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Kitabı oku: «So sey es », sayfa 16

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VI

Zwei Stunden nachher waren wir in Juvigny. Da ich gewiß wußte, daß wir um neun Uhr in Bernay sein würden, so wollte ich das Pferd nicht zu sehr antreiben.

Es war noch nicht drei Uhr Nachmittags als wir in den Park traten. Ich hatte Pferd und Tilbury in dem Gasthause gelassen, wo ich bereits bei meinem zweiten Besuche eingekehrt war, denn Du wirst Dich erinnern, daß ich zum dritten Male in Juvigny war.

Und jedesmal hatte mir die Anwesenheit größere Freude gemacht.

Ich ging an der Bank vorüber, auf welcher ich mit Edmée gesessen; ich dachte an unsere traulichen Herzensergüsse und ging mit Gratian ins Schloß.

Wir stiegen die Treppe hinan, gingen durch das grüne Zimmer und traten in das Stäbchen in welches mich Edmée hatte rufen lassen.

Das kleine Madonnenbild war da, mit dem Strauß an der Seite und dem Kranze am Halse.

Ich nahm Kranz und Strauß ab, und legte Beides in eine Porzellanschale.

»Was willst Du zum Einwickeln der Madonna nehmen?« fragte ich meinen Begleiter und sah mich nach einem tauglichen Gegenstande von feiner Leinwand um.

»O, darum dürfen Sie sich nicht kümmern,« erwiederte Gratian; »ich habe schon dafür gesorgt.«

Er zog aus seiner weiten Tasche ein in Papier gewickeltes Päckchen, weiches ein großen mit Spitzen besetzten Tuch enthielt. Der brave Bursche breitete es sehr vorsichtig aus; der Werth der Spitzen mochte ihm wohl nicht bekannt sein, aber er sagte mir, die Gräfin habe das Tuch – allem Anscheine nach ein Altartuch – gestickt und die Spitzen angenäht.

Ich sagte ihm nun, daß ich das Madonnenbild einpacken wollte; er könne unterdessen zur Mutter Gauthier gehen und ihr Nachricht von ihrer Tochter geben. In einer 1 Stunde möge er wiederkommen.

Gratian schien zu merken, daß ich allein zu sein wünschte; er machte keine Einwendung und entfernte sich mit dem Versprechen in einer Stunde wieder zu kommen.

Eine plumpe Taschenuhr, die er hervorzog, bürgte für seine Pünktlichkeit.

Als er sich entfernt hatte und seine Fußtritte nicht mehr hörbar waren, verschloß ich die Thür und kniete vordem Madonnenbilde, von welchem ich mit einem Gefühle der Wehmuth aber zugleich der Freude Abschied nahm. Ich erflehte den Schutz des Himmels für Edmée. So blieb ich wohl eine Viertelstunde in wahrhaft andächtiger Stimmung. Ich bin zwar ein Weltkind und in gewöhnlichen Verhältnissen den äußerlichen Andachtsübungen ziemlich fremd; aber der Einfluß meiner frommen Mutter auf mein Gemüth zeigt sich hauptsächlich in großer Freude oder großen Seelenleiden.

Als ich meine Andacht verrichtet hatte, nahm ich das Madonnenbild vorsichtig von dem Sockel, umwand es mit dem weichen Tuche und legte es auf das Sopha.

Mein Blick fiel nun auf Kranz und Strauß. Ein Wort in dem Briefe der Gräfin, welches sich auf einen Umstand in ihrer Lebensbeschreibang bezog, fiel mir nun ein, und beschäftigte ausschließlich meine Gedanken; ich wußte mir nicht zu erklären, was Edmée in ihrem Briefe und in ihrer Erzählung gemeint hatte.

In diesen Worten lag ein so seltsames Geheimniß; der Sinn, den ich ihnen beilegte, war in ihren Verhältnissen so unwahrscheinlich, daß ich sogar die Möglichkeit dieser Deutung zurückwies und den tollsten Vermuthungen Raum gab.

