Kitabı oku: «Salvator», sayfa 89
CXVIII
To die. – To sleep
»Kommen Sie ganz nahe, Herr Marschall,« murmelte die Prinzessin so leise, daß Herr von Lamothe-Houdan es kaum hören konnte; »denn meine Stimme ist sehr schwach und ich habe Ihnen viel zu sagen.«
Der Marschall rückte einen Stuhl herbei und setzte sich an das Bett.
»Sie sind nicht im Stand zu sprechen,« machte er, »gönnen Sie sich Ruhe. Geben Sie mir Ihre Hand und suchen Sie auf diese Weise einzuschlafen.«
»Nein, Herr Marschall,« sagte die Prinzessin, »ich habe keinen andern Schlaf mehr zu schlafen, als den ewigen, und vor meinem Tode muß ich Ihnen noch ein Geständniß machen.«
»Nein,« versetzte seinerseits der Marschall, »nein, Rina, Sie werden nicht sterben?; Ihre Aufgabe auf dieser Erde ist noch nicht erfüllt, meine Freundin, und wir dürfen nicht sterben, ehe unser Werk vollendet ist. Die kleine Abeille bedarf Ihrer sorgenden Hand.«
»Abeille!« murmelte die Sterbende schauernd.
»Ja,« fuhr Herr von Lamothe-Houdan fort, »Ihnen verdanken wir, daß es jetzt besser mit ihr geht: durch Ihren vortrefflichen Rath ist das Leben unseres lieben Kindes beinahe gesichert. Sie werden Ihr Werk nicht unvollendet lassen wollen, meine liebe Rina, und wenn Gott Sie zu sich ruft, werden Sie nicht allein von hinnen gehen, denn er wird mir die Gnade erzeigen, auch mich zu sich zu rufen.«
»Herr Marschall,« sagte die Prinzessin, in deren Augen die Zärtlichkeit ihres Gemahls Thränen der Rührung hervorriefen, »ich bin Ihrer Liebe unwerth und deßhalb bitte ich Sie, mich zu hören.«
»Nein, Rina, ich werde Nichts hören, ich werde Nichts hören. Schlummre im Frieden, mein Kind, und Gott segne Deinen Schlaf.«
Die Thränen, welche seit einem Augenblick so reichlich den Augen der Prinzessin entquollen, überströmten die Hand, mit welcher der Marschall die seiner Frau hielt.
»Du weinst, meine Rina,« sagte er mit bewegter Stimme. »Hast Du einen Kummer, den ich lindern könnte?«
»Ja,« machte der Kopf der Sterbenden, »einen großen Kummer, einen tiefen Schmerz.«
»Sprich, meine Freundin.«
»Vor Allem, Herr Marschall,« sagte die Prinzessin, indem sie ihre Hand aus der ihres Gatten zog und einen kleinen goldenen Schlüssel an einem Collier aus ihrer Brust hervornahm, »öffnen Sie mit diesem Schlüssel mein Chiffonnier.«
Der Marschall nahm den Schlüssel, stand auf, um den Chiffonnier zu öffnen.
»Ziehen Sie die zweite Schieblade heraus,« fuhr Frau von Lamothe-Houdan fort.
»Es ist geschehen,« sagte der Marschall.
»Sie werden dort ein Paket mit Briefen finden, das von einem schwarzen Band umgeben ist.«
»Hier,« sagte der Marschall, indem« das Paket in die Höhe hob und es der Prinzessin zeigte.
»Nehmen Sie es und setzen Sie sich zu mir.«
Der Marschall that wie ihm befohlen.
»Dieses Paket Briefe enthält meine Bekenntnisse,« sagte die arme Frau.
Der Marschall wollte die Briefe seiner Frau übergeben, diese schob sie jedoch zurück und sagte:
»Lesen Sie sie, denn ich werde nicht die Kraft haben, Ihnen den Inhalt davon zu sagen.«
»Was enthalten diese Briefe?« fragte der Marschall verlegen,
»Das Geständniß und den Beweis all’ meiner Vergehen, Herr Marschall.«
»Dann,« versetzte der Marschall bewegt, »erlauben Sie mir, diese Lectüre auf eine andere Zeit aufzuschieben. Sie sind zu schwach in diesem Augenblick, um sich mit Ihren Vergehen zu beschäftigen, und ich werde Ihre Heilung erwarten.«
Dann öffnete er seine Redingote und steckte die Briefe in seine Tasche.
