Kitabı oku: «Olympia von Clèves», sayfa 5
Denn er machte sich folgendes Räsonnement:
»Holz! . . Diese Maus knaupelt entschieden Holz.
»Wie Teufels kann diese Maus ein Stück Holz so hoch hinaufgebracht haben? Uno wenn sie es hinaufgebracht hat, was sehr industriös von ihr ist, da sie keine Maschine vom Werte derjenigen besitzt, welcher sich Antonius bediente, um seine Galeeren vom Mittelländischen Meere in das Rothe Meer hinüberzuschaffen, wie hält sie sich an der Wand von Stein oder Gips fest, um so ruhig zu Nacht zu speisen, wie sie es zu tun scheint? Hat sie ein Loch, eine Randleiste, einen Sockel, der ihr als Tisch dient?
«Vielleicht lehnt sie sich an die Wand an und macht sich mit ihren Klauen einen Strebepfeiler in der Tapete. So schwebend, würde sie zugleich mit Tisch und Hängematte versehen knaupeln.
«Doch nein! dieses Echo ist so sonor, so hart für das Ohr, es vibriert mit so viel Schärfe, daß es nicht von einem einfachen, von der Maus losgemachten Bruchstücke herrühren kann. Es ist sicherlich das Produkt eines unablässigen Angriffs, ausgeführt von der kleinen Nagerin gegen einen holzartigen, hartnäckigen, fixen Körper, der, wie alle feste Körper, Länge, Breite und Dicke bat.
»Es muss da oben ein Tafelwerk sein,« sagte Banniére zu sich selbst.
Dann fügte er in Form einer Betrachtung bei:
»Übrigens ist vielleicht die ganze Wand Tafelwerk unter der Tapete.«
Nachdem er so gesprochen, stand er aus und klopfte an die Wand; doch sie gab keinen Ton von sich, denn sie war von massivem Stein.
»Gut,« murmelte der Noviz, »darum kann aber doch Tafelwerk da oben sein.
»Ein Rahmen vielleicht!«
Und hieraus baute Banniére ein ganzes Gedicht von Mutmaßungen.
Wozu konnte dieser Rahmen dienen? zu welchem Zwecke ein Rahmen unter einer Tapete?
Es gibt Öffnungen, genannt Judas, durch welche jeder meditierende Noviz von einem Pion6, der dem Pater Superior seinen Bericht zu erstatten beauftragt ist, bespäht zu werden sicher sein darf.
Es gibt geheime Thüren. . .
Hierbei blieb Banniére stehen.
»Aber,« sagte er zu sich, »wenn es geheime Thüren gibt, so gibt es also einen Ausweg, um aus der Meditationsstube hinauszukommen.«
Banniére fing abermals an, an der Mauer umherzutappen, und überzeugte sich, daß die Thür oder der Rahmen in der ultralegalen Höhe von wenigstens zehn Fuß angebracht war, da er die Wand voll fühlte bis zu der Höhe, die er, indem er sich aus den Fußspitzen erhob, mit dem Ende seiner Finger erreichen konnte.
»Ist es eine Thür und diese Thür ist in der Luft,« dachte Banniére sehr vernünftig, »so kann sie nicht dienen, wenn nicht,« fügte er bei, »wenn nicht der Ankommende seine Leiter mitbringt.
»Es muss also nicht ein Thürrahmen, sondern ein Fensterrahmen sein.«
Das Fenster war wahrscheinlich; Banniére hielt sich also an das Fenster.
Nur, da die Dunkelheit jede Forschung unmöglich machte, verschob Banniére auf den andern Tag die Fortsetzung seiner Untersuchungen. Die Folge dieses Entschlusses war, daß die Maus eine köstliche Nacht zubrachte und erst bei Tagesanbruch zu knaupeln aufhörte.
Ganz im Gegensatz zu seinem nagenden Gaste, brachte Banniére eine Nacht voller Bangigkeiten und besonders voller inneren Reißungen zu, die sich durch das Geknurre des Hungers übersetzten und harmonisch aus das Knaupeln der Maus antworteten.