Ich sah mich noch einmal im Zimmer um; mein Blick fiel noch einmal auf den Kranz und den Strauß; ich nahm beide Reliquien auf und küßte sie. Ich hatte Lust sie mitzunehmen und an meinem Herzen zu tragen; aber es schien mir doch, daß ihr eigentlicher Platz in diesem Stübchen sei, wo sie seit sieben Jahren gewesen waren. Es wäre in meinen Augen ein Frevel gewesen, sie wegzunehmen.

Ich ließ sie daher in der Porzellanschale, trug das Madonnenbild ins Vorzimmer, verschloß die Thüre und ging in den Garten um die von Edmée so naiv beschriebenen Orte aufzusuchen.

Ich setzte mich an die Quelle, wahrscheinlich an dieselbe Stelle, wo sie so oft gesessen und wo Montigny sie einst abgeholt hatte. Und sonderbar! Mein Herz schlug ungestüm bei dieser Erinnerung, und ich war eifersüchtiger auf den verstorbenen Gatten, als auf den lebenden.

Der krystallhelle Bach war ganz mit Vergißmeinnicht bewachsen ; ich vermuthete, daß Edmée diese zarten Blümlein sehr gern habe. Ich pflückte einen Strauß, tauchte ihn in das Wasser, um ihn länger frisch zu erhalten und legte ihn zu den Füßen des Madonnenbildes.

Nach einer Stunde kam Gratian zurück. Er fand mich auf der Freitreppe. Er hatte die Muße, welche ihm die Mutter Gauthier gelassen, zur Anfertigung eines Kistchens für die Statuette benützt. Wir pflückten einen Arm voll Feldblumen und füllten mit denselben die leergebliebenen Räume des Kistchens aus.

In diesem Augenblicke durchzuckte mich ein jäher Schmerz – ein schreckliches Phantasiegebilde schwebte mir vor: wie das Madonnenbild, in das reichverzierte weiße Tuch gehüllt, auf den duftenden Blumen in dem Kistchen lag, so glaubte ich Edmée, ebenfalls weiß gekleidet und auf Blumen ruhend, im Sarge liegen zu sehen.

Diese Vision verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Ich hatte unwillkürlich die Augen geschlossen; als ich sie wieder aufschlug, sah ich nichts mehr.

Ich legte die Hand auf die Stirne; sie war mit kaltem Schweiß bedeckt – so heftig, überwältigend war der Eindruck gewesen.

Ich ging rasch auf das Gitterthor zu, um mich zu zerstreuen, oder Vielmehr um den einen schauerlichen Gedanken zu vertreiben. Ich machte sogar einen Versuch, mich selbst auszulachen, aber es war mir unmöglich, recht herzlich zu lachen.

Das Pferd hatte sich anderthalb Stunden ausgeruht. Es war etwas über fünf Uhr Nachmittags. Ich ging ebenfalls zu Josephine Gauthier, um von ihr Abschied zu nehmen. Wir wechselten nur wenige Worte, aber sie konnte nicht unterlassen, sich nach dem Befinden Morins zu erkundigen.

Dann fuhren wir ab; ich hielt die Zügel und Gratian hielt das Kistchen mit der Statuette auf dem Schooße.

Um halb neun Uhr Abends, nämlich bei Einbruch der Nacht, kamen wir in Bernay an. Wir hielten vor dem Gasthause »zum goldenen Löwen – an.

Gratian sollte nicht sagen, daß ich ihn begleitet; ich wollte wissen, ob das uebersinnliche Gesichtsvermögen, von welchem mir die Gräfin erzählt und sogar einen Beweis gegeben hatte, ihr meine Anwesenheit zu Bernay offenbaren werde.

Gratian gab mir sein Wort, nichts zu sagen und ging fort, bevor noch das Pferd ausgespannt war. Er hatte einen Weg von sechs bis acht Minuten bis zum Schlosse zumachen.

Der Wirth, für den ich ein alter, guter Bekannter war, kam mir entgegen und führte mich auf Nr. 3, nämlich in das beste Zimmer des Hauses, und ließ mir sogleich ein Abendessen auftragen.