»Aber ich bin im Begriff zu sterben, Herr Marschall,« sagte die Prinzessin in herzzerreißendem Tone, »und ich will nicht mit einer so schweren Last auf meinem Gewissen zu Gott gehen.«
»Wenn Gott Sie zu sich ruft, Rina,« murmelte der Marschall mit düsterem Tone, »so wird Gott Ihnen im Himmel all’ Ihre Fehler vergeben, wie ich sie Ihnen hier auf Erden vergebe.«
»Aber es sind mehr als Fehler, Herr Marschall,« fuhr Frau von Lamothe-Houdan mit beinahe erlöschender Stimme fort, »es sind Verbrechen, und ich will die Erde nicht verlassen, ohne Ihnen vorher ein Geständniß gemacht zu haben; denn es ist Ihre Ehre, Herr Marschall, die ich schändlich befleckt.«
»Genug, Rina,« rief der Marschall schauernd, »genug, genug!« fügte er hinzu, indem er seinen Ton milderte, »ich wiederhole Ihnen, daß ich nichts hören will, ich vergebe Ihnen und segne Sie und rufe auf Ihr Haupt alle Gnade Gottes herab.«
Thränen der Dankbarkeit entströmten auf’s Neue den Augen der Prinzessin. Sie wandte ihre Augen nach dem Marschall und indem sie ihn mit einem unaussprechlichen Ausdruck von Zärtlichkeit und Bewunderung ansah, sagte sie zu ihm: »Wollen Sie mir die Hand geben?«
Der Marschall bot ihr seine beiden Hände, die Prinzessin nahm eine derselben in die ihrigen, hob sie an ihre Lippen und sagte, indem sie sie glühend küßte in einer gewissen religiösen Aufregung und Extase:
»Gott ruft mich zu sich . . . ich werde für Sie beten.«
Dann ließ sie den Kopf auf das Kissen sinken, schloß sanft die Augen und entschlief mit der majestätischen Heiterkeit eines schönen Sommertages, der in dem Schatten der Nacht erlischt.
»Rina! Rina! meine arme und heißgeliebte Rina!« rief der Marschall in der heftigen Aufregung, in die ihn diese Szene versetzt hatte; »öffne die Augen, sieh mich an, antworte mir, ich habe Dir verziehen, ich verzeihe Dir, arme Frau. Hörst Du mich? – ich verzeihe Dir!«
Er war so sehr an das Schweigen der Prinzessin gewöhnt, daß er, nichts auf diesem ruhigen Gesichte sehend, was den Tod anzeigte, sie an sich zog und auf die Stirne küßte.
Als er jedoch die Marmorkälte dieser Stirne fühlte, und die bereits erkalteten Lippen mit den seinigen berührte, und ihren Athem nicht mehr fühlte, sah er ein, daß es mit seiner unglücklichen Frau zu Ende war, und indem er langsam ihren Kopf auf das Kissen sinken ließ, erhob er beide Hände über ihr und sagte:
»Was Du auch gethan haben magst, ich verzeihe Dir in dieser letzten Stunde, armes und schwaches Geschöpf! Was auch Dein Fehl, ja selbst Dein Verbrechen gewesen, ich rufe den Segen Gottes auf Dein Haupt herab.«
In diesem Augenblicke ließ sich eine kleine Kinderstimme hören.
»Mutter, Mutter!« rief diese Stimme, »ich will Dich sehen.«
Es war die Stimme Abeille’s, welche ängstlich in dem Boudoir das Ende des vertraulichen Gesprächs zwischen der Marschallin und ihrem Gemahl erwartete.
Die beiden Schwestern traten rasch in das Schlafzimmer, denn Regina begleitete Abeille.
»Tretet nicht ein, meine Kinder,« rief der Marschall mit einer von Schluchzen erstickten Stimme.
»Ich will Mama sehen,« sagte Abeille weinend, indem sie nach der Bette der Prinzessin lief.
Aber der Marschall versperrte ihr den Weg; er nahm sie in seine Arme und sagte, indem er sie zur Prinzessin Regina führte:
»Bringe sie fort im Namen des Himmels, mein Kind.«
»Wie geht es?« fragte Regina.
»Nun besser, sie ist eingeschlummert,« sagte der Marschall in einem Tone, der seine Worte Lügen strafte; »bringe Abeille weg.«
»Die Mutter ist todt,« seufzte das Kind.
Die Prinzessin Regina stürzte sich mit Abeille auf den Armen auf dies Wort an das Bett der Marschallin.
»Unglückliche Kinder,« sagte Herr von Lamothe-Houdan, indem er einen Schmerzensseufzer ausstieß, »ihr habt keine Mutter mehr.«
Es war ein einziger Schrei, welchen beide Kinder ausstießen.
Auf diesen Schrei traten die Marquise de la Tournelle und die Kammerfrau, gefolgt von dem Abbé Bouquemont, in das Zimmer.
