Kitabı oku: «Königin Margot», sayfa 15
XVII.
Der Zunftgenosse von Meister Ambroise Paré
Der Karren, in welchen man Coconnas und La Mole gelegt hatte, schlug im Schatten der Gruppe folgend, die ihm als Führer diente, den Weg nach Paris ein. Er hielt im Louvre an und der Eigenthümer desselben empfing eine reiche Belohnung. Man ließ die zwei Verwundeten zu dem Herzog von Alençon bringen und schickte nach Meister Ambroise Paré.
Als er erschien, war weder der Eine noch der Andere zu sich gekommen.
La Mole war am wenigsten von Beiden verwundet. Der Degenstich hatte ihn unterhalb der rechten Achsel getroffen, aber kein wesentliches Organ verletzt. Coconnas dagegen war die Lunge durchstochen worden, und der Hauch, der aus der Wunde hervorkam, machte das Licht einer Kerze schwanken. Meister Ambroise bürgte nicht für Coconnas.
Frau von Nevers war in Verzweiflung. Sie hatte im Vertrauen auf die Kraft, auf die Gewandtheit und den Muth des Piemontesen Margarethe verhindert, sich dem Kampfe zu widersetzen. Sie hätte gerne Coconnas nach dem Hotel Guise bringen lassen, um bei dieser zweiten Gelegenheit die Pflege der ersteren zu erneuern; aber in Folge besonderer Ereignisse konnte ihr Gemahl jeden Augenblick von Rom eintreffen, und er würde wohl die Einquartierung eines Fremden in dem ehelichen Gemache sehr seltsam gefunden haben.
Um die Ursache der Wunden zu verbergen, hatte Margarethe die zwei jungen Leute zu ihrem Bruder bringen lassen, wo übrigens der Eine bereits einquartiert war, unter dem Vorgeben, es seien zwei Edelleute, welche bei dem Spazierritte vom Pferde gestürzt. Aber die Wahrheit verbreitete sich rasch durch die Bewunderung des Kapitäns, der Zeuge des Kampfes gewesen war, und man wußte bald bei Hofe, daß zwei neue Sterne am Horizont des Ruhmes aufgingen.
Gepflegt von demselben Arzte, welcher seine Bemühungen unter ihnen theilte, durchliefen die zwei Verwundeten die verschiedenen Phasen der Wiederherstellung, wie sie aus dem mehr oder minder schweren Grade ihrer Verwundung hervorgingen. La Mole gelangte, minder schwer getroffen, zuerst wieder zum Bewußtsein. Was Coconnas betrifft, so hatte sich desselben ein furchtbares Fieber bemächtigt, und seine Rückkehr zum Leben gab sich durch alle Zeichen des heftigsten Deliriums kund.
Obgleich in demselben Zimmer mit Coconnas eingeschlossen, hatte doch La Mole, als er wieder zu sich kam, seinen Gefährten nicht gesehen oder wenigstens durch kein Zeichen angedeutet, daß er ihn sah. Coconnas dagegen, als er die Augen wieder öffnete, heftete sie auf La Mole, und zwar mit einem Ausdrucke, der zum Beweise dienen konnte, daß das Blut, welches der Piemontese verloren, durchaus nicht die Leidenschaften dieses feurigen Temperaments vermindert hatte. Coconnas dachte, er träume und in seinen Träumen finde er den Feind wieder, den er zweimal getödtet zu haben wähnte; nur dehnte sich der Traum über die Maßen aus. Nachdem er La Mole liegend, wie er selbst, durch denselben Wundarzt verbunden, wie er auch gesehen hatte, sah er La Mole, sich in dem Bette erheben, an welches er noch durch das Fieber, den Schmerz und die Schwäche gefesselt war, dann heraussteigen, dann am Arme eines Wundarztes gehen, dann an einem Stocke gehen und endlich allein gehen.
Immer noch delirend, betrachtete Coconnas die verschiedenen Perioden der Genesung seines Gefährten bald mit einem stumpfen, bald mit einem wüthenden, stets aber drohenden Blicke.
Alles dies bot dem glühenden Geiste des Piemontesen eine furchtbare Mischung von Phantastischem und Wirklichem. Für ihn war La Mole todt, ganz todt, und sogar eher zweimal als einmal, und dennoch erkannte er den Schatten dieses La Mole in einem dem seinigen ähnlichen Bette liegend. Dann sah er, wie gesagt, den Schatten sich erheben, den Schatten gehen und grässlicher Weise auf sein Bett zuschreiten. Dieser Schatten, vor dem sich Coconnas gerne geflüchtet hatte, und wäre es in die Tiefe der Hölle gewesen, kam gerade auf ihn zu, stellte sich an sein Kopfkissen und schaute ihn an. Es lag sogar in seinen Gesichtszügen ein Gefühl der Sanftmuth und des Mitleids, das Coconnas für den Ausdruck teuflischen Spottes hielt.
