Kitabı oku: «Salvator», sayfa 90
»Was wollen Sic sagen?« fragte die Prinzessin erschrocken.
»Wollen Sie mit mir kommen, so werde ich Ihnen Alles sagen,« versetzte der Graf. »Der Ort, wo wir sind, scheint mir nicht ganz geeignet für eine solche Unterhaltung.«
»Ich folge Ihnen,« antwortete die Prinzessin.
Wir werden im nächsten Kapitel das Resultat der Verhandlung zwischen dem Grafen Rappt und der Prinzessin Regina mittheilen.
CXX
Nächtliches Zwiegespräch zwischen dem Herrn Grafen und der Frau Gräfin Rappt
»Sprechen Sie, mein Herr!« rief die Prinzessin, nachdem sie die Portiere des Schlafzimmers hatte zurückfallen lassen und sich in einen Fauteuil geworfen.
»Das ist ein trauriges Gespräch, das wir zusammen führen werden,« sagte Herr Rappt, indem er den tiefsten Kummer heuchelte.
»Was es auch sei,« unterbrach ihn die Prinzessin, »beginnen Sie; ich bin auf Alles gefaßt.«
»Ich schlage mich, wie Sie sagten,« begann der Graf, »übermorgen mit dem Marschall de Lamothe-Houdan.«
Die arme Regina schauerte an allen Gliedern.
Herr Rappt fuhr fort, ohne die Aufregung der Prinzessin zu bemerken zu scheinen.
»Welches Resultat glauben Sie, daß dieses Duell haben könne?«
»Mein Herr,« rief die Prinzessin, indem sie erblaßte, »Ihre Frage ist furchtbar und ich gebe keine Antwort.«
»Indeß,« versetzte der Graf, indem er sie mit seinem häßlichsten Lächeln ansah, »nachdem die absolute Nothwendigkeit dieses Duells nachgewiesen ist, müssen Sie für den Einen oder den Andern der beiden Kämpfer Partei ergreifen.«
»Die Nothwendigkeit dieses Duells ist mir keineswegs erwiesen,« sagte die Prinzessin Regina, indem sie sich das Gesicht bedeckte.
»Wenn ich sehe, wie Sie roth werden, Regina, so bin ich des Gegentheils gewiß. Ich kenne Sie; – ich kenne Ihr edles Herz; ich weiß, daß nichts, was die Ehre betrifft, Ihnen fremd ist, und daß Sie an meiner Stelle ebenso gehandelt haben würden.«
»O Schande!« murmelte die arme Frau leise. »Kommen wir nicht mehr auf die Ursachen zurück,« sagte Herr Rappt, »und sprechen wir von den Wirkungen. Ich schlage mich mit dem Marschall. Für wen entscheiden Sie sich? Das ist die Frage, die ich an Sie zu richten die Ehre habe.«
»Mein Herr, ich weigere mich ganz entschieden, zu antworten.«
»Es muß sein, Prinzessin, denn von Ihrer Antwort wird das Glück oder Unglück Ihres Lebens abhängen.«
»Was wollen Sie sagen?«
»Ich werde mich nicht weiter erklären, ehe ich Ihre Antwort kenne.«
»Mein Herr, Ihr Drängen ist keck und ich muß Sie daran erinnern, daß meine Mutter heute gestorben ist.«
»Ich erinnere mich wohl, Regina, wenn ich daran denke, daß ich mich übermorgen schlage.«
»Was kann ich dabei thun?« rief die Prinzessin in verzweislungsvollem Tone, »wollen Sie, daß ich den Marschall aufsuchen soll, daß ich mich ihm zu Füßen werfe und daß ich ihn bitte, auf diesen Zweikampf zu verzichten?«
»Sie verstehen mich nicht, Prinzessin,« versetzte der Graf, indem er die arme Frau mit stolzer Miene ansah. »Habe ich Ihnen das Recht gegeben, an meinem Muthe zu zweifeln und glauben Sie, daß ich feig genug sei, eine Frau zu bitten, meine Ehrensachen in’s Reine zu bringen? Ich bitte Sie einfach, meine Frage zu beantworten.«
»Schweigen Sie!« rief Regina zitternd.
»Ich bitte Sie mit einem Worte, mir zu sagen, von wem Sie wünschen, daß er sterbe, von Ihrem Vater oder von dem Gatten Ihrer Mutter?«
»Das ist empörend!« murmelte die Prinzessin weinend.
»Das ist empörend,« wiederholte der Graf kalt, »das gebe ich zu; aber was wollen Sie Machen? Die Sache ist so. Antworten Sie mir deßhalb.«
»Mein Herr,« sagte die Prinzessin bittend und die Hände faltend, »im Namen meiner Mutter beschwöre ich Sie, keine Antwort in dieser Sache von mir zu fordern.«
»Ich wiederhole Ihnen, Regina, daß Ihr Leben und das meine von der Antwort abhängt, die Sie mir geben werden. Ich beharre deßhalb darauf.«
»Sie wollen es?« rief die junge Frau, indem sie ihn fest ansah und sich langsam erhob, um auf ihn zuzugehen.
