Kitabı oku: «Ingénue», sayfa 4
V
Das Mittagsmahl
Die Doppelthüre öffnend, hatte der Diener vom Speisezimmer in den Salon eine wahre Lichtwoge einströmen lassen; denn man hatte, obgleich es erst vier Uhr Nachmittags war, zu welcher Stunde man damals zu Mittag speiste, Läden und Vorhänge schließend die Nacht improvisirt und diese Nacht erleuchtet mittelst einer großen Verstärkung von Lustres, Candelabres und sogar Lämpchen, von denen eine doppelte Reihe am Karnieß hinlaufend das Zimmer mit einem Feuerdiadem bekränzte.
Ueberdies war es augenscheinlich, daß man Alles im Cabinet des Advocaten beim Cassationshofe dem großen Acte, der darin in Erfüllung gehen sollte, geopfert hatte. – Der Schreibtisch war zwischen zwei Fenster gerückt worden; der große Mahagonifauteuil mit ledernem Polster hatte sich unter ein improvisirtes Buffet gefügt; Vorhänge waren vor den Fachkasten ausgespannt worden, um die Cartons zu verbergen und um begreiflich zu machen, jedes Geschäft, welches es auch sein mochte, sei auf den andern Tag verschoben worden; in der Mitte des Zimmers hatte man endlich die Tafel zugerichtet.
Diese Tafel von runder Form, bedeckt mit dem feinsten Leinenzeug, war geschmückt mit einem Aufsatze, der von Blumen, Silbergeschirr und Kristallen glänzte, und in der Mitte von diesen erblickte man in den manierirtesten Stellungen kleine Statuen von Flora, Pamona, Ceres, Diana, Amphitrite, Nymphen, Najaden, Hamadryaden, natürlichen Repräsentantinnen der verschiedenen culinarischen Combinationen, die ein wohl geordnetes Mahl bilden, bei welchem die ausgesuchtesten Producte der Gärten, der Felder, der Wälder, des Meeres, der Flüsse, der Bäche und der Quellen erscheinen müssen.
Jeder Gast hatte auf seiner Serviette eine Karte, worauf mit vollkommen leserlicher Schrift der Küchenzettel des Mahles geschrieben war, damit Jeder, nachdem er zum Voraus seine Wahl getroffen, mit Berechnung und Unterscheidung essen konnte.
Diese Karte war also abgefaßt:
1. Austern von Ostende nach Belieben, in Betracht der Jahreszeit, in der man sich befindet, durch außerordentlichen Courier gebracht, welche man auch nur aus dem Seewasser zieht, um auf der Tafel geöffnet und servirt zu werden.
2. Osmazomsuppe,
3. Eine sieben bis acht Pfund schwere Truthenne mit Perigord-Trüffeln vollgestopft bis zu ihrer Verwandlung in ein Sphäroid.
4. Ein großer Rheinkarpfen, reich garnirt, lebendig von Straßburg nach Paris gekommen, in stark eingekochtem Jus und rothem Weine fertig gemacht.
5. Wachteln mit Trüffeln gefüllt und mit Ochsenmark fertig gemacht, auf gerösteten Brodschnitten mit Basilienkraut zugerichtet.
S. Ein Flußhecht, gespickt, gefüllt und mit einer Krebsrahmsauce begossen.
7. Ein Fasan, abgelagert, gespickt, auf einer à la Soubise gearbeiteten gerösteten Brodschnitte liegend.
8. Spinat mit Wachtelnfett.
9. Zwei Dutzend Ortolane à la Provencale.
10. Eine Pyramide Meringuen à la vanille und à la rose.
Tafelweine
Madeira, Bordeaux, Champagner, Burgunder, Alles von den besten Gewächsen und den besten Jahrgängen,
Dessertweine
Alicante, Malaga, Xeres, Syrakuser, Cyperwein und Constantiawein.
Anmerk. Es steht den Gästen frei, die Weine nach ihrer Laune zu fordern und zu vermengen; ein Freund gibt ihnen jedoch den Rath, bei den ersten von den substantielleren zu den leichteren, und bei den andern von den flackerern zu den mit starker Blume überzugehen.
Die Gäste nahmen jeder seinen Platz und lasen die Karte des Mahles mit verschiedenen Eindrücken: Marat mit Geringschätzung; Guillotin mit Interesse; Talma mit Neugierde; Chénier mit Gleichgültigkeit; Camille Desmoulins mit Sinnlichkeit; David mit Erstaunen, und Danton mit Wollust.
