Kitabı oku: «Ingénue», sayfa 5
»Greifen Sie an, meine Herren, greifen Sie an,« versetzte mit gleichgültigem Tone Grimod; »ich verachte sehr alle diese Leckereien, welche nur für die Frauen und für die Männer mit Abbéswaden gut sind; nicht wahr, Doctor?«
Doch der Doctor war damit beschäftigt, daß er das Dessert kommen sah, welches mit dem obligaten Ceremoniell heranrückte.
Das Dessert war würdig des übrigen Mahles; doch beim Kaffee erwarteten die Kritiker den trefflichen Professor. Chénier, David, Talma, Danton, selbst Marat waren Liebhaber des Kaffees; Jeder bot also seine Tasse dar und fing an das Aroma des Trankes einzuathmen, ehe er ihn zu sich nahm.
Ein Gemurmel der Zufriedenheit durchlief die Versammlung.
»Meine Herren,« sagte Grimod, indem er sich in seinem Stuhle mit dem sanften Stöhnen ausstreckte, das der Mensch entschlüpfen läßt, dessen Sinne alle befriedigt sind; »meine Herren, haben Sie je einigen Einfluß auf die Gesellschaft, so helfen Sie mir sie entwurzeln, die unselige Gewohnheit, vom Tische aufzustehen und den Kaffee in einem andern Zimmer zu nehmen. Diejenigen, welche diese Ketzerei begehen, meine Herren, vermengen das Vergnügen, zu essen, mit dem Vergnügen der Tafel, was zwei ganz verschiedene Vergnügen sind: man kann nicht immer essen, doch man kann immer bei Tische bleiben, und besonders, um den Kaffee zu trinken, muß man daran bleiben. Vergleichen Sie in der Thai eine Tasse Kaffee stehend genommen, in einem Salon, unter dem Auge eines dummen Bedienten, der nicht vermuthet, er lasse Sie die Ruchlosigkeit begehen, schnell zu trinken, was langsam geschlürft werden muß, und von Ihnen erwartet, daß Sie ihm Ihre Tasse und Ihre Unterschale zurückgeben; vergleichen Sie das mit der Extase des wahren Liebhabers, der bequem sitzt, seine beiden Ellenbogen auf dem Tische, – ich bin der Ansicht, daß man sie beim Dessert aufstützen kann, – seine Backen in seinen zwei Händen und eine Beräucherung von dem Kaffee, den er zu trinken im Begriffe ist, empfangend; denn beim Kaffee, meine Herren, ist nichts verloren: der Dunst ist für den Geruch, der Trank ist für den Geschmack! Dugazon, derjenige Mensch, welcher am meisten auf der Welt Herr über seine Nase, da er zweiundvierzig Manieren, sie bewegen zu machen, gefunden hat, verliert alle Herrschaft über dieses Organ, wenn er eine Tasse Kaffee in der Hand hält: seine Nase zittert, geräth in Unordnung, verlängert sich wie ein Horn; es ist ein wahrer Kampf zwischen dem Munde und der Nase, wer zuerst zur Tasse kommen werde; bis jetzt ist es dem Munde geglückt; doch er sagte mir gestern, man könne nicht vorhersehen, wie die Sache endigen werde.«
»Bei meiner Treue, lieber Professor,« rief Guillotin begeistert, »wie wäre es erst, wenn er von dem Ihrigen kosten würde? Der Ihrige, sehen Sie, der Ihrige ist nicht Kaffee, das ist Nectar! Dieser Kaffee kann unmöglich gemahlen sein: er ist gestoßen.«
»Oh! wie würdig sind Sie Ihres Rufes, lieber Doctor!« sagte zärtlich Grimod de la Reyniére; »ich verspreche Ihnen auch ein Geschenk.«
»Welches?«
»Ich werde Ihnen einen von meinen alten Mörsern geben.«
Camille schlug ein Gelächter auf.
Grimod schaute ihn schief an.
»Profaner!« sagte er. »Wissen Sie, daß ich von Tunis einen Mörser habe kommen lassen, der über zweihundert Jahre alt war und mich dreihundert und fünfzig Piaster gekostet hat!«
»Der Mörser war also von Silber und der Stößel von Gold?«
»Der Mörser war von Marmor und der Stößel von Holz; doch das Holz . . . das Holz war Kaffee durch seine fortwährende Berührung mit dem Kaffee geworden . . . Ah! mein Herr, die Türken sind unsere Meister im Kapitel des Kaffees . . . Oh! was machen Sie, Herr von Chénier? ich glaube, Sie zuckern Ihren Kaffee mit gepulvertem Zucker, – ein Dichter!«
»Ei! mir scheint, daß der Zucker in Pulver oder der Zucker in Stücken . . .« »ersetzte Chénier.