Als ich mit meiner Mahlzeit halb zu Ende war, that sich die Thier auf und Zoe erschien.

Ich reichte ihr lachend die Hand.

Gratian hat mich verrathen, wie es scheint?« sagte ich.

»O nein,« antwortete sie, »und die Frau Gräfin hat ihn tüchtig ausgezankt.«

»Wie so?«

»Weil er ihr nicht gesagt hatte, daß Sie hier sind.«

»Wer hat ihr’s denn gesagt, wenn Gratian geschwiegen hat?«

»Sie hat gesehen , wie Sie und Gratian vor dem Gasthause »zum goldenen Löwen« von einem Tilbury stiegen. »Ich war bei ihr; sie schloß eine Weile die Augen, dann sagte sie: »Da kommen sie an – sie bringen mein liebes kleines Madonnenbild, auf Blumen gebettet. O, wie gut ist er, und wie liebt er mich! Er hat Gratian nach Juvigny begleitet und sogar hierher gefahren, um meinen Wunsch eine Stunde früher zu erfüllen.« – Dann schwieg sie, bis Gratian ankam. – Gratian wollte eine Geschichte von Wagen und Fuhrmann anfangen; aber die Gräfin sah ihn scharf an. Gratian wurde nun verlegen und die Gräfin sagte lachend zu mir: »Geh in das Gasthaus »zum goldenen Löwen« und sage ihm, er könne mich diesen Abend einen Augenblick sprechen. Du brauchst nicht nach ihm zu fragen, Du wirst ihn in dem Zimmer Nr. 3 finden.« – Ich ging fort, Niemand hat mich gesehen; ich ging über den Hof, die Hintertreppe hinauf – und da bin ich. Sind Sie bereit?«

»Das versteht sich,« erwiederte ich, meine Serviette wegwerfend und meinen Hut nehmend. »Kommen Sie, Zoe.«

Zoe ging wieder die Hintertreppe hinunter, über den Hof und zum Hofthor hinaus, ohne gesehen zu werden. Ich ging durch das Gastzimmer und ersuchte den Wirth, einen Knecht wachen zu lassen, um mich für den Fall, daß ich etwas spät zurückkäme, ins Hans zu lassen.

Entschuldigen Sie diese Einzelheiten, lieber Freund; Vielleicht finden Sie dieselben langweilig und ohne Interesse, aber für mich liegt ein hoher Genuß in der Erinnerung an vergangene Freuden und Leiden.

Dante sagt, oder vielmehr läßt Francesea da Rimini sagen:

 
»Nessun maggior dolore
Che ricordarsi del tompo felice
Nella miseria.«
 

»Ich hingegen sage:

 
»Keine größre Freude gibt es,
Als der Zeiten schwerer Prüfung
Im Glücke zu gedenken.«
 

Und ich bin jetzt so glücklich, daß ich mich nicht nur der Stunden, sondern der Minuten jener Zeit erinnern möchte.

Ich ging so rasch, daß mir Zoe kaum folgen konnte.

Sie holte mich endlich ein und wollte mir vorauseilen, um mich zu melden. Aber die Greifen von Chambray war mir bis auf die Freitreppe entgegengekommen.

»Wie gütig sind Sie!« sagte sie, mir die Hand reichend.

»Wie schön sind Sie!« erwiederte ich mit einem Seufzer.

Und Edmée schien mir in der That immer schöner, sooft als ich sie wieder sah; dieser wehmüthig ernste Ausdruck des Gesichtes, dieser seelenvolle Blick des Auges erfüllte mich nicht nur mit schwärmerischer Begeisterung, sondern weckte auch mein Mitgefühl.