VII.
Die Procession von Herodes und Marianna
Wir haben gesagt, daß mit dem Tage das Mahl der Maus aufhörte; mit dem Tag begann die Arbeit des Novizen.
Seine erste Sorge war, daß er sich versicherte, sein Arm und feine Hand würden nie bis zur Höhe des mutmaßlichen Rahmens reichen.
So sehr aber auch von Geräte entblößt die Meditationsstube war, so bot sie doch Alles, was ein Mensch braucht, der nicht Angst hat, den Hals zu brechen, um eine Höhe von zehn bis zwölf Fuß zu erreichen.
Die Utensilien, mit deren Hilfe das Gerüste gebaut werden konnte, waren die Lagerstatt, welche als Bett diente, und daraus gestellt der Schemel, der als Stuhl diente.
Diese zwei Gegenstände bildeten über einander gestellt vier Fuß; fügte man dem den zweiten Schemel bei, so kam man bis zu fünf und einem halben Fuß; fügte man diesen fünf und einem halben Fuß die fünf Fuß vier Zoll von Banniére bei, so hatte man beinahe elf Fuß Höhe.
Hätte man nötig, höher hinaus zu reichen, so würde man sich an die Tapete anklammern, man würde die weißen Inschriften als Steigbügel benützen. Man würde die Tapete zerreißen, wohl möglich; doch indem man sie zerrisse, würde man wenigstens erfahren, woran man sich in Betreff der Geheimnisse, welche die Wand bedeckte, zu halten hätte.
Was Banniére vorhergesehen hatte, geschah.
Er stieg zuerst auf sein Lager, sodann von seinem Lager aus den ersten Schemel, und vom ersten Schemel aus den zweiten; hier angelangt zerriß er die Tapete, um seinen Fuß aufzusetzen, was ihn noch um zwei Zoll vergrößerte und ihm, indem er mit der rechten Faust an die Wand schlug, ein Geräusch dem ähnlich, welches ein unter einer neugierigen Hand ertönender Fensterladen macht, zu hören erlaubte.
Banniére suchte einen Stützpunkt für seinen zweiten Fuß, betastete die Tapete an einer andern Stelle, und aus der einen Seite unterstützt durch das »Vanitas vanitatum«, auf der andern durch das »Lerne Dich selbst kennen«, die linke Hand hinter einem Todtenkopfe durch schlingend, schlitzte er mit der Rechten den Stoff auf und entdeckte, was ihn sein vom ehrwürdigen Pater Mordon gerühmter Scharfsinn zum Voraus hatte erraten lassen, nämlich ein altes, vermauertes, durch einen mittelst einer eisernen Stange verstärkten Laden geschlossenes Fenster, das zur Zeit, wo es sich gegen eine Stube öffnete, die ohne Zweifel noch nicht die Ehre hatte, die Meditationsstube zu sein, eine Dimension bot, welche anständig genug war, um dieses Zimmer gehörig zu erleuchten, das in Ermangelung des soeben erwähnten Fensters sein Licht nur durch eine bleiche Öffnung, durch ein Auge ohne Augensterne empfing, welche den Plafond durchhöhlte und den Gefangenen traurig anschaute.
»Ein Fenster!« rief freudig Banniére.
Doch plötzlich hielt er inne.
»Gut! aber auf was geht es?
»O! Medusenhaupt! Wenn ich diesen Laden durchbreche, wenn ich diesen Vorhang auf die Seite schiebe, wenn ich mir eine Perspektive öffne, gegen was wird diese Perspektive ausmünden? Werde ich nicht hinter diesem Fenster entweder das spöttische Gesicht eines Spions des Superior oder die übermütige Miene des Superior selbst finden? Warum sollte dieser Jesuit nicht ein an diese Stube anstoßendes Zimmer haben? warum sollte er nicht eine Phrase für den Augenblick bereit halten, wo ich die Nase durch seinen Laden strecken werde?
»Das ist erschrecklich.
