Kitabı oku: «Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1», sayfa 98
CLVI.
Am fünfzehntes December
Gilbert fand bei Fritz keine Schwierigkeit, um bei Balsamo eingeführt zu werden.
Der Graf ruhte auf einem Sopha, wie es die reichen und müßigen Leute thun, von der Anstrengung, eine ganze Nacht geschlafen zu haben, aus; das dachte wenigstens Gilbert, als er ihn zu einer solchen Stunde so ausgestreckt sah.
Man muß glauben, daß der Kammerdiener Befehl erhalten hatte, Gilbert, sobald er sich zeigen würde, einzuführen, denn er brauchte nicht einmal seinen Namen zu sagen oder den Mund zu öffnen.
Als er in den Salon eintrat, erhob sich Balsamo leicht auf seinen Ellenbogen und schloß sein Buch, das er, ohne es zu lesen, offen in der Hand hielt.
»Hoho!« sagte er, »das ist ein Bursche, der sich verheirathet.«
Gilbert antwortete nicht.
»Es ist gut,« fuhr der Graf fort, indem er wieder seine gleichgültige Haltung annahm, »Du bist glücklich, und Du bist beinahe erkenntlich. Sehr schön! Du kommst, um mir zu danken; da? ist Ueberfluß, Behalte das für neue Bedürfnisse. Die Danksagungen sind eine Münze, welche viele Leute befriedigt, wenn sie mit einem Lächeln ausgetheilt wird. Gehe, mein Freund, gehe.«
Es lag in diesen Worten und in dem Ton, mit dem, sie Balsamo aussprach, etwas tief Trauriges, was Gilbert zugleich wie ein Vorwurf und wie eine Offenbarung berührte.
»Nein,« sagte er, »nein, Sie täuschen sich, mein Herr; man heirathet mich gar nicht.«
»Oh!« rief der Graf, »was willst Du dann hier? Was ist geschehen?«
»Es ist geschehen, daß man mir die Thüre gewiesen hat,« antwortete Gilbert.
Der Graf wandte sich völlig um.
»Du hast Dich ungeschickt benommen, mein Lieber.«
»Nein, Herr Graf, ich glaube wenigstens nicht.«
»Wer hat Dich abgewiesen?«
»Das Fräulein.«
»Das war sicher; warum hast Du nicht mit dem Vater gesprochen?«
»Weil es das Verhängniß nicht wollte.«
»Ah! wir sind Fatalist?«
»Ich besitze das Mittel nicht, Glauben zu haben.«
Balsamo faltete die Stirne, schaute Gilbert mit einer Art von Neugierde an und erwiederte:
»Sprich nicht so von Dingen, die Du nicht kennst; bei den gemachten Männern ist das Albernheit; bei den Kindern ist es Uebermuth. Ich erlaube Dir, Hochmuth zu haben, doch nicht ein Einfaltspinsel zu sein; sage mir, Du besitzest nicht das Mittel, ein Dummkopf zu sein, und ich werde es billigen. Zur Sache, was hast Du gethan?«
»Hören Sie; ich wollte wie die Dichter träumen, statt zu handeln; ich wollte unter den Bäumen spazieren gehen, wo mir das Vergnügen zu Theil geworden, von der Liebe zu träumen, und plötzlich stellte sich die Wirklichkeit vor mich, ohne daß ich vorbereitet war; die Wirklichkeit hat mich auf der Stelle getödtet.«
»Ganz natürlich, Gilbert, denn ein Mensch in der Lage, in der Du Dich befindest, gleicht den Leuten der Vorhut einer Armee: solche Leute dürfen nur mit der Muskete in der rechten Faust und mit der Blendlaterne in der linken marschiren.«
»Kurz, ich bin gescheitert; Fräulein Andrée nannte mich einen Ruchlosen, einen Mörder, und sagte mir, sie würde mich umbringen lassen.«
»Gut, aber ihr Kind!«
»Sie sagte mir, ihr Kind gehöre ihr und nicht mir.«
»Hernach?«
»Hernach habe ich mich entfernt.«
»Ah!«
Gilbert schaute empor und fragte: »Was hätten Sie gethan?«
»Ich weiß es noch nicht; sage mir, was willst Du thun?«
»Sie für die Demüthigung bestrafen, die sie mich hat ausstehen lassen.«
»Das ist ein Wort.«
»Nein, mein Herr, das ist ein Entschluß.«
»Aber Du hast Dir vielleicht Dein Geheimniß entreißen lassen . . . Dein Geld?«
»Mein Geheimniß gehört mir, und ich lasse es mir von Niemand nehmen; das Geld gehört Ihnen, und ich bringe es zurück.«
Hiebei öffnete Gilbert seine Weste und zog die dreißig Kassenbillets heraus, die er auf dem Tisch von Balsamo ausbreitete und pünktlich zählte.