»Ich verlange es, Regina! . . . Verzeihung, ich bitte Sie darum.«
»Gut!« sagte die Prinzessin, indem sie mit gekreuzten Armen auf den Grafen zuging. »Da Sie es verlangen, so vernehmen Sie meine Antwort: ich hasse Sie . . . «
»Regina! Regina!«
»Ich hasse Sie,« fuhr die Prinzessin fort, »so sehr, als ein Herz hassen kann.«
»Regina! Regina!« wiederholte der Graf, indem er purpurroth wurde, »nehmen Sie sich in Acht!«
»Ich fürchte nichts,« sagte Regina, »denn ich habe nur Sie zu fürchten und Sie wissen seit langer Zeit, woran Sie sich in dieser Richtung zu halten haben.«
»Regina, die Geduld hat ihre Grenzen!«
»Wem sagen Sie das, mein Herr? Kenne ich etwa die Grenzen der Geduld nicht, und doch sind Sie bei mir und ich höre Sie an!«
»Regina, ich kann Sie vernichten, oder Sie retten!«
»Sie können mich nur auf eine Weise retten, mein Herr,« sagte die junge Frau stolz: »das ist, wenn Sie sterben!«
»Regina!« sagte der Graf, indem er auf die Prinzessin losstürzte, als wenn er sie ermorden wollte.
Diese aber sah ihn mit kaltem Blicke an und hielt ihn mit den Worten zurück:
»Nun, was gibt es, mein Vater?«
Der Graf fuhr zurück.
»Hören Sie mich,« sagte er.
»Ich will Sie nicht mehr anhören.«
»Sie müssen.«
Regina stürzte nach der Glockenschnur.
»Rufen Sie nicht,« sagte der Graf blaß werdend; – »ich werde gehen; aber wenn ich gehe, werde ich dem Marschall Alles enthüllen.«
»Was wollen Sie ihm sagen?« fragte die Prinzessin, indem sie auf ihn zutrat.
»Ich will ihn enttäuschen.«
»Mein Herr,« rief die arme Frau, »wenn Sie jemals das geringste Gefühl für gut oder böse gehabt, so werden Sie es nicht thun.«
»Ich werde es thun, wie ich Ihnen zu sagen die Ehre habe,« machte der Graf, indem er sich umwandte und nach der Thüre ging.
»Mein Herr, mein Herr,« rief Regina, indem sie auf ihn zuging, »was wollen Sie, was verlangen Sie von mir für die Ruhe dieses achtungswürdigen Mannes?«
Der Graf wandte sich um und lächelte unmerklich.
»Sie sehen wohl,« sagte er, »daß es nöthig ist, wir sprechen mit einander.«
»Ich höre.«
»Ich werde nicht auf die Frage zurückkommen, für wen Sie sich entscheiden,« versetzte der Graf in höhnischem Tone: »Sie haben mich hinlänglich darüber aufgeklärt; ich wollte es nur wissen,« fuhr er fort, »ehe ich sterbe; denn Sie können sich wohl denken, daß ich mich nicht gegen einen Greis vertheidigen werde; ich wollte wissen, sagte ich, ob Sie nach meinem Tode nicht einige Nachsicht mit meinen Fehlern haben würden, wenn Sie sehen, daß ich sie so muthig gesühnt. Ihre Ansicht darüber wollte ich kennen, so zu sagen von jenseits des Grabes! Der Mann, der mit Ihnen spricht, Regina, ist, ein so großer Verbrecher er auch sein mag, doch immer Ihr Vater. – Ich wollte wissen, nicht ob Sie Ihren Vater vermissen, (ach! ich verdiene Ihr Vermissen nicht!) sondern ob Sie ihn von Grund Ihrer Seele beklagen und beweinen. – Ich wollte endlich wissen, ehe ich sterbe, ob Ihnen der Gedanke nicht käme, daß ich unglücklicher, elender sei, als schändlich und ob ich nicht durch meinen Tod Verzeihung für mein Leben erringen könnte. Das war meine Absicht, Regina! Entschuldigen Sie mich, daß ich es Ihnen nicht deutlicher erklärt.«
Diese Worte, welche freilich mit mehr Emphase als Gefühl gesprochen waren, rührten dennoch die Prinzessin Rappt.
