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Kitabı oku: «La San Felice Band 7», sayfa 2

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Zweites Capitel.
Worin Michele sich mit dem Beccajo in allem Ernste veruneinigt

Die fürstlichen Flüchtlinge waren nicht die einzigen, welche in jener furchtbaren Nacht mit dem Sturme und dem Meere zu kämpfen hatten.

Gegen halb drei Uhr war der Chevalier San Felice, seiner Gewohnheit gemäß, nach Hause zurückgekommen und hatte mit einer Aufregung, die sonst gar nicht in seiner Gewohnheit lag, zweimal gerufen:

»Luisa! Luisa!«

Luisa eilte sofort hinaus in den Corridor, denn als sie die Stimme ihres Gatten vernahm, verrieth der Ton derselben ihr sofort, daß etwas Außerordentliches vorgegangen war, und als sie ihn sah, ward sie davon überzeugt.

Der Chevalier war in der That sehr bleich.

Von den Fenstern der Bibliothek aus hatte er gesehen, was in der Straße San Carlo geschehen war, nämlich die Ermordung des unglücklichen Ferrari.

Da der Chevalier trotz seines sanften Aeußern außerordentlichen Muth besaß, und zwar jenen Muth, welcher großen Herzen ein tiefes Gefühl von Menschlichkeit verleiht, so war seine erste Bewegung gewesen, hinunter und dem Courier zu Hilfe zu eilen, in welchem er den des Königs recht wohl erkannte. An der Thür der Bibliothek ward er jedoch von dem Kronprinzen aufgehalten, der mit seiner schmeichelnden kalten Stimme ihn fragte:

»Wo wollen Sie hin, San Felice?«

»Wo ich hin will, wo ich hin will?« antwortete San Felice. »Wissen Eure Hoheit denn nicht, was vorgeht?«

»O doch, ich weiß es. Man ermordet einen Menschen. Ist es aber etwas so Seltenes, wenn in den Straßen von Neapel ein Mensch ermordet wird, daß Sie sich in so hohem Grade damit beschäftigen?«

»Aber der, welchen man jetzt ermordet, ist ein Diener des Königs.«

»Ich weiß es.«

»Es ist der Courier Ferrari.«

»Ich habe ihn erkannt.«

»Aber warum erwürgt man einen Unglücklichen unter dem Rufe: Nieder mit den Jakobinern! da doch im Gegentheil dieser Unglückliche einer der treuesten Diener des Königs ist?«

»Wie? Warum? Haben Sie die Correspondenz Macchiavellis, des Vertreters der herrlichen florentinischen Republik in Bologna, gelesen?«

»Allerdings habe ich sie gelesen, gnädigster Herr.«

»Nun, dann kennen Sie also wohl die Antwort, welche er den florentinischen Magistratspersonen in Bezug auf die Ermordung Ramiro's d’Orco gab, dessen Körper man geviertheilt an den vier Ecken des Marktplatzes von Imola auf vier Pfähle gespießt gefunden?«

»Ramiro d’Orco war wohl ein Florentiner?«

»Ja und deswegen glaubte der Senat von Florenz das Recht zu haben, von dem Gesandten nähere Auskunft über diesen seltsamen Mord zu verlangen.«

San Felice dann eine Weile nach und sagte dann:

»Ja; Macchiavelli antwortete: Erlauchte Herren, ich kann Ihnen über den Tod des Ramiro d’Orco weiter nichts sagen, als daß Cäsar Borgio der Fürst ist, welcher es am besten versteht, die Menschen, je nach ihrem Verdienst, zu erheben und zu vernichten!«

»Wohlan, entgegnete der Herzog von Calabrien mit mattem Lächeln, »dann steigen Sie nur wieder auf Ihre Leiter, mein lieber Chevalier, und erwägen Sie die Antwort Macchiavellis.«

Der Chevalier stieg wieder auf seine Leiter und hatte noch nicht die drei ersten Stufen erstiegen, so begriff er auch schon, daß eine Hand, welche Interesse an Ferraris Tod besaß, die Schläge, die ihn getroffen, geleitet hatte.

Eine Viertelstunde später rief man den Prinzen im Auftrag seines Vaters.

»Verlassen Sie den Palast nicht eher, als bis Sie mich wieder gesehen haben werden,« sagte der Herzog von Calabrien zu dem Chevalier, »denn aller Wahrscheinlichkeit nach werde ich Ihnen etwas Neues mitzutheilen haben.«

In der That trat noch vor Ablauf einer Stunde der Prinz wieder ein.

