Kitabı oku: «Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1», sayfa 96
CLII.
Der Gewissensfall. (Fortsetzung.)
Mit der kostbaren Anweisung versehen, die ihm Rousseau gegeben hatte, brauchte Gilbert nicht lange, um sein Vorhaben auszuführen.
Therese hatte nicht sobald die Thüre ihres Zimmers geschlossen, als der junge Mann, der von der Thüre seiner Mansarde aus alle ihre Bewegungen beobachtet hatte, die Treppe mit einer Schnelligkeit hinabstieg, als ob er durchaus nicht durch ein langes Fasten geschwächt worden wäre. Gilbert hatte den Kopf voll von Gedanken der Hoffnung, des Grolls, und hinter dem Allem schwebte ein rächender Schatten, der ihn mit seinen Klagen und Anschuldigungen stachelte. Er kam in die Rue Saint-Claude in einem schwer zu beschreibenden Zustand.
Als er in den Hof eintrat, geleitete Balsamo den Prinzen von Rohan, den eine Pflicht der Artigkeit zu seinem großmüthigen Alchemisten geführt hatte, bis zur Thüre zurück.
Während aber der Prinz herausging und zum letzten Mal stehen blieb, um seine Danksagung gegen Balsamo zu wiederholen, schlüpfte der arme, zerlumpte Bursche hinein, ohne daß er sich umzuschauen wagte.
Der Wagen des Prinzen erwartete diesen auf dem Boulevard; der Prälat durchschritt leicht den Raum, der ihn von seiner Carrosse trennte, die sich rasch entfernte, sobald der Schlag geschlossen war, Balsamo folgte ihm mit einem schwermüthigen Blick und wandte sich nach der Freitreppe, sobald der Wagen verschwand.
Auf dieser Freitreppe erblickte er eine Art von Bettler in flehender Stellung.
Balsamo ging auf ihn zu; obgleich sein Mund stumm war, fragte doch sein ausdrucksvoller Blick:
»Ich bitte um eine Viertelstunde Gehör, Herr Graf,« sprach der junge Mann mit den zerlumpten Kleidern.
»Wer sind Sie, mein Freund?« fragte Balsamo mit außerordentlicher Sanftheit.
»Erkennen Sie mich nicht mehr?«
»Nein; doch gleichviel, kommen Sie,« erwiederte Balsamo, ohne sich um die zerlumpten Kleider, das seltsame Aussehen und das Belästigende des Bittstellers zu bekümmern.
Und er ging ihm voran und führte ihn in das erste Zimmer, wo er sich niedersetzte und, ohne Ton und Gesicht zu verändern, zu ihm sagte:
»Sie fragten mich, ob ich Sie nicht erkenne?«
»Ja. Herr Graf.«
»In der That, es kommt mir vor, als hätte ich Sie irgendwo gesehen.«
»In Taverney, mein Herr, als Sie am Tage vor der Ankunft der Dauphine dahin kamen.«
»Was machten Sie in Taverney?«
»Ich wohnte dort.«
»Als Diener der Familie?«
»Nein, als Hausgenosse.«
»Sie haben Taverney verlassen?«
»Ja, vor ungefähr drei Monaten.«
»Und Sie kamen?«
»Nach Paris, wo ich Anfangs bei Herrn Rousseau studirte, wonach ich in den Gärten von Trianon durch die Verwendung von Herrn von Jussieu als Gärtnergehülfe angestellt wurde.«
»Sie führen mir da einen schönen Namen an, mein Freund: was wollen Sie?«
»Ich werde es Ihnen sagen,« erwiederte er, und heftete dann, eine Pause machend, einen Blick auf Balsamo, dem es nicht an Festigkeit gebrach.
»Sie erinnern sich, daß Sie in der Nacht des großen Sturmes, Freitag vor sechs Wochen, nach Trianon gekommen sind?« fuhr er dann fort.
Bis jetzt ernst, wurde Balsamo düster.
»Ja, ich erinnere mich,« antwortete er; »sollten Sie mich gesehen haben?«
»Ich habe Sie gesehen.«
»Dann kommen Sie, um sich das Geheimniß bezahlen zu lassen?« sagte Balsamo mit drohendem Tone.
»Nein, mein Herr, denn ich habe noch ein viel größeres Interesse als Sie, dieses Geheimniß zu bewahren.«
»Sie sind derjenige, welchen man Gilbert nennt?«
»Ja, Herr Graf.«
Balsamo schaute mit seinem tiefen, verzehrenden Blick den jungen Mann an, dessen Namen eine so furchtbare Anschuldigung mit sich führte.
Er, der sich auf die Menschen verstand, war erstaunt über die Sicherheit seiner Haltung, über die Würde seiner Rede.
Gilbert hatte sich an einen Tisch gestellt, auf den er sich nicht stützte; eine seiner zarten, obgleich sie an ländliche Arbeiten gewöhnt, weißen Hände war in seiner Brust verborgen; die andere fiel anmuthig an seiner Seite herab.
»Ich sehe an Ihrer Haltung, was Sie hier wollen,« sprach Balsamo; »Sie wissen, daß eine furchtbare Anschuldigung gegen Sie von Fräulein von Taverney vorgebracht worden ist, die ich mit Hülfe der Wissenschaft die Wahrheit zu sagen gezwungen habe; Sie kommen, um mir diese Zeugschaft, diese Enthüllung eines Geheimnisses, das ohne mich in der Finsterniß wie in einem Grab verborgen geblieben wäre, zum Vorwurf zu machen?«
Gilbert schüttelte nur den Kopf.
»Sie hätten jedoch Unrecht,« fuhr Balsamo fort; »denn angenommen, ich hatte Sie anzeigen wollen, ohne durch mein eigenes Interesse, da man mich beschuldigte, dazu genöthigt zu sein; angenommen, ich hätte Sie als Feind behandelt, ich hätte Sie angegriffen, während ich mich nur auf meine Vertheidigung beschränkte, dies Alles angenommen, wären Sie doch nicht berechtigt, irgend Etwas zu sagen, denn Sie haben in der That eine schändliche Handlung begangen.«
Gilbert wühlte mit seinen Nägeln in seiner Brust, aber er antwortete nicht.
»Der Bruder wird Sie verfolgen, die Schwester wird Sie tödten lassen,« sagte Balsamo, »wenn Sie so unklug sind, in den Straßen von Paris, wie Sie dies thun, spazieren zu gehen.«
»Oh! daran ist mir nichts gelegen,« entgegnete Gilbert.
»Wie, es ist Ihnen nichts daran gelegen?«
»Ja; ich liebte Fräulein Andrée; ich liebte sie, wie sie nie von einem Menschen geliebt sein wird; doch sie verachtete mich, mich, der ich so ehrfurchtsvolle Gefühle für sie hegte; sie verachtete mich, der ich sie schon zweimal in meinen Armen gehalten, ohne daß ich es nur wagte, meine Lippen dem Saum ihres Kleides zu nähern.«
»So ist es, und Sie haben sie diese Ehrfurcht bezahlen lassen; Sie haben sich für ihre Verachtung gerächt; wodurch? Durch einen hinterlistigen Streich.«
»Oh! nein, nein, der hinterlistige Streich kommt nicht von mir; es ist mir eine Gelegenheit, das Verbrechen zu begehen, geboten worden.«
»Durch wen?«
»Durch Sie.«
Balsamo fuhr auf, als ob ihn eine Schlange gestochen hätte, und rief: »Durch mich!«
»Durch Sie, ja, mein Herr, durch Sie,« wiederholte Gilbert; »Sie haben Fräulein Andrée eingeschläfert und sind dann entflohen; je weiter Sie sich entfernten, desto schwächer wurden ihre Beine, und sie fiel am Ende zu Boden. Ich nahm sie in meine Arme, um sie in ihr Zimmer zurückzutragen; ich fühlte ihr Fleisch an meinem Fleisch, ein Marmor wäre lebendig geworden! . . . ich, ich gab meiner Liebe nach. Bin ich denn so strafbar, als man sagt, mein Herr, das frage ich Sie, Sie, die Ursache meines Unglücks?«
