Kitabı oku: «Kartell Compliance», sayfa 25
B. Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
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Die wesentlichen Anknüpfungspunkte des Missbrauchsverbots sind das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung (I.) sowie der Missbrauch dieser Stellung (II.).
I. Marktbeherrschende Stellung
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Unter einer beherrschenden Stellung wird nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH „die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens […]“ verstanden, „die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern […].“[7] In Übereinstimmung damit findet sich im deutschen Recht eine Definition, wonach gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1–3 GWB Unternehmen als marktbeherrschend zu qualifizieren sind, die als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen auf dem sachlich und räumlich relevanten Markt entweder (1) ohne Wettbewerber sind, (2) sich keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt sehen oder (3) eine überragende Marktstellung im Verhältnis zu ihren Wettbewerbern besitzen. Sowohl im europäischen als auch im deutschen Recht wird damit die Marktbeherrschung an einen eng umgrenzten Markt gekoppelt. Es gilt damit das sog. Marktmachtkonzept, wonach sich wirtschaftliche Macht eines Unternehmens nur auf dem jeweiligen relevanten Markt bilden kann.[8] Die Feststellung einer beherrschenden Stellung erfordert also immer eine Marktabgrenzung, weil nur so festgestellt werden kann, ob das jeweilige Unternehmen auf dem Markt in einem hinreichenden Wettbewerb mit anderen Unternehmen steht oder ob es über einen vom Wettbewerb nicht mehr hinreichend kontrollierten Verhaltensspielraum verfügt. Erst nach erfolgter Marktabgrenzung kann in einem zweiten Schritt die Frage nach einer beherrschenden Stellung auf diesem Markt beantwortet werden.[9]
1. Abgrenzung des relevanten Marktes
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Die Marktabgrenzung erfolgt – sowohl im deutschen als auch im europäischen Recht – anhand sachlicher, räumlicher und zeitlicher Kriterien. Es handelt sich bei der Abgrenzung von Märkten, wie das allgemeine Wirtschaftsgeschehen, um einen dynamischen und steten Wandel ausgesetzten Bereich. Es ist daher zwingend, die aktuelle Praxis der Kartellbehörden und Gerichte im Blick zu haben. Die Marktabgrenzung hat auf den durch die Rechtsprechung entwickelten rechtlichen Kriterien zu beruhen und hat im Regelfall aus Sicht der Marktgegenseite zu erfolgen.[10] Deshalb ist bei der Marktabgrenzung streng zwischen Angebots- und Nachfragemärkten zu unterscheiden. Während es bei Angebotsmärkten auf die Sicht des Abnehmers ankommt, ist bei Nachfragemärkten die Sicht des Anbieters entscheidend.
a) Der sachlich relevante Markt
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Der sachlich relevante Markt bezieht sich auf Waren und gewerbliche Leistungen, die sich aufgrund ihrer Eigenschaften, ihres Verwendungszwecks sowie ihres Preises zur Befriedigung eines gleichbleibenden Bedarfs besonders eignen und mit anderen Waren bzw. Dienstleistungen nur in einem geringen Maße austauschbar sind.[11] Maßgeblich für die Austauschbarkeit ist, ob die Produkte aus Sicht der verständigen Marktgegenseite als für die Deckung eines bestimmten Bedarfs geeignet angesehen werden. Abweichende Präferenzen einiger Nachfragegruppen sind dabei unbeachtlich, entscheidend ist vielmehr die Sicht des überwiegenden Teils der Marktgegenseite. Mögliche Nachfragegruppen, auf deren Sichtweise es für die Bestimmung des zu befriedigenden Bedarfs ankommt, können beispielsweise private Verbraucher, gewerbliche Endkunden, Einzelhändler oder Großkunden sein.[12]
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Diese Form der Marktabgrenzung mit Hilfe des sog. Bedarfsmarktkonzepts ist nach Auffassung des BGH lediglich ein Hilfsmittel für die Feststellung, ob ein Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen marktbeherrschend, also keinem oder einem nur unwesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist. Ziel der Bestimmung des sachlich und räumlich relevanten Marktes müsse laut BGH die Ermittlung der Wettbewerbskräfte sein, denen sich die beteiligten Unternehmen zu stellen hätten. Die Marktabgrenzung ermögliche es, die missbräuchliche Ausnutzung nicht hinreichend vom Wettbewerb kontrollierter Handlungsspielräume zulasten Dritter zu unterbinden.[13] Das Bedarfsmarktkonzept ist daher nur als ein Modell zur Abbildung von Märkten anzusehen, welches im Einzelfall stets auf seine Plausibilität hin überprüft werden muss. Vorzunehmen ist eine zweckgebundene Anwendung, die im konkreten Einzelfall die relevanten Wettbewerbskräfte zu ermitteln hat.[14] Insbesondere bedarf das Bedarfsmarktkonzept dann einer Korrektur, wenn das Modell im Einzelfall nicht dazu geeignet ist, die Wettbewerbskräfte, denen ein Unternehmen ausgesetzt ist, genügend darzustellen, beispielsweise wenn der Warenstrom im Rahmen des Konzepts nicht zutreffend dargestellt wird.[15]
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Zur Feststellung der funktionalen Austauschbarkeit von Produkten und Dienstleistungen haben sich in Rechtsprechung und Literatur eine Vielzahl von Kriterien entwickelt. Dazu zählen unter anderem die Eigenschaft und Qualität, der Verwendungszweck, die Verfügbarkeit und der Preis.
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Besonderer Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Kreuzpreiselastizität zu. Danach wird eine geringe Preiserhöhung, die zur Wahl eines anderen Produktes führt, als Indiz dafür angesehen, dass beide Produkte dem gleichen Markt zuzuordnen sind. Dabei wird häufig der sog. SSNIP-Test („small but significant non-transitory increase in price“ – Test)[16] angewandt, wonach in die Betrachtung einbezogen wird, was bei einer dauerhaft kleinen, aber unwesentlichen Preiserhöhung bezüglich eines Produkts geschieht. Sofern die Nachfrage auf andere ähnliche Produkte ausweicht und der dadurch eintretende Absatzrückgang beim Ausgangsprodukt nicht mehr erträglich sein würde, werden die Ersatzprodukte in dem Maße in den relevanten Markt einbezogen, bis kleine dauerhafte Erhöhungen der Preise noch Gewinne für das Ausgangsprodukt versprächen.[17]
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In Rechtsprechung und Praxis ist anerkannt, dass es neben Produkt- auch besondere Handelsmärkte gibt, die durch Sortimente gekennzeichnet sind. So wird beispielsweise im Lebensmittelhandel der sachliche Markt als ein „Markt des Sortimentseinzelhandels mit Nahrungs- und Genussmitteln“ („Food“) begriffen, einschließlich der für diesen Bereich typischen Sortimentsteile an Wasch-, Putz-, Reinigungs- und Körperpflegemitteln („Non Food I“), während die nur gelegentlich vertriebenen Produkte des Randsortiments („Non Food II“) nicht hinzugerechnet werden.[18]
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Zusätzlich zur Abgrenzung allein aus Sicht der Nachfrager (sog. „Nachfragersubstitution“) berücksichtigen Kommission und EuGH bei der Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes teilweise auch den potenziellen Wettbewerb auf der Angebotsseite (sog. „Angebotssubstitution“). Dies ist insbesondere in Fällen relevant, in denen potenzielle Wettbewerber in Reaktion auf kleine, dauerhafte Preisänderungen in der Lage sind, ohne großen Aufwand ihre Produktion auf die relevanten Produkte umzustellen und sie ohne spürbare Zusatzkosten kurzfristig auf den Markt zu bringen.[19]
b) Der räumlich relevante Markt
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Der räumlich relevante Markt bezieht sich nicht etwa auf politische oder rechtliche Grenzen, maßgeblich sind vielmehr die Grenzen für Angebot und Nachfrage, die sich bei ökonomischer Betrachtung herausbilden. Dabei kommt es ähnlich wie beim sachlich relevanten Markt wiederum auf die funktionelle Austauschbarkeit aus Sicht des Nachfragers an. So erfasst der räumlich relevante Markt das Gebiet, in dem das betroffene Unternehmen wirksamem Wettbewerb durch Konkurrenten ausgesetzt ist, hinreichend homogene Wettbewerbsbedingungen herrschen und diese sich von benachbarten Gebieten spürbar unterscheiden.[20] Dabei stellt § 18 Abs. 2 ausdrücklich klar, dass der räumlich relevante Markt weiter sein kann als das Bundesgebiet.[21] Insbesondere die Globalisierungstendenzen und technischen Entwicklungen haben eine Ausweitung der Märkte bewirkt, sodass bestimmte Produkte EWR- bzw. weltweit nachgefragt werden. Andererseits kann ein Markt regional bzw. lokal begrenzt sein, wenn die Austauschmöglichkeiten für Nachfrager aus objektiven Gründen derart begrenzt sind. Ausschlaggebend dafür können zum Beispiel die Transportkosten, die Verderblichkeit oder die begrenzte Verarbeitungsfähigkeit bestimmter Güter sein.[22] Entscheidend bei der Abgrenzung ist das tatsächliche Nachfrageverhalten der Kunden. Damit sind an sich bestehende Bezugsalternativen dann nicht zu berücksichtigen, wenn sie von Nachfragern tatsächlich nicht oder kaum wahrgenommen werden.[23]
