Kitabı oku: «So sey es », sayfa 17
VIII
Um zehn Uhr Morgens ließ ich einen Wagen kommen und fuhr zu meinem Notar, welcher, wie ich Ihnen schon gesagt zu haben glaube, in der Rue du Bac Nr. 42 wohnte.
Herr Loubon übergab mir zwanzigtausend Francs baar und versprach mir binnen acht Tagen wieder dreißigtausend Franks in Wechseln auf das Haus Baring in London.
Mehr brauchte ich nicht: mit fünfzigtausend Francs ist man gegen alle Wechselfülle gesichert.
Als dieses kleine Geschäft abgethan war, ersuchte ich den Notar, mir die mit seiner Amtspflicht verträglichen Aufschlüsse über die Vermögensverhältnisse des Grafen von Chambray zu geben.
Er konnte mir aus sicherer Quelle Folgendes mitteilen:
Der Graf habe sein eigenes übrigens mehr scheinbares als wirkliches Vermögen vergeudet und das Heiratsgut seiner Frau angegriffen, obgleich in den Ehepacten eine Gütergemeinschaft nicht bedungen war. Anfangs habe er bei einem gewissen Abbé Morin, dessen angeblich sehr großes Vermögen einen unbekannten Ursprung habe. Anleihen gemacht. Diese Summen habe er zurückzahlen müssen und sich von seiner Gemalin eine für ein Jahr gültige Generalvollmacht erschlichen. Mit dieser Vollmacht versehen, habe er in weniger als einem Jahre drei Güter verkauft und den Erlös verspielt. Das Spiel sei seine einzige Leidenschaft. Die letzte, in dieser Weise verschleuderte Besitzung sei das von mir gekaufte Gut Juvigny gewesen.
Vor einigen Tagen endlich sei er gekommen, um das Gut Bernay zu verkaufen; aber die Vollmacht sei bereits dem Erlöschen nahe gewesen. Der Notar habe die Vollmacht zu sehen verlangt. Der Graf von Chambray sei in aller Eile nach Bernay gereist und habe die am 1. September erlöschende Vollmacht geholt. Herr Bourdeaux, der College meines Notars, habe ebensowohl die Interessen der Gräfin als des Grafen zu wahren, und er habe Bedenken getragen, eine der Erstern gehörende Besitzung um hunderttausend Francs unter dem wirklichen Werthe zu verkaufen, da der Graf offenbar darauf bedacht sei, den Verkauf vor Ablauf der nur noch einige Tage gültigen Vollmacht zu Stande zu bringen. Er habe gedacht, daß die Gräfin, welche schon drei Viertheile ihres Vermögens verloren, die Vollmacht schwerlich erneuern werde. Er habe daher vorgeschützt, er könne nicht sogleich einen Käufer finden, der eine halbe Million baar auszahlen könne, und eine Frist von acht bis zehn Tagen verlangt.
Diese acht bis zehn Tage gingen gerade mit dem Erlöschen der Vollmacht zu Ende. – Ueberdies habe der Notar unter der Hand an die Gräfin geschrieben und ihr sowohl über die Angelegenheit des Grafen als über ihr eigenes Vermögen genauen Bericht erstattet; sie besitze nur noch das Gut Bernay, welches achthunderttausend Francs werth sei; ihr Gemal sei aber entschlossen, dasselbe, weil er Geld brauche, um jeden Preis zu verschleudern.
Die Gräfin habe in ihrer Antwort auf das bestimmteste erklärt, daß sie die Vollmacht nicht erneuern werde; sie wünsche Bernay, den letzten Ueberrest ihres väterlichen Erbtheiles, zu behalten.
Alles dies hatte sich in den letzten Tagen ereignet.
Der Brief der Gräfin war vor zwei Tagen geschrieben, der Graf mußte wieder in Paris sein.
Während ich mit dem Notar sprach, that sich die Thüre auf und der Graf von Chambray wurde gemeldet.
