Kitabı oku: «Psycho im Märchenwald», sayfa 3
Frösche sind die besseren Arbeitgeber
Ein seltsames Märchen, oder? Ein Mädchen aus gutem Haus spielt mit ihrem überteuerten Spielzeug, lässt es fallen, geht auf einen Vertrag ein, den es nicht erfüllen will, aber schließlich muss. Als die Königstochter, die auch noch wunderschön ist, dann versucht den Frosch zu töten, kriegt sie dafür einen Prinzen und alle sind zufrieden.
Und jetzt warten Sie, lieber Leser, auf die elaborierte psychologische Deutung, und ich frage mich, ob es eine gute Idee war, gerade mit diesem Märchen zu beginnen. Aber gut. Hier sind wir nun, fangen wir an.
Zunächst einmal haben wir hier eine junge Dame, die offensichtlich weder besonders aufrichtig ist, noch in der Lage ist zu übersehen, was sie da eigentlich gerade vereinbart, als sie dem Froschkönig einwilligt ihre Nähe zu schenken. Man kann hier erkennen, dass für den Menschen, und auch für einen in einen Frosch verwandelten Menschen, soziale Werte, Nähe und letztlich wohl auch Sex, unterm Strich wichtiger und wertvoller sind als materielle Werte. Eigentlich ist dies auch die Hauptlehre, die die Königstochter aus dem Ganzen ziehen musste. Zwar war sie in der Lage Kleider, Perlen und Edelsteine ohne weiteres herzugeben, doch nicht ihre Nähe.
Zu Beginn des Märchens zeigt sich auch (scheinbar) eine Überlegenheit des unehrlich egoistisch Handelnden (Prinzessin) gegenüber dem ehrlich Verträge Aushandelnden (Frosch). Allerdings: vom Ende des Märchens her geschaut, muss man sich die Frage stellen, ob die Wertung so herum richtig ist. Denn der Froschkönig gibt ja zu, gewusst zu haben, dass er nur von eben jener Königstochter auf jene Bestimmung, Art und Weise, entzaubert werden kann.1 Hat der Frosch also alles ganz gezielt manipuliert? Diese Frage bleibt letztlich philosophisch.
Klar ist aber, dass die Prinzessin ihren zukünftigen Gatten fast hätte an sich vorbei ziehen lassen, wenn ihr Vater nicht gewesen wäre. Wir treffen hier auf das klassisch patriachale Motiv eines Königs, der gerecht ist und zudem auch weiß, was gut für seine Tochter ist. Aus unserer heutigen Sicht hat diese Szene etwas verstörendes. Nun gut, Verträge sind zu halten – dies ist bis heute eine der Grundlagen unseres Zusammenlebens, auch dann wenn sie einer Vertragspartei nicht mehr gefallen. Aber dass ein Vater seine Tochter dazu zwingt einen ihr widerwärtig erscheinenden Partner, hier: einen Frosch, ins Bett zu nehmen, und ja, das Ganze hat definitiv einen sexuellen Kontext, ist für uns heute eine Undenkbarkeit. Interessant ist dann aber die Wendung, die das Ganze nimmt, denn gerade weil die Königstochter den „kalten Frosch“ nicht in ihrem „reinen Bettlein“ duldet, und sie ihn eben gegen die Wand schleudert, erhält sie ihren Traumpartner. Allerdings wissen wir eigentlich nicht, was dieser Froschkönig eigentlich für ein Typ ist. Erst die Ausführungen zu seinem treuen Diener Heinrich lassen uns verstehen, dass er wohl ein Guter ist. Dies ist übrigens ein bekanntes Phänomen in der Sozialpsychologie: von Menschen in meinem Umfeld schließen Dritte auf mich, egal ob zu Recht oder zu Unrecht. Außerdem zeigt es aus arbeitspsychologischer Sicht, welchen großen Vorteil es hat, ein guter Arbeitgeber zu sein, denn wäre der Froschkönig nicht einst, vor seiner Verzauberung, so gut zu Heinrich gewesen, so wäre dieser wohl kaum in solcher Sorge gewesen, dass er sich hätte „eiserne Bande“ ums Herz machen müssen, die uns wiederum zeigen, was für eine gute Partie der Königssohn ist.
Absprachen sind also einzuhalten, verletzen diese jedoch etwas, was wir in unserer Gesellschaft „die guten Sitten“ nennen, so wird man dafür belohnt, wenn man diese doch bricht. Dies wird dann auch von den Autoritäten, hier dann dem Königsvater als Richter, gutgeheißen.