»Doch nein, eine Maus wird immer mehr Instinkt besitzen, als ein Superior, und wäre es auch ein Jesuiten-Superior, Genie hat. Eine Maus hat nur der Straflosigkeit sicher hier geknaupelt. Wenn sie hierher gekommen ist, so wusste sie, daß sie weder eine Überraschung, noch eine Falle zu fürchten hatte.«
Plötzlich vereiste ein kalter Schweiß den Rücken von Banniére.
»Der Pater Mordon, der mir schon zwei Herodes und Marianna weggenommen, der mich beim Studieren eines dritten ertappt, der mich hier eingesperrt hat und seit achtzehn Stunden fasten läßt, um den wahren religiösen und moralischen Sinn in seinen Schüler zurückzuführen: der Pater Mordon, dieser scharfsinnig und universelle Geist, kann er sich nicht zur Erfindung eines Instruments erniedrigt haben, welches das Knaupeln der Maus nachahmt? Es gibt solche Erscheinungen in der Naturgeschichte, warum sollte es nicht auch in der Mechanik geben? Schlangen pfeifen wie Vögel. Hyänen ahmen das Geschrei des Kindes nach, um die Menschen anzulocken, man bat Füchse wie Hunde jagen sehen, um den Hasen auszutreiben, den einer ihrer Kollegen, ein Fuchs wie sie. aus dem Wechsel erwartet, Ein Jesuit ist aber nicht ungeschickter als eine Schlange, nicht dummer als eine Hyäne und nicht einfältiger als ein Fuchs, er wird, wenn es Not täte. sicherlich einen Novizen in die Falle eines schweren Fehlers zu locken wissen. Was braucht es hierzu? ein zweistündiges Geknaupel an einem Stücke Holz?«
Banniére hielt erschrocken inne; bald aber kehrte er zu seiner ersten Kühnheit zurück, und er sagte:
»Ich, schwach werden! ich, eingesperrt, ich, ausgehungert, vor einer Plackerei mehr bange haben! Bei meiner Treue, nein! Ich werde dieses Fenster öffnen: es ist ein Fenster, oder es ist keines; aber in jedem Fall ist es irgend ein Ausgang, und finde ich hinter diesem Fenster einen Jesuiten, und dieser Jesuit ruft mir zu: »»Was wollen Sie?«« so antworte ich ihm: Brot!««
Und als wollte er sich ermutigen, ehe der Hunger zu groß wäre, kletterte Banniére auf das Gesims, zog die eiserne Stange zurück und öffnete den Laden.
Unaussprechliche Freude! kein Jesuit lauerte hinter dem Rahmen: die Sonne allein mit ihren goldenen Haaren, die sie am blauen Horizont knüpfte, drang in die düstere Werkstätte der Meditationen ein.
Und durch die Öffnung, die er gemacht, schlürfte Banniére die köstliche Morgenluft und den feuchten Geruch des Gewässers der Rhone, der in leichten Dünsten vom Bette des Flusses bis zu den Dächern der Häuser aufstieg.
Nachdem er geatmet hatte, schaute er.
Das Fenster ging senkrecht aus eine Straße, die schräge eine andere Straße durchschnitt, deren Ausmündung ein Platz war.
In Folge der Abhängigkeit der geraden Straße sah Banniére aus dem Platze die Vorübergehenden, welche noch spärlich erschienen. Doch er sah sie.
Er sättigte sich an diesem für einen Gefangenen glänzenden Schauspiel, nahm seinen Vorrat an frischer Lust ein und berechnete die Höhe des Fensters.
Diese Höhe betrug ungefähr dreißig Fuß. Was die Straße betrifft, so war sie mit jener den Städten des Südens eigentümlichen Art von Kieselsteinen gepflastert.
Als er alle diese Einzelheiten mit einem Blick erfasst hatte, warf sich Banniére, der, ehe er etwas beschlossen, ertappt zu werden befürchtete, zurück, schloss den Laden, richtete die Inschriften wieder zurecht, und heftete die Tapeten zusammen, wonach er das Lager an seinen Platz schleppte und zu seinem Schemel zurückkehrte, wie ein Hund an seine Kette.
