Kitabı oku: «Eigensinn und Bindung», sayfa 2
„Prüft alles ...“
Ist all das nun auch in Kontexten der katholischen Gestalt des Christentums denkbar? Wie wäre also in diesem hier gleichsam nur hingetupften Szenario der katholische Intellektuelle zu positionieren – so es ihn eben überhaupt gibt? Jedenfalls würde es sich bei ihm um eine besondere Spielart der allgemeinen Bi-Dimensionalität des Typus handeln. Exemplarisch für alle Formen intellektuellen Engagements verschärfte sich hier die Spannung zwischen Standort und Kritik. Die katholischen wären Intellektuelle ja nicht etwa im Sinne von Siegfried Kracauers Diagnose jener „Wartenden“, die zwar vor der „Leere“ der säkularen Moderne erschrecken, deren Verhältnis zum (verlorenen) Glauben aber nicht über ein „zögerndes Geöffnetsein“ hinaus gelangt – von jenen wie „Desperados“ durch religiöse Gefilde Schweifenden ganz zu schweigen, die sich hier und dort einmal kurzschlüssig nahe fühlen.15 Katholische Intellektuelle wären vielmehr an ein überindividuelles Credo Gebundene, nicht nur Interessierte, sondern Entschiedene, mit all den sich daraus ergebenden Verpflichtungen für das Alltagshandeln.
„Katholisch“ bezeichnet Herkunft und Selbstverortung dieser Intellektuellen, denen sich ihre Inspiration verdankt. Aus diesem Glutkern heraus leben und denken sie. Ganz ungeschützt könnte man auch sagen: Sie sind gläubig – oder versuchen es, aller geistigen Anfechtungen ungeachtet, denen man als aufmerksamer Zeitgenosse gar nicht entgehen kann, wenigstens zu sein. Sie fühlen sich zugehörig, und sei es noch im Zustand der Vertreibung oder des selbst gewählten Exils. In diesem Falle ähnelt er eher einem paradoxen Zugleich von Drinnen und Draußen.
Zum Hintergrund des katholischen Intellektuellen gehört indes nicht nur das Bekenntnis zu religiösen Maßstäben, die er nicht selbst erfindet, denen er sich vielmehr anschließt, sie aber individuell verantwortet, sondern auch eine institutionelle Beheimatung. sentire cum ecclesia als Wurzelgrund des katholischen Intellektuellen? Ja, ausdrücklich sogar, aber mit der Einschränkung von Albert Camus, wonach es „am unerträglichsten ist (...), das entstellt zu sehen, was man liebt“.16 Ganz im Sinne der Doppelbedeutung des lateinischen Verbs: mit der Kirche empfinden, kirchlich gesinnt sein; wenn Anlass dazu besteht, allerdings auch „schmerzlich empfinden“. Als deren mündiges Mitglied neigt der Intellektuelle nicht ungern dazu, seine Kirche an dem Anspruch des Geistes zu messen, in dem sie begründet ist. Gerade die tiefe Einwohnung im Katholischen kann zuweilen einen Dissens mit dessen amtlichen Verlautbarungen und Praktiken auslösen, die lauterste Frömmigkeit sich an der jeweils autoritativ verkündigten Linie der Kirche reiben. Beispiele hierfür gibt es genug.
Heinrich Böll bemerkte einmal sarkastisch: „Wenn es für einen Deutschen schon nicht leicht ist, Intellektueller zu sein, so ist es, wenn er außerdem noch Katholik ist, doppelt unangenehm.“17 Das seufzende Bonmot verweist darauf, dass das kirchliche Milieu lange Zeit hindurch keinen günstigen Resonanzraum gerade für die der eigenen Glaubensgemeinschaft angehörenden Anwälte des freien Diskurses und bewusster Zeitgenossenschaft geboten hat. Im Gegenteil: Vorherrschend waren oft Gesten der Abwehr, Verdächtigung und Abwertung. Noch heute (es mag wohl sein: sogar wieder verstärkt) wird Kritik – verstanden als Prüfung, Sichtung, Unterscheidung, Widerspruch –, wird das Erkunden noch unbetretener Wege häufig nur als unstatthafte Abweichung von einer feststehenden Doktrin angesehen, als Angriff, als etwas übel Beleumdetes jedenfalls. Statt derlei versuchsweise als bedenkenswerten Anstoß aufzunehmen (oder sich wenigstens inhaltlich damit zu befassen), ist man oft viel zu rasch mit moralischen Diskreditierungen bei der Hand, denen zufolge Abweichungen von amtlich Vorgegebenem als bloß reflexhaft oder irgendwelchem Anti-Affekt geschuldet, als Lieblosigkeit oder Zeichen falsch verstandener Freiheit und dergleichen mehr erscheinen. Wenn aber Wortmeldungen nur im apologetischen Sinne erwünscht wären, hätten Intellektuelle, wie ein unverkürzter Begriff sie verlangt, in der katholischen Kirche keinen Platz.