Als der Marschall das heuchlerische Gesicht des Abbé Bouquemont erblickte, schien er seine eigene Aufregung zu vergessen und nur sich der zu erinnern, welche die Prinzessin in dem Augenblick gezeigt, wo der Abbé das Schlafzimmer verlassen. Er trat auf den Geistlichen zu, und indem er ihn mit strenger Miene ansah, sagte er in ernstem Tone zu ihm:
»Sie sind es, mein Herr, der Monseigneur Coletti ersetzen soll?«
»Ja, Herr Marschall,« antwortete der Geistliche.
»Gut denn, mein Herr, Ihre Pflicht ist erfüllt; die Frau, deren Beichtvater Sie sein sollten, ist todt.«
»Wenn der Herr Marschall es erlaubt,« sagte der Abbé, »so werde ich die Nacht bei der unglücklichen Prinzessin zubringen.«
»Das ist unnütz, mein Herr; ich werde diese Sorge selbst übernehmen.«
»Aber gewöhnlich, Herr Marschall,« drängte der Abbé, der sich heute zum zweiten Male verabschiedet sah, »kommt dieser Leichendienst einem Geistlichen zu.«
»Das ist möglich, mein Herr Abbé,« sagte der Marschall in einem Ton, der keine Einrede zuließ. »Aber ich wiederhole Ihnen, daß Ihre Gegenwart hier von jetzt an durchaus unnütz ist. Ich Habe deßhalb die Ehre, Sie zu grüßen.«
Dann trat er, dem Abbé Bouquemont den Rücken zukehrend, wieder an das Bett zu den beiden Schwestern, welche schluchzend die Hände ihrer Mutter küßten, während der wüthend über den Empfang seinen Hut zornig in die Stirne drückte, wie Tartusse, der das Herz voll von Drohungen das Haus Orgon’s mit den Worten:
»Du, der als Herr spricht, solltest selber gehen.«
verließ, und die Thüre des Boudoirs heftig hinter sich zuschlug.
Dieses Benehmen hätte allerdings eine Rüge verdient, aber der Marschall von Lamothe-Houdan war zu sehr mit sich beschäftigt, um das impertinente Weggehen des Abbé Bouquemont zu bemerken.
Die Nacht war inzwischen eingetreten und man sah kaum mehr klar in dem Zimmer der Prinzessin. Todtenstille herrschte rings umher.
Man meldete, daß das Diner serviert sei, aber der Marschall wollte nicht daran Theil nehmen. Er verabschiedete alle Welt, nachdem man ihm eine Lampe gebracht, und als er sich allein sah, setzte er sich neben den Chissonnier, vor welchem die Prinzessin gewöhnlich faß: dann zog er aus der Tasche das Briefpaket, löste mit zitternder Hand das Band, das es umwand, und begann mit einem Auge, welches der Schmerz umwölkte, zu lesen.
Der erste Brief war von ihm; er war aus dem Bivouak am Abend vor einer Schlacht. Der zweite war aus einem Lager geschrieben am Tage nach einem Sieg. Alle trugen das Datum des Kriegs, ein Wort faßte den Inhalt aller zusammen: »Wann werden wir nach Frankreich zurückkommen?« Mit andern Worten, alle Briefe des Gatten constatirten seine Abwesenheit und zeugten von der Sehnsucht nach ihr.
Das war das Thor, durch welches er das große Schlachtfeld des Lebens der Prinzessin betrat: er war fort, sie allein.
Er hielt einen Augenblick inne, da er eine andere Schrift als die seine sah, als wollte er, ehe er weiter ginge, sich den Weg, den er bereits gegangen, noch einmal klar überschauen. Auf diesem Wege sah er seine Frau, d. h. ein schwaches Wesen, allein, ohne Stütze und Halt, die Beute des nächsten Wolfs, der in der Hürde erschien.
Er wandte sich nach der Leiche und auf sie zugehend, sagte er:
»Vergebung, liebe Frau, der erste Fehler ist mein Fehler; Gott vergebe mir, ich nehme ihn auf mich.«
Dann setzte er sich wieder an den Chissonnier und begann die Lectüre der Briefe des Herrn Rappt.
Wunderbar! als ob er es instinktmäßig vorausgesehen, daß hinter diesem Vergehen ein Verbrechen ruhe, machte die Kunde seiner Unehre nicht den furchtbaren Effekt auf ihn, den sie gewöhnlich auf jeden Menschen in ähnlicher Situation macht, welcher Art auch sein Temperament sei. Seine Stirne bedauerte sie zwar mit einer Röthe; er zitterte zwar, so lange dies Lesen dauerte; er hätte den Grasen Rappt, wenn er ihn in Händen gehabt, sicherlich erdrosselt, aber die Enthüllung seines Unglücks, das seinen Haß gegen seinen Schützling hervorrief, stimmte ihn zum Mitleid mit seiner Gattin. Er bedauerte sie innig und aufrichtig und klagte sich als den Urheber seiner Schande, den Verräther an sich selbst an und rief das Mitleid Gottes auf die Leiche herab.
