Kitabı oku: «La San Felice Band 7», sayfa 4
Endlich blieb er bei dem Rasiermesser.
Er setzte sich vor ein Bureau, stellte sich einen kleinen Spiegel gegenüber und legte dann sein Rasiermesser daneben.
Hierauf tauchte er jene Feder, die so oft den Tod eines Nebenmenschen verlangt, in die Tinte und schrieb sich in folgenden Worten sein eigenes Todesurtheil.
»Die Undankbarkeit, deren Opfer ich bin, das Heranrücken eines furchtbaren Feindes, der Mangel an einer Freistätte, haben mich zu dem Entschlusse bewogen, mich dem Leben zu entziehen, welches fortan eine Last für mich ist.
»Man klage Niemanden meines Todes an und möge derselbe den Staatsinquisitoren zum Beispiel dienen.«
Nach Verlauf von zwei Stunden pochte Vannis Gattin, welche allmälig unruhig ward, weil sie das Zimmer ihres Mannes sich nicht wieder öffnen sah und ganz besonders, weil sie kein Geräusch darin hörte, obschon sie mehrmals gehorcht hatte, an die Thür.
Niemand antwortete ihr. Sie rief – abermals blieb Alles stumm.
Man versuchte durch die Thür des Schlafzimmers einzudringen; dieselbe war aber ebenso verschlossen wie die des Cabinets.
Ein Diener erbot sich nun, eine Glasscheibe einzudrücken und durch das Fenster hineinzusteigen.
Man hatte blos dieses Mittel, oder das, die Thür durch einen Schlosser öffnen zu lassen.
Man fürchtete ein Unglück und gab daher dem von dem Diener vorgeschlagenen Mittel den Vorzug.
Die Fensterscheibe ward eingedrückt, das Fenster geöffnet und der Diener stieg hinein.
Er stieß einen lauten Schrei aus und prallte bis an das Fenster zurück.
Vanni hing rückwärts geneigt über die Armlehne seines Sessels. Er hatte sich mit seinem neben ihm auf der Diele liegenden Rasiermesser die Halsschlagadern durchschnitten.
Das Blut war auf den Schreibtisch gespritzt, an welchem so oft Blut verlangt worden; der Spiegel, vor welchem Vanni sich die Arterie geöffnet, war roth davon, der Brief, in welchem er die Ursache seines Selbstmordes erklärte, war damit besudelt.
Er war fast augenblicklich gestorben, ohne Kampf, ohne Schmerz.
Gott, der so streng gegen ihn gewesen, daß er ihm nur das Grab als Zuflucht gelassen, war wenigstens in Bezug auf seinen Todeskampf barmherzig gegen ihn gewesen.
»Aus dem Blute der Gracchen,« sagt Mirabeau, »ward Marius geboren.« Aus dem Blute Vannis erstand Speciale.
Vielleicht wäre es um der Einheit unseres Buches willen besser gewesen, aus Vanni und Speciale eine einzige Person zu machen, die unerbittliche Geschichte aber zwingt uns, zu constatieren, daß Neapel seinem König zwei Foucquier Tinville geliefert hat, während Frankreich der Revolution nur einen lieferte.
Das Beispiel, welches Vanni hätte überleben sollen, ging verloren. Es fehlt zuweilen an Henkern, um Todesurtheile zu vollziehen, niemals aber an Richtern, um dergleichen zu fällen.
Am nächstfolgenden Tage, gegen drei Uhr Nachmittags, als das Wetter sich aufgeheitert hatte und der Wind günstig geworden war, lichteten die englischen Schiffe die Anker, spannten die Segel, stachen in See und verschwanden am Horizont.
Fünftes Capitel.
Der Waffenstillstand
Die Abreise des Königs versetzte, obschon man seit zwei Tagen darauf gefaßt gewesen, Neapel in einen Zustand förmlicher Betäubung.
Das auf den Quais sich drängende Volk, welches, so lange es die englischen Schiffe vor Anker liegen sah, immer noch gehofft hatte, daß der König seinen Entschluß ändern und sich von den Bitten und Versprechungen der Anhänglichkeit rühren lassen würde, blieb, bis das letzte Fahrzeug am grauen Horizont verschwunden war, und ging dann traurig und schweigend auseinander.
Am Abend ging eine seltsame Stimme durch die Straßen von Neapel. Wir bedienen uns hier der neapolitanischen Form, welche unsern Gedanken vortrefflich ausdrückt.