Gegen sieben Uhr hörte Banniére Geräusch im Gange, und er sah die Thür sich öffnen. Es war der Diener, der ihm eine um so magerere Portion brachte, je verzehrender der Hunger war,
Banniére spielte nicht den Delikaten; er bedachte, daß er Kraft nötig hatte, und verschlang seine Portion bis aus das letzte Krümchen.
Sodann der Ruhe sicher bis zum andern Tage, da ihm der Cuistre gesagt hatte, er müsse seinen Proviant in drei Mahle teilen, weil er erst am ankern Tage wieder kommen werde, stieg der Gefangene abermals auf sein Observatorium.
Es war die Stunde, wo die Einkäufe gemacht werden, wo die Hausfrauen auf den Fischmarkt gehen, wo die Klappern der Hippenhändler und die Schnarren der Almosensammler aus den Straßen sich hören lassen.
Das Kinn aus den Rand des Fensters gestützt, schaute Banniére alle diese süßen Dinge mit eben so großem Erstaunen an, als ob er sie nie gesehen hätte.
Plötzlich hörte er einen gewaltigen Lärmen von Trommeln, Flöten, Cymbeln und chinesischen Hüten.
Dann sah er am Ende der geraden Straße eine lange Reihe von seltsam kostümierten Leuten mit Fahnen und riesigen Schrifttafeln ausmünden.
Eine von diesen Schrifttafeln verkündigte mit schwarzen Buchstaben aus rotem Grunde:
Procession von Herodes und Marianna, Trauerspiel von Herrn Arouet.
Auf diese erste Schrifttafel folgte eine zweite, aus der die bezaubernden Worte zu lesen waren:
»Die Schauspieler der Stadt werden heute die schöne und fromme Tragödie Herodes und Marianna, ein Werk von Herrn Arouet von Voltaire, eben so merkwürdig durch seinen reizenden Stil, als durch die Reinheit der Gefühle, geben.«
Hieraus kamen die Schauspieler in zwei Reihen in ihren Theaterkleidern, dann die Komparsen mit Turbanen auf dem Kopf, und dann die Leibwachen von Herodes mit ihren Harnischen und Beinschienen.
Es waren Römer, Asiaten und Juden in ziemlich großer Anzahl dabei.
Die Rossschweife, die Standarten in Halbmondform, welche andeuteten, daß der Director mehr für den Reichtum der Inszenierung, als für die chronologische Wahrheit tat, und die von Flittern funkelnden Gewänder machten, daß alle Gassenjungen der Stadt in Freudenschreie ausbrachen.
An der Spitze der Schauspieler schleppte sich Champmeslé auf den Tod traurig. Die guten Worte des Pater de la Sante waren ohne Zweifel schon verschwunden, denn er glich in jeder Hinsicht einem Märtyrer, der nach dem Richtplatz wandert, ohne noch die Palme erblickt zu haben.
Doch trotz dieser tiefen Traurigkeit war er so mutig mit einer roten Chlamys, einem Turban »Helme, offenen Stiefeln mit Sporen und einem weißen Mantel mit goldenen Sternen bekleidet, daß ihn die Menge gierig betrachtete, die Frauen besonders, weshalb ihn ihrerseits die Männer mit jener falschen Verachtung, dem Schleier des Neides, anschauten.