Dies war die doppelte Wirkung, die der erste Brief des Herrn Rappt auf ihn hatte: Mitleid mit seiner Frau, Entrüstung über seinen Schützling; die Frau hat ihren Mann getäuscht, der Adjutant seinen Herrn verrathen.
Er setzte diese düstere Lectüre fort, während sein Herz von tausend Qualen gemartert wurde.
Er las Anfangs nur Umschreibungen der ersten Briefe, kein Unglück wurde ihm angezeigt und doch ahnte er nur daß er ein noch größeres Unglück zu erfahren habe, und blätterte mit fieberhafter Hand in allen Briefen. Er verschlang sie wie ein Mensch, der die Mündung auf sich gerichtet sieht und sich der Kugel entgegen wirft.
Er stieß einen furchtbaren, unaussprechlich schrecklichen Schrei aus, als er zu den Worten kam:
»Wir werden unsere Tochter Regina nennen. Wird sie nicht wie Du eine königliche Schönheit werden!«
Der Blitz richtet keine solche Verwüstung an, wo er einschlägt, als diese Linien in dem Herzen des Marschall von Lamothe-Houdan. Es war nicht das Herz des Liebenden oder Gatten, ja nicht das des Vaters, das sich bei diesen Worten in seiner ganzen Höhe aufrichtete, es war das Herz des Mannes, seine Selbstachtung, sein Selbstbewußtsein. Es schien ihm, als wäre er nicht mehr er selbst, oder schon selbst ein Verbrecher, weil er nur mit dem Verbrechen in Berührung gestanden. Er vergaß, daß er als Gatte, als Herr, als Freund, als Vater verrathen worden; er vergaß endlich seine Schmach und sein Unglück und dachte nur an die empörende Ungeheuerlichkeit, an die Heirath des Liebenden mit der Tochter seiner Geliebten, an den schamlosen, frechen und ungestraften Vatermord! Er wandte das Auge voll Zorn nach dem Bette, als er aber die Leiche seiner Gattin mit den gefalteten Händen, die zum Himmel empor gekehrte Stirne der Todten in der Haltung feierlicher Sammlung gewahrte, nahmen seine Augen den Ausdruck tiefen Schmerzes an und er sagte mit herzzerreißendem Tone:
»O was hast Du gethan unglückseliges Weib?«
Dann nahm er die Briefe und suchte seine Kaltblütigkeit wieder zu bekommen, um sie bis zu Ende lesen zu können. Furchtbarer Versuch, auf den er beinahe verzichtet, wenn ihn nicht ein anderer Gedanke, der Gedanke an ein weiteres Unglück unheimlich erfaßt hätte.
Wir haben die kleine Abeille in dem Atelier von Regina auftreten lassen, während Petrus ihr Portrait malte und sahen sie so eben wieder in dem Sterbezimmer. Die Geburt dieses Kindes beschäftigte den Marschall in diesem Augenblick lebhaft. Er hatte es so zu sagen in die Welt gebracht; es war unter seinen Augen geboren worden, es war neben ihm groß geworden. Er hatte es, als es noch ein ganz kleines Kind war, auf seinem großen Schlachtpferde spazieren geführt, indem er es an der Hand hielt, und es war ein herrliches Schauspiel, auf das er selbst stolz war, den alten Marschall in den Tuilerien mit dem kleinen Mädchen spielen zu sehen. Die frühste Jugend fühlt sich sympathischer mit dem Greise, als mit dem reifen Mann. Die blonden Haare der Kindheit harmonieren besser mit den weißen Haaren des Greises.
Abeille war darum die Krone des Alters des Marschalls gewesen, der letzte Gesang, den er gehört, der letzte Wohlgeruch, den er eingeatmet; er liebte sie wie das letzte Lächeln seines Lebens, wie den letzten Strahl seiner untergehenden Sonne. »Wo ist Abeille?« »Warum ist Abeille nicht da?« »Warum hat bei solchem Wetter ausgehen lassen?« »Wer hat sich erlaubt, Abeille sprechen zu lassen?« »Warum habe ich Abeille heute nur ein einziges Mal singen hören?« »Abeille ist also traurig?« »Abeille ist also krank?« Und von Morgens bis Abends hörte man nur den Namen Abeille; sie war gleichsam der belebende Hauch des Hauses; wo sie nicht war, wurde man traurig; wo sie erschien, trat die Freude mit ihr ein.