»Ich lasse ihn ersuchen, in den Solon zu treten,« sagte der Notar.
Aber da mich der Graf durch die offene Thüre bemerkt hatte, so glaubte ich aus meiner Anwesenheit kein Geheimnis; machen zu dürfen.
»Nein, nein,« sagte ich, lassen Sie ihn doch in Ihr Geschäftszimmer kommen; ich will in den Solon gehen.
Um jeder Einwendung zuvorzukommen, ging ich auf die Thüre zu.
Der Graf trat ein.
Er war sehr freundlich, reichte mir die Hand und drückte seine Freude über die unerwartete Begegnung aus.
Ich erwiederte seine Begrüßung mit gleicher Höflichkeit und erklärte ihm meine Anwesenheit bei Herrn Loubon durch die Nothwendigkeit, zu einer bevorstehenden Reise Geld zu beheben.
Meine Worte wurden durch die noch aus einem Tische liegenden zwanzigtausend Francs in Banknoten bestätigt.
»Sie Glücklicher!« sagte der Graf von Chambray, indem er einen lüsternen Blick auf meine Banknoten warf. »Sie dürfen nur mit dem Fuße auftreten, um Banknoten aus der Erde zu stampfen. Aber,« setzte er, auf seine in Evreux gemachte Einladung zurückkommend hinzu, »ich hoffe doch, daß Sie vor Ihrer Abreise der Eröffnung der Jagd bei mir beiwohnen werden?«
»O, meine Reise ist noch nicht ganz bestimmt,« erwiederte ich.
»Aber als kluger Mann treffen Sie Ihre Vorkehrungen. – Die Jagd,« setzte er hinzu, wird am 1. September eröffnet; aber meine Geschäfte werden wohl meine Zeit bis zum 3. in Anspruch nehmen, und so werden wir die Jagd erst am 4. eröffnen. Wir haben dann nicht nur unser eigenes, sondern auch fremdes Wild. Sie können ganz unbesorgt sein, Sie werden sich schon unterhalten, wenn Sie wirklich ein Jäger sind; wir haben dieses Jahr Myriaden von Wachteln und Rebhühnern. – Doch ich störe Sie; ich will in den Solon treten. Thun Sie Ihr Geschäft ab.«
»Nein,« antwortete ich; »ich werde mit Ihrer Erlaubniß in den Solon gehen; ich habe viel mit Herrn Loubon zu reden.«
»Und ich habe nur eine Anfrage zu thun; in einigen Minuten bin ich fertig. Ich nehme also Ihr Anerbieten an.«
Ich ging auf die Salonthüre zu.
»Nicht wahr, ich werde Ihnen beim Fortgehen die Hand drücke?« rief er mir noch nach.
»Sagen Sie mir selbst im Salon, wann ich wiederkommen kann.«
»Schön, schön, ich danke!« Er begleitete mich bis an die Thüre, die er hinter mir zumachte.
Der Graf hatte hastig gesprochen, alle seine Bewegungen bekundeten eine innere Unruhe. Er kam zu meinem Notar offenbar in derselben Angelegenheit die ihn zu dem seinigen geführt hatte.
Obgleich er nur ein Ja oder Nein aus dem Munde Loubons zu vernehmen hatte, blieb er doch fast eine Viertelstunde bei ihm; dann wurde die Salonthüre mit einiger Heftigkeit ausgerissen, und der Graf von Chambray erschien.
Auf seinen Lippen schwebte das nervöse Lächeln des verlierenden Spielers – dasselbe Lächeln, welches ich in der Abendgesellschaft auf der Präfektur bemerkt hatte.
