Kitabı oku: «Liebesdramen», sayfa 18
Dritter Theil
Erstes Capitel.
Wo Margarethe wieder auftritt.
(Fortsetzung.)
Als sie Beide beruhigt waren, sahen sie ein, daß sie sich weniger mit ihren Gefühlen, als mit den Verhältnissen zu beschäftigen hätten.
Fontanieu benutzte diese Gelegenheit, um sich über seine ihm immer verhaßter werdende Beschäftigung auszusprechen Er gab der Marquise zu bedenken, daß sie in Zukunft noch viele unangenehme Auftritte zu erwarten hätten, und gestand ihr, daß er selbst ihre Stellung als Verkäuferin von Hauben, Unterröcken und Windeln höchst lächerlich finde. Die Gesellschaft werde sie gewiß mit ihrem Haß verfolgen, weil sie sich gegen ihre Sitten und Gebrauche aufgelehnt, und an neuen anstößigen Auftritten werde es gewiß nicht fehlen.
Emma mochte nicht zugeben, daß die Verwirklichung eines ihr so ehrenvoll scheinenden Planes unmöglich sei; in ihrer Herzensreinheit sah sie nicht ein, daß ihre Uneigennützigkeit und Anspruchlosigkeit den Haß Anderer erregen könne; sie konnte nicht glauben, daß die Gesellschaft, welche gegen die frech einhergehende Schmach so nachsichtig ist, unversöhnlich sein werde gegen zwei harmlose Wesen, die nur in Ruhe und Frieden zu leben wünschten.
Aber Louis von Fontanieu gab sich nicht überwunden; er meinte, in einer andern Stellung werde er die feurige Liebe wiederfinden, die in der Atmosphäre der Curszettel und Wechsel bedeutend erkaltet war. Er schilderte mit grellen Farben seinen Widerwillen gegen das Geschäftsleben und betheuerte, wie tief es ihn schmerzt, seine Emma in dem kleinen Putzladen zu sehen. Endlich gab er ihr zu verstehen, daß er seinen Verdruß nicht bemeistern könne, und daß die Folgen desselben noch schrecklicher werden könnten.
Wie großen Werth auch die Marquise auf die Ausführung ihres ersten Entschlusses legte, wie sehr sie auch, nach sechsmonatlicher Erfahrung, von der Nothwendigkeit der Arbeit überzeugt war, so mußten diese Rücksichten doch einen großen Eindruck auf ihre Stimmung machen. Aber ehe ein Entschluß gefaßt wurde, mußten die Folgen in Erwägung gezogen werden.
Die Rue de Seze verlassen, zum Clos-beni zurückkehren und daselbst in der Entbehrung leben, die Fontanieu in seiner Aufregung wollte, war nicht einmal mehr ausführbar.
Die Marquise von Escoman hatte aus dem Verkauf ihrer Geschmeide achtundzwanzigtausend Francs gelöst; aber der größte Theil dieser Summe war durch die Ablösung des Geschäfts, durch den Ankauf von Waaren und durch das kleine Hauswesen aufgezehrt worden.
Louis von Fontanieu bat Emma, sich auf ihn zu verlassen: er wollte arbeiten und für ihren Lebensunterhalt sorgen. Aber wie erfreut sie auch über seine Versprechungen, war, so war sie doch zu klug, um sich auf den Zufall zu verlassen. Sie beschwor Fontanieu, sich mit Muth und Geduld zu waffnen; sie sei bereit, das Putzwaarengeschäft zu Verkaufen, mit dem Erlös könnten sie leicht etwas Besseres anfangen.
Dieser Entschluß, der eine sechsmonatliche saure Arbeit vergeblich machte, kostete Emma große Ueberwindung, aber die Freude Fontanieu’s entschädigte sie für ihr Opfer.
Sie fürchtete nur, daß Margarethe ihre Drohung, welche Emma im Nebenzimmer gehört, in Ausführung bringen werde, daß die Verfolgungen der Grisette die letzten Tage, welche sie im Laden zubringen mußte, sehr peinlich machen würden. Diese Besorgniß konnte sie nicht verschweigen.
Das Bewußtsein der Schuld führt gemeiniglich zu übergroßen Eifer. Louis von Fontanieu beschloß die Gefahr, welche Emma fürchtete, um jeden Preis zu beseitigen.