Dann umherschauend, bemerkten sie, daß ein Gast fehlte: sie waren nur zu sieben bei Tische und die Tafel hatte acht Gedecke.
Der achte, zwischen Danton und Guillotin vorbehaltene, Platz war leer.
»Meine Herren,« sagte Camille, »es fehlt uns Einer, wie es scheint; doch auf einen verspäteten Gast warten ist ein Mangel an Rücksicht gegen alle Anwesende; ich verlange als«, daß zur Eröffnung der Sitzung geschritten werde, und zwar ohne Verzug.«
»Und ich, mein lieber Camille, ich bitte die Gesellschaft tausendmal um Entschuldigung; doch ich hoffe, sie fühlt sich nur bei Einsicht dieser Karte zu sehr dankbar gegen denjenigen, welcher diesen Platz einnehmen soll, um ohne ihn ein Mahl anzufangen, das sie nicht ohne ihn machen würde.«
»Wie! der Gast, der uns fehlt,« versetzte Camille, »es ist . . .«
»Unser Koch!« sprach Danton.
»Unser Koch?« wiederholten im Chor die Gäste.
»Ja, unser Koch . . . Damit Sie nicht glauben, ich sei im Zuge, mich zu Grunde zu richten, meine Herren, muß ich Ihnen die Geschichte unseres Gastmahles geben. Ein wackerer Abbé, den man den Abbé Roy nennt, und der, wie es scheint, mit den Angelegenheiten der Prinzen beauftragt ist, kam zu mir und verlangte eine Konsultation für Ihre Hoheiten . . . Wem verdanke ich dieses Glück? der Teufel soll mich holen, wenn ich eine Vermuthung hierüber habe. Doch die Consultation wurde gegeben, und vor acht Tagen brachte mir der Biedermann von einem Abbé tausend Franken. Da ich nun meine Hände nicht mit dem Gelde der Tyrannen beschmutzen wollte, so beschloß ich, den Erfolg meiner Consultation einem Mahle von Freunden zu weihen, und da Grimod de la Reyniére der Nächste ist, so fing ich meine Runde mit Grimod de la Reyniére an; der erhabene Feinschmecker erklärte mir aber, er speise nie außer seinem Hause, wenn er nicht das Diner selbst mache; ich erwiederte ihm daher, ich stelle ihm nicht nur die tausend Franken, welche zu verspeisen, sondern auch meine Küche, meine Köchin, meinen Keller u. s. w. zur Verfügung. Bei diesem Anerbieten schüttelte er den Kopf. »»Ich nehme die Küche, und das Uebrige sei meine Sache,«« sagte er. Alles Uebrige, meine Herren, ist also von unserem Koche: Tischzeug, Silbergeschirr, Blumen, Aussatz, Candelabres, Lustres, und wenn Sie einen Dank abzustatten haben, so ist es nicht mir, sondern ihm.«
Danton hatte kaum diese Erklärung vollendet, da öffnete sich die Thüre im Fond, und ein zweiter Lackei meldete:
»Herr Grimod de la Reyniére.«
Bei dieser Kunde stand Jeder auf, und man sah einen Mann von fünfunddreißig bis sechsunddreißig Jahren, mit sanftem, vollem, blühendem, angenehmem, geistreichem Gesichte eintreten; er war bekleidet mit einem weiten schwarzen Sammetrocke, mit einer Hose von brochirtem Atlaß, auf der zwei mit Berlocken beladene Uhrketten bummelten; seine Fußbekleidung, bestand aus seidenen Strümpfen mit gestickten Zwickeln und Schuhen mit Diamantschnallen, und er trug auf dem Kopfe einen runden Hut von fast spitziger Form, den er nie ablegte, nicht einmal bei Tische, und dessen einziger Zierrath ein zwei Finger breites, durch eine stählerne Schnalle fest gehaltenes Sammetband war.
Bei seinem Anblicke drang ein schmeichelhaftes Gemurmel aus dem Munde Aller hervor, – Marat ausgenommen, der den illustern Generalpächter mit einer Miene anschaute, welche dem Zorne näher war, als dem Wohlwollen.
»Meine Herren,« sprach Grimod, indem er die Hand an die Krämpe seines Hutes legte, ohne jedoch diesen Hut von seinem Kopfe aufzuheben, »gern hätte ich mir mögen bei dieser feierlichen Veranlassung durch meinen Meister la Guepiere helfen lassen, doch er hatte gegen den Herrn Grafen von Provence eine Verbindlichkeit übernommen, von der er sich nicht frei machen konnte; ich bin also auf meine eigenen Mittel beschränkt gewesen. Jeden Falls habe ich mein Möglichstes gethan, und ich empfehle mich Ihrer Nachsicht.
