Kitabı oku: «Fiskalstrafrecht», sayfa 32
6. Kapitel Europarechtliche Verfahrensvorschriften › D. Verfahrensgrundrechte
D. Verfahrensgrundrechte
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Die Verfahrensrechte zugunsten Verdächtiger oder Beschuldigter in Strafverfahren unterscheiden sich innerhalb der EU teilweise erheblich.[1] Der Rat der Europäischen Union hat deshalb bereits im November 2009 einen „Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte“ aufgestellt.[2] Demnach sollen die Verfahrensrechte von Verdächtigen und Beschuldigten in Strafverfahren europaweit schrittweise vereinheitlicht werden (step-by-step-approach). Ziel ist u.a. der Aufbau von Vertrauen in die Strafgerichtsbarkeit der jeweils anderen Mitgliedstaaten sowie eine Angleichung des rechtsstaatlichen Niveaus. Der Fahrplan sieht sechs Maßnahmen vor, die eine Harmonisierung in den folgenden Bereichen herbeiführen sollen: Übersetzungen und Dolmetschleistungen (Maßnahme A), Belehrung über die Rechte (Maßnahme B), Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe (Maßnahme C), Kommunikation mit Angehörigen, Arbeitgebern und Konsularbehörden (Maßnahme D), besondere Garantien für schutzbedürftige Verdächtige oder Beschuldigte (Maßnahme E) und Untersuchungshaft (Maßnahme F). Zur Umsetzung dieses Vorhabens sind bereits mehrere europäische Richtlinien in Kraft getreten und auch in deutsches Recht umgesetzt worden. Weitere gemeinschaftliche Rechtsakte befinden sich in der Abstimmung.
Anmerkungen
[1]
Zusammenfassende Informationen über die Rechte von Beschuldigten in Strafverfahren in sämtlichen Mitgliedstaaten finden sich auf dem Internetportal e-Justice (https://tinyurl.com/ybbtq57a).
[2]
Entschließung des Rates vom 30.11.2009 über einen Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren (2009/C 295/01), ABlEU Nr. 295/1 v. 4.12.2009.
6. Kapitel Europarechtliche Verfahrensvorschriften › D. Verfahrensgrundrechte › I. Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren
I. Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren
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Bereits Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK gewährt dem Beschuldigten, sofern er der Verhandlungssprache des Gerichts nicht mächtig ist, einen Anspruch auf unentgeltliche Zuziehung eines Dolmetschers. Dies gilt unabhängig von der finanziellen Situation des Beschuldigten. Diese Rechte wurden mit Erlass der Richtlinie 2010/64/EU[1] wesentlich erweitert. Nunmehr soll eine Person ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von der Verdächtigung oder Beschuldigung Kenntnis erlangt – wobei der jeweilige Mitgliedsstaat allerdings die Kontrolle über den Zeitpunkt der Benachrichtigung behält –, bis zum Abschluss des Verfahrens, einschließlich der abschließenden Entscheidung in einem eventuellen Rechtsmittelverfahren, ein Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen erhalten (Art. 1 Abs. 1, 2). Die Umsetzung in deutsches Recht erfolgte v.a. durch eine Änderung des § 187 GVG sowie der §§ 37, 114b, 136, 163a, 168b StPO.[2]