Und trotz seiner Traurigkeit, welche Banniére allein begriff, lag so viel Adel in seinem königlichen Gange, daß der Noviz, der es als den höchsten Grad von Glück betrachtete, eine solche Procession zu führen und in ein solches Kostüm gekleidet zu sein, unwillkürlich beinahe mit beiden Händen Beifall geklatscht hätte. Doch in diesem Augenblick erschaute er unter ihren langen weißen Schleiern Marianna, umgeben nicht nur von den Leibwachen von König Herodes, sondern auch von einer Menge von Offizieren der Garnison von Nimes und Orange, welche herbeigekommen waren, um dem Feste beizuwohnen, das der Stadt Avianon die Gegenwart einer so reichen und beträchtlichen Truppe gab. Diese Offiziere versuchten es, als wahre Neugierige und wahre Heiden, von Zeit zu Zeit, die züchtigen Schleier aufzuheben, unter denen sich die Königin von Palästina, ähnlich einer Sonne in ihrem Alkoven von Wolken, begraben hatte. Plötzlich wich einer von den Schleiern zurück, um die Sonne einem schönen Kapitän zulächeln zu lassen, der unter seiner Uniform eines königlichen Gendarmen ganz das Aussehen eines vornehmen Mannes hatte, und geblendet durch die Strahlen, die dem schönen Gestirne entströmten, welches sich allerdings für einen Andern, als für ihn sichtbar gemacht, das er aber bei dieser Gelegenheit gesehen hatte, vergaß Banniére, sich länger festzuhalten, und das Gleichgewicht verlierend, das er nur mit Hilfe seiner Hände erhielt, rollte er in die Meditationsstube hinab und riß mit sich das Blatt der Tapete fort, an welches er angeklammert war, und das, indem er es zerriss, die Mauer entblößte.
Die Wirkung war indessen hervorgebracht. Banniére schwur sich, nicht Gefangener in einer Stadt zu bleiben, wo solche Wunder vor sich gingen. Er stieg also im Sturme wieder hinauf und pflanzte sein Kinn aus die Randleiste des Fensters in dem Augenblick, wo in der Straße links der letzte Mann von den Leibwachen von Herodes verschwand, dessen riesige Hellebarde noch drei Secunden, nachdem der Mann verschwunden, sichtbar war.
»Gut,« dachte Banniére, »heute Abend zerreiße ich ein Blatt meiner Tapete und befestige es solide am Fensterrahmen; ich lasse mich an der Mauer hinabgleiten und gehe frei und glücklich hin, um dieses Stück im Theater von wahren Schauspielern und wahren Schauspielerinnen aufführen zu sehen.
»Die Väter werden schreien, gut; sie werden mich verfolgen lassen, gut; sie werden mich wieder erwischen, das ist sicher, doch, bei meiner Treue, ich werde das Schauspiel gesehen haben; und wenn man mich leiden lässt, nun wohl! bei meiner Treue, ich werde wenigstens für etwas leiden.«
VIII.
Der Gang der Schauspieler
Banniére hielt sich Punkt für Punkt Wort. Als der Tag sich neigte, zerriss er breit die Tapete, machte sich daraus einen Strick von zwanzig Fuß, indem er in gewissen Entfernungen von einander Knoten anbrachte, übergab sich diesem Stricke, sprang die sechs bis acht Fuß Entfernung, welche zwischen ihm und der Erde bestanden, als er am Ende des Strickes angekommen war, hinab, erreichte die Kieselsteine, schoss gegen die Lichter zu und rannte ganz berauscht, ganz verwirrt, ganz wahnsinnig in der Richtung des Theaters fort, das der Porte de l'Oulle gegenüber lag und ihm überdies durch die Ausrufungen des Thürstehers und die Flöten der Spielleute bezeichnet wurde. .
Das war gerade die Stunde, wo alle schöne Damen von Avignon ins Theater kamen, und die Reihe der Wagen, die der Sänften und die der Vinaigrettes7 fingen an den Platz zu füllen.
Banniére, als er an Ort und Stelle, als er mit dieser ganzen Menge vermischt war, fühlte sich sehr beschämt, sehr in Verlegenheit in seinem Novizenkleide. Allerdings erlaubte der Gebrauch den Geistlichen und besonders den Jesuiten, den' dramatischen Vorstellungen beizuwohnen. Aber Banniére hatte keinen Sou Geld. Wohl hätte er eines von den guten Gesichtern – und diese trifft man besonders vor den Thüren der Schauspielhäuser – gebeten, ihn als Supplement in eine Loge eintreten zu lassen; doch sein verdammtes Gewand würde Aller Augen auf ihn ziehen, und befanden sich unter allen diesen Augen nur zwei im Dienste des Pater Mordon, so war er verloren. Er hätte wohl seine unglückliche Soutane ausgezogen, aber wenn er sie ausgezogen, wäre er in Hemdärmeln gewesen, und wie in Hemdärmeln anderswo als in die gemeinsten Galerien eindringen?