»San Felice,« sagte er, »Sie erinnern sich wohl noch des mir gegebenen Versprechens, mich nach Sicilien zu begleiten?«

»Ja, Hoheit.«

»Sind Sie immer noch bereit, dieses Versprechen zu halten?«

»Ja wohl, nur –«

»Was?«

»Als ich meiner Gattin erzählte, welche Ehre Eure Hoheit mir zu erzeigen gesonnen sind –«

»Nun?«

»Verlangte sie mich begleiten zu dürfen.«

Der Prinz stieß einen Freudenruf aus.

»Dank für diese gute Nachricht, Chevalier!« rief er. »Ah, dann wird also die Prinzessin eine Begleiterin haben, die ihrer würdig ist. Ihre Gattin, San Felice, ist das Musterbild der Frauen, dies weiß ich, und Sie werden sich erinnern, daß ich sie zur Ehrendame der Prinzessin verlangte, denn sie wäre nicht blos dem Namen, sondern auch der That nach eine wirkliche Ehrendame gewesen. Sie wollten aber damals nicht. Heute kommt sie von selbst zu uns. Sagen Sie ihr, mein lieber Chevalier, daß sie willkommen sein wird.«

»Ich werde es ihr sagen, Hoheit.«

»Warten Sie doch. Ich habe Ihnen noch nicht Alles gesagt.«

»Ich höre.«

»Noch diese Nacht reisen wir Alle ab.«

Der Chevalier machte große Augen.

»Ich glaubte,« sagte er, »der König hätte beschlossen, nur im äußersten Nothfalle fortzugehen.«

»Ja, aber durch Ferraris Ermordung sind alle seine Entschlüsse über den Haufen geworfen worden. Um halb elf Uhr verläßt er das Schloß und begibt sich mit der Königin, den Prinzessinnen, meinen beiden Brüdern, den Gesandten und den Ministern an Bord von Lord Nelsons Schiff.«

»Aber warum nicht an Bord eines neapolitanischen Schiffes? Nach meiner Ansicht ist es eine Beleidigung für die ganze neapolitanische Marine, wenn er auf diese Weise einem englischen Schiffe den Vorzug gibt.«

»Die Königin hat es so gewollt, und ohne Zweifel zur Entschädigung soll ich die Reise mit dem Schiffe des Admirals Caracciolo machen. Folglich werden Sie sich mit mir an Bord dieses Schiffes begeben.«

»Zu welcher Stunde?«

»Dies weiß ich selbst noch nicht. Ich werde es Ihnen sagen lassen. Auf alle Fälle halten Sie sich bereit. Wahrscheinlich wird es zwischen zehn Uhr und Mitternacht geschehen.«

»Sehr wohl, Hoheit.«

Der Prinz ergriff die Hand des Chevaliers, sah ihn an und sagte:

»Sie wissen, daß ich auf Sie rechne.«

»Sie haben mein Wort, Hoheit,« antwortete San Felice, sich verneigend; »und die Ehre, Sie zu begleiten, ist für mich zu groß, als daß ich nur einen Augenblick lang zögern sollte, sie anzunehmen.«

Nachdem der Chevalier dies gesagt, nahm er Hut und Regenschirm und entfernte sich.

Die immer noch grollende Menge erfüllte die Straßen. Auf dem Platze des Palastes selbst hatte man zwei oder drei Feuer angezündet, woran man Fleischstücke von Ferraris Pferd auf den glühenden Kohlenbriet.

Was den unglücklichen Courier betraf, so war er in Stücke zerrissen worden. Der Eine hatte die Beine, der Andere die Arme genommen; dann hatte man Alles auf spitzige Stöcke – die Lazzaronis hatten damals noch weder Piken noch Bajonette – gespießt und trug diese scheußlichen Trophäen unter dem Rufe: »Es lebe der König! Nieder mit den Jakobinern!« in den Straßen umher.

Am Riesenhügel begegnete der Chevalier dem Beccajo, welcher sich des Kopfes des Gemordeten bemächtigt, ihm eine Orange in den Mund gesteckt hatte und diesen Kopf auf der Spitze eines Stockes umhertrug.

Als der Beccajo einen Mann in guter Kleidung – was in Neapel das Kennzeichen des Liberalismus war – erblickte, kam er auf die Idee, den Chevalier zu zwingen, Ferraris Kopf zu küssen.

Wir haben jedoch schon gesagt, daß der Chevalier nicht der Mann war, welcher sich fürchtete. Er weigerte sich, dem an ihn gestellten Verlangen zu willfahren und stieß den elenden Mörder mit Entrüstung zurück.

»Verwünschter Jakobiner!« rief der Beccajo; »ich will, daß Du diesen Kopf küssest und, mannaggia la Madonna, Du wirst ihn küssen!«

Mit diesen Worten drang er wieder auf den Chevalier ein.