Sie werden mir zustimmen, dass das Verfügen eines Vaters über das Sexualleben seiner Tochter heute nicht mehr in der Form wünschenswert erscheint, dass er einer Tochter den (Bei)Schlaf mit irgendwem anordnet. Vielmehr erwarten wir heute eine schützende Haltung, zumal bei einem Mädchen, das bereit ist, buchstäblich alles zu versprechen und zuzusagen, damit sie eine goldene Kugel wieder erhält, die sie dann zu ihrer Freude hoch in die Luft wirft und wieder auffängt; ein Spiel das man eigentlich weniger bei einer reifen Königstochter erwarten würde.
Kehren wir aber noch einmal zu dem Aspekt zurück, wie eigentlich unser Froschkönig moralisch zu werten ist. Die Einleitung der Geschichte betont, wie leuchtend schön die Königstochter ist und dass der Brunnen im großen dunklen Wald liege. Ein Tiefenpsychologe hätte unglaublich viel Spaß an dieser Stelle. Das bin ich aber nicht2. Ich halte aber trotzdem fest, dass dunkel das Gegenteil von hell, und eher negativ besetzt ist. Und eben dort ist der Brunnen. Kann dieser Brunnen überhaupt etwas Gutes bergen? Gutes im Schlechten? Ist der Froschkönig dorthin verbannt worden, weil die Hexe, die ihn verzaubert hat, böse war, oder weil das was er getan hat, böse war, oder weil er die Prinzessin vor dem Bösen schützen soll? Das bleibt letztlich offen, wobei wir wieder sehr dankbar sein können, von dem treuen Heinrich zu hören, der immerhin Zweifel an der Ehrbarkeit seines Herren wegwischt. Aber wieso hat eigentlich der Vater der Tochter das Spielen in eben jenem Wald erlaubt?
Letztlich ist aus unserer heutigen Sicht das Märchen nicht mehr so einfach deutbar: jeder der drei Hauptcharaktere hat seine guten und schlechten Seiten. Eine einfach Moral oder Schlussfolgerung ist nicht ohne weiteres möglich. Wir sehen, dass sich die Vorstellungen zu Gehorsam, Sexualität und Ethik in unserer Gesellschaft weiter entwickelt haben, sich aber einige Aspekte trotzdem erhalten haben, nämlich die grundsätzliche Treue zu Verträgen und das Recht gar zu großes Unrecht auch dann anprangern zu dürfen, selbst wenn es gesetzlich in Ordnung erscheint.
Oder um es pathetisch zu sagen: wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zum persönlichen Recht.3 Und diese Message wiederum ist bis heute in vielen unserer Gesetzen zu erkennen, denn wahrscheinlich würde ein Jurist die Handlung der Königstochter als Notwehr interpretieren – und die ist straffrei und legitim.
2. Brüderchen und Schwesterchen
rüderchen nahm sein Schwesterchen an der Hand und sprach „seit die Mutter todt ist, haben wir keine gute Stunde mehr; die Stiefmutter schlägt uns alle Tage, und wenn wir zu ihr kommen, stößt sie uns mit den Füßen fort. Die harten Brotkrusten, die übrig bleiben, sind unsere Speise, und dem Hündlein unter dem Tisch gehts besser: dem wirft sie doch manchmal einen guten Bissen zu. Daß Gott erbarm, wenn das unsere Mutter wüßte! Komm, wir wollen miteinander in die weite Welt gehen.“ Sie giengen den ganzen Tag über Wiesen, Felder und Steine, und wenn es regnete, sprach das Schwesterchen „Gott und unsere Herzen die weinen zusammen!“ Abends kamen sie in einen großen Wald und waren so müde von Jammer, Hunger und dem langen Weg, daß sie sich in einen hohlen Baum setzten und einschliefen.