Seine Verlegenheit war groß; die Minuten verliefen rasch. Hinter einer Säule verborgen, sah Banniére mit einer grässlichen Herzbeklemmung die hübschesten Füße unter den weißesten Röcken vorübergehen, und von den Treppen der Karossen und dem Brettchen der Sänften sprangen so runde Beine, so zarte Knöchel herab, daß alle Inschriften der Meditationsstube in diesem Augenblick dem armen Jesuiten nicht die hinreichende Philosophie hätten geben können.
Plötzlich erblickte Banniére in ihrem schwarzen Wagen zwei von den Vätern des Jesuitenordens, welche mit frommer Miene ihres Weges fuhren und der Reihe der Karossen folgten. Vor der Thür angelangt, hielt ihr Wagen an. Um einzutreten, mussten sie auf vier Schritte an Banniére vorübergehen.
Durch den dreifachen Teufel der Neugierde, der Lüsternheit und der Furcht geplagt, benützte Banniére den Augenblick, wo der Wagen still hielt, um seinen Rückzug geschickt zu bewerkstelligen; er fing damit an, daß er die Säule zwischen sich und die Väter stellte, und indem er sich beschützt durch ihren deckenden Schatten entfernte, warf er sich in den Gang der Schauspieler.
Kaum hatte er sich aber in diesen düsteren, staubigen Korridor geflüchtet, den ein übelriechendes Stümpfchen allein mit einem kränklichen Scheine erleuchtete, als sich Banniére gewaltig von zwei kräftigen Händen gestoßen fühlte, die ihn in Folge der Verwirrung, in der er schon war, beinahe das Gleichgewicht verlieren gemacht hätten. Aber Banniére war jung, behende und stark; fiel er, so lief er Gefahr, seine zerrissene Hose zu zeigen: er klammerte sich also entschlossen an dem Unverschämten an, der eine Manier, sich Platz zu machen, hatte, welche so seltsam außer den artigen Gewohnheiten jener Zeit lag.
Es war ein Mann, und als er sich umwandte, sah sich Banniére Nase an Nase mit diesem Manne zusammen.
»Ei! lassen Sie mich doch vorbei, Tod und alle Teufel!« schrie er, indem er Banniére gegen die Wand zu stoßen suchte.
»Sieh da, Herr Champmeslé!« rief Banniére.
»Sieh da, mein kleiner Jesuit! ' rief Champmeslé. Beide hatten sich bei dem Scheine des Lichtstümpfchens erkannt.
»Ah! Herr Champmeslé!« machte der Eine.
»Ah! mein lieber Banniére!« machte der Andere.
»Sie sind es also!«
»Ach! ja, ich bin es.«
»Aber wohin laufen Sie denn so? fehlte Ihnen etwas für Ihr Kostüm?«
»Ach! ja wohl, mein Kostüm! ich bekümmere mich etwas um mein Kostüm!«
»Es war doch herrlich!« versetzte Banniére lüstern.
»Ja,« sprach Champmeslé schwermütig, »so schön, daß es dasjenige ist, welches ich in der Hölle tragen werde.«
»In der Hölle? was wollen Sie damit sagen?«
»Nichts, lassen Sie mich vorbei.«
»Man sollte glauben, Sie entfliehen?«
»Ich glaube wohl, daß ich entfliehe!«
»Aber die Vorstellung?«
»Ei! die Vorstellung, das ist es gerade, warum ich fliehe.«
»Oh! ja, ich begreife.«
»Lassen Sie mich doch vorbei, sage ich Ihnen.«
»Immer Ihre Ideen?«
»Mehr als je. Wissen Sie, was mir begegnet?«
»Sie erschrecken mich.«
»Mein Herr,« sagte Champmeslé mit verstörten Augen, »ich habe zu Mittag gespeist, nicht wahr?« »Ich glaube Ihnen.«
»Nach dem Mittagsbrot habe ich meine Siesta gemacht.«
»Ich billige das.«
»Nun wohl! mein Bruder, während meiner Siesta. . .«
Champmeslé schaute ängstlich nach allen Seiten.