Dieser, welcher weiter keine Waffe hatte, als seinen Regenschirm, setzte sich mit demselben zur Wehre.

Bei dem Rufe: »Der Jakobiner! der Jakobiner!« kamen alle jene Verworfenen, für welche dieser Ruf ein Versammlungssignal war, herbeigeeilt und schon bildete sich ein drohender Kreis um den Chevalier, als ein junger Mann diesen Ring durchbrach, den Beccajo durch einen Stoß vor die Brust zehn Schritte weit hinwegschleuderte, seinen Säbel zog, und sich vor den Chevalier stellte.

»Das wäre kein übler Jakobiner!« rief er dann. »Der Chevalier San Felice, Bibliothekar Seiner königlichen Hoheit des Prinzen von Calabrien, sollte ein Jakobiner sein! Ich frage,« fuhr er fort, indem er mit seinem Säbel die Mühle machte, »ich frage, was wollt Ihr denn von dem Chevalier San Felice?«

»Capitän Michele!« riefen die Lazzaroni. »Es lebe der Capitän Michele! Er ist einer der Unsern!«

»Jetzt gilt es nicht, zu rufen: Es lebe der Capitän Michele! sondern vielmehr: Es lebe der Chevalier San Felice! und zwar sogleich.«

Die Menge, welcher es ganz gleich ist, ob sie schreit: »Es lebe der und der !« oder: »Nieder mit dem und dem!« dafern sie nur überhaupt schreien kann, heulte wie aus einer einzigen Kehle:

»Es lebe der Chevalier San Felice!«

Nur der Beccajo schwieg

»Na,« sagte Michelle zu ihm, »wenn Du auch vor der Thür seines Gartens Dir deine Narbe geholt hat, so ist dies doch kein Grund für Dich, nicht auch zu rufen: Es lebe der Chevalier!«

»Und wenn es mir nun nicht beliebt, so zu rufen?« entgegnete der Beccajo.

»Auf das, was Dir beliebt, kommt es jetzt nicht an, sondern nur auf das, was mir beliebt. Entweder,« fuhr Michele fort, »rufst Du: Es lebe der Chevalier San Felice! und zwar auf der Stelle, oder ich schlage Dir auch noch das andere Auge aus deinem Kopf.«

Und Michele schwang seinen Säbel über den Kopf des Beccajo, welcher sehr bleich ward, und zwar mehr aus Angst als vor Zorn.

»Mein Freund, mein guter Michele,« sagte der Chevalier, »laß diesen Menschen in Ruhe. Du siehst ja, daß er mich nicht kennt.«

»Aber wenn er Sie nicht kennt, warum wollte er Sie denn zwingen, den Kopf des Unglücklichen zu küssen, welchen er umgebracht hat? Allerdings wäre es immer noch besser, diesen Kopf, welcher der eines ehrlichen Mannes ist, zu küssen als den einigen, welcher einem Schurken angehört.«

»Hört Ihr es!« heulte der Beccajo.

»Er nennt Jakobiner ehrliche Leute!«

»Schweig, Elender! Dieser Mann war kein Jakobiner, das weißt Du recht wohl. Es war Antonio Ferrari, der Courier des Königs und einer der entschlossensten Diener Seiner Majestät. Wenn Ihr mir nicht glaubt, so fragt hier den Chevalier. Herr Chevalier, sagen Sie diesen Leuten, welche nicht bös sind, aber das Unglück hatten, einem Bösewicht zu folgen, sagen Sie ihnen, wer der arme Antonio war.«

»Meine Freunde, sagte der Chevalier, »Antonio Ferrari, welcher umgebracht worden, ist in der That das Opfer eines beklagenswerthen Irrthumes, denn er war einer der eifrigsten Diener eures guten Königs, welcher in diesem Augenblicke seinen Tod beweint.«

Die Menge hörte mit Bestürzung zu.

»Jetzt wage noch zu sagen, daß dieser Kopf nicht der Ferraris ist und daß Ferrari nicht ein ehrlicher Mann war! Sag' es! So lag es doch, damit ich Gelegenheit habe, Dir die andere Hälfte deines Gesichtes herunter zu hauen.«

Und Michele hob seinen Säbel über den Beccajo.

»Gnade!« rief dieser, indem er auf die Knie niedersank. »Ich will Alles sagen, was Du verlangt.«

»Und ich, ich will nur Eins sagen, nämlich, daß Du ein Bube bist. Mach, daß Du fortkommt, und wenn Du mir jemals wieder in den Weg geräthst, so trage Sorge, mir auf zwanzig Schritte rechts oder links auszuweichen.«

Der Beccajo entfernte sich unter dem Hohngeschrei dieser Menge, welche ihm einen Augenblick vorher noch Beifall zujauchzte und die sich in zwei Banden theilte.