»Nun, es bleibt bei der Abrede,« sagte er, »am 3. September Abends findet sich die Jagdgesellschaft zu Chambray oder vielmehr zu Bernay ein. Ich habe die schlechte Gewohnheit angenommen dieser Besitzung die von der Familie Juvigny herkommt, meinen Namen zu geben. Im Schlosse wird übernachtet; ich erwarte Sie also zu einer beliebigen Tagesstunde, aber spätestens um acht Uhr Abends. Um zehn Uhr wird soupirt – nach dem Souper gespielt. – Ich habe vergessen, daß Sie nicht spielen. Nun, Sie können ja mit der Gräfin die Zeit verplaudern. —Merken Sie wohl, daß ich keine Entschuldigung annehme, ich habe Ihr Wort.«
»Ich gebe es Ihnen noch einmal, Herr Graf.«
»Also am 3. September. – Werden Sie vor dem Anfange des Monats auf die Präfectur kommen?«
»Es kommt darauf an, wie lange mich meine Geschäfte in Paris zurückhalten.«
»So geht mir’s auch. Man kann bei diesen verteufelten Notaren auf nichts mit Sicherheit zählen. Es sind Kleinigkeitskrämer. – Also, auf Wiedersehen! Es freut mich unendlich, Sie als meinen Gast zu sehen. Wer weiß? es ist vielleicht die letzte Jagd, welche wir in Bernay machen; es wäre Schade, die Besitzung ist sehr wildreich – Also, am 3. Abends acht Uhr.«
Er reichte mir die Hand, die ich in der meinigen zittern fühlte.
Als er fort war, ging ich wieder in die Schreibstube des Notars.
»Ich glaube die Ursache seines Besuches zu errathen,« sagte ich, »er wollte bei Ihnen in’s Haus hören, ob Sie eben so gewissenhaft sind, wie Ihr College in Nr. 45.«
»Sie haben’s getroffen.«
»Er will sein Gut Bernay verkaufen?«
»Oder vielmehr das Gut der Gräfin. Ja wohl, verkaufen oder borgen. Er würde die Besitzung um sechshunderttausend Franks, ja noch billiger losschlagen, um nur Geld zu bekommen. Oder er würde für hundertfünfundzwanzigtausend Franks Hypothek geben, wenn man ihm hunderttausend leihen wollte.Was sagen Sie zu einem Manne, der zu fünfundzwanzig Procent, abgesehen von den gesetzlichen Zinsen, von einem Notar oder durch dessen Vermittlung Geld auftreiben will?«
»Ich sage, daß er ein Narr ist.«
»Sie sollten es kaufen.«
»Das Gut Bernay.«
»Was fällt Ihnen ein? Mein Vermögen beträgt kaum fünfzehnhunderttausend Francs und in Grundbesitz. Ich bin nicht reich genug, lieber Herr Loubon.«
»Wer gut haushält wie Sie, ist immer reich. Ueberdies wüßte ich für Sie eine schöne Partie mit zwei Millionen baar und einer gleichen in Aussicht stehenden Summe.
Ich lächelte.
»Ich habe noch nie weniger als eben jetzt an eine Heirat gedacht,« erwiederte ich.
»Nun, so kaufen Sie, ohne zu heiraten. Die Besitzung ist achthunderttausend Francs werth. Schlagen Sie ein!«
»Aber, lieber Herr Loubon, woher soll ich denn sechshunderttausend Francs nehmen?«
»Ich habe Ihnen ja gesagt, Sie werden das Gut um fünfhunderttausend bekommen.«
»Aber diese Summe habe ich auch nicht.«
»Ich will sie Ihnen auftreiben.«
»Wie in aller Welt kommen Sie auf diese Idee?«
»Der Graf selbst hat mich ersucht, Ihnen diesen Antrag zu machen. Sie sind ihm als ein Retter in der Noth erschienen. Er sagte zu mir: »Er hat ja schon mein Gut Juvigny und kann auch noch Bernay besitzen. Wenn er nicht den ganzen Kaufschilling besitzt, so wird ihm sein Freund, der Präfect in Evreux, das Fehlende leihen. Von ihm würde ich übrigens nur die Hälfte baar verlangen.«
»Lieber Herr Loubon,« sagte ich lachend, »Sie scheinen für den Fall meiner Annahme über die kleine Bedenklichkeit hinsichtlich der dem Erlöschen nahen Vollmacht hinweggehen zu wollen.«
»Ja, ich gestehe, daß ich davon absehen würde, wenn ich den Wunsch des Verkäufers erfüllen und einem Clienten einen beträchtlichen Nutzen verschaffen könnte. Im Grunde kann der Mandatar alle ihm in der Vollmacht übertragenen Rechte und Befugnisse bis zum Tage des Erlöschens derselben ausüben.«
»Das ist wohl wahr; aber ich habe die Ehre, die Gräfin von Chambray zu kennen. Ich wußte, daß ich ihr durch den Ankauf von Juvigny einen Gefallen that; aber eben so gewiß weiß ich, daß es ihr unangenehm sein würde, wenn ich Bernay kaufte. Ich lehne daher Ihr Anerbieten entschieden ab, lieber Herr Loubon, und bitte Sie, nicht länger in mich zu dringen.«
Ich stand auf.