»Irrthum, mein Herr! Irrthum! haben Sie nie den Unterschied studirt, der zwischen einem Glase Wasser mit Zucker in Pulver und einem Glase Wasser in Stücken stattfindet? er ist ungeheuer, mein Herr!«
»Ei! ich, was mich betrifft . . .« fing Chénier wieder an.
»Doctor!« rief Grimod, »Doctor! sagen Sie doch diesem unglücklichen Dichter, daß der Zucker drei Substanzen enthält, deren Urstoffe sind: der Zucker, das Gummi und das Amidon, und daß bei der Collision, die sich durch das Zerdrücken übt, ein Theil von den gezuckerten Portionen in den Zustand von Amidon oder Gummi, das ist das Geheimniß der Natur, übergeht, wodurch dem Zucker die Hälfte seines Geschmackes benommen wird . . . Lackei, mein Freund, schenken Sie Herrn von Chénier eine andere Tasse Kaffee ein! . . Und nun, Herr Dichter, ein Gläschen Liqueur, um die Gaumenexaltation auf ihre höchste Stufe zu bringen, – dann lassen Sie uns in den Salon gehen.«
Man stand auf und folgte Grimod de la Reyniére, der der wahre Amphitryon geworden war.
Danton und Marat, gingen zuletzt.
»Sie haben nicht ein Wort während des ganzen Essens gesprochen,« sagte Danton; »haben Sie es schlecht gefunden?«
»Ich habe es im Gegentheil zu gut gefunden.«
»Und das hat Sie trübe gestimmt?«
»Das hat mich nachdenken gemacht.«
»Worüber?«
»Ueber Eines: daß dieser Grimod de la Reyniére, dieser Generalpächter, für sich allein, seitdem er auf der Welt ist, die Substanz verschlungen hat, von der zehntausend Familien hätten leben können.«
»Sie sehen, daß er darum nicht trauriger ist.«
»Ja, gewiß, Gott hat sie mit Blindheit geschlagen; doch es wird ein Tag kommen, wo alle diese Vampire mit dem Volke rechnen müssen; und an diesem Tage . . .«
»Nun, an diesem Tage?«
»An diesem Tage wird man, glaube ich, die Erfindung unseres Freundes Guillotin zu ihrem wahren Werthe schätzen . . . Guten Abend, Herr Doctor.«
»Wie, Sie verlassen uns?«
»Was soll ich machen, ungeschickt, wie ich bin, die Aphorismen Ihres Generalpächters zu würdigen?«
»Sie sollen bleiben, um mit mir in den Clubb zu kommen.«
»Wann dies?«
»Heute Abend.«
»Und in welchen Clubb?«
»In den Socialclubb, bei Gott! ich kenne keinen andern.«
»Wenn ich da gewesen bin, wohin Sie mich führen wollen, werden Sie mit mir dahin gehen, wohin ich Sie führe?«
»Mit großem Vergnügen.«
»Bei Ihrem Ehrenworte?«
»Bei meinem Ehrenworte.«
»Gut, ich bleibe.«
Hiernach traten Danton und Marat in den Salon ein, wo Grimod de la Reyniére mit einem wachsenden Successe seine Theorien vom Speisezimmer zu entwickeln fortfuhr.
VI
Der Socialclubb
In der That, eine Stunde, nachdem diese Uebereinkunft geschlossen worden, – David war nach Hause gegangen; Camille Desmoulins hatte sich, um seinen Hof zu machen, zu einem jungen Mädchen begeben, welches er liebte, von dem er geliebt wurde, und das er zwei Jahre später Heirathen sollte; Talma und Chénier waren in die Comedie-Francaise gegangen, um dort ein wenig von dem erwähnten Karl IX. zu reden, von dem ihnen beim Mahle so wenig zu reden erlaubt gewesen; Grimod de la Reyniére war 'nach seiner Gewohnheit, um zu verdauen, in die Oper gegangen; Guillotin hatte eine Zusammenkunft mit den Herren Wählern, – eine Stunde nachher, sagen wir, verließen Danton und Marat ebenfalls die Rue du Paon und schlugen, um sich nach dem Palais-Royal zu begeben, den Weg ein, den sie schon am Morgen, um in das Haus von Danton zu kommen, gemacht hatten.