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Sofern festgestellt ist (Art. 2 Abs. 4), dass der Verdächtigte oder Beschuldigte die Verfahrenssprache nicht versteht, erhält er innerhalb einer angemessenen Frist eine schriftliche Übersetzung aller wesentlicher Unterlagen (Art. 3 Abs. 1). Zu den „wesentlichen Unterlagen“ gehören jedenfalls sämtliche Anordnungen einer freiheitsentziehenden Maßnahme, jegliche Anklageschrift und jegliches Urteil (Art. 3 Abs. 2) aber auch Strafbefehle.[3] Ob weitere Dokumente wesentlich und deshalb zu übersetzen sind, entscheiden die zuständigen Behörden im konkreten Einzelfall, wobei dem Betroffenen bzw. dessen Rechtsbeistand ein Antragsrecht zusteht (Art. 3 Abs. 3). Von der obligatorischen Übersetzung ausgenommen sind jedoch „Passagen wesentlicher Dokumente, die nicht dafür maßgeblich sind, dass die verdächtigen oder beschuldigten Personen wissen, was ihnen zur Last gelegt wird“ (Art. 3 Abs. 4). Wird ein Antrag des Betroffenen abgelehnt, oder erscheint die Qualität einer Übersetzung für ein faires Verfahren als unzureichend, besteht ein Rechtsbehelf für den Betroffenen (Art. 3 Abs. 5). Sofern es einem fairen Verfahren nicht entgegensteht, soll zudem die (wesentlich billigere) „mündliche Übersetzung oder eine mündliche Zusammenfassung der wesentlichen Unterlagen anstelle einer schriftlichen Übersetzung“ genügen (Art. 3 Abs. 7). Dass dabei die strafprozessualen Rechte des Beschuldigten gewahrt werden, wird insb. dann angenommen, wenn dieser einen Verteidiger hat (§ 187 Abs. 2 S. 5 GVG).
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Unabhängig vom Ausgang des Strafverfahrens sind die Dolmetsch- und Übersetzungskosten von dem jeweiligen Mitgliedstaat zu tragen (Art. 4). Dem Angeklagten können die Kosten für Dolmetsch- bzw. Übersetzungsleistungen nur dann auferlegt werden, wenn sie auf eine ihm zurechenbare schuldhafte Säumnis oder sonstige schuldhafte Verursachung zurückzuführen sind (§§ 467 Abs. 2, 464c HS 1 StPO).[4] Wird die Anfertigung von Übersetzungen oder die Beiziehung eines Dolmetschers abgelehnt, kann der Betroffene hiergegen mit der Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO vorgehen.
Anmerkungen
[1]
Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren, ABlEU Nr. L 280/1 v. 26.10.2010.
[2]
Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren vom 2.7.2013, BGBl I 1938.
[3]
EuGH 12.10.2017 – C-278/16 – Sleutjes.
[4]
Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg/Esser § 53 Rn. 104.
6. Kapitel Europarechtliche Verfahrensvorschriften › D. Verfahrensgrundrechte › II. Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung
II. Belehrung über die Rechte und Unterrichtung über die Beschuldigung
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Die Richtlinie 2012/13/EU[1] garantiert bestimmte Rechte auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren und setzt damit weitere Rechtsprechung des EGMR um. Insgesamt präzisiert die Richtlinie damit die „Achtung der Verteidigungsrechte“ gem. Art. 48 GRC. Die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht erfolgte v.a. durch Änderung der §§ 114b Abs. 2, 136 Abs. 2 S. 3, 168b Abs. 1, 3 StPO.[2]
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Zuvorderst erhalten verdächtigte oder beschuldigte Personen ein Recht auf Belehrung über ihre Rechte im Strafverfahren und auf Unterrichtung über den gegen sie erhobenen Tatvorwurf (Art. 1). Zu den Verfahrensrechten über die der Verdächtige oder Beschuldigte (im Falle der Festnahme oder Inhaftierung schriftlich, „Letter of Rights“) belehrt werden muss, gehören das Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts sowie ggf. das Recht auf unentgeltliche Rechtsberatung, das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen sowie das Recht zur Aussageverweigerung (Art. 3).
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Sofern der Verdächtige bzw. Beschuldigte festgenommen oder inhaftiert wurde, ist er darüber hinaus in einer ihm verständlichen Sprache über das Recht auf Einsicht in die Verfahrensakte, das Recht auf Unterrichtung der Konsularbehörden und einer weiteren Person, das Recht auf Zugang zu dringender medizinischer Versorgung und darüber zu belehren, wie lange der Freiheitsentzug bis zur Vorführung vor eine Justizbehörde andauern darf (Art. 4). Eine gesonderte Rechtsbelehrung ist dann vonnöten, wenn eine Person zur Vollstreckung eines EuHb festgenommen worden ist (Art. 5). Die Unterrichtung über den eigentlichen Tatvorwurf hat spätestens bei Vorlage der Anklageschrift an das Gericht zu erfolgen und so detailliert zu sein, dass ein faires Verfahren und eine wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte gewährleistet werden (Art. 6 Abs. 1). Dazu gehören Informationen über die rechtliche Beurteilung der betreffenden Straftat, die Art der Beteiligung des Beschuldigten hieran sowie – im Falle der Festnahme oder Inhaftierung – die Gründe für die Freiheitsentziehung (Art. 6 Abs. 2).
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Schließlich garantiert das Recht auf Einsicht in die Verfahrensakte einer festgenommenen oder inhaftierten Person bzw. ihrem Rechtsbeistand Zugang zu allen Unterlagen, die sich im Besitz der zuständigen Behörden befinden, sofern diese für eine wirksame Anfechtung der Freiheitsentziehung wesentlich sind (Art. 7 Abs. 1). Dasselbe gilt für den Zugang zu Beweismitteln, der den Verdächtigten oder Beschuldigten gewährt werden muss, sofern dies für ein faires Verfahren oder die Vorbereitung einer effektiven Verteidigung erforderlich ist (Art. 7 Abs. 2). Nur wenn diese Einsicht das Leben oder die Grundrechte eines Dritten ernsthaft gefährden könnte oder ein wichtiges öffentliches Interesse entgegensteht, kann die Einsicht in „bestimmte Unterlagen“ verweigert werden (Art. 7 Abs. 4). Dem Betroffenen bzw. dessen Rechtsanwalt muss es ermöglicht werden, etwaige Verstöße gegen die Rechte aus dieser Richtlinie gem. den nationalen Vorschriften anzufechten (Art. 8 Abs. 1). Von dem Einsichtsrecht nicht unbedingt umfasst ist die Einsicht in die polizeiliche Ermittlungsakte, für die der polizeiliche Informationsaustausch nach Art. 39 SDÜ relevant sein kann.
Anmerkungen
[1]
Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren, ABlEU Nr. L 142/1 v. 1.6.2012.
[2]
Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren vom 2.7.2013, BGBl I 1938.
6. Kapitel Europarechtliche Verfahrensvorschriften › D. Verfahrensgrundrechte › III. Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe
III. Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe
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Die im Oktober 2013 ergangene Richtlinie 2013/48/EU[1] fand erst durch Ergänzung der Verfahrensvorschriften im Jahr 2017[2] Eingang in das deutsche Recht. Sie formuliert – als Reaktion auf eine Entscheidung des EGMR[3] – gemeinsame Mindestvorschriften für das Recht von Verdächtigten und Beschuldigten sowie von Personen, gegen die ein EuHb ergangen ist, auf Zugang zu einem Rechtsbeistand, auf Benachrichtigung eines Dritten von einem Freiheitsentzug sowie auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (Art. 1). Diese Rechte greifen ab dem Zeitpunkt, zu dem eine Person von den zuständigen Behörden davon in Kenntnis gesetzt wird, dass sie der Begehung einer Straftat verdächtig oder beschuldigt ist, und gelten bis zum Abschluss des Verfahrens, was auch eine abschließende Entscheidung im Rechtsmittelverfahren einschließt (Art. 2 Abs. 1). Die gleichen Rechte stehen Personen zu, die zur Vollstreckung eines EuHb festgenommen worden sind (Art. 2 Abs. 2) oder die erst während der Befragung durch die Strafverfolgungsbehörden zu Verdächtigen oder Beschuldigten werden (Art. 2 Abs. 3). Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist allerdings grundsätzlich beschränkt auf Ermittlungs- und Strafverfahren, die zu einer Sanktion mit freiheitsentziehender Wirkung führen können (Art. 2 Abs. 4).