Wie viel Freiheit des Geistes also erträgt sie in ihrem Bereich, ertragen diejenigen, die bevollmächtigt für sie sprechen? Das ist eine von mehreren Kernfragen. Kann man sich Intellektuelle dort wirklich nur als Bestätiger vorstellen? Zehrt die Kirche (ebenso wie die Gesellschaft) letztlich nicht gerade von Unangepasstheit und Einzelgängertum, von denen, die sich in offenes Gelände hinaus begeben? Unterliegt man kirchlicherseits nicht vielfach dem Irrtum, Loyalität mit blindem Gehorsam zu verwechseln und den Glauben mit einem geschlossenen System, das Unterwerfung unter seine jeweils amtliche Kursbestimmung fordert? Dann nähme in der Tat jede Äußerung eines „intellectualen Gewissens“ bereits Züge des Maßlosen an. Nichts aber wäre beängstigender als (ihrerseits von Angst geprägte) Menschen, die Freiheit und Verschiedenheit, die Ambivalenzen, Anregungen und Einsprüche, die das Risiko neuer Versuche, auch kühner Vermittlungen, nicht aushalten, sondern darin gleich eine Bedrohung erblicken. So viel jedenfalls steht fest: Je feinmaschiger die Grenzen in der Kirche gesetzt werden, dazu gar noch mit autoritativen Rügen oder Sanktionen verbunden, desto schwieriger wird die Situation für intellektuelle Produktivität.
Der aktuellen Lage des Katholizismus insgesamt wird solche Abschottung nicht gerecht. Sie ist vielmehr durch eine Wandlungsdynamik gekennzeichnet, die mit Stichworten wie konfliktreiche Binnendifferenzierung, Pluralisierung, Individualisierung und Privatisierung nach dem Zerfall kollektiver Verbindlichkeiten umrissen zu werden vermag, wodurch Vielstimmigkeit fast schon strukturell geworden ist. Nicht nur als Niedergangs- und Auflösungsgeschichte fester Identitäten kann derlei beschrieben werden, sondern ebenso begründet als ein Prozess, in dessen Verlauf neue Formen katholischer Lebenswelt entstehen.
Sinn für Pluralismus bedeutet übrigens nicht, sich vom Widerstreit der Ansichten treiben zu lassen und keine Stellung zu beziehen. Er bestreitet nur, dass es in allen Wirklichkeitsbereichen lediglich eine, dazu noch für alle Zeiten „objektive“ katholische Denkmöglichkeit gibt. Tradition ist ein Schatz, kann aber auch zum Bann werden, wenn sie vor dem Horizont neuer Erfahrungen nicht sinnvoll geöffnet, auch behutsam korrigiert wird. Carlo Maria Martini, einer der klügsten ihrer hohen geistlichen Repräsentanten, empfiehlt im Anschluss an 1 Thess 5, 21 f. seiner Kirche, wie mit der zeitgenössischen Kultur umzugehen sei, und entwirft nebenbei ein Programm katholischer Intellektualität: „Seid nicht überrascht durch Vielfalt. Seid nicht geängstigt durch das, was anders oder neu ist, sondern betrachtet es als etwas, in dem ein Geschenk Gottes zu finden wäre. Stellt unter Beweis, dass ihr Dingen zuhören könnt, die ziemlich verschieden von dem sind, was wir gewöhnlich denken.“18
Selbstverständlich gibt es im katholischen Bewusstsein legitime Meinungsverschiedenheiten und Richtungsunterschiede, bilden sich differente Strömungen und Herangehensweisen, Bezugspunkte und Identifikationsmöglichkeiten ab. Schlimm wäre allein das Gegenteil. Fragen müssen gestellt und in unterschiedlichem Sinne beantwortet werden können, auch wenn die Ergebnisse, zu denen man gelangt, keineswegs alle oder in allem der jeweiligen amtlichen Agenda entsprechen. Nicht eine Gefahr für die Einheit der Kirche liegt hierin begründet, eher sogar die Bedingung für deren anspruchsvolle Möglichkeit.