Balsamo heftete seinen traurigen, mitleidsvollen Blick auf Gilbert und erwiederte:
»Du hast Recht, mein Kind; ich bin die Ursache Deines Verbrechens und des Unglücks dieses Mädchens gewesen.«
»Und statt ein Mittel dagegen anzuwenden, haben Sie, der Sie so. mächtig sind und so gut sein müßten, das Unglück des Mädchens erschwert und den Tod über das Haupt des Schuldigen verhängt.«
»Das ist wahr, und Du sprichst vernünftig. Siehst Du, junger Mann, seit einiger Zeit bin ich ein verfluchtes Geschöpf, und alle meine Pläne nehmen, wenn sie aus meinem Gehirn hervorgehen, schädliche und bedrohliche Formen an; das steht im Zusammenhang mit Unglücksfällen, die ich zu erfahren hatte, und die Du nicht begreifst. Es ist dies indessen kein Grund, daß ich die Anderen leiden mache; laß hören, was verlangst Du?«
»Ich verlange von Ihnen das Mittel, Alles, Verbrechen und Unglück, wieder gut zu machen, Herr Graf.«
»Du liebst dieses Mädchen?«
»Oh! ja.«
»Es gibt viele Arten von Liebe. Mit welcher Liebe liebst Du sie?«
»Ehe ich sie besaß, liebte ich sie bis zum Wahnsinn; heute liebe ich sie mit Gewissensbissen, mit Wuth. Ich würde vor Schmerz sterben, wenn sie mich mit Zorn empfinge; ich würde vor Freude sterben, wenn sie mir ihre Füße zu küssen erlaubte.«
»Sie ist adelig, aber arm,« sagte Balsamo nachdenkend.
»Ja.«
»Doch ihr Bruder ist ein Mann von Herz und, wie ich glaube, wenig von den leeren Vorrechten des Adels angesteckt. Was würde geschehen, wenn Du von diesem Bruder seine Schwester zur Ehe verlangtest?«
»Er würde mich tödten!« antwortete Gilbert kalt; »doch da ich den Tod mehr wünsche, als fürchte, so werde ich das Verlangen stellen, wenn Sie mir dazu rathen.«
Balsamo dachte nach und erwiederte dann: »Du bist ein Mensch von Geist, und man sollte sogar glauben, Du wärest ein Mann von Herz, obgleich Deine Handlungen, abgesehen von meiner Mitschuld, wahrhaft strafbar sind. Suche nicht Herrn Philipp von Taverney, den Sohn, sondern den Baron von Taverney, seinen Vater, auf und sage ihm, hörst Du wohl, an dem Tag, wo er Dir seine Tochter zu heirathen erlaube, werdest Du Fräulein Andrée eine Mitgift bringen.«
»Ich kann das nicht sagen, Herr Graf; ich habe nichts.«
»Und ich sage Dir, daß Du ihr als Mitgift hunderttausend Thaler bringst, die ich Dir schenke, um das Unglück und das Verbrechen, wie Du es vorhin nanntest, wieder gut zu machen.«
»Er wird mir nicht glauben, denn er weiß, daß ich arm bin.«
»Wenn er Dir nicht glaubt, zeige ihm diese Kassenbillets, und sobald er sie sieht, wird er nicht mehr daran zweifeln.«
Während Balsamo diese Worte sprach, öffnete er die Schublade eines Tisches und zählte dreißig Kassenbillets, jedes von zehntausend Livres.
Dann, übergab er sie Gilbert und fragte den jungen Mann:
»Ist das Geld? Lies.«
Gilbert warf einen gierigen Blick auf die Papiere, die er in der Hand hielt, und erkannte die Wahrheit dessen, was ihm Balsamo sagte.
