Kitabı oku: «Melea», sayfa 6

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„Geralt!“, herrschte ihn eine leise Stimme an.

Doch er schaute lächelnd zu der Frau, da sie schmunzelte, was sie jedoch zu verbergen versuchte. Er kam nicht dazu, sich zu fragen, warum sie das tat, da er einen harten Schlag in die Kniekehle bekam. Unweigerlich fiel er auf ein Knie und blickte sich irritiert um, weil alle auf dem Boden knieten.

„Idiot“, raunte Celvin neben ihm.

„Erhebt Euch, bitte. Wer führt Eure Gruppe und wird mir berichten?“, fragte Nalia mit lauter und klarer Stimme.

Die Kalmarer standen auf. Bis auf zwei traten alle anderen zurück.

„Nun gut! Wie lauten Eure Namen?“

Rion kniff verwundert die Augen zusammen, da die Königin Geralt und ihn abwechselnd ansah, und sah sich nach rechts und links um.

„Na wunderbar“, murmelte er. Laut sagte er dann: „Mein Name lautet Rion, und der Mann neben mir heißt Geralt.“

Nalia nickte den beiden lächelnd zu.

„Ihr werdet mit mir kommen. Die anderen folgen bitte meinen Bediensteten. Sie werden Euch zu den Gasträumen im Nebengebäude führen. Sagt ihnen, was Ihr benötigt, sei es Kleidung, Nahrung oder ein Bad.“

Rion und Geralt eilten die Stufen empor, denn die Königin wandte sich direkt nach ihren Worten ab und verschwand im Palast. Zwei ihrer Leibwachen blieben direkt hinter ihr, die übrigen vier folgten Rion und Geralt.

3

Es ging durch lichtdurchflutete Säle. Treppen aus weißem und schwarzem Marmor führten auf Galerien, die von Statuen in menschlicher oder tierischer Gestalt getragen wurden. Auch sonst gab es Statuen zu bestaunen. Einige von ihnen stellten Wesen dar, die weder Rion noch Geralt jemals gesehen hatten. Staunend und mit immer größer werdenden Augen folgten sie der Königin durch einen langen Flur.

An der linken Wand hingen riesige Gemälde und Wandteppiche. Zu ihrer rechten Seite kam alle fünfzehn Meter eine Tür. Die Zwischenräume waren weiß getüncht, und bis auf Feuerschalen gab es keinerlei Wandschmuck, Statuen oder Derartiges. Was auch nicht nötig war, denn die Türen vereinnahmten einen sofort. Auf dem Weg zur nächsten Tür hätte man sowieso keinen Blick für etwas anderes gehabt. Selbst nachdem sie die Türen weit hinter sich gelassen hatten, schwirrten die unglaublichen Bilder noch in Rions Kopf herum.

Einige Abzweigungen, Treppen und Flure später erreichten sie dann schließlich einen großen Raum.

Es gab einen riesigen Schreibtisch, der vor einer Fensterfront mit bodentiefen Fenstern stand. Einige Schritte rechts davon stand ein Tisch mit zwölf schweren Eichenstühlen. Zehn Meter weiter befand sich ein Kamin, in dem man bequem ein Schwein hätte rösten können. Davor standen mehrere bequeme Sessel und ein tiefer Tisch.

„Kommt mit!“

Geralt und Rion sahen sich kurz an, bevor sie der Königin zur Kaminecke folgten.

„Nehmt bitte Platz und bedient Euch, während wir auf einen weiteren Gast warten.“

Die beiden setzten sich nebeneinander und begutachteten die Speisen, die auf dem Tisch standen. Es gab verschiedene Obstsorten, Brot, Fleisch und außerdem zwei Karaffen mit Wasser und Wein. Geralt schenkte ihnen Wein ein und nahm sich eine Hühnerkeule.

Rion trank seinen Becher in einem Zug leer, stellte diesen auf den Tisch zurück und lehnte sich angespannt in den Sessel. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, aber die Sorge um Lea machte dies unmöglich.

Nalia saß den beiden Männern gegenüber und beobachtete sie eingehend, wobei sie sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte, als sie Geralt ansah. Letztlich blieb ihr Blick an Rion hängen.

„Esst doch etwas. Ihr seht mitgenommen aus.“

Rion schüttelte den Kopf.