Doch so belebt das Palais-Royal bei Tage war, das Palais-Royal bei Lichte war noch etwas ganz Anderes: alle Bijouterie-, Silberzeug-, Kristallwaarenhändler, alle Putzmacherinnen, alle Schneider, alle Friseurs, mit dem Degen an der Seite, hatten sich dieser neuen Läden bemächtigt, für welche der scandalöse Proceß ihres Eigenthümers als Prospect gedient. In einer seiner Ecken rauschte das Theater der Varietes, wo der Schauspieler Bordier ganz Paris zu seinen Arlequinaden anlockte; in einer andern toste das 113, das entsetzliche Spielhaus, auf das Herr Andrieux kurz zuvor den philosophischen Viervers gemacht hatte:
Il est trois partes à, cel antre:
L'espoir, l'infamie et la mort;
C'est par la premiere qu'on entre,
C'est par les deux autres qu'on sort!14
113 gegenüber war das Cafe Foy, der gewöhnliche Zusammenkunftsort aller Motionäre; im Mittelpunkte dieses Dreiecks endlich erhob sich der Circus, von dem wir schon gesprochen, der Circus, der das Lesecabinet von Herrn Girardin, das Theater Gaukler und den Socialclubb enthielt, welcher für diesen Abend in den Americanischen Clubb verwandelt worden war.
Schon bei ihrem Ausgange aus der Rue du Paon, – einer zu jener Zeit wie heute ziemlich abgelegenen Straße, – gewahrten Danton und Marat Merkmale der Aufregung, welche das Herannahen einer Krise verkündigten. Das Gerücht von der Entlassung von Herrn von Brienne und der Zurückberufung von Herrn Necker fing in der That an sich zu verbreiten, und die Bevölkerung kam allmälig ganz bewegt aus den Häusern heraus, um Gruppen in den Straßen, auf den Plätzen und auf den Kreuzwegen zu bilden; überall hörte man die Namen der zwei Antagonisten aussprechen: den von Brienne mit der Befriedigung des triumphirenden Hasses, den von Necker mit dem Ausdrucke der Dankbarkeit und der Freude. Mitten unter Allem dem wurden dem König große Lobeserhebungen gespendet; denn im Jahre 1783 war mit der Feder in der Hand oder mit dem Worte im Munde noch Jedermann Monarchist.
Marat und Danton durchschritten diese Gruppen, ohne sich darunter zu mischen; auf dem Pont-Neuf waren sie so zahlreich, daß die Wagen im Schritte fahren mußten; was übrigens allen diesen Gruppen einen fast bedrohlichen Charakter gab, war der Umstand, daß die Nachricht, die sich am Tage verbreitet, noch zweifelhaft schien, und daß die Hoffnung, die man einen Augenblick gefaßt hatte, wenn man sich getäuscht, eine Flamme wurde, welche, wenn auch ephemer, doch lange genug gedauert hatte, um die Leidenschaften kochen zu machen.
Näherte man sich dem Palais-Royal, so war es noch schlimmer; man glaubte sich einem Bienenstocke zu nähern. Vor Allem waren die Gemächer des Herzogs von Orleans glänzend erleuchtet, und die vielen Schatten, die man durch die Gazevorhänge im Rahmen der Fenster sich bewegen sah, deuteten an, daß an diesem Abend großer Empfang bei Seiner Hoheit stattfand; überdies stationierte das Volk auf dem Platze wie in den andern Straßen, und das ewige Hin- und Hergehen der Schaaren, die in das Palais-Royal vordrangen und aus diesem Palaste herauskamen, gab der Menge jene Bewegung von Ebbe und Fluth, welche die Wellen am Gestade des Meeres haben.
Marat und Danton waren zwei kräftige Schwimmer in diesem Ocean; sie hatten sich auch bald durch die Cour des Fontaines gearbeitet und das Palais-Royal auf der Seite der entgegengesetzt erreicht, welche ihnen am Morgen Durchgang gewährt.