c) Der zeitlich relevante Markt
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Im Vergleich zur sachlichen und räumlichen Marktabgrenzung ist der zeitlich relevante Markt eher von geringer Bedeutung. Er wird in Ausnahmefällen ergänzend zur sachlichen und räumlichen Abgrenzung herangezogen, wenn es sich um Fälle handelt, die durch ein zeitlich begrenztes und unter Umständen saisonal wiederkehrendes Angebot gekennzeichnet sind. So bilden zum Beispiel Sportveranstaltungen, Volksfeste und Messen nur auf ihre Dauer begrenzte Märkte, auf denen ein Veranstalter marktbeherrschend sein könnte.[24] So kann sogar ein einzelnes Spitzen-Fußballspiel einen eigenen relevanten Markt bilden.[25]
d) Marktabgrenzung bei Unentgeltlichkeit der Leistung
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Der im Rahmen der 9. GWB-Novelle neu eingefügte § 18 Abs. 2a GWB stellt nunmehr für das deutsche Recht ausdrücklich klar, dass auch im Fall einer unentgeltlichen Leistungsbeziehung ein Markt vorliegen kann. Dies war bislang nicht abschließend geklärt.[26] Auch wenn dies bereits der Praxis von Bundeskartellamt und EU-Kommission entsprach,[27] sorgt die neue Regelung zumindest im deutschen Recht für eine Klarstellung und Rechtssicherheit.
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Die Annahme, einen Markt nicht von entgeltlichen Leistungsbeziehungen abhängig zu machen, beruht der Gesetzesbegründung zufolge auf der Marktdefinition aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive.[28] Danach ist ein Markt der Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen und damit eine Art der Austauschbeziehung gegeben ist. Vor diesem Hintergrund liegt ein Markt nicht nur dann vor, wenn für die angebotene Leistung eine Geldzahlung verlangt wird. Dies kann vielmehr auch der Fall sein, wenn bei der Transaktion kein Entgelt übertragen wird. Damit soll die neu aufgenommene Regelung Geschäftsmodelle erfassen, bei denen Leistungen ohne direkte monetäre Gegenleistung angeboten werden. Denn auch wenn eine Leistung unentgeltlich erbracht wird, können Angebot und Nachfrage vorliegen, die einen Teil des Marktgeschehens darstellen und die Wettbewerbsverhältnisse auf dem Markt beeinflussen können.[29]
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Dies betrifft insbesondere Sachverhalte, für die die ökonomische Wissenschaft die Bezeichnung zwei- bzw. mehrseitige Märkte geprägt hat. Diese mehrseitigen Märkte, die insbesondere im Kontext von Plattformen zu beobachten sind, sind dadurch gekennzeichnet, dass mehrere Marktteilnehmer durch jeweils wechselseitige Beziehungen miteinander verbunden sind. Dabei beeinflussen sich mindestens zwei unterscheidbare Nutzergruppen insoweit, als die Attraktivität der Plattform für die eine Nutzergruppe von der Anwesenheit und Größe der anderen Nutzergruppe abhängt.[30] Diese sog. indirekten Netzwerkeffekte findet man insbesondere im Rahmen von Geschäftsmodellen der sozialen Netzwerke wie etwa Facebook oder Instagram: Während die Plattform für die Mitglieder als eine Nutzergruppe grundsätzlich kostenlos ist, finanziert sich die Plattform insbesondere durch Werbeeinnahmen der gewerblichen Nutzergruppe (regelmäßig insbesondere durch Werbetreibende). Es kann daher für Unternehmen durchaus sinnvoll sein, im Rahmen bestimmter Leistungsbeziehungen auf die unmittelbare Erhebung eines Entgelts zu verzichten.[31]