„Verzeiht mir, Eure Majestät, aber mir ist nicht nach essen zumute. Ich möchte zu meiner Tochter und wissen, wie es ihr geht.“

„Das kann ich verstehen. Aber Ihr könnt Euch gewiss sein, dass sie in guten Händen ist. Mein oberster Heiler kümmert sich persönlich um Eure Tochter.“

„Ich danke Euch, Hoheit.“

„Ich werde Euch zu ihr bringen. Doch zunächst gibt es einiges zu besprechen, sobald General Halldor hier eintrifft. Zuerst wird er mir verraten, wieso er mir noch nie von seinem Zwillingsbruder erzählt hat.“

Sie sah nun Geralt an, der sich prompt an einer Traube verschluckte und erbärmlich husten musste.

Rion schlug ihm mehrmals kräftig auf den Rücken und schüttelte verblüfft den Kopf, als er den Knochenberg erblickte, der sich auf Geralts Teller türmte.

Rion schielte zur Königin, die sichtlich amüsiert war.

„Der hungrige Mann neben mir ist Geralt. Er ist Händler der Insel Kalmar, mein Nachbar und Freund. Und mir wäre neu, dass er einen Bruder hat.“

„Nicht nur dir“, murmelte Geralt nachdenklich.

„Sobald der General eintrifft, werdet Ihr wahrscheinlich anders denken. Rion?“

„Ja, so lautet mein Name.“

„Und Eure Tochter, wie heißt sie?“

„Melea.“

„Ein sehr schöner Name, er passt zu ihr.“

Da Rion feuchte Augen bekam, wechselte Nalia das Thema.

„Unter den Kalmarern befand sich ein dunkelhäutiger Mann. Lebt er schon lange auf der Insel?“

„Sein Name lautet Mowanye. Er strandete vor sechzehn Jahren auf Kalmar. Sein selbstgebautes Floß war nur noch ein Trümmerhaufen, und er mehr tot als lebendig.

Durch Respas Hilfe kam er jedoch schnell wieder auf die Beine und …“

„Hätte die alte Kräuterhexe gewusst, dass er heilkundig ist und zudem ein Schamane, wäre er dies wahrscheinlich nicht“, unterbrach Geralt ihn, wobei er breit grinste.

Rion stupste ihn mit dem Ellenbogen an und schüttelte tadelnd den Kopf, doch die Königin lachte leise.

„Kräuterfrauen sind sehr eigen. Und was ihre Heilkünste angeht, da lassen sie sich absolut nichts sagen. Aber sie tun alles, um Leben zu erhalten, und würden niemals grundlos ein Leben nehmen.“

„Glaubt mir, Hoheit. Respa braucht kein Leben zu nehmen. Sie schafft es, dass man freiwillig von einer Klippe springt.“

Erneut stieß Rion ihn an, sah aber dann verwundert zur Königin, weil sie nun laut lachte.

„Ich freue mich schon darauf, Eure Kräuterfrau kennenzulernen. Aber jetzt noch mal zu Mowanye. Was hat er Euch berichtet? Wieso strandete er auf Kalmar, und wie kam es dazu?“

„Erst gestern Nacht erfuhren wir die ganze Wahrheit. Ihr solltet dringend mit ihm sprechen, denn Kalmar ist nicht die erste Insel, die von diesen Kreaturen eingenommen wurde. Mowanye ist der einzige Überlebende von der Insel Ruls, die ebenfalls von diesen seltsamen Kreaturen angegriffen wurde.“

„Ihr sagtet, er wäre vor sechzehn Jahren auf Kalmar gestrandet?“

„Ja, Hoheit.“

„Und erst gestern berichtete er Euch davon? Ich meine – glaubt ihr ihm, oder könnte es sein, dass er sich nur wichtigmachen wollte?“

„Ich glaube ihm! Denn er beschrieb Kreaturen, die wir auf dem Schiff zu sehen bekamen.“

„Von welchen Kreaturen sprechen wir hier?“

Es klopfte an der Tür, woraufhin Nalia ihren Wachen zunickte. Kurz darauf betrat ein großer Mann den Raum. Er trug eine beeindruckende Rüstung, deren Muskelpanzer seine breite und muskulöse Statur hervorhob.

„Setzt Euch zu uns, Halldor!“

Er verbeugte sich vor der Königin und wandte sich den beiden Männern zu. Allerdings stockte er mitten in der Bewegung, als er Geralt die Hand reichen wollte, um sich vorzustellen.

„Wer seid Ihr?“, fragte Halldor verblüfft.

Geralt schaute nicht weniger verwirrt drein und erhob sich langsam.

„Unglaublich. Wieso siehst du aus wie ich?“

„Also, wenn, dann siehst du aus wie ich“, meinte Halldor.

Rion betrachtete die beiden abwechselnd mit großen Augen.