Mit einem unaussprechlichen Schreck nahm deßhalb der Marschall die Lectüre der Briefe wieder auf, die sein Inneres bereits schon so tief aufgewühlt.
Leider durfte nichts vor dem alten Manne stehen bleiben. Er hatte nach und nach all’ seinen Glauben wie Schlösser in Ruinen sinken sehen. Ein einziges blieb ihm und er sollte es gleichfalls zusammenbrechen sehen müssen. O furchtbares Schicksal! Dieser Mann besaß Schönheit. Güte. Muth. Ehre, Stolz und Alles, was den Menschen groß und glücklich macht; es hatte ihm nichts gemangelt, um auch der Liebe theilhaft zu werden, und nun sollte er am Ende seines Lebens Qualen erdulden, neben denen selbst die der größten Verbrecher verschwanden.
Als er seines Schicksals gewiß war, als er seine moralische Niederlage constatirt hatte, das heißt den Tod seines Glaubens, da verhüllte er sein Gesicht und weinte bitterlich.
Die Thränen sind wohlthätig. Sie machen aus Gift Honig und lindern die Wunden der Seele.
Als er lange genug geweint, stand er auf und an dem Bette der Leiche stehend, sprach er:
»Ich habe Dich heiß geliebt, Rina! . . . und war unter vielen werth, von Dir geliebt zu werden. Aber der Wagen des Lebens hat mich rasch mit sich fortgerissen und in der Staubwolke, die er aufwühlte, sah ich neben mir die zarte Pflanze nicht, die ich zertrat. Du hast gerufen. Ich bin Dir nicht zu Hilfe gekommen und Du nahmst die erste beste Hand, um Dich an ihr aufzurichten. Das ist meine Schuld, Rina, das ist meine große Schuld und ich klage mich dessen an vor Deiner Leiche und bitte Gott um Vergebung. Daraus entstand all Dein Unglück . . . Du hast mit Deinem Leben meine ersten Fehler bezahlt, und ich werde mit meinem Leben Dein letztes Vergehen bezahlen. Gott war streng gegen Dich, arme Frau! Ich hätte zuerst sterben sollen. Aber wir haben bei all unsrem Unglück einen Mitschuldigen und dieser hatte keine Entschuldigung. Dieser war ein Schuft, ein Ehr- und Treuloser, ein feiger Verräther, der dich einen dornigen Pfad hinabriß, um dich in den Abgrund zu stürzen; dieser wird durch die Vergebung, die ich auf Dein Haupt herabrufe, Rina, als ein feiger Schuft gestraft werden; und wenn ich dieses Werk der Gerechtigkeit gethan, dann Rina, werde ich mir vor Gott erbitten, seinen Zorn, wenn er ihn noch nicht ganz entwaffnet, auf mich fallen zu lassen . . . Lebe Wohl, arme Frau! Oder vielmehr auf Wiedersehen, denn der Körper überlebt den Tod der Seele nicht lang.«
Nach diesen Worten trat der Greis an den Chiffonnier, nahm die Briefe, steckte sie in seine Tasche und wollte eben weggehen, als er die Portiere des Schlafzimmers zur Seite schieben sah und ein Mann, den er nicht sogleich erkannte, im Schatten naher kam.
Er trat auf ihn zu: es war der Graf Rappt.
CXIX
Wo der Stern des Herrn Rappt zu bleichen beginnt
»Er!« murmelte der Marschall de Lamothe-Houdan dumpf, als er den Grafen Rappt erblickte. Sein Gesicht, das sonst einen so milden Ausdruck hatte, verfinsterte sich. »Er!« wiederholte er, indem er Blitze aus seinen Augen auf ihn schleuderte und ihn auf die Weise ansah, wie das Gewitter das Feld, das es zerstören will.
Der Graf war, wie wir bereits gesehen, ein tapferer, kühner, ja kecker Mann, voll Kaltblütigkeit und Muth und, erkläre wer es erklären kann, seine Kaltblütigkeit, sein Muth, seine Kühnheit brachen plötzlich vor dem Marschall zusammen, wie die Mauern einer belagerten Stadt vor dem siegreichen Feinde. Soviel Blitze leuchteten aus den Augen des empörten Greises, soviel furchtbare Drohungen schleuderte sein Blick, daß dem Grafen, ohne etwas errathen zu können, alle möglichen Vermuthungen in den Kopf kamen, und er unwillkürlich schauerte.
Er glaubte, Herr von Lamothe-Houdan sei nach dem Tode seiner Gemahlin ein Narr geworden. Er schrieb den starren Blick seiner Geistesverwirrung zu, – er nahm seinen Zorn für Verzweiflung und wollte ihn trösten. – Er suchte deßhalb wieder alle nöthige Kaltblütigkeit zu bekommen, um dem Kummer Worte zu leihen, den ihm der Tod der Prinzessin verursachte, und dem Antheil, den er an dem Schmerze des Marschall nehme.