Die eine folgte dem Beccajo, indem sie ihn mit Schimpfreden überhäufte, die andere dagegen Michele und dem Chevalier, indem sie rief:

»Es lebe Michele! Es lebe der Chevalier San Felice!«

Michele blieb an der Thür des Gartens stehen, um seine Escorte zu verabschieden.

Der Chevalier ging in sein Haus hinein und rief, wie wir bereits erwähnt, Luisa.

Wir haben so eben erzählt, was er von den Fenstern der Bibliothek aus mit angesehen und was ihm auf dem Riesenhügel begegnet war – zwei Dinge, die unserer Meinung nach hinreichend waren, um seine Blässe zu erklären.

Kaum hatte er Luisa den Grund mitgetheilt, der ihn zurückführte, so ward sie ihrerseits bleicher als er. Sie entgegnete jedoch kein Wort, sie machte keine Bemerkung, sondern fragte blos:

»Wann wird die Abreise erfolgen?«

»Zwischen zehn Uhr und Mitternacht,« antwortete der Chevalier.

»Ich werde bereit sein,« sagte sie. »Mache Dir keine Sorge um mich, mein Freund.«

Und sie zog sich unter dem Vorwande, ihre Anstalten zur Abreise zu treffen, in ihr Zimmer zurück, indem sie zugleich Befehl gab, das Diner wie gewöhnlich um drei Uhr zu servieren.

Drittes Capitel.
Das Verhängniß

Luisa hatte sich nicht in ihr Zimmer zurückgezogen, sondern in das Salvatos. In dem Kampfe zwischen der Pflicht und der Liebe hatte die erstere gesiegt, nachdem sie aber ihre Liebe der Pflicht geopfert, glaubte sie eben dadurch das Recht erworben zu haben, der Liebe ihre Thränen zu weihen.

Schon seit dem Tage, wo sie zu ihrem Gatten gesagt: »Ich werde mit Dir gehen,« hatte sie viel geweint.

Da sie nicht wußte, auf welchem Wege die Salvato ihre Briefe zusenden sollte, so hatte sie nicht an ihn geschrieben, wohl aber zwei anderweite Briefe von ihm empfangen.

Diese so feurige Liebe, diese so innige Freude, welche sie in jeder Zeile der Briefe des jungen Mannes fand, zerriß ihr das Herz, besonders wenn sie bedachte, welcher bitteren Täuschung Salvato zur Beute fallen würde, wenn er, erfüllt von Hoffnung und Gewißheit, das Fenster offen und Luisa in dem Zimmer glaubend, wo sie in diesem Augenblick so heiße Thränen des Schmerzes vergoß, Luisa abwesend und das Fenster verlassen fände.

Dennoch bereute sie nicht, was sie versprochen, oder wozu sie vielmehr sich erboten. Hätte sie noch einmal die Wahl gehabt, so würde sie jetzt, wo die Stunde der Abreise bevorstand, doch abermals so gehandelt haben, wie sie gethan.

Sie rief Giovannina.

Diese kam herbeigeeilt. Sie hatte von der Küche aus Michele gesehen und ahnte, daß etwas ganz Außerordentliches geschehen sei.

»Nina,« sagte ihre Herrin zu ihr, »diese Nacht verlassen wir Neapel. Ich beauftrage Dich, die Gegenstände, deren ich zum alltäglichen Gebrauche bedarf, zusammen und in einige Kisten zu packen. Du kennst diese Gegenstände ebenso gut als ich, nicht wahr?«

»Allerdings kenne ich sie,« antwortete die Dienerin, »und ich werde thun, was Sie mir befehlen, Signora. Vorher aber werden Sie die Güte haben, mir über etwas Aufschluß zu geben.«

»Worüber? sprich, Nina,« antwortete Luisa, ein wenig verwundert über die steigende Festigkeit, womit die Dienerin auf den ihr erheilten Befehl geantwortet.

»Nun, ich meine über die Worte: Wir verlassen Neapel, nicht wahr, so sagten Sie, Signora?«

»Allerdings sagte ich so.«

»Gedenken Sie mich mitzunehmen, Signora?«

»Wenn Du Lust hat, mitzugehen, ja; solltest Du dagegen keine Lust haben –«

Nina sah ein, daß sie ein wenig zu weit gegangen war.

»Wenn ich nur von mir abhinge, so würde ich Ihnen mit dem größten Vergnügen folgen bis ans Ende der Welt,« sagte sie »unglücklicherweise aber habe ich Familie.«

»Eine Familie zu haben, ist niemals ein Unglück, mein Kind,« sagte Luisa mit ihrer sich stets gleichbleibenden Sanftmuth.