Am andern Morgen, als sie aufwachten, stand die Sonne schon hoch am Himmel und schien heiß in den Baum hinein. Da sprach das Brüderchen „Schwesterchen, mich dürstet, wenn ich ein Brünnlein wüßte, ich gieng und tränk einmal; ich mein, ich hört eins rauschen.“ Brüderchen stand auf, nahm Schwesterchen an der Hand, und sie wollten das Brünnlein suchen. Die böse Stiefmutter aber war eine Hexe und hatte wohl gesehen wie die beiden Kinder fortgegangen waren, war ihnen nachgeschlichen, heimlich, wie die Hexen schleichen, und hatte alle Brunnen im Walde verwünscht. Als sie nun ein Brünnlein fanden, das so glitzerig über die Steine sprang, wollte das Brüderchen daraus trinken: aber das Schwesterchen hörte wie es im Rauschen sprach „wer aus mir trinkt, wird ein Tiger: wer aus mir trinkt, wird ein Tiger.“ Da rief das Schwesterchen „ich bitte dich, Brüderchen, trink nicht, sonst wirst du ein wildes Thier und zerreißest mich.“ Das Brüderchen trank nicht, ob es gleich so großen Durst hatte, und sprach „ich will warten bis zur nächsten Quelle.“ Als sie zum zweiten Brünnlein kamen, hörte das Schwesterchen wie auch dieses sprach „wer aus mir trinkt, wird ein Wolf: wer aus mir trinkt, wird ein Wolf.“ Da rief das Schwesterchen „Brüderchen, ich bitte dich, trink nicht, sonst wirst du ein Wolf und frissest mich.“ Das Brüderchen trank nicht und sprach „ich will warten, bis wir zur nächsten Quelle kommen, aber dann muß ich trinken, du magst sagen, was du willst: mein Durst ist gar zu groß.“ Und als sie zum dritten Brünnlein kamen, hörte das Schwesterlein, wie es im Rauschen sprach „wer aus mir trinkt, wird ein Reh: wer aus mir trinkt, wird ein Reh.“ Das Schwesterchen sprach „ach Brüderchen, ich bitte dich, trink nicht, sonst wirst du ein Reh und läufst mir fort.“ Aber das Brüderchen hatte sich gleich beim Brünnlein nieder geknieet, hinab gebeugt und von dem Wasser getrunken, und wie die ersten Tropfen auf seine Lippen gekommen waren, lag es da als ein Rehkälbchen.
Nun weinte das Schwesterchen über das arme verwünschte Brüderchen, und das Rehchen weinte auch und saß so traurig neben ihm. Da sprach das Mädchen endlich „sei still, liebes Rehchen, ich will dich ja nimmermehr verlassen.“ Dann band es sein goldenes Strumpfband ab und that es dem Rehchen um den Hals, und rupfte Binsen und flocht ein weiches Seil daraus. Daran band es das Thierchen und führte es weiter, und gieng immer tiefer in den Wald hinein. Und als sie lange lange gegangen waren, kamen sie endlich an ein kleines Haus, und das Mädchen schaute hinein, und weil es leer war, dachte es „hier können wir bleiben und wohnen.“ Da suchte es dem Rehchen Laub und Moos zu einem weichen Lager, und jeden Morgen gieng es aus und sammelte sich Wurzeln, Beeren und Nüsse, und für das Rehchen brachte es zartes Gras mit, das fraß es ihm aus der Hand, war vergnügt und spielte vor ihm herum. Abends wenn Schwesterchen müde war und sein Gebet gesagt hatte, legte es seinen Kopf auf den Rücken des Rehkälbchens, das war sein Kissen, darauf es sanft einschlief. Und hätte das Brüderchen nur seine menschliche Gestalt gehabt, es wäre ein herrliches Leben gewesen.