Ein Blitz der Freude glänzte in seinen Augen.
»Wäre es möglich?« rief er. »Doch nein, eine solche Großmuth wäre zu erhaben!«
»Du bist mißtrauisch.« sagte Balsamo, »Du hast Recht; doch gewöhne Dich daran, Dir die Gegenstände Deines Mißtrauens besser auszuwählen. Nimm also diese hunderttausend Thaler und gehe zu Herrn von Taverney.«
»Mein Herr,« sprach Gilbert, »so lange mir eine solche Summe nur auf ein einfaches Wort gegeben wird, glaube ich nicht an die Wirklichkeit des Geschenks.«
Balsamo nahm eine Feder und schrieb:
»Ich schenke Gilbert als Mitgift am Tag, wo er seinen Heirathsvertrag mit Fräulein von Taverney unterzeichnen wird, die Summe von hunderttausend Thalern, die ich ihm zum Voraus in der Hoffnung auf eine glückliche Unterhandlung gegeben habe.
Joseph Balsamo.«
»Nimm dieses Papier, gehe und zweifle nicht mehr.« Gilbert empfing das Papier mit zitternder Hand.
»Mein Herr,« sagte er, »wenn ich Ihnen ein solches Glück zu verdanken habe, so werden Sie der Gott sein, den ich auf Erden anbete.«
»Es gibt nur einen Gott, den Du anbeten mußt, und dieser bin nicht ich,« entgegnete Balsamo mit ernstem Tone. »Gehe, mein Freund.«
»Eine letzte Bitte, mein Herr.«
»Welche?«
»Schenken Sie mir fünfzig Livres.«
»Du bittest mich um fünfzig Livres, während Du dreimalhunderttausend in den Händen hast?«
»Diese dreimalhunderttausend Livres gehören mir erst an dem Tage, wo Fräulein Andrée mich zu heirathen einwilligt.«
»Was willst Du mit fünfzig Livres machen?«
»Einen anständigen Rock kaufen, mit dem ich vor dem Baron erscheinen kann.«
»Hier, mein Freund, nimm,« sagte Balsamo.
Und er gab ihm die gewünschten fünfzig Livres, entließ ihn sodann durch ein Zeichen mit dem Kopf, und kehrte mit demselben langsamen, traurigen Schritt in seine Gemächer zurück.
CLIII.
Die Pläne von Gilbert
Als sich Gilbert auf der Straße befand, ließ er seine fieberhafte Phantasie sich abkühlen, die ihn bei den letzten Worten des Grafen nicht nur über das Wahrscheinliche, sondern auch über das Mögliche hinaus fortgerissen hatte.
In der Rue Pastourel setzte er sich auf einen Weichstein, schaute umher, ob ihn Niemand bespähte, und zog aus seiner Tasche die durch das Zusammenpressen der Hand ganz zerknitterten Kassenbillets.
Es war ihm ein furchtbarer Gedanke gekommen, ein Gedanke, der ihm den Schweiß auf die Stirne trieb.
»Wir wollen doch bedenken,« sagte er, die Billets betrachtend, »wir wollen bedenken, ob mich dieser Mensch nicht getäuscht, ob er mir nicht eine Falle gestellt hat, ob er mich nicht einem gewissen Tod, unter dem Vorwand, mir ein gewisses Glück zu verschaffen, entgegenschickt; wir wollen sehen, ob er für mich nicht das thut, was man für das Schaf thut, welches man auf die Schlachtbank lockt, indem man ihm eine Handvoll frisches Gras bietet. Ich habe sagen hören, es sei eine große Anzahl von falschen Kassenbillets im Umlauf, mit denen die Wüstlinge des Hofs zuweilen die Mädchen von der Oper betrügen. Wir wollen sehen, ob mich der Graf nicht für einen Thoren gehalten hat.«
Und er nahm aus dem kleinen Bündel ein Billet von zehntausend Livres, trat bei einem Kaufmann ein und fragte nach der Adresse eines Banquier, um es dem Auftrage seines Herrn gemäß zu wechseln.
Der Kaufmann schaute das Billet an, drehte es mit Bewunderung, denn die Summe war pomphaft und sein Laden äußerst bescheiden, hin und her, und bezeichnete in der Rue Sainte-Avoie den Geldmann, dessen Gilbert bedurfte.
Das Billet war also gut.
Ganz freudig, ließ Gilbert sogleich seiner Einbildungskraft die Zügel schießen, verschloß sorgfältiger als zuvor die Kassenbillets in seinem Sacktuch und kaufte in der Rue Sainte-Avoie, als er hier einen Trödler erblickte, dessen Auslage ihm verführerisch vorkam, für fünfundzwanzig Livres, das heißt für einen von den beiden Louis d’or, die ihm Balsamo geschenkt hatte, ein vollständiges Kleid von kastanienbraunem Tuch, das sich ihm durch seine Reinlichkeit empfahl, ein Paar etwas abgetragene schwarze seidene Strümpfe und Schuhe mit glänzenden Schnallen; auch fügte er ein ziemlich feines Leinwandhemd diesem mehr anständigen, als reichen Anzug bei, in welchem sich Gilbert durch einen Blick, den er in den Spiegel des Trödlers warf, bewunderte.
Dann ließ er seine alten Kleidungsstücke, gleichsam als Nachschuß zu den fünfundzwanzig Livres, zurück, steckte sein kostbares Sacktuch ein, und ging vom Laden des Trödlers in den eines Friseur, der in einer Viertelstunde den so merkwürdigen Kopf des Schützlings von Balsamo vollends zierlich und sogar schön machte.
Als alle diese Operationen ausgeführt wann, trat Gilbert bei einem Bäcker ein, der in der Nähe der Place Louis XV. wohnte, und kaufte für zwei Sous Brod, das er, rasch der Straße nach Versailles folgend, verzehrte.
An einem Brunnen, den er unter Wegs traf, hielt er an, um zu trinken.
Dann ging er wieder weiter und schlug alle Anerbietungen der Kutscher aus, welche nicht begriffen, warum ein so reinlich gekleideter junger Mensch fünfzehn Sous auf Kosten seiner Eiweißwichse sparte.
Was würden sie erst gesagt haben, hätten sie gewußt, daß dieser junge Mensch, der so zu Fuße ging, dreimal hundert tausend Livres bei sich trug?
Doch Gilbert hatte seine Gründe, warum er zu Fuße ging: einmal wegen seines festen Entschlusses, nicht um einen Liard das streng Nothwendige zu überschreiten, und dann, weil er das Bedürfniß fühlte, allein zu sein, um sich bequemer der Pantomime und den Monologen überlassen zu können.
Gott allein weiß, was an glücklichen Entwickelungen in dem Kopf dieses jungen Mannes vorging, während der dritthalb Stunden, die er marschirte.
In dieser Zeit hatte er mehr als vier Meilen zurückgelegt, und zwar ohne die Entfernung wahrzunehmen, ohne die geringste Müdigkeit zu fühlen, so mächtig war die Organisation dieses jungen Menschen.
Alle seine Pläne waren entworfen, und er hatte sich über die Art und Weise, sein Gesuch anzubringen, entschieden.
Den Vater Taverney wollte er mit prunkhaften Worten angehen; wenn er dann die Genehmigung des Barons erlangt hätte, würde er vor Fräulein Andrée mit einer Sprache von solcher Beredtsamkeit erscheinen, daß sie ihm nicht nur verzeihen, sondern auch Achtung und Zuneigung für den Urheber der pathetischen Rede, die er vorbereitet, bekommen müßte.
Je mehr er hieran dachte, desto mehr gewann die Hoffnung die Oberhand vor der Furcht, und es schien Gilbert unmöglich, ein Mädchen würde in der Lage, in der sich Andrée befand, die von der Liebe gebotene Genugthuung nicht annehmen, wenn sich diese Liebe mit einer Summe von hunderttausend Thalern zeigte.