»Nun, dann lassen wir die Sache fallen, sagte der Notar; »aber Sie könnten ein schönes Geschäft machen. . . «
»Wann bekomme ich meine dreißigtausend Francs auf London?«
»Nicht wahr, es ist heute der 26. August?«
»Ja, und der Monat hat 31 Tage.«
»Am 1. September können Sie die Tratten haben. Wohin soll ich sie Ihnen schicken?«
»Noch Evreux an den Präfecten.«
»Ja, richtig, Alfred de Senonches. Der macht ein seltenes Glück. Binnen drei Jahren wird er Minister. – Jetzt geben Sie mir einen Empfangsschein über die zwanzigtausend Francs; für die anderen dreißigtausend genügt Ihre Empfangsbestätigung.
»Und ich bekomme die Wechsel doch gewiß am 1. September?«
»Ich habe es versprochen und werde es halten.«
»Das ist noch nicht genug,« erwiederte ich lachend; »ein Notar ist ja das menschgewordene Gesetz.«
»Sie wollen wieder abreisen?«
»Wahrscheinlich diesen Abend, spätestens morgen Früh; ich habe einige Reisegegenstände zu kaufen.«
»Sie wollen eine Reise machen?«
»Wahrscheinlich. – Dabei fällt mir ein, daß es vielleicht gut wäre, Ihnen eine Generalvollmacht zu lassen.«
»Machen Sie denn eine lange Reise?«
»Ich weiß es noch nicht.«
»Wo wohnen Sie?«
»Im Hotel de Paris, Richelieustraße.
»Die Generalvollmacht soll in zwei Stunden bei Ihnen sein.«
Ich verließ den Notar. – Zwei Stunden nachher schickte er mir die Generalvollmacht zu, und am 1. Sept. erhielt ich in Reuilly die dreißigtausend Francs in Tratten auf das Haus Baring & Comp. in London.
Der brave Loubon war die Pünktlichkeit selbst.
Es gibt Menschen, bei denen eine hervorragende Eigenschaft die Stelle aller Tugenden vertritt.
IX
Die Eröffnung der Jagd auf der Besitzung des Grafen von Chambray sollte, wie schon erwähnt am 4. September stattfinden, und die Einladungen waren auf den 3. Abends gemacht worden.
Als ich am 3. September mit Alfred frühstückte, zeigte ich ihm meine Abreise nach Bernay an. Er antwortete mir nur mit gleichgültigem Kopfnicken. Nach dem Frühstücke sagte er:
»Es ist heute Sonntag, und an Sonntagen tritt jeder Präfect in die Reihe der gewöhnlichen Menschenkinder zurück. Wir wollen einen Spaziergang durch den Park machen; wir haben heute Zeit und Muße, das Landleben und die Liebe zu besingen wie die beiden Hirten Virgil’s.
Ich war an die originellen Einfälle Alfreds gewöhnt; aber ich merkte, daß er mir etwas zu sagen hatte, was die Dienstleute nicht hören sollten. Ich nahm seinen Arm und wir gingen in den Park.