Das dauerte eine Zeitlang, daß sie so allein in der Wildnis waren. Es trug sich aber zu, daß der König des Landes eine große Jagd in dem Wald hielt. Da schallte das Hörnerblasen, Hundegebell und das lustige Geschrei der Jäger durch die Bäume, und das Rehlein hörte es und wäre gar zu gerne dabei gewesen. „Ach,“ sprach es zum Schwesterlein, „laß mich hinaus in die Jagd, ich kanns nicht länger mehr aushalten,“ und bat so lange, bis es einwilligte. „Aber,“ sprach es zu ihm, „komm mir ja Abends wieder, vor den wilden Jägern schließ ich mein Thürlein; und damit ich dich kenne, so klopf und sprich mein Schwesterlein, laß mich herein: und wenn du nicht so sprichst, so schließ ich mein Thürlein nicht auf.“ Nun sprang das Rehchen hinaus, und war ihm so wohl und war so lustig in freier Luft. Der König und seine Jäger sahen das schöne Thier und setzten ihm nach, aber sie konnten es nicht einholen, und wenn sie meinten, sie hätten es gewiß, da sprang es über das Gebüsch weg und war verschwunden. Als es dunkel ward, lief es zu dem Häuschen, klopfte und sprach „mein Schwesterlein, laß mich herein.“ Da ward ihm die kleine Thür aufgethan, es sprang hinein und ruhete sich die ganze Nacht auf seinem weichen Lager aus. Am andern Morgen gieng die Jagd von neuem an, und als das Rehlein wieder das Hüfthorn hörte und das ho, ho! der Jäger, da hatte es keine Ruhe, und sprach „Schwesterchen, mach mir auf, ich muß hinaus.“ Das Schwesterchen öffnete ihm die Thüre und sprach „aber zu Abend mußt du wieder da sein und dein Sprüchlein sagen.“ Als der König und seine Jäger das Rehlein mit dem goldenen Halsband wieder sahen, jagten sie ihm alle nach, aber es war ihnen zu schnell und behend. Das währte den ganzen Tag, endlich aber hatten es die Jäger Abends umzingelt, und einer verwundete es ein wenig am Fuß, so daß es hinken mußte und langsam fortlief. Da schlich ihm ein Jäger nach bis zu dem Häuschen und hörte wie es rief „mein Schwesterlein, laß mich herein,“ und sah daß die Thür ihm aufgethan und alsbald wieder zugeschlossen ward. Der Jäger behielt das alles wohl im Sinn, gieng zum König und erzählte ihm was er gesehen und gehört hatte. Da sprach der König „morgen soll noch einmal gejagt werden.“
Das Schwesterchen aber erschrack gewaltig, als es sah daß sein Rehkälbchen verwundet war. Es wusch ihm das Blut ab, legte Kräuter auf und sprach „geh auf dein Lager, lieb Rehchen, daß du wieder heil wirst.“ Die Wunde aber war so gering, daß das Rehchen am Morgen nichts mehr davon spürte. Und als es die Jagdlust wieder draußen hörte, sprach es „ich kanns nicht aushalten, ich muß dabei sein; so bald soll mich keiner kriegen.“ Das Schwesterchen weinte und sprach „nun werden sie dich tödten, und ich bin hier allein im Wald und bin verlassen von aller Welt: ich laß dich nicht hinaus.“ „So sterb ich dir hier vor Betrübnis,“ antwortete das Rehchen, „wenn ich das Hüfthorn höre, so mein ich, ich müßt aus den Schuhen springen!“ Da konnte das Schwesterchen nicht anders und schloß ihm mit schwerem Herzen die Thür auf, und das Rehchen sprang gesund und fröhlich in den Wald. Als es der König erblickte, sprach er zu seinen Jägern „nun jagt ihm nach den ganzen Tag bis in die Nacht, aber daß ihm keiner etwas zu Leide thut.“ Sobald die Sonne untergegangen war, sprach der König zum Jäger „nun komm und zeige mir das Waldhäuschen.“ Und als er vor dem Thürlein war, klopfte er an und rief „lieb Schwesterlein, laß mich herein.“ Da gieng die Thür auf, und der König trat herein, und da stand ein Mädchen, das war so schön wie er noch keins gesehen hatte. Das Mädchen erschrack als es sah daß nicht sein Rehlein sondern ein Mann herein kam, der eine goldene Krone auf dem Haupt hatte. Aber der König sah es freundlich an, reichte ihm die Hand und sprach „willst du mit mir gehen auf mein Schloß und meine liebe Frau sein?“ „Ach ja,“ antwortete das Mädchen, „aber das Rehchen muß auch mit, das verlaß ich nicht.“ Sprach der König „es soll bei dir bleiben, so lange du lebst, und soll ihm an nichts fehlen.“ Indem kam es hereingesprungen, da band es das Schwesterchen wieder an das Binsenseil, nahm es selbst in die Hand und gieng mit ihm aus dem Waldhäuschen fort.