Und es ist hier, wenn je, der Ort, lieber Leser, die Güte der Frauen und die Abscheulichkeit der Männer hervorzuheben: Man sehe dieses gute, ehrbare, durch und durch ehrbare, bis zur Grausamkeit offene, bis zur Barbarei loyale Geschöpf, diese Frau, die so eben noch die furchtbaren Worte ausgesprochen: Sie haben nur eine Art mir das Leben zu retten, das ist zu sterben; nun, und diese Frau laßt sich von einem solchen Manne rühren. Ihr Herz wird tief bewegt durch die Rolle, die der Comödiant vor ihr spielt. Sie fragt sich: war ich nicht zu streng, zu hart, zu ungerecht gegen diesen Mann, der doch am Ende mein Vater ist? Das ist das Gefühl, das sie bewegt, als sie das von dem Histrionen gesungene Couplet hörte.
»Herr Graf,« sagte sie, »verzeihen Sie mir die Härte meiner Worte. Ich bin sterblich und habe keine Wünsche. – Ich ergebe mich ganz in die Gerechtigkeit Gottes.«
Ein zufriedenes Lächeln erhellte die Gesichtszüge des Grafen.
»Regina,« sagte er, »ich danke Ihnen für diese guten Worte; aber seien sie überzeugt, daß ich Ihrer würdig bin! Das Wort,des Mannes, der in den Tod geht, ist heilig: Regina, vergeben Sie mir mein Leben und haben Sie Mitleid mit meinem Tode.«
»Was wünschen Sie von mir, mein Herr?« fragte die Prinzessin.
»Nur etwas sehr Einfaches, Regina, Ihr Glück!«
»Ich begreife Sie nicht,« sagte die Geliebte von Petrus.
»Regina, versetzte der Graf in dem affektvollsten Tone, »was für einen Fehl ich auch begangen haben mag, ich habe Sie immer geliebt, wie meine Tochter, und wenn Sie bisweilen daran gezweifelt, so war das weit mehr mein Fehler, als der Ihre. – Ich denke in dieser feierlichen Stunde nur an Sie und will Ihr Glück begründen.«
»Erklären Sie sich, mein Herr,« sagte die Prinzessin, welche instinktmäßig die Absicht des Herrn Rappt erkannte.
»Sie lieben,« sagte dieser, »einen der angenehmsten Menschen, die ich kenne. Seit dem letzten Gespräch, das wir zusammen über diesen Gegenstand führten, habe ich Erkundigungen über ihn eingezogen und ich habe erfahren, daß Ihre Liebe keinem Besseren zugewandt sein könnte.«
»Mein Herr,« rief die Prinzessin, »je weiter ich Sie anhöre, desto weniger begreife ich, wo Sie hinauswollen.«
»Wir kommen schon so weit.«
»Ich bitte Sie, mir um den Preis meines Lebens zwischen heute und morgen eine Unterredung mit diesem jungen Manne verschaffen zu wollen.«
»Das ist doch nicht Ihre wirkliche Absicht?« unterbrach ihn die. Prinzessin.
»Ich denke nichts Anderes, Prinzessin, als dies, seit ich die Ehre habe, mit Ihnen zu sprechen.«
»Aber was wollen Sie von ihm? Doch nicht etwa ihn herausfordern?«
»Beim Andenken an Ihre Mutter, Regina, schwöre ich Ihnen, daß ich ihn nicht herausfordern werde.«
»Was können Sie ihm aber dann zu sagen haben?«
»Das ist mein Geheimniß, Regina! Aber seien Sie überzeugt, daß ich bei dieser Sache nur in Ihrem Interesse allein handeln werde. Das Unglück, zu dessen Opfer ich Sie gemacht, rührt mich tief und ich will mein Verbrechen wieder gut machen.«
»Wenn dem so ist, mein Herr, warum gehen Sie nicht, ihn aufzusuchen, obgleich ich mir, offen gesagt, den rechten Zweck Ihres Benehmens nicht denken kann.«
»Das ist unmöglich, Regina, man würde mich bei ihm eintreten sehen, und welche Rolle würde ich in den Augen der Welt spielen? Ich frage Sie. Nein! mein Vorschlag ist ganz einfach: Ich bitte Sie mir eine Unterredung mit ihm zu verschaffen, morgen, zu einer Stunde, die Sie für geeignet hallen, Abends zum Beispiel.«
»Mein Herr,« sagte die Prinzessin, indem sie ihn fest und lang ansah, »ich verstehe Ihre Absicht nicht; aber ich kenne die Loyalität des Herrn Petrus Herbel. Was Sie auch über ihn denken mögen, morgen um fünf Uhr wird er hier sein.«
»Nein!« sagte Graf Rappt, »denn morgen um fünf Uhr werden Leute hier sein; die ganze Dienerschaft wird ihn eintreten sehen; ich wünsche, daß man sein Hiersein nicht wisse. Sie müssen die ganze Delicatesse eines solchen Zusammentreffens einsehen. Haben Sie deßhalb die Güte, wir eine andere Gelegenheit zu verschaffen. Sie haben beinahe jeden Abend ein Rendezvous mit ihm im Garten? Gut, so erlauben Sie mir, ihn incognito, ohne daß Jemand etwas davon weiß, dort zu empfangen; – es ist allerdings eine Phantasie, aber es ist die Phantasie eines Sterbenden und ich bitte Sie, sie zu respektieren.«
»Aber weßhalb im Garten?« bemerkte die Prinzessin. »Warum nicht hier, oder im Gewächshause,«’
»Weil man ihn, ich muß es wiederholen, sehen könnte und wir das Beide nicht wollen. Beweis dafür ist, daß Sie ihn beinahe jeden Abend im Garten empfangen, was im Vorbeigehen gesagt, eine große Unklugheit ist, die sich mit Ihrer zarten Gesundheit nicht verträgt . . . «
»Aber,« unterbrach ihn die Prinzessin lebhaft.