Unten an der Freitreppe begegneten wir den Ortspfarrer. Er hatte die Messe gelesen und dankte uns im Namen seiner Pfarrkinder. Unsere Namen an der Spitze der für die Abgebrannten Beisteuernden hatten ihm Glück gebracht; der Gesammtbetrag der milden Gaben belief sich auf zehntausend Francs. Mit dieser Summe, sagte er, könnten die durch das Feuer entstandenen Verluste nicht nur ersetzt werden, sondern die Abgebrannten würden in der Folge besser wohnen, als vor dem Brande.
Er selbst war aber noch blässer und schwächer, als bei seinem letzten Besuche im Schlosse. Die hartnäckige Krankheit mit der er behaftet war, hatte offenbare Fortschritte gemacht und arbeitete langsam, aber sicher an ihrem täglichen Zerstörungswerke.
Bei seinem Erscheinen verschwand das etwas leichtfertige Lächeln, welches beständig um Alfreds Lippen schwebte, um dem Ausdrucke großer Güte und aufrichtiger Theilnahme Platz zu machen.
Ich verglich den würdigen Geistlichen mit dem Abbé Morin, der – eine geheime Ahnung sagte es mir – mich beobachtete, verfolgte, um mir Schmerz zu bereiten und in unheilvoller Weise in mein Leben einzugreifen. Ich fragte mich, wie ein und derselbe Baum, der so segensreiche Baum der Religion, zwei so ganz verschiedene Früchte tragen könne.
Alfred bedauerte sehr, daß der Pfarrer zu spät gekommen sei, um mit uns zu frühstücken; er sollte aber doch eine Erfrischung nehmen. Der würdige Mann bat um eine Tasse Milch.
Der Pfarrer war sehr ermüdet; er setzte sich auf die Stufen der Freitreppe und trocknete seine von Schweiß triefende Stirne. Alfred ging in den Vorsaal und rief einen Diener, während ich, den Hut in der Hand, dem ehrenwerthen Priester Gesellschaft leistete.
Alfred erschien bald mit einem Diener, der einen ganz beladenen Credenzteller trug.
»Wollen Sie eintreten, Hochwürden?« sagte Alfred, »oder wollen Sie Ihre Tasse Milch lieber unter den Linden nehmen?«
Unter den Linden, wenn Sie erlauben, Herr Präfect,« antwortete der Pfarrer. »Ich bin ein großer Naturfreund. Gott hat freilich in seinem unerforschlichen Rathschlusse bestimmt, daß ich mich des Naturgenusses nicht lange erfreuen soll. Die Freude an der Natur und die Nächstenliebe sind die einzigen Freuden, die uns vergönnt sind.«
»Die erstere hat Sie zum Philosophem die letztere zum Segenspender gemacht,« sagte Alfred.
Er nahm meinen Arm und zog mich in den Park.
Komm, Max,« sagte er mit seinem höhnischen einschneidenden Tone, »komm, der Pfarrer ist für wahr ein Zauberer, der mich am Ende dahin bringen könnte, meine Nebenmenschen zu achten.
»Nun, was würde es denn schaden?« fragte ich.