»Ich sah Sie zurückkommen,« sagte Edmée, »und ich wollte nicht bis morgen warten, Ihnen zu danken. Haben Sie nicht morgen eine Reise zu machen? Ich habe die Ahnung, einer Abwesenheit, einer Entfernung, eines größeren Raumes, der uns trennen wird.«

»Es ist wahr,« erwiederte ich; morgen reise ich nach Paris, aber ich werde nur ein paar Tage abwesend sein.«

»Ich führe Sie in mein Schlafzimmer,« sagte sie; »ich glaubte, Sie würden mir verzeihen, daß ich im Salon die Lichter nicht habe anzünden lassen. Eine Engländerin,« setzte sie lächelnd hinzu, »würde eine solche Unschicklichkeit nicht begehen.«

Ich antwortete nicht; ich war durch ihre Nähe so bezaubert, daß ich keine Worte finden kannte.

Das Zimmer war mit geblümtem persischen Stoff tapezirt; es war offenbar ein Stoff aus der Zeit Ludwigs XIV. Die Thürstöcke waren von Boncher gemalt, alle Möbel waren aus derselben Zeit.

Das letzte Geräth, auf welches mein Blick fiel, war das Bett. Dieses war ebenso klein und prunklos wie jenes in dem kleinen Zimmer zu Juvigny. Sanderbar! alle Umgebungen dieser jungen, schönen, zweimal vermälten Frau hatten etwas Zartes, Liebliches, Jungfräuliches.

»Aber dieses Zimmer,« sagte ich, fast unwillkürlich meinen Gedanken aussprechend, »dieses Zimmer ist doch nicht das Ihrige?«

»Ja wohl,« erwiederte sie, »es ist mein Zimmer.«

»Unmöglich?«

»Warum denn?«

Und sie sah mich mit ihren großen klaren blauen Augen an.

»Sie sind ein wunderbar liebliches Räthsel,« sagte ich. »Wie glücklich wäre der Mann, dem Sie Ihr ganzes Herz öffnen würden!«

»Wenn der zweite Theil meines Lebens mir gehörte, wie der erste, so würden Sie dieser Glückliche sein, Max. Auf jeden Fall,« setzte sie lächelnd hinzu, »verspreche ich Ihnen daß nie ein Anderer so glücklich sein soll.«

»Edmée,« sagte ich, »Sie müssen in die Geheimnisse der Engel eingeweiht sein; sagen Sie mir doch, wie es zu geht, daß man sich in dieser Welt immer zu früh oder zu spät begegnet.«

»Glauben Sie an ein anderes Dasein, Max?«

»Ich glaube Ihnen schon gesagt zu haben, daß ich mich wohl nicht zu diesem festen Glauben zu erheben vermag, daß ich aber meine Hoffnung auf ein anderes Leben setze.«

»Die Leiden unseres Erdenlebens würden Ihnen durch diesen Glauben erklärt werden. Selbst in den Händen des Schöpfers schreitet die Natur materiell vor und erreicht nicht sogleich die Vollkommenheit. Sprechen die Gelehrten nicht von sechs oder sieben Bildungen unseres Erdballs, und erzählen sie nicht von fossilen Pflanzen und Thieren? Behaupten sie nicht, daß der Mensch, das vollkommenste aller Geschöpfe, später als die übrigen aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen sei? Vielleicht ist unsere Welt, die wir in unserm Hochmuth für vollkommen halten, nur der Uebergang, die Vorbereitung zu einem besseren Dasein. Die Menschen begegnen sich hier zufällig, werden durch Sympathien zu einander hingezogen, durch Antipathien von einander abgestoßen; unsere Welt ist das Sieb, welches in den Händen des Weltenlenkers die Spreu von dem Weizen sondert. Die Gerechten und Guten bleiben beieinander, die Bösen treibt der Wind fort. Wir wollen gerecht und gut bleiben, Max, um in dieser Welt bei einander zu bleiben und uns in jener wiederzufinden.«