»Aber,« unterbrach sie der Graf noch lebhafter, »ich begreife Ihre Einwendungen nicht, wenn Sie nicht ein Mißtrauen in mich setzen, dem ich keine Worte geben kann.«
Er hätte diesem Mißtrauen der Prinzessin sehr gut Worte geben können, – es war sehr leicht begreiflich.
Die arme Frau dachte nämlich: »Da er ihn am Abend sprechen will, bereitet er ihm einen hinterlistigen Ueberfall vor.«
»Wenn, wenn ich mißtrauisch wäre?« sagte sie.
»Ich würde Sie beruhigen, Regina,« antwortete der Graf, »indem ich Ihnen sagte, Sie können unserer Unterredung in der Ferne oder Nähe, wie es Ihnen beliebt, anwohnen.«
»Gut,« sagte Regina nach kurzer Ueberlegung; »morgen Abend um 10 Uhr sollen Sie ihn sehen.«
»Im Garten?«
»Im Garten.«
»Auf welche Weise werden Sie ihm davon Mittheilung machen?«
»Ich erwarte ihn.«
»Wenn er nicht käme?«
»Er kommt.«
»Das ist die Antwort einer verliebten Frau,« sagte Graf Rappt in leichtem Tone.
Die arme Regina erröthete bis unter die Stirne.
Der Graf fuhr fort:
»Es kann geschehen, daß er nicht kommt, gerade an einem Tage, wo Sie seiner am meisten bedürfen – man muß Alles vorsehen. Haben Sie deßhalb die Güte, ihm zu schreiben.«
»Gut!« sagte die Prinzessin entschlossen, »ich werde ihm schreiben.«
»Es wird gleich für Sie sein, wenn Sie ihm sogleich schreiben, Prinzessin.«
»Ich werde ihm schreiben, sobald Sie weggegangen sind.«
»Nein,« machte der Graf mit Humor;« ich würde nicht ruhig sein. Schreiben Sie ihm ganz einfach die Worte: »Kommen Sie um jeden Preis morgen Abend.« Geben Sie dann mir den Brief und ich werde das Uebrige besorgen.«
Die Prinzessin sah ihn erschrocken an.
»Nie!« rief sie.
»Gut!« machte der Graf, indem er sich zum zweiten Male nach der Thüre umwandte, »ich weiß, was mir zu thun bleibt.«
»Mein Herr,« rief die arme Frau, die einsah, was er wollte, »ich werde schreiben.«
»Das laß ich mir gefallen!« murmelte der Graf, dessen Blicke von einer unheimlichen Freude aufleuchteten.
Die Prinzessin nahm ein Blatt Papier aus ihrem Chiffonnier; sie schrieb genau die Worte, die ihr der Graf angedeutet, steckte den Brief in eine Enveloppe, ohne diese zu siegeln, und gab ihm denselben mit den Worten:
»Wenn dahinter eine Falle steckte, dann wehe Ihnen, Herr Graf!«
»Sie sind ein Kind, Regina,« sagte der Graf, indem er den Brief nahm, »und wenn ich mich mit Ihrem Glück beschäftige, so vergessen Sie, daß ich Ihr Vater bin.«
Der Graf zog sich zurück, nachdem er die Prinzessin respectvoll gegrüßt, und kaum hatte er die Portiere hinter sich fallen lassen, als die arme Regina, unter Thränen und die Hände schmerzlich ringend, ausrief:
»O meine arme Mutter! O meine arme Mutter!«
CXXI
Diplomatie des Zufalls
Herr Rappt schloß, wie man sich denken kann, die ganze Nacht kein Auge. – Man rüstet sich nicht, eine solche furchtbare Rolle zu spielen, ohne sich vorzubereiten, ohne sein Stück zu memorieren.
In seinem Voltaire sitzend, die Stirne in beide Hände gestützt, die Augen schließend, schien er für Alles, was um ihn her vorging, gleichgültig.