Das Gemurmel verwandelte sich in ein Beifallklatschen; la Reyniére verbeugte sich wie ein durch die Bravos des Publikums aufgemunterter Künstler. Die Karte des Mahles hatte alle Gäste, mit Ausnahme von Marat, vortrefflich gestimmt.
»Meine Herren,« sagte Grimod, »Niemand ist mehr verpflichtet, zu sprechen, außer für seine Bedürfnisse: die Tafel ist der einzige Ort, wo man sich in der ersten Stunde nie langweilt.«
Dem zu Folge und nach diesem Rathe fing Jeder an seine Austern zu verschlingen, ohne eine andere Begleitung von Worten, die von la Reiniére ausgenommen, welche von Zeit zu Zeit mit derselben Regelmäßigkeit und, ich möchte fast sagen, mit demselben Ernste wiederkehrten wie das: Schließet die Glieder, unter dem Feuer.
»Nicht zu viel Brod, meine Herren! nicht zu viel Brod!«
Als die Austern gegessen waren, fragte Camille Desmoulins:
»Warum nicht zu viel Brod?«
»Aus zwei Gründen, mein Herr; einmal ist das Brod das Nahrungsmittel, das am schnellsten den Appetit befriedigt, und es ist unnütz, sich am Anfange eines Mahles zu Tische zu setzen, wenn man sich nicht bis zum Ende essend dabei zu halten weiß. Die Thiere füttern sich, alle Menschen essen, nur der geistreiche Mensch allein versteht zu essen. Dann treibt das Brod, wie alle Mehlspeisen, zur Feistigkeit an, die Feistigkeit aber, meine Herren, – fragen Sie den Doctor Guillotin, der nie fett sein wird, – die Feistigkeit ist die grausamste Feindin des Menschengeschlechts: der feiste Mensch ist ein verlorener Mensch! Die Feistigkeit schadet der Stärke, indem sie das Gewicht der zu bewegenden Masse vermehrt, ohne die bewegende Kraft zu vermehren; die Feistigkeit schadet der Schönheit, indem sie die ursprünglich von der Natur festgestellte Harmonie der Verhältnisse zerstört, weil nicht alle Theile auf eine gleiche Weise zunehmen; die Feistigkeit schadet endlich der Gesundheit, weil sie den Ekel gegen das Tanzen, den Spaziergang, das Reisen nach sich zieht, und zu allen Beschäftigungen oder allen Belustigungen, welche ein wenig Behendigkeit und Gewandtheit erfordern, unfähig macht; sie prädisponirt folglich zu verschiedenen Krankheiten, wie zum Schlagflusse, zur Wassersucht, zur Erstickung u. s. w. Ich hatte also Recht, wenn ich sagte: »»Nicht zu viel Brod, meine Herren! nicht zu viel Brod!«« Hören Sie, zwei Menschen aßen zu viel Brod, wie dies die Geschichte constatirt: Marius und Johann Sobieski; nun wohl, sie hätten beinahe mit ihrem Leben ihre Vorliebe für die Mehlspeisen bezahlt. In der Schlacht bei Lowicz von den Türken hart bedrängt, sah sich Johann Sobieski genöthigt, zu fliehen; der arme Mann war ungeheuer: der Athem fehlte ihm bald; man hielt ihn fast ohnmächtig auf seinem Pferde, während seine Adjutanten, seine Freunde und seine Soldaten sich für ihn tödten ließen; es kostete vielleicht zweihundert Menschen das Leben, weil Johann Sobieski zu viel Brod gegessen! Was Marius betrifft, der auch diesen Fehler hatte, er war, da er ein Mann von kleinem Wuchse, eben so breit als groß geworden; bei seiner Proscription magerte er allerdings ein wenig ab, doch er blieb immer noch so dick, daß der Cimber, der ihn zu tödten beauftragt war, darüber erschrak. Plutarch sagt, der barbarische Soldat sei vor der Größe von Marius zurückgewichen; Täuschung, meine Herren, vor seiner Dicke. Erinnern Sie sich dessen wohl, Herr David, Sie, der Sie ein Freund der Wahrheit sein sollen, wenn Sie je den Gegenstand von Marius bei Minturnä behandeln.«
»Aber, mein Herr,« versetzte David, »diesmal hat ihm wenigstens seine Feistigkeit etwas genützt.«
»Nicht viel; denn Marius überlebte dieses ärgerliche Abenteuer nicht lange. Als er nach Hause kam, wollte er seine Rückkehr durch ein Familienmahl feiern; er machte dabei einen armseligen kleinen Exceß in Wein und starb.13 Ich vermöchte Ihnen also nicht zu oft zu wiederholen: »»Nicht zu viel Brod, meine Herren! nicht zu viel Brod!««
Die gelehrte historisch-culinarische Abhandlung des Redners wurde durch das Oeffnen der Thüre unterbrochen.
Man brachte die Suppe und den ersten Gang.
Vor diesem ersten Gange erschien ein Wappenherold die Lanze tragend, und als Krieger gekleidet; es folgte ihm ein Haushofmeister, ganz schwarz angethan; dann kam ein weiß gekleideter junger Mensch, den Puer der Alten vorstellend; dann die Köche, die baumwollene Mütze auf dem Kopfe, die Schürze um den Leib gebunden, die Messer im Gürtel steckend, bekleidet mit einer weißen Jacke, weißen Strümpfen und Schnallenschuhen, und die Schüsseln hoch in ihren Händen trugen.
Diese Procession, gefolgt von sechs Bedienten, welche mit den zwei anwesenden Dienern ihre Zahl der der Gäste gleich machten, ging dreimal rings um den Tisch und setzte beim dritten Male die Gerichte ein wenig außer dem Aufsatze nieder, damit die Gäste ihren Anblick genießen konnten, während sie die Suppe aßen.
Wonach die Procession wieder abzog, mit Ausnahme der acht Diener, von denen sich jeder einem Gaste anschloß, den er nicht, mehr verließ.
Die Suppe allein war auf einen besondern Tisch gestellt worden, und sie wurde in einer Secunde servirt.
Das war eine einfache Kraftbrühe, doch so markig,'so fein von Geschmack, daß Jeder, zu der Karte greifend, welche neben ihm lag, wissen wollte, mit welcher nahrhaften Substanz er es in diesem Augenblicke zu thun habe.
»Bei meiner Treue, lieber Grimod,« sagte Danton, »obschon Sie uns die Erlaubniß gegeben, während der ersten Stunde nichts zu reden, werde ich doch das Stillschweigen brechen, um Sie zu fragen, was das Osmazom ist.«
»Lieber Freund, das ist, – fragen Sie den Doctor Guillotin, – ganz einfach der größte Dienst, den die Chemie der Nahrungswissenschaft geleistet hat.«
»Aber was ist das Osmazom?« fragte Talma: »Ich bin wie der Bürger als Edelmann von Moliére, der entzückt war, zu erfahren, was er machte, indem er Prosa machte: ich wäre entzückt, zu erfahren, was ich esse, indem ich Osmazom esse.«
»Ja, ja! . . . was ist das Osmazom? . . . was ist das Osmazom? . . .« fragten alle Stimmen mit Ausnahme von der von Guillotin, welcher lächelte, und von der von Marat, der die Stirne faltete.
»Was das Osmazom ist?« antwortete Grimod de la Reyniére, während er seine langen Aermel auf seine, von Natur verstümmelten, Hände vorschlug, die er wegen dieser Verstümmelung nicht gern sehen ließ; »hören Sie. Das Osmazom, meine Herren, ist der außerordentlich schmackhafte Theil des Fleisches, der im kalten Wasser auflösbar ist und sich von dem extractiven Theile dadurch unterscheidet, daß dieser nur im siedenden Wasser auflösbar ist: Im Osmazom besteht das Verdienst der guten Suppen; es bildet, sich caramelisirend, das Rothgelbe des Fleisches; durch das Osmazom consolidirt sich die Bräunung des Bratens; von ihm kommen der Wildgeruch und der Geschmack des Wildprets her. Das Osmazom ist eine Entdeckung der neueren Zeit, meine Herren, das Osmazom bestand aber lange, ehe es entdeckt wurde; das Vorherwissen des Osmazoms inspirirte den Canonicus Chevrier, als er die Töpfe erfand, welche mit dem Schlüssel verschlossen werden; um haushälterisch mit dieser Substanz, welche so leicht verdunstet, zu Werke zu gehen, werden Sie alle wahre Gourmands, selbst diejenigen, welche nicht wissen, was das Osmazom ist, sagen hören, um gute Fleischbrühen zu machen, müsse man darüber wachen, daß der Topf immer lächle und nie lache. Das ist das Osmazom, meine Herren.«
»Bravo! bravo!« riefen alle Gäste.
»Ich, meine Herren,« sagte Camille Desmoulins, »ich bin der Meinung, daß während des ganzen Mahles nur von der Küche die Rede sein soll, damit unser gelehrter Professor einen vollständigen Cursus geben kann, und es soll eine Buße von zehn Louis d'or zum Vortheil der armen Leute, welche durch das Gewitter am 15. Juli zu Grunde gerichtet worden sind, Jedem, der von etwas Anderem spricht, aufgelegt werden.«
»Chénier reclamirt,« rief Danton.
»Ich?« versetzte Chénier.
»Ich wünsche, daß eine Ausnahme zu Gunsten von Karl IX. gemacht werde,« sagte lachend Talma.
»Und David zu Gunsten des Todes von Sokrates,« fügte Chénier bei, dem es nicht unangenehm war, auf einen Andern den Scherz zurückzuwerfen, den man gegen ihn gerichtet.
»Karl IX. wird ohne Zweifel ein bewunderungswürdiges Trauerspiel sein,« sagte Grimod, »und der Tod von Sokrates ist ganz gewiß ein herrliches Gemälde, doch ohne Lobeserhebungen für meine Beredtsamkeit zu machen, müssen Sie zugestehen, meine Herren, daß es für Leute, welche zu Mittag speisen, eine ziemlich traurige Unterhaltung ist, die Unterhaltung über einen jungen König, welcher auf Hugenotten jagt, und über einen alten Weisen, der Schierling trinkt! . . . Keine traurige Eindrücke bei Tische, meine Herren! die Mission des Hausherrn ist ein Priesterthum: Einen zum Essen einladen heißt das moralische und physische Glück von diesem Einen für die ganze Zeit, die er unter unserem Dache weilt, übernehmen.«
»Wohlan, mein Lieber,« sagte Danton, »geben Sie uns das Historische von dieser köstlichen Truthenne, in der Sie so eben das Messer mit so großer Geschicklichkeit entwickelt haben.«
Grimod de la Reyniére war in der That, obgleich er nur zwei Finger an jeder Hand hatte, einer der geschicktesten Zerleger, die es in der Welt gab.
»Ja, ja, die Geschichte der Truthenne,« rief Guillotin.
»Meine Herren,« erwiederte Grimod, »die Geschichte dieser Truthenne, eines einfachen Individuums, steht nicht minder im Zusammenhange mit der Geschichte der Gattung, und die Geschichte der Gattung, als Thier, gehört zum Ressort von Herrn von Buffon; als Product, zum Ressort von Herrn Necker, dem neuen Finanzminister.«
»Gut!« versetzte Chénier, der den Gastronomen, welcher die Schicklichkeit eines Gespräches bei Tische über Karl IX. geleugnet hatte, in Verlegenheit zu bringen suchte, »welche Beziehung kann die Truthenne zum Minister der Finanzen haben, wenn nicht etwa als Contrebande?«
»Welche Beziehung die Truthenne zum Finanzminister haben könne?« rief Grimod; »ei! wenn ich Finanzminister wäre, so, würde ich hauptsächlich auf die Truthenne operiren.«
»Sie werden hoffentlich den Truthahn nicht vergessen!« versetzte Camille Desmoulins mit der undeutlichen Aussprache, welche dem, was er sagte, eine so komische Seite gab.
»Weder die Eine noch den Andern, mein Herr; nur habe ich gesagt, die Truthenne, statt des Truthahns, weil es anerkannt, daß bei dieser Gattung das Fleisch des Weibchens viel feiner ist, als das des Männchens.«
»Zur Sache! zur Sache!« riefen zwei andere Stimmen.