„Zwei von der Sorte? Das überlebe ich nicht!“

Nalia lachte laut auf. Als Halldor ihr einen undefinierten Blick zuwarf, sprach sie: „Also, ich wäre froh, wenn ich einen weiteren Mann mit Halldors Fähigkeiten in meinen Reihen hätte.“

„Danke, Eure Hoheit.“

„Ihr habt mir nie von Eurem Bruder erzählt, Halldor“, fuhr sie fort.

„Ich weiß nichts von einem Bruder. Was jedoch nicht heißt, dass ich keinen haben könnte. Ich wurde bereits als Baby adoptiert. Meine Zieheltern konnten selbst keine Kinder bekommen und haben mich aus dem städtischen Waisenhaus geholt.“

„Auch ich war im Waisenhaus. Ich bin mit sechs Sommern von dort abgehauen und durch einen glücklichen Zufall dem damaligen Händler von Kalmar begegnet. Er nahm mich bei sich auf. Dies ist zweiundzwanzig Sommer her“, erzählte Geralt.

„Lasst mich raten. Ihr zählt ebenfalls achtundzwanzig Sommer?“

„Ja! Ich …“

Die Königin unterbrach das Gespräch.

„Ich werde nachher meinen Sekretär beauftragen, sich die Unterlagen des Waisenhauses anzusehen. Vorher gibt es allerdings wichtigere Dinge zu klären.“

Die vermeintlichen Brüder ließen sich nicht aus den Augen, bis Nalia ihren General ansprach.

„Die Bewohner von Kalmar mussten Hals über Kopf fliehen. Die Insel wurde von eigenartigen Kreaturen angegriffen.“

„Angegriffen? Von wem?“

„Rion und Geralt werden uns berichten, was geschehen ist.“

Halldor legte seinen Helm neben den Sessel, als er sich setzte.

Geralt betrachtete den Mann immer noch erstaunt. Die Ähnlichkeit war einfach unglaublich. Es war fast so, als würde er in einen Spiegel schauen. Abgesehen davon, dass sein Gegenüber die dunkelblonden Haare kurzgeschoren trug und er seine schulterlang.

„Würdet Ihr uns berichten, was sich zugetragen hat, Rion?“

Rion nickte und schloss kurz seine Augen, bevor er zu erzählen begann.

„Wegen des aufziehenden Unwetters erschien es uns sicherer, in die Schutzhöhle zu gehen, die sich im Gebirge befindet. Das heißt, alle Kalmarer, bis auf Respa und ihren Sohn. Die beiden wollten nicht mit, und gutes Zureden war zwecklos. Während die anderen schon vorausgingen, lief ich zu meinem Haus zurück. Ich wollte nachsehen, ob meine Tochter dort war und noch einmal die Fensterläden und Türen kontrollieren. Melea war nicht da, und so sicherte ich mein Haus ab und ging auch nochmal zu Geralts Haus hinüber, um zu sehen, ob alles in Ordnung war. Da unsere Häuser direkt am Strand der kleinen Bucht liegen, konnte ich zwischen den Felsen hindurch aufs Meer hinaussehen.“

Erneut schloss Rion die Augen und schüttelte leicht den Kopf.

„Habt keine Scheu, sprecht weiter.“

„Habe ich nicht. Ich kann nur selbst kaum glauben, was ich in den vergangenen Stunden sah.“

„So geht es mir auch, aber du sahst diese Dinge nicht allein“, sagte Geralt.

Er löste sich von Halldors Anblick und sah die Königin an.

„Rion sah seltsame Lichter im Meer. Er beobachtete dies vom Strand aus und ich von einer Klippe. Bei den Lichtern handelte es sich um grüne und goldene Bögen. Es war kein Wetterleuchten, falls Ihr das denken solltet. Dazu war das Leuchten zu beständig. Zudem bildete es eine fast kreisrunde Fläche, und der Ursprung des Lichts befand sich definitiv unter Wasser.“

„Was wolltet Ihr auf der Klippe?“, fragte Nalia.

„Ich bin seit Kindesbeinen auf dem Meer unterwegs und habe bereits etliche Stürme aufziehen sehen. Aber so etwas wie gestern sah ich noch nie.