Dann entzündete sich in diesem Geiste, der vielleicht noch mehr krank war, als der Körper, eine blinde Leidenschaft der Rache. Coconnas hatte nur noch einen Gedanken, den, sich irgend eine Waffe zu verschaffen und mit dieser Waffe den Körper oder den Schatten von La Mole zu treffen, der ihn so grausam peinigte. Man hatte seine Kleider auf einen Stuhl gelegt und dann weggenommen, denn sie waren ganz mit Blut befleckt, und man hielt es deshalb für geeignet, sie von dem Verwundeten zu entfernen. Aber man hatte auf demselben Stuhle einen Dolch liegen lassen, in der Voraussetzung, er würde in langer Zeit nicht mehr Lust bekommen, sich desselben zu bedienen. Coconnas sah den Dolch; den Augenblick benutzend, wo La Mole schlief, versuchte er es drei Nächte hinter einander, die Hand nach der Waffe auszustrecken; dreimal gebrach es ihm an Kraft, und er fiel in Ohnmacht. Endlich in der vierten Nacht erreichte er den Dolch, ergriff ihn mit den Spitzen seiner sich krampfhaft zusammenziehenden Finger und verbarg ihn, einen Seufzer des Schmerzes ausstoßend, unter seinem Kopfkissen.
Um andern Morgen sah er etwas bis jetzt Unerhörtes. Der Schatten von La Mole, welcher jeden Tag neue Kräfte zu gewinnen schien, während er, unablässig mit der furchtbaren Erscheinung beschäftigt, die seinigen in dem ewigen Gewebe des Planes aufbrauchte, der ihn von derselben befreien sollte, … der Schatten von La Mole machte, immer rüstiger werdend, ein paar Gänge durch das Zimmer, befestigte sodann seinen Mantel auf der Schulter, gürtete sein Schwert um, setzte einen breitkrämpigen Hut auf den Kopf, öffnete die Thüre und ging hinaus.
Coconnas athmete: er glaubte sich von seinem Phantome befreit. Zwei oder drei Stunden lang kreiste sein Blut ruhiger und frischer in seinen Adern, als dies je seit dem Augenblicke des Zweikampfes der Fall gewesen war. Ein Tag Abwesenheit von La Mole hätte Coconnas das Bewußtsein wiedergegeben, acht Tage würden ihn vielleicht völlig geheilt haben. Unglücklicher Weise kehrte La Mole nach ein paar Stunden zurück.
Diese Rückkehr war für den Piemontesen ein wahrer Dolchstoß, und obgleich La Mole nicht allein erschien, so hatte doch Coconnas keinen Blick für seinen Gefährten.
Sein Gefährte verdiente es jedoch wohl, daß man ihn anschaute.
Es war ein Mann von etwa vierzig Jahren, kurz, untersetzt, kräftig, mit schwarzen Haaren, welche bis auf seine Augenlider herabfielen, und mit einem Barte, der gegen die Mode der Zeit den ganzen unteren Theil seines Gesichtes bedeckte; aber der Fremde schien sieh wenig um die Mode zu bekümmern. Er trug einen ganz mit braunen Flecken besprengten ledernen Leibrock, blutrothe Hosen, große Lederstiefeln, eine Mütze von derselben Farbe wie die Hosen und einen breiten Gürtel um die Hüften, an welchem ein in seiner Scheide verborgenes Messer hing.
Diese seltsame Person, deren Gegenwart im Louvre als eine große Abweichung von der Regel erscheinen mußte, warf auf einen Stuhl den braunen Mantel, in den sie gehüllt war, und näherte sich auf eine plumpe Weise dem Bette von Coconnas, dessen Augen wie durch ein Zauberwerk beständig auf La Mole geheftet blieben, der in einiger Entfernung stille stand. Der Fremde schaute den Kranken an, schüttelte den Kopf und sagte:
»Ihr habt sehr lange gewartet, mein Herr.«
»Ich konnte nicht früher ausgehen,« versetzte La Mole.