Der Graf nahm sie und legte sie zusammen, während er beständig Gilbert beobachtete, dessen Gesicht nicht die geringste Gemüthsbewegung verrieth.
»Er ist ehrlich, er ist nicht geizig, er hat Geist, Festigkeit . . . Das ist ein Mann,« dachte er.
»Nun, Herr Graf,« sprach Gilbert, »nun habe ich Ihnen Rechenschaft über die zwei Louis d’or abzulegen, die Sie mir gegeben.«
»Uebertreibe nichts,« erwiederte Balsamo; »es ist schön, hunderttausend Thaler zurückzugeben, es ist kindisch, achtundvierzig Livres zurückgeben zu wollen.«
»Ich wollte sie Ihnen nicht zurückgeben, sondern nur Ihnen sagen, was ich mit diesen Louis d’or gemacht habe, damit Sie wüßten, ich brauche noch mehr.«
»Das ist etwas Anderes, Du verlangst also?«
»Ich bitte.«
»Wozu?«
»Um etwas von dem zu thun, was Sie so eben ein Wort nannten.«
»Gut. Du willst Dich rächen?«
»Ich glaube auf eine edle Weise.«
»Ich zweifle nicht daran, aber grausam, nicht wahr?«
»Das ist so.«
»Wie viel brauchst Du?«
»Zwanzigtausend Livres.«
»Und Du wirst diese junge Frau nicht berühren?«
»Ich werde sie nicht berühren.«
»Ihren Bruder?«
»Ebenso wenig, und auch ihren Vater nicht.«
»Du wirst sie nie verleumden?«
»Ich werde nie den Mund öffnen, um ihren Namen auszusprechen.«
»Gut, ich verstehe Dich, Doch es kommt am Ende auf Eines heraus, ob man eine Frau mit dem Stahl erdolcht, oder ob man sie durch beständige Verhöhnung tödtet . . . Du willst sie verhöhnen, indem Du Dich zeigst, indem Du ihr folgst, indem Du sie durch ein Lächeln voll Beleidigung und Haß niederbeugst.«
»Ich will so wenig von dem thun, was Sie sagen, daß ich im Gegentheil komme, um Sie, falls mich die Lust erfaßte, Frankreich zu verlassen, um ein Mittel zu bitten, über das Meer zu fahren, ohne daß es mich etwas kostet.«
»Meister Gilbert,« sprach Balsamo mit seinem zugleich scharfen und einschmeichelnden Ton, der jedoch weder Schmerz, noch Freude enthielt, »Meister Gilbert, mir scheint, Sie sind nicht consequent bei Ihrer Schaustellung von Uneigennützigkeit. Sie verlangen von mir zwanzigtausend Livres, und von diesen zwanzigtausend Livres können Sie nicht tausend nehmen, um sich einzuschiffen?«
»Nein, mein Herr, und zwar aus zwei Gründen.«
»Lassen Sie diese Gründe hören.«
»Einmal werde ich wirklich am Tag, wo ich mich einschiffe, nicht mehr einen Pfennig haben; denn merken Sie wohl, Herr Graf, nicht für mich bitte ich um diese Summe, sondern vielmehr, um einen Fehler wieder gut zu machen, den Sie mir erleichterten.«
»Ah! Du bist zähe!« rief Balsamo.
»Weil ich Recht habe; ich verlange das Geld, um gut zu machen, und nicht um zu leben oder mich zu trösten; nicht ein Sou von diesen zwanzigtausend Livres wird in meine Tasche fallen; sie haben ihre Bestimmung.«
»Dein Kind; ich sehe das . . .«
»Mein Kind, ja, mein Herr,« erwiederte Gilbert mit einem gewissen Stolz.