In seinem Bureau waren Söhne von Kaufleuten aus der Provinz, welche sich in Paris zu ihrem künftigen Berufe weiter ausbildeten. Die jungen Leute benutzten die Gelegenheit, nicht nur in die Mysterien der Börse, sondern auch in die der eleganten Welt eingeweiht zu werden. Fontanieu erhielt von einem derselben die Adresse eines Frauenzimmers, welches unter den reichen Wüstlingen etwa dieselbe Stellung einnahm, wie Margarethe Gelis.
Er glaubte gegen dir verführerischen Netze seiner vormaligen Geliebten so gut gewaffnet zu sein, daß er eine Zeit lang unschlüssig war, ob er sich nicht in ihre Wohnung begeben sollte.
Um jedoch den unvermeidlichen, für ihn sehr peinlichen Erörterungen auszuweichen, entschloß er sich, an sie zu schreiben.
Er appellirte an ihre Großmuth und an ihren gesunden Verstand. Wenn Margarethe das Recht zu haben meine, einige Rache auszuüben, so habe sie sich an ihn, den Beleidiger, und nicht an eine ganz schuldlose Frau zu wenden.
Er schickte seinen Brief durch einen Commissionär ab. Dieser brachte ihm nach einer halben Stunde eine recht günstige Antwort.
Herr von Fontanieu, schrieb Margarethe, wisse recht gut, daß man ihm nichts abschlagen könne; sie bedauere nur, daß er sein Anliegen nicht persönlich vorgetragen.
Louis von Fontanieu zerriß den Brief Margarethens, streute die kleinen Stücke auf die Straße und ging ganz vergnügt nach Hause.
Er war mit Emma, mit sich selbst und zugleich mit Margarethe zufrieden. Die Grisette war im Grunde nicht so schlimm, wie sie hatte scheinen wollen.
Er wunderte sich daher nicht allzu sehr, daß ihm die hübsche Dunenserin im Traume erschien.
Erst nach drei bis vier Tagen bemerkte er, daß sie in seinen Gedanken wirklich ihren Wohnsitz genommen hatte.
Er saß an Emma’s Seite, als sich diese Betrachtung ihm aufdrängte.
Er nahm sie auf den Schooß und küßte sie zärtlich, als ob sich sein Herz gegen diese Ueberrumpelung seiner Phantasie verwahren wollte. Er beruhigte sich vollends durch den Gedanken, man könne nur eine Blondine lieben, und nur eine Blondine sei treu und tugendhaft.
Aber trotz dieses Protestes wandten sich seine Gedanken, wie die Magnetnadel, immer einem und demselben Pole zu. Die Phantasiegebilde, welche seiner Liebe zu Emma einen so hohen Schwung gegeben hatten, tauchten wieder auf; aber im Hintergrunde zeigte sich immer wieder das verführerische Bild Margarethens. Sonderbarer Contrast! eben das Sinnlich-Ueppige, das früher sein Zartgefühl verletzt und ihn der Exgrisette entfremdet hatte, zog ihn nun unwiderstehlich an.
Wie der Hatschischesser, wie der Opiumraucher, wie alle Die, welche sich in einem überreizten Zustande befinden, überließ sich Fontanieu diesen schwärmerischen Gefühlen. Diese schienen ihm ja so harmlos, warum hatte er sich ihnen nicht hingeben sollen? Die Zeit der unbestimmten, schwankenden Gefühle war vorüber; seine Gedanken waren auf einen bestimmten Punkt gerichtet, er hatte einen Stern gesunden.
Wie vormals, fühlte er sich unangenehm berührt durch jedes Geräusch, das ihn seinen Wonneträumen entriß; er haßte den Lärm, der die anmuthigen und gefügigen Traumbilder verscheuchte; er langweilte sich, wenn er in das wirkliche Leben zurückversetzt wurde.
Die Langweile ist der Dolch, welcher bestimmt ist, der Liebe den Gnadenstoß zu geben.
Louis von Fontanieu hatte vormals in dem Ehr- und Pflichtgefühl die Kraft gefunden, Emma zu täuschen, ihr die geheime Erkaltung der Liebe zu verbergen. Diese Kraft wurde in einigen Tagen gelähmt. Er glaubte so viel zu leiden, daß er nicht den Muth hatte, die Maske, welche seine Gleichgültigkeit verhüllen sollte, vor seinem Gesicht zu tragen. Die Niedergeschlagenheit, welche seinen Ausflügen das Land der Hirngespinnste folgte, war so groß, daß er sie nicht zu verbergen vermochte.
Die Marquise von Escoman sah ihn an ihrer Seite bleich und kraftlos werden. Sie ward von Entsetzen ergriffen; aber sie hatte ein muthiges Herz, welches kämpfen mußte so lange als es schlug.