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Verdächtige oder Beschuldigte erhalten nach der Richtlinie unverzüglich, spätestens aber vor ihrer Befragung durch die Polizei oder andere Strafverfolgung- oder Justizbehörden (wobei formlose bzw. informative Befragungen aber nicht genügen sollen), ab der Vornahme bestimmter Ermittlungs- und Beweiserhebungshandlungen bzw. ab Entzug der Freiheit oder vor Erscheinen vor Gericht (Abs. 3 Abs. 2) Zugang zu einem Rechtsbeistand. Dieses Recht umfasst die Kommunikation mit dem Rechtsbeistand, auch unter vier Augen, sowie die Anwesenheit des Rechtsbeistands bei Vernehmungen, Gegenüberstellungen und Tatrekonstruktionen (Art. 3 Abs. 3). Der Zugang zu einem Rechtsbeistand darf nur „unter außergewöhnlichen Umständen“ verwehrt werden, und zwar wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben oder für die Freiheit einer Person dringend erforderlich ist oder wenn ein sofortiges Handeln der Ermittlungsbehörden zwingend geboten ist, um eine erhebliche Gefährdung eines Strafverfahrens abzuwenden (Art. 3 Abs. 6). Ist die verdächtigte oder beschuldigte Person inhaftiert, besteht zudem ein Recht, unverzüglich mindestens eine von ihr benannte Person von dem Freiheitsentzug benachrichtigen zu lassen (Art. 5 Abs. 1).
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Zwar werden bei einem Verstoß gegen diese Rechte gewonnene Beweismittel unverwertbar, jedoch sind die Mitgliedsstaaten nicht automatisch verpflichtet, einen Rechtsbeistand zu stellen oder die Kosten hierfür zu übernehmen. Daher soll dieser Anspruch auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Zukunft ergänzt werden durch gemeinsame Mindestnormen für das Recht einer Person, die einer Straftat verdächtigt oder beschuldigt wird und der die Freiheit entzogen ist, auf vorläufige Prozesskostenhilfe in Strafverfahren sowie für das Recht einer Person, gegen die ein EuHb erlassen wurde, auf Prozesskostenhilfe einschließlich vorläufiger Prozesskostenhilfe. Die entsprechende Richtlinie 2016/1919/EU[4] gilt für einen relativ weiten Kreis von Personen, u.a. alle Verdächtigen und Beschuldigten, die nach Maßgabe des Unionsrechts Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten müssen (Art. 1 Abs. 1). Diesen haben die Mitgliedstaaten – im Falle der Bedürftigkeit – die finanziellen für die Unterstützung durch einen Rechtsbeistand zur Verfügung zu stellen (Art. 4). Weiterhin enthält die Richtlinie Vorgaben zur Qualität der mit der Prozesskostenhilfe verbundenen Dienstleistungen (Art. 7) und einem effektiven Rechtsschutz für verdächtigte, beschuldigte oder gesuchte Personen bei Verletzung ihrer Rechte (Art. 8). Ursprünglich war ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe für Beschuldigte oder Verdächtige auch schon für den Zeitraum vor der förmlichen Belehrung über den Tatvorwurf und der Festnahme vorgesehen. Damit sollte gewährleistet werden, dass das Recht auf Verteidigerkonsultation möglichst frühzeitig und effektiv genutzt werden kann. Diese weitgehende Formulierung wurde jedoch zwischenzeitlich abgeändert. Die Umsetzung in nationales Recht hat bis zum 25.5.2019 zu erfolgen.
Anmerkungen
[1]
Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.10.2013 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs, ABlEU Nr. L 294/1 v. 6.11.2013.
[2]
Zweites Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts vom 27.8.2017 (BGBl I 3295).
[3]
EGMR (Große Kammer) 27.11.2008 – 36391/02 – Salduz ./. UK.
[4]
Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren sowie für gesuchte Personen in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls, ABlEU Nr. L 297/1, ber. ABlEU Nr. L 91/40.
6. Kapitel Europarechtliche Verfahrensvorschriften › D. Verfahrensgrundrechte › IV. Unschuldsvermutung
IV. Unschuldsvermutung
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Als weiterer Schritt bei der Harmonisierung von Verfahrensvorschriften einerseits und der Ausweitung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung andererseits wurde zwischenzeitlich auch die Unschuldsvermutung zum Gegenstand von Unionsrecht. Die Richtlinie 2016/343/EU[1] gibt den Mitgliedstaaten auf, die Unschuldsvermutung sicherzustellen (Art. 3). Sämtlichen Behörden der Mitgliedstaaten soll es zudem untersagt sein, sich vorverurteilend über einen Angeklagten zu äußern (Art. 4 Abs. 1). Weiterhin enthält die Richtlinie Regelungen zu Beweislast und Beweismaß (Art. 6), zu Selbstbelastungsfreiheit und Schweigerecht (Art. 7) sowie zu Verurteilungen in Abwesenheit (Art. 8, 9). Schließlich sollen dem Verdächtigen oder Beschuldigten für den Fall der Verletzung der in dem Entwurf niedergelegten Garantien wirksame Rechtsbehelfe zur Verfügung gestellt werden (Art. 10). Die Frist zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht war am 1.4.2018 abgelaufen. Jedoch geht der aktuelle Referentenentwurf[2] davon aus, dass es im deutschen Recht lediglich punktueller Änderungen in der StPO bedarf. Insb. die Vorschriften betreffend die Unschuldsvermutung, die Beweislast und das Schweigerecht erzeugten hingegen keinen Umsetzungsbedarf. Deshalb sieht der Referentenentwurf v.a. Neuerungen mit Bezug zum Anwesenheitsrecht des Angeklagten in der Hauptverhandlung, insb. in der Revisionshauptverhandlung, vor.
Anmerkungen
[1]
Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9.3.2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren, ABlEU Nr. L 65/1.
[2]
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Anwesenheit in der Verhandlung v. 4.4.2018 (abrufbar unter https://tinyurl.com/yc7jw93h).
6. Kapitel Europarechtliche Verfahrensvorschriften › D. Verfahrensgrundrechte › V. Doppelverfolgungsverbot
V. Doppelverfolgungsverbot
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Das sog. Verbot der Doppelverfolgung (ne bis in idem) ist bereits in Art. 50 GRC sowie in Art. 4 Protokoll Nr. 7 zur EMRK (von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert) niedergelegt. Demnach darf niemand wegen einer Straftat, derentwegen er bereits innerhalb der EU rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden. Nach der Auslegung des EuGH ist es Sinn und Zweck der Vorschrift, den Gebrauch der Grundfreiheiten – insb. der Freizügigkeit – nicht durch die Gefahr mehrfacher Strafverfolgung zu behindern. Innerhalb der EU bestimmt sich der transnationale ne bis in idem-Grundsatz nach den sekundärrechtlichen Vorschriften des Art. 54 SDÜ, der zwar einen engeren Anwendungsbereich besitzt, dafür jedoch ein dem Art. 50 GRC fremdes „Vollstreckungselement“. Nach der deutschen Rechtsprechung soll Art. 50 GRC nur nach Maßgabe des sekundärrechtlichen Art. 54 SDÜ Geltung beanspruchen können.[1] Eine Klärung dieser Frage durch den EuGH steht bislang aus.
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Letzterer hat allerdings in der sog. Fransson-Entscheidung die Auffassung vertreten, eine strafrechtliche und eine nicht-strafrechtliche (z.B. steuerliche) Sanktion dürften wegen derselben Handlung nebeneinander verhängt werden (vgl. hierzu auch 2. Kap. Rn. 95 und 17. Kap. Rn. 68 ff.).[2] In der Ricucci-Entscheidung hat der EuGH diesen Ansatz bestätigt und die Kriterien für die Beurteilung der strafrechtlichen Natur von Verfolgungsmaßnahmen näher ausgeführt. Demnach steht Art. 50 GRC der Verhängung einer Geldbuße als Verwaltungssanktion strafrechtlicher Natur wegen rechtswidriger Marktmanipulationen entgegen, sofern der Betroffene bereits rechtskräftig strafrechtlich verurteilt wurde und diese Verurteilung unter Berücksichtigung des der Gesellschaft durch die begangene Straftat zugefügten Schadens geeignet ist, die Straftat wirksam, verhältnismäßig und abschreckend zu ahnden.[3]
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Auch der EGMR hält es grundsätzlich für zulässig, in derselben Sache zwei Verfahren – eines verwaltungsrechtlicher und eines strafrechtlicher Art – zu führen und abzuschließen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Insb. muss zwischen beiden Verfahren eine ausreichende sachliche und zeitliche Verbindung bestehen und sie müssen so kombiniert worden sein, dass sie ein zusammenhängendes Ganzes bilden.[4]
136
Gem. Art. 54 SDÜ darf derjenige, der durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Falle einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann. Der ne bis in idem-Grundsatz greift somit unter den folgenden Voraussetzungen:
– | rechtskräftige Aburteilung zu einer Sanktion in einem Mitgliedstaat, |
– | die Aburteilung muss dieselbe Tat betreffen und |
– | es muss ein Vollstreckungselement vorliegen. |
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Die grundsätzlich weite Auslegung der Norm unterliegt allerdings Unsicherheiten auf mehreren Ebenen, insb. aufgrund der verschiedenen Verfahrensarten und Sanktionen im Schengener Rechtsraum. Zunächst setzt die rechtskräftige Verurteilung zu einer Sanktion i.S.d. Art. 54 SDÜ nicht zwingend ein formales Urteil voraus, sondern liegt jedenfalls vor, wenn die in Rede stehende Entscheidung folgende Voraussetzungen erfüllt:
– | die Entscheidung wird von einer zur Mitwirkung an der Strafrechtspflege berufenen Behörde getroffen und hat verfahrensbeendende Wirkung, |
– | die Entscheidung hat Ahndungswirkung und |
– | die Strafklage ist nach nationalem Recht endgültig verbraucht. |
Nach Auffassung des EuGH in seiner Entscheidung vom 11.2.2003 erfasst Art. 54 SDÜ alle faktischen Verfahrenserledigungen, unabhängig davon, ob sie mit richterlicher Beteiligung zustande gekommen sind oder nicht.[5] Als rechtskräftige Aburteilung gelten somit auch der Freispruch aus Mangel an Beweisen[6] und wegen Verjährung.[7] Keine Aburteilung liegt hingegen vor, wenn die Behörden eines Mitgliedstaates entscheiden, das Verfahren ruhen zu lassen[8] oder wegen eines in einem anderen Mitgliedstaat anhängigen Verfahrens auf die Strafverfolgung verzichten.[9]
138
Problematischer ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen es sich i.S.d. Art. 54 SDÜ um dieselbe Tat handelt. Der vom EuGH entwickelte Tatbegriff beruht zwar auf einer eigenständigen unionsrechtlichen Auslegung, ist jedoch dem prozessualen Verständnis des Tatbegriffs i.S.d. § 264 StPO zumindest angenähert. Nach Auffassung des EuGH ist die Identität der materiellen Tat zu verstehen als „Vorhandensein eines Komplexes konkreter, unlösbar miteinander verbundener Umstände“.[10] Ferner soll ein einheitlicher Vorsatz für sich allein nicht genügen, um mehrere Handlungen zu einer Tat i.S.d. Art. 54 SDÜ zu verknüpfen.[11] Allerdings können Urteile zu Art. 3 Abs. 2 RbEuHb zur Auslegung herangezogen werden, denn aus Gründen der Rechtseinheit soll der dort enthaltene Begriff „dieselbe Handlung“ identisch ausgelegt werden.[12]
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Schließlich schränkt Art. 54 SDÜ den Art. 50 GRC in zulässiger Weise dahingehend ein, dass die betreffende Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.[13] Dieses Vollstreckungselement kann folglich in drei verschiedenen Varianten vorliegen.
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Dass eine Sanktion i.S.v. Art. 54 SDÜ vollstreckt worden ist, setzt voraus, dass die Vollstreckung abgeschlossen ist, also eine Freiheitsstrafe verbüßt, eine Bewährung beendet oder eine Geldstrafe bezahlt ist. Eine Sanktion wird hingegen gerade vollstreckt wenn mit der Strafvollstreckung begonnen wurde, diese aber noch nicht abgeschlossen ist.[14] Auch zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafen sind wie Sanktionen zu behandeln die gerade vollstreckt werden.[15]
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Dass eine Sanktion hingegen „nach dem Recht des Urteilsstaates nicht mehr vollstreckt werden kann“, kann seinen Grund insb. in einer zwischenzeitlich eingetretenen Vollstreckungsverjährung haben. Noch nicht abschließend geklärt ist die Behandlung von Amnestien und Begnadigungen, die aufgrund ihres eher politischen Charakters nicht zwingend in den Regelungsbereich des Art. 54 SDÜ fallen. Weil für das Eingreifen der Sperrwirkung die Belastung des Betroffenen mit einem vollstreckbaren pekuniären Nachteil ausreichend sein dürfte, sofern damit nach der nationalen Rechtsordnung eine zumindest relative Rechtskraftwirkung einhergeht, dürfte jedoch eine Verfahrenseinstellung gem. § 153a StPO genügen.
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Unklarheit besteht hinsichtlich der Einbeziehung von Unternehmen in den Schutzbereich des Art. 54 SDÜ. Ob diese Vorschrift auch auf juristische Personen Anwendung finden kann, ist durch den EuGH bislang nicht geklärt. Dieser hat lediglich klargestellt, dass nach Verhängung einer rechtskräftigen steuerlichen Sanktion gegen eine Gesellschaft durchaus wegen desselben Sachverhalts Strafverfahren gegen deren gesetzliche Vertreter eingeleitet werden dürfen.[16] Gegen eine generelle Anwendbarkeit scheint zu sprechen, dass im Rahmen des 2. Protokolls zum Übereinkommen zum Schutz der EU-Finanzinteressen das ne bis in idem-Prinzip auf juristische Personen erweitert wird, während dies im eigentlichen Übereinkommen nicht gelten soll (Art. 12 Abs. 2 2. Spiegelstrich). Vor dem Hintergrund der erläuterten Auslegungsgrundsätze erscheint es jedoch naheliegend, dass eine in Deutschland verhängte Unternehmensgeldbuße grundsätzlich über Art. 54 SDÜ berücksichtigt werden kann. Schwieriger stellt sich die Situation im Rahmen von Gewinnabschöpfungen dar. So hat das LG Darmstadt im Jahr 2007 in einem das Unternehmen Siemens betreffenden Verfahren entschieden, dass eine Gewinnabschöpfung nach italienischem Recht die Anordnung eines Verfalls nach deutschem Recht nicht hindere, da es sich bei der Abschöpfung nach italienischem Recht nicht um eine strafähnliche Maßnahme, sondern – wie im deutschen Recht – um einen kondiktionsartigen Ausgleich handele, der in keiner Wechselwirkung mit der Strafhöhe stehe bzw. keinen Bezug zum Strafmaß aufweise.[17]
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