für gut, zu antworten, und sie setzte sich stillschweigend und mit gefalteter Stirne oben ans Bett des Kranken.

Aufgeregt, fast verwirrt, trotz der scheinbaren Kälte seines Gesichtes, nahm Marat seinen Hut und ging ab, indem er mit einer bei einem Arzte, der die Nerven seines Kranken zu reizen befürchten würde, seltsamen Heftigkeit die Thüre klappen ließ.

XXXVII
Wie die Gräfin die Liebe verstand

Die Gräfin und ihr Sohn blieben einen Augenblick erstaunt und wie betäubt durch diesen ungestümen Abgang.

»Das ist ein seltsamer Mensch!« sagte die Gräfin zu Christian, als Marat sich entfernt hatte.

»Ich halte ihn für gut,« sprach Christian mit schwacher Stimme.

»Gut?« wiederholte die Gräfin.

»Ja, man kann die Menschen nur relativ beurtheilen, und sein Benehmen uns gegenüber, oder vielmehr mir gegenüber, ist das eines guten, vortrefflichen Menschen; doch . . .«

»Doch?« fragte die Gräfin.

»Doch ich möchte lieber nicht mehr hier sein.«

»Ich möchte es auch; sage mir aber, ist es das, das Dich traurig macht?«

»Ich bin nicht traurig, meine Mutter.«

»Du hast vielleicht einen verborgenen Kummer. , . Ist dies so, so ist der Augenblick gekommen, ihn mir mitzutheilen.«

»Ich habe keinen Kummer, meine Mutter.«

Die Gräfin schaute ihren Sohn an; aber Christian, als hätte er nicht die Kraft gehabt, lange seinen Blick auf seine Mutter zu heften, wandte seufzend die Augen ab.

Seine Mutter beobachtete ihn aufmerksamer als je.

»Du bist nicht verliebt?« fragte sie nach einem Stillschweigen.

»Ich?« versetzte der junge Mann. »Nein, meine Mutter.«

»Oh! man versichert, die Liebe mache die Leute zuweilen sehr unglücklich.«

Dieses man versichert, im Munde einer Frau von dreiunddreißig Jahren, setzte Christian in Erstaunen; er lächelte und schlug den Blick wieder zu seiner Mutter auf.

»Indessen,« fuhr diese fort, ohne daß es sie, wie es schien, im Geringsten beunruhigte, eine so seltsame Erörterung mit ihrem Sohne in Angriff zu nehmen, »indessen kann das nur einer von den Schmerzen sein, wie man tausend im Leben hat, ein vorübergehender Schmerz, den man ohne Schwäche muß zu ertragen wissen . . . Bist Du nicht meiner Ansicht, Christian?«

»Ja, meine Mutter,« antwortete der junge Mann, »In der That,« fuhr die Gräfin mit demselben kalten, zergliedernden Tone fort, der bei ihr Gewohnheit war, »welchen Kummer läßt die Liebe zu? Einer einzigen!«

»Welchen?« fragte neugierig der junge Mann indem er sich umzuwenden suchte, um besser die Zug, dieser Frau zu sehen, die gesagt hatte, die Lieb, lasse nur einen einzigen Schmerz zu.

»Nun,« antwortete die Gräfin, »den Kummer nicht geliebt zu sein, wenn man liebt.«

»Also, meine Mutter,« sagte Christian mit einem traurigen Lächeln, »Sie glauben, das sei der einzige?«

»Ich nehme wenigstens keinen andern an.«

»Ich bitte, meine Mutter, würden Sie wohl die Güte haben, mir das zu erklären?«

»Vor Allem, ermüde Dich nicht, Christian, und verändere Deine Lage nicht, wenn es möglich ist.«

»Ich höre.«

»Gehen wir also von einem Grundsatze aus. . .« sagte die Gräfin.

»Und dieser Grundsatz?« fragte Christian.

»Ist, daß man nur seiner würdige Leute liebt.«

»Meine Mutter,« fragte kalt der junge Mann, »was verstehen Sie unter unserer würdigen Leuten?«

»Ich verstehe, mein Sohn, daß wir auf eine gewisse Art geboren, auf eine gewisse Art erzogen sind; daß wir endlich auf eine gewisse Art leben, welche nicht die von Jedermann ist. Gibst Du das zu, Christian?«

»Das ist wahr, meine Mutter . . . wenigstens beziehungsweise.«

Der junge Mann sprach diese letzten Worte so leise aus, daß seine Mutter sie nicht hörte.

»Sind wir nun so,« fuhr die Gräfin fort, »so haben wir das Recht, dieselben Bedingungen bei den Leuten zu fordern, die uns lieben . . . Ich sage nicht, verstehst Du wohl? bei den Leuten, die wir lieben, denn ich nehme nicht an, daß man liebt, hat man sich gegenüber nicht das absolute Recht, zu lieben.«

Christian machte eine Bewegung in seinem Bette.

»Bist Du nicht meiner Ansicht, mein Sohn?« fragte die Gräfin.

»Ich finde Sie ausschließend, meine Mutter.«

»Nothwendig! . . . Hältst Du es für möglich, daß man liebt, während man sich einen Vorwurf zu machen hat?«

»Und setzen Sie unter die Zahl dieser Unmöglichkeiten die Ungleichheit des Standes, meine Mutter?« sagte Christian, indem er eine Anstrengung gegen sich selbst unternahm, um diese Frage zu wagen.

»Ah! vor Allem.«

Christian machte eine Bewegung, welche noch bezeichnender war als die erste.

»Du willst sagen,« fuhr die Gräfin fort, »ich huldige den alten Vorurtheilen, den Vorurtheilen meiner Kaste; ja, gewiß, und das ist kein Unrecht. Wie erhält man die schönen, guten Racen von Pferden unseres Landes, die edlen Familien trefflicher Hunde, welche unsere Wölfe und unsere Bären niederwerfen, die reichen Gattungen von Vögeln, welche bis zum Tode singen? Dadurch, daß man ängstlich dafür besorgt ist, die edlen Racen nicht mit den gemeinen zu kreuzen.«

»Meine Mutter,« entgegnete Christian, »Sie sprechen da nur von Thieren, und Sie rechnen folglich ohne den Verstand, den Gott ihnen verweigert hat und uns gibt; Sie rechnen besonders ohne die Seele, welche von guter Race in einem plebejischen Körper sein kann.«

»Eine Ausnahme, auf die ich es, wie Du leicht begreifst, nicht will ankommen lassen,« erwiederte die stolze Gräfin. »Höre, Christian, ich hatte eine bewunderungswürdige Stute, – Du weißt die, welche mit mir siebzig Meilen in zwei Tagen machte und nicht daran starb; nicht wahr, Du hast mich diese Geschichte erzählen hören?«

»Ja, meine Mutter.«

»Nun wohl, sie lebte im Zustande der Freiheit, sprang über Berg und Thal und kam nur auf meinen Ruf; sie mißbrauchte diese Freiheit und ging eine Mißheirath ein. Aus dieser Mißheirath wurde Chosko geboren, ein armes, schwächliches Thier, das man den furchtsamen Kindern für ihre Spazierritte gab. Erinnerst Dich dagegen des Rappen, den diese Stute begattet mit dem Schlachtrosse von König Stanislaus gebar, – ein furchtbares Thier, edel von Vater und Mutter, und edel wie sein Vater und seine Mutter. Nun, Du antwortest nicht, Christian?«

»Meine Mutter, ich denke. . .«

»Du denkst?«

»Daß die ersten von Gott geschaffenen Menschen eine auserwählte, vielleicht sogar vollkommene Race waren; geben Sie aber nicht zu, daß seitdem einige verirrte Typen da und dort, in der Welt verloren, die intelligente Combination erreichen, die sie einander näher bringt?«

»Ich denke nicht, daß Du die Liebe eine intelligente Combination nennst?« sagte die Gräfin.

»Warum nicht, meine Mutter, da es die Uebertragung des göttlichen Geistes in die menschlichen Formen ist, und die Thiere, welche das Bedürfniß fühlen, das Verlangen empfinden, die Liebe nicht kennen?«

»Nimm Dich in Acht, mein Sohn; nennst Du Intelligenz die Combination der Liebe, so missest Du ihr alle Charaktere der Freiwilligkeit, des Willens bei; Du wirst nie etwas dem Zufalle, dem Unvorhergesehenen einräumen; Du wirst nie sagen, man sei unwillkürlich hingerissen worden, man habe die Liebe aus einem Zusammentreffen, beim Zusammenflusse zweier elektrischen Strömungen geschöpft, wie es die starken encyklopädischen Geister Frankreichs sagen.«

Christian blieb stumm.

»Nicht wahr, Du gibst mir Recht?« fragte die Gräfin.

»Meine Mutter, entschuldigen Sie mich, Ihre Theorie adoptieren hieße Alles das unterdrücken, was Mächtiges und Praktisches in der Liebe ist. Unwillkürlich lieben, glauben Sie mir, meine Mutter, heißt nicht das Spielzeug des Zufalles sein, es heißt sich der Nothwendigkeit unterziehen, dem Willen Gottes gehorchen!.. Werden Sie immer noch sagen, die Liebe sei keine intelligente Combination?«

Christian glaubte seine Mutter in Verlegenheit gesetzt zu haben.