Wie eingeigelt nämlich die konkrete Gestalt des Katholischen in unterschiedlichen Zeitläuften auch (gewesen) sein mag, und ohne religionsphänomenologisch allzu tief zu graben: Von jeher bietet seine zentrale Denkfigur Spielräume, die dem Intellektuellen entgegenkommen – ganz abgesehen davon, dass der Geist des Evangeliums wesentlich einer der Wertschätzung von verantworteter Freiheit ist. Katholisch im Wortsinne bedeutet immer, auch anverwandlungsoffen zu sein, wenn man (wie dies weithin Konsens ist) als sein Grundcharakteristikum ein Wirklichkeitsverhältnis des et – et versteht,19 eines auf Vermittlung ausgerichteten „sowohl – als auch“. Karl Lehmann spricht daher von einer „sehr hohen (...) Integrationskraft“ des Katholischen. In einer „differenzierten Dialektik“ verbinde es „die Freiheit des Gewissens und die Verbindlichkeit von Normen und Weisungen“.20 Eine Polyphonie der einzelnen Positionen macht Hans Urs von Balthasar zufolge den Charme des Begriffs aus.21 In diesem Rahmen ließen sich auch Eigensinn und Kirchlichkeit mit Gewinn aufeinander beziehen. Ein derartiges Verständnis kann sich auf eine Jahrhunderte alte Tradition berufen, die seit der „Gegenreformation“ und besonders während des 19. Jahrhunderts in Abwehr des modernen Freiheitsbewusstseins leider der zunehmenden lehrgesetzlichen Verengung gewichen ist. Unabhängigkeit bedeutet ja nicht Unverbundenheit, und Treue ist weder mit geistiger Trägheit zu verwechseln noch mit allfälligem Schulterschluss. Verankerung in der katholischen Kirche muss prinzipiell keine Einschränkung der Autonomie des Intellektuellen bedeuten. Überdies handelt es sich bei der Parrhesie, dem Freimut, welcher notfalls auch der höchsten Autorität „ins Angesicht widersteht“ (vgl. Gal 2, 11), um eine ur-kirchliche Tugend.
Solcher inneren Bezüge des Katholischen zu dem, wovon Intellektualität lebt, ungeachtet, und trotz der Tatsache, dass es sich bei einigen seiner hohen Amtsträger wiederholt selbst um Intellektuelle handelt – auch wenn es von dieser Rolle her natürlich Besonderheiten in der Gestaltung des Habitus und des Diskurses gibt –, besteht zwischen kirchlicher Gemeinschaft und den Ansprüchen des Intellektuellen letztlich ein Spannungsverhältnis, das man nicht einebnen sollte. Vielmehr wäre es fruchtbar zu machen. Der katholische Intellektuelle ist daher stets ein Katholik im Spagat zwischen Freiräumen und Gebundenheiten: keine einfache, aber eine reizvolle und wichtige Daseinsform.
Stets wäre jedenfalls an einen umfassenden Begriff von Katholizität zu erinnern, der keine Konfessionsbezeichnung meint, nichts partikular sich Abschließendes, sondern, wo immer möglich, auf Berührung und Teilhabe gerichtet ist. Er kann, ja soll auf eine reflexiv begründete Weite zielen, die manchmal sogar scheinbare Gegensätze zu umfassen vermag. Katholische Intellektualität leistet daher per se einen Beitrag zum Stand der gesamtchristlichen Diskussion. Intellektuelle beider Kirchen waren es ja, der protestantischen und der katholischen, die in Deutschland während der NS-Zeit Anfänge eines freundschaftlichen Miteinanders praktizierten. Hier wäre ein verpflichtendes Erbe zu wahren, das inhaltlich in hohem Maße legitimierbar ist. Auf beiden Seiten wächst zuletzt freilich wieder das Bedürfnis nach „Profil“ – wie man sich in ökonomisch dominierten Zeiten unter Wettbewerbern auf einem gemeinsamen Markt, hier: der spirituellen und Sinn-Ressourcen, eben gern auf die Suche nach dem Alleinstellungsmerkmal macht.
Auch wenn es unterschiedliche Denkformen und Lehrtraditionen geben mag, unterschiedliche Stile und Ausformungen des kulturellen Gedächtnisses, teilweise auch der fortwirkenden Sozialisation, sollte man „eine vielleicht vorhandene Differenz“ sicher nicht „unangemessen fixieren und auf diese Weise zu einem Unterscheidungsmerkmal hochsteigern, das es in Wirklichkeit gar nicht ist“.22 So steht bei inhaltlichen Eigentümlichkeiten katholischer Intellektualität, die teilweise angeführt werden,23 am Ende, geht man den Spuren nur genau genug nach, oft ein interkonfessioneller Transfer. Dass es bis in die Gegenwart hinein fortbestehende Ressentiments gegenüber Protestanten auch bei katholischen Intellektuellen gibt, ist leider eine andere Sache.