Die Wolken kamen wie aus dem Nichts und zogen sich von allen Seiten über Kalmar zusammen. Der heftiger werdende Wind wechselte ständig die Richtung, und als wir an der Schutzhöhle ankamen, lief ich weiter zur Klippe, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ich wollte sehen, was auf uns zukam. Allein der Anblick des Unwetters raubte mir den Atem. Die Wolken verdunkelten die untergehende Sonne vollständig und ballten sich zu einer brodelnden schwarzen Wand zusammen, die auf die Insel zuhielt. Tja, und dann entdeckte ich das Leuchten im Meer und musste zweimal hinsehen, um zu glauben, was ich dort erblickte.

Ich weiß nicht, wie lange ich dort oben stand und aufs Meer starrte. Aber in dem Moment, als das Leuchten plötzlich erlosch, riss mich eine heftige Bö fast von den Füßen. Dies weckte mich sozusagen aus meiner Starre, und ich lief so schnell wie möglich zurück. Auf dem Weg zur Schutzhöhle machte ich kurz bei Mowanye Halt. Ich hatte gesehen, dass Melea bei ihm war und nahm sie mit in die Schutzhöhle, die sich einige Schritte unterhalb seiner Höhle befindet.“

„Ich kam kurze Zeit nach den beiden dort an und sprach mit Geralt über das, was ich am Strand beobachtet hatte. Wider Erwarten hielt er mich nicht für verrückt und erzählte mir stattdessen von den gleichen Beobachtungen. Und so kamen wir überein, Wachen einzuteilen, was gar nicht so einfach war. Die anderen glaubten uns natürlich nicht, doch letztendlich teilten wir die Männer in zwei Gruppen auf. Jon, Matt und ich gingen zur Klippe, um die erste Wache zu übernehmen.

Es war eisig kalt geworden, Schnee und Eisregen peitschten auf uns ein. Und je später es wurde, umso schwieriger war es, Jon und Matt zum Bleiben zu bewegen. Es tat sich nichts im Meer, aber dafür wurde es stetig kälter. Letztlich überredete ich die beiden, auszuharren und lief zurück, um ein paar Decken zu holen. Als ich an Mos Höhle vorbeikam, sah ich Geralt und meine Tochter bei ihm.“

Rion atmete zitternd durch, bevor er weitersprach.

„Ich war darüber wenig begeistert, da ich Melea eindringlich gebeten hatte, in der Schutzhöhle zu bleiben. Ich wollte sie natürlich mitnehmen, doch ich hielt inne, als ich Mo sagen hörte: ‚So wie meine Heimat werden diese Kreaturen auch diese Insel einnehmen. Und zwar noch heute Nacht.‘“

Rion erzählte Mowanyes Geschichte, woraufhin einen Moment lang angespanntes Schweigen herrschte.

„Nach so vielen Jahren – warum erzählte er ausgerechnet vergangene Nacht seine Geschichte?“, fragte Nalia schließlich.

„Melea und ich ließen ihm keine andere Wahl. Nicht bei dem, was kurz zuvor geschehen war.“

„Wieso? Was ist denn passiert?“, fragte Rion alarmiert.

Geralt hatte eigentlich nicht vorgehabt, davon zu erzählen, weil es noch unglaublicher war als der Umstand, dass Kalmar angegriffen wurde. Aber ihm blieb nun keine andere Wahl, weil ihn auch die Königin auffordernd ansah. Und so erzählte er von Mos Ritual, bei dem er inmitten eines Lagerfeuers stand. Von den Feuerkugeln, die der Schamane als Ahnen betitelte, und letztlich von dem Ahnen, der in Lea gefahren war.

„Seid ihr irre? Wie konntet ihr mir das verschweigen?“, ­regte sich Rion auf.

Nalia hob beschwichtigend eine Hand.

„Ich sah keine Verbrennungen an ihr.“

„Weil sie keine erlitten hat, wieso auch immer. Ich konnte keine fünf Schritte an diese Wesen herangehen, so viel Hitze strahlten sie aus. Doch Lea stand inmitten einiger Ahnen, und es machte ihr überhaupt nichts aus. Sie wurde allerdings zweimal bewusstlos, nachdem dieses Wesen in sie eingedrungen war. Und beim ersten Mal, als sie die Augen aufschlug, blieb mir fast das Herz stehen, da sie wie glühende Kohlen glommen. Es dauerte jedoch keine drei Herzschläge, bis sie erneut ohnmächtig wurde. Als sie dann erwachte, war alles wieder normal. Das heißt, sie war natürlich völlig schockiert und wollte wissen, wer die Flammenfrau wäre, die sie nun in sich trug.“

„Flammenfrau?“

Geralt nickte und richtete seinen Blick wieder auf die Königin, da er befürchtete, Rion würde ihn mit seinen Blicken aufspießen.