Er näherte sich Herrn von Lamothe-Houdan mit gesenktem Haupte, zum Zeichen seiner Trauer und Theilnahme.
Der Marschall ließ ihn drei bis vier Schritte im Zimmer machen.
Herr Rappt sagte mit einem Tone, dem er etwas Gerührtes zu geben suchte:
»Herr Marschall, seien Sie überzeugt, daß ich die innigste Theilnahme für das Unglück fühle, das Sie traf.«
Der Marschall ließ ihn aussprechen.
Herr Rappt fuhr fort:
»Das Unglück hat wenigstens das Tröstliche, daß es uns die Freunde, die uns bleiben, teurer macht.«
Der Marschall schwieg noch immer.
Der Graf fuhr fort:
»In diesem traurigen Augenblicke wie in jedem andern, Herr Marschall, glauben Sie mir, daß ich ganz zu Ihren Diensten stehe.«
Das war zu viel! – Als er diese Worte hörte, fuhr Herr von Lamothe-Houdan auf.
»Was haben Sie, Herr Marschall?« rief der Graf bestürzt.
»Was ich habe, Elender?« murmelte der Marschall halblaut, indem er auf den Grafen zuschritt.
Dieser trat drei bis vier Schritte zurück.
»Was ich habe, Elender, Verräther, Feigling?« fuhr der Marschall fort, indem er den Grafen ansah, als wenn er ihn verschlingen wollte.
»Herr Marschall . . . « rief der Graf, der endlich die Sachlage zu errathen schien.
»Verräther! infamer Mensch!« wiederholte Herr von Lamothe-Houdan.
»Ich fürchte, Herr Marschall,« sagte Graf Rappt, indem er sich nach der Thüre zurückzog, »daß Ihr großer Schmerz Ihren Verstand etwas gestört und ich bitte deßhalb um Erlaubnis, mich zu entfernen.«
»Sie werden nicht von hier weggehen!« sagte der Marschall, indem er nach der Thüre eilte und ihm den Weg versperrte.
»Herr Marschall,« warf der Graf ein, indem er nach dem Todtenbette zeigte, »eine solche Szene an einem solchen Orte wird eben sowenig in Ihrem Sinne liegen, als in dem meinen; – ich bitte Sie deßhalb, mich gehen zu lassen.«
»Nein!« sagte der Marschall, »hier bin ich beleidigt worden, von hier muß die Sühne ausgehen.«
»Wenn ich Sie recht verstehe, Herr Marschall,« sagte der Graf kalt, »so haben Sie aus irgend einem Grunde eine Erklärung von mir zu fordern. Ich stehe zu Ihren Diensten; aber ich wiederhole Ihnen, in einem andern Augenblicke und an einem andern Orte.«
»Nein, in dieser Stunde und hier!« antwortete der Marschall mit gebieterischem Tone, welcher keinen Einwand zuließ.
»Wie Sie wollen,« sagte der Graf laconisch.
»Kennen Sie diese Handschrift?« fragte der Marschall, indem er dem Grasen das Paket Briefe hinhielt.
Der Graf nahm die Briefe, sah sie an und erblaßte.
»Kennen Sie diese Handschrift?« wiederholte Herr von Lamothe-Houdan.
Der Graf wurde blaß wie der Tod und senkte den Kopf.
»Sie geben sich also als den Schreiber dieser Briefe zu erkennen?« fuhr der Marschall fort.
»Ja,« antwortete der Graf dumpf.
»Somit ist die Prinzessin Regina Ihre Tochter?«
Der Graf drückte die Stirne in seine Hand; es war als ob er dem Blitze ausweichen wollte, der, seit er in das Leichenzimmer eingetreten, über seinem Haupte drohte.
»Somit ist,« fuhr der Marschall de Lamothe-Houdan fort, der diese Worte kaum auszusprechen vermochte . . . »somit ist Ihre Tochter . . . . Ihre Frau?«
»Vor Gott ist sie meine Tochter geblieben, Herr Marschall!« rief der Graf lebhaft.
»Verräther! Schuft!« murmelte der Marschall; »ein Mensch, den ich aus dem Staube gezogen, den ich mit Wohlthaten überhäuft, dessen Hand ich seit zwanzig Jahren herzlich gedrückt, dieser Mensch tritt als ehrbarer Mann in meine Familie und plündert mich seit zwanzig Jahren. Elender! aber keine Furcht, keine Reue ist in all’ den zwanzig Jahren je an Ihr Herz getreten! Ihre Seele ist also ein Sündenpfuhl, m den die reine Luft nie dringen konnte! Verräther! Dieb an meinem Gut! Meuchelmörder meines Glücks! . . . Und der Gedanke ist Ihnen nicht einen Augenblick gekommen, daß ich Alles erfahren könnte und daß ich furchtbare Rechenschaft für diese zwanzig Jahre voll Lüge und Treulosigkeit von Ihnen fordern könnte?«
»Herr Marschall . . . « stotterte Graf Rappt.