»Sie sprechen mit tiefer Ueberzeugung, Edmée.«

»Ja, ich habe diese Ueberzeugung lieber Freund,« sagte sie wehmüthig lächelnd. »Ich bin sehr unglücklich gewesen, so unglücklich, daß ich oft den Tod, ohne ihn herbeizuwünschen, als ein Ruheziel betrachtet habe; aber durch langes Nachdenken bin ich zu der Ueberzeugung gekommen, daß der Tod als Ruheziel nur ein zufälliges Ereigniß und keine Belohnung sein würde; daß wir von der Gerechtigkeit und Barmherzigkeit Gottes eine Belohnung unserer Tugenden oder eine Bestrafung unser Missethaten zu erwarten haben, und ich dachte, ein früher Tod sei ein Glück, denn man verläßt ja hienieden diese Menschen, die man nicht liebt, und findet dort oben jene wieder, die man geliebt hat.«

»Und haben Sie dieses Gefühl noch immer, Edmée? Sehnen Sie sich noch nach dem Tode?«

Sie sah mich an.

»Sie erwarten ein Geständniß von mir, Max, erwiederte sie, »dieses Geständniß kann ich Ihnen ganz aufrichtig ablegen. Als ich mir den Tod wünschte, war ich sehr unglücklich. Ich hatte Sie noch nicht gesehen, noch nicht kennen gelernt, und folglich war der Umschwung in meinen Gefühlen, den Sie bewirkt, nach nicht eingetreten. Ohne Vereinigung der Seelen bleibt das Leben unvollkommen. Wir sind getrennt, Max, aber unsere Seelen sind vereinigt; mein ganzes Leben, welches vormals umnachtet war, hat jetzt eine dunkle und eine Lichtseite. Diese Lichtseite ist durch Ihre Güte und Freundschaft entstanden. Ich habe Sie herzlich lieb, Max, mehr vielleicht als der äußere Schein mir gestattet. Ja diesem neuen Gefühle finde ich süßen Trost, wenn nicht vollkommenes Glück. Das Leben war für mich ein von Frost erstarrten mit Schneebedeckter Garten; jetzt fängt es an zu grünen und zu blühen; meine wunden Füße betreten mit Behagen den weichen, schwellenden Rasen und eine laue, balsamische Luft umfächelt mein Gesicht. Ich bin im Frühling, lieber Max, in der Zeit der Versprechungen und Hoffnungen. In den Jahren, wo in gewöhnlichen Verhältnissen schon der Sommer da ist, habe ich kaum den Lebensmai erreicht. Ich gestehe Ihnen, daß ich gern den Frühling haben möchte, der jeder Pflanze, jeder Blume vergönnt wird. Diesen Wunsch habe ich, seitdem ich Sie kenne; jetzt möchte ich nicht gerne sterben. – Wollten Sie dies von mir wissen, Max?«

Ich sank ihr wonnetrunken zu Füßen, faßte ihre Hände und bedeckte sie mit Küssen.

Die Berührung ihrer Hände durchzuckte mich wie ein elektrischer Schlag. Ich verlor alle Fassung – ich stand auf, um ihren Mund zu küssen, am sie in meine Arme zuschließen und fortzutragen – gleichviel wohin – in eine Einöde, wo Niemand sie mir streitig machen würde.

Aber sie sah mich mit der freundlich-ernsten Ruhe einer Göttin an, faßte meinen Kopf mit beiden Händen, drückte mir einen Kuß auf die Stirne und stand auf.

»Folgen Sie mir, Max,» sagte sie. »Sie sollen jetzt erfahren, warum ich meine – oder vielmehr unsere kleine Madonna zurückverlangt habe.«

Sie gab Zoe einen Wink.

Ich kniete noch vor ihr; ich hatte eine ihrer Hände gefaßt und bedeckte sie mit Küssen und Thränen. Ich war in einem jener Momente der Begeisterung wo die überwallenden Gefühle sich durch Thränen und Worte äußern müssen.

»Kommen Sie, Max,« wiederholte sie; »die freie Luft wird Ihnen wohl thun.«

Ich stand taumelnd auf und hielt die Hände auf die Augen. Das Zimmer schien mir ein Flammenmeer zu sein, das Blut stieg mir brausend aus dem Herzen in die Stirne empor und schlug in den Pulsen meiner Schläfen.