„Lea sah keine Feuerkugeln, so wie Mo und ich. Sie war oder ist der Meinung, flammende Gesichter gesehen zu haben. Und jenes, das sie verschluckt hat, war wohl das Antlitz einer Frau.“

„Verflucht noch mal, wann wolltet ihr mir das erzählen?“

„Rion, wie du selbst mitbekommen hast, überschlugen sich danach die Ereignisse.

Bisher blieb einfach keine Zeit dafür.“

„Und nach Mowanyes Geschichte seid Ihr dann von der Insel geflohen“, unterbrach Nalia die beiden.

„Nein, nicht sofort“, antwortete Rion mühsam beherrscht.

„Mo beharrte zwar darauf, dass wir sofort von der Insel runter müssten, doch ich konnte nicht so recht glauben, was er von den Kreaturen berichtet hatte. So schnappte ich mir ein paar Decken und lief wieder zur Klippe, wo ich dann eines Besseren belehrt wurde. Matt kam mir auf halbem Weg entgegen, völlig entsetzt und aufgebracht. Er stammelte die ganze Zeit etwas von einem Monstrum, das die Felsen emporkriechen würde. Kurz darauf kamen wir bei Jon an, und ich legte mich neben ihn auf den Felsen, da die Böen noch heftiger geworden waren.

Derweil entzündete Matt im Windschatten ein paar Fackeln, aber ich erkannte bereits im Lichtkegel von Jons Fackel, dass er mit ‚Monstrum‘ nicht übertrieben hatte. Ich konnte zunächst nur Teile des Kopfes sehen, und dies war ausreichend, um mein Herz für einen Moment aussetzen zu lassen.

Die Kreatur besaß ein riesiges Rundmaul mit wulstigen Lippen. Mehrere Reihen mit nach hinten gerichteten Zähnen, die bis weit in den Rachen reichten. Mit den Lippen vermochte es sich am Felsen festzusaugen, und wahrscheinlich besaß es an der Körperunterseite ebenfalls etwas, womit es sich festsetzen konnte. Genau konnten wir es nicht sehen, auch nicht, als wir in schneller Folge sechs Fackeln hinabwarfen. Aber was wir sehen konnten, war die Größe des Wesens. Und die betrug gute acht Meter, bei einem Umfang von etwa zwei Metern.“

„Besaß es Schuppen wie ein Fisch und glänzte es silbergrau?“

Rion schüttelte den Kopf.

„Nein, die Haut glänzte und schien glatt zu sein, wie die eines Aals, und es war dunkelgrau.“

Halldor nickte der Königin zu.

„Passt ziemlich genau auf das Wesen, das vergangene Nacht angespült wurde.“

„Eines der Biester wurde hier angespült?“, fragte Geralt schockiert.

„Was sollte die Fangfrage?“, hakte Rion nach.

„Verzeiht, aber ich muss sichergehen, dass …“

„Wie ging es weiter?“, unterbrach Nalia ihren General.

„Das Wesen kam nur langsam vorwärts. Wir hatten kein Bedürfnis zu erfahren, wie schnell es sich auf ebenem Boden fortbewegt. Und deswegen nahmen wir die Beine in die Hand. Wir liefen zu den Höhlen, und nach endlos erscheinenden Diskussionen, weil uns mal wieder keiner glaubte, traten wir die Flucht an. Allein von der Insel runterzukommen war nervenaufreibend und …“

„Wurdet Ihr angegriffen?“, fragte Halldor dazwischen.

„Wir nicht, aber Respa und Safrax. Lea und ich wollten die beiden holen, da sie nicht in die Höhle mitgekommen waren“, antwortete Geralt.

„Wieso wart Ihr beide allein?“, hakte Nalia nach.

Geralt schaute kurz zu Rion, der daraufhin betrübt den Kopf hängen ließ.

„Zwischen Gebirge und Wald fließt ein Bach, der sich aufgrund des Unwetters zu einem wilden Sturzbach entwickelt hatte. Es erschien uns unmöglich, rüberzukommen, und wir überlegten fieberhaft, wie wir alle heil auf die andere Seite bekommen sollten.“

Geralt atmete tief durch und schüttelte dann den Kopf.

„Lea dauerte dies wohl zu lange. Wir bemerkten sie erst, als sie bereits in der Mitte des reißenden Stroms stand, bis über die Hüften im Wasser. Mit nichts außer einem langen Ast arbeitete sie sich langsam voran. Sie hörte natürlich nicht auf uns, als wir nach ihr riefen.“

Wieder warf er einen kurzen Blick zu Rion, der aber nach wie vor zu Boden sah.

„Rion kam fast um vor Sorge und wollte ihr nach, was ich jedoch verhinderte.“

„Wieso?“, wollte Halldor wissen.

„Er kann nicht schwimmen. Dies musste ich ihm leider mit einem Kinnhaken ins Gedächtnis rufen. Und während Adaric und Jon auf ihn aufpassten, eilte ich Lea hinterher. Sie hatte fast das andere Ufer erreicht, wie ich verblüfft feststellte, als mich irgendein Ast oder Stamm unter Wasser traf. Es riss mich von den Füßen, und ich prallte wohl mit dem Kopf gegen einen Stein. Das nächste, woran ich mich erinnere, ist Leas angestrengte Miene, während sie verzweifelt versuchte, meinen Kopf über Wasser zu halten. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, wo wir waren – an der kleinen Brücke, die über den eigentlich ruhigen Bach führte. Sie war komplett überspült, und ich fühlte den Sog, der mich unter die Holzplanken ziehen wollte, was Lea jedoch irgendwie verhinderte. Und jetzt fragt mich bloß nicht, wie sie das geschafft hat. Das frage ich mich nämlich auch noch. Auch wenn sie meine Hüften mit ihren Beinen umschlossen hielt, war die Strömung unbeschreiblich stark. Sie trug unser Gewicht nur mit einem Arm, mit dem sie einen Pfosten des Brückengeländers umklammerte. Mit der freien Hand hielt sie meinen Kopf über Wasser.“

„Sie rettete Euer Leben. Was ist daran so amüsant?“, fragte Nalia, weil Geralt wieder lächelte.

„Ihre Begrüßung, als ich erwachte. Sie meinte, ich würde nicht nur treten wie ein Ochse, ich wäre auch noch so schwer wie einer. Und erst da fiel mir auf, dass sie sich nicht nur mit einem Arm festhielt. Lea hangelte sich von Pfosten zu Pfosten und zog uns langsam Richtung Ufer.“

„Von welcher Statur ist Eure Tochter?“, fragte Halldor verblüfft.

Rion reagierte nicht auf ihn, und so war es Nalia, die antwortete.

„Sie ist schätzungsweise ebenso schwer wie ich und vielleicht ein paar Zoll größer.“

„Unglaublich! Sie muss eine unfassbare Willenskraft haben.“

„Einen unfassbaren Dickschädel, das trifft es eher“, meinte Geralt grinsend.

„Mit meiner Hilfe gelangten wir dann recht schnell ans Ufer, und in dem Moment fand ich die Situation nicht so amüsant. Jetzt tut es mir unendlich leid, dass ich Lea so angebrüllt habe. Aber wie dem auch sei – nach einer Weile tauchten am anderen Ufer Fackeln auf. Nachdem wir ein Seil gespannt hatten, kam Rion herüber. Es kam zu einem heftigen Streit zwischen Lea und ihm, und dann zwischen ihm und mir, worauf ich aber nicht näher eingehen werde. Letztlich kamen Rion und ich überein, dass ich mit Lea vorausgehe, und so liefen wir zur großen Bucht. Noch bevor wir Respas Haus erreichten, fanden wir ihren Sohn. Dazu sei gesagt, dass Safrax ein Holzbein trug. Er verlor sein Bein vor einigen Jahren nach einem Unfall mit einem Stechrochen. Das Gift des Tiers kostete ihn nicht nur sein Bein. Mit den Jahren wurde er immer sonderlicher, und Respa konnte ihn kaum noch allein lassen. Wie dem auch sei, Lea kam zuerst bei Safrax an. Sie drehte ihn auf den Rücken und wandte sich sogleich ab, um sich zu übergeben. Auch mein Magen rebellierte beim Anblick seines zerfleischten Gesichtes und dem aufklaffenden Loch, wo mal seine Kehle gewesen war.

Ich zog Lea hastig auf die Füße, in dem Moment, als der tosende Sturm eine kurze Pause einlegte, und wir hörten Respa schreien. Ich konnte nicht so schnell reagieren wie Lea losrannte. Ich folgte ihr natürlich, und hinter Respas Hütte erblickten wir die Alte. Sie schlug mit Safrax’ Krücke auf etwas ein, das vor ihr auf dem Boden lag, und schrie dabei wie von Sinnen, bis Lea ihr in den Arm fiel. Sie schob Respa einige Schritte zurück, und ich besah mir derweil die Kreatur, die leblos am Boden lag. Allerdings hatte Respa den Schädel zu Brei geschlagen, und so fielen mir nur die glänzende Fischhaut und die Hände des Wesens auf. Sie waren bestimmt anderthalb Mal größer als meine, schon ohne die langen schwarzen Krallen. Ich beleuchtete es mit einer Fackel, die ich jedoch schnell wegdrehte, als Lea zu mir kam. Denn in einer Pranke hielt die Kreatur noch Safrax’ Kehle.“

„Bei den Göttern“, flüsterte Nalia schockiert.