»Ei, bei Gott, Ihr hättet mich müssen holen lassen.«
»Durch wen?«
»Ah! das ist wahr. Ich vergaß, wo wir sind. Ich sagte es diesen Damen, aber sie wollten nicht auf mich hören. Hätte man meine Verordnungen befolgt, statt sich an die des erzdummen Esels zu halten, den man Ambroise Paré nennt, so wäret Ihr längst im Stande, mit einander Abenteuern nachzulaufen oder Euch wieder einen Degenstich zu geben, wenn es Euch gefiele; nun, man wird sehen. Gibt er der Vernunft Gehör, Euer Freund?«
»Nicht sehr.«
»Streckt die Zunge heraus, mein Herr.«
Coconnas streckte seine Zunge gegen La Mole mit einer so furchtbaren Geberde heraus, daß der Unbekannte zum zweiten Male den Kopf schüttelte.
»Oho!« murmelte er, »Zusammenziehen der Muskeln, es ist keine Zeit zu verlieren. Diesen Abend werde ich Euch einen Trank schicken, den man ihm in drei Dosen von Stunde zu Stunde eingehen mußt; zum ersten Male um Mitternacht, zum zweiten Male um ein Uhr zum dritten Male um zwei Uhr.
»Gut.«
»Aber wer wird ihm den Trank eingehen?«
»Ich.«
»Ihr selbst?«
»Ja.«
»Ihr gebt mir Euer Wort?«
»So wahr ich ein Edelmann bin.«
»Und wenn irgend ein Arzt die geringste Portion davon nehmen wollte, um ihn zu zersetzen und zu sehen, aus welchen Ingredienzien er besteht?«
»So würde ich ihn bis auf den letzten Tropfen ausschütten.«
»Ebenfalls aus Edelmanns-Wort?«
»Ich schwöre es Euch!«
»Durch wen soll ich Euch diesen Trank schicken?«
»Durch wen Ihr wollt.«
»Aber mein Abgesandter …«
»Nun?«
»Wie wird er bis zu Euch dringen?«
«Dafür ist vorhergesehen. Er soll sagen, er komme im Auftrage von Herrn René, dem Parfumeur.«
»Dem Florentiner, welcher am Pont Saint-Michel wohnt?«
»Allerdings, er hat zu jeder Stunde des Tages und der Nacht Eintritt im Louvre.«
Der Mann lächelte und versetzte:
»In der That, das ist das Geringste, was ihm die Königin Mutter schuldig ist. Man kommt also im Auftrage von Meister René, dem Parfumeur. Ich kann wohl einmal seinen Namen annehmen, denn er hat oft ohne das Patent dazu mein Gewerbe ausgeübt.«
»Nun wohl, ich zähle auf Euch,« sagte La Mole.
»Zählt auf mich.«
»Was die Bezahlung betrifft …«
»Oh, wir werden das mit diesem Herrn ordnen, wenn er wieder auf den Beinen ist.«
»Seid unbesorgt, ich glaube, er wird im Stande sein, Euch edelmüthig zu belohnen.«
»Ich glaube es auch; da es jedoch nicht die Gewohnheit der Leute ist, die mit mir zu thun haben, dankbar zu sein,« fügte er mit einem seltsamen Lächeln bei, »so würde ich mich nicht wundern, wenn er, einmal auf den Beinen, mich vergäße oder sich nicht darum kümmerte, meiner zu gedenken.«
»Gut, gut,« sagte La Mole, ebenfalls lächelnd, »in diesem Falle bin ich da, um ihm das Gedächtnis aufzufrischen.«
»Es sei, in zwei Stunden habt Ihr den Trank.«
»Auf Wiedersehen.«
»Ihr sagt?«
»Auf Wiedersehen.«
Der Mann lächelte.
»Ich,« versetzte er, »ich habe die Gewohnheit, stets: Gott befohlen! zu sagen. Gott befohlen, also, Herr de La Mole. In zwei Stunden habt Ihr Euern Trank. Ihr versteht, er muß um Mitternacht in drei Dosen von Stunde zu Stunde genommen werden.«
Hiernach entfernte er sich und La Mole blieb allein mit Coconnas.
Coconnas hatte dieses ganze Gespräch gehört, aber nichts davon begriffen. Ein leeres Geräusch von Reden, ein hohles Geklapper von Worten war bis zu ihm gedrungen. Von der ganzen Unterredung hatte er nichts behalten, als das Wort Mitternacht. »
Er fuhr also fort, mit seinem glühenden Blicke La Mole zu verfolgen, der in dem Zimmer blieb und träumerisch auf und abging.
Der unbekannte Doktor hielt Wort und schickte zur beizeichneten Stunde den Trank, welchen La Mole auf ein kleines silbernes Rechaud stellte. Als diese Vorsichtsmaßregel getroffen war, legte er sich nieder.