»Ein Präfekt der die Menschen achtet! Das wäre ein Widerspruch, lieber Max, ein logischer Unsinn. Wie könnte ich, einmal in diesem Irrthume befangen, die Befehle meiner Regierung befolgen? Nein, wahrhaftig, ich will lieber mit dem Grafen von Monte-Cristo sagen: Der Mensch ist doch eine garstige Raupe.«
»Aber Du siehst ja, lieber Freund,« entgegnete ich, »daß Du selbst den Worten widersprichst, die Du dem würdigen Manne sagtest.«
»Ja wohl, aber er ist eine Ausnahme unter den Menschen, wie unter den Blumen die schwarze Tulpe und die blaue Dahlia. Ein Poet würde von ihm sagen: Er hat in einem kleinen Dorfe der Normandie geblüht; aber derlei Pflanzen tragen keinen Samen und schlagen nicht an der Wurzel aus. – Doch um wieder auf deine Jagd zurückzukommen: morgen ist die Eröffnung bei dem Grafen von Chambray?«
»Ja. Und mir scheint daß Du mir etwas zu sagen hast.«
»Ich? Nein, ich habe Dir nur zu sagen, daß es eine prächtige Jagd wird, denn der Graf schont sein Wild sehr sorgfältig.«
»Aber er ladet uns ja ein, es todtzuschießen.«
»Lieber Freund, Crassus lieh seinem Freunde Cäsar dreizehn oder vierzehn Millionen – die Summe ist mir nicht mehr genau erinnerlich – als der Letztere nach Spanien ging, um seine Prätur anzutreten. Crassus war sehr geizig. Aber es gibt geizige Menschen, die ihr Geld sehr vortheilhaft anzulegen wissen. Crassus erhielt für sein Darlehen das Triumvirat und den Oberbefehl in dem Feldzuge gegen die Parther. Der Feldzug war freilich nicht glücklich, aber das war ein nicht vorherzusehender zufälliger Umstand; Crassus erlangte durch seine wohlberechnete Gefälligkeit was er wünschte.«
»Was willst Du damit sagen?«
»Nichts; ich mache nur einen Exkurs in die Geschichte des Alterthums. Wer klassische Studien gemacht hat darf sich das schon erlauben.«
»Ja wohl, aber dein Exkurs in das klassische Alterthum enthält eine Anspielung auf den Grafen von Chambray.
»Das ist wahr; er hat auch einen Exkurs gemacht, aber blos nach Paris. Weißt Du es?«
»Ich habe ihn bei meinem Notar getroffen.«
»Ganz recht er kam eben von seinem Notar. Es ist übrigens nicht zu verwundern. Die beiden Herren wohnen in der Rue du Bac, einander fast gegenüber.«
»Woher weißt Du das?«
»Loubon ist der Notar meiner drei Tanten, und ich habe gestern oder vorgestern einen Brief von ihm erhalten.«
»Und es war von mir die Rede?«
»Ja, er schreibt mir, Du habest Lust das Gut Bernay zu kaufen, es fehle Dir aber an der zum Ankaufe nöthigen Summe. Du weißt daß ich nöthigenfalls drei- bis vier-hunderttausend Franks zu deiner Verfügung habe; hunderttausend kann ich selbst entbehren, das Uebrige geben meine Tanten her. Du bist bereits Besitzer von Juvigny; Du mußt Bernay dazukaufen, und wenn der Graf sein letztes Kaninchen verspielt hat und sich eine Kugel durch den Kopf jagt so kannst Du die Witwe heiraten. Der dritte Mann kann ihr so wieder geben, was ihr der zweite genommen.«
»Lieber Freund,« erwiederte ich sehr ernst und legte eine Hand ans seinen Arm, »ich bitte Dich, sprich nicht leichtfertig von der Gräfin.«