»Wohin gehen wir denn?« fragte ich.

Sie lächelte und reichte mir die Hand.

Wir wollen die Nachtigall singen hören,« sagte sie.

VII

Ich folgte ihr.

Die wenigen Worte, die sie mir gesagt hatte, deuteten das Ziel unserer Wanderung an.

Wir gingen zum Friedhofe.

Edmée befand sich in einer seltsamen Stimmung.

Der Tod lauert in allen Lebensverhältnissen, hat Plinius schon vor achtzehnhundert Jahren gesagt; der Mensch fängt schon nach seiner Geburt an zu sterben, und das ganze Leben hindurch ist der Tod in einer Wolke versteckt.

Für Edmée schien der Tod der Quell eines neuen, unbekannten Lebens.

Zoe nahm das kleine Madonnenbild und ein großes Altartuch, an welchem die Gräfin gearbeitet, als ich gekommen war, und folgte uns.

Sie nahm meinen Arm, ohne zu warten, bis ich ihr denselben anbot.

Wir gingen auf den etwa zweihundert Schritte entfernten Friedhof zu.

Als wir kaum fünfzig Schritte gegangen waren, stand Edmée still.

»Hören Sie meinen geflügelten Poeten?« sagte sie.

Der melodische Gesang der Nachtigall klang bis zu uns herüber.

»Er singt, von seiner Liebe mit der Rose,« fuhr sie fort; »sie blüht zwar auf Gräbern, aber er liebt sie doch. Wenn Sie mir die Wahrheit gesagt haben, Max, so lieben Sie auch eine Rose – eine weiße Rose,« fügte sie mit dem Tone unbeschreiblicher Wehmuth hinzu; »sie wird, vielleicht nicht länger leben, als die, welche der liebe athmende Bülbül2 besingt.

Edmée! Edmée!« sagte ich, ihren Arm an mein Herz drückend, »wir können Sie so sprechen?«

»Wundern Sie sich nicht darüber, Freund; seit dem mich das Unglück ernst gestimmt hat, habe ich immer die Ahnungen eines nahen Todes. Die Alten sagten: ein schneller Tod ist ein Beweis von der Gunst der Götter, und sie glaubten doch kaum an die Seele. Für uns ist der Glaube, ja die Gewißheit unseres Lebens, eine Grundlehre unserer Religion, warum sollten wir die Meinung der Alten nicht theilen?«

Wir betraten den Friedhof. – Edmée stand still. Ich glaubte, sie lausche auf den Gesang der Nachtigall. Sie sah sich um.

Ich suchte zu ermitteln was die Aufmerksamkeit der Gräfin erregte.

Zwei Männer, die auf einer Bank vor der Kirche saßen, standen auf und kamen auf uns zu.

»Wer sind die Männer?« fragte ich Edmée mit einigem Befremden.

»Der Eine ist Gratian, den Sie kennen; der Andere ist der Todtengräber, dem ich für den kleinen Dienst, den er mir über kurz oder lang leisten wird, eine kleine Pension ausgesetzt habe.

»Sie sind grausam, Edmée.«

»Warum denn, Max? Wenn ich jemals scheide, so erwarte ich Sie in einer bessern Welt. Ich sollte mich nicht allzu sehr beeilen, Sie könnten mich vergessen . . .«

»O nie!« erwiederte ich. »Ich schwöre Ihnen, Edmée,daß ich Ihnen in dieser und jener Welt angehöre . . .«

»Schwören Sie nicht!« unterbrach Edmée, »vielleicht würden Sie sich durch Ihren Schwur gebunden glauben. Nein, Max, Sie sind zu gut, zu edel. Wir werden uns dort oben wenigstens als Freunde, wenn nicht als Liebende wieder finden. – Nun, Gratian,« sagte sie, sich zu den beiden Männern wendend, »und Vater Fleury, ihr wißt, warum ich gekommen bin?«

»Ja wohl,« erwiederte Gratian ; »aber ich weiß nicht, ob in Gegenwart des Herrn von Villiers . . .«

Edmée lächelte.