Die Leute, welche einander begegneten, sagten: »Feuer!« aber Niemand wußte, wo dieses Feuer, noch wodurch es verursacht ward.
Das Volk versammelte sich abermals am Strande. Ein dicker von der Mitte des Golfs aufsteigender Rauch wälzte sich, von Westen nach Osten geneigt, zum Himmel empor.
Es war die neapolitanische Flotte, welche auf Befehl Nelsons und unter der Leitung des Marquis von Nizza verbrannt ward.
Es war ein schönes Schauspiel, aber zugleich ein sehr kostspieliges.
Man gab hundert und zwanzig Kanonenboote den Flammen preis.
Diese hundert und zwanzig brennenden Boote bildeten einen einzigen unermeßlichen Scheiterhaufen, während man auf einem andern Punkte des Golfs, wo in einiger Entfernung von einander zwei Linienschiffe und drei Fregatten vor Anker lagen, plötzlich einen Flammenstrahl von einem Schiff zum andern laufen sah.
Sämtliche fünf Fahrzeuge standen mit einem Mal im Feuer und jene Flamme, welche anfangs auf dem Meeresspiegel hingeglitten war, lief nun die Flanken der Schiffe entlang, stieg, ihre Formen zeichnend, an den Masten, an den Raaen, an dem getheerten Takelwerk, an den Mastkörben hinauf bis auf die Mastspitzen, wo die Kriegsflaggen wehten.
Dann, nachdem diese phantastische Illumination einige Augenblicke gedauert, sanken die Schiffe in Asche, erloschen und verschwanden von den Wellen verschlungen.
Dies war das Ende fünfzehnjähriger Arbeiten, dies war die Vernichtung unermeßlicher Summen an einem einzigen Abend und zwar ohne Zweck, ohne Resultat.
Das Volk kehrte in die Stadt zurück, wie an einem Festtage nach einem Feuerwerk; nur hatte das Feuerwerk zwanzig Millionen gekostet.
Die Nacht war düster und still, aber es war jene Stille, welche dem Ausbruch des Vulkans vorangeht.
Am nächsten Morgen mit Tagesanbruch ergoß sich das Volk lärmend und drohend durch die Straßen.
Die seltsamsten Gerüchte waren in Umlauf.
Man erzählte, daß die Königin vor ihrer Abreise zu Pignatelli gesagt hätte:
»Zünden Sie Neapel an, wenn es sein muß. Es gibt in Neapel nichts Gutes als das Volk. Retten Sie das Volk und vernichten Sie alles Uebrige.«
Man blieb vor den Maueranschlägen stehen, auf welchen die Aufforderung zu lesen war:
»Sobald die Franzosen den Fuß auf neapolitanischen Boden setzen, werden alle Gemeinden sich in Masse erheben und das Blutbad beginnen.«
»Im Auftrage des Königs:
»Pignatelli, Generalvicar.«
Uebrigens hatten während der Nacht vom 23. zum 24. December, das heißt während der Nacht, die auf die Abreise des Königs gefolgt war, die Vertreter der Stadt sich versammelt, um sich über die zur Sicherheit Neapels zu ergreifenden Maßregeln zu berathen.
Man nannte die Stadt das, was man in unserer Zeit die Municipalität nennen würde, das heißt sieben von den Sedili gewählte Personen.
Die Sedili waren die Inhaber von Privilegien, welche seit länger als achthundert Jahren bestanden.
Als Neapel noch griechische Stadt und Republik war, hatte es wie Athen Portiken, worin sich die Reichen, die Edlen und die Krieger versammelten, um die öffentlichen Angelegenheiten zu besprechen.
Diese Portiken waren seine Agora.
Unter diesen Portiken oder Hallen gab es runde Sessel, welche man Sedili nannte.
Das Volk und die Bürgerschaft waren von diesen Portiken nicht ausgeschlossen, aus Bescheidenheit aber schlossen sie sich selbst davon aus und überließen sie der Aristokratie, welche, wie wir gesagt haben, darin die Staatsangelegenheiten berieth.
Anfangs gab es vier Sedili, das heißt eben so viel als Neapel Stadttheile hatte, dann sechs, dann zehn, dann zwanzig.