»Gott bewahre mich vor jedem Scherze über eine solche Frau,« versicherte Alfred, der ebenfalls ernst wurde. »Nein, lieber Max, ich scherze nicht; die Gräfin ist an Herzensgüte und Seelenreinheit mit unserem würdigen Pfarrer zu vergleichen. Wenn alle Geistlichen ihren Beruf so erfüllten wie dieser, so würde es keine Atheisten mehr geben. Wenn alle Frauen der Gräfin von Chambray gleich wären, so würde es keine Hagestolzen mehr geben. Ich, der eingefleischte Hagestolz, sage Dir: da Du die Gräfin liebst und ihrer Gegenliebe gewiß bist, so heirate sie, sobald es angeht, und diese Zeit –«
»Nun, diese Zeit?«
»Ich glaube, daß Du eine angenehme Ueberraschung haben wirst.«
»Was meinst Du?«
»Nichts. Ich habe durch meine Polizei gewisse Nachrichten erhalten, aber ich bin meiner Sache noch nicht ganz gewiß, und will nicht zu viel sagen. Ich kann Dir nur sagen, daß der Graf sehr übler Laune ist.«
»Weshalb?«
»Weil er das Gut Bernay nicht verkaufen kann. Die Vollmacht seiner Frau erlischt, wenn ich nicht irre, am 1. September und der Graf kann die Besitzung nicht einmal verpfänden. Das verstimmt ihn. Falls Du Dich noch entschließest, das Gut zu kaufen, kann ich Dir im Vertrauen sagen, daß er seinem Notar, Herrn Bourdeaux, versprochen hat, einen mit der Unterschrift seiner Frau versehenen Verkaufsvertrag zu bringen. Dagegen haben ihm sowohl Bourdeaux als auch Loubon den Kaufschilling von sechshunderttausend Francs zugesichert, aber nur die Hälfte baar. Dies ist eine große Erleichterung für den Käufer. – Das ist’s, was ich Dir zu sagen hatte. Der Ankauf von Bernay für sechshunderttausend Franks ist sehr vortheilhaft, denn die Besitzung ist achthunderttausend Franks werth. Ich habe Dir vierhunderttausend Franks anzubieten, natürlich gegen die Verpfändung des Gutes Bernay und deiner übrigen Güter, denn meine drei Tanten, denen Herr Loubon, unser Notar, zur Seite steht, würden nicht begreifen, daß ich selbst dem Cid Campeador vierhunderttausend Francs ohne Hypothek liehe. – Jetzt verlasse ich Dich.«
»Warum denn?«
»Um Dir Zeit zum Nachdenken zu lassen. Die Einsamkeit ist die beste Rathgeberin. – Aber ehe ich Dich verlasse, will ich Dir einen Rath gehen.
»Laß hören,«
»Ich habe Dir gesagt, daß der Graf von Chambray sehr übler Laune sei. Uebelgelaunte Leute sind zerstreut; zerstreute Leute sind schlechte Nachbarn auf der Jagd-; halte Dich daher möglichst fern vorn Grafen. Ein Schuß ist bald abgefeuert, und Niemand kann wissen, welchen Weg das Blei nimmt.«
»Was sagst Du da, Alfred?«
»Ich sage nicht, daß er es absichtlich thun würde. Er wird Dich vielmehr schonen, weil er in Dir den muthmaßlichen Käufer seiner Besitzung sieht. – Aber die zerstreuten Leute sind eine wahre Landplage auf der Jagd; sie sind mehr zu fürchten als die Kurzsichtigen, die doch in einer gewissen Entfernung sehen, die Zerstreuten sehen gar nicht. – Adieu! Reise nicht ab, ohne mir die Hand zu drücken.«
»Wozu diese Erinnerung?«
»Du bist ja auch zerstreut.«
»Wie der Graf von Chambray?«
»Nein, Du bist gerade das Gegentheil; er ist zerstreut, weil er unglücklich ist, Du hingegen bist zerstreut, weil Du ein überglücklicher Erdensohn bist.«
Er entfernte sich einige Schritte, dann kehrte er um.
»Ich habe noch etwas vergessen,« sagte er, »sprich in Gegenwart deines Wirthes nie von Fallsucht oder Fallsüchtigen.«
»Warum nicht?«
»Du kennst das Sprichwort: In Gegenwart eines Gehenkten soll man nicht vom Stricke reden. Auf Wiedersehen!«
Ich blieb allein.
Alfred hatte Recht; ich fühlte das Bedürfniß allein zu sein.