Der König nahm das schöne Mädchen auf sein Pferd und führte es in sein Schloß, wo die Hochzeit mit großer Pracht gefeiert wurde, und war es nun die Frau Königin, und lebten sie lange Zeit vergnügt zusammen; das Rehlein ward gehegt und gepflegt und sprang in dem Schloßgarten herum. Die böse Stiefmutter aber, um derentwillen die Kinder in die Welt hineingegangen waren, die meinte nicht anders als Schwesterchen wäre von den wilden Thieren im Walde zerrissen worden und Brüderchen als ein Rehkalb von den Jägern todt geschossen. Als sie nun hörte daß sie so glücklich waren, und es ihnen so wohl gieng, da wurden Neid und Mißgunst in ihrem Herzen rege und ließen ihr keine Ruhe, und sie hatte keinen andern Gedanken, als wie sie die beiden doch noch ins Unglück bringen könnte. Ihre rechte Tochter, die häßlich war wie die Nacht, und nur ein Auge hatte, die machte ihr Vorwürfe und sprach „eine Königin zu werden, das Glück hätte mir gebührt.“ „Sei nur still,“ sagte die Alte und sprach sie zufrieden, „wenns Zeit ist, will ich schon bei der Hand sein.“ Als nun die Zeit heran gerückt war, und die Königin ein schönes Knäblein zur Welt gebracht hatte, und der König gerade auf der Jagd war, nahm die alte Hexe die Gestalt der Kammerfrau an, trat in die Stube, wo die Königin lag und sprach zu der Kranken „kommt, das Bad ist fertig, das wird euch wohlthun und frische Kräfte geben: geschwind, eh es kalt wird.“ Ihre Tochter war auch bei der Hand, sie trugen die schwache Königin in die Badstube und legten sie in die Wanne: dann schlossen sie die Thür ab und liefen davon. In der Badstube aber hatten sie ein rechtes Höllenfeuer angemacht, daß die schöne junge Königin bald ersticken mußte.
Als das vollbracht war, nahm die Alte ihre Tochter, setzte ihr eine Haube auf, und legte sie ins Bett an der Königin Stelle. Sie gab ihr auch die Gestalt und das Ansehen der Königin, nur das verlorene Auge konnte sie ihr nicht wieder geben. Damit es aber der König nicht merkte, mußte sie sich auf die Seite legen, wo sie kein Auge hatte. Am Abend, als er heim kam und hörte daß ihm ein Söhnlein geboren war, freute er sich herzlich, und wollte ans Bett seiner lieben Frau gehen und sehen was sie machte. Da rief die Alte geschwind „bei Leibe, laßt die Vorhänge zu, die Königin darf noch nicht ins Licht sehen und muß Ruhe haben.“ Der König gieng zurück und wußte nicht daß eine falsche Königin im Bette lag.
Als es aber Mitternacht war und alles schlief, da sah die Kinderfrau, die in der Kinderstube neben der Wiege saß und allein noch wachte, wie die Thüre aufgieng, und die rechte Königin herein trat. Sie nahm das Kind aus der Wiege, legte es in ihren Arm und gab ihm zu trinken. Dann schüttelte sie ihm sein Kißchen, legte es wieder hinein und deckte es mit dem Deckbettchen zu. Sie vergaß aber auch das Rehchen nicht, gieng in die Ecke, wo es lag, und streichelte ihm über den Rücken. Darauf gieng sie ganz stillschweigend wieder zur Thüre hinaus, und die Kinderfrau fragte am andern Morgen die Wächter ob jemand während der Nacht ins Schloß gegangen wäre, aber sie antworteten „nein, wir haben niemand gesehen.“ So kam sie viele Nächte und sprach niemals ein Wort dabei; die Kinderfrau sah sie immer, aber sie getraute sich nicht jemand etwas davon zu sagen.
Als nun so eine Zeit verflossen war, da hub die Königin in der Nacht an zu reden und sprach
„was macht mein Kind? was macht mein Reh?
Nun komm ich noch zweimal und dann nimmermehr.“
Die Kinderfrau antwortete ihr nicht, aber als sie wieder verschwunden war, gieng sie zum König und erzählte ihm alles. Sprach der König „Ach Gott, was ist das! ich will in der nächsten Nacht bei dem Kinde wachen.“ Abends gieng er in die Kinderstube, aber um Mitternacht erschien die Königin wieder und sprach
„was macht mein Kind? was macht mein Reh?
Nun komm ich noch einmal und dann nimmermehr.“
Und pflegte dann des Kindes, wie sie gewöhnlich that, ehe sie verschwand. Der König getraute sich nicht sie anzureden, aber er wachte auch in der folgenden Nacht. Sie sprach abermals
„was macht mein Kind? was macht mein Reh?