»Aber Du?«
»Ich, ich bin stark, frei und verständig; ich werde stets leben; ich will leben!«
»Oh! Du wirst leben! Nie hat Gott einen Willen von dieser Stärke Seelen gegeben, welche frühzeitig die Erde verlassen müßen. Gott kleidet warm die Pflanzen, welche langen Wintern trotzen sollen; er gibt stählerne Panzer den Herzen, welche lange Prüfungen durchzumachen haben. Doch Du hast, wie mir scheint, zwei Gründe angegeben, warum Dir keine tausend Livres übrig bleiben einmal das Zartgefühl.«
»Dann die Klugheit. An dem Tag, wo ich Frankreich verlasse, werde ich genöthigt sein, mich zu verbergen . . . Nicht also, indem ich einen Kapitän in einem Hafen aufsuche und ihm Geld gebe, denn ich denke, so macht man es, nicht, indem ich mich selbst verkaufe, wird es mir gelingen, mich zu verbergen.«
»Du nimmst also an, ich könne Dir verschwinden helfen?«
»Ich weiß, daß Sie es können.«
»Wer hat es Dir gesagt?«
»Oh! Sie haben über zu viel übernatürliche Mittel zu verfügen, um nicht auch das ganze Arsenal der natürlichen Mittel zu besitzen. Ein Zauberer ist nie seiner so sicher, daß er nicht irgend einen guten Rettungshafen hätte.«
»Gilbert,« sprach plötzlich Balsamo, indem er seine Hand über dem jungen Mann ausstreckte, »Du bist ein abenteuerlicher und kühner Geist; Du bist von Gutem und Schlimmem zusammengesetzt, wie ein Weib! Du bist stoisch und redlich, ohne Ziererei; ich werde aus Dir einen großen Mann machen; bleibe bei mir . . . Ich glaube, daß Du der Dankbarkeit fähig bist; bleibe hier, sage ich Dir, dieses Haus ist eine sichere Zufluchtstätte, überdies verlasse ich Europa in einigen Monaten, und nehme Dich dann mit.«
Gilbert horchte und erwiederte:
»In einigen Monaten würde ich nicht nein antworten, doch heute muß ich sagen: Ich danke, Herr Graf, Ihr Vorschlag ist blendend für einen Unglücklichen; doch ich weise ihn von mir.«
»Die Rache eines Augenblicks ist wohl nicht eine Zukunft von fünfzig Jahren werth.«
»Mein Herr, meine Phantasie oder meine Laune sind für mich immer mehr werth, als das Weltall, im Augenblick, wo ich diese Phantasie oder diese Laune habe. Ueberdies bleibt mir außer der Rache noch eine Pflicht zu erfüllen.«
»Hier sind Deine zwanzigtausend Livres,« sprach Balsamo ohne Zögern.
Gilbert nahm die zwei Kassenbillets, schaute seinen Wohlthäter an und sagte:
»Sie verbinden wie ein König.«
»Oh! besser, hoffe ich; denn ich verlange nicht einmal, daß man mir ein Andenken bewahrt.«
»Gut, doch ich bin dankbar, wie Sie vorhin sagten, und wenn meine Aufgabe erfüllt ist, werde ich Ihnen diese zwanzigtausend Livres bezahlen.«
»Wie dies?«
»Indem ich mich auf so viel Jahre in Ihren Dienst gebe, als ein Diener braucht, um seinem Herrn zwanzigtausend Livres zu bezahlen.
»Du bist auch diesmal unlogisch, Gilbert. Du sagtest mir vor einem Augenblick: ‚Ich verlange von Ihnen zwanzigtausend Livres, die Sie mir schuldig sind.’ «
»Das ist wahr; doch Sie haben mein Herz gewonnen.«
»Es freut mich,« sprach Balsamo ohne irgend einen Ausdruck, »Du wirft also mir gehören, wenn ich will?«
»Ja.«
»Was kannst Du thun?«
»Nichts; doch es liegt Alles in mir.«
»Richtig.«
»Ader ich will in meiner Tasche ein Mittel haben, Frankreich in zwei Stunden zu verlassen, wenn es nöthig wäre.«
»Ah! Du lassest meinen Dienst im Stich?«
»Ich werde zu Ihnen zurückzukehren im Stande sein.«
»Und ich werde Dich aufzufinden wissen. Doch machen wir ein Ende; das lange Sprechen ermüdet mich: rücke den Tisch vor.«
»Gut.«
»Reiche mir die Papiere, welche in jenem Carton sind.«
»Hier.«
Balsamo nahm die Papiere und las mit halber Stimme folgende Zeilen von einem Blatt, das mit drei Unterschriften, oder vielmehr mit drei seltsamen Schriftzügen bedeckt war.