Als sie am Ende der doppelten Gallerie angelangt waren, die man damals, wie gesagt, das Lager der Tartaren nannte, blieb Danton, trotz des sichtbaren Widerwillens seines Gefährten, einen Augenblick stehen. Sie boten in der That ein seltsames Schauspiel, von dem wir Männer aus dem Anfange dieses Jahrhunderts das Ende gesehen haben, diese angemalten Frauen mit Juwelen und Federn beladen, bis an den Gürtel entblößt, bis an die Kniee aufgeschürzt, Jeden, der vorüberging, durch eine lascive Geberde rufend, oder ihn mit spöttischen Scherzen verfolgend, Einige neben einander gehend, Freundinnen ähnlich, Andere sich begegnend und, wie der Funke, der aus dem Zusammenstoße des Kieselsteins hervorspringt, eine Schmähung in der Weise der Hallen wechselnd, welche immer die Zuschauer beben machte, da sie sich nicht daran gewöhnen konnten, eine solche Sündfluth von obscönen Worten aus dem Munde dieser schönen Geschöpfe kommen zu hören, die sich in der Tournure und im Anzuge durch Nichts von den vornehmen Damen jener Zeit unterschieden, als daß sie falsche Juwelen trugen und nicht für sich das Sprichwort: »Stiehlt wie eine Herzogin,« annehmen wollten.
Danton schaute also. Dieser Mann mit der mächtigen Organisation war, wo er auch sein mochte und in welcher Lage er sich befand, immer entweder zum Vergnügen oder zu dem Metalle, welches dasselbe gibt, hingezogen: bei der Thüre eines Wechslers blieb er vor dem Goldschüsselchen stehen, wie er beim Eingange des Palais-Royal vor den Freudenmädchen stehen blieb.
Marat zog ihn zu sich, und er folgte Marat, jedoch unwillkürlich den Kopf nach dem unreinen Winkel umdrehend.
Kaum aber befanden sie sich unter der steinernen Gallerie, da war es etwas Anderes: auf die physische Versuchung folgte die moralische. Die obscönen Bücher waren damals äußerst beliebt. Menschen, die man an ihren Mänteln erkannte, – denn diese Menschen trugen Mäntel, obgleich man mitten im August war, – boten solche Bücher den Vorübergehenden an. Sie zogen um die Wette Marat und Danton am Rockflügel: »Mein Herr, wollen Sie den Libertin de qualité vom Herrn Grafen von Mirabeau? Ein reizender Roman!« »Mein Herr, wollen Sie Félicia ou Mes fredaines, von Herrn von Nerciat, mit Kupferstichen?« »Mein Herr, wollen Sie den Compére Mathieu vom Abbé Dulaurens?« Das nannte man zu jener Zeit Bücher unter dem Mantel verkaufen.
Um sich von diesen Infamiemäklern zu befreien, – gegen welche, wir müssen es gestehen, Danton nicht denselben Widerwillen hegte, wie Marat, ein strenger Bewunderer von Jean Jacques, – eilten Beide in den Garten, wo sich die Duenen kreuzten, deren Geschäft es war, für das Domicil zu rekrutiren; doch an diesem Abend waren die ehrwürdigen Matronen ein wenig verscheucht durch den Lärmen, der im Garten herrschte, wo sich vielleicht über zweitausend Neuigkeiten suchende Personen zusammengeschaart fanden, mit denen sich nichts machen ließ, da die Neugierde alle andere Gefühle erstickt hatte.
Nicht ohne Mühe kamen Marat und Danton zu dem Abhange, auf welchem man zum Circus hinabstieg; hier angelangt brauchte man sich nur noch gehen zu lassen, und war man Besitzer einer Karte, so hinderte nichts, daß man zur Zahl der Auserwählten zugelassen wurde.
Danton hatte zwei Karten; es wurde also bei der Thüre keine Schwierigkeit gemacht; Danton und Marat wurden im Gegentheile von den Commissären, Leuten von Lebensart, auf das Freundlichste begrüßt, und Beide traten in den Saal ein.
Der Anblick war in der That blendend. Wohl zweitausend Kerzen beleuchteten die aristokratische Versammlung. Die Fahnen von America, verschlungen mit denen von Frankreich, beschatteten mit ihren Falten Kartuschen, worauf die von beiden Heeren errungenen Siege geschrieben standen; drei mit Lorbeeren bekränzte Büsten zogen die Augen nach der Tiefe des Saales; diese Büsten waren in den beiden Ecken die von Lafayette und von Franklin, in der Mitte die von Washington.
Theodor Lameth, der Aeltere von den zwei Brüdern dieses Namens, hatte den Präsidentenstuhl inne; Laclos, der Verfasser der Liaisons dangereuses, versah den Dienst des Schriftführers.