Statt mehr oder weniger ergebnisarme Kultivierung historisch gewachsener Unterschiede zu betreiben, muss der katholische Intellektuelle seine Identität jedenfalls nicht konstruieren, indem er sich von anderen christlichen Bekenntnissen schroff abgrenzt. Es reicht, wenn er sich auf seine Traditionen – im Plural ausdrücklich! – beruft, und oft genug wird er die Entdeckung machen, dass das, was kontroverstheologisch überbetont wurde und wird, in schönster Nachbarschaft beieinander liegt. Ohnehin scheinen – wenigstens bei der jüngeren Generation – wirklich lebensprägende Differenzen längst nicht mehr zwischen Protestanten und Katholiken zu bestehen, sondern zwischen den christlich Ansprechbaren und den Gleichgültigen.
Katholisch-Sein als Heimat ohne vorschnelle Abgrenzung also. Religionen sind heute mit Recht vielen gerade deswegen suspekt, weil sie Mauern errichten, die Menschen voneinander trennen. Das katholische Prinzip ist demgegenüber das einer bisweilen paradoxen Koexistenz. Daher ist ihm implizit eine große Ökumene eingeschrieben, auf die gegen alle Erstarrungen und Verengungen in seinem Namen zu bestehen wäre.
Für eine besonnene Moderne
Dies alles ist natürlich nach innen gesprochen, mit Blick auf die Kirche, jenen der beiden Pole katholischer Intellektualität, der sich bei der Verteidigung des Eigensinns in der Bindung immer wieder als der konfliktträchtigere herausstellt. Der andere, eigentlich gewichtigere, befindet sich jenseits der Binnenperspektive (die im Übrigen oft Gefahr läuft, zur Nabelschau zu geraten) und wird durch die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Wirklichkeiten der Gegenwart bezeichnet. Dort herrscht das Paradigma der vorangeschrittenen Moderne. Wenn es gilt, ihr Verhältnis zu diesem zu bestimmen, werden von katholischen Intellektuellen durchaus unterschiedliche Signale ausgesendet. Die extremsten Ausschläge bewegen sich zwischen der Fortschreibung entschiedener Gegnerschaft zur Moderne und einer Selbstsäkularisierung zugunsten von Fortschrittsdenken oder der Ethik einer Zivilreligion. Dazwischen gibt es zahllose Anschlussfähigkeiten und Problematisierungen im Detail, mag manches sich auch als transitär erweisen.
Bestehende Schwierigkeiten vieler Intellektueller mit dem kircheninternen Klima wiederholen sich auf dem anderen Feld in gewisser Weise. Die säkulare Gesellschaft ist keineswegs frei von Abwehrgesten einem Denken gegenüber, das religiös bezogen ist. Katholische Intellektuelle mögen somit zuweilen Fremdlinge im doppelten Sinne bleiben. Sie argumentieren quer zu den Linien. Daraus sich ergebende Gemengelagen sind niemals auf einen Nenner zu bringen.
Habituelle Schwermut bei manchen Vertretern katholischer Intellektualität verweist auf eine Versehrtheit, die eines der wertvollsten Zeugnisse dieses Typus darstellt. Es sind Tragiker, welche die Versöhnung mit der Realität verweigern und damit an ihre naturwüchsige Erlösungsbedürftigkeit erinnern: ein Befinden, welches die heutige Gesellschaft einigermaßen erfolgreich verdrängt hat. Auseinandersetzung mit ihnen bedeutet die Konfrontation mit möglichen Abgründen. Vielleicht sehen sie ja klarer als alle die Rhetoriker des Aufbruchs, von denen wir umzingelt sind, den Fitmachern für die Zukunft – was für einer eigentlich? – und der verordneten organisatorischen Optimierungen. In dieser Hinsicht sind sie nicht „konstruktiv“ oder „zielführend“. Gegen das, woran sie sich wundscheuern, hilft keine Reform.