»Am 15. December, im Havre, nach Boston, der Adonis.«
»Was denkst Du von Amerika, Gilbert?«
»Daß es nicht Frankreich ist, und daß es mir sehr angenehm sein wird, in einem gegebenen Augenblick über’s Meer nach irgend einem Land zu gehen, das nicht Frankreich ist.«
»Gut! . . . Ist der fünfzehnte December nicht der gegebene Augenblick, von dem Du sprichst?«
Gilbert rechnete nachdenkend an den Fingern und erwiederte dann:
»Ganz genau.«
Balsamo nahm eine Feder und schrieb auf ein weißes Blatt nur folgende zwei Zeilen:
»Nehmen Sie auf dem Adonis einen Passagier auf.
Joseph Balsamo.«
»Aber dieses Papier ist gefährlich,« sprach Gilbert, während er es anschaute, »und ich, der ich ein Lager suche, konnte wohl die Bastille finden.«
»Dadurch, daß man Geist hat, gleicht man oft einem Dummkopf,« sprach der Graf. »Der Adonis, mein lieber Herr Gilbert, ist ein Handelsschiff, dessen Hauptrheder ich bin.«
»Verzeihen Sie, Herr Graf,« sagte Gilbert sich verbeugend, »ich bin ein Elender, dem es zuweilen im Kopf schwindelt; doch nie zweimal hinter einander; verzeihen Sie und glauben Sie an meine ganze Dankbarkeit.«
»Gehen Sie, mein Freund.
»Leben Sie wohl, Herr Graf.«
»Auf Wiedersehen,« sprach Balsamo und drehte ihm den Rücken zu.
CLVII.
Die letzte Audienz
Im November, mehrere Monate nach den von uns erzählten Ereignissen, verließ Philipp von Taverney frühzeitig am Morgen für die Jahreszeit, nämlich beim Grauen des Tages, das Haus, das er mit seiner Schwester bewohnte. Schon waren unter den noch brennenden Laternen alle die kleinen Pariser Gewerbsthätigkeiten erwacht: die kleinen dampfenden Kuchen, welche der Krämer vom Land wie einen köstlichen Schmaus in der frischen Morgenluft verzehrt, die Tragekörbe, beladen mit Gemüsen, die Karren voll von Fischen und Austern, welche nach der Halle eilen . . . und in dieser Bewegung der fleißigen Menge herrschte eine Art von Zurückhaltung, den Arbeitern auferlegt durch die Achtung vor dem Schlaf der Reichen.
Philipp durchschritt eilig das volkreiche Quartier, das er bewohnte, um die ganz öden Champs- Elysées zu erreichen.
Die Blätter drehten sich vergelbt am Gipfel der Bäume; die meisten lagen ausgestreut in den Alleen des Cours-la-Reine, und zu dieser Stunde verlassen, waren die Kugelspiele unter dem dichten Teppich des rauschenden Blätterwerkes verborgen.
Der junge Mann trug, wie die wohlhabendsten Bürger von Paris, einen Frack mit breiten Schössen, ein Beinkleid und Strümpfe von Seide, und einen Degen; seine sehr sorgfältige Frisur bewies, daß er sich lange vor Tag den Händen des Perruquier, der höchsten Quelle aller Schönheit jener Zeit, überlassen hatte.
Als Philipp wahrnahm, daß der Morgenwind seine Frisur in Unordnung zu bringen und den Puder zu zerstreuen anfing, schaute er auch mit einem höchst mißvergnügten Blick in der Allee der Champs-Elysée umher, um zu scheu, ob sich nicht schon einer von den für den Dienst auf dieser Straße bestimmten Miethwagen auf den Weg begeben habe.
Er wartete nicht lange; ein abgenutzter, anbrüchiger, verwitterter, von einer magern isabellfarbigen Stute gezogener Wagen fing an auf dem Wege einherzuholpern; mit wachsamem, verdrießlichem Auge suchte sein Kutscher in der Ferne einen Reisenden unter den Bäumen, wie einst Aeneas eines von seinen Schiffen auf den Wellen des thyrenischen Meeres.
Als der Automedon Philipp erblickte, ließ er seine Stute die Peitsche kräftiger fühlen, so daß der Wagen bald den Reisenden einholte.
»Richtet es so ein, daß ich auf den Punkt neun Uhr in Versailles bin, und Ihr sollt einen halben Thaler bekommen.« sagte Philipp zu dem Kutscher.
Philipp hatte wirklich um neun Uhr bei der Dauphine eine von den Morgenaudienzen, die sie zu geben anfing. Die Prinzessin, welche frühzeitig aufstand und sich aller Gesetze der Etiquette überhob, pflegte am Morgen die Arbeiten zu besuchen, die sie in Trianon ausführen ließ, und wenn sie auf ihrem Weg die Bittsteller fand, denen sie eine Audienz bewilligt hatte, verhandelte sie mit ihnen rasch mit einer Geistesgegenwart und einer Freundlichkeit, welche die Würde, zuweilen sogar den Stolz, nicht ausschloßen, sobald sie wahrnahm, daß man sich in den Ergüssen ihres Zartgefühls täuschte.
Philipp hatte Anfangs beschlossen, den Weg zu Fuß zu machen, denn er war auf die härteste Einschränkung angewiesen; doch das Gefühl der Eitelkeit, oder vielmehr nur das einer Achtung, welche jeder Militär dem Oberen gegenüber nie für sein Aeußeres verliert, nöthigte den Zungen Mann, einen Tag der Ersparnisse zu verwenden, um sich in anständiger Kleidung nach Versailles zu begeben.
Philipp gedachte zu Fuß zurückzukehren. Von zwei entgegengesetzten Punkten ausgehend, begegneten sich der Patricier Philipp und der Plebejer Gilbert, wie man sieht, auf derselben Stufe der Leiter.
Philipp sah wieder mit gepreßtem Herzen dieses ganze magische Versailles, wo so viele goldene und rosige Träume ihn mit ihren Verheißungen bezaubert hatten. Er sah wieder mit gebrochenem Herzen Trianon, eine Erinnerung des Unglücks und der Schmach. Auf den Schlag neun Uhr ging er, versehen mit seinem Audienzbrief, längs dem kleinen Blumenbeet bei den Zugängen des Pavillon hin.
Er erblickte in einer Entfernung von ungefähr hundert Schritten die Prinzessin, welche, obgleich das Wetter nicht kalt war, in einen Marderpelz gehüllt, mit ihrem Baumeister sprach; einem kleinen Hut auf dem Kopf, wie die Damen von Watteau, trat die Gestalt der jungen Dauphine auf den Reihen der Bäume hervor. Zuweilen gelangte der Ton ihrer silbernen, vibrirenden Stimme bis zu Philipp und erregte in ihm Gefühle, welche gewöhnlich Alles verwischen, was in einem verwundeten Herzen Kummer ist.
Mehrere Personen, denen, wie Philipp, Audienzen bewilligt waren, zeigten sich nach und nach vor der Thüre des Pavillon, in dessen Vorzimmer ein Huissier sie holte, wenn die Reihe sie traf. Diese Personen stellten sich am Weg der Prinzessin auf, so oft sie mit Mique in verkehrter Richtung zurückkam, und empfingen ein Wort von Marie Antoinette oder sogar die besondere Gunst einiger einzeln ausgetauschten Worte.
Dann wartete die Prinzessin, bis sich ein anderer Besuch zeigte.
Philipp war der letzte. Er hatte schon die Augen der Prinzessin sich nach ihm wenden sehen, als suchte sie ihn zu erkennen; da erröthete er und war bemüht, an seinem Platz die bescheidenste und geduldigste Haltung anzunehmen.
Endlich kam der Huissier und fragte ihn, ob er nicht auch vortrete, da die Prinzessin bald in ihre Wohnung zurückkehren werde und, einmal zurückgekehrt, Niemand mehr empfange.
Philipp trat also vor. Die Dauphine verlor ihn, während der ganzen Zeit, die er brauchte, um die Entfernung von hundert Schritten zurückzulegen, nicht aus dem Blick, und er wählte den günstigsten Moment, um seine ehrfurchtsvolle Verbeugung gut anzubringen.
Die Dauphine wandte sich gegen den Huissier um und fragte:
»Wie ist der Name dieses Herrn?«
Der Huissier las den Audienzzettel und erwiederte:
»Herr Philipp von Taverney,
»Es ist wahr,« sprach die Prinzessin . . . Und sie heftete auf den jungen Mann einen längeren und neugierigeren Blick.
Philipp wartete halb gebückt.
»Guten Morgen, Herr von Tavernay,« sagte Marie Antoinette. »Wie befindet sich Fräulein Andrée?«
»Ziemlich schlecht, Madame,« erwiederte der junge Mann; »doch meine Schwester wird sehr glücklich über diesen Beweis der Theilnahme sein, die ihr Eure königliche Hoheit zu bezeigen geruht.«
Die Dauphine antwortete nicht; sie hatte viel Leiden in dem abgemagerten, bleichen Gesicht von Philipp gelesen; sie erkannte sehr schwer unter dem bescheidenen Kleid des Bürgers den schönen Officier, der ihr zuerst auf dem Boden Frankreichs als Führer gedient hatte.
»Herr Mique,« sagte sie, indem sie sich dem Baumeister näherte, »wir sind also über die Verzierung des Tanzsaales einverstanden; die Anlage des nahen Gehölzes ist entschieden. Verzeihen Sie mir, daß ich Sie so lange in der Kälte aufgehalten habe.«
Dies war der Abschied. Mique verbeugte sich und ging weg.
Die Dauphine grüßte sogleich alle Personen, welche in der Entfernung warteten, und diese zogen sich schleunigst zurück. Philipp glaubte, dieser Gruß betreffe auch ihn wie die Andern, und schon litt sein Herz, als die Prinzessin an ihm vorüberging und zu ihm sprach:
»Sie sagten, mein Herr, Ihre Schwester sei krank?«
»Wenn nicht krank, Madame, doch wenigstens angegriffen,« erwiederte Philipp rasch.
»Angegriffen!« rief die Dauphine mit Theilnahme; »eine so schöne Gesundheit!«
Philipp verbeugte sich. Die junge Prinzessin warf ihm einen von jenen forschenden Blicken zu, wie man sie bei einem Mann von ihrem Stamm, einen Adlerblick genannt hätte. Dann nach einer Pause sagte sie:
»Erlauben Sie, daß ich ein wenig gehe, der Wind ist kalt.«
Sie machte einige Schritte; Philipp blieb an seinem Platz.
»Wie! Sie folgen mir nicht,« rief Marie Antoinette sich umwendend.
Philipp war mit zwei Sprüngen neben ihr.
»Warum haben Sie mich denn nicht früher von dem Zustand von Fräulein Andrée unterrichtet, für die ich mich interessirte?«
»Ach!« rief Philipp, »Eure Hoheit hat das rechte Wort gesprochen . . . Eure Hoheit interessirte sich für meine Schwester . . . aber nun . . .«
»Ich interessire mich noch für sie, mein Herr . . . doch mir scheint, Fräulein von Taverney hat meinen Dienst sehr frühzeitig verlassen.«
»Die Nothdurft. Madame,« sagte Philipp ganz leise.
»Wie! dieses Wort ist gräßlich; die Nothdurft! . . . Erklären Sie mir dieses Wort, mein Herr.«
Philipp antwortete nicht.
»Der Doctor Louis,« fuhr die Dauphine fort, »hat mir erzählt, die Luft von Versailles sei nachtheilig für die Gesundheit von Fräulein von Taverney; diese Gesundheit würde sich durch den Aufenthalt im väterlichen Hause wiederherstellen . . . Dies ist Alles, was man mir gesagt hat . . . Ihre Schwester machte mir einen einzigen Besuch vor ihrer Abreise. Sie war bleich, sie war traurig; ich muß gestehen, daß sie viel Ergebenheit für mich bei diesem letzten Zusammensein kundgab, denn sie vergoß reichliche Thränen.«’
»Aufrichtige Thränen, Madame,« sprach Philipp, dessen Herz gewaltig schlug, »Thränen, welche nicht vertrocknet sind.«
»Ich glaubte zu sehen,« fuhr die Prinzessin fort, »Ihr Herr Vater habe seine Tochter genöthigt, an den Hof zu gehen, und dieses Kind sehne sich ohne Zweifel nach Ihrer Heimath, irgend eine Zuneigung . . .«
»Madame,« entgegnete Philipp hastig, »meine Schwester sehnt sich nur nach Eurer Hoheit.«
»Und sie leidet . . . Eine seltsame Krankheit, welche von der Luft der Heimath geheilt werden sollte, und nun von der Luft der Heimath erschwert wird.«
»Ich werde Eure Hoheit nicht täuschen,« sagte Philipp; »die Krankheit meiner Schwester ist ein tiefer Kummer, welcher sie in einen Zustand versetzt hat, der an die Verzweiflung grenzt, Fräulein von Taverney liebt jedoch nichts in der Welt, als Eure Hoheit und mich! doch sie fängt an, Gott allen Zuneigungen vorzuziehen und bei der Audienz, um die ich nachzusuchen die Ehr! gehabt habe, Madame, beabsichtigte ich, Sie um Ihre Protection in Beziehung auf diesen Wunsch meiner Schwester zu bitten.«
Die Dauphine schaute empor.
»Sie will in ein Kloster treten, nicht wahr?«
»Ja, Madame.«
»Und Sie werden das dulden, Sie, der Sie dieses Kind lieben?«
»Ich glaube ihre Lage vernünftig zu beurtheilen, Madame, und dieser Rath rührt von mir her. Ich liebe jedoch meine Schwester so sehr, daß mein Rath nicht verdächtig sein kann, und daß ihn die Welt nicht dem Geiz zuschreiben wird. Ich habe nichts dabei zu gewinnen, daß Andrée in’s Kloster tritt, denn wir besitzen Beide nichts.«
Die Dauphine blieb stehen, warf abermals verstohlen einen Blick auf Philipp und sprach dann:
»Das meinte ich so eben, als Sie mich nicht verstehen wollten, mein Herr; Sie sind nicht reich?«
»Eure Hoheit . . .«
»Keine falsche Scham, mein Herr; es handelt sich um das Glück dieses armen Mädchens; antworten Sie mir aufrichtig, wie ein ehrlicher Mann, was Sie sicherlich sind.«
Das glänzende, redliche Auge von Philipp begegnete dem der Prinzessin und senkte sich nicht.
»Ich werde antworten, Madame,« sprach er.
»Nun! will Ihre Schwester aus Nothdurft diese Welt verlassen? Sie spreche! Guter Gott! die Fürsten sind unglücklich . . . Gott hat ihnen ein Herz gegeben, das Mißgeschick zu beklagen, aber er hat ihnen jene hehre Scharfsichtigkeit verweigert, die das Unglück unter dem Schleier der Verschämtheit erräth. Antworten Sie also offenherzig: ist es das?«
»Nein. Madame,« antwortete Philipp mit Festigkeit; »doch meine Schwester wünscht in das Kloster von Saint-Denis einzutreten, und wir besitzen nur das Drittel der Mitgift.«
»Die Mitgift beträgt sechzigtausend Livres!« rief die Prinzessin; »Sie haben also nur zwanzigtausend Livres?«
»Kaum, Madame; doch wir wissen, daß Eure Hoheit mit einem Wort und ohne die Börse zu ziehen, eine Kostgängerin in’s Kloster bringen kann.«
»Gewiß kann ich das.«
»Das ist die einzige Gnade, um die ich Eure Hoheit zu bitten wage, wenn sie nicht schon Jemand ihre Vermittlung bei Frau Louise von Frankreich zugesagt hat.«
»Sie versetzen mich in ein seltsames Erstaunen,« sprach Marie Antoinette; »wie! in meiner Nähe so viel edle Armuth! Ei! Oberster, es ist schlimm, daß man mich so getäuscht hat.«
»Ich bin nicht Oberster, Madame,« erwiederte Philipp mit sanftem Tone: »ich bin nichts als ein ergebener Diener Eurer Hoheit.«
»Nicht Oberster, sagen Sie? Und seit wann?«
»Ich bin es nie gewesen, Madame.«
»Der König hat in meiner Gegenwart ein Regiment für Sie versprochen . . .«
»Dessen Patent nie ausgefertigt worden ist.«
»Aber Sie hatten einen Grad . . .«
»Den ich aufgegeben habe, weil ich in Ungnade gefallen bin, Madame.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht.«
»Oh!« rief die Dauphine mit tiefer Traurigkeit, »oh! der Hof!«
Da lächelte Philipp schwermüthig und sprach:
»Sie sind ein Engel des Himmels, Madame, und ich bedaure es ungemein, daß ich nicht dem Hause Frankreich diene, um Gelegenheit zu haben, für Sie zu sterben.«
Ein so lebhafter und so glühender Blitz zuckte in den Augen der Dauphine, daß Philipp sein Gesicht in seinen Händen verbarg. Die Prinzessin suchte ihn nicht einmal zu trösten, oder dem Gedanken zu entziehen, der ihn in diesem Augenblick beherrschte.
Stumm und mühsam athmend, entblätterte sie ein paar bengalische Rosen, die sie mit ihrer nervigen, unruhigen Hand von ihrem Stängel riß.
Philipp kam wieder zu sich und sprach:
»Wollen Sie mir vergeben, Madame.«
Marie Antoinette erwiederte nichts auf diese Worte.
»Ihre Schwester wird schon morgen, wenn sie will, in Saint-Denis eintreten,« sagte sie mit fieberhafter Hast, »und Sie, Sie stehen in einem Monat an der Spitze eines Regiments.«
»Madame, wollen Sie noch die Gnade haben, mich in meinen letzten Erklärungen anzuhören?« erwiederte Philipp. »Meine Schwester nimmt die Wohlthat Eurer königlichen Hoheit an, ich muß sie ausschlagen.«
»Sie schlagen es aus?«
»Ja, Madame, ich habe eine Schmach vom Hof erlitten . . . Die Feinde, die sie über mich verhängten, würden Mittel finden, mich noch stärker zu treffen, sollten sie mich höher gestellt sehen.«
»Wie! selbst mit meiner Protection?«
»Besonders mit Ihrer huldreichen Protection, Madame,« antwortete Philipp entschieden.
»Es ist wahr!« murmelte die Prinzessin erbleichend.
»Und dann, Madame; nein . . . ich vergaß, ich vergaß, indem ich mit Ihnen sprach, daß es kein Glück mehr auf Erden gibt; . . . ich vergaß, daß ich, in den Schatten zurückgetreten, diesen nicht mehr verlassen darf: im Schatten betet ein Mensch von Herz und erinnert sich.«
Philipp sprach diese Worte mit einem Ton, der die Prinzessin beben machte.
»Es wird ein Tag kommen,« sagte sie, »wo ich das Recht habe, auszusprechen, was ich in diesem Augenblick nur denken darf. Mein Herr, Ihre Schwester kann, wann es ihr beliebt, in Saint-Denis eintreten.«
»Ich danke, Madame, ich danke.«
»Was Sie betrifft . . . ich will, daß Sie eine Bitte an mich richten . . .«
»Aber, Madame . . .«
»Ich will es.«
Philipp sah die behandschuhte Hand der Prinzessin sich gegen ihn senken; diese Hand blieb wie in der Erwartung schweben; vielleicht drückte sie den Willen aus.
Der junge Mann kniete nieder, nahm die Hand und legte langsam, mit angeschwollenem, zitterndem Herzen seine Lippen darauf.
»Lassen Sie Ihre Bitte hören,« sagte die Dauphine so bewegt, daß sie ihre Hand nicht zurückzog.
Philipp beugte das Haupt. Eine Woge bitterer Gedanken überfluthete ihn, wie den Schiffbrüchigen im Sturm. . . . Er blieb einige Secunden stumm und unbeweglich, dann erhob er sich, entfärbt und die Augen erloschen, und sagte:
»Einen Paß, um Frankreich an dem Tag zu verlassen, an dem meine Schwester in das Kloster von Saint-Denis eintreten wird.«
Die Dauphine wich wie erschrocken zurück; dann, als sie diesen ganzen Schmerz sah, den sie ohne Zweifel begriff, den sie vielleicht theilte, fand sie nichts Anderes zu erwiedern, als die beinahe unverständlichen Worte:
»Es ist gut!«
Und sie verschwand in einer Allee von Cypressen, den einzigen Bäumen, welche unversehrt ihr ewiges Blätterwerk, den Schmuck der Gräber, bewahrt hatten.