„Waren da noch mehr von diesen Kreaturen?“

„Laut Respa, ja. Ich konnte auch einige Spuren im Sand sehen, die in Richtung der Häuser führten. Also drängte ich die beiden Frauen, weiterzugehen, doch Respa wehrte sich mit Händen und Füßen. Mehr als einmal bekam ich die Krücke an den Kopf. Letztlich schaffte es Lea, die alte Hexe zu überzeugen, indem sie sich ebenfalls stur stellte. Lea sagte, wenn Respa nicht mitkäme, würde sie ebenfalls bleiben. Dies wollte die Alte allerdings nicht, und so nahm ich Respa auf den Rücken. Wir liefen so schnell wie möglich zur kleinen Bucht. Dort lagen mein Beiboot und Rions Fischerboot vertäut, und mit denen wollten wir auf mein Schiff übersetzen.

Die anderen waren in der Zwischenzeit dort angekommen. Allerdings fehlte nun von Rion jede Spur. Ich wies die Männer an, die Boote fertigzumachen, während ich nach ihm suchen würde. Aber Lea war mal wieder schneller gewesen als ich. Ich fand die beiden an ihrem Haus, nur fünfzig Schritte vom Steg entfernt. Die beiden hatten sich zu meiner Erleichterung vertragen.

Nachdem Lea noch schnell ein paar Sachen zusammengepackt hatte, liefen wir zu den Booten.

In der Bucht war der Wellengang zwar heftig, aber wir kamen mit den Rudern recht schnell voran, bis Getica plötzlich über Bord ging. Und wieder einmal kamen jegliche Reaktionen zu spät, um Lea davon abzuhalten, hinterherzuspringen. Auch Adaric, Geticas Gemahl, und ich sprangen ins Wasser, um den beiden Frauen zu helfen. Von ihnen fehlte jedoch jede Spur. Auch mit Matts Unterstützung und unzähligen Tauchgängen fanden wir sie nicht. Panik machte sich breit, und Rion wurde dieses Mal von Jon niedergeschlagen, da er mal wieder vergessen hatte, dass er nicht schwimmen kann. Dann brüllte Jon plötzlich ‚Hai‘. Im Licht der Fackeln erkannte ich eine große Rückenflosse, und ich traute meinen Augen kaum, als ich sah, wer sich daran festhielt.“

„Wie meint Ihr das?“, fragte Nalia und starrte ihn aus großen Augen an.

„Der Hai brachte Lea bis an den Rand des Bootes und …“

„Du meinst, er verfolgte sie?“

„Nein, Halldor, es ist so, wie ich es sagte. Er brachte Lea, und sie hielt Getica in einem Arm und rief Adaric zu, dass er sie hochziehen soll und dass sie nicht mehr atmen würde. Danach streichelte sie den Hai unter dem Auge und bedankte sich bei ihm.“

„Das zweite Leben, das sie in der Nacht rettete, oder?“

„Ja, Hoheit! Mo und Adaric konnten Geticas Lungen vom Wasser befreien.“

„Unglaublich! Wie viele Sommer hat Melea schon gesehen?“

„Siebzehn, fast achtzehn“, antwortete Geralt.

„Und der Hai, was hat es mit ihm auf sich?“

„Als wir endlich das Schiff erreichten, brachte ich Lea in meiner Kajüte unter, wo sie sich ausruhen sollte. Bevor ich ging, erzählte sie mir von dem Hai, dem sie am Morgen wohl schon mal begegnet war. Wichtiger ist jedoch die Kreatur, die Getica aus dem Boot gezogen hatte. Lea hatte dies mitbekommen und war ihr hinterhergesprungen.“

Geralt schüttelte seufzend den Kopf.

„Hättet Ihr nicht ebenso reagiert, wenn Ihr dies mitbekommen hättet?“, fragte Nalia.