Im geschichtlichen Prozess sieht der katholische Intellektuelle jedenfalls nicht selten Aporien, aus denen kein Entkommen ist. Er trägt sie aus, hält Zweifel offen, den Sinn für Verluste. Was seinesgleichen im Speziellen auszeichnen mag, ist eine Gebrochenheit, die mit dem Spätzeitlichen einhergeht, welcher der Versuch, am Glauben festzuhalten, eingebrannt bleibt, und die sich weder in das Konstrukt einer intakten Vergangenheit zurückschwindelt, noch forsch auf zeitgemäß trimmt.
Ein Gespür für Abwägung macht sich hier geltend, in dem die Vorzüge der Moderne zwar anerkannt, aber nicht zum Fetisch erhoben, sowie ihre Kehrseiten und Ver(w)irrungen, ihr Macht- und Kontrollanspruch nicht hingenommen werden. Als Ansatz katholischer Intellektueller bietet sich das Paradox der Modernisierung an, die eben nicht nur Pluralität und individuellen Freiheitszuwachs befördert, sondern auch Mechanismen der anonymen Steuerung, Domestizierung und Uniformierung.24 Mit dem gleichen Recht, mit dem etwa auf fortschreitende Wahlmöglichkeiten des Einzelnen hingewiesen wird, könnte man auch vom Zerfall des Individuums sprechen, von wachsenden Erfahrungen der Ohnmacht und Desorientierung.
Nun eignet der Moderne eine unangenehme Neigung, sich absolut zu setzen. Aufmerksam zu machen wäre demgegenüber auf die ihr inne wohnenden destruktiven Tendenzen. Der als alternativlos ausgegebene Kult der Geschwindigkeit und rastlosen Innovation etwa hat sich längst selbstzweckhaft verselbstständigt. Er führt zur permanenten Entwertung des Überlieferten oder Vorhandenen zugunsten der Attraktivität zukünftiger Optionen.
Eine der vornehmsten Aufgaben katholischer Intellektualität bestünde somit darin, Mangelerfahrungen im säkularen Kontext anzusprechen, den Stachel für dessen Inszenierungen, Torheiten und Gefahren wach zu halten, mögen diese sich auch als Systemzwänge tarnen. Hier eröffnet sich ein weites Feld. In einer Zeit vorgegebener Sprachregelungen erinnert der katholische Intellektuelle gern auch an vom Aussterben bedrohte Wörter, an Denkformen, die keinen Platz mehr haben in dem, was man „Diskurs“ nennt und oft nichts anderes meint als das, wonach man sich gefälligst zu richten hat, wenn man mitreden möchte. Gerade weil er gläubig zu sein versucht, bleibt er den innerweltlichen Verheißungen gegenüber skeptisch. Er widerspricht der Hegemonie eines naiven Bio-, Psycho- oder Soziozentrismus, einer Reduktion des Menschen, die parallel läuft zu dem Anspruch auf Verfügbarkeit über dessen Natur. Hingegen hält er fest an einer Vorstellung der menschlichen Person, die offen ist für die Transzendenz. Aufzuklären wäre das Selbstmissverständnis der Moderne, sie sei die Religion losgeworden. Noch in der Verweigerung hält sie, in Form von Surrogaten, vielmehr an ihr fest.
Eher kritisch verhält sich katholische Intellektualität angesichts einer alles zulassenden und nichts (oder wenig) mehr ernst nehmenden Gesellschaft. Andererseits speist sich aus dem Widerwillen dagegen manchmal auch eine über den Distinktionsgewinn verweigerter Zeitgenossenschaft weit hinausgehende Verlockung durch scheinbar geordnete Verhältnisse mit klaren Regeln, in denen die verantwortete menschliche Freiheit wenig gilt. Hier wird dann als Markenzeichen des Katholizismus vor allem das betont, was ihn von der säkularen Welt unterscheiden soll – Autorität und Gehorsam nicht zuletzt –, aufgrund dessen man ihn in klarer Gegnerschaft zu dieser aufstellen möchte, die angeblich durch Relativismus, Indifferentismus und liberalistische Dekadenz restlos verdorben sei. Ohnehin übt die Geschlossenheit von Dogmengebäuden als Garant einer intransingent kämpferischen Bollwerk-Kirche auf manche katholische Intellektuelle seit dem frühen 19. Jahrhundert eine größere Faszination aus als Person und Botschaft Jesu. Doch natürlich kann man keine ungebrochene Kontinuität behaupten (wollen) zwischen Zeiten, in denen allein der „Wahrheit“ Daseinsberechtigung zugestanden wurde, und solchen des Einverständnisses mit einem demokratischen Rechtsstaat, der unterschiedliche Überzeugungen schützt. Allein der Eindruck von Grauzonen in dieser Hinsicht wäre verheerend. Die große Mehrheit katholischer Intellektueller indes weiß, dass die Moderne nicht einfach eine Verfallsgeschichte beschreibt, sondern gerade den Religionen vielfache Möglichkeiten bietet, auch zum Bedenken in eigener Sache.