»Herr von Villiers gehört zu den Meinen!« sagte sie. »Hebet den Stein auf.«

Die beiden Männer näherten sich der Gruft, welche mir die Gräfin am Hochzeitsabende als die ihrige bezeichnet hatte. Sie hoben langsam den Stein auf, auf welchem sie gelegen, während die Nachtigall über ihr gesungen hatte.

Als die beiden Männer näher kamen, flog der Vogel davon, aber er fing in einem nahen Gebüsche wieder an zu singen.

Ich näherte mich neugierig, aber mit einem geheimen Grauen.

Als der Stein aufgehoben war, sah ich eine Treppe, von etwa zwölf Stufen und unten eine Thür von Eichenholz.

Diese Thür führte ohne Zweifel zum Grabgewölbe.

»Sie wollen hinunter steigen?« fragte ich Edmée und hielt sie zurück.

»Ja wohl,« sagte sie. »In »Notre-Dame von Paris« – ich meine das Buch, und nicht die Kirche – ist ein Capitel, das die Ueberschrift führt: »Ruheplatz, wo König Ludwig XI. seine Andacht verrichtet.« Dies ist der Ruheplatz, wo ich die meinige verrichte.«

Inzwischen hatte Fleury die Thüre geöffnet.

Edmée ließ meinen Arm los, und da nur je eine Person die schmale Treppe hinabsteigen konnte, so ging sie voran und sagte, sich umsehend:

»Wer mich lieb hat, folge mir.«

Ich stieg hinter ihr hinunter; ich würde ihr in einen Abgrund gefolgt sein. Als ich aus der untersten Stufe-war, reichte mir Edmée die Hand und sagte:

»Erlauben Sie, daß ich die Honneurs mache; ich bin hier zu Hause.«

Ich trat ein.

Ich befand mich in einer etwa zehn Fuß langen und sechs Fuß breiten Gruft. An einem Ende derselben stand ein Sopha, zu welchem mich Edmée führte.

Die Gruft war durch eine in der Höhe hängende Alabasterlampe matt beleuchtet – Im Halbdunkel bemerkte ich einen kleinen Altar und an den Seitenwänden Draperien mit goldenen Sternen.

»Laßt uns allein,«– sagte die Gräfin zu Gratian und dem Todtengräber; »um eilf Uhr erwarte ich Euch.«

Zoe nahm den Schlüssel, und als sich die beiden Männer entfernt hatten, verschloß sie die Thür hinter ihnen, so daß wir uns alle drei von der übrigen Welt getrennt in einer Gruft befanden.

Ich wußte anfangs nicht, woher die zum Athmen nöthigt Luft komme; aber als ich in die Höhe schaute, bemerkte ich ein von Blumen umgebenes Gitter, durch welches man die flimmernden Sterne sah.

»Sie müssen mir erst sagen, Edmée, was für Leiden Sie bewogen, eine Gruft zu Ihrem Betzimmer zu mache,« begann ich nach einer Pause. »Armes theures Herz! wie viele Leiden mußt Du erduldet haben, ehe es dahin kommen konnte!«

»Ja, ich habe viel und lange gelitten; aber ich habe es Ihnen schon gesagt, Max: Gott hat Sie mir zugeführt, und Sie haben die düstere Wolke, die sich über mir zusammengezogen, zertheilt und mir ein Stück Himmelsblau gezeigt. Sie werden übrigens sehen, lieber Freund, daß mein Betzimmer nicht so unheimlich ist, wie es Ihnen zuerst geschienen. – Zieh die Vorhänge zurück, Zoe. Und zünde die Lichter am Altare an. Es ist heute ein Festtag.«

Zoe zündete eine Menge kleiner Wachskerzen an, die stufenweise auf dem Altar standen, und helles Licht folgte nun dem Halbdunkel, das ich beim Eintritt in die Gruft gefunden hatte.