Diese Sedili vermehrten sich zuletzt bis auf neunundzwanzig, da sie sich aber miteinander vermengt hatten, so wurden sie endlich definitiv bis auf fünf reduziert, welchen die Namen der Localitäten beigelegt wurden, in welchen sie sich befanden, das heißt Capuana, Montagna, Nido, Porto und Porta Nuova.
Die Sedili gewannen eine solche Bedeutung, daß Carl von Anjou sie als Gewalten in der Regierung anerkannte. Er gewährte ihnen das Vorrecht, die Hauptstadt und das Königreich zu vertreten, aus ihrer Mitte die Mitglieder des Municipalraths von Neapel zu ernennen, die Einkünfte der Stadt zu verwalten, das Bürgerrecht an Ausländer zu verleihen und in gewissen Sachen zu Gericht zu sitzen.
Allmälig bildeten sich ein Volk und eine Bürgerschaft. Dieses Volk und diese Bürgerschaft verlangten, als sie sahen, daß die Edlen, die Reichen und die Krieger allein die Angelegenheiten Aller verwalteten, ihrerseits ebenfalls eine Seggio oder Sedile, der ihnen auch zugestanden ward, und welchen man den Sedile des Volks nannte.
Mit Ausnahme des Adels besaß dieser Sedile dieselben Privilegien wie die fünf andern.
Die Municipalität von Neapel bestand damals aus einem Syndicus und sechs Räthen. Neunundzwanzig in den verschiedenen Stadttheilen gewählte Mitglieder, welche an die neunundzwanzig früher existierenden Sedili erinnerten, waren ihnen beigegeben.
Nachdem der König abgereist war, versammelten sich folglich der Syndicus, die zehn Räthe und die den Bürgerstand vertretenden neunundzwanzig Abgeordneten und faßten vor allen Dingen den Entschluß, eine Nationalgarde zu bilden und vierzehn Deputierte zu wählen, welche die Aufgabe hätten, bei den noch unbekannten, jedenfalls aber ernsten sich vorbereitenden Ereignissen für die Vertheidigung Neapels zu sorgen und die Interessen der Stadt wahrzunehmen.
Wir bitten unsere Leser, diese langen Auseinandersetzungen zu entschuldigen. Wir halten dieselben jedoch zum Verständniß der zu erzählenden Thatsachen für nothwendig, über welche die Unbekanntschaft mit der bürgerlichen Constitution von Neapel und den Rechten und Privilegiender Neapolitaner ein gewisses Dunkel werfen würde. Der Leser würde in diesem Falle dem großen Kampfe zwischen Königthum und Volk beiwohnen, ohne, wir wollen nicht sagen die Kräfte, wohl aber die Rechte eines jeden der beiden Kämpfer zu kennen.
Am 24. December also, das heißt am Morgen nach der Abreise des Königs, während man mit der Wahl von vierzehn Deputierten beschäftigt war, begaben sich die Stadt und der Magistrat zu dem Generalvicar Fürsten Pignatelli, um diesem ihre Huldigungen darzubringen.
Der Fürst Pignatelli, ein in der vollsten Bedeutung des Wortes mittelmäßiger Mensch, der Situation, welche die Ereignisse ihm bereitet, nicht im mindesten gewachsen, aber, wie dies immer zu sein pflegt, um desto stolzer und hochmüthiger – empfing die Deputation auf so intolente Weise, daß sie sich fragte, ob die angeblichen Instructionen, welche, wie man behauptete, die Königin zurückgelassen, nicht wirklich ertheilt worden, und ob die Königin nicht in der That das verhängnißvolle Wort gesprochen, welches die Neapolitaner zittern machte.
Mittlerweile waren die vierzehn Deputierten oder vielmehr Repräsentanten, welche die Stadt wählen sollte, gewählt worden.
Als ersten ihre Ernennung und ihre Existenz konstatierenden Act beschlossen sie, trotz des mittelmäßigen Erfolges der ersten Gesandtschaft, an den Fürsten Pignatelli eine zweite zu schicken, die ganz besonders beauftragt werden sollte, den Nutzen der Nationalgarde auseinanderzusetzen, deren Errichtung von der Stadt beschlossen worden.
Der Fürst Pignatelli war jedoch diesmal noch hochmüthiger und brutaler als das erste Mal. Er antwortete den Deputierten, daß die Sicherheit der Stadt nicht ihnen, sondern ihm anvertraut sei und daß er für diese Sicherheit an der geeigneten Stelle Rechenschaft geben werde.