„Sicher! Ich wurde von Getica aber auch nicht aufs Übelste betrogen, so wie Lea. Und das hatte sie erst wenige Stunden zuvor erfahren.“

„Betrogen? Inwiefern?“

„Lea ist eine fantastische Taucherin, und sie besorgt Getica die schönsten Muscheln und Korallen, die sie zur Fertigung ihres Schmucks benötigt. Diesen verkaufe ich an verschiedene Händler hier am Markt. Doch vor zwei Tagen kam ich nicht bis zum Markt, da mich eine Baronin zuvor abfing. Sie hatte mitbekommen, dass ich dem Hafenmeister Einblick in die Schmuckschatulle gewährte. Er kaufte ein Armband für seine Gemahlin bei mir. Sie kam daraufhin hinzu, besah sich jedes einzelne Teil und fragte, ob ich mit acht Silbermünzen für alles einverstanden sei. Meine Sprachlosigkeit interpretierte sie wohl falsch, also gab sie mir zehn Silbermünzen, woraufhin mir fast die Augen aus dem Kopf fielen. Auf dem Markt hätte ich mit Glück vielleicht ein Silberstück bekommen, was die gute Baronin ja nicht wissen musste“, sagte Geralt schmunzelnd, wurde aber direkt wieder ernst.

„Ich gab Getica das Geld und nahm mir vor, Lea zu fragen, wie viel sie davon abbekommen hatte. Denn Lea verdient dreißig Prozent vom Gewinn, und ich wollte verhindern, dass sie übers Ohr gehauen wird.“

„Dann hattet Ihr bereits die Vermutung, dass es so kommen würde?“

„Versteht mich nicht falsch, Hoheit. Getica ist eine wirklich nette Frau. Aber wenn es um Geld geht, dann hört bei ihr alle Freundschaft auf. Und so war es leider auch bei Lea. Anstatt drei Silbermünzen bekam sie nur eine, und das Schlimme für sie waren nicht die beiden unterschlagenen Münzen. Für Lea brach eine Welt zusammen, weil sie Getica als Freundin angesehen hatte. Mir zieht sich jetzt noch das Herz zusammen, wenn ich an die Tränen zurückdenke, die sie wegen der blöden Ziege vergossen hat. Und wisst Ihr, was Lea letztlich meinte? Sie sagte tatsächlich, Getica habe sich wahrscheinlich nur verrechnet.“

„Oh Mann. Diese Getica werde ich mir mal vornehmen. Das darf doch wohl nicht wahr sein.“

„Ihr haltet Euch zurück, General. Denn zuerst werde ich mich mit der Dame unterhalten“, sagte Nalia verärgert.

Sie trank einen Schluck Wein und schaute Geralt wieder an.

„Was hat Melea über die Kreatur berichtet, die Getica aus dem Boot gezerrt hatte?“

Geralt erzählte nun, was Lea ihm in seiner Kajüte offenbart hatte und berichtete auch gleich weiter. Von den Angriffen der aalähnlichen Wesen, dem Biss, den sich Lea zugezogen hatte. Dann kam der Angriff des Geflügelten, Sanders wundersame Auferstehung und auch dessen geistige Genesung. Und letztlich die Beobachtungen von den Kreaturen, die zu Dutzenden das Ufer Kalmars erreichten, und die unzähligen Schiffe.

Eine kleine Weile sagte niemand etwas, bis Nalia nachfragte.

„So wie es aussieht, habe ich gleich noch ein paar Gespräche vor mir. Vor allem diesen Sander werde ich mir ansehen. Wie kann es sein, dass ein Mann mit dem Gemüt eines Sechsjährigen plötzlich von dieser Krankheit geheilt ist? Zumal er hätte tot sein müssen, bei dem, was Ihr mir erzählt habt.“

„Und es ist wirklich keine Wunde zu sehen?“, fragte Halldor.

„Nein, sein Nacken ist vollkommen unversehrt. Und wir alle haben gesehen, wie der Geflügelte seine langen Zähne hineingeschlagen hat. Es tropfte sogar Blut auf uns herab.“

„Und Melea musste dies hautnah erleben. Die junge Frau tut mir unglaublich leid“, sagte Nalia leise.

„Ihr habt ein paar von den Biestern eingesammelt, die Euch zu Dutzenden angriffen.

Wo ist die Kiste?“, wollte Halldor wissen.

„In den Kutschen war zu wenig Platz, deshalb ließ ich sie auf mein Schiff zurückbringen.“

Halldor wandte sich der Königin zu.

„Ich würde gerne einen kleinen Trupp hinschicken, um das Schiff zu bewachen.“

Danach sah er Geralt an.

„Nichts gegen die Hafenarbeiter, aber unter ihnen gibt es einige, die ihre Nasen gerne in verschlossene Kisten stecken.“

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