»Entschuldigen Sie, Signora, wenn ich ein wenig zu frei mit der Sprache herausgehe –«

»Du bedarfst keiner Entschuldigung. Du hast eine Familie, sagtest Du, und diese Familie, wolltest Du sagen, wird nicht erlauben, daß Du Neapel verlässest.«

»Allerdings nicht, Signora, das weiß ich bestimmt,« antwortete Giovannina rasch.

»Aber,« fuhr Luisa fort, indem sie bedachte, daß es für Salvato weniger grausam sein würde, wenn er in ihrer Abwesenheit Jemanden fände, mit dem er von ihr sprechen könnte, als wenn die Thür verschlossen und das Haus stumm wäre, »aber würde deine Familie Dir wohl erlauben, daß Du als eine vertraute, mit der Bewachung des Hauses beauftragte Person hier bliebest?«

»O, was das betrifft, ganz gewiß!« rief Nina mit einer Lebhaftigkeit, welche Luisa, wenn sie die mindeste Ahnung von dem gehabt hätte, was in dem Herzen ihrer Dienerin vorging, die Augen hätte öffnen müssen.

Dann sich mäßigend setzte Nina hinzu:

»Es wird stets eine Ehre und eine Pflicht für mich sein, Ihrem Interesse dienen zu können, Signora.«

»Nun dann, Nina, dann wirst Du, obschon ich an deinen Dienst gewöhnt bin, hier bleiben,« sagte Luisa. »Vielleicht dauert unsere Abwesenheit nicht lange. Während dieser Abwesenheit wirst Du zu Allen, welche sich einfinden werden, um mich zu sehen – merke wohl, was ich sage, Nina – Du wirst sagen, die Pflicht meines Gemahls sei, dem Prinzen zu folgen, und meine Pflicht sei, meinem Gatten zu folgen. Du wirst sagen – denn Du, die Du selbst nicht Neapel verlassen willst, begreift besser als irgend Jemand, wie schwer mir dieser Abschied ankommt – Du wirst sagen, daß ich mit thränenden Augen mein erstes und zur Stunde der Abreise mein letztes Lebewohl jedem der Zimmer dieses Hauses und jedem der in diesen Zimmern enthaltenen Gegenstände sagte. Und wenn von diesen Thränen spricht, weißt Du, daß Du es nicht eitle Worte sind, denn Du hast sie selbst fließen sehen.«

Luisa brach bei diesen letzten Worten in lautes Schluchzen aus.

Nina betrachtete ihre Herrin mit einer gewissen Freude und benutzte den Umstand, daß Luisa, weil sie das Tuch vor die Augen hielt, nicht den flüchtigen Ausdruck lesen konnte, der über ihr Gesicht zuckte.

»Und,« hob sie zögernd an, »wenn nun Signor Salvato kommt, was soll ich diesem sagen?«

Luisa nahm das Tuch vom Gesicht und antwortete mit erhabener heiterer Ruhe:

»Daß ich ihn immer noch liebe und daß diese Liebe so lange dauern wird als mein Leben. Sage Michele, er solle nicht fortgehen. Ich habe vor meiner Abreise noch mit ihm zu sprechen und ich rechne darauf, daß er mich bis an das Boot geleitet.«

Nina verließ das Zimmer.

Als Luisa sich allein sah, drückte sie ihr Gesicht in das auf dem Bett liegen gebliebene Kopfkissen, ließ einen Kuß in der auf diese Weise bewirkten Vertiefung zurück und verließ das Zimmer ebenfalls.

Es hatte eben drei Uhr geschlagen und der Chevalier trat mit seiner gewohnten Pünktlichkeit, die durch nichts gestört werden konnte, durch die Thür seines Arbeitscabinets in das Speisezimmer, während Luisa durch die ihres Schlafzimmers hereintrat.

Michele stand draußen vor der Hausthür auf der Terrasse.

Der Chevalier suchte ihn mit den Augen.

»Wo ist denn Michele?« fragte er. »Er ist doch nicht schon wieder fort, hoffe ich?«

»Nein,« sagte Luisa, »hier ist er. Komm doch herein, Michele! Der Chevalier fragt nach Dir und ich habe auch mit Dir zu sprechen.«

Michele trat ein.

»Du weißt wohl, was dieser junge Mann gethan hat?« fragte der Chevalier seine junge Gattin, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte.