Die Gallerien und die Tribunen waren voll von Frauen, Gönnerinnen der americanischen Unabhängigkeit. Man bemerkte darunter Frau von Genlis, bekleidet mit einer Polonaise von gestreiftem Tastet und frisirt à l'insurgente; die Marquise von Villette, die schöne und gute Protegee von Voltaire in einer Circassicnne mit Blonden und einem getigerten Bande garnirt, und eine mit einer Barriére verzierte Haube auf dem Kopfe; Theresa Cabarrus, welche später Madame Tallien wurde und damals nur die Marquise von Fontenay war: immer schön, doch an diesem Tage noch schöner unter einer Therese in schwarzem Gazeschleier, durch welche, wie zwei Sterne in der Nacht, ihre spanischen Augen funkelten; die Marquise von Beauharnais, Josephine Tascher de la Pagerie, eine anbetungswürdige Creolin, voll Indolenz, belebt in diesem Augenblicke durch eine Prophezeiung von Mademoiselle Lenormand, der Zauberin des Faubourg Saint-Germain, die ihr verkündigt hatte, sie werde eines Tags Königin oder Kaiserin von Frankreich werden: welche von Beiden? die Zauberin wußte es nicht; doch nach dem Orakel der Karten mußte sie unfehlbar die Eine oder die Andere werden; – die bekannte Olympia von Gouges, geboren in Montpellier von einer Mutter, welche Putztrödlerin war, aber von einem Vater, dessen Haupt, wie Leonard Bourdon sagt, eine königliche Binde umschloß, wie Olympia von Gouges sagt, ein einfacher Lorbeerzweig bekränzte: eine seltsame Schriftstellerin mit einem Vermögen, das ihr zweimal hunderttausend Livres Einkünfte gab, eine Frau, welche weder lesen, noch schreiben konnte und ihren Secretärcn Romane und Stücke dictirte, die sie nicht wiederzulesen vermochte. Ihr Eintritt, der mit dem von Marat und Danton zusammentraf, war mit einer dreifachen Salve von Beifallklatschen begrüßt worden; sie hatte gerade im Théatre-Francais, nach fünf Jahren der Erwartung, der Bemühungen und der Geschenke, ihr Stück: die Sklaverei der Schwarzen, aufführen lassen, das fast durchgefallen war; doch daß das Stück durchgefallen, verhinderte nicht, daß die Verfasserin beklatscht wurde, wenn nicht wegen des Talentes, doch wenigstens wegen der Absicht.
Man müßte Alles anführen, was sich in Paris an schönen Frauen, an reichen Frauen oder an berühmten Frauen fand, wollte man die Tribunen und die Gallerien des Socialclubbs, der, wie gesagt, für diesen Abend in den Americanischen Clubb verwandelt worden war, die Revue passiren lassen.
Mitten unter ihnen, angezogen von der Einen, zurückgerissen von der Andern, angefleht von einer Dritten, welche von fern ihre hübsche Hand gegen ihn ausstreckte, flatterte der Held des Tages, der Marquis von Lafayette. Das war damals ein schöner und eleganter junger Mann von einunddreißig Jahren. Edelmann von Geburt, Besitzer eines ungeheuren Vermögens, durch seine Frau, – die Tochter des Herzogs d'Ayen, die er schon vor fünfzehn Jahren geheirathet hatte, – mit den größten Häusern Frankreichs verwandt; mit zwanzig Jahren aus Frankreich getrieben durch jenen Freiheitshauch, der über die Welt hinging, ohne noch zu wissen, wo er sich festsetzen sollte, hatte er insgeheim zwei Schiffe ausgerüstet, sie mit Waffen und Munition beladen, und war in Boston angekommen, wie fünfzig Jahre später Byron in Missolunghi ankommen sollte; aber, glücklicher als der große Dichter, sollte er die Befreiung des Volkes sehen, dem er zu Hilfe geeilt, und wenn Washington sich den Titel Vater der americanischen Freiheit vorbehalten hatte, so hatte er wenigstens erlaubt, daß Lafayette den seines Pathen annahm. Die Begeisterung, welche Lafayette nach Frankreich zurückgekehrt eingeflößt hatte, war vielleicht größer, als die, welche er in America zurückgelassen; die Mode hatte ihn adoptirt, die Königin hatte ihm zugelächelt, Franklin hatte ihn zum Bürger gemacht, Ludwig XVI. machte ihn zum General.
Diese Popularität war süß, und die Generalsuniform stand einem einunddreißigjährigen jungen Manne sehr gut; seine Eitelkeit hatte es ihm gesagt, und annehmend, die Eitelkeit, welche einmal gesprochen, könne schweigen, wiederholten es ihm die Frauen so oft, daß er genöthigt war, sich dessen zu erinnern.