Gilbert war, während er diese Luftschlösser baute, naiv und ehrlich wie das einfachste Kind der Patriarchen; er vergaß alles Böse, das er gethan hatte, was vielleicht von einem ehrlicheren Herzen zeugte, als man glauben mag.
Als alle seine Batterien vorbereitet waren, kam er, das Herz in einem Schraubstock, auf dem Gebiete von Trianon an. Einmal hier, war er für Alles bereit: für die erste Wuth von Philipp, welche indessen sein edelmüthiger Schritt besänftigen sollte; für die erste Verachtung von Andrée, welche seine Liebe unterwerfen müßte; für die ersten Beleidigungen des Barons, den sein Geld bestechen würde.
So entfernt Gilbert auch von der Gesellschaft gelebt hatte, so errieth er doch instinctartig, daß dreimal hundert tausend Livres in der Tasche ein sicherer Panzer sind; was er am meisten befürchtete, war der Anblick der Leiden von Andrée; gegen dieses Unglück allein hatte er bange vor seiner Schwäche, einer Schwäche, die ihn eines Theils der für den Erfolg seiner Sache nothwendigen Mittel beraubt hätte.
Er trat in den Garten ein und schaute nicht ohne einen gewissen Hochmuth alle die Arbeiter an, welche gestern noch seine Kameraden waren, heute aber unter ihm standen.
Die erste Frage, die er machte, bezog sich auf den Baron von Taverney, Er wandte sich natürlich an den Aufwärter vom Dienst in den Communs.
»Der Baron ist nicht in Trianon,« antwortete dieser.
Gilbert zögerte einen Augenblick und fragte dann:
»Und Herr Philipp?«
»Oh! Herr Philipp ist mit Fräulein Andrée abgereist.«
»Abgereist!« rief Gilbert erschrocken.
»Ja.«
»Fräulein Andrée ist also abgereist?«
»Seit fünf Tagen.«
»Nach Paris?«
Der Aufwärter machte eine Bewegung, welche besagen wollte:
»Ich weiß es nicht.«
»Wie, Sie wissen es nicht?« rief Gilbert. »Fräulein Andrée ist abgereist, ohne daß man weiß, wohin? Sie kann doch nicht ohne Ursache abgereist sein.«
»Ei! welche Albernheit,« erwiederte der Aufwärter mit geringer Ehrfurcht vor Gilberts kastanienbraunem Kleid; »sicherlich hat sie sich nicht ohne Ursache entfernt.«
»Aber warum hat sie sich entfernt?«
»Um eine Luftveränderung vorzunehmen.«
»Eine Luftveränderung?« wiederholte Gilbert.
»Ja, es scheint die Luft von Trianon war schlecht für ihre Gesundheit, und auf Verordnung des Arztes hat sie auch Trianon verlassen.«
Es war unnöthig, mehr zu fragen; der Aufwärter der Communs hatte offenbar Alles gesagt, was er über Fräulein von Taverney wußte.
Und dennoch konnte Gilbert in seinem Erstaunen nicht an das, was er hörte, glauben. Er lief nach dem Zimmer von Andrée und fand die Thüre geschlossen.
Bruchstücke von Glas, Heu und Strohhalme, die im Corridor umherlagen, boten seinem Blick alle Resultate eines Auszugs.
Gilbert kehrte in sein altes Zimmer zurück, das er so fand, wie er es verlassen hatte.
Das Fenster von Andrée stand offen, um Luft in die Wohnung einzulassen; sein Auge konnte bis in’s Vorzimmer tauchen.
Die Wohnung war vollkommen leer.
Gilbert überließ sich sodann dem heftigsten Schmerz; er stieß seinen Kopf an die Wand, rang die Hände und wälzte sich auf dem Boden.
Dann stürzte er wie ein Wahnsinniger aus der Mansarde , eilte die Treppe hinab, als ob er Flügel hätte, drang, die Hände in seinen Haaren, in den Wald ein und sank mit Schreien und Verwünschungen mitten im Heidekraut, das Leben und die, welche es ihm geschenkt, verfluchend, nieder.
»Oh! es ist vorbei, es ist vorbei,« murmelte er. »Gott will nicht, daß ich sie wiederfinde; Gott will, daß ich vor Reue, Verzweiflung und Liebe sterbe; so werde ich mein Verbrechen sühnen, so werde ich diejenige rächen, welche ich verletzt habe.
Wo mag sie sein?
In Taverney! Oh ! ich werde gehen, ich werde gehen! ich werde bis an das Ende der Welt gehen, ich werde bis zu den Wolken hinaufsteigen, wenn es sein muß. Oh! ich werde ihre Spur wiederfinden und sie verfolgen, und müßte ich auf der Hälfte des Weges vor Hunger und Müdigkeit niederstürzen!«
Doch allmälig in seinem Schmerz durch den Ausbruch dieses Schmerzes erleichtert, erhob sich Gilbert, athmete freier, schaute mit etwas minder stierem Gesicht umher und schlug mit langsamen Schritten wieder den Weg nach Paris ein.
Diesmal brauchte er fünf Stunden, um ihn zurückzulegen.
»Der Baron,« sagte er zu sich selbst mit einem gewissen Anschein von Vernunft, »der Baron hat Paris vielleicht nicht verlassen, und ich werde ihn sprechen. Fräulein Andrée ist geflohen. Sie konnte in der That nicht in Trianon bleiben; doch wohin sie auch gegangen sein mag, ihr Vater muß es wissen; ein Wort von ihm wird mir ihre Spur andeuten, und dann wird er seine Tochter zurückrufen, wenn es mir gelingt, seinen Geiz zu überzeugen.«
Gestärkt durch diesen neuen Gedanken, kam Gilbert nach Paris Abends um sieben Uhr zurück, das heißt in dem Augenblick, wo die Kühle die Spaziergänger nach den Champs-Elysées lockte, wo Paris zwischen den ersten Nebeln des Abends und den ersten Feuern jenes scheinbaren Tages schwebt, der ihm einen Tag von vierundzwanzig Stunden macht.
In Folge des von ihm gefaßten Entschlusses ging der junge Mann gerade auf die Thüre des kleinen Hauses der Rue Coq-Héron zu und klopfte ohne einen Augenblick zu zögern an.
Nur ein Stillschweigen antwortete ihm.
Er verdoppelte die Stöße des Klopfers, doch ohne daß der zehnte mehr Erfolg hatte, als der erste.
Da entschwand ihm dieses letzte Mittel, auf das er gerechnet hatte. Wahnsinnig vor Wuth in seine Hände beißend, um seinen Körper dafür zu bestrafen, daß er weniger litt, als sein Geist, wandte sich Gilbert ungestüm um die Straßenecke, drückte an der Feder der Thüre von Rousseau und stieg die Treppe hinauf.
Das Sacktuch, das die dreißig Kassenbillets enthielt, enthielt auch den Schlüssel vom Speicher.
Gilbert stürzte hinein, wie er sich in die Seine gestürzt hätte, wenn sie an diesem Ort gelaufen wäre.
Dann, da der Abend schön war und die Lämmerwolken im Azur des Himmels spielten, da ein süßer Wohlgeruch von den Linden und den Kastanienbäumen in der Abenddämmerung ausstieg, da die Fledermaus mit ihren schweigsamen Flügeln an die Scheibe des Fensterchens schlug, näherte sich Gilbert, durch alle diese Empfindungen zum Leben zurückgerufen, der Dachluke; er sah mitten unter den Bäumen den weißen Gartenpavillon hervortreten, wo er einst Andrée wiedergefunden, die er für immer verloren geglaubt, er fühlte sein Herz brechen und sank beinahe ohnmächtig, seine Augen in einer schwankenden, einfälligen Beschauung verloren, auf die Lehne der Dachrinne.