Es kämpfte also.
Anfangs schrieb sie die trübe Stimmung Fontanieu’s den Ursachen zu, die er selbst ihr angegeben hatte, insbesondere dem Kummer, den ihm der Aufenthalt in dem Putzladen der Rue de Seze verursache. Sie ersuchte ihren Advocaten den Verkauf ihres Geschäfts ernstlich zu betreiben. Leider war es Sommer, wo Geschäfte dieser Art schwer abzuschließen sind, und die wenigen Kauflustigen welche erschienen, kamen nicht wieder.
Die Klatschereien der eifersüchtigen Frau Bernier und anderer Nachbarinnen hatten den Laden der vormaligen Marquise offenbar in Mißcredit gebracht.
Emma merkte es wohl, und zugleich sah sie ein, daß sich die Lage täglich verschlimmerte.
Die reinste, vollkommenste Liebe ist die, welche am meisten der Mutterliebe gleicht. Emma sah mit tiefem Schmerz die immer größer werdende Traurigkeit Fontanieu’s und sie fürchtete einen nachtheiligen Einfluß auf seine Gesundheit. Wie eine geängstigte Mutter dachte sie: Möge Alles umkommen und zu Grunde gehen, wenn nur mein Geliebter gerettet wird.
Nun warf sie ohne Bedenken, ohne Sorge um die Gegenwart, ohne Bangigkeit um die Zukunft, Alles was sie von dem elenden Rest ihres Vermögens noch hatte, dem Ungethüm der Langweile als Beute hin; ja sie machte Schulden, sie bat Fontanieu, die ermüdenden, geisttödtenden Arbeiten in seiner Schreibstube einzustellen; sie beschwor ihn kniefällig, sich zu zerstreuen, um seine Schwermuth zu bekämpfen. Sie selbst wählte diese Zerstreuung. Sie legte sich neue Entbehrungen auf, um die Zerstreuungen anziehender, wirksamer zu machen. Sie würde sich ohne Zögern die Adern geöffnet und ihr Blut hingegeben haben, um dieses Gesicht zu erheitern, dessen Lächeln der kostbarste Schatz für sie war.
Louis von Fontanieu widerstand nicht. Die Langweile ist nicht nur der Liebe, sondern auch der Ehre gefährlich.
Zweites Capitel.
Das Ende des Traumes
Louis von Fontanieu, der jetzt der Marquise selten Gesellschaft leistete, begab sich eines Abends in die Oper.
Le Dieu et la Bayadère.«
Mitten im ersten Acte wurde er durch ein lautes Geräusch von geöffneten und geschlossenen Thüren aufmerksam gemacht. Er sah sich um und bemerkte in einer Loge des ersten Ranges eine junge Dame, welche eben ihren Shawl ablegte und das aus dem Parterre kommende hundertfache »St! St!« mit höhnischem Lächeln beantwortete. Er erkannte Margarethe. Sein Herz pochte ungestüm.
Wie jede Trunkenheit, hat auch die Träumerei ihre Pausen. Die Oper hatte die Geistesthätigkeit Fontanieu’s gefesselt. Er wunderte sich über den Eindruck, den Margarethe auf ihn machte; aber er wollte nicht gestehen, daß sie einen dauernden Eindruck auf seine Gefühle machen könne. Er richtete seine Blicke auf die Bühne; er würde sich geschämt haben, wenn Margarethe gemerkt hatte, daß er ihr die mindeste Aufmerksamkeit schenke.
Aber trotz dieses festen Vorsatzes wurde seine innere Aufregung immer größer, seine Besonnenheit schwand immer mehr und mehr. Eine Wolke senkte sich vor seinen Augen und entzog ihm den Anblick alles dessen, was um ihn vorging. Seine Gedanken waren verworren, gestaltlos, und zerstreuten sich und erloschen wie die Funken, welche der Hammer des Schmiedes dem Eisen auf dem Amboß entlockt. Er meinte keine Bewegung gemacht zu haben, und bemerkte gleichwohl das strahlende Gesicht Margarethens auf dem dunkeln Vorhange, der zwischen ihm und der Bühne war.
Sie war entzückend schön in ihrem schwarzen Sammtkleide, welches prächtig abstach gegen die Weiße der Schultern und Arme, und in ihrem Kopfputz von silbernen Weinreben und vergoldeten Trauben. Sie hatte Fortschritte gemacht: das sinnliche Gefühl, welches in ihr vorherrschte, hatte an Zuversicht gewonnen und den ihm eigenen Charakter angenommen. Ihre Augen senkten sich nur, um desto feurigere Blitze zu senden. Der Mund allein hatte seinen frühern Ausdruck behalten; die halbgeöffneten Lippen schienen fortwährend zum Kuß aufzufordern.
Louis von Fontanieu bot alle seine Kraft und Besonnenheit auf, um die vermeinte Wolke zu verjagen. Doch die Wolke fand sich überall wieder. Die Logen füllten sich mit Margarethen, welche alle so prunkvoll waren, wie die wirkliche. Die auf der Bühne tanzende Bajadere hatte sich in Margarethe Gelis verwandelt: es waren ihre Blicke, ihre leidenschaftlichen Geberden, ihre üppigen Formen.
Er stand rasch auf, drängte sich durch die Zuschauer und verließ das Theater.
Aber er hatte sich kaum hundert Schritte entfernt, so gab er einem neuen Schwindel nach und kehrte um.
Der Act war zu Ende, als Fontanieu wieder in den Opernsaal trat. Margarethe war nicht mehr in ihrer Loge. Er suchte sie im Foyer, ohne sie zu finden. Endlich bemerkte er sie im Corridor des ersten Stockes, mitten in einer Gruppe von Männern, welche ihr den Hof machten.
Sie schien sehr heiter; vermuthlich waren einige witzige oder schlüpfrige Worte über ihre Lippen gekommen, denn die Umstehenden lachten laut. Man kann einer Coutisane keine größere Freude machen, als wenn man sie scheinbar für geistreich hält, und die Schmeichler Margarethens benutzten diese Erfahrung von Jahrhunderten.
Louis von Fontanieu warf einen grimmigen Blick auf die Gruppe. Seine Eitelkeit konnte nicht glauben, daß sich die hübsche Dunenserin mit etwas Anderen als mit seiner Person beschäftige; vermuthlich lieferte sein plötzliches Fortgehen den Text zu ihren Späßen.
Er näherte sich der um Margarethe versammelten Gruppe mit dem festen Vorsatz, mit einem der Courmacher Streit anzufangen. In diesem Augenblicke bemerkte ihn Margarethe. Sie winkte ihm freundlich und herablassend zu. Einige der jungen Leute sahen sich um, um zu sehen, wem der Wink galt. Dann fing Margarethe wieder an, die Versuche eines dicken glatzköpfigen Mannes, eine Blume aus ihrem Strauß zu erobern, mit Witzen zu beantworten, und zwar so gleichgültig, als ob Louis von Fontanieu tritt ein Fremder für sie gewesen wäre.
Er versuchte sie mit einem verachtenden Blicke niederzuschmettern; aber dieser Blick traf nicht, Margarethe war nur mit ihren Verehrern beschäftigt, sie schien vergessen zu haben, daß Fontanieu da war.
Wie geringen Werth ein Mann auf die Liebe einer Schönen lege und wie frivol sein Verhältniß zu ihr gewesen sei, eine Vernachlässigung, Geringschätzung thut immer sehr weh.
Das Benehmen Margarethens wirkte wie ein eiskaltes Sturzbad auf die glühenden Erinnerungen, die seit einer halben Stunde in Fontanieu’s Busen tobten. Sein Aerger war so groß, daß er, das ganze weibliche Geschlecht verwünschend, das Theater verließ und nach Hause eilte. Er dankte dem Himmel, daß er ihm eine so seltene Ausnahme, eine Perle unter den Frauen beschieden. Dieses unscheinbare Haus ward für ihn wieder die Oase, wo er mitten in dem wüsten Treiben die Ruhe und das Glück finden würde.
Er fand die Oase freilich sehr langweilig, als er in das ärmliche Zimmer trat, welches von einer Schirmlampe nur spärlich erleuchtet wurde.
Emma saß auf ihrem Bett und arbeitete fleißig an einem Gegenstande für ihren Laden.
Trotz der stillen Freude über sein unaussprechliches Glück konnte er sich eines Seufzers nicht erwehren, als er das bleiche, von Sorgen und Entbehrungen abgemagerte Gesicht der armen Emma, als er ihre einfache Nachthaube, welche ihr Haar ganz bedeckte, und ihre ärmliche Kleidung sah.