»Während Ihrer Siesta. . .« versetzt, Banniére.
»Habe ich auch eine Erscheinung gehabt.«
»Ho!«
»Eine Erscheinung wie mein Vater und mein Großvater jeder eine gehabt haben.«
»Aber, mein Gott! was für eine Erscheinung?«
»Ich habe mich selbst gesehen, mein lieber Bruder . . .«
»Sie haben sich selbst gesehen?«
»Ja, in der Hölle, auf einem glühenden Roste, in meinem Kostüm als Herodes. von einem Teufel umgedreht, der, wie ein Tropfen Wasser dem andern, Herrn von Voltaire glich, Oh! das war erschrecklich! Lassen Sie mich vorbei, lassen Sie mich vorbei!«
»Aber, mein lieber Herr Champmeslé, Sie denken nicht daran.«
»Ich denke im Gegenteil nur hieran, lassen Sie mich vorbei.«
»Sie werden das Schauspiel versäumen!«
»Ich will lieber das Schauspiel versäumen, als die Ewigkeit hindurch aus einem Roste, im Kostüm des Herodes, von einem Teufel, der mit Herrn von Voltaire Ähnlichkeit hat, umgedreht werden.«
»Aber Sie richten Ihre Kameraden zu Grunde!«
»Im Gegenteil, ich rette sie, ich rette mich und ich rette mit uns alle die Unglücklichen, die sich dadurch, daß sie kamen, um uns zu sehen, der Verdammnis überantworteten. Gott befohlen!«
Und diesmal verband Champmeslé den Willen so gut mit der Bewegung, daß er Banniére drei Drehungen um sich selbst machen ließ, während dieser Sekunde vorbeischoss und verschwand.
»Herr von Champmeslé! Herr von Champmeslé!« rief Banniére, der ihm ein paar Schritte folgte.
Aber Banniére mochte immerhin rufen, Banniére mochte immerhin folgen, der Schauspieler hatte Tritte aus der Treppe gehört, welche nach dem Theater führte, und bei dem Geräusch dieser Tritte war er davon gerannt, wie ein Hirsch, der die Meute verspürt.
Banniére blieb allein, erstaunt und verwirrt.
Doch diese Tritte, doch diese Stimmen welche Champmeslé wie durch innere Erkenntnis gehört hatte, fingen an aus den holperigen Stufen zu erschallen. Die Tritte beschleunigten sich und die Stimmen riefen: »Champmeslé! Champmeslé!« Es waren dabei Männerstimmen und Frauenstimmen.
Plötzlich öffnete sich die Thür der Treppe, die aus den Korridor ging, und man sah eine stürmische Lawine von Schauspielern und Schauspielerinnen heranrollen, welche aus Leibeskräften, mit verzweifelten Gebärden und kläglichen Stimmen: »Champmeslé! Champmeslé!« riefen.
Und dieser ganze Schwarm umringte Banniére und heulte:
«Champmeslé! Haben Sie Champmeslé gesehen?«
»Ei! meine Herren, gewiß habe ich ihn gesehen,« erwiderte Banniére.
»Was haben Sie mit ihm gemacht?«
»Ich! nichts.«
«Nun! wo ist er?«
»Er ist weggelaufen.«
»Weggelaufen!« riefen die Frauen.
»Sie haben ihn weglaufen lassen?« sagten die Männer.
