Kitabı oku: «Fiskalstrafrecht», sayfa 6
Anmerkungen
[1]
Vgl. Hartung Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 1961, S. 11; ferner die Nachweise bei Hellmann FS Achenbach, S. 141 ff.; Joecks/Jäger/Randt/Joecks Einl. Rn. 2 f.; ausdrücklich anders aber bereits Barske/Gapp Steuerstrafrecht, 1959, S. 1: Das Steuerstrafrecht ist ein Teil des Strafrechts.
[2]
BVerfGE 22, 49, 73 ff.
[3]
Vgl. Baumann JZ 1972, 1 ff.; Tiedemann Gutachten, S. C 51 f.; hierzu eingehend Bülte Vorgesetztenverantwortlichkeit, S. 86 ff.
[4]
Zu diesen Begriffen Tiedemann FS Baumann, S. 7 ff.
[5]
Vgl. nur LK-StGB/Dannecker § 1 Rn. 149.
[6]
Vgl. Bülte in GS Joecks S. 365 ff.
[7]
Vgl. hierzu Bülte NStZ 2014, 680 ff.
[8]
Vgl. hierzu nur Fischer § 261 Rn. 5 ff.
[9]
Vgl. Rotsch/Bülte Criminal Compliance Handbuch, § 29 Rn. 16 ff.
[10]
Vgl. hierzu nur den Versuch die durch den mittlerweile durch Gesetz v. 30.6.2016 (BGBl I 1254 ff.) in Kraft getretenen § 299a StGB geschützten Rechtsgüter zu beschreiben, BR-Drucks. 16/15, 10 ff.; Kubiciel/Tsambikakis medstra 2015, 11 ff.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts
Inhaltsverzeichnis
I. Einführung
II. Unmittelbare Harmonisierung des Strafrechts durch Normgebung
III. Anwendungsvorrang des Unionsrechts
IV. Unionsrechtskonforme Auslegung
V. Begrenzung nationalen Strafrechts durch europäische Freiheitsrechte und Grundfreiheiten in der Rechtsprechung des EuGH
VI. Unionsgrundsätze und Unionsgrundrechte im Strafrecht und Strafverfahrensrecht
VII. Europäische Staatsanwaltschaft
Literatur:
Bülte Steuerrechtliche und steuerstrafrechtliche Risiken der Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen (§ 6a UStG) im Lichte der neueren Rechtsprechung des EuGH, CCZ 2009, 98; ders. Das Steuerstrafrecht im Spannungsfeld zwischen Missbrauchsrechtsprechung des EuGH und dem Grundsatz nullum crimen, BB 2010, 1759; ders. Zur Strafbarkeit der Verschleierung von Sanktionsansprüchen als Umsatzsteuerhinterziehung, HRRS 2011, 465; ders. § 398a AO im Licht des europäischen Grundsatzes ne bis in idem, NZWiSt 2014, 321; ders. Das Datenschutzbußgeldrecht als originäres Strafrecht der Europäischen Union?, StV 2017, 460; Bülte/Krell Grundrechtsschutz bei der Durchführung von Unionsrecht durch Strafrecht, StV 2013, 713; Burchardt Kehrtwende in der Grundrechts- und Vorrangrechtsprechung des EuGH? – Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 5.12.2017 in der Rechtssache M.A.S. und M.B. (EUGH Aktenzeichen C-42/17, „Taricco II“), EuR 2018, 248; Dannecker Strafrecht in der europäischen Gemeinschaft, JZ 1996, 869; ders. Die Bedeutung des Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Union, SchwZStR 2003, 280; ders. Die Dynamik des materiellen Strafrechts unter dem Einfluss europäischer und internationaler Entwicklungen, ZStW 117 (2005), 697; ders. Zur transnationalen Geltung des Grundsatzes ne bis in idem in der Europäischen Union und den Drittstaaten Island, Norwegen und Schweiz, EuZ 2009, 110; Dannecker/Leitner (Hrsg.) Handbuch der Geldwäsche-Compliance, 2010; Gaede Minimalistischer EU-Grundrechtsschutz bei der Kooperation im Strafverfahren, NJW 2013, 1279; Hackner Das teileuropäische Doppelverfolgungsverbot insbesondere in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, NStZ 2011, 425; Hecker Die richtlinienkonforme und die verfassungskonforme Auslegung im Strafrecht, JuS 2014, 385; Hecker/Müller Europäisches Verbraucherleitbild und Schutz vor irreführenden Geschäftspraktiken, ZWH 2014, 329; Hugger Zur strafbarkeitserweiternden richtlinienkonformen Auslegung deutscher Strafvorschriften, NStZ 1993, 421; Kaspar Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, 2014; Kubiciel Grund und Grenzen strafrechtlicher Anweisungskompetenz der Europäischen Gemeinschaft, NStZ 2007, 136; Meyer Demokratieprinzip und europäisches Strafrecht: zu den Anforderungen des Demokratieprinzips an Strafrechtsetzung im Mehrebenensystem der Europäischen Union, 2009; Radermacher Die „Verfassungsidentität“ als Grenze der Kompetenzübertragung auf die Europäische Union?, EuR 2018, 140; Rengeling/Middeke/Gellermann (Hrsg.) Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2014; Risse Die Anwendbarkeit von EU-Grundrechten im prozessualen und materiellen Strafrecht, HRRS 2014, 93; Rönnau/Wegner Grund und Grenzen der Einwirkung des europäischen Rechts auf das nationale Strafrecht, GA 2013, 561; Satzger Die Internationalisierung des Strafrechts als Herausforderung für den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz, JuS 2004, 943; ders. Internationales und europäisches Strafrecht: Strafanwendungsrecht, europäisches Straf- und Strafverfahrensrecht, Völkerstrafrecht, 2013; Schaumburg/Peters Internationales Steuerstrafrecht, 2015; Streinz Europarecht: Anwendungsbereich der EU-Grundrechtecharta, JuS 2013, 568; Tiedemann Europäisches Gemeinschaftsrecht und Strafrecht, NJW 1993, 23; ders. Zur Zuständigkeit der EG-Kommission für die Einführung und Verhängung von Sanktionen bei Mißbrauch von Subventionen, NJW 1993, 49; Vergho Das Leitbild eines verständigen Durchschnittsverbrauchers und das Strafrecht – ein inkongruentes Verhältnis, wistra 2010, 86; Wegener/Lock Die Kleinen „hängt“ man, die Großen lässt man laufen? Berlusconi und Niselli – Ungleiche vor dem EuGH, EuR 2005, 802; Winter Deutliche Worte des EuGH im Grundrechtsbereich, NZA 2013, 473.
1
Im folgenden Kapitel soll ein kurzer Überblick über wichtige Aspekte der Europäisierung des Strafrechts gegeben werden. Die Frage, ob und inwieweit es bislang ein europäisches Strafrecht gibt, das diesen Namen verdient, ist nur vordergründig allein akademischer Natur. Sie spielt in ihren Auswirkungen praktisch bei jedem grenzüberschreitenden oder auf europäisch harmonisierten Vorschriften basierenden Strafverfahren eine Rolle. Insbesondere für die Geltung der nationalen Grundrechtsstandards kommt es maßgeblich auf den Grad der Harmonisierung an (vgl. 2. Kap. Rn. 66). Daher soll hier im Mittelpunkt stehen, inwiefern das deutsche Wirtschaftsstrafrecht heute bereits von der Europäisierung betroffen, vielleicht sogar schon allgemein geprägt ist. Insofern ist es notwendig, zunächst die Frage nach dem Fortschritt der Europäisierung zu betrachten um festzustellen, welche „Gefahren“ einer Strafbarkeitsbegründung oder Verschärfung sich aus dem Unionsrecht ergeben können. In viel weiterem Umfang können sich jedoch aus der Europäisierung wichtige Ansätze für die Strafverteidigung und die präventive strafrechtliche Beratung bzw. die sog. Compliance bieten.