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Entscheidend für die Annahme eines Marktes i.S.d. Marktmissbrauchskontrolle ist daher vielmehr, dass wirtschaftliche Motive und Erwerbszwecke verfolgt werden, was sich nach der Gesamtstrategie des Unternehmens beurteilt. Dafür reicht es im Bereich der Internetökonomie aus, dass der Betreiber einer Plattform seine Leistungen (z.B. Werbung) auf der anderen Seite der Plattform gegen Entgelt erbringt. Auch kann man von einer Gewinnerzielungsabsicht ausgehen, wenn ein Unternehmen zunächst möglichst hohe Nutzerzahlen erreichen will, bevor Entgelte erhoben werden oder das Unternehmen veräußert wird.[32]
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Der Wortlaut des neuen § 18 Abs. 2a GWB lässt offen, ob für die Annahme eines Marktes bei Unentgeltlichkeit der Leistung auch auf das Vorliegen einer konkreten Austauschbeziehung verzichtet werden kann. Nach der Gesetzesbegründung ist ein Markt aber gerade durch das Vorliegen einer Austauschbeziehung gekennzeichnet.[33] Hält man vor diesem Hintergrund an der Notwendigkeit einer Austauschbeziehung fest, so genügen nach der neuen Gesetzeslage als relevante Gegenleistungen auch unentgeltliche Leistungen im Rahmen des Austauschverhältnisses, so etwa wenn wirtschaftlich verwertbare Nutzerdaten oder Informationen preisgegeben werden.[34]
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Auch wenn eine vergleichbare Regelung im EU-Kartellrecht fehlt, hat die Kommission auch bei Marktabgrenzungen in Fällen unentgeltlicher Leistungsbeziehungen bereits Argumentationsmöglichkeiten zur Marktabgrenzung gefunden. Dabei konnte sie nicht wie üblich preisbasierte Methoden heranziehen. Im Google Shopping Verfahren bezog die Kommission daher beispielsweise Kriterien ein wie unter anderem allgemeine Marktbeobachtungen, Googles eingebrachte Informationen und Ergebnisse von Fragebögen. Dabei wurde vor allem auf fehlende nachfrage- und angebotsseitige Substituierbarkeit für die Internetsuche, zum Beispiel durch Drittwebseiten wie soziale Netzwerke, eingegangen.[35]
2. Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung
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Während der Begriff der marktbeherrschenden Stellung im nationalen Recht definiert ist (§ 18 Abs. 1 GWB), findet sich im europäischen Kartellrecht keine vergleichbare gesetzliche Regelung. Dennoch laufen beide Rechtssysteme weitgehend parallel. Gem. § 18 Abs. 1 GWB ist ein Unternehmen marktbeherrschend, wenn es als Anbieter oder Nachfrager auf dem relevanten Markt entweder ohne Wettbewerber oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Mitbewerbern überragende Marktstellung besitzt. In diesem Zusammenhang hat der nationale Gesetzgeber in § 18 Abs. 3 GWB versucht, durch eine beispielhafte Aufzählung von Merkmalen die überragende Marktstellung zu umreißen.