»Ah! ah!« erwiederte sie, »Du urtheilst wie ein Marat, der den Tag und die Menschen flieht, weil es ihm, da er die Welt mit seinen gelben Augen sieht, scheint, es sei nichts schön, nichts gut, um es kennen zu lernen. Statt Ausnahmen zu suchen, mein Sohn, – was immer ein mißliches Handwerk ist, – überlaß Dich dem, daß Du im Leben das findest, was es uns Gutes auf jedem Schritte bietet.«

»Oh! meine Mutter! meine Mutter!« sagte Christian mit einem düstern Lächeln.

Und sein melancholischer Blick heftete sich auf sein verwundetes Bein.

Die Gräfin begriff diesen Blick, täuschte sich jedoch in der Absicht.

»Ein Unglück von vierzig Tagen!« sprach sie; »willst Du es etwa mit einem ewigen Unglück vergleichen? Ich wiederhole Dir, mein liebes Kind, das Leben bietet sich uns wie ein schöner Garten mit trefflichen Bäumen bepflanzt; Du bist mitten unter dm schmackhaftesten Früchten, und Du würdest im Gebüsche eine unverdauliche, fade wilde Beere suchen? . . . Oh! ich bin sicher, daß Du das nur in der Theorie thun wirst, Christian!«

»Erklären Sie sich deutlicher, meine Mutter,« murmelte der junge Mann mit erstickter Stimme; »mir scheint, Sie sprechen sehr im Ernste.«

»Ich? Durchaus nicht,« erwiederte die Gräfin. »Ich habe Dich vorhin gefragt, ob Du verliebt seist; Du hast mir geantwortet: »»Nein.«« Wärest Du es, so wäre es, um leicht glücklich zu werden: Du bist von einer großen Familie, Christian; Du hast keinen Bruder; ein fürstliches Vermögen erwartet Dich; Dein Gebieter, der Herr Graf von Artois, ist Sohn von Frankreich. Welchen Kummer könntest Du in der Liebe finden? Liebe die Tochter eines Fürsten, und wir werden machen, daß Du sie erhältst; . . . liebe, – da man dieses Wort für jede Art von Liebe gebraucht, – liebe ein Mädchen aus dem Volke, nimm es für die ganze Zeit, die Deine Liebe dauern wird, und hernach schätze das Glück, welches Dir das Mädchen gegeben hat, und bezahle es nach seinem Werthe.«

Die Gräfin glaubte sich noch in Polen, wo jeder Herr jedes Recht über seine Vasallin hat.

Christian erbleichte und warf sich seufzend aus sein Bett zurück.

Erschrocken, neigte sich die Gräfin zu ihm und fragte

»Was hast Du, Christian?«

»Nichts,« antwortete der junge Mann, »ich leide!«

»Ah!« sagte die Gräfin, indem sie aufstand, »ich gäbe zehn Jahre von meinem Leben, um Dich in diesem Zimmer gehen zu sehen.«

»Und ich, ich gäbe zwanzig von dem meinigen, um auf der Straße gehen zu können,« murmelte der arme Knabe.

Hierbei blieb das Gespräch stehen; nur begriff die Gräfin, daß ihr Sohn ein Geheimniß für sie hatte, und Christian begriff, daß er keine Mutter für das Bekenntniß seines Geheimnisses hatte.

Wie hätte er nicht, nach der von der Gräfin ausgesprochenen stolzen Liebestheorie, in die tiefste Tiefe seines Herzens die Liebe, die er für Ingénue empfand, einschließen sollen? und wie hätte er nicht die grausamste Qual, allein, seiner Mutter überlassen, auf einem Schmerzensbette, unfähig, eine Bewegung zumachen, außer Stande, zu schreiben, sich zu erkundigen oder Boten zu schicken, erdulden sollen?

Nur Eines tröstete den armen Kranken: erkannte die monotone Regelmäßigkeit des Lebens von Ingénue; diese Monotonie währte seit siebzehn Jahren: er hoffte, in seiner Abwesenheit werde diese Monotonie fortdauern, als ob er gegenwärtig wäre. Warum sollte die Zukunft nicht das getreue Bild der Vergangenheit sein?

Sodann hatte er noch eine andere Hoffnung: er kannte den guten Rétif, der wesentlich für Eindrücke empfänglich; er vermuthete, der Unfall der Wunde werde dem Vater einen Theil von seinem Grolle gegen den vermeinten Verführer seiner Tochter benehmen.

Kurz, er hoffte, wie Alle diejenigen, für welche der Herr nicht den unerschöpflichen Schatz seiner Segnungen verschlossen hat!

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04 aralık 2019
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