Es geschah nun, was gewöhnlich in den Umständen zu geschehen pflegt, wo die Volksgewalten, Kraft ihrer Rechte, ihre Functionen auszuüben beginnen.
Die Stadt, welcher von der insolenten Antwort des Generalvicars Mittheilung gemacht ward, ließ sich durch diese Antwort durchaus nicht einschüchtern. Sie ernannte neue Deputierte, welche zum dritten Mal vor dem Fürsten erschienen und die, als sie sahen, daß er dieses dritte Mal in noch brutalerem Tone mit ihnen sprach als die beiden ersten, sich begnügten ihm zu antworten:
»Sehr wohl! Handeln Sie Ihrerseits; wir werden unsererseits handeln und dann sehen, zu wessen Gunsten das Volk entscheiden wird.«
Hierauf zogen sie sich zurück.
Man war in Neapel ungefähr so weit, als man in Frankreich nach dem Schwur im Ballspielhaus gewesen. Nur war die Situation für die Neapolitaner klarer, weil der König und die Königin nicht da waren.
Zwei Tage später empfing die Stadt die Ermächtigung, die von ihr decretierte Nationalgarde zu bilden.
Die Schwierigkeit lag aber weit mehr in der Art, sie zu bilden, als darin, ob der Fürst Pignatelli die Autoriation dazu ertheilen würde oder nicht.
Die Errichtung sollte durch Anwerbung geschehen; Anwerbung war aber noch keine Organisation.
Der Adel, welcher in Neapel gewohnt war, alle Aemter zu begleiten, hatte bei dem neuen Corps, das sich auf diese Weise organisierte, die Anmaßung, alle höheren Posten zu beanspruchen, oder wenigstens der Bürgerschaft blos die unteren Grade zu überlassen, aus welchen sie sich nichts machte.
Endlich nachdem man die Sache drei oder vier Tage lang discutirt, kam man überein, daß die Grade zwischen die Bürger und Edelleute in gleicher Weise verheilt werden sollten.
Auf diese Basis hin ward ein ziemlich guter Plan entworfen und die Anwerbungen erreichten binnen drei Tagen die Höhe von vierzehntausend Mann.
Nun aber, nachdem man die Mannschaften hatte, galt es, auch Waffen herbeizuschaffen, und hier stieß man von Seiten des Generalvikars auf hartnäckigen Widerstand.
Nach langem Kampfe erhielt man erst fünfhundert und dann noch zweihundert Gewehre.
Nun wurden die Patrioten – dieses Wort ward schon laut ausgesprochen – aufgefordert, ihre Waffen herzuleihen.
Die Patrouillen begannen sofort die Runde zu machen und die Stadt gewann einen gewissen Anstrich von Ruhe.
Plötzlich aber, und zum großen Erstaunen eines Jeden, erfuhr man in Neapel, daß ein zweimonatlicher Waffenstillstand, dessen erste Bedingung die Wiederherausgabe von Capua sein sollte, am Tage vorher, das heißt am 9. Januar 1799 auf das Verlangen des Generals Mack zwischen dem Fürsten von Migliano und dem Herzoge von Geno im Namen der durch den Generalvicar repräsentierten Regierung einerseits und dem Commissär Archambal für die republikanische Armee andererseits unterzeichnet worden.
Der Waffenstillstand kam Championnet äußerst gelegen und zog ihn aus einer großen Verlegenheit.
Die von dem Könige wegen Niedermetzelung der Franzosen erheilten Befehle waren buchstäblich befolgt worden. Außer den drei großen Banden Promios, Mammones und Fra Diavolo's, welche wir in Thätigkeit gesehen, hatte Jeder sich zur Franzosenhatz aufgemacht.
Tausende von Bauern bedeckten die Landstraßen und trieben sich in den Wäldern und im Gebirge umher, um, hinter Bäumen lauernd, hinter den Felsen versteckt oder in Schluchten liegend, unerbittlich Alle niederzumetzeln, welche die Unklugheit begingen, hinter den Colonnen zurückzubleiben oder sich von ihren Lagerplätzen zu entfernen.
Ueberdies hatten sich die von Livorno zurückgekehrten Truppen des Generals-Naselli, nachdem sie sich mit den Trümmern von Damas Colonne vereinigt, eingeschifft, um die Mündungen des Garigliano zu besetzen und die Franzosen von hinten anzugreifen, während Mack dies von vorn thun sollte.
Die Lage Championnets, der sich mit seinen zweitausend Mann von dreißigtausend Mann Empörern umringt sah und es zu gleicher Zeit mit Mack, der Capua mit fünfzehntausend Mann besetzt hielt, mit Naselli, der deren achttausend hatte, mit Damas, dem noch fünftausend blieben, und mit Rocca Romana und Malinterno, die Jeder ein Regiment Freiwillige commandierten, zu thun hatte, war sicherlich eine sehr ernste.
Macdonald's Armeecorps hatte Capua durch Ueberrumplung nehmen wollen. Dem zu Folge war er bei nächtlicher Weile vorgerückt und hatte schon das Außenwerk San Giuseppe erreicht, als ein Artillerist, welcher Geräusch hörte und Männer in der Dunkelheit vorüberschleichen sah, sein Geschütz aufs Gerathewohl abgefeuert und dadurch die Besatzung alarmiert hatte.
Andererseits hatten die Franzosen den Volturno in der Nähe von Cajazzo passieren wollen, waren aber von Rocca Romana und seinen Freiwilligen zurückgeworfen worden. Rocca Romana hatte bei dieser Gelegenheit Wunder gethan.
Championnet hatte seiner Armee sofort Befehl erheilt, sich um Capua herum zu concentrieren, welches er nehmen wollte, ehe er gegen Neapel marschierte.
Die Armee führte diese Bewegung aus. Nun sah er, wie isoliert er war, und begriff die Gefahr der Situation in ihrem ganzen Umfange. Er war schon bemüht, in irgend einer jener energischen Thaten, zu welcher die Verzweiflung begeistert, das Mittel zu suchen, um sich dieser Lage zu entreißen und den Feind durch irgend einen blendenden Handstreich einzuschüchtern, als er plötzlich und in dem Augenblicke, wo er es am wenigsten erwartete, die Thore von Capua sich öffnen und unter dem Vortritt einer Parlamentärflagge einige höhere Officiere herauskommen sah, welche beauftragt waren, den Abschluß eines Waffenstillstandes zu beantragen.
Diese höheren Officiere, welche Championnet nicht kannte, waren, wie wir bereits gesagt haben, der Fürst von Migliano und der Herzog von Geno.
Der Waffenstillstand, hieß es in den Präliminarien, hatte den Zweck, zum Schluß eines dauernden Friedens zu führen.
Die Bedingungen, welche die beiden neapolitanischen Bevollmächtigten autorisiert waren vorzuschlagen, waren die Herausgabe Capuas und die Absteckung einer Militärlinie, zu deren beiden Seiten die neapolitanischen und die französischen Armeen jede die Entscheidung ihrer Regierung abwarten sollten.
In der Lage, in welcher Championnet sich befand, waren solche Bedingungen nicht blos annehmbar, sondern auch vortheilhaft. Dennoch aber wies Championnet sie zurück, indem er sagte, die einzigen Bedingungen, denen er Gehör geben könne, wären die, deren Resultat die Unterwerfung der Provinzen und die Uebergabe von Neapel wäre.
Die Bevollmächtigten waren nicht autorisiert, so weit zu gehen, und zogen sich deshalb zurück.
Den nächstfolgenden Tag kamen sie mit denselben Rathschlägen wieder, die, wie am Tag vorher, abermals zurückgewiesen wurden.
Endlich, nach zwei Tagen, während welcher die Lage der von allen Seiten eingeschlossenen französischen Armee nur noch schlimmer geworden war, erschienen der Fürst von Migliano und der Herzog von Geno zum dritten Male und erklärten, daß sie ermächtigt seien, auf jede Bedingung einzugehen, welche nicht die Uebergabe von Neapel in sich schlösse.
Dieses neue Zugeständniß der neapolitanischen Bevollmächtigten war in der Lage, in welcher sich die französische Armee befand, so seltsam, daß Championnet an irgend eine List, einen Hinterhalt glaubte.
Er berief seine Generale zusammen und befragte sie um ihren Rath. Die einstimmige Meinung ging dahin, daß man den Waffenstillstand bewilligen solle.
Der Waffenstillstand ward demnach auf zwei Monate und unter den folgenden Bedingungen bewilligt:
Die Neapolitaner sollten die Citadelle Capua mit Allem, was dieselbe enthielte, übergeben.