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Der EuGH definiert die marktbeherrschende Stellung i.S.d. Art. 102 AEUV als „die wirtschaftliche Machtstellung eines Unternehmens (…), die dieses in die Lage versetzt, die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und schließlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten.“[36] Nach Auffassung des EuGH ergibt sich das Vorliegen einer marktbeherrschenden Stellung dabei im allgemeinen aus dem Zusammentreffen mehrerer Faktoren, die jeweils für sich genommen nicht ausschlaggebend sein müssen.[37]
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Anders als im deutschen Recht ist weitere Tatbestandsvoraussetzung des Art. 102 AEUV, dass die beherrschende Stellung auf mindestens einem wesentlichen Teil des Unionsmarktes bestehen muss. Die Beurteilung der Wesentlichkeit erfolgt dabei unter Zugrundelegung der Relevanz des betreffenden Marktes für den Wettbewerb innerhalb der Union. Damit soll sichergestellt werden, dass das unionsrechtliche Missbrauchsverbot wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen nur auf solchen Märkten erfassen soll, deren Entwicklung für den Wettbewerb in der Union wichtig sind. Diese Unionsrelevanz bestimmt sich insbesondere nach seiner wirtschaftlichen Bedeutung für den Gesamtmarkt, wobei die Struktur des betreffenden Marktes, Größe und Umfang der Produktion sowie Umfang des Konsums zu berücksichtigen sind.[38]
a) Einzelmarktbeherrschung
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Sowohl § 18 Abs. 5 GWB als auch Art. 102 AEUV unterscheiden zwischen einer Einzelmarktbeherrschung sowie der kollektiven Marktbeherrschung. Bei der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens sind grundsätzlich alle konzernrechtlich sowie zu einer wettbewerblichen Einheit verbundenen Unternehmen einzubeziehen.[39] Verbundene Unternehmen in diesem Sinne fallen daher unter den Begriff der Einzelmarktbeherrschung, nicht etwa der kollektiven Marktbeherrschung.
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Während das GWB zwischen einer Monopol- bzw. einer Quasi-Monopolstellung (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB) sowie einer überragenden Marktstellung (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 GWB) unterscheidet, trifft Art. 102 AEUV keine Differenzierung im Bereich der Einzelmarktbeherrschung. Aber auch im deutschen Recht hat die Unterscheidung in der Praxis an Bedeutung verloren. Maßgeblich ist für alle Alternativen einer Einzelmarktbeherrschung eine Marktsituation, in der das Unternehmen über einen wettbewerblich nicht kontrollierten Verhaltensspielraum verfügt.[40] Dabei erfordert die Feststellung einer überragenden Marktstellung eine Gesamtbetrachtung aller für den betroffenen Markt bedeutsamen Wettbewerbsbedingungen.[41] Ein marktbeherrschendes Unternehmen besitzt die Fähigkeit, „die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem [seine Marktstellung] ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Konkurrenten, seinen Kunden und letztlich den Verbrauchern gegenüber in nennenswertem Umfang unabhängig zu verhalten.“[42]
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Die Marktbeherrschung ist eindeutig zu bejahen, wenn das Unternehmen das einzige auf dem Markt tätige Unternehmen ist und damit eine Monopolstellung hat.[43] Dabei schließen auch gesetzlich begründete Monopole oder Wettbewerbsbeschränkungen die Marktbeherrschung nicht aus.[44]
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Auch bei einem Quasi-Monopol ist eine Marktbeherrschung leicht zu ermitteln. Davon spricht das Gesetz in § 18 Abs. 1 Nr. 2 GWB bei Unternehmen, die in einem relevanten Markt „keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt“ sind. Dabei orientiert sich die europäische und nationale Rechtspraxis überwiegend an der Marktstellung des betroffenen Unternehmens mit besonderem Fokus auf seinen jeweiligen Marktanteil. Nach europäischer Rechtsprechung kann sich die Bedeutung der Marktanteile von einem zum anderen Markt durchaus unterscheiden. Das „dauerhafte Innehaben eines besonders hohen Marktanteils liefert jedoch – von außergewöhnlichen Umständen abgesehen – den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung.“[45] Während die deutsche Rechtsprechung für das Vorliegen einer Quasi-Monopolstellung einen Marktanteil von über 80 % verlangt,[46] geht aus der europäischen Rechtsprechung hervor, dass ein „Marktanteil von 70–80 % für sich genommen ein klares Indiz für eine beherrschende Stellung“ ist.[47]
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Neben diesen sehr eindeutigen Fällen – sowohl nach nationalem als auch europäischem Kartellrecht – kann auch Unternehmen mit „nur“ einer überragenden Marktstellung eine marktbeherrschende Stellung zugesprochen werden. Dafür ist erforderlich, dass das betreffende Unternehmen gegenüber seinen Wettbewerbern besondere, vom Wettbewerb nicht mehr hinreichend kontrollierte Verhaltensspielräume hat und daher sein Marktverhalten unabhängig vom Verhalten seiner Wettbewerber festlegen kann. Bei der Bestimmung einer überragenden Marktstellung in diesem Sinne wird insbesondere die Marktstruktur und (ergänzend) das Marktverhalten des betreffenden Unternehmens berücksichtigt. Wichtigste Funktion kommt in diesem Zusammenhang dem Marktanteil des betreffenden Unternehmens und dessen Vergleich mit dem anderer Unternehmen zu. Während im europäischen Recht der Rechtsprechung zufolge „Marktanteile von mehr als 50 % besonders hohe Marktanteile“ darstellen und die Vermutung zulassen, dass eine beherrschende Stellung vorliegt,[48] geht das GWB darüber hinaus und normiert ausdrücklich bereits die Vermutung einer einzelmarktbeherrschenden Stellung ab einem Marktanteil von 40 % (§ 18 Abs. 4 GWB).