Zoe zog nun die violettsammtene, mit silbernen Fransen besetzten Vorhänge auf und machte sie in den Ecken mit silbernen Spangen fest. Hinter diesen Vorhängen erblickte ich einen Hintergrund von himmelblauem Atlas, mit silbernen Sternen gestickt: das Ergebniß einer langen Arbeit. Wenn die Sammtvorhänge wieder herabgelassen wurden, so konnten sie die ganz mattblaue Tapete bedecken und dem recht freundlichen Raume das Aussehen einer Todtengruft geben, zumal wenn die Lichter ausgelöscht waren und nur die Lampe ihr mattes Licht verbreitete.

»Sehen Sie,« sagte Edmée; »ich habe mit Zoe fast zwei Jahre an diesem traurigen Zierath gearbeitet. Als ich Juvigny noch besaß, beabsichtigte ich, meine kleine Madonna auf den Altar zu stellen, damit sie den Tod schütze,wie sie das Leben geschützt hatte. Als ich erfuhr, daß Juvigny mit allen Einrichtungsstücken verkauft sei, war mein größter Schmerz, daß ich meine Madonna nicht hatte wegnehmen und hierherbringen lassen: aber ich wollte sie erst nach gänzlicher Vollendung der Gruft auf den Altar stellen. Wir hatten noch etwa vierzehn Tage zu arbeiten. Wir verloren nun die Lust zu unserer Arbeit. Am Hochzeitsabende sagten Sie mir, daß Sie die Besitzung gekauft. Da bekam ich wieder Hoffnung: ich dachte, Sie würden mir meine Bitte gewiß gewähren, und wir arbeiteten wieder mit verdoppeltem Eifer an unserer Stickerei. – Vorgestern haben wir das Altartuch vollendet, vorgestern hat Gratian die Tapete festgenagelt und die Vorhänge angebracht. Gestern haben wir die Kerzen auf den Altar gestellt und heute Früh hat Ihnen Gratian meinen Brief überbracht. Sie haben mir meine liebe Madonna nicht nur zurückgegeben, sondern sie selbst überbracht. Ich war Ihnen die Einweihung meines Ruheplätzchens schuldig. – Zoe, gib mir die Madonna und lege das Tuch auf den Altar.«

Die Gräfin nahm nun die Madonna und stellte sie in den zwischen den Kerzen gelassenen leeren Raum. Zoe breitete das Altartuch aus.

»Kennt denn Herr von Chambray diese Gruft?« fragte ich, »und weiß er um diese Vorkehrungen?«

»Warum sollte er sie kennen?« erwiederte Edmée, »er wird ja weder lebend nach todt hierherkommen.«

»Dann,« sagte ich erfreut, »gestatten Sie mir, was Sie dem Grafen verweigern würden und was er als ein Recht beanspruchen könnte?«

»Der Graf hat nur das Recht, mich unglücklich zumachen, und dieses Recht wird er hoffentlich nicht über mein Lebensende hinaus geltend machen.«

»Wenn also Jemand Ihrem Herzen theuer wäre —« begann ich.

»Weiter,« sagte sie lächelnd.

»Eine Ihnen theure, aber im Leben von Ihnen getrennte Person könnte also hoffen, an Ihrer Seite einst in dieser Gruft zu ruhen?«

»Max,«– erwiederte Edmée die Hand nach der Statuette ausstreckend, »dieses geweihte Bild ist mein Zeuge, daß ich dieses Versprechen ohne Erröthen geben kann.«

»Nun denn,« sagte ich, »so gelobe ich Ihnen, daß ich der Mann sein will, der durch seine innige Zuneigung und Verehrung würdig sein wird, in der Ewigkeit neben Ihnen zu ruhen.«

Ein gemeinsames Gebet folgte diesem doppelten Versprechen. Gegen Mitternacht verließ ich Edmée, von den seligsten Gefühlen erfüllt.

Den andern Morgen, als der Tag anbrach, reiste ich von Bernay ab und kam Abends nach Paris.

2.Der persische Name der Nachtigall.

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