Sie umfaßte seinen Hals und drückte ihm einen Kuß auf die Stirn. Ihre Lippen schienen ihm kalt, wie die Lippen einer Todten. Ein plötzlicher Vergleich drängte sich ihm auf. Er ward so tief ergriffen durch diesen schrecklichen Gedanken, daß er sich auf das Bett setzte und in Thränen ausbrach.
Drittes Capitel.
Das Erwachen
Einen Monat nachher kam Susanne ganz bestürzt nach Hause. Als sie über den Concordiaplatz gegangen war, um sich in die Vorstadt Saint-Germain zu begeben, war sie von einer rasch fahrenden Calesche fast umgeworfen worden. Sie hatte Fontanieu auf dem Rücksitze dieses Wagens bemerkt. Sie war ihm nachgelaufen, um sich zu überzeugen, ob sie auch recht gesehen; aber der Wagen war so schnell gefahren, daß sie die auf dem Rücksitze neben einem alten Herrn sitzende Dame nicht erkennen konnte.
Die Gesundheit der Marquise war so schwach geworden, ihre Geschäfte gingen so schlecht und machten ihr so viele Sorgen, daß Susanne durch die Mittheilungen ihrer vielleicht eingebildeten Besorgnisse ihren Kummer nicht vermehren wollte. Aber Abends erwartete sie Fontanieu im Laden, und als sie durch die angelehnte Thür seine Schritte auf der Straße hörte, ging sie ihm entgegen.
»Herr von Fontanieu,« sagte sie, ihm in den Weg tretend und seinen Arm fassend, »Sie sind die Ursache, daß Susanne Mottet ihren guten Ruf in dieser Welt aufs Spiel gesetzt und vielleicht ihr Seelenheil gefährdet hat. Um diesen Preis durfte ich hoffen, meine liebe Emma, die ich wie mein eigenes Kind liebe, glücklich gemacht zu haben, und gleichwohl sind die Thränen des Kummers in ihre Wohnung zurückgekehrt.«
»Das ist mehr die Schuld der Verhältnisse, als meine Schuld,« antwortete Fontanieu mit heuchlerischer Sanftmuth.
»Herr von Fontanieu, Sie wissen, daß ich mit den Schritten, welche meine Herrin aus Zartgefühl gethan, keineswegs einverstanden war; aber ich konnte ihr meine Bewunderung nicht versagen. Ich bin nur eine arme Frau von geringem Standes aber ich glaube, daß ich mich bestrebt haben würde, eben so groß und edel zu handeln.«
»Inwiefern finden Sie denn, Susanne, daß ich meine Pflichten gegen Emma verletzt hätte?«
»Ich will’s Ihnen sagen. Sie ist traurig, und Sie lassen sie allein; sie weint, und statt sie zu trösten, vergeuden Sie Ihre Zeit in Müßiggang und Zerstreuungen.«
»Susanne! —« sagte Fontanieu auffahrend.
»O, Sie müssen mich anhören. Ich bin Ihre Mitschuldige und habe das Recht, Ihnen zu sagen, was ich denke. Ich werde es ohne Furcht thun, Herr von Fontanieu. Ich sage Ihnen, nehmen Sie sich in Acht! Ich hasse den ersten Henker meiner armen Emma; aber wenn ich durch Ihre Schuld gestehen müßte, daß ich meine Herrin in’s Unglück gestürzt, so würde ich Sie noch furchtbarer hassen, als den Marquis von Escoman. Ich warne Sie also noch einmal, nehmen Sie sich in Acht!«
Louis von Fontanieu würdigte diese Drohworte der Duenna keiner Antwort. Diese Worte hatten indeß einigen Eindruck auf ihn gemacht, denn er konnte sich nicht verhehlen, daß Emma seit einigen Tagen sehr niedergeschlagen war. Dieser Eindruck sollte sich freilich durch ganz andere Wirkungen kundgeben, als einen Monat früher der Fall gewesen wäre.
So lange er nur die Bitterkeit der Enttäuschung, die seiner begeisterten Liebe gefolgt war, gefühlt hatte, so lange er nur in unbestimmten Gefühlen geschwärmt hatte, wurde sein Herz leicht gerührt. Wenn er auch nicht mehr liebte, so fühlte er doch noch Mitleid. Aber seitdem sein Unrecht aus der Ideenwelt in die Wirklichkeit gekommen war, hatte ihm sein Gewissen ernste Vorwürfe zu machen. Das Bewußtsein einer schlechten That hatte sein Gefühl abgestumpft, und wenn dieses erregt wurde, so gab es sich nur noch durch ein gewisses trotziges Schmollen kund.