»Ich bin bei der Sache, meine Herren . . . Nun wohl, nach meiner Ansicht haben die Controleurs der Finanzen bis jetzt das Truthuhn noch nicht unter einem mit seinem Verdienste harmonirenden Gesichtspunkte ins Auge gefaßt. Das Truthuhn, meine Herren, und besonders das mit Trüffeln gefüllte Truthuhn ist die Quelle eines bedeutenden Zusatzes zum öffentlichen Vermögen geworden: durch das Aufziehen von Truthühnern erlangen die Pächter leichter den Preis ihrer Pachtzinse; die Mädchen häufen eine für ihre Verheiratung hinreichende Mitgift an; so viel, was die nicht mit Trüffeln gefüllten Truthühner betrifft . . . Folgen Sie nun diesem: es ist eine einfache Berechnung, welche sich auf die mit Trüffeln gefüllten Truthühner bezieht. Vom Anfange des Novembers bis in den Februar, das heißt in vier Monaten, werden nach meiner Berechnung täglich in Paris dreihundert mit Trüffeln gefüllte Truthennen gegessen; im Ganzen sechsunddreißig tausend Truthennen! Der gewöhnliche Preis einer Truthenne ist aber zwanzig Franken; im Ganzen: für Paris siebenmal hundert zwanzigtausend Livres. Nehmen wir an, die ganze Provinz, das heißt dreißig Millionen Menschen verglichen mit achtmal hundert tausend verzehren an Truthähnen und Truthennen nur dreimal so viel als Paris; die Provinz gibt eine Gesammtsumme von zwei Millionen hundert und sechzigtausend Livres, welche mit den siebenmal hundert tausend von Paris zwei Millionen achtmal hundert achtzig tausend Livres geben, was, wie Sie sehen, eine ziemlich hübsche Bewegung der Fonds macht. Meine Herren, fügen Sie nun dieser Summe eine ungefähr gleiche Summe für Geflügel, wie Fasane, junge Hühner, Feldhühner, ebenfalls mit Trüffeln gewürzt, bei, und Sie werden fast die Summe von sechs Millionen erreichen, – das ist der vierte Theil der Civilliste des Königs. Ich hatte also Recht, wenn ich Ihnen sagte, meine Herren, die Truthühner gehören eben so wohl zum Ressort von Herrn Necker, als zu dem von Herrn von Buffon.«
»Und die Karpfen?« fragte Camille, welcher als ein ächter Epicuräer, was er war, ein unendliches Vergnügen an diesem Gespräche fand, »zu wessen Gerichtsbarkeit gehören sie?«
»Oh! die Karpfen, das ist etwas Anderes; es ist Gott, der sie geschaffen hat, es ist die Natur, die sie aufzieht, fett, schmackhaft macht; der Mensch beschränkt sich darauf, daß er sie fängt oder vervollkommnet, doch nach ihrem Tode, – während das Truthuhn, ein wesentlich geselliges Hausthier, sich zu seinen Lebzeiten vervollkommnet.«
»Verzeihen Sie, mein Herr,« sagte Chénier, der keine Gelegenheit versäumte, um den gelehrten Demonstranten anzugreifen, »ich sehe hinsichtlich dieses Karpfens, daß er lebendig von Straßburg nach Paris gekommen ist. Ist er hierher mit Relais von Sklaven gebracht worden, wie es die Römer machten, wenn sie die Meerbarbe vom Hafen von Ostia nach der Küche von Lucullus oder Varro expedirten, – oder auf einem eigens gebauten Fourgon, wie es die Russen machen, wenn sie den Sterlet von der Wolga nach St. Petersburg transportiren?«
»Nein, mein Herr, dieser Karpfen, den Sie hier sehen, ist ganz einfach von Straßburg nach Paris mit der Diligence gekommen, welche die Briefe bringt, daß heißt ungefähr in vierzig Stunden. Er ist vorgestern Morgen im Rhein gefangen und sodann in einer nach seiner Größe gemachten Schachtel unter frisches Gras gelegt worden; man hat ihm in den Mund eine Art von Saughörnchen gesteckt, das mit einem, damit sie nicht sauer werde, gesottene Sahne enthaltenden Gefäße correspondirte, und er hat auf dem ganzen Wege gesaugt, wie Sie es gemacht haben, Herr Chénier, wie wir es Alle gemacht haben, als wir Kinder waren, wie wir es abermals machen werden, wenn das System der Seelenwanderung wahr ist, und wenn wir zu Karpfen werden.«
»Ich neige mich,« erwiederte Chénier zum zweiten Male geschlagen, »und ich muß den Vorzug der culinarischen Kunst vor der poetischen Kunst anerkennen.«
»Und Sie haben Unrecht, Herr Chénier! die Poesie hat ihre Muse, die man Melpomene nennt; die Küche hat die ihrige, die man Gasterea nennt; das sind zwei mächtige Jungfrauen: beten wir sie Beide an, statt die Eine oder die Andere zu verleumden.«
In diesem Augenblicke wurde die Thüre wieder geöffnet und mit demselben Ceremoniell wie beim ersten Gange brachten die Köche den zweiten.
Der zweite Gang bestand, wie man sich erinnert, aus Wachteln mit Trüffeln gefüllt und mit Ochsenmark fertig gemacht, aus einem Flußhechte, gespickt, gefüllt, und mit Rahmkrebssauce Übergossen; aus einem Fasan, abgelagert, auf einer à la Soubise zubereiteten gerösteten Brodschnitte liegend; aus einer Platte Spinat mit Wachtelnfett; aus einem Dutzend Ortolane à la Provencale und einer Pyramide Meringuen à Ia vanille und à la rose.
