Kitabı oku: «Melea», sayfa 7
Nalia winkte einen Wachmann heran.
„Lauft zu Hauptmann Celvin! Er soll zwei Dutzend Mann zum Hafen schicken. Sie sollen niemanden an Bord der Seeschlange lassen.“
Der Mann eilte davon, und Nalia rief den Nächsten herbei.
„Ich möchte unverzüglich mit Mowanye und Sander sprechen. Sie sollten sich im Gästehaus befinden. Fragt die Diener, wo sie die beiden Männer einquartiert haben.“
Während sie auf die Ankunft der beiden Männer warteten, löcherte Nalia die beiden Kalmarer mit weiteren Fragen. Die waren mehr als froh, als die Königin und Halldor zwei neue Opfer fanden. Allerdings wurden die folgenden Gespräche nicht nur für Rion zur Zerreißprobe. Auch Geralt bekam Atemnot, als Mo von seinen Visionen berichtete und in mindestens jedem zweiten Satz Meleas Name fiel. Doch im Gegensatz zu Rion konnte er sich beherrschen und brüllte Mo nicht unentwegt an, oder wollte ihm gar an den Hals gehen. Letztere Aktion veranlasste Nalia dazu, Rion vor die Tür zu setzen.
„Das war definitiv zu viel für ihn“, murmelte Geralt, als Rion von drei Wachen hinausgebracht wurde.
„Kein Wunder! Hätte ich gewusst, worum es hier geht, hätte ich ihn erst gar nicht an diesen Gesprächen teilhaben lassen“, sagte Nalia.
„Selbst ich bin völlig schockiert, wie muss es dann ihm ergehen? Er ist Meleas Vater!“
Halldor nickte dazu, wobei er Geralt beobachtete. Der verbarg sein Gesicht hinter den Händen und schüttelte alle naselang den Kopf.
Nun beugte sich Halldor vor und musterte Mo eindringlich.
„Ihr sagtet, Eure Visionen lassen keinen Zweifel zu. Wieso denkt Ihr das?
Ich meine, es sind Visionen der Zukunft! Was macht Euch so sicher, dass wir sie nur auf diese Weise beschreiten können?“
„Weil ich nicht allein mit diesen Visionen bin.“
„Respa?“, fragte Nalia direkt.
„Ja, Eure Hoheit!“
„Ich werde später mit ihr reden. Und jetzt seid so freundlich und wartet einen Moment draußen. Ich muss mich kurz mit General Halldor besprechen und komme gleich nach. Richtet Rion aus, dass ich ihn gleich zu seiner Tochter bringen werde.“
Eine Wache kam herbei und führte die beiden Männer hinaus.
„Ihr zieht doch wohl nicht tatsächlich in Erwägung, den Herrscherrat einzuberufen?“, fragte Halldor.
„Doch, das tue ich durchaus.“
„Hoheit, