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Kitabı oku: «Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1», sayfa 97

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CLIV.
Worin Gilbert sieht, daß es leichter ist, ein Verbrechen zu begehen, als ein Vorurtheil zu besiegen

Je mehr die schmerzliche Empfindung abnahm, die sich Gilberts bemächtigt hatte, desto klarer und schärfer wurden seine Gedanken.

Die immer dichter werdende Finsterniß verhinderte ihn mittlerweile, etwas zu unterscheiden; da erfaßte ihn ein unüberwindliches Verlangen, die Bäume, das Haus, die Gänge zu sehen, was die Dunkelheit in eine Masse vermengt hatte, über der die Luft wie über einem Abgrund schwebte.

Er erinnerte sich, daß er sich eines Abends, in glücklicheren Zeiten, hatte wollen Kunde von Andrée verschaffen, sie sehen, sogar sprechen hören, und daß er sich mit Gefahr seines Lebens, noch leidend an der Krankheit, die auf den 31. Mai folgte, an der Dachrinne vom ersten Stock bis auf den seligen Boden des Gartens hatte hinabgleiten lassen.

Damals war es äußerst gefährlich, in dieses Haus einzudringen, das der Baron bewohnte, wo Andrée so gut bewacht wurde, und dennoch, trotz dieser Gefahr, erinnerte sich Gilbert, wie süß die Lage gewesen, und wie freudig, als er den Ton ihrer Stimme hörte, sein Herz geschlagen hatte.

»Wenn ich wieder anfinge, wenn ich zum letzten Mal die Erinnerung suchte, wo die Gegenwart war; wenn ich noch einmal, auf den Knieen, auf dem Sande der Alleen die angebetete Spur suchen würde, die dort die Tritte meiner Geliebten zurücklassen mußten.«

Dieses Wort, dieses furchtbare Wort, wenn es gehört worden wäre, artikulirte Gilbert beinahe laut, denn es machte ihm ein seltsames Vergnügen, es auszusprechen.

Gilbert unterbrach sein Selbstgespräch, um einen tiefen Blick auf die Stelle zu heften, wo, wie er nur noch errieth, der Pavillon sein mußte.

Dann, nach einem Augenblick des Schweigens und Forschens, fügte er bei:

»Nichts deutet an, daß der Pavillon von anderen Miethsleuten bewohnt wird, weder Lichter, noch Geräusch, noch offene Thüren; gehen wir!«

Gilbert hatte ein Verdienst: die Raschheit der Ausführung, wenn er einmal einen Entschluß gefaßt hatte. Er öffnete die Thüre seiner Mansarde, ging tappend wie ein Sylphe an der Thüre von Rousseau vorbei, und ließ sich, als er den ersten Stock erreicht hatte, von dort muthig bis in den Garten hinab, auf die Gefahr, eine alte Hose aus dem am Morgen noch so frischen Beinkleid zu machen.

Als er unten am Spalier war, durchlief er alle die Gemüthsbewegungen seines ersten Besuches im Pavillon, ließ den Sand unter seinen Tritten krachen und erkannte die kleine Thüre, durch welche Nicole Herrn von Beausire eingeführt hatte.

Endlich ging er auf die Freitreppe zu, um seine Lippen auf den messingenen Knopf des Sommerladens zu drücken, denn er sagte sich, ohne Zweifel habe die Hand von Andrée diesen Knopf berührt. Das Verbrechen von Gilbert hatte ihm eine Art von Religion aus seiner Liebe gemacht.

Plötzlich machte ein Geräusch, das aus dem Innern kam, den jungen Mann beben, ein schwaches, dumpfes Geräusch, wie das eines leichten Trittes auf dem Stubenboden.

Gilbert wich zurück.

Sein Kopf war leichenbleich, und seit acht bis zehn Tagen dergestalt gefoltert, daß er, als er ein Licht erblickte, das durch die Thüre drang, wähnte, der Aberglaube, dieser Sohn des Unverstandes und der Reue, zünde eine von jenen unheimlichen Fackeln an, und diese Fackel scheine auf die Latten der Sommerläden durch. Er wähnte, mit Schrecknissen beladen, rufe seine Seele eine andere Seele hervor, und die Stunde von einer jener Verblendungen der Sinne, wie sie alle Narren und ausschweifend leidenschaftliche Menschen haben, sei gekommen.

Und dennoch kamen die Tritte und das Licht immer näher. Gilbert sah und hörte, ohne zu glauben; doch plötzlich und in dem Augenblick, wo der junge Mann sich näherte, um durch die Latten zu schauen, öffnete sich der Laden, er wurde durch den Schlag an die Wand zurückgeworfen, stieß einen gewaltigen Schrei aus und fiel auf seine Kniee nieder.

Was ihn niederwarf, war weniger der Schlag, als der Anblick: in diesem Haus, das er verlassen glaubte, an dessen Thüre er, ohne daß man ihm öffnete, geklopft hatte, sah er Andrée erscheinen.

Das Mädchen, denn Andrée war es und nicht ein Schatten, stieß einen Schrei aus, wie Gilbert; minder erschrocken, denn ohne Zweifel erwartete sie Jemand, fragte Fräulein von Taverney sodann:

»Was gibt es? Wer sind Sie? was wünschen Sie?«

»Oh! ich bitte um Verzeihung, mein Fräulein,« murmelte Gilbert, das Gesicht demüthig gegen den Boden gewendet.

»Gilbert, Gilbert hier!« rief Andrée mit einer Verwunderung, die von Furcht und Zorn frei war; »Gilbert in diesem Garten! Was wollen Sie hier, mein Freund?«

Diese letzte Benennung klang schmerzlich bis in der Tiefe des Herzens von Gilbert.

»Oh!« sagte er mit bewegter Stimme, »schmettern Sie mich nicht nieder, mein Fräulein, seien Sie barmherzig, ich habe so viel gelitten!«

Andrée schaute Gilbert ganz erstaunt und wie eine Frau an, welche durchaus nicht begreift, was eine solche Demuth bedeuten soll, und sprach:

»Stehen Sie vor Allem auf und erklären Sie mir, wie Sie hierherkommen.«

»Oh! mein Fräulein,« rief Gilbert, »ich werde nicht eher aufstehen, als bis Sie mir verziehen haben.«

»Was haben Sie denn gegen mich gethan, daß ich Ihnen verzeihen soll? Sprechen Sie, erklären Sie sich; jedenfalls,« fuhr sie mit einem schwermüthigen Lächeln fort, »jedenfalls muß, da die Beleidigung nicht groß sein kann, die Verzeihung leicht sein. Philipp hat Ihnen den Schlüssel gegeben.«

»Den Schlüssel?«

»Allerdings, es war verabredet, daß ich Niemand in seiner Abwesenheit öffnen sollte, und da Sie hereingekommen sind, so muß er wohl die Mittel erleichtert haben, wenn Sie nicht etwa über die Mauern kletterten.«

»Ihr Bruder, Herr Philipp?« stammelte Gilbert; »nein, nein, nicht er; doch es handelt sich nicht um Ihren Bruder, mein Fräulein  . . . Sie sind also nicht abgereist? Sie haben also Frankreich nicht verlassen? O Glück, unerwartetes Glück!«

Gilbert hatte sich auf ein Knie erhoben und dankte, die Arme geöffnet, dem Himmel mit einem seltsamen Vertrauen.

Andrée neigte sich zu ihm herab, schaute ihn unruhig an und sagte:

.Sie sprechen wie ein Narr, Herr Gilbert, und Sie Werden mein Kleid zerreißen; ich bitte Sie, lassen Sie doch mein Kleid los und machen Sie dieser Komödie ein Ende.«

Gilbert stand auf und erwiederte:

»Nun sind Sie zornig; doch ich darf mich nicht darüber beklagen, denn ich habe es verdient; ich weiß wohl, daß ich nicht so hätte erscheinen sollen; doch was wollen Sie? es war mir völlig unbekannt, daß Sie diesen Pavillon bewohnen; ich glaubte ihn leer, verödet; was ich hier suchte, war nichts Anderes, als die Erinnerung an Sie  . . . Der Zufall allein  . . . In der That, ich weiß nicht mehr, was ich sage; entschuldigen Sie mich; ich wollte mich vor Allem an Ihren Herrn Vater wenden; doch er war verschwunden.«

Andrée machte eine Bewegung.

»An meinen Vater,« sagte sie, »und warum an meinen Vater?«

Gilbert täuschte sich in dieser Frage und erwiederte:

»Oh! weil ich Sie zu sehr fürchte; und dennoch weiß ich wohl, daß es besser ist, wenn Alles unter uns verhandelt wird; das ist das sicherste Mittel, Alles wieder gut zu machen.«

»Gut machen! was soll das bedeuten?« fragte Andrée, »sprechen Sie, was soll gut gemacht werden?«

Gilbert schaute sie mit Augen voll Liebe und Demuth an.

»Oh! erzürnen Sie sich nicht,« sagte er; »ich weiß, es ist eine große Vermessenheit von mir, von mir, der ich so wenig bin, es ist eine große Vermessenheit, sage ich, die Augen so hoch zu erheben; doch das Unglück ist geschehen.«

Andrée machte eine Bewegung.

»Das Verbrechen, wenn Sie wollen,« fuhr Gilbert fort, »ja, das Verbrechen, denn es war wirklich ein großes Verbrechen. Doch klagen Sie wegen dieses Verbrechens das Verhängniß an, mein Fräulein, aber nie mein Herz.«

»Ihr Herz  . . . Ihr Verbrechen  . . . das Verhängniß  . . . Sie sind wahnsinnig, Herr Gilbert, und machen mir bange.«

»Oh! unmöglich kann ich Ihnen mit so viel Ehrfurcht, mit so viel Reue, die Stirne gebeugt und die Hände gefaltet, ein anderes Gefühl einflößen, als Mitleid. Mein Fräulein, hören Sie, was ich Ihnen sagen werde, und es ist eine heilige Verpflichtung, die ich im Angesicht Gottes und der Menschen übernehme; mein ganzes Leben soll der Sühnung der Verirrung eines Augenblicks geweiht sein; Ihr zukünftiges Glück soll so groß sein, daß es alle vergangene Schmerzen tilgt, mein Fräulein  . . .« Gilbert zögerte.

»Mein Fräulein, geben Sie Ihre Einwilligung zu einer Heirath, welche eine strafbare Verbindung heiligen wird.«

Andrée machte einen Schritt rückwärts.

»Nein, nein,« sagte Gilbert, »ich bin kein Wahnsinniger; suchen Sie nicht zu fliehen, entreißen Sie mir nicht Ihre Hände, die ich küsse; haben Sie Gnade, haben Sie Mitleid, willigen Sie ein, meine Frau zu werden.«

»Ihre Frau!« rief Andrée, die nun glaubte, sie selbst würde wahnsinnig.

»Oh!« fuhr Gilbert mit herzzerreißendem Schluchzen fort, »oh! sagen Sie mir, daß Sie mir jene gräßliche Nacht verzeihen; sagen Sie, mein Unterfangen habe Ihren Abscheu erregt, sagen Sie aber auch, Sie verzeihen meiner Reue, sagen Sie, meine so lange unterdrückte Liebe rechtfertige mein Verbrechen.«

»Elender!« rief Andrée mit wilder Wuth, »Du warst es also? Oh! mein Gott, mein Gott!«

Und sie griff nach ihrem Kopf und preßte ihn zwischen ihren Händen, als wollte sie ihren empörten Geist zu fliehen verhindern.

Gilbert wich stumm und wie versteinert vor diesem schönen, bleichen Medusenhaupte zurück, das zugleich Schrecken und Erstaunen ausdrückte.

»Mein Gott! war mir dieses Unglück vorbehalten!« rief das Mädchen, einer wachsenden Exaltation preisgegeben; »soll ich so unglücklich sein, meinen Namen doppelt geschändet zu sehen: geschändet durch das Verbrechen, geschändet durch den Verbrecher? Antworte, Feiger! antworte, Elender! Du warst es also?«

»Sie wußte es nicht,« murmelte Gilbert vernichtet.

»Zu Hülfe! zu Hülfe!« rief Andrée, in ihr Zimmer zurückkehrend: »Philipp! Philipp! Philipp herbei!«

Gilbert, der ihr düster und in Verzweiflung gefolgt war, schaute umher und suchte mit den Augen entweder einen Platz, um edel unter den Streichen, die er erwartete, zu fallen, oder eine Waffe, um sich zu vertheidigen.

Doch Niemand kam auf den Ruf von Andrée. Andrée war allein in der Wohnung.

»Allein! oh! allein!« rief das Mädchen unter Zuckungen der Wuth, »Hinaus, Elender! versuche nicht den Zorn Gottes!«

Gilbert erhob sachte das Haupt und sprach:

»Ihr Zorn ist für mich der furchtbarste; haben Sie Mitleid, mein Fräulein, schlagen Sie mich nicht so nieder.«

Und er faltete flehend die Hände.

»Mörder! Mörder! Mörder!« schrie Andrée.

»Sie wollen mich also nicht hören!« rief Gilbert; »hören Sie mich doch wenigstens zuerst an und lassen Sie mich hernach tödten, wenn Sie wollen.«

»Dich anhören, auch noch diese Qual!  . . . Und was wirst Du sagen!«

»Was ich so eben sagte: daß ich ein Verbrechen begangen habe, ein Verbrechen, das sehr entschuldbar Jedem erscheinen muß, der in meinem Herzen zu lesen vermag, und daß ich die Genugthuung für dieses Verbrechen bringe.«

»Oh! das ist also der Sinn des Wortes, das mich schauern machte, ehe ich es begriff  . . . eine Heirath!  . . . Ich glaube, Sie haben dieses Wort ausgesprochen?«

»Mein Fräulein!« stammelte Gilbert.

»Eine Heirath!« fuhr das Mädchen mit wachsender Heftigkeit fort, »Oh! es ist nicht Zorn, was ich gegen Sie fühle; es ist Verachtung, es ist Haß; bei dieser Verachtung ist ein so niedriges und so furchtbares Gefühl, daß ich nicht begreife, wie man lebend den Ausdruck so ertragen kann, wie ich Ihnen denselben in’s Gesicht schleudere.«

Gilbert erbleichte, zwei Thränen des Grimms glänzten an den Fransen seiner Augenlider.

»Mein Fräulein,« sagte er ganz bebend, »ich bin in der That nicht so wenig, daß ich nicht den Verlust Ihrer Ehre wieder gut zu machen im Stande wäre.«

Andrée richtete sich auf und erwiederte mit stolzer Miene:

»Wenn es sich um eine verlorene Ehre handelte, mein Herr, so wäre dies Ihre Ehre und nicht die meinige. So wie ich bin, ist meine Ehre unversehrt, und wenn ich Sie heirathete, würde ich mich entehren.«

»Ich glaubte nicht,« entgegnete Gilbert mit kaltem, einschneidendem Ton, »ich glaubte nicht, daß eine Frau, wenn sie Mutter geworden ist, etwas Anderes in Betracht ziehen dürfe, als die Zukunft ihres Kindes.«

»Und ich, ich denke nicht, daß Sie es wagen, sich hierum zu bekümmern,« sagte Andrée, deren Augen funkelten.

»Ich bekümmere mich im Gegentheil darum,« erwiederte Gilbert, der sich allmälig unter dem erbitterten Fuß, der ihn niedertrat, erhob. »Ich bekümmere mich im Gegentheil darum, denn dieses Kind soll nicht Hungers sterben, wie dies oft in den Häusern der Adeligen geschieht, wo die Mädchen ihre Ehre auf ihre Weise verstehen. Die Menschen stehen einander an Werth gleich; Männer, welche selbst mehr werth waren, als die Anderen, haben diesen Grundsatz ausgesprochen. Daß Sie mich nicht lieben, begreife ich, denn Sie sehen mein Herz nicht; daß Sie mich verachten, begreife ich abermals, denn Sie wissen nicht, was ich denke; doch daß Sie mir das Recht verweigern, mich um mein Kind zu bekümmern, werde ich nie begreifen. Ach! indem ich Sie zu heirathen suchte, entsprach ich nicht einem Verlangen, einer Leidenschaft, einem Ehrgeiz; ich erfüllte meine Pflicht, ich verurtheilte mich, Ihr Mann zu sein, ich gab Ihnen mein Leben  . . . Ei! mein Gott, Sie würden nie meinen Namen geführt haben, wenn Sie hätten wollen, Sie hätten mich fortwährend als Gärtner Gilbert behandelt, und das wäre billig gewesen, doch Ihr Kind müßten Sie nicht opfern. Hier sind dreimal hunderttausend Livres, die mir mein edelmüthiger Beschützer, der mich anders beurtheilte, als Sie, als Mitgift gegeben hat. Wenn ich Sie heirathe, gehört dieses Geld mir; für mich aber brauche ich nichts, als ein wenig Luft, wenn ich lebe, und ein Grab in der Erde, um meinen Körper darin zu verbergen, wenn ich sterbe. Was ich mehr habe, gebe ich meinem Kind; sehen Sie, hier sind dreimal hunderttausend Livres.«

Und er legte auf den Tisch die Masse der Billets, beinahe unter die Hand von Andrée.

»Mein Herr,« sagte diese, »Sie irren sich gewaltig, Sie haben kein Kind.«

..Ich?«

»Von welchem Kind sprechen Sie denn? fragte Andrée.

»Von dem, dessen Mutter Sie sind, Haben Sie nicht vor zwei Personen, vor Ihrem Bruder Philipp, vor dem Grafen Balsamo bekannt, Sie seien in andern Umständen, und ich Unglücklicher sei der Vater?«

»Ah! Sie haben das gehört,« rief Andrée; »nun! desto besser, desto besser; dann vernehmen Sie, was ich Ihnen antworte: Sie haben mir schändlicher Weise Gewalt angethan; Sie haben mich während meines Schlafs besessen; Sie haben mich durch ein Verbrechen besessen; es ist wahr, ich bin Mutter; doch mein Kind hat nur eine Mutter, hören Sie wohl? Es ist wahr, Sie haben mich geschändet, doch Sie sind nicht der Vater meines Kindes.«

Und sie ergriff die Billets und warf sie verächtlich so aus dem Zimmer, daß sie fliegend das bleiche Gesicht des unglücklichen Gilbert streiften.

Da erfaßte ihn eine Bewegung so düsterer Wuth, daß der gute Engel von Andrée noch einmal für sie zittern mußte.

Doch diese Wuth wurde gerade durch ihre Heftigkeit im Zaume gehalten, und der junge Mann ging an Andrée vorbei, ohne ihr einen Blick zuzuwerfen.

Er hatte nicht sobald die Schwelle überschritten, als sie ihm nachstürzte und Thüren, Fenster und Läden schloß, als ob sie durch diese ungestüme Handlung das Weltall zwischen die Gegenwart und die Vergangenheit setzen würde!

CLV.
Der Entschluß

Wie Gilbert in seine Wohnung zurückkehrte, wie er, ohne vor Wuth und Schmerz zu sterben, die Qualen der Nacht aushalten konnte, wie er nicht wenigstens mit grauen Haaren aufstand, dies dem Leser zu erklären, wollen wir nicht unternehmen.

Als es Tag war, fühlte Gilbert ein heftiges Verlangen, Andrée zu schreiben, um ihr alle die so stichhaltigen, so redlichen Beweise auseinanderzusetzen, welche in der Nacht seinem Gehirn entsprungen waren; doch er hatte schon an zu vielen Umständen den unbeugsamen Charakter des Mädchens erfahren, und es blieb ihm keine Hoffnung mehr. Schreiben war überdies eine Einräumung, welche seinem Stolz widerstrebte. Der Gedanke, sein Brief würde zerknittert, ungelesen vielleicht weggeworfen werden, er würde nur dazu dienen, eine Meute erbitterter, unverständiger Feinde auf seine Fährte zu bringen, dieser Gedanke war ein Grund, daß er nicht schrieb.

Gilbert dachte nun, ein Schritt von ihm würde besser aufgenommen werden vom Vater, der ein Habsüchtiger und ein Ehrgeiziger, vom Bruder, der ein Mann von Herz sei und dessen erste Bewegung er allein zu fürchten habe. »Aber,« sagte er sich, »wozu soll es nützen, daß mich Herr von Taverney oder Herr Philipp unterstützt, wenn Andrée mich mit ihrem ewigen: Ich kenne Sie nicht! verfolgt.

»Es ist gut,« fügte er in seinem Innern bei; »nichts bindet mich mehr an diese Frau; sie selbst ist bemüht gewesen, die Bande zu zerreißen, die uns einigten.«

Er sagte dies, während er sich vor Schmerz auf seinem Lager wälzte, während er sich voll Wuth der geringsten Einzelnheiten des Gesichts, der Stimme von Andrée erinnerte; er sagte dies, während er eine unaussprechliche Marter ausstand, denn er liebte bis zum Wahnsinn.

Als die Sonne, schon hoch am Horizont, in seine Mansarde drang, erhob sich Gilbert schwankend mit der letzten Hoffnung, seine Feindin im Garten oder im Pavillon zu erblicken.

Dies war noch eine Freude im Unglück.

Doch plötzlich überfluthete eine bittere Woge des Aergers, der Reue, des Zornes seinen Geist: er erinnerte sich Alles dessen, was ihn das Mädchen an Ekel, an Verachtung hatte ausstehen lassen, und sprach, indem er mitten im Speicher durch einen Befehl, den der Wille strenge der Materie gab, stehen blieb:

»Nein! nein, Du wirst nicht an’s Fenster gehen, um zu schauen; nein, Du wirst Dir nicht mehr das Gift einträufeln, an dem Du gern sterben möchtest. Es ist eine Grausame, die nie, wenn Du die Stirne vor ihr beugtest, Dir zulächelte, nie ein Wort des Trostes oder der Freundschaft an Dich richtete, die ein Vergnügen darin fand, mit ihren Nägeln Dein noch von Unschuld und keuscher Liebe erfülltes Herz zu zerreißen. Es ist ein Geschöpf ohne Ehre und ohne Religion, das seinem Kind den Vater, seine natürliche Stütze, verleugnet, und das arme kleine Geschöpf der Vergessenheit, dem Elend, dem Tod vielleicht überantwortet, weil dieses Kind den Schooß entehrt, in dem es empfangen worden ist. Nein, Gilbert, so strafbar Du auch sein magst, so verliebt und feig Du auch bist, ich verbiete Dir, an diese Dachluke zu gehen und einen einzigen Blick in der Richtung des Pavillon auszusenden; ich verbiete Dir, Mitleid mit dem Schicksal jener Frau zu bekommen, und die Federn Deiner Seele durch den Gedanken an Alles, was vorgefallen ist, zu schwächen. Nütze Dein Leben, wie das Vieh, in der Arbeit und der Befriedigung der materiellen Bedürfnisse ab; verbrauche die Zeit, welche zwischen der Schmach und der Rache vergehen wird, und erinnere Dich stets, daß das einzige Mittel, Dich selbst zu achten und Dich über diesen hoffärtigen Adeligen zu halten, darin besteht, daß Du Dich adeliger benimmst als sie.«

Bleich, zitternd, von seinem Herzen nach dem Fenster gezogen, gehorchte er dennoch dem Befehl des Geistes, Man hätte ihn können allmälig, langsam, als ob seine Füße auf dem Speicher Wurzel gefaßt hätten, Schritt für Schritt nach der Treppe zugehen sehen. Endlich ging er hinaus, um sich zu Balsamo zu begeben.

Doch plötzlich sich eines Andern besinnend, sagte er: »Ich Narr! ich elender Hirnloser, der ich bin, ich sprach, glaube ich, von Rache, und welche Rache werde ich üben?

Die Frau tödten? Oh! nein, sie würde glücklich, mich durch eine Beleidigung mehr zu brandmarken, fallen! Sie öffentlich entehren? Oh! das wäre die Sache eines Feiglings!  . . . Gibt es einen empfindlichen Platz in der Seele dieses Geschöpfes, wo mein Nadelstich so schmerzlich trifft, als ein Dolchstoß?  . . . Die Demüthigung ist es, was sie haben muß, denn sie ist noch stolzer als ich.

Sie demüthigen . . . ich . . . wie? Ich habe nichts, ich bin nichts, und sie wird ohne Zweifel verschwinden. Sicherlich würden sie meine Gegenwart, häufige Erscheinungen, ein Blick der Verachtung oder der Herausforderung grausam bestrafen. Ich weiß wohl, daß die Mutter ohne Gemüth eine Schwester ohne Herz wäre, und mir, ihren Bruder zuschicken würde, um mich zu tödten; doch wer hält mich ab, einen Menschen tödten zu lernen, wie ich vernünftig schließen oder schreiben gelernt habe; wer hält mich ab, Philipp niederzuschlagen, ihn zu entwaffnen, dem Rächer wie der Beleidigten in’s Gesicht zu lachen? Nein, dieses Mittel ist ein Komödienmittel; derjenige zählt auf seine Geschicklichkeit und seine Erfahrung, welcher nicht den Dazwischentritt Gottes oder des Zufalls berechnet hat  . . . Allein, ich allein, mit meinem nackten Arm, mit einer der Einbildungskraft entkleideten Vernunft, mit der Stärke der mir durch die Natur und meinen Willen gegebenen Muskeln werde ich die Pläne dieser Unglücklichen zu Nichte machen  . . . Was will Andrée, was besitzt sie, was stellt sie zu ihrer Vertheidigung und zu meiner Schmach voran?  . . . Suchen wir.«

Und er beugte sich auf den Rand des Mauervorsprungs und versank, das Auge starr, in tiefes Nachsinnen.

»Was Andrée gefallen kann,« sagte er, »ist das, was ich hasse. Ich muß also Alles zerstören, was ich hasse  . . . Zerstören! oh! nein  . . . meine Rache führe mich nie zum Bösen! sie zwinge mich nie, das Eisen oder das Feuer anzuwenden! Was bleibt mir dann? Ich muß die Ursache der Ueberlegenheit von Andrée suchen; ich muß sehen, durch welche Fessel sie zugleich mein Herz und meinen Arm zurückhalten will. Oh! sie nicht mehr sehen! oh! nicht mehr von ihr angeschaut werden! oh! auf zwei Schritte an dieser Frau vorübergehen, wenn sie lächelnd, mit ihrer frechen Schönheit, ihr Kind an der Hand führen wird, ihr Kind, das mich nie kennen lernen soll  . . . Himmel und Erde!«

Gilbert begleitete diesen Satz mit einem wüthenden Faustschlag an die Wand und mit einer noch furchtbareren Verwünschung, welche zum Himmel entflog.

»Ihr Kind! das ist das ganze Geheimniß, Sie darf nie dieses Kind besitzen, das sie den Namen Gilbert verfluchen lehren würde. Sie muß im Gegentheil erfahren, daß dieses Kind in der Verwünschung des Namens Andrée aufwachsen wird! Mit einem Wort, dieses Kind, das sie nicht lieben, das sie vielleicht Plagen würde, denn sie hat ein böses Herz, dieses Kind, mit dem man mich beständig geißeln würde, darf Andrée nie sehen, und sie soll, wenn sie es verloren hat, ein Gebrülle ausstoßen, ähnlich dem der Löwinnen, die man ihrer Jungen beraubt!«

Gilbert erhob sich schön vor Zorn und wilder Freude.

»Das ist es,« sagte er, die Faust gegen den Pavillon von Andrée ausstreckend; »Du hast mich zur Schmach, zur Vereinzelung, zur Reue, zur Liebe verurtheilt  . . . ich verurtheile Dich zum Leiden ohne Frucht, zur Vereinzelung, zur Schmach, zur Angst, zum Haß ohne Rache. Du wirst mich suchen, ich werde geflohen sein; Du wirst dein Kind rufen, und solltest Du es zerreißen, wenn Du es wiederfändest; aber ich werde wenigstens eine Wuth des Verlangens in Deiner Seele entzündet haben; ich werde eine Klinge ohne Griff in Dein Herz gestoßen haben. Ja, ja, das Kind!

Ich werde das Kind haben, Andrée; ich werde nicht Dein Kind, wie Du sagst, sondern mein Kind haben. Gilbert wird sein Kind haben! einen durch seine Mutter adeligen Sohn.«

Und er belebte sich unmerklich in den Entzückungen eines Freudenrausches.

»Auf!« sagte er, »es handelt sich nicht um gemeinen Aerger, oder um kleine schäferliche Lamentationen; es handelt sich um ein schönes und gutes Complott. Ich habe nicht mehr meinem Blick zu befehlen, den Pavillon nicht zu suchen, sondern ich muß meine ganze Kraft, meine ganze Seele aufbieten, daß sie wachen, um den Erfolg meines Unternehmens zu sichern.«

»Andrée,« sprach er, indem er sich feierlich dem Fenster näherte, »ich werde Tag und Nacht wachen; Du wirst keine Bewegung mehr machen, ohne daß ich sie bespähe, Du wirst keinen Schmerzensschrei mehr ausstoßen, ohne daß ich Dir einen noch schärferen Schmerz verspreche; Du wirst nicht das leichteste Lächeln mehr auf Deine Lippen treten lassen, ohne daß ich mit einem höhnischen und beleidigenden Gelächter darauf antworte. Du bist meine Beute; ein Theil von Dir gehört mir; ich wache, ich wache.«

Dann näherte er sich der Dachluke und sah, wie sich die Läden des Pavillon öffneten, worauf der Schatten von Andrée, ohne Zweifel durch einen Spiegel zurückgeworfen, an den Vorhängen und an der Decke des Zimmers hinschlüpfte.

Endlich kam Philipp, der früher aufgestanden war, aber in seinem Zimmer, das hinter dem von Andrée lag, gearbeitet hatte.

Gilbert bemerkte, wie belebt das Gespräch der Geschwister war. Sicherlich war von ihm und von der Scene am vorhergehenden Tag die Rede. Philipp ging mit einer Art von Verlegenheit auf und ab. Die Ankunft von Gilbert hatte vielleicht etwas an den Einquartierungsplänen verändert; vielleicht wollte man anderswo den Frieden, die Dunkelheit, die Vergessenheit suchen.

Bei diesem Gedanken wurden die Augen von Gilbert leuchtende Strahlen, welche den Pavillon entzündet hätten und bis in den Mittelpunkt der Erde gedrungen wären!

Doch beinahe in demselben Augenblick trat ein Dienstmädchen durch die Gartenthüre ein; es kam mit irgend einer Empfehlung. Andrée nahm das Mädchen an, denn es brachte sogleich sein kleines Päckchen mit Kleidungsstücken in dem Zimmer unter, das einst Nicole bewohnt hatte; dann bestätigten verschiedene Einkäufe von Meubles, Gerätschaften, Mundvorräthen, Gilbert in der Voraussetzung, der Bruder und die Schwester haben hier eine friedliche Wohnung genommen.

Philipp untersuchte mit der größten Sorgfalt die Schlösser der Gartenthüre. Was aber hauptsächlich Gilbert bewies, man habe den Verdacht, er sei mittelst eines Nachschlüssels, den ihm vielleicht Nicole gegeben, hereingekommen, war der Umstand, daß der Schlosser in Philipps Gegenwart das Schloß veränderte.

Das war die erste Freude, welche Gilbert seit allen diesen Ereignissen erlebte.

Er lächelte spöttisch und sagte:

»Arme Leute  . . . sie sind nicht sehr gefährlich; sie halten sich an das Schloß und ahnen nicht einmal, ich könne die Kraft gehabt haben, hineinzuklettern! Welch einen armseligen Begriff haben sie von Dir, Gilbert, Desto besser. Ja, stolze Andrée,« fügte er bei, »trotz der Schlösser Deiner Thüre könnte ich. wenn ich wollte, zu Dir dringen  . . . Aber endlich ist das Glück auch auf meiner Seite; ich verachte Dich  . . . und wenn nicht die Phantasie  . . .«

Er pirouettirte auf den Absätzen, die galanten Herren des Hofes nachahmend.

»Doch nein,« fuhr er bitter fort, »das ist meiner würdiger; ich will nichts mehr von Ihnen!  . . . Schlafen Sie ruhig! ich habe etwas Besseres, als Ihren Besitz, um Sie nach Belieben zu quälen; schlafen Sie!«

Er verließ die Dachluke und stieg, nachdem er einen Blick auf seine Kleider geworfen hatte, die Treppe hinab, um sich zu Balsamo zu begeben.

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06 aralık 2019
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