Derjenige, welcher mit Lafayette die Ehrenbezeigungen des Abends theilte, war der Graf d'Estaing. Besiegt in Indien, wo er zweimal zum Gefangenen gemacht worden war, hatte er seine Genugthuung in America genommen; hier, nachdem er Howe eine unentschiedene Schlacht geliefert, nachdem er bei einem Angriffe auf St. Lucie gescheitert war, hatte er den Commodore Byron völlig geschlagen. Ganz das Gegentheil von Lafayette, war der Graf Hector d'Estaing ein Greis; der Enthusiasmus theilte sich auch zwischen ihm und seinem jungen Rivalen, und wie die Frauen einstimmig Lafayette in Anspruch genommen hatten, so hatten die Männer d'Estaing empfangen.
Die anderen Anwesenden sollten, zu dieser Zeit vielleicht weniger bekannt, doch Jeder einen gewissen Grad von Berühmtheit erlangen. Es waren: der Abbé Gregoire, der damals die Philosophie lehrend reiste; er hatte noch nichts über die Sklaverei geschrieben, aber er beschäftigte sich schon mit dieser Frage, die ihn übrigens sein ganzes Leben hindurch beschäftigte; – der Abbé Raynal, der aus der Verbannung kam, wohin ihn seine Philosophische Geschichte der beiden Indien geschickt hatte; – Condorcet, der ein neues Leben anzufangen im Begriffe war, das dritte! der, nachdem er Mathematiker mit d'Alembert, Kritiker mit Voltaire gewesen, Politiker mit Vergniaud und Barbarour werden sollte. Condorcet, der ewige Denker, im Cabinet wie im Salon, in der Einsamkeit wie unter der Menge, specieller in allen Dingen, als die speciellsten Menschen, unzugänglich für die Zerstreuung, wo er sich auch befinden mochte; wenig sprechend, Alles hörend, Alles benützend, ohne je etwas von dem, was er gelernt oder gehört, zu vergessen! – Brissot, der von America ankam, ein Fanatiker für die Freiheit, ein Enthusiast für Lafayette; Brissot, der zukünftige Verfasser der Adresse an die fremden Mächte; Brissot, dessen die unselige Ehre, seinen Namen einer Partei zu geben, harrte; – Roucher, der sein Gedicht: Die Monate, veröffentlicht hatte und mit der Übersetzung des Werkes: Die Reichthümer der Nation, von Smith, beschäftigt war; Malouet endlich, der seine bekannte Denkschrift über die Sklaverei der Neger herausgegeben hatte; er bestieg im Augenblicke des Eintritts von Marat und Danton die Tribune und wartete, um seine Rede zu beginnen, bis sich die durch die Ankunft von Olympia von Gouges hervorgebrachte Wirkung besänftigt hatte.
Er folgte auf Clavieres, der über die Sklaverei, jedoch die Frage generalisirend, gesprochen und von der Tribune herabsteigend angekündigt hatte, sein Freund Malouet werde auch sprechen, aber, besser als er über diese Materie unterrichtet, Thatsachen anführen, welche die ganze Versammlung werden schauern machen.
Die Versammlung fühlte dieses Bedürfniß der Gemüthsbewegungen, das sich bei den Völkern in gewissen Epochen ihrer Existenz verbreitet, und verlangte folglich nichts Anderes, als zu schauern.
Ueberdies waren, wie gesagt, viele hübsche Frauen im Saale, und die Frauen machen eine so reizende Bewegung mit den Schultern, wenn sie schauern, daß es sehr ungeschickt von einer hübschen Frau wäre, wenn sie nicht schauern würde, so oft sich eine Gelegenheit dazu findet.
Die Stille stellte sich also rascher wieder her, als man hätte hoffen dürfen; allmälig wandten sich die Blicke von Olympia von Gouges ab, und nachdem sie noch einen Moment, die der Männer von Frau von Beauharnais zu Therese Cabarrus, die der Frauen von Brissot zu Lafayette, hin und hergeschwebt hatten, hefteten sie sich auf die Tribune, wo der Redner, die Hand zur Geberde bereit, den Mund zum Worte gerüstet, wartete.
Als sodann tiefe Stille herrschte und die Aufmerksamkeit vollkommen war, sprach Malouet:
»Meine Herren, ich unternehme eine schwierige Aufgabe: die, Ihnen die Mißgeschicke einer Race zu schildern, welche verflucht scheint, während sie doch nichts gethan hat, um diesen Fluch zu verdienen. Zum Glücke ist die Sache, die ich zu Gunsten der Menschheit vertheidige, die der fühlenden Seelen, und die Sympathie wird mir zu Hilfe kommen, wo mir das Talent mangelt.