Diese Handlung von La Mole verlieh Coconnas etwas Ruhe. Er suchte ebenfalls die Augen zu schließen; aber seine fieberhafte Schlaftrunkenheit war nur eine Folge seines delirenden Wachens. Dasselbe Phantom, das ihn am Tage verfolgte, jagte ihn auch in der Nacht auf. Durch seine trockenen Augenlider sah er fortwährend La Mole, stets spöttisch, stets drohend. Dann wiederholte eine Stimme in sein Ohr: »Mitternacht! Mitternacht! Mitternacht!«
Plötzlich erwachte die vibrirende Glocke und schlug zwölf Mal. Coconnas öffnete seine entflammten Augen; der glühende Hauch seiner Brust verzehrte seine trockenen Lippen; ein unauslöschlicher Durst quälte seinen entzündeten Schlund; die kleine Nachtlampe brannte wie gewöhnlich und ihr matter Schimmer ließ tausend Phantom vor den schwankenden Blicken von Coconnas tanzen.
Er sah … furchtbare Erscheinung! La Mole aus seinem Bette steigen und, nachdem er zweimal im Zimmer auf und abgegangen war, wie es der Sperber vor dem Vogel thut, den er blendet, ihm die Faust zeigend auf sein Bett zugehen.
Coconnas streckte seine Hand nach seinem Dolche aus, ergriff ihn beim Hefte und schickte sich an, seinem Feinde den Bauch aufzuschlitzen.
La Mole näherte sich immer mehr.
Coconnas murmelte:
»Ah, Du bist es, abermals Du, immer Du! Komm doch. Ah! Du drohst, Du zeigst mir die Faust, Du lächelst? komm, kommt Ah! Du schleichst Dich sachte, Schritt für Schritt, immer näher! Komm doch, daß ich Dich niederbohre!«
Die Geberde mit dieser dumpfen Drohung verbinden, ließ Coconnas wirklich in dem Augenblick, wo sich La Mole zu ihm herabneigte, unter seinen Betttüchern den Blitz einer Klinge hervorspringen; aber die Anstrengung des Piemontesen, als er sich erhob, lähmte seine Kräfte, der nach La Mole ausgestreckte Arm hielt auf halbem Wege inne, der Dolch entschlüpfte seiner schwachen Hand, und der Sterbende fiel auf das Kopfkissen zurück.
»Ruhig, ruhig,« murmelte La Mole, sanft den Kopf emporhebend und eine Tasse seinen Lippen nähernd, »trinkt dies, mein armer Kamerad, denn Ihr brennt.«
Es war wirklich eine Tasse, was La Mole Coconnas darbot und was dieser für die drohende Faust hielt, worüber sich das leere Gehirn des Verwundeten so sehr erhitzt hatte.
Aber bei der weichen Berührung des wohlthätigen Trankes, welcher seine Lippen besuchten und seine Brust erfrischte, erhielt Coconnas seine Vernunft oder vielmehr seinen Instinkt wieder. Er fühlte, wie sich ein Wohlbehagen in ihm verbreitete, das er nie zuvor empfunden hatte, öffnete sein gescheites Auge auf La Mole, der ihn in seinen Armen hielt und ihm zulächelte, und aus diesem kaum zuvor noch von einer düsteren Wuth zusammengezogenen Auge rollte eine unmerkliche Thräne auf seine glühende Wange, welche sie gierig auffaßte.
»Mordi!« murmelte Coconnas, auf sein Kopfkissen zurücksinkend, »wenn ich entkomme, Herr de La Mole, so sollt Ihr mein Freund werden.«
»Ihr werdet entkommen, mein Kamerad, wenn Ihr drei Tassen wie die, welche ich Euch so eben gegeben, trinken und keine so abscheuliche Träume mehr machen wollt.«
Eine Stunde nachher stand La Mole, der nun Krankenwärter geworden war und pünktlich den Vorschriften des unbekannten Doktors folgte, zum zweiten Male auf, goß abermals eine Portion von dem Tranke in eine Tasse und brachte diese Coconnas. Diesmal aber empfing ihn der Piemontese, statt ihn mit dem Dolche in der Hand zu erwarten, mit offenen Armen und leerte den Trank mit Entzücken. Dann entschlummerte er zum ersten Male mit einiger Ruhe.