»Nein,« antwortete Luisa, »jedenfalls aber ist es etwas Gutes gewesen.«

Dann setzte sie in wehmüthigem Tone hinzu:

»In der Marinella nennt man ihn Michele den Narren. Die Freundschaft aber, die er für uns hegt, vertritt, wenigstens in meinen Augen, bei ihm die Stelle des Verstandes.«

»Ach!«, rief Michele, »das war sehr gut gesagt.«

»Es lohnt allerdings nicht der Mühe, davon zu sprechen,« fuhr San Felice mit seinem gutmüthigen Lächeln fort. »Ich bin so zerstreut, daß ich, als ich nach Hause kam, Dir nichts davon gesagt habe. Er hat mir sehr wahrscheinlich das Leben gerettet.«

»Na, wenn es weiter nichts ist!« rief Michele dazwischen.

»Das Leben gerettet! Wieso denn?« fragte Luisa mit einer auffallenden Veränderung in ihrem Ton.

»Denke Dir, daß ein Bösewicht auf mich zukam, welcher mich zwingen wollte, den Kopf jenes unglücklichen Ferrari zu küssen, und der, weil ich dies nicht wollte, mich einen Jakobiner nannte! Es ist bei jetziger Zeit sehr gefährlich, ein Jakobiner genannt zu werden. Das Wort begann auch wirklich schon eine Wirkung zu äußern, Michele aber warf sich zwischen mich und die Menge, schwang seinen Säbel und der Mann ging fort, während er, glaube ich, noch Drohungen gegen mich ausstieß. Was konnte er denn gegen mich haben?«

»Nicht gegen Sie, sondern wahrscheinlich gegen Ihr Haus. Sie erinnern sich, was Doctor Cirillo Ihnen von einem Mord erzählte, welcher in der Nacht vom 22. zum 23. September unter Ihren Fenstern verübt ward. Dieser Mensch ist nun eben einer von jenen fünf oder sechs Schurken, welcher von dem, den sie ermorden wollten, selbst so trefflich bedient wurde.«

»Ah, also unter meinem Fenster hat er die Schmarre davongetragen, welche er unter dem Auge hat?«

»Sehr richtig.«

»Dann begreife ich, daß er diesen Ort mit ungünstigem Auge betrachtet. Aber was geht die Sache mich an?«

»Eigentlich nichts, wenn sie aber auf dem Altmarkt Geschäfte abzumachen haben, so möchte ich sagen: Wenn es Ihnen gleich ist, Herr Chevalier, so gehen Sie nicht ohne mich hin.«

»Ich verspreche es Dir Und nun umarme deine Schwester, mein Sohn, und setze Dich mit uns zu Tische.«

Michele war gewöhnt an diese Ehre, welche der Chevalier und Luisa ihm von Zeit zu Zeit erzeigten. Er machte daher keine Schwierigkeiten, die Einladung anzunehmen, besonders jetzt, wo er, zum Capitän ernannt, einige der Sprossen der sozialen Stufenleiter erstiegen, welche ihn früher von seinem edlen Freunde trennten.

Gegen vier Uhr fuhr ein Wagen an der Hausthür vor und Nina ließ den Secretär des Herzogs von Calabrien ein, welcher mit dem Chevalier in ein Cabinet ging, aber fast sofort wieder herauskam.

Michele hatte gethan, als ob er nichts sähe.

Als der Chevalier wieder aus seinem Cabinet herauskam und nachdem er den Secretär des Prinzen bis an seinen Wagen geleitet, gab er Luisa einen Wink, um sie zu fragen, ob er sie Michele anvertrauen könne.

Luisa, welche wußte, daß Michele noch weit eher für sie als für den Chevalier das Leben lassen würde, antwortete mit »Ja«.

Der Chevalier sah Michele einen Augenblick an.

»Mein lieber Michele,« sagte er zu ihm, »Du wirst uns versprechen, keinem Menschen, wer er auch sei, auch ein einziges Wort von dem Geheimniß mitzutheilen, welches ich im Begriffe stehe Dir anzuvertrauen.«

»Weißt Du, was es ist, Schwesterchen?«

»Ja.«

»Und es gilt also zu schweigen?«

»Du hörst, was der Chevalier Dir sagt.«

Michele machte sich ein Kreuz über den Mund.

»Sprechen Sie. – Es ist so gut, als ob der Beccajo mir die Zunge ausgeschnitten hätte.«

»Wohlan, Michele, diese Nacht reist Alles ab.«

»Wie so, Alles? Wer denn?«

»Der König, die Königin, die königliche Familie, wir selbst.«

Luisa traten die Thränen in die Augen.

Michele warf einen raschen Blick auf sie und sah diese Thränen.

»Und nach welchem Lande reist man denn?«, fragte Michele.

»Nach Sicilien.«

Der Lazzarone schüttelte den Kopf.

»Ich habe nicht die Ehre, zu den Rathgebern des Königs zu gehören,« sagte er dann; »wenn ich aber dazu gehörte, so würde ich zu ihm sagen: Sire, Sie haben Unrecht.«

»Ach, warum hat er nicht so freimüthige Rathgeber, wie Du einer bist, Michele!« sagte Luisa.