2
So viel kann hier bereits vorweggenommen werden: Das deutsche Strafrecht unterliegt einem sehr starken europäischen Einfluss, weil Sanktionsdrohungen oftmals der Durchführung von Unionsrecht dienen.[1] Die Rechtsprechung des EuGH zeigt in einer Reihe von Entscheidungen, dass dies insbesondere im Steuerstrafrecht der Fall ist.[2] Die Europäisierung wirkt sich aber auch auf den Missbrauch von Subventionen, Geldwäsche oder Kapitalmarktstrafrecht aus. Zudem hat die Richtlinie zum Schutz der finanziellen Interessen der EU (RL [EU] 2017/1371 v. 5.7.2017)[3] den Druck auf die Mitgliedstaaten zur effektiven Bekämpfung des Mehrwertsteuermissbrauchs erheblich erhöht (vgl. Rn. 15). Damit stellt das in diesem Handbuch behandelte Fiskalstrafrecht einen Kernbereich der Harmonisierung des Strafrechts im europäischen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts[4] dar.
3
Im Folgenden werden aus Gründen der Vereinfachung stets die Begriffe Europäische Union und Unionsrecht verwendet sowie die derzeit geltenden Rechtsvorschriften der europäischen Verträge zitiert, auch wenn zum Zeitpunkt des Ergehens einer EuGH-Entscheidung, eines Rechtsakts oder in der Literatur grundsätzlich der Begriff Gemeinschaftsrecht zutreffend war oder das entsprechende Grundrecht oder die Grundfreiheit noch in einer anderen Vorschrift oder noch gar nicht schriftlich kodifiziert gewesen ist.
Anmerkungen
[1]
Grundlegend hierzu bereits Dannecker ZStW 117 (2005), 697 ff.
[2]
Vgl. EuGH DStR 2006, 420 ff. – Halifax, DStR 2007, 1811 – Collée; NJW 2013, 1415 ff. – Fransson m. Anm. Dannecker JZ 2013, 616 ff.; NZWiSt 2015, 390 – Taricco; MwStR 2018, 172 – M.A.S. & M.B.; MwStR 2018, 551 ff. – Menci; Urt. v. 2.5.2018, C-547/15 – Mauro Scialdone ferner die Nachweise bei Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 279 ff.
[3]
ABlEU v. 28.7.2018, Nr. L 198/29.
[4]
Vgl. hierzu Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg/Jokisch/Jahnke § 2 Rn. 1 ff.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › I. Einführung
I. Einführung
4
Zum Einstieg in das europäische Strafrecht sollen zunächst die Kompetenzen zur Setzung von Strafrecht in Europa skizziert werden. Die Europäisierung des Strafrechts bewegt sich in einem Mehrebenensystem.[1] Das bedeutet, dass mehrere Normgeber für die Rechtsetzung zuständig sind. Damit kann es sowohl zu Rechtsetzungs- als auch Rechtsanwendungskonflikten kommen. Die Aufgabe der folgenden Ausführungen besteht daher darin, eine kompakte Darstellung darüber zu liefern, auf welchen Gebieten der Europäischen Union Kompetenzen zur Setzung von Strafrecht zustehen und inwiefern diese mit den Kompetenzen der nationalen Gesetzgeber in Konflikt geraten können.[2] Dabei müssen die Ausführungen auf die groben Grundlinien beschränkt werden.
Anmerkungen
[1]
Vgl. hierzu insb. F. Meyer Demokratieprinzip, S. 66 ff.
[2]
Zum Folgenden eingehend Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 132 ff.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › I. Einführung › 1. EU-Kompetenzen und Strafrecht
1. EU-Kompetenzen und Strafrecht
5
Nach Art. 5 Abs. 1, 2 EUV gilt das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung.[1] Das bedeutet, dass der Europäischen Union nur in den ausdrücklich im Primärrecht genannten Bereichen Kompetenzen zur Rechtsetzung zustehen und ihr insoweit keine Kompetenz-Kompetenz zukommt. Dabei handelt es sich typischerweise nicht um die Kompetenz zur Strafgesetzgebung, sondern vornehmlich um die Befugnis, Rechtsakte zur unmittelbaren Umsetzung der Unionspolitiken zu erlassen.
6
Nur in engen Bereichen bestehen Kompetenzen zur Setzung supranationalen materiellen Strafrechts.[2] Dies gilt insb. für die Bekämpfung des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union nach Art. 325 AEUV. Unter der Überschrift Betrugsbekämpfung heißt es in Absatz 4, das europäische Parlament und der Rat beschließen zur Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes in den Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten. Hierbei ist der Begriff des Betruges weit zu verstehen; er erfasst sowohl die Ausgabenseite (insb. den Subventionsbetrug) als auch die Einnahmenseite (Steuerhinterziehung).[3] In diesem Bereich billigt die h.M. der Europäischen Union eine weitreichende Kompetenz zu, eigenständig strafrechtliche Regeln auf Unionsebene zu setzen.[4]
7
Darüber hinaus können das Europäische Parlament und der Rat im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien zwar nicht selbst Strafvorschriften setzen, aber doch Mindestvorschriften vorgeben, mit denen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität Straftaten und Strafen festgelegt werden.[5] Voraussetzung ist, dass diese Kriminalitätsformen aufgrund der Art der Auswirkung der Taten oder der besonderen Notwendigkeit, sie auf einer gemeinsamen rechtlichen Grundlage zu bekämpfen, eine europäische Dimension haben. Soweit es den wirtschaftsstrafrechtlichen Bereich betrifft, nennt Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV als Beispiele die Geldwäsche, die Korruption, die Computerkriminalität und die organisierte Kriminalität.[6]
8
Für das materielle Strafrecht wird weiterhin allgemein von einer Annexkompetenz der Europäischen Union ausgegangen. Art. 83 Abs. 2 AEUV weist der Union das Recht zu, Mindestvorschriften – wie nach Art. 83 Abs. 1 AEUV – auch zur Angleichung strafrechtlicher nationaler Rechtsvorschriften zu setzen, soweit sich dies als unerlässlich für die wirksame Durchführung der Politik der Union auf einem Gebiet erweist, auf dem die Europäische Union bereits Harmonisierungen durchgeführt hat. Durch Richtlinien können hier Mindestvorschriften für die Festlegung von Straftaten und Strafen auf dem betreffenden Gebiet vorgegeben werden. Diese Annexkompetenz berechtigt die Europäische Union – unter dem Vorbehalt der besonderen Subsidiarität (Unerlässlichkeit) – damit zur Festlegung von Tatbestands- und Rechtsfolgevorgaben im Bereich des Strafrechts.[7]
9
In Art. 83 Abs. 3 AEUV findet sich jedoch die sogenannte „Notbremsenfunktion“.[8] Danach kann ein Mitglied des Rates, das zu der Auffassung gelangt, der Entwurf einer Richtlinie zur Festsetzung von Mindestvorgaben der Straftaten und Strafen würde „grundlegende Aspekte seiner Strafrechtsordnung berühren“, eine Aussetzung des Gesetzgebungsverfahrens verlangen und letztlich die verbindliche Festlegung von Mindestvorgaben zum Scheitern bringen.
10
Darüber hinaus ist die Europäische Union im Bereich des Strafverfahrensrechts berechtigt, Mindestvorschriften für die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen und Maßnahmen im Rahmen der justiziellen Zusammenarbeit zu setzen.[9] Dies ergibt sich aus Art. 82 Abs. 2 AEUV. Danach sind das Europäische Parlament und der Rat ausdrücklich befugt, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren Maßnahmen zu erlassen, um die Regeln und Verfahren über die gegenseitige Anerkennung von Urteilen und gerichtlichen Entscheidungen in der Union sicherzustellen, Kompetenzkonflikte zwischen den Mitgliedstaaten zu verhindern und beizulegen sowie die Zusammenarbeit zwischen Justizbehörden im Rahmen der Strafverfolgung des Vollzugs und der Vollstreckung von Entscheidungen zu erleichtern. Dabei betreffen die Vorschriften, die hier erlassen werden sollen, insb. die Zulässigkeit von Beweismitteln, die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren und die Rechte der Opfer von Straftaten. Auch hier (Art. 82 Abs. 2 AEUV) ist eine Notbremse geregelt.[10]
Anmerkungen
[1]
Vgl. Calliess/Ruffert/Calliess Art. 5 EUV Rn. 19 ff.