Die dritte Tasse brachte eine nicht minder wunderbare Wirkung hervor. Die Brust des Kranken fing an, einen regelmäßigen, obgleich noch keuchenden, Athem von sich zu geben. Seine steifen Glieder streckten sich aus, eine wohlthätige Feuchtigkeit verbreitete sich auf der Oberfläche der brennenden Haut, und als am andern Morgen Meister Ambroise Paré den Verwundeten besuchte, lächelte er zufrieden und sagte:
»Von diesem Augenblicke stehe ich für Herrn von Coconnas, und dies wird keine von den am mindesten schönen Curen sein, die ich gemacht habe.«
Aus dieser halb dramatischen, halb burlesken Scene, der es jedoch nicht an einer gemüthlichen Poesie fehlte, in Betracht der wilden Sitten von Coconnas, ging hervor, daß die Freundschaft der zwei Edelleute, welche in dem Gasthofe zum Schönen Gestirne begonnen hatte und gewaltsam durch die Ereignisse der Bartholomäusnacht unterbrochen worden war, von da an mit neuer Gewalt wieder entstand und bald sich zu einem höheren Grade emporschwang, als die von Orestes und Pylades.
Alte und neue, tiefe und leichte Wunden befanden sich endlich auf dem Wege der Heilung. Zuerst wiederhergestellt, wollte La Mole, seiner Krankenwärtersendung getreu, das Zimmer nicht verlassen, bis Coconnas völlig geheilt wäre. Er hob ihn in seinem Bette auf, so lange ihn seine Schwäche noch daran fesselte; er half ihm gehen, als er sich aufrecht zu halten anfing; kurz, er hatte für ihn jede Sorgfalt, die ihm seine liebende, sanfte Natur eingab, und die, unterstützt von dem kräftigen Körper des Piemontesen, eine raschere Wiedergenesung herbeiführte, als man dies zu hoffen berechtigt war.
Ein und derselbe Gedanke quälte jedoch die zwei jungen Leute. Jeder hatte in seinem Fieberwahne geglaubt, er sehe die Frau, welche sein ganzes Herz erfüllte, sich seinem Bette nähern. Aber seitdem jeder das Bewußtsein wieder erlangt hatte, kam er zur Erkenntniß, daß weder Margarethe noch Frau von Nevers das Zimmer betreten hatte. Uebrigens war dies leicht begreiflich: konnten sie, die Eine die Gemahlin des Königs von Navarra, die Andere die Schwägerin des Herzogs von Guise, sich ein so öffentliches Zeichen der Theilnahme an zwei einfachen Edelleuten erlauben? Dies war gewiß die Antwort, welche La Mole und Coconnas sich geben mußten. Aber dieses Nichterscheinen, welches Folge eines gänzlichen Vergessens sein konnte, war darum nicht minder schmerzlich.
Allerdings war der Kapitän der dem Zweikampfe beigewohnt hatte, von Zeit zu Zeit erschienen und hatte sich, wie aus eigenem Antrieb nach dem Befinden der Verwundeten erkundigt. Allerdings hatte Gillonne für eigene Rechnung dasselbe gethan. Aber La Mole hatte es nicht gewagt, mit dieser von Margarethe, Coconnas nicht, mit jener von Frau von Nevers zu sprechen.
XVIII.
Die Geister
Eine Zeit lang hielten die jungen Leute jeder sein Geheimniß in seiner Brust verschlossen. Endlich an einem Tage größerer Ausdehnung des Gemüthes überströmte der Gedanke, der sie allein beschäftigte, ihre Lippen, und Beide bekräftigten ihre Freundschaft durch diesen letzten Beweis, ohne den es keine Freundschaft gibt, nämlich durch das Vertrauen.
Sie waren zum Sterben verliebt, der Eine in eine Prinzessin, der Andere in eine Königin.
Es lag für die beiden armen Seufzenden etwas Furchtbares in der beinahe unüberspringbaren Entfernung, welche sie von dem Gegenstand ihrer Wünsche trennte. Und dennoch ist die Hoffnung ein so tief in dem Herzen des Menschen eingewurzeltes Gefühl, daß sie hofften, trotz der Tollheit ihrer Hoffnungen.
Beide pflegten ihr Gesicht immer sorgfältiger, je mehr sie sich erholten. Jeder Mensch, selbst der für körperliche Vorzüge gleichgültigste, hat mit seinem Spiegel stumme Gespräche, Zeichen des Einverständnisses, nach denen er sich beinahe immer sehr zufrieden mit der Unterhaltung von seinem Vertrauten entfernt. Unsere zwei jungen Leute gehörten aber nicht zu denjenigen, gegen welche ihre Spiegel eine zu harte Meinung aussprachen. Schmächtig, bleich, zierlich, besaß La Mole die Schönheit ausgezeichneter Standesverhältnisse. Kräftig, wohl gewachsen, hochgefärbt, hatte Coconnas die Schönheit der Stärke. Für den letzteren war seine Krankheit überdies vortheilhaft gewesen; er war magerer, bleicher geworden, seine Gesichtswunde, die ihm früher so viel Unruhe durch ihre prismatischen Beziehungen zu dem Regenbogen gemacht hatte, war, ohne Zweifel wie die diluvianische Erscheinung, eine lange Reihe von reinen Tagen und heiteren Nächten ankündigend, verschwunden.