»Man hat es ihm gesagt, hob der Chevalier wieder an. »Der Admiral Caracciolo und der Cardinal Ruffo haben es ihm gesagt, die Königin hat aber Furcht, der Minister Acton hat Furcht und in Folge des heute von dem Volke verübten Mordes hat der König beschlossen abzureisen.«

»Ah!« sagte Michele, »nun fange ich an zu begreifen, warum ich unter der Zahl der Mörder Pasquale de Simone und den Beccajo sah. Was Fra Pacifico betrifft, so war der arme Mann dabei wie ein Esel, ohne zu wissen warum.«

»Aber Michele, fragte Luisa, »dann glaubst Du also, die Königin –«

»Still, still, Schwesterchen! In Neapel sagt man dergleichen Dinge nicht, sondern begnügt sich, sie zu denken. Doch gleichviel! Der König hat Unrecht. Wäre der König in Neapel geblieben, so kämen die Franzosen nimmermehr herein. Eher ließen wir uns Alle todtschlagen. Ha, wenn das Volk wüßte, daß der König fort will!«

»Ja, aber es darf es nicht wissen, Michele. Deshalb habe ich Dich schwören lassen, nichts von dem, was ich Dir mittheilen würde, weiter zu sagen. Also, diese Nacht reisen wir ab, Michele!«

»Und mein Schwesterchen auch?«, fragte Michele in einem Tone, aus welchem er nicht alle Ueberraschung bannen konnte.

»Ja, sie verlangt selbst mir zu folgen, das gute, liebe Kind,« sagte der Chevalier, indem er seine Hand über den Tisch ausstreckte, um die Luisa's zu suchen.

»Ja,« sagte Michele, »Sie können sich rühmen, eine Heilige zur Gattin zu haben, Herr Chevalier.«

»Michele!« sagte Luisa.

»O, ich weiß, was ich sage. Und diese Nacht reisen Sie also ab? Madonna! Ich wollte, ich wäre Jemand, dann ginge ich auch mit.«

»O, komm' mit, Michele! komm' mit!« rief Luisa, welche in Michele einen Freund sah, mit dem sie von Salvato sprechen konnte.

»Unglücklicherweise ist es unmöglich, Schwesterchen,« antwortete der Lazzarone. »Ein Jeder hat seine Pflicht; Die deinige will, daß Du gehest, und die meinige befiehlt mir, zu bleiben. Ich bin Capitän und Volksanführer, und ich trage den Säbel nicht blos an der Seite, um über dem Kopfe des Beccajo die Windmühle zu machen, sondern um mich zu schlagen, um Neapel zu vertheidigen, um so viel Franzosen als möglich niederzuhauen.«

Luisa machte eine unwillkürliche Bewegung.

»O, sei unbesorgt, Schwesterchen, hob Michele lachend wieder an, »alle werde ich sie nicht umbringen.«

»Wohlan, um der Sache ein Ende zu machen,« fuhr der Chevalier fort, »wir schiffen uns heute Nacht an der »Vittoria« ein, um hinter dem Castell dell' Uovo an Bord der Fregatte des Admirals Caracciolo zu gehen. Ich wollte Dich bitten, deine Schwester nicht zu verlassen und im Nothfalle für sie im Augenblicke der Einschiffung dasselbe zu thun, was Du vor zwei Stunden für mich thatest, das heißt, sie in deinen Schutz nehmen.«

»O, in dieser Beziehung können Sie unbesorgt sein, Chevalier, für Sie würde ich mich tödten lassen, für Luisa aber ließe ich mich in Stücke reißen. Doch gleichviel, wenn das Volk etwas von dieser Abreise des Königs wüßte, so gäbe es keinen schlechten Aufruhr.«

»Also,« sagte der Chevalier, indem er sich von der Tafel erhob, »ich habe dein Wort, Michele, Du verlässest Luisa nicht eher, als bis sie im Boote ist.«

»Seien Sie unbesorgt; ich verlasse sie von hier bis dorthin eben so wenig, als ihr Schatten an einem sonnenhellen Tage, denn ich weiß heute nicht recht, was Jeder von uns mit dem einigen gemacht hat.«

Der Chevalier, welcher seine sämtlichen Papiere in Ordnung zu bringen, seine Bücher einzupacken und alle angefangenen Manuscripte mitzunehmen hatte, kehrte in sein Cabinet zurück.