Mit dem Tage, wo ich die Gräfin von Chambray kennen gelernt hatte, war eine seltsame Veränderung in mir vorgegangen. Es schien mir, als ob mein neues Dasein etwas von der Wirklichkeit des frühern verloren hätte. Ich lebte, wie man in manchen Träumen lebt; ich wandelte auf einer räthselhaften, zu einem unbekannten Ziele führenden Bahn. Das Labyrinth auf Kreta hatte nicht mehr Irrgänge als mein Lebensweg. In der Tiefe meines Herzens hatte ich eine gewisse Traurigkeit, die sich nicht bis zu Thränen steigerte, und zugleich eine Freude, die sich nicht durch Frohlocken äußerte. Jeder meiner Athemzüge war ein Seufzer, aber ein Seufzer, der nichts Schmerzliches hatte; es schien fast, als hätte mir Edmée etwas von ihrem übersinnlichen Gesichtsvermögen mitgetheilt, und als erblickte ich durch einen Trauerflor einen fernen Strahlenglanz.
Auf jeden Fall fühlte ich mich durch eine Kraft fortgezogen, die stärker war als mein Wille, oder vielmehr gegen welche mein Wille gar nicht anzukämpfen suchte.
Während ich meinen Gedanken nachhing und Alles, sogar die Zeit vergaß, härte ich hinter mir Fußtritte.
Ich sah mich um und erblickte den Ortspfarrer.
Zu allen Gefühlen, welche mein Herz bewegten,hatte sich eine tief religiöse Stimmung gesellt. Dieser würdige Mann, der im besten Alter mit würden aller Ruhe und reinen Herzens dem Grabe zuschritt, dieser Wohlthäter seiner Pfarrkinder war mir in diesem Augenblicke eine wohlthuende Erscheinung. Ich ging unwillkürlich auf ihn zu, nahm meinen Hut ab und redete ihn an:
»Ich bin auf einem Wege, der mich eben sowohl zum höchsten Glücke als zur Verzweiflung führen kann. Segnen Sie einen Mann, der an Gott glaubt, damit ihm Gott einen seiner Engel sende, der über ihn mache und ihn auf dem guten Wege geleite.«
Der Pfarrer sah mich erstaunt an.
»Der Glaube ist selten in unseren Tagen sagte er, »und es ist eine große Freude für mich, einen jungen Mann mit diesem Ausdrucke der Wahrheit christliche Worte sprechen zu hören. Niemand hat mehr Ansprüche auf den Segen der Diener Gottes als Sie. Ich gebe Ihnen daher vom Grunde meines Herzens den meinigen, nicht nur in meinem Namen, sondern auch im Namen aller Unglücklichen, denen Ihre Barmherzigkeit Hilfe gebracht hat.«
Er legte die Hand auf meinen Kopf und blickte zum Himmel empor, als wollte er Gott bitten, diesen Segen gütig aufzunehmen Ich aber betete leise: »Gott, segne sie, wie dein Diener mich segnet!«
Wenn die Welt – Sie wissen, lieber Freund, was ich darunter verstehe – wenn die Welt mich gesehen hätte, sie würde den großen zweiunddreißigjährigen Knaben verspottet halten, der, ohne zu wissen warum und zu welchem Zwecke, einen Dorfpfarrer um seinen Segen bat; aber Sie sind ein Dichter, Sie werden mich verstehen und mich nicht verspotten.
Ich richtete mich in der freudigsten Stimmung wieder auf, und gleichwohl rannen mir die Thränen über die Wangen, wie an dem Tage, wo mein Herz vom tiefsten Schmerz erfüllt war.
Ist es ein Beweis von der Schwäche des Menschen oder von der Allmacht Gottes, daß wir für den Schmerz und für die Freude nur einen Ausdruck haben?
Der Pfarrer entfernte sich, ohne mich zu befragen; aber er winkte mir zu wiederholten malen seinen Gruß zu.
Ich war nie in einer freudigeren, gehobeneren Stimmung gewesen, selbst nicht in dem Augenblicke, wo ich Edmée an mein Herz gedrückt hatte. Ich nahm Abschied von Alfred, ohne seine trüben Ahnungen und Warnungen einer Beachtung werth zu halten. Ich vertraute auf Gottes Schutz.
Eine Stunde nachher saß ich mit Georges im Wagen.