Die Verteidigung der Prinzipien vernünftiger Selbstbestimmung des Individuums und einer unter dem Anspruch der Gerechtigkeit stehenden offenen Gesellschaft aber ist nicht blind den Widersprüchen und „Entgleisungen“25 der westlichen Moderne gegenüber. In allgemeinen Manifestationen des Ungenügens erschöpft sich diese Haltung nicht. Vielmehr mobilisiert sie – um nur diese Aspekte aus einer üppig bestückten Agenda herauszugreifen – Widerstandspotenziale und entfaltet eine dissidente wie auf pragmatisches Handeln abzielende Kraft im Einspruch gegen die Totalkapitalisierung des Lebens mit ihren Verwerfungen. Für Religion grundsätzlich gilt, dass sie von einem „Jenseits des Funktionierens“ nicht zu trennen ist.26
Somit erwiese sich katholische Intellektualität als ein komplexes Differenzierungsprogramm. Ihre Vertreter wären wesentlich Anwälte einer besonnenen Moderne. Sie trügen zur Entmythologisierung wahnhafter Anteile bei, in denen die Idee der Moderne jene zur Eigenkorrektur begabte Grundierung aufgibt, aus der Leszek Kolakowski listig ihren Vorrang abgeleitet hat: Niemals außer Acht lassen dürfe die Moderne folglich „ihre Fähigkeit, sich selbst in Frage zu stellen, aus ihrer Ausschließlichkeit herauszutreten“27.
Zum Schluss sei kurz noch ein höchst privater Traum vom Intellektuellen gestattet. Zumal im Falle seiner katholischen Herkunft sollte das eingangs erwähnte Zwitterwesen über Ironie verfügen – weil es demütig ist, und nicht überlegenheitsstolz (was zu religiösen Menschen ohnehin nie passt). Gerade bei dem katholischen Intellektuellen handelt es sich doch weit eher um einen Narren als um einen clerc (nach der klassischen Bezeichnung Julien Bendas).28 Mit der pathetischen Geste hält er sich zurück, und wenn er sie hin und wieder doch gebraucht, trübt dies nicht seinen Sinn für Selbstrelativierungen – keineswegs nur aus dem Bewusstsein eines Lebens im Paradox. Demütig aber ist dieser Intellektuelle, weil er immer mit der eigenen Fehlbarkeit rechnet, damit, dass die eigene Einlassung unvollständig oder irrtumsanfällig sein könnte.
(Selbst-)Ironie als Mittel gegen die Versuchung zur Rechthaberei wie gegen den Leidensdruck. Dafür hätte man freilich den ehrwürdigsten aller Ahnherren auf seiner Seite. Erasmus von Rotterdam, die überragende Leitfigur der neuzeitlichen Intellektuellen, als die Ralf Dahrendorf ihn unlängst gefeiert hat, ist ja zugleich der Prototyp ihrer katholischen Ausprägung – und dies, obwohl er der kirchlichen Tradition nie ganz geheuer war. Warum sollte man ihn nur dem Rekonstruktionsbedürfnis „des modernen liberalen Geistes“ überlassen?29 Ausgerechnet ihn, der für ein an der Vernunft, der Würde und Freiheit des Menschen orientiertes Humanitätsideal ebenso plädierte wie für dessen Unterfütterung durch christozentrische Frömmigkeit? Ihn, der „mehr Kritiker als Prophet“ sein wollte, doch daneben schreiben konnte, „was nur zum Lachen reizt“, und sich nicht allein in den knollennasigen Selbstkarikaturen am Rand seiner Briefe verspottete? Aus diesem augenzwinkernden Ernst müssen wir auch begreifen, was er 1526 in seinem „Hyperaspistes“ schrieb: „Von der katholischen Kirche bin ich nie abgefallen. (...) Man trägt die Übel leichter, die man gewohnt ist. Darum ertrage ich diese Kirche, bis ich eine bessere sehen werde, und sie ist wohl genötigt, auch mich zu ertragen, bis ich selbst besser geworden bin.“30 So sollten der Intellektuelle und die Gemeinschaft seines Glaubens wechselseitig Geduld miteinander haben, auch wenn man sich nicht immer versteht.