Das Resultat dieses Nachdenkens war das Todesurtheil des armen Petrus.
Gegen sieben Uhr Morgens, als der Tag anbrach, stand er auf, ging fünf bis sechs Mal in seinem Zimmer auf und ab und blieb dann vor einer Komode stehen, dessen Thüre er öffnete.
Aus einer der Schiebladen nahm er ein ungeheures Paket Briefe, die er beim Licht der Lampe betrachtete. Er nahm, auf’s Ungefähr einen heraus, entfaltete ihn und durchflog ihn rasch mit dem Blicke.
Eine Wolke verdunkelte seine Stirne: der ganze Schmerz, der sich seit Jahren in seinem Gewissen angehäuft, trat gewissermaßen auf sein Gesicht.
Er drückte fieberhaft das Paket Briefe zusammen und langsam nach dem Kamin gehend, warf er Alles, was ihm von der Prinzessin Rina blieb, in die Flamme.
Er betrachtete bitter lächelnd das Feuer, das die Briefe verzehrte.
»So sind,« murmelte er, »in einem Augenblicke all’ meine Hoffnungen verschwunden!«
Dann fuhr er rasch mit der Hand über seine Stirne, als wollte er die Wolken verscheuchen, die sie umdunkelte, und zog heftig an der Glockenschnur, die über dem Kamin hing.
Bei diesem Klange erschien Baptiste, sein Kammerdiener, in dem Kabinete.
»Baptiste,« sagte der Graf, »wollen Sie nachsehen, ob Herr Bordier da ist und bitten Sie ihn, daß er sich hierher begebe.«
Baptiste ging.
Herr Rappt trat wieder an die Komode, zog eine zweite Schieblade heraus und nahm zwei Pistolen, welche darin lagen.
Er untersuchte sie, ließ den Hahnen spielen und nachdem er sich versichert, daß sie geladen waren, sagte er:
»Gut!« und legte sie wieder an ihre Stelle, indem er die Schieblade hinein schob.
Er hatte eben die Komode geschlossen, als er dreimal leise pochen hörte.
»Herein!« sagte er.
Bordier trat ein.
»Setzen Sie sich, Bordier,« sagte Graf Rappt; »wir haben ernste Dinge zu besprechen.«
»Sie sind doch nicht krank, Herr Graf?« fragte Bordier, als er das verstörte Gesicht seines Herrn sah.
»Nein, Bordier. Sie haben ohne Zweifel die Ereignisse dieser Nacht erfahren und dürfen nicht erstaunt sein, daß ich nach einem solchen Stoß nicht in meiner gewöhnlichen Fassung bin.«
»Ich habe allerdings, Herr Graf, soeben zu meinem großen Erstaunen und zu meinem großen Bedauern erfahren, daß die Frau Marschallin de Lamothe-Houdan gestorben ist.«
»Davon wollte ich mit Ihnen sprechen, Bordier. Aus Gründen, die ich Ihnen nicht mitzutheilen brauche, schlage ich mich morgen.«
»Sie, Herr Graf?« rief der Secretär erschrocken.
»Allerdings, ich! und Sie brauchen darüber nicht zu erschrecken; Sie kennen mich und wissen, daß ich mein Leben zu vertheidigen verstehe . . . Auch wollte ich Ihnen nicht von dem Duell sprechen, sondern von den Folgen, die es haben kann. – Einige Beobachtungen, die ich gemacht, lassen mich eine Schlinge fürchten; ich bedarf Ihrer Unterstützung und Ihres Beistandes, um nicht hineinzufallen.«
»Sprechen Sie, Herr Graf; Sie wissen, daß mein Leben Ihnen gehört.«
»Ich habe nie daran gezweifelt, Bordier; – aber vor Allem,« fügte er hinzu, indem er ein Papier von seinem Schreibtische nahm, »hier Ihre Ernennung zum Präfecten: ich habe sie diesen Abend erhalten.«
Das Gesicht des künftigen Präfecten leuchtete plötzlich auf und seine Augen strahlten vor Freude.
»O, Herr Graf,« stotterte er, »wie vielen Dank bin ich Ihnen schuldig und wie soll ich Ihnen denselben beweisen? . . . «
»Das will ich Ihnen eben sagen, – Sie kennen Herrn Petrus Herbel?«
»Ja, Herr Graf.«
»Ich bedarf eines sichern Menschen, um ihm einen Brief zukommen zu lassen und ich habe auf Sie gezählt.«
»Ist es nur das, Herr Graf?« fragte Bordier erstaunt.