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Trotz der Vermutungsregelung des GWB gilt für die Behörden im Verwaltungsverfahren weiterhin der Amtsermittlungsgrundsatz. Die Vermutung bedeutet daher nicht, dass den Unternehmen die Darlegungslast durch Gesetz auferlegt wird. Die Vermutung greift aber jedenfalls dann, wenn nach Ausschöpfung aller Erkenntnismittel und entsprechender Würdigung Zweifel bestehen bleiben, ob eine marktbeherrschende Stellung auszuschließen oder anzunehmen ist. Das betroffene Unternehmen gilt dann – sofern ihm der Gegenbeweis nicht gelingt – als marktbeherrschendes Unternehmen.[49] Im Kartell-Zivilverfahren kommt der Vermutungsregelung nach herrschender Meinung hingegen lediglich eine Indizwirkung, jedoch keine Beweislastumkehr zu. Dennoch wirkt es sich in der Hinsicht aus, dass ein in Anspruch genommenes Unternehmen aufgrund der Vermutungsregel substantiiert darlegen muss, warum es trotz der – vom Anspruchssteller zu beweisenden – Erfüllung des Vermutungstatbestandes nicht marktbeherrschend ist. Im Bußgeldverfahren gilt die Vermutung nicht.[50]
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Weder im nationalen noch im europäischen Recht dürfen die Anteilsschwellen losgelöst von der allgemeinen Marktstruktur gesehen werden. So spielt bei der Untersuchung der Marktstellung eines Unternehmens neben dem absoluten Marktanteil, immer auch der relative Marktanteil eine entscheidende Rolle. Dabei ergibt sich die relative Größe des Marktanteils aus dem Abstand des betreffenden Unternehmens zu den übrigen auf dem relevanten Markt tätigen Unternehmen.[51] Insbesondere sind auch Stärke und Zahl der Wettbewerber auf dem Markt sowie die Verteilung der Marktanteile zwischen den übrigen Wettbewerbern zu berücksichtigen.[52] In diesem Zusammenhang kann entscheidend sein, wie der auf die übrigen Marktteilnehmer entfallende Marktanteil zersplittert ist. Auf dieser Grundlage kann auch einem Unternehmen mit geringeren Marktanteilen durchaus eine marktbeherrschende Stellung zukommen, wenn eine starke Zersplitterung der übrigen Marktteilnehmer mit nur sehr geringen Marktanteilen gegeben ist. Bei der Marktanteilsbestimmung muss die Entwicklung über einen längeren Zeitraum berücksichtigt werden.[53]
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Neben dem Kriterium des Marktanteils werden auch weitere Kriterien bei der Bestimmung einer marktbeherrschenden Stellung einbezogen. Dafür hat der Gesetzgeber in § 18 Abs. 3 GWB versucht, durch eine beispielhafte Aufzählung von unterschiedlichen Merkmalen die überragende Marktstellung zu umreißen. Zu diesen Merkmalen zählen neben dem Marktanteil die Finanzkraft, der Zugang zu den Beschaffungs- oder Absatzmärkten, die Verflechtung mit anderen Unternehmen sowie rechtliche oder tatsächliche Schranken für den Marktzutritt anderer Unternehmen, der tatsächliche oder potenzielle Wettbewerb, die Fähigkeit, sein Angebot oder seine Nachfrage auf andere Waren oder gewerbliche Leistungen umzustellen, sowie die Möglichkeit der Marktgegenseite, auf andere Unternehmen auszuweichen.[54]