Die beiden Verwundeten waren übrigens fortwährend von der zartesten Sorge umgeben; Jeder fand an dem Tage, wo er aufstehen konnte, einen Schlafrock auf dem Stuhle, der zunächst an seinem Bette stand, und an dem Tage, an welchem er sich ankleiden konnte, einen vollständigen Anzug. Mehr noch … in der Tasche von jedem Wamms fand sich eine gleich gut gespickte Börse, die jeder von ihnen, wohl verstanden, nur behielt, um sie zu geeigneter Zeit dem unbekannten Beschützer zurückzugeben, der über ihm wachte.
Dieser unbekannte Beschützer konnte nicht der Prinz sein, bei welchem die beiden jungen Leute wohnten, denn dieser Prinz war nicht nur nicht ein einziges Mal herausgekommen, um sie zu besuchen, sondern hatte sich auch nicht einmal nach ihnen erkundigen lassen.
Eine unbestimmte Hoffnung sagte ganz leise jedem Herzen, dieser unbekannte Beschützer wäre die Dame, die er liebte.
Die zwei Verwundeten erwarteten ganz mit unbeschreiblicher Ungeduld den Augenblick ihres Ausgangs. La Mole hätte, stärker und besser geheilt als Coconnas, seit langer Zeit ausgehen können, aber eine Art von stillschweigender Uebereinkunft verband ihn mit dem Schicksale seines Freundes. Ihr erster Ausgang sollte drei Besuchen gewidmet sein.
Der erste dem unbekannten Arzte, dessen vortrefflicher Trank eine so merkwürdige Besserung in der Brust von Coconnas herbeigeführt hatte.
Der zweite dem Gasthause des verstorbenen Meister La Hurière, wo Jeder sein Felleisen und sein Pferd zurückgelassen hatte.
Der dritte dem Florentiner René, der mit dem Titel eines Parfumeur den eines Magiers verband, nicht allein kosmetische Mittel und Gifte verkaufte, sondern auch Liebestränke bereitete und weissagte.
Endlich nach zwei Monaten, die man in der Genesung begriffen eingeschlossen zugebracht hatte, erschien der so sehnlich erwartete Tag.
Wir haben gesagt,eingeschlossen, und das ist das geeignete Wort, denn wiederholt hatten sie in ihrer Ungeduld diesen Tag beschleunigen wollen, aber eine vor der Thüre aufgestellte Schildwache hatte ihnen beständig den Weg versperrt, und sie hatten erfahren, daß sie nur aus ein Exeat von Meister Ambroise Paré ausgehen sollten.
Eines Tags erkannte der geschickte Wundarzt, daß die zwei Kranken, wenn nicht geheilt, doch wenigstens auf dem Wege völliger Besserung waren, gab dieses Exeat, und gegen zwei Uhr Nachmittags, an einem der schönen Herbsttage, wie sie Paris zuweilen seinen erstaunten Bewohnern bietet, während sie bereits ihren Vorrath an Resignation für den Winter gesammelt haben, setzten die zwei Freunde, sich gegenseitig mit den Armen unterstützend, den Fuß vor den Louvre.
La Mole machte sich zum Führer von Coconnas, und Coconnas ließ sich ohne Widerstand und ohne Bedenken leiten. Er wußte, daß ihn sein Freund zu dem unbekannten Doktor führte, dessen nicht patentierter Trank ihn in einer einzigen Nacht geheilt hatte, während ihn alle Droguen von Meister Ambroise Paré langsam tödteten. Er hatte zwei Theile aus dem in seiner Börse enthaltenen Gelde gemacht, das heißt, aus zweihundert Rosenobeln, und hundert davon zur Belohnung des unbekannten Aeskulaps bestimmt, dem er seine Wiedergenesung verdankte. Coconnas fürchtete den Tod nicht, Coconnas war aber darum nicht minder froh, daß er lebte. Er schickte sich auch an, wie man sieht, seinen Retter großmüthig zu belohnen.