»Ach! ja, meine Herren, ach! ja, meine Damen, er ist so eben entflohen,«
Banniére hatte nicht so bald dieses Wort ausgesprochen, als er umzingelt, gepackt, nach zehn Seiten von zehn Händen gezerrt wurde, von denen die einen sanft und reizend, die andern rau und beinahe drohend waren.
»Er ist entflohen! er ist entflohen!« schrien Schauspieler und Schauspielerinnen; »der Jesuit hat ihn entfliehen sehen. Mein Herr Jesuit, ist es wirklich wahr, ist es sicher daß Champmeslé entflohen?«
Banniére konnte nicht Jedermann antworten. Diejenigen, welche ihn befragten, Begriffen selbst diese Unmöglichkeit. Der Redner der Truppe, derjenige, welcher bei großen Veranlassungen den Auftrag hatte, das Publikum zu arrangieren, erhob die Stimme, verlangte Stille, und die Stille trat ein.
»Mein Bruder,« fragte er, »Sie haben also Champmeslé weggehen sehen?«
»Wie ich Sie sehe, mein Herr.«
»Er hat mit Ihnen gesprochen?«
»Er hat nur diese Ehre erwiesen.«
»Um Ihnen zu sagen?«
»Er habe eine Erscheinung gehabt.«
»Eine Erscheinung. . . eine Erscheinung . . . Ist er verrückt? Was für eine Erscheinung?«
»Er hat sich als Verdammten aus einem Roste von Herrn von Voltaire als Teufel kostümiert umdrehen sehen.«
»Ach! ja, er hat mit mir davon gesprochen.«
»Und mit mir auch.«
»Und mit mir auch.«
»Aber wohin geht er denn?« fragte der Redner.
»Ach! mein Herr, ich weiß es nicht.«
»Wann wird er zurückkommen?« fragte die Duenna.
»Ach! Madame, er hat mich hierüber in Unwissenheit gelassen.«
»Aber das ist grässlich!«
»Aber das ist schändlich!«
»Aber das ist ein Verrat!«
»Er wird seinen Eintritt versäumen.«
»Er wird das Publikum ärgerlich machen.«
»Ah! meine Herren, ah! meine Damen,« rief Banniére mit einer kläglichen Stimme, geeignet, sein Auditorium auf die erschrecklichsten Offenbarungen vorzubereiten.
»Nun! was?«
»Wenn ich es wagte, Ihnen die volle Wahrheit zu sagen . . .«
»Sagen Sie! sagen Sie!«
»Ich würde Sie versichern, daß Sie Herrn von Champmeslé nicht mehr sehen werden.«
»Wir werden ihn nicht mehr sehen?«
»Heute Abend wenigstens.«
Bei diesen Worten erfüllte ein verzweifeltes Geschrei den Gang und erreichte wie ein Unglück bringendes Lauffeuer die Truppe des Theaters, von wo es sich in den. oberen Korridors verbreitete.
»Aber warum? warum dies?»rief man von allen Seiten.
»Meine Herren, ich habe Ihnen gesagt, meine Damen, ich wiederhole Ihnen,« erwiderte Banniére: »weil Herr von Champmeslé ein furchtsames Gewissen hat, und weil er verdammt zu werden befürchtet, wenn er heute Abend spielt.«
»Mein Herr, sagte der Redner der Truppe, »wir haben hier einen schlechten Platz, um von unsern Angelegenheiten zu sprechen man kann uns hören. Das Gerücht von der Flucht von Champmeslé kann sich verbreiten, ehe wir diese Flucht haben parken können. Erweisen Sie uns die Ehre, mein Herr, ins Foyer herauszukommen.«
»Ins Foyer!« rief Banniére, »ins Foyer der Schauspieler und Schauspielerinnen!«
»Ja, Sie werden uns alle Einzelheiten geben, die Sie uns hier nicht geben können, und selbst vielleicht einen guten Rat.«
»Ja, ja, kommen Sie,« sagten die Frauen, indem sie sich an die Arme von Banniére hingen, während sich der Rest der Truppe in zwei Fraktionen teilte, von denen ihn die eine vorwärts zog und die andere von hinten schob.