Eine Contribution von dritthalb Millionen Ducati sollte erhoben werden, um die Kriegskosten zu decken, welche Frankreich durch den von Seiten des Königs von Neapel ausgegangenen Angriff verursacht worden.
Diese Summe sollte auf zweimal, zur Hälfte am 15. Januar, zur Hälfte am 25. desselben Monats, bezahlt werden.
Es ward eine Linie gezogen, zu deren beiden Seiten die beiden Armeen sich zu halten hätten.
Dieser Waffenstillstand war ein Gegenstand des Erstaunens für alle Welt, selbst für die Franzosen, welche nicht wußten, aus welchem Beweggrunde derselbe vorgeschlagen worden. Er ward nach dem Namen des Dorfes Sparasini, wo er abgeschlossen worden, benannt und am 10. Januar unterzeichnet.
Wir, die wir die Beweggründe kennen, welche ihn herbeigeführt und die später sich herausstellten, wollen dieselben mittheilen.
Sechstes Capitel.
Die drei Parteien in Neapel zu Anfang des Jahres 1798
Unser Buch ist, wie der Leser schon längst bemerkt haben wird, eine historische Erzählung, in welcher sich, wie zufällig, auch ein dramatisches Element findet.
Anstatt aber, daß dieses romantische Element die Ereignisse leitete und unter sich beugte, unterwirft es sich gänzlich der Nothwendigkeit der Thatsachen und schimmert gewissermaßen blos hindurch, um diese Thatsachen unter einander zu verknüpfen.
Diese Thatsachen sind so seltsam und die darein verflochtenen Persönlichkeiten so eigenthümlich, daß wir zum ersten Male, seitdem wir die Federführen, uns über den Reichthum der Geschichte beklagt haben, welche über unsere Phantasie den Sieg davongetragen hat.
Wir fürchten daher, wenn die Nothwendigkeit es erfordert, nicht, wir sagen nicht die erdichtete Erzählung – denn Alles, was in diesem Buche steht, ist wahr – sondern die malerische Erzählung auf einige Augenblick zu verlassen und Tacitus von Walter Scott zu trennen.
Das Einzige, was wir bedauern, ist, daß wir nicht gleichzeitig die Feder des römischen Historikers und die des schottischen Romandichters besitzen, denn mit den Elementen, die uns gegeben waren, hätten wir dann ein Meisterwerk geschrieben.
Wir haben Frankreich von einer Revolution in Kenntniß zu setzen, die ihm bis jetzt beinahe unbekannt geblieben ist, weil sie in einer Zeit geschah, wo Frankreichs eigene Revolution eine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, und ferner auch, weil ein Theil der Ereignisse, die wir erzählen, in Folge der Maßregeln der sie unterdrückenden Regierung den Neapolitanern selbst unbekannt blieb.
Nachdem wir dies vorausgeschickt, nehmen wir unsere Erzählung wieder auf und wollen einige Zeilen der Erklärung jenes Waffenstillstandes von Sparasini widmen, welcher am 10. Januar, wo er bekannt ward, Neapel in Erstaunen setzte.
Wir haben gesagt, wie die Stadt Repräsentanten ernannt hatte – wie sie selbst sich zu dem Generalvikar begeben, wie sie Deputationen zu ihm geschickt hatte.
Das Resultat von all' diesem war gewesen, daß man einsah, der Fürst Pignatelli repräsentiere die absolute Gewalt des Königs, eine veraltete, aber noch in voller Macht bestehende Gewalt, und die Stadt, die im Entstehen begriffene Volksgewalt, welche aber schon das Bewußtsein der Rechte besaß, die erst sechzig Jahre später anerkannt werden sollten.
Diese beiden einander natürlich entgegengesetzten und feindseligen Gewalten hatten begriffen, daß sie sich nicht gemeinschaftlich bewegen konnten. Dennoch aber hatte die Volksgewalt über die königliche einen Sieg davongetragen, und dieser bestand in der Errichtung der Nationalgarde.
Abgesehen von diesen beiden Parteien aber, welche die eine den königlichen Absolutismus, die andere die Volkssouveränität repräsentierten, gab es auch noch eine dritte, welche, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, die Partei der Intelligenz war.