[2]
Vgl. hierzu Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg/Vogel/Brodowski § 6 Rn. 1 ff.; bislang hat die EU nur im Bereich des Kartellrechts und des Datenschutzrechts von der Befugnis Gebrauch gemacht eigene Strafvorschriften i.w.S. gemacht, vgl. zu Letzterem Bülte StV 2017, 460 ff.
[3]
Vgl. Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg/Killmann/Schröder § 12 Rn. 15 ff.; Calliess/Ruffert/Waldhoff Art. 325 AEUV Rn. 1.
[4]
Vgl. nur Hecker § 14 Rn. 43 f.; Calliess/Ruffert/Waldhoff Art. 325 AEUV Rn. 11.
[5]
Vgl. nur Calliess/Ruffert/Suhr Art. 83 AEUV Rn. 8; Hecker § 8 Rn. 1 ff.
[6]
Vgl. Calliess/Ruffert/Suhr Art. 83 AEUV Rn. 9.
[7]
Hecker § 8 Rn. 1 ff.
[8]
Vgl. Calliess/Ruffert/Suhr Art. 83 AEUV Rn. 31; Hecker § 8 Rn. 56 ff.
[9]
Vgl. Calliess/Ruffert/Suhr Art. 82 AEUV Rn. 5 ff.; ferner Hecker § 12 Rn. 1 ff.
[10]
Vgl. Calliess/Ruffert/Suhr Art. 82 AEUV Rn. 50.
2. Kapitel Europäisierung des Strafrechts › I. Einführung › 2. Unionstreue als „Motor der Harmonisierung“
2. Unionstreue als „Motor der Harmonisierung“
11
In vielen Bereichen verpflichtet das Unionsrecht die Mitgliedstaaten zur Ausweitung nationaler Strafvorschriften, um zum einen europäische Interessen und Rechtsgüter der Europäischen Union zu schützen und zum anderen die Durchführung der Unionspolitiken, insb. die Schaffung eines funktionsfähigen europäischen Binnenmarktes abzusichern. Gestützt wird dieser Anspruch der Union auf Umsetzung dieser Ziele durch die Mitgliedstaaten auf den Grundsatz der Unionstreue nach Art. 4 Abs. 3 EUV.[1] Die Unionstreue zwingt die Mitgliedstaaten dazu, grundsätzlich in eigener Initiative zum Schutz der Rechtsgüter und Interessen der Europäischen Union, insb. ihrer finanziellen Interessen, tätig zu werden. Subsidiär kann die Europäische Union in wenigen ausgewählten Bereichen selbst Strafrecht setzen, wenn das nationale Strafrecht der Mitgliedstaaten keinen effektiven und gleichwertigen Schutz zu gewährleisten vermag.