Alles war würdig des ausgezeichneten Gastronomen; doch der Fasan und der Spinat besonders hatten einen außerordentlichen Succeß.
Der Glossenmacher Camille fand es auch unbegreiflich und warf die Frage auf, wie ein so schlechter General wie Herr von Soubise seinen Namen der trefflichen gerösteten Brodschnitte, auf welcher der Fasan liege, habe geben können.
»Meine Herren,« antwortete Grimod, als er sah, mit welcher Aufmerksamkeit Jeder die Antwort erwartete, die er geben sollte, »meine Herren, glauben Sie mir, ich gehöre nicht zu den gemeinen Essern, welche die Dinge verschlingen, ohne sich um ihren Ursprung zu bekümmern. Ich habe tiefe Forschungen über den Namen Soubise angestellt, den der unglückliche General sterbend einem Gerichte, das ihn unsterblich machte, zu hinterlassen das Glück gehabt hat. Herr von Soubise war einer von den am öftesten und am besten geschlagenen Generalen, welche je existirt haben; bei einem seiner Rückzüge flüchtete sich Herr von Soubise zu einem deutschen Wildmeister, der ihm kein anderes Gericht anzubieten hatte, als einen Fasan, doch einen Fasan acht bis zehn Monate alt, sieben Tage aufbewahrt, folglich gehörig abgelagert. Der Fasan wurde mit den Füßen an einem Bindfaden hängend gebraten, – eine Art des Bratens, welche dem auf diese Weise zubereiteten Vogel einen großen Vorzug vor dem am Spieße gebratenen gibt, – sodann auf eine einfache mit einer Zwiebel bestrichene und in der Bratpfanne fertig gemachte Brodschnitte gelegt. Der unglückliche General, dem die Verzweiflung über seine Niederlage den Appetit benommen hatte, – er glaubte es wenigstens, – fing an ihn wiederzufinden im ersten Mundvoll, den er von dem Fasane zu sich nahm, und er fand ihn so gut, daß er Fasan und Brodschnitte verschlang, und sich, die Beine aussaugend, erkundigte, aufweiche Art dieses vortreffliche Gericht zubereitet worden sei; der Wildmeister ließ sodann seine Frau kommen, und Herr von Soubise schrieb unter ihrem Dictate die Anweisung, welche seine Adjutanten, die mittlerweile bei ihm eingetroffen waren, für Notizen über die Stellung des Feindes hielten. Die jungen Officiere bewunderten deshalb die Sorgsamkeit ihres Generals, der sich nicht Zeit nahm, zu Mittag zu speisen, und Alles bis auf seinen Appetit dem Wohle seiner Soldaten opferte. Ein Bericht wurde hierüber an den König durch die Augenzeugen gemacht, der nicht wenig dazu beitrug, Herrn von Soubise in der Gunst bei Ludwig XV. und Frau von Pompadour zu behaupten. Nach Versailles zurückgekehrt, gab Herr von Soubise, als wäre es von ihm, das Recept seinem Koche, welcher, gewissenhafter als der Prinz, mit dem Namen von Soubise diese unvergleichliche Brodschnitte taufte.«
»Wahrhaftig, mein lieber Grimod, Sie sind ein Mann von einer Gelehrsamkeit, um d'Alembert, Didonad, Helvetius, Condorcet und die ganze Enzyklopädie aus dem Sattel zu heben.«
»Nur möchte ich wissen . . .« fügte Chénier bei.
»Nimm Dich in Acht, Chénier,« sagte Talma, »Du hast heute kein Glück.«
»Gleichviel, ich wage es zum letzten Male. . . es ist eine letzte Charge, was bei Fontenoy den Feind in die Flucht geschlagen hat.«
»Was möchten Sie gern wissen, Herr von Chénier?« fragte Grimod de la Reyniére, sich höflich verbeugend; »reden Sie, ich bin bereit, zu antworten.«
»Ich möchte gern wissen,« erwiederte Chénier mit einem leicht ironischen Ausdrucke, »ich möchte wissen, wie es möglich, daß ein am Ende eines Bindfadens gebratener Vogel besser sein soll, als ein an einen Spieß gesteckter.«
»Oh! mein Herr, nichts ist leichter zu erklären und folglich zu beweisen: jedes lebende Geschöpf hat zwei Mündungen, eine obere Mündung und eine untere Mündung; es ergibt sich augenscheinlich, daß, wenn Sie dieses Geschöpf, ist es einmal todt und zum Braten bestimmt, an den Pfoten aufhängen und entweder mit Butter oder mit Sahne begießen, das Innere und das Aeußere zugleich dieses Begießen empfinden werden, während, wenn Sie ihm den Leib durchlöchern, der dem Thiere persönliche Saft durch die zwei Wunden entfliehen muß, ohne daß er durch die benetzende Materie, welche am Körper abgleiten und nicht eindringen wird, ersetzt werden kann. ist also evident, daß ein an den Füßen aufgehängter und auf diese Art gebratener Vogel viel saftiger und schmackhafter sein wird, als ein von einem Spieße durchlöcherter. Das ist klar wie der Tag, nicht wahr, Herr von Chénier?«
Chénier verbeugte sich.