»Ist es Ihnen je begegnet, meine Herren, wenn Sie am Ende eines köstlichen Mahles, als völlig unerläßlich bei diesem Mahle, die zwei Substanzen, die sich gegenseitig ergänzen: den Zucker und den Kaffee, mit einander verbanden, wenn Sie lange, ehe sie den Kaffee tranken, wollüstig in Fauteuils mit weichen Polstern ausgestreckt sein köstliches Aroma einathmeten, wenn Sie ihn langsam schlürften und Ihre Lippen, so zu sagen, Tropfen um Tropfen von dem belebenden Tranke einsogen, ist es Ihnen je begegnet, daß Sie daran dachten, dieser Zucker und dieser Kaffee, woraus Sie Ihre Wonne gemacht, habe mehreren Millionen von Menschen das Leben gekostet?
»Sie errathen, wen ich meine, nicht wahr? Ich meine die unglücklichen Kinder Africas, die wanden wollüstigen Launen der Europäer zu opfern übereingekommen ist, die man behandelt wie Lastthiere, und die doch unsere Brüder vor der Natur und vor Gott sind.«
Ein Gemurmel der Billigung ermuthigte den Redner. Alle diese eleganten, gepuderten, bisamduftenden Männer, alle diese reizenden mit Spitzen, Federn und Diamanten bedeckten Frauen stimmten durch eine anmuthige Kopfbewegung der Ansicht des Redners bei und anerkannten, sie seien die Brüder und die Schwestern der Neger des Congo und der Negerinnen vom Senegal.
»Und nun, mitleidige Herzen,« fuhr Malouet mit jener sentimentalen, der damaligen Zeit eigenthümlichen Phraseologie fort, welche hauptsächlich durch die Anrufung zu Werke ging, »erinnern Sie sich wohl, daß das, was ich Ihnen sagen werde, kein Roman ist, entworfen in der Hoffnung, Sie in Ihrer Muße zu unterhalten; es ist eine wahre Geschichte der Behandlung, durch welche seit Jahrhunderten Ihres Gleichen zu Boden gedrückt werden; es ist der Schrei der seufzenden und verfolgten Menschheit, die es wagt, sich bis zu Ihnen zu erheben und allen Nationen der Welt die Grausamkeit zu denunzieren, deren Opfer diese Unglücklichen sind; es sind endlich die Neger von Africa und America, welche den Beistand ihrer Vertheidiger anrufen, damit diese Vertheidiger für sie an das Urtheil der Fürsten Europas appellieren und Gerechtigkeit für die grausamen Leiden, mit denen man sie in ihrem Namen erdrückt, verlangen mögen. Werden Sie taub für ihre Bitte sein? Nein! die Stimme der Männer wird sich stark und streng erheben, die Stimme der Frauen wird sanft und flehend hörbar werden, und die Könige, welche Gott zu seinen Stellvertretern auf Erden gemacht hat, werden erkennen, es heiße Gott selbst beleidigen so der niederträchtigsten Behandlung Geschöpfe geschaffen wie wir nach seinem Bilde preisgeben.«
Hier machte das Gemurmel der Billigung dem lauten Beifalle Platz. Nichtsdestoweniger war es augenscheinlich, daß man den Eingang genügend fand, und daß eine allgemeine, obgleich noch stumme Aspiration den Redner zu seinem Gegenstande hinzog,
Malouet fühlte das Bedürfniß, in die Materie einzugehen, und fing an:
»Ohne Zweifel wissen Sie, was der Negerhandel ist; wissen Sie aber auch, wie der Negerhandel getrieben wird? Nein, Sie wissen es nicht, oder Sie haben wenigstens nur einen oberflächlichen Blick auf diese seltsame Operation geworfen, bei der eine Race mit der andern gehandelt hat, wo die Menschen sich zu Verkäufern von Menschen gemacht haben.
»Will der Kapitän eines Negerschiffes Sklaven kaufen, so nähert er sich den Gestaden Africas und läßt einen der kleinen Fürsten, deren Gebiet an der Küste liegt, benachrichten, er sei da, er bringe Waaren aus Europa, und er möchte gern diese Waaren gegen eine Ladung von zwei bis dreihundert Negern vertauschen; dann schickt er ein Muster von seinen Waaren dem Fürsten, mit dem er handeln will, läßt seine Muster von einem Geschenke mit Branntwein begleiten und wartet.