Nun komm ich noch diesmal und dann nimmermehr.“
Da konnte sich der König nicht zurückhalten, sprang zu ihr und sprach „du kannst niemand anders sein, als meine liebe Frau.“ Da antwortete sie „ja, ich bin deine liebe Frau,“ und hatte in dem Augenblick durch Gottes Gnade das Leben wieder erhalten, war frisch, roth und gesund. Darauf erzählte sie dem König den Frevel, den die böse Hexe und ihre Tochter an ihr verübt hatten. Der König ließ beide vor Gericht führen, und es ward ihnen das Urtheil gesprochen. Die Tochter ward in Wald geführt, wo sie die wilden Thiere zerrissen, die Hexe aber ward ins Feuer gelegt und mußte jammervoll verbrennen. Und wie sie zu Asche verbrannt war, verwandelte sich das Rehkälbchen und erhielt seine menschliche Gestalt wieder; Schwesterchen und Brüderchen aber lebten glücklich zusammen bis an ihr Ende.
„Frommes Schwesterchen“ versus „böse Hexe“
Im Märchen BRÜDERCHEN UND SCHWESTERCHEN, der Nummer 11 der Kinder- und Hausmärchen, haben wir es wieder mit einem Zaubermärchen der Gruppe „Übernatürliche oder verzauberte Verwandte“ (ATU 450) zu tun.
In den Anmerkungen geben die Brüder Grimm zwei Erzählungen „aus den Maingegenden, die sich vervollständigen“ als Quellen an. Ebenfalls in den Anmerkungen enthalten ist eine Variante, die von Hans Rudolf (von) Schröter (1798-1842) beigesteuert wurde. Schröter war ein in Hannover geborener Bibliothekar und Altertumsforscher, der sich besonders um die großherzogliche Altertumssammlung in Ludwigslust verdient machte.
In dieser Erzählung wird auch das Schwesterchen von der Stiefmutter verwandelt, in eine Ente nämlich. Es entspinnt sich ein Dialog in Versform zwischen den Geschwistern – Brüderchen möchte errettet werden, Schwesterchen bittet um Geduld. Auch nach den Lieben fragt das verzauberte Mädchen in Form eines Verses. In der Küche spricht es zum Koch die Worte:
„Was machen meine Mädchen, spinnen sie noch?
Was macht mein Glöckchen, klingt es noch?
Was macht mein kleiner Sohn, lacht er noch?“
Der Koch antwortet:
„Deine Mädchen spinnen nicht mehr,
dein Glöckchen klingt nicht mehr,
dein kleiner Sohn weint allzusehr.“
Auffällig ist in diesem Märchen der häufige Bezug zur Frömmigkeit in der Figur des Schwesterchens, das einen starken Gegenpol zur bösen Stiefmutter darstellt. Vergleicht man die Fassungen der Ausgaben von 1812 und 1857, sieht man, dass dieser Gegensatz im Laufe der Zeit von Wilhelm Grimm noch stärker herausgearbeitet wurde (in der ersten Ausgabe beruft sich Schwesterchen nur zu Beginn auf Gott).
Die Stiefmutter ist in der späteren Version noch wesentlich „hexenartiger“ dargestellt, als in der von 1812. Sie geht den Kindern nicht mehr bloß nach, sondern schleicht, wie Hexen es tun und schafft nicht mehr nur eine verwunschene Quelle, sondern verwünscht gleich sämtliche Quellen im Wald.
Ihr und der hässlichen Tochter wird in der Fassung von 1857 mehr Raum gegeben. Das Ende der beiden Bösewichte ist allerdings in beiden Versionen gleich.
Die Fassung des Märchens in der ersten Ausgabe der KHM ist wesentlich rudimentärer. Brüderchen trinkt gleich von der einen Quelle, die die Stiefmutter hergezaubert hat und wird verwandelt und der König stößt auf der Jagd schlicht auf Mädchen und Reh, die im Wald in einer Höhle leben und nimmt beide mit.
Die Jagdepisode scheint, laut den Anmerkungen einer der beiden zugrundeliegenden Erzählungen gefehlt zu haben. Die drei Quellen, die Brüderchen in unterschiedliche Tiere zu verwandeln drohen, sind als Motiv im Anhang zur Ausgabe von 1812 zu finden, mit dem Hinweis, das diese Geschichte nur als Fragment bekannt sei.
Auch an diesem Märchen kann man die Bearbeitungsschritte der Märchensammler gut ablesen, die nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich erst den Kanon und die Erzählungen geschaffen haben, die uns heute als so selbstverständlich erscheinen.