In demselben Augenblicke gab der Doctor Guillotin einen Ausruf von sich.
»Oh! welch ein Spinat, mein lieber Grimod!«
Grimod verbeugte sich ebenfalls.
»Sie sind Kenner, Doctor: das ist mein Meisterwerk!«
»Wie Teufels machen Sie diese Ambrosia?«
»Ein weniger philanthropischer Mann als ich würde sagen: »»Ich behalte mein Recept für mich!«« Ich aber, der ich behaupte, daß der Mensch, der ein Gericht erfunden oder vervollkommnet hat, der Menschheit mehr Dienste geleistet, als derjenige, welcher einen Stern entdeckt, ich sage, daß man, um guten Spinat zu machen, ihn, zum Beispiel, am Sonntag kochen, alle Tage der Woche auf dem Feuer mit einer Zuthat von frischer Butter aufkochen, am letzten Tage mit dem Fette oder dem Safte von Wachteln begießen, und am folgenden Sonntag heiß serviren muß. Uebrigens habe ich eine Vorliebe für die Aerzte,«
»Bah! und warum dies? Die Aerzte schreiben doch die Diät vor.«
»Ja, doch sie hüten sich wohl, sie zu befolgen; die Aerzte sind Gourmands vermöge ihres Standes, obschon sie nicht immer zu essen verstehen . . . Ah! Doctor, so habe ich vorgestern eine gastronomische Consultation Ihrem Collége, dem Doctor Corvisart, gegeben.«
»Wo dies?«
»Bei einem Diner bei Sartine . . . Ich bemerkte, daß er, sobald die Suppe abgetragen war, Champagner in Eis abgekühlt zu trinken anfing; er war auch heiter, witzig, schwatzhaft schon beim ersten Gange, während im Gegentheil, als die anderen Gäste den moussirenden Wein in Angriff nahmen, Corvisart verdrießlich, schweigsam, fast schläfrig wurde. »»Ah! Doctor,«« sagte ich zu ihm, »»nehmen Sie sich in Acht, Sie werden nie gute Desserts haben.«« »»Und warum nicht?«« fragte er. »»Weil der Champagner wegen der Kohlensäure, die er enthält, zwei Wirkungen hat: die erste ist erregend, die zweite ist betäubend.«« Corvisart gab die Wahrheit dieser Behauptung zu und versprach, sich zu corrigiren.«
»Und die Gelehrten,« fragte Chénier, »sind sie auch Gourmands vermöge ihres Standes?«
»Mein Herr, die Gelehrten bessern sich; unter Ludwig XIV. waren sie nur Trunkenbolde: heute sind sie noch keine Gourmets, doch sie sind schon Gourmands. Voltaire hat die Sache dadurch in den Gang gebracht, daß er den Kaffee popularisirte; er würde noch etwas Anderes popularisirt haben, hätte er nicht einen schlechten Magen gehabt . . . Ah! ein schlechter Magen, meine Herren! Gott behüte Sie vor einem schlechten Magen! Der Geier von Prometheus ist nur eine Allegorie: was dem Sohne von Jupiter die Leber zerfraß, waren die schlechten Verdauungen! Der Besieger von Mithridates hatte einen schlechten Magen; sehen Sie auch, wie traurig, verdrießlich, unentschlossen er ist, während im Gegentheil Antonius, der gut verdaute, bis zum letzten Augenblicke nur an die Liebe dachte, sich verwundet in die Gruft tragen ließ, wo sich Cleopatra eingeschlossen hatte, und der schönen Königin von Aegypten die Hände und vielleicht noch etwas Anderes küssend starb. Meine Herren, meine Herren, behalten Sie wohl das Axiom: »»Man lebt nicht von dem, was man ißt, sondern von dem, was man verdaut.««
»Ah!« sagte Camille, »da Sie von der Königin von Aegypten reden . . . mir scheint, wir haben da eine Pyramide von Meringuen, welche anzugreifen sehr ersprießlich wäre.«