Was Michele betraf, der nichts zu thun hatte, als sein Schwesterchen anzusehen, so heftete er seinen wohlwollenden Blick auf sie, und als er sah, wie zwei große Thränen still aus ihren schönen Augen die Wangen herabrollten, sagte er:

»In der That, es gibt Menschen, die ungeheures Glück haben, und der Chevalier gehört zu diesen Menschen. Mannaggia la Madonna! Affunta würde für mich nicht thun, was Du für ihn thut.«

Luisa erhob sich, aber so rasch sie auch in ihr Zimmer zurückkehrte und so schnell sie auch die Thür desselben hinter sich schloß, so hörte Michele doch das Geräusch des Schluchzens, welches sich jetzt, wo sie allein war, unaufhaltsam ihrer Brust entrang.

Wir haben schon bei einer andern Gelegenheit, als Salvato und nicht Luisa Neapel verließ, mit dem Auge die langsame ungleiche Bewegung des Zeigers auf dem Zifferblatte der Uhr verfolgt. Dieser Bewegung folgten gleichzeitig mit uns zwei Herzen, da sie aber sich eins auf das andere stützten, so erschien diese Bewegung ihnen sicherlich weniger schmerzlich, als jenem armen, alleinstehenden Herzen, welches keine andere Stütze hatte, als das Gefühl der erfüllten Pflicht.

Luisa war, wie gewöhnlich, durch ihr Zimmer blos hindurchgegangen und hatte sich auf den Fußspitzen in das Zimmer Salvato's begeben.

Als sie den Corridor durchschritt, vernahm sie mit einem gewissen Grade von Erstaunen einige Töne von Giovannina's Stimme, welche ein heiteres neapolitanisches Liedchen sang.

Bei den Tönen dieser etwas unzeitigen Heiterkeit seufzte Luisa und sagte bei sich selbst:

»Das arme Mädchen! Sie ist froh, daß die Neapel nicht zu verlassen braucht, und wenn ich frei wäre und eben so wie sie in Neapel bliebe, so würde auch ich ein fröhliches neapolitanisches Liedchen singen.«

Und sie kehrte in ihr Zimmer zurück und ihr Herz fühlte sich durch diese Heiterkeit, die zu ihrem Schmerz einen so schroffen Gegensatz bildete, noch mehr bedrückt als vorher.

Wir brauchen nicht erst zu sagen, welche Gedanken Luisas Herz beschäftigten, sobald sie einmal das Heiligthum ihrer Liebe wieder betreten hatte.

Ihr ganzes Leben ging an ihrem Auge vorüber.

Wir sagen, ihr ganzes Leben, denn in ihrer Erinnerung hatte sie erst während der sechs Wochen gelebt, wo Salvato dieses Zimmer bewohnt hatte.

Von dem Augenblicke an, wo der Verwundete auf sein Schmerzenslager getragen worden, bis zu dem, wo, auf ihren Arm gestützt, der Genesene durch das auf das kleine Gäßchen gehende Fenster das Haus verlassen, wo er, ehe er dieses Fenster verließ, in einem ersten und letzten Kusse seine Lippen auf die ihrigen gedrückt und seine Seele in ihre Brust gehaucht, von diesem Augenblicke an ging nicht blos jeder Tag, sondern auch jede Stunde des Tages, traurig oder freudig, düster oder heiter an ihr vorüber.

Und wie immer folgte sie, die Augen des Körpers geschlossen haltend, aber mit den Augen der Seele dieser langen Kette, als sie plötzlich leise an ihre Thür pochen hörte, worauf Michele in seinem sanftesten Tone ihr durch das Schlüsselloch zuflüsterte:

»Ich bin es, Schwesterchen.«

»Komm' herein, Michele, komm' herein,« sagte sie. »Du weißt, daß Du herein darfst.«

Michele trat ein. Er hielt einen Brief in der Hand.

Luisa heftete mit ausgebreiteten Armen und während ihr der Athen in der Brust stockte, die Augen auf diesen Brief.

War ihr in einem solchen Augenblicke der hohe Trost beschieden, von Salvato einen letzten Brief zu erhalten?

»Es ist ein Brief von Portici,« sagte Michele. »Ich habe ihn aus den Händen des Briefträgers empfangen und bringe ihn Dir.«

»O, gib her! gib her!« rief Luisa. »Er ist von ihm!«

Michele übergab ihr den Brief und wollte die Thür schließen. Ehe er dies jedoch that, fragte er:

»Soll ich bleiben oder soll ich gehen?«

»Bleibe, bleibe!« rief Luisa.

»Du weißt ja, daß ich vor Dir keine Geheimnisse habe.«

Michele blieb, hielt sich aber in der Nähe der Thür.

Luisa entsiegelte rasch den Brief und versuchte, wie immer, vergebens zu lesen. Die Thränen und die Gemüthsbewegung umschleierten ihre Augen mit einem Nebel, der sich erst nach einigen Sekunden ein wenig zerstreute.

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