Es war dies die französische Partei, deren Hauptanführer wir in einem der ersten Capitel dieses Werkes unseren Lesern bereits vorgeführt haben.
Diese Partei, welche die Unwissenheit der unteren Volksclassen in Neapel, die Corruption des Adels, den geringen Gemeinsinn des kaum geborenen und noch niemals zur Führung der öffentlichen Angelegenheiten berufenen Bürgerthums kannte, diese Partei hielt die Neapolitaner für unfähig, etwas durch sich selbst zu unternehmen, und verlangte mit aller Gewalt die französische Invasion, ohne welche, glaubte sie, man sich in bürgerlichen Zwistigkeiten und inneren Streitigkeiten verzehren würde.
Um daher in Neapel eine dauernde Regierung zu gründen – und diese Regierung sollte nach der Ansicht der Männer dieser Partei eine Republik sein – um also eine Republik zu gründen, bedurfte es der festen und ganz besonders redlichen Hand Championnet‘s.
Nur diese Partei allein wußte fest und klar, was sie wollte.
Was die royalistische und die nationale Partei betraf, in Bezug auf welche die Utopisten die Hoffnung nährten, sie in eine einzige verschmelzen zu können, so war bei dieser Alles in Verwirrung und der König kannte die Zugeständnisse, die er machen sollte, eben so wenig, als das Volk die Rechte, die es verlangen konnte.
Das Programm der Republikaner war einfach und klar: die Regierung des Volkes durch das Volk, das heißt durch seine erwählten Vertreter.
Eine der seltsamsten Erfahrungen unserer armen Welt ist, daß die klarsten und einfachsten Dinge allemal die sind, deren Verwirklichung mit den größten Schwierigkeiten verbunden ist.
Nachdem den Häuptern der republikanischen Partei durch die Abreise des Königs freie Bewegung gestattet worden, hatte sie sich nicht mehr im Palaste der Königin Johanna – eine so große Geheimhaltung war nicht mehr nöthig, obschon man immer noch gewisse Vorsichtsmaßregeln beobachten mußte, sondern in Portici bei Schipani versammelt.
Hier hatte man beschlossen, alles nur irgend Mögliche zu thun, um den Einzug der Franzosen in Neapel zu erleichtern und zu fördern und unter dem Schutze der französischen Republik die parthenopeiche Republik zu gründen.
Da aber die Stadt Deputierte zu Hilfe gerufen, ebenso wie die republikanischen Anführer die Thüren ihrer Berathungszimmer einer gewissen Anzahl Männer ihrer Partei geöffnet, und da Alles durch Stimmenmehrheit entschieden ward, so waren die vier Häupter – Nicolino's Einkerkerung in dem Fort San Elmo und Hector Caraffa‘s Abwesenheit hatten nämlich die Zahl der republikanischen Anführer auf vier reducirt – so waren, sagen wir, die vier Anführer nicht mehr mächtig genug gewesen, um die Berathungen zu leiten und die Beschlüsse zu bestimmen.
Es war demgemäß in dem republikanischen Clubb zu Portici mit Ausnahme von vier Stimmen, welche die Cirillos, Manthonnets, Schipanis und Velasco's waren, einmüthig beschlossen worden, Unterhandlungen mit Rocca Romana, welcher sich in dem Gefecht bei Cajazzo gegen die Franzosen ausgezeichnet, und mit Malinterno zu eröffnen, welcher letztere neue Beweise von jenem feurigen Muth gegeben, den er früher in Tirol gezeigt.
Und es wurden ihnen in der That Vorschläge gemacht, durch welche man einem jeden von ihnen eine hohe Stellung in der neuen Regierung, welche in Neapel errichtet werden sollte, anbot, wenn sie sich der republikanischen Partei anschließen wollten.
Der mit dieser Unterhandlung beauftragte Parlamentär stellte den beiden Obersten in beredter Weise das Unheil vor, welches der Rückzug der Franzosen für Neapel zur Folge haben könne, und sei es nun aus Ehrgeiz, sei es aus Patriotismus, kurz die beiden Edelleute verstanden sich dazu, mit den Republikanern ein Abkommen zu treffen.
Mack und Pignatelli waren daher die Einzigen, welche sich der Wiedergeburt Neapels widersetzten, weil, wenn die Civilgewalt und die Militärgewalt verschwunden wären, zu erwarten stand, daß die nationale Partei, welche sich von der republikanischen nur durch Nuancen unterschied, sich mit dieser vereinigen würde.
Wir entlehnen die folgenden Einzelheiten, welche unsere Leser weder in Cuoco, einem gewissenhaften Schriftsteller, aber vorurtheilsvollen Parteimann, noch in Colletta, einem parteiischen und leidenschaftlichen Schriftsteller, welcher fern von Neapel und ohne andere Quellen schrieb, als seine von Haß oder Sympathie erfüllten Erinnerungen, finden werden – wir entlehnen, sagen wir, die folgenden Einzelheiten den »Memoiren zur Geschichte der letzten Revolution von Neapel«, einem im Jahre 1803 in Frankreich erschienenen sehr seltenen und sehr interessanten Werke.
Der Verfasser desselben, Bartolomeo N***, ist Neapolitaner und erzählt mit der Naivetät eines Menschen, der vom Recht und vom Unrecht nur einen unklaren, verworrenen Begriff hat, die Thatsachen, welche seinen Landsleuten zur Ehre gereichen, ebenso wie die, welche ihnen zur Schande angerechnet werden müssen. Er ist eine Art Suetonius, welcher ad narrandum, non ad probandum schreibt.
»Es fand nun,« sagt er, »zwischen dem Fürsten von Malinterno und einem der Anführer der Jakobinerpartei, [Wir haben daher dreist sagen können, daß dieser Anführer der Jakobinerpartei weder Cirillo, noch Schipani, noch Manthonnet, noch Velasco, noch Ettore Caraffa war, weil im Jahre 1803, wo Bartolomeo N. . . ein Buch schrieb, die vier erstern gehenkt und der letztere enthauptet waren.] den ich nicht nennen will, um ihn nicht zu compromittieren, eine Unterredung statt.
»In dieser Unterredung kam man dahin überein, daß Mack in der Nacht zum 10. Januar in Capua ermordet werden, daß Malinterno sofort das Commando der Armee übernehmen und vor die Mauern des königlichen Palastes in Neapel einen seiner Officiere schicken sollte, der hier mit einem Verschworenen zusammentreffen würde, welcher zunächst nach dem Signalement und zweitens an einer verabredeten Parole leicht zu erkennen wäre. Dieser Verschworene sollte, sobald er die Gewißheit von Macks Tode hätte, unter dem Vorwand eines freundschaftlichen Besuchs bis zu dem Fürsten Pignatelli dringen und denselben eben so ermorden, wie man Mack ermordet haben würde. Dann sollte man sich sofort des Castello Nuovo, auf dessen Commandanten man rechnen könne, bemächtigen und hierauf alle sonst zu einer Aenderung der Regierung erforderlichen Maßregeln treffen, während man zugleich mit den Franzosen, die unsere Brüder geworden, einen möglichst vortheilhaften Frieden abschlösse.«
Der Gesandte von Capua fand sich zur bestimmten Stunde vor dem königlichen Palast ein und fand hier die Verschworenen, nur hatte er ihnen anstatt den Tod Mack's die Verhaftung Malinternos zu melden.
Mack, welcher Kunde von dem Complott erhalten, hatte schon am Abend vorher Malinterno festnehmen lassen.
Die Patrioten von Capua jedoch, welche mit denen von Neapel in Verbindung standen, hatten das Volk zu Malinterno's Gunsten aufgewiegelt.
Malinterno war demzufolge freigelassen, jedoch von dem General Mack nach Santa Maria geschickt worden.
Die Verschwörung war sonach verrathen und es wäre, da Mack lebte, unnütz gewesen, sich Pignatellis zu entledigen.
Pignatelli aber, der ohne Zweifel durch Mack von dem Complott, welchem sie beinahe beide zum Opfer gefallen wären, unterrichtet worden, war darüber erschrocken und hatte nun aus Furcht den Fürsten von Migliano und den Herzog von Geno abgesendet, um mit den Franzosen einen Waffenstillstand zu schließen.
Dies war der Grund, weshalb Championnet in dem Augenblick, wo er es am wenigsten erwartete und am wenigsten erwarten konnte, die Thore von Capua sich öffnen und die beiden Abgesandten des Generalvikars herauskommen sah.
Jetzt noch eine kurze Erklärung in Bezug auf die Worte, welche wir so eben unterstrichen haben und die sich auf die beabsichtigte Ermordung Macks und Pignatellis beziehen.