»Branntwein, Feuerwasser, wie die unglücklichen Neger sagen; unselige Entdeckung, die uns von den Arabern zugekommen ist, – mit jener Kunst des Destillirens, die wir von ihnen erhalten haben, und die sie erfunden hatten, um den Wohlgeruch der Blumen und besonders der, in den Schriften ihrer Dichter so sehr gefeierten, Rose auszuziehen! – warum bist du eine so furchtbare Waffe in den Händen von grausamen Menschen geworden, daß man dich verfluchen muß, dich, die du mehr Nationen gebändigt und besonders vernichtet hast, als die Feuergewehre, welche den Menschen der neuen Welt unbekannt waren, und die sie für einen Donner in den Händen von neuen Göttern hielten?«
Malouet hatte sich, wie man sieht, in den höchsten Lyrismus geworfen: er wurde für seine Kühnheit durch eine Salve von Beifallklatschen belohnt.
»Wir sagen,« fuhr er fort, »der Kapitän des Negerschiffes warte. Ach! er wartet nicht lange; ist die Dunkelheit eingetreten, so kann er den Brand von Dorf zu Dorf laufen sehen; in der nächtlichen Stille kann er die Klagen der Mütter hören, denen man ihre Söhne raubt, der Kinder, denen man ihren Vater entreißt, und mitten unter Allem dem das Todesgeschrei von denjenigen, welche lieber sogleich sterben wollen, als ein Leben des Verschmachtens fern vom Dache der Familie, fern vom Himmel der Heimath hinschleppen.
»Am andern Tage erzählt man an Bord, der Negerkönig sei zurückgeschlagen worden; die Unglücklichen, die man habe wegführen wollen, haben mit der Heftigkeit der Verzweiflung gekämpft; ein neuer Angriff sei für die nächste Nacht organisiert, und die Auslieferung der Waaren könne erst am kommenden Tage stattfinden. Sobald es Nacht geworden, fangen der Kampf, der Brand, die Klagen wieder an. Das Blutbad dauert die ganze Nacht fort, und am Morgen erfährt man, man müsse wieder bis zum andern Tage warten, wenn man die verlangte Ladung haben wolle.
»Doch in dieser Nacht wird man sie sicherlich bekommen, denn der zurückgeschlagene König hat seinen Soldaten befohlen, die Sklaven in seinen eigenen Staaten zu nehmen; er wird einige von seinen Dörfern umzingeln lassen, und, getreu dem gegebenen Worte, seine Unterthanen ausliefern, da er seine Feinde nicht ausliefern kann.
»Endlich, am dritten Tage sieht man vierhundert gefesselte Neger ankommen, gefolgt von Müttern, Frauen, Töchtern und Schwestern, – wenn man nur Männer nöthig hat, denn hat man Weiber nöthig, so werden die Frauen, die Töchter, die Schwestern mit den Brüdern, den Vätern und Gatten gefesselt.
»Da erkundigt man sich und erfährt, es seien in diesen zwei Nächten viertausend Menschen umgekommen, damit der König-Speculant vierhundert habe liefern können.
»Und glauben Sie nicht, ich übertreibe: ich erzähle; ich erzähle, was geschehen ist: der Kapitän des Schiffes ist der Kapitän des New-York, der König, der seine eigenen Unterthanen verkauft hat, ist der König von Barsilly.
»O Männer der Regierung! o Fürsten Europas! Ihr schlaft ruhig in Euren Palästen, während man Eures Gleichen erwürgt; nicht wahr, Ihr wißt nichts von allen diesen Gräueln? Sie werden doch in Eurem Namen begangen. Nun wohl! das Geschrei dieser Unglücklichen mag über die Meere ziehen und Euch aufwecken!
»Werfen wir nun,« fuhr der Redner fort, »werfen wir die Augen auf diese dürre, unfruchtbare Küste, welche gleichwohl die des Vaterlandes ist; sehen wir diese unglücklichen Neger auf dem Boden liegend und nackt den Blicken und der Untersuchung der europäischen Rheder ausgesetzt.
»Haben die Wundärzte diejenigen von den Negern, welche sie für gesund, behende, kräftig und gut constituirt halten, aufmerksam geprüft, so sprechen sie ihre Billigung für sie aus und nehmen sie im Namen des Kapitäns in Empfang, wie Pferde und Ochsen, und lassen sie, auch wie Pferde und Ochsen, mit einem glühenden Eisen an der Schulter zeichnen: dieses Zeichen sind die Anfangsbuchstaben vom Namen des Schiffes und des Commandanten, der sie gekauft hat.
die Hoffnung, die Schande, der Tod;
durch die erste tritt man ein,
durch die zwei andern geht man hinaus.