12
Eine für das Fiskalstrafrecht besonders wichtige Ausprägung hat dieser Grundsatz in Art. 325 AEUV gefunden. Diese Vorschrift basiert im Wesentlichen auf der grundlegenden Entscheidung des EuGH in Sachen „Griechischer Mais“.[2] Hier hat der EuGH deutlich gemacht, dass die Mitgliedstaaten zum einen verpflichtet sind, die finanziellen Interessen der Europäischen Union mit wirksamen, abschreckenden und angemessenen Maßnahmen zu schützen und dabei, soweit notwendig, auch auf kriminalstrafrechtliche Maßnahmen zurückzugreifen (Mindesttrias).[3] Zum anderen haben die Mitgliedstaaten die Interessen der Europäischen Union in mindestens genauso effektiver Weise zu schützen wie die eigenen Interessen (Gleichstellungserfordernis).[4]
13
Darüber hinaus verpflichtet Art. 325 Abs. 3 AEUV die Mitgliedstaaten dazu, ihre Tätigkeiten zum Schutz der finanziellen Interessen der Union vor Betrügereien zu koordinieren.[5] In Art. 325 Abs. 4 AEUV wird dem Europäischen Parlament und dem Rat die bereits erwähnte Kompetenz zugesprochen, zur Gewährleistung eines effektiven gleichwertigen Schutzes der finanziellen Interessen der Europäischen Union in den Mitgliedstaaten supranationales Strafrecht zu setzen. Auf diese Kompetenz kann zurückgegriffen werden, wenn die Mitgliedstaaten ihrer Verpflichtung zur Unionstreue durch effektive Rechtsetzung nicht oder nicht hinreichend nachkommen.[6] Dabei zwingt die Harmonisierung die Mitgliedstaaten nicht nur im Bereich der Betrugsbekämpfung zur Strafrechtsetzung, sondern auch in allen anderen Bereichen, in denen die Unionspolitiken und Interessen des gemeinsamen Marktes, die Gegenstand des Unionsrechts sind, ohne strafrechtliche Sanktionen nicht durchgesetzt werden können. Zu nennen ist hier beispielsweise der Schutz der Unionsmarke durch nationales Markenstrafrecht, der Schutz des Verbrauchers vor unsicheren Lebensmitteln durch nationales Lebensmittelstrafrecht oder die Vorgaben zum Schutz der finanziellen Interessen der EU.[7]
14
Um sich nicht von außen Strafrecht aufoktroyieren zu lassen, muss der mitgliedstaatliche Gesetzgeber daher handeln. Aufgrund dieser Mechanismen, die die nationale Strafgesetzgebung antreiben, ist die Bezeichnung der Pflicht zur Unionstreue als Motor der Harmonisierung zutreffend. Die Wahrung der Unionstreue und damit der Funktionsfähigkeit des Harmonisierungsmotors wird durch die Sanktionsmöglichkeit des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 ff. AEUV abgesichert. Mit diesem Mittel können die Mitgliedstaaten in begrenztem Rahmen zur aktiven Beteiligung an der Europäisierung des Strafrechts angehalten werden. Zu bedenken ist jedoch bei jeder Ausübung unionsrechtlicher Normgebungskompetenzen stets die Grenze durch den Subsidiaritätsgrundsatz[8] (Art. 5 Abs. 3 EUV). Die Union darf von ihren Kompetenzen nur soweit Gebrauch machen, wie dies zur Durchsetzung der Harmonisierung unerlässlich ist.
Anmerkungen
[1]
Zu diesem Prinzip vgl. Calliess/Ruffert/Calliess/Kahl/Puttler Art. 4 EUV Rn. 55 ff., Hecker § 7 Rn. 2 ff.
[2]
EuGH NJW 1990, 2245 f. m. Anm. Tiedemann NJW 1990, 2226 ff.; vgl. auch EuGH Slg. 1990, 2911 ff.; eingehend hierzu Dannecker SchwZStR 2003, 280, 283 ff.
[3]
Vgl. Dannecker SchwZStR 2003, 280, 286 f. m.w.N.; Hecker § 7 Rn. 24 ff.
[4]
Vgl. auch EuGH MwStR 2018, 172, 174, Rn. 30 f. m.w.N. – M.A.S. & M.B.; Calliess/Ruffert/Waldhoff Art. 325 AEUV Rn. 6; Hecker § 7 Rn. 24 ff.
[5]
Vgl. Calliess/Ruffert/Waldhoff Art. 325 AEUV Rn. 14.
[6]
Vgl. Hecker § 4 Rn. 81 f.
[7]
Vgl. Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 156 ff.; Calliess/Ruffert/Calliess Art. 5 EUV Rn. 19 ff.
[8]
Vgl. Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 194.