»Warten Sie. – Haben Sie auf Ihrem Bureau zwei Leute, auf die Sie zählen können?«
»Wie auf mich selbst, Herr Graf. Der Eine will ein Tabaksbureau, der Andere ein Stempelbureau.«
»Gut, Sie sagen dem Einen, daß er sich auf dem Boulevard des Invalides aufstellt und nicht von der Stelle geht, bis er Nanon, die Amme der Gräfin, aus dem Gitterthor des Hotels herausgehen sieht. Er wird ihr in einiger Entfernung folgen und wenn er sie sich nach der Rue Notre-Dame des Champs begeben sieht, wo Herr Petrus wohnt, wird er auf sie zugehen und zu ihr sagen: »Im Namen des Herrn Grasen Rappt, geben Sie mir den Brief, den Sie haben, oder ich arretiere Sie.« Nanon ist der Gräfin sehr ergeben, aber es ist eine alte Frau, sie ist noch furchtsamer, als ergeben.«
»Es soll geschehen, wie Sie verlangen, Herr Graf, und es wird um so leichter gehen, als meine beiden Leute ein ziemlich einschüchterndes Aussehen haben.«
»Was Ihren zweiten Mann betrifft, so geben Sie ihm dieselbe Ordre; nur soll sich dieser, statt auf dem Boulevard sich aufzustellen, in der Rue Plumet verstecken, gegenüber dem Hotel, und warten, bis die Amme herauskommt, der er dann folgt und die er anredet, wie ich Ihnen für den andern befohlen.«
»Und wann sollen Sie sich auf ihren Posten begeben, Herr Graf?«
»Sogleich, Bordier, und ohne eine Minute zu verlieren.«
»Zählen Sie auf mich, Herr Graf,« sagte Bordier, indem er nach der Thüre des Cabinets ging.
»Einen Augenblick, Bordier!« sagte Herr Rappt, »Sie vergessen die Hauptsache.«
Damit zog er aus der Tasche den an Petrus von der Prinzessin Regina gerichteten Brief und gab ihn seinem Secretär mit den Worten:
»Es ist unnütz, Herrn Petrus Herbel zu wecken: Sie geben ganz einfach seinem Diener den Brief, indem Sie ihn bitten, ihn sobald als möglich zu übergeben. Sobald Sie zurück sind, geben Sie mir Nachricht, wie Sie Ihren Auftrag vollzogen.«
Bordier ging, um seine beiden Leute in ihrem Hinterhalte aufzustellen; dann hüllte er sich bis über’s Kinn in einen weiten Mantel und begab sich nach der Rue Notre-Dame des Champs.
Während Bordier sich eiligen Schrittes nach der Wohnung von Petrus begab, brachte ein weniger als er eingehüllter und als ächter Regierungsbeamter langsam schreitender Mann, wir meinen ein Briefträger, nach dem Hotel Rappt unter andern Briefen auch eine von Petrus an die Prinzessin Regina gerichtete Epistel.
Obgleich der Graf während der Nacht alle Arten von Combinationen gemacht und Alles vorzusehen geglaubt, hatte er nicht an den Briefträger, das heißt an das Einfachste gedacht; und die Prinzessin erhielt auf diese Weise wie gewöhnlich durch Nanon unter andern Briefen auch den von Petrus.
Hier der Inhalt:
»Ich beginne, womit ich enden werde, meine Regina: Ich liebe Sie. Aber, leider schreibe ich Ihnen nicht, um von Liebe zu plaudern. Ich habe Ihnen eine furchtbare, grausame, schreckliche Neuigkeit mitzutheilen, eine Neuigkeit, die ihres Gleichen nicht hat; eine Neuigkeit, die Ihr Herz bluten machen wird, wenn Ihr Herz aus demselben Stoffe, wie das meine: »Wir werden uns drei Tage lang nicht sehen!«
»Kennen Sie ein Wort in allen Sprachen, das schmerzlicher klänge als: »Sich nicht sehen!« Und doch bin ich verdammt, es zu schreiben, und Sie, meine Heißgeliebte, es zu hören.
»Und was mich schmerzt, mitten in diesen Qualen, daß ich nicht mal das Recht habe, die Ursache unserer Trennung zu hassen und zu verwünschen.
»Hören Sie, was geschehen: Gestern um Mittag hielt ein Wagen vor meiner Thüre; ich sehe durch das Fenster meines Ateliers in der vagen Hoffnung, Sie seien es, obwohl ich wußte, daß die Krankheit Ihrer Mutter Sie zurückhalte; ich hoffte, Sie würden es sein, meine liebe Prinzessin, Sie würden, einen Sonnenstrahl benützend, Ihrem betrübten Geliebten einen Besuch abstatten.
»Aber denken Sie sich meine Verzweiflung, als ich statt Ihrer aus dem Wagen den Kammerdiener meines Onkels steigen sehe, der mir blassen und verstörten Gesichtes meldet, daß ein zweiter heftiger Gichtanfall meinen armen Onkel auf’s Krankenlager geworfen.
»,O kommen Sie, ohne lange zu zögern, sagte er zu mir, der General ist sehr schlimm daran.
»Meinen Rock anziehen, meinen Hut nehmen, in den Wagen springen, war die Sache einer Secunde, das werden Sie einsehen, meine Regina.
»Ich habe den armen Mann in einem bedauernswürdigen Zustand gefunden, er wälzte sich auf seinem Bette wie ein Epileptiker und stieß ein Geschrei aus, wie ein wildes Thier.
»In einem Augenblicke der Ruhe, als er mich neben seinem Bette sitzen sah, drückte er mir lebhaft die Hände und zwei große Thränen der Dankbarkeit rollten aus seinen Augen. Er fragte mich, ob ich nicht einige Zeit bei ihm bleiben würde. – Ich ließ ihn nicht zu Ende kommen und verpflichtete mich, bis zu seiner vollständigen Genesung bei ihm zu bleiben.
»Ich kann Ihnen nicht sagen, meine geliebte Freundin, welche Freude sein Gesicht überströmte, als ich ihm diese Versicherung gab.
»So bin ich nun Krankenwärter für einige Zeit, – für eine Zeit, deren Ende ich nicht absehe. Aber verstehen Sie mich wohl, meine Regina, ich bin Krankenwärter und nicht Gefangener; das heißt, sobald der Anfall vorüber, werde ich wieder frei sein, freilich mit Beschränkung, aber doch ist mir dieses Freisein sehr theuer und lieb, weil ich es benützen kann, um Ihnen zu sagen, was ich Ihnen im Anfang des Briefes geschrieben: »Regina, ich liebe Sie!«
»Sie sehen, daß ich damit schließe, womit ich begonnen; – ich sage Ihnen nicht, Sie sollen mir schreiben, ich flehe Sie darum an; denn ich brauche nur Ihre Briefe, um meinem armen Onkel das glückliche Gesicht zu zeigen, das den Kranken so wohl thut.
»Auf baldiges Wiedersehen also, meine angebetete Liebe: bitten Sie Gott, daß es baldmöglichst sei!
»Petrus.«
Diese Nachricht, die in jedem andern Falle, wie Petrus sagte, das Herz von Regina bluten gemacht haben würde, machte einen ganz entgegengesetzten Eindruck auf sie.
Ihr Schlaf war von jenen schwarzen Träumen, den Vorläufern großer Catastrophen beunruhigt gewesen, welche so zu sagen, die Ahnungen davon sind.
Sie hatte die Leiche ihres Geliebten auf dem Schnee ausgestreckt gesehen, der den Rasen des Parks bedeckte, eine Leiche, so blaß und kalt wie selten. – Sie hatte sich ihm genähert und einen Schrei des Schmerzes ausgestoßen, als sie seine Brust an zehn Orten von dem Dolch eines Mörders durchstochen sah. – Im Hintergrund eines Boskets hatte sie wie zwei Katzenaugen zwei feurige Augen leuchten sehen, sie hatte einen furchtbaren Schrei ausgestoßen, sie hatte das Lächeln und den Blick des Grafen Rappt erkannt.
In diesem Moment war sie erwacht, und am Rande ihres Bettes sitzend, mit aufgelösten Haaren, feuchter Stirne, pochendem Herzen, fiebernder Brust, hatte sie mit scheuem Auge um sich gesehen und als sie nichts erblickte, ihr Haupt auf das, Kissen sinken lassen, indem sie murmelte:
»Mein Gott! was wird geschehen?«
In diesem Augenblick war Nanon mit dem Briefe von Petrus eingetreten.
Bei der Lectüre desselben nahm das leichenblasse Gesicht der Prinzessin die sanfteste Rosenröthe an.
»Gerettet!« rief sie, indem sie die Hände faltete und den Blick zum Himmel erhob, um Gott zu danken.
Dann stand sie auf, trat an ihr Chiffonnier, nahm ein Blatt Papier und schrieb rasch die Worte:
»Gott segne Sie, mein Viel geliebter! Ihr Brief ist mir wie ein Lichtstrahl in schwarzer Nacht erschienen. Meine arme Mutter starb diese Nacht und als ich Ihren Brief erhielt, habe ich nur an Eines gedacht: Die Liebe, die ich für Sie hege, zu mehren um die Liebe, die ich für meine Mutter hegte.
»Wir wollen also darauf resignieren, mein Petrus, uns einige Tage nicht zu sehen; aber glauben Sie mir, daß ich nah oder fern, Sie liebe, nein,– es ist nicht genug, – daß ich Dich liebe!«
»Regina.«
Sie übergab den gesiegelten Brief Nanon, indem sie sagte:
»Bring dies Petrus.«
»Rue Notre-Dame des Champs?« sagte Nanon.
»Nein,« sagte die Prinzessin, »Rue de Varennes, zum Grafen Herbel.«
Nanon ging.