La Mole nahm den Weg nach der Rue de l’Astruce, der Rue Saint-Honoré, der Rue des Trouvelles, und befand sich bald auf der Place des Halles. In der Nähe des alten Brunnens und auf der Stelle, die man gegenwärtig mit dem Namen Carreau des Halles bezeichnet, erhob sich ein achteckiges Gebäude von Maurerarbeit, überragt von einer weiten hölzernen Laterne mit einem spitzigen Dache, auf dem eine Wetterfahne ächzte. Diese Laterne bot acht Oeffnungen, welche eine Art von hölzernem Rade durchzog, das sich in der Mitte theilte, um in den zu diesem Ende angebrachten Einschnitten den Kopf und die Hände des Verurtheilten oder der Verurtheilten aufzunehmen, welche man an der einen oder der andern oder an mehreren von diesen Oeffnungen ausstellte.
Dieses seltsame Gebäude, das nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit allen umliegenden Gebäuden hatte, nannte man den Pilorit.12
Ein unförmliches, höckeriges, verschobenes, einäugiges und hinkendes Haus, mit einem Dache von Moos überzogen, wie die Haut eines Aussätzigen, war wie ein Champignon am Fuße des Thurmes aufgewachsen.
Dieses Haus war das des Henkers.
Ein Mensch war ausgestellt und streckte gegen die Vorübergehenden die Zunge heraus: er gehörte zu den Dieben, die ihr Gewerbe bei dem Galgen von Montfaucon getrieben hatten, und war bei der Ausübung seiner Funktionen verhaftet worden.
Coconnas glaubte, sein Freund wolle ihm dieses Schauspiel zeigen, und mischte sich unter die Menge der Liebhaber, welche die Grimassen des Leidenden durch Zischen und Schreien erwiederten. Coconnas war von Natur grausam, und dieses Schauspiel ergötzte ihn ungemein, nur hätte er gewünscht, man würde statt zu zischen und zu schreien, Steine nach dem Verurtheilten geworfen haben, der so frech war, die Zunge gegen die achtungswerthen Herren herauszustrecken, die ihm die Ehre ihres Besuches erwiesen.
Als sich die bewegliche Laterne auf ihrer Basis drehte, um einen andern Theil des Platzes mit dem Anblicke des Patienten zu erfreuen, und die Menge der Bewegung der Laterne folgte, wollte Coconnas der Bewegung der Menge folgen, aber La Mole hielt ihn zurück und sagte halblaut zu ihm:
»Nicht deßhalb sind wir hierher gekommen.«
»Und warum sind wir denn hier?« fragte Coconnas.
»Du wirst es sehen,« antwortete La Mole.
Die zwei Freunde duzten sich seit dem Morgen nach der bekannten Nacht, wo Coconnas La Mole hatte erstechen wollen.
Und La Mole führte Coconnas gerade auf das Fenster des an den Thurm angelehnten Häuschens zu, auf dessen Gesimse sich ein Mann mit dem Ellbogen stützte.
»Ah! Ah! Ihr seid es, meine gnädige Herren,« sagte der Mann, seine blutrothe Mütze abnehmend und seinen Kopf mit den schwarzen, dichten, bis auf die Augenlider herabfallenden Haaren entblößend. »Seid willkommen.«
»Wer ist dieser Mann?« fragte Coconnas, bemüht seine Erinnerungen zu sammeln, denn es kam ihm vor, als hätte er diesen Kopf während eines der Augenblicke seines Fiebers gesehen.
»Dein Retter, mein lieber Freund,« erwiederte La Mole, »derjenige welcher Dir in den Louvre den erfrischenden, für Dich so wohlthätigen Trank brachte.«
»Oh! Oh!« rief Coconnas, »dann ist es mein Freund …«
Und er reichte ihm die Hand.
Aber statt diesem Entgegenkommen durch eine ähnliche Geberde zu entsprechen, richtete sich der Mann auf und entfernte sich durch dieses Ausrichten von den zwei Freunden um den ganzen Raum, den die Biegung seines Körpers eingenommen hatte.
»Mein Herr,« sagte er zu Coconnas, »ich danke für die Ehre, die Ihr mir erzeigen wollt, aber wenn Ihr mich kennen würdet, thätet Ihr es ohne Zweifel nicht.«
»Meiner Treue,« sprach Coconnas, »ich erkläre, daß ich Euch verpflichtet bin, und wenn Ihr der Teufel wäret, denn ohne Euch wäre ich zu dieser Stunde todt.«
»Ich bin nicht ganz der Teufel,« erwiederte der Mann mit der rothen Mütze, »aber Viele würden oft lieber den Teufel als mich sehen.«
»Wer seid Ihr denn?« fragte Coconnas.
»Mein Herr,« antwortete der Mann, »ich bin Meister Caboche, Henker des Gerichtsbezirkes von Paris.«
»Ah!« rief Coconnas, seine Hand zurückziehend.
»Seht Ihr!« sprach Meister Caboche.
»Nein! ich berühre Eure Hand, oder der Teufel soll mich holen! Streckt sie aus …«
»Wirklich?«
»Streckt sie weit aus.«
»Hier.«
»Noch weiter … gut!« und Coconnas nahm aus seiner Tasche das Gold, das er für seinen unbekannten Arzt bereit hielt, und legte es in die Hand des Henkers.
»Ich hätte lieber Eure Hand allein gehabt,« sagte Meister Caboche, den Kopf schüttelnd, »denn es fehlt mir nicht an Gold, wohl aber an Händen, die die meinigen berühren. Gleichviel! Gott segne Euch, mein edler Herr!«
»Ihr seid es also, mein Freund,« sprach Coconnas, den Henker neugierig anschauend, »Ihr seid es, der foltert, rädert, viertheilt, Köpfe abschneidet, Knochen bricht? Ah! es freut mich sehr, Eure Bekanntschaft gemacht zu haben.«
»Mein Herr,« versetzte Caboche, »ich thue nicht Alles selbst, denn so wie ihr vornehme Herren Lackeien habt, um zu thun, was Ihr nicht selbst thun wollt, so habe ich meine Gehilfen, welche das grobe Geschäft treiben und Lumpenkerle abfertigen. Nur wenn ich es mit Edelleuten, z. B. wie Ihr und Euer Gefährte, zu thun habe, dann ist es etwas Anderes, dann mache ich mir eine Ehre daraus, alle kleine Geschäfte der Execution von dem ersten bis zum letzten, d. h. von der peinlichen Frage bis zum Enthaupten zu verrichten.«
Coconnas fühlte, wie unwillkührlich ein Schauer seine Adern durchlief, als ob der schwere Keil seine Beine preßte und der stählerne Faden seinen Hals berührte.
La Mole wurde, ohne sich Rechenschaft davon geben zu können, von derselben Empfindung ergriffen.
Aber Coconnas überwand die Bewegung, der er sich schämte, und sagte in der Absicht, von Meister Caboche mit einem letzten Scherze Abschied zu nehmen:
»Gut, Meister, ich halte Euch beim Worte, wenn die Reihe an mich kommt, an den Galgen von Enguerrand von Marigny gehängt zu werden oder das Schaffot von Herrn von Nemours zu besteigen, so sollt nur Ihr mich berühren.«
»Ich verspreche es Euch.«
»Dießmal meine Hand zum Pfande, daß ich Euer Versprechen annehme.«
Und er streckte gegen den Henker eine Hand aus, welche dieser schüchtern mit der seinigen berührte, obgleich er sichtbar große Lust hatte, sie kräftig zu fassen.
Bei dieser einfachen Berührung erbleichte Coconnas leicht, aber dasselbe Lächeln blieb auf seinen Lippen, während La Mole, als er sah, daß die Menge mit der Laterne sich drehte und sich ihnen näherte, ihn an seinem Mantel zog.
Coconnas, dem es im Ganzen auch lieb war, dieser Scene ein Ende zu machen, bei der er, angetrieben von einem natürlichen Hange seines Charakters, weiter hineingezogen worden war, als er hatte gehen wollen, machte ein Zeichen mit dem Kopfe und entfernte sich.
»Meiner Treue,« sprach La Mole, als er und sein Gefährte bei der Croix du Trahoir angelangt waren, »gestehe, daß man hier freier athmet, als bei den Hallen?«
»Ich gebe es zu,« erwiederte Coconnas, »es freut mich aber darum nicht minder, die Bekanntschaft von Meister Caboche gemacht zu haben, denn es ist gut, wenn man überall Freunde besitzt.«
»Selbst in dem Gasthause zum Schönen Gestirn,« sprach La Mole lachend.,
»Oh! der arme Meister La Hurière,« rief Coconnas, »er ist todt, sehr todt! Ich habe die Flamme der Büchse gesehen, ich habe den Schlag der Kugel gehört, welche klang, als hätte sie die große Glocke von Notre-Dame getroffen, und ließ ihn im Rinnsteine mit dem Blute liegen, das ihm aus Nase und Mund hervorquoll. Gesetzt, es ist unser Freund, so ist es ein Freund, den wir in der andern Welt haben.«
So plaudernd gelangten die zwei Freunde in die Rue de l’Arbre-Sec und gingen auf das Schild vom Schönen Gestirne zu, das noch an derselben Stelle ächzte und fortwährend dem Reisenden seinen gastronomischen Herd und und seine Appetit erregende Legende bot.