»Schweigen Sie, Elender!« sagte Herr de Lamothe-Houdan hart, »und hören Sie mich zu Ende, – Ich habe Sie gelehrt den Degen halten.«
Der Graf antwortete nicht.
»Bin ich’s oder nicht?« fragte der Greis.
»Ja, Sie, Herr Marschall,« antwortete der Graf.
»Sie kennen also die Art, wie ich mich seiner bedienen kann,« fuhr der Marschall in kurzem Tone fort.
»Herr Marschall! . . . « unterbrach ihn der Graf.
»Schweigen Sie, sage ich Ihnen! Ich bin sicher, daß ich Sie tödten würde.«
»Sie können mich auf der Stelle tödten, Herr Marschall,« rief der Graf; »denn ich werde mich auf meine Ehre nicht gegen Sie vertheidigen.«
»Sie weigern sich, sich mit einem Greise zu schlagen,« sagte der Marschall, indem er dumpf lachte, »aus Achtung vor seinen weißen Haaren, nicht wahr?«
»Ja,« sagte der Graf in entschiedenem Tone.
»Aber, Unglücklicher, der Sie sind,« sagte der Greis, indem er auf den Grafen zuschritt und sich mit gekreuzten Armen in seiner ganzen Höhe ausrichtete: »wissen Sie denn nicht, daß der Zorn übermenschliche Kräfte verleiht, und daß dieser Arm,« fuhr er fort, indem er seinen rechten Arm ausstreckte und ihn auf die Schulter des Grafen legte, »daß, wenn dieser Arm sich auf Sie herabläßt, er Sie zwingt, sich zur Erde zu beugen?«
Sei es nun, daß der Arm des Greises wirklich eine außergewöhnliche Schwere hatte oder der Zorn sie ihm verlieh, kurz, wie er gesagt, die Beine des Grafen sanken unter dem Druck einer übermenschlichen Kraft ein und er stürzte vor dem Bette der Todten auf dem Teppich zu Boden.
»So ist es recht, auf die Kniee!« sagte der Marschall streng, »das ist die Haltung, die Schamlosen und Verräthern ziemt! Verflucht seist Du, der Du in mein Haus Lüge und Schmach gebracht! Verflucht seist Du, der Du mich mit Kränkungen überhäuft, der Du mich den Haß gelehrt, der Du mich durch Deine Beleidigung an der ganzen Menschheit zweifeln ließest, verflucht seist Du!«
O Verzweiflung! dieser tapfere Mann, dieser ehrenhafte Mann erblaßte, als er sich dem Grafen nähern wollte, um ihn zu beohrfeigen, und sank zu Boden, als wenn der elende Verräther, den er bedrohte und bestrafen wollte, ihn niedergeworfen.
Ein wildes Lächeln fuhr über die Lippen des Grafen und erhellte sein Gesicht. – Er betrachtete den Greis, der am Boden lag, wie der Holzhauer die gefällte Eiche.
Er beugte sich auf ihn hinab und betrachtete ihn kalt, wie der Arzt einen Leichnam.
»Herr Marschall,« sagte er halblaut.
Aber der Greis hörte ihn nicht.
»Herr Marschall,« wiederholte er mit dumpfer Stimme, indem er ihn leicht schüttelte.
Aber Herr von Lamothe-Houdan blieb unbeweglich und stumm.
Graf Rappt streckte seine Hand nach der Brust des Marschalls aus; seine Stirne aber verfinsterte sich wieder, als er das Pochen seines Herzens fühlte.
»Er lebt!« murmelte er, indem er ihn mit einem wilden Blicke ansah.
Dann stand er rasch auf, sah nach allen Seiten, indem er ich weiß nicht was suchte, – wahrscheinlich ein Mordinstrument.
Aber das Frauengemach enthielt kein Pistol, keinen Dolch, überhaupt keine Waffe.
Er trat an das Todtenbett und zog das Tuch an sich, das es bedeckte; – aber zu seinem großen Schrecken erhob sich der rechte Arm der Todten, der mit einem Finger eine Ecke des Tuches festhielt.
Er fuhr erschrocken zurück . . .
In diesem Augenblicke erhob sich ein Schatten vor ihm.
»Was machen Sie hier?« sagte sie.
Er schauerte, als er die Stimme der Prinzessin Regina erkannte.