In demselben Augenblicke, als Nanon über die Schwelle des Hotels schritt, hatten sich die beiden Söldlinge des Herrn Rappt oder vielmehr Bordier’s an ihren respectiven Posten aufgestellt. Der, welcher Rue Plumet Wache stand, folgte Nanon, als er sie die Straße zur Rechten einschlagen, und an der rechten Ecke des Boulevards verschwinden sah, in einiger Entfernung, wie Graf Rappt ihm empfohlen hatte.
Auf dem Boulevard angekommen, fand der Mann der Rue Plumet seinen Kameraden und sagte zu ihm:
»Die Alte geht nicht nach der Rue Notre-Dame des Champs.«
»Sie fürchtet, daß man ihr folgt,« sagte der Andere, »und macht einen Umweg.«
»In diesem Falle wollen wir ihr folgen!« versetzte der Erste.
»Gut!« wiederholte der Zweite.
Sie folgten der Amme m einer Entfernung von fünfzehn bis zwanzig Schritten.
Sie sahen sie am Hotel Courtenay läuten und eine Minute später eintreten.
Und da nur die Rede davon gewesen, sie in der Rue Notre-Dame des Champs anzuhalten, so fiel es den beiden Gefährten nicht ein, sie in der Rue de Varennes festzuhalten.
Sie entfernten sich vom Hotel und berathschlagten sich.
»Offenbar,« sagte der Eine, »ist sie hier hineingegangen, um eine Commission zu besorgen und wenn sie von hier weggeht, wird sie sich nach dem Boulevard Montparnasse begeben.«
»Das ist wahrscheinlich,« sagte der Andere.
Aber ihm war nicht so. Fünf Minuten später sahen sie die Amme genau denselben Weg einschlagen, den sie gekommen, und in das Hotel Lamothe-Houdan zurückkehren.
»Umsonst!« sagte der Erste, indem er seinen Platz auf dem Boulevard wieder einnahm.
»Sie kommt später,« sagte der Andere, indem er sich in der Rue Plumet postierte.
Sehen wir, was bei Petrus vorging, während die Einen und Andern sich so eifrig mit ihm beschäftigten.
Bordier kam nach der Rue Notre-Dame des Champs, gerade als Regina den Brief von Petrus empfing.
»Herr Petrus Herbel?« fragte er den Diener des Malers.
»Mein Herr ist nicht zu Hause,« antwortete dieser.
»So geben Sie ihm diesen Brief, sobald er nach Hause klimmt.«
Bordier gab ihm den Brief und ging.
Als er die Treppe hinabging, stieß er an einen Commissionär.
»Geben Sie doch Achtung!« sagte er zornig.
Der Commissionär war Salvator. Als Salvator einen bis unter die Nase in seinen ungeheuren Mantel gehüllten Mann sah, während das Wetter eine solche Vorsicht durchaus nicht rechtfertigte, sah er den, der ihn auf solche Weise angeredet.
»Sie könnten selbst Achtung geben, Mann im Mantel,« sagte er, und suchte den Secretär sich näher in’s Auge zu fassen.
»Ich habe keine Lectionen von Ihnen zu empfangen,« sagte Bordier verächtlich.
»Das ist möglich,« sagte Salvator, indem er ihm die Hand an den Kragen legte und den Mantel vom Gesichte zog, »und da Sie sich bei mir zu entschuldigen haben, so lasse ich Sie nicht los, bis Sie sich wirklich entschuldigt.«
»Lächerlich!« murmelte Bordier zwischen den Zähnen.
»Es ist hier nichts lächerlich, als die, die das Gesicht verstecken, um nicht erkannt zu werden und doch erkannt sind, Herr Bordier,« sagte der Commissionär, indem er ihm noch fester den Arm drückte.
Dieser machte vergeblich Anstrengungen, um sich loszureißen: aber er war wie von einer Zange gepackt.
»Ich halte mich für zufrieden gestellt,« sagte Salvator, indem er den Arm losließ; »gehen Sie im Frieden und sündigen Sie nicht mehr.«
Salvator trat bei Petrus ein, indem, er sagte:
»Was hat dieser Schuft hier gewollt?«
»Mein Herr ist nicht zu Hause,« sagte der Diener, als er Salvator eintreten sah.
»Ich weiß es,« antwortete dieser, »gib mir seine Schlüssel und seine Briefe.«
Salvator trat mit den Briefen und dem Schlüssel von Petrus in das Atelier des jungen Mannes.
Manche Leser könnten das Benehmen des Commissionärs in Beziehung auf seinen Freund Petrus mehr als vertraulich finden, da die innigste Freundschaft selbst nicht zum Bruch eines Siegels autorisiert, welchen Vorwand man auch haben möge; aber wir wollen sie beruhigen, indem wir ihnen sagen, welches Recht Salvator hatte, die Briefe seines Freundes zu öffnen.