Diese geheimen Gewissensbisse sind unter allen Gefühlen am schwersten zu verbergen. Louis von Fontanieu hatte nicht viel gelebt, er war noch kein Roué, kein abgestumpfter Wüstling, die Mahnungen des Gewissens waren in seinem Gesichte und Benehmen zu erkennen. Er versuchte auch nicht sie zu verhehlen; bei jeder sich darbietenden Gelegenheit ließ er seinem Unmuth freien Lauf.
Er nahm sich nicht die Mühe, Emma über ihren Kummer zu befragen, zu ermitteln, ob sie sich über sein Benehmen gräme, sie durch Ausflüchte zu beruhigen. Er fragte nicht einmal, ob die schlechten Geschäfte ihre Heiterkeit getrübt. Und daß die Geschäfte schlecht gingen, konnte ihm trotz seiner langen und häutigen Abwesenheiten nicht unbekannt sein. Er kümmerte sich nicht mehr darum. Er machte Lärm, um sich zu betäuben; er beklagte sich selbst, um Emma nicht beklagen zu müssen. So kehrte er die Rollen um, und mit Einer dem bösen Gewissen eigenen Verblendung entwarf er ein rührend sein sollendes Bild von der Oede seines Lebens, seitdem er bemerkt habe, daß ihn Emma nicht mehr so zärtlich liebe, wie vormals.
Gegen seine Erwartung zeigte sich die Marquise nicht entrüstet gegen diese schmähliche Täuschung; sie blieb ernst und ruhig; sie hörte ihm zu und sah ihn erstaunt an. Ihre Augen waren starr und thränenlos. Einige Seufzer, welche sie nicht zu unterdrücken vermochte, gaben allein zu erkennen, was in ihrem Innern vorgehen mußte, als sie den schmählichen Undank der erkalteten Liede entdeckte.
Als er schwieg, sagte sie mit engelgleicher Sanftmuth:
»Louis, würdest Du mir eine Bitte abschlagen?«
Er erröthete und zögerte mit der Antwort. Seine innere Unruhe zeigte sich in seinem Gesichte.
»Rede,« sagte er endlich.
»Du hast mir schon lange versprochen, deine Mutter zu besuchen, Dich mit ihr auszusöhnen. Versprichst Du mir, morgen diese Pflicht zu erfüllen?«
»Warum denn morgen? Warum nicht einen andern Tag?«
»Weil morgen der 29. Juli, der Todestag deines Vaters und Oheims ist; weil Du schon im vorigen Jahre nicht mit der armen Witwe und der Waise geweint hast. Vielleicht hat es uns Unglück gebracht. Versprichst Du mir’s?«
Es lag in diesen Worten der Marquise ein so natürlicher, rührender Ausdruck, daß Louis von Fontanieu, trotz seiner zum Widerspruch geneigten Reizbarkeit, die Erfüllung ihres Wunsches zusagte. Ueberdies hatte er gefürchtet, daß sie einen ganz andern Zweck habe, und als er einsah, daß er ohne Grund besorgt gewesen war, fühlte er sich von einer großen Last befreit.
Er ging zu Bette und schlief ein. Als seine tiefen, regelmäßigen Athemzüge einen festen Schlaf bekundeten, trat Emma an sein Bett und betrachtete lange den Mann, der ihr noch so theuer war.
Dann begab sie sich ebenfalls zur Ruhe. Aber noch lange sann sie über ihr Schicksal nach.
Als der Tag anbrach, war das Kopfkissen ganz feucht von ihren Thränen. Sie stand auf und nahm ans einem Schranke die Briefe und Haarlocken, welche ihr Louis von Fontanieu zugeschickt hatte, während sie im Gefängnisse gesessen. Sie küßte diese theuern Andenken und legte sie in eine Schatulle.
»Dies ist Alles,« seufzte sie, »was ich aus diesem Hause mitnehmen werde, und bald wahrscheinlich Alles, was mir von ihm bleiben wird.«
Dann kniete sie nieder und setzte, die Hände faltend hinzu: »Gott, ich habe einen Götzen auf deinen Altar gestellt, und in deinem Zorne hast Du ihn herabgestürzt. Ich habe der Sünde gefröhnt, und Du strafst mich. Ich beuge mich unter deinem allmächtigen Willens ich will nicht murren, ich will sie nicht schmähen die Hand, welche mich züchtigt. Aber schone seiner! Möge dein Zorn mich allein treffen, und im Staube liegend werde ich dulden, was Du über mich verhängst!«