»Nichts!« antwortete er rauh, indem er der Prinzessin einen furchtbaren Blick zuschleuderte.
Dann verließ er rasch das Zimmer, indem er die arme Regina zwischen der Leiche ihrer Mutter und dem leblosen Körper des Marschalls de Lamothe-Houdan zurückließ.
Die Prinzessin läutete und Gruska erschien, gefolgt von dem Kammerdiener des alten Mannes.
Man brachte den Marschall zu sich und trug ihn nach seinem Schlafzimmer, wo die Pflege seines eiligst herbeigeholten Arztes ihn bald wieder in’s Leben zurückrief.
Er sah rings um sich, indem er sagte:
»Wo ist er?«
»Wer, mein Vater?« fragte die Prinzessin.
Das Wort Vater, das Regina aussprach, machte den Marschall schauern.
»Dein Gatte . . . « sagte er mit einiger Anstrengung, »Graf Rappt.«
»Wollen Sie ihn sprechen?« fragte die Prinzessin.
»Ja,« antwortete Herr von Lamothe-Houdan.
»Ich werde nach ihm schicken, wenn Sie besser sind.«
»Ich befinde mich schon ganz gut,« sagte der Marschall, indem er sich erhob und stolz in die Brust warf.
»Ich werde nach ihm schicken, mein Vater,« sagte die Prinzessin, indem sie in den Augen des alten Mannes zu lesen suchte, was er in diesem Momente dem Grasen Rappt zu sagen hätte.
Sie verließ das Schlafzimmer und einen Augenblick später erschien der Graf.
»Sie verlangten, mich zu sprechen?« sagte er in trockenem Tone.
»Ja,« antwortete der Marschall laconisch. »Ich ließ mich eben zu Drohungen und heftigen Aeußerungen, welche doch unnütz sind, hinreißen; ich hatte Ihnen nur ein Wort zu sagen und gerade dieses eine habe ich Ihnen nicht gesagt.«
»Ich stehe zu Ihrem Befehle, Herr Marschall,« antwortete der Graf.
»Sie werden sich mit mir schlagen?« machte der Greis verächtlich.
»Ja,« antwortete der Graf entschlossen.
»Natürlich, auf Degen?«
»Auf Degen.«
»Ohne Zeugen?«
»Ohne Zeugen, Herr Marschall.«
»Hier im Garten?«
»Wo es Ihnen beliebt, Herr Marschall.«
Der Marschall warf einen strengen Blick auf den Grasen.
»Sie haben Ihren Entschluß sehr rasch geändert,« sagte er.
»Ich habe erkannt, Herr Marschall, daß meine Weigerung eine neue Beleidigung wäre,« antwortete der Graf.
»Sie werden mir vielleicht die Kränkung anthun, sich nicht zu vertheidigen?«
»Ich werde mich vertheidigen, Herr Marschall . . . ich schwöre es Ihnen . . . « fügte er hinzu.
»Wie es Ihnen beliebt, mein Herr. Aber Sie mögen sich vertheidigen oder nicht, ich werde Sie nicht schonen.«
»Der Wille Gottes geschehe!« sagte der Graf heuchlerisch, indem er den Blick mit einer Salbung zum Himmel erhob, auf die der Abbé Bouquemont hätte stolz sein können.
»Was den Tag betrifft,« nahm der Marschall das Wort, »so sei dazu der des Leichenbegängnisses der Frau Marschallin bestimmt. Wir werden die Leichenfeierlichkeiten mitmachen und auf dem Heimweg treffen wir uns an dem Rondel im Garten.– Halten Sie sich also bis zu dieser Stunde bereit.«
»Ich werde bereit sein, Herr Marschall.«
»Gut!« machte Herr von Lamothe-Houdan mit dem Kopfe, indem er dem Grasen den Rücken zuwandte.
»Sie haben mir nichts mehr zu sagen, Herr Marschall?« fragte dieser.
»Nein,« antwortete der Greis, »Sie können sich entfernen.«
Der Graf verbeugte sich respectvoll und ging.
Auf der Schwelle fand er die Prinzessin.
»Sie hier?« rief er.
»Ja,« sagte die Prinzessin mit gedämpfter Stimme. »Ich habe Alles gehört und verstanden, ich weiß Alles. Sie wollen sich mit dem Marschall schlagen.«
»Allerdings,« sagte der Graf kalt.
»Sie werden den alten Mann tödten,« fuhr Regina fort.
»Vielleicht,« antwortete der Graf.
»Sie sind ein Schuft!« rief die Prinzessin.
»Und ein größerer Schuft, als Sie vielleicht glauben, Prinzessin; denn ich beabsichtige, vor dem Duell den Marschall von Allem in Kenntniß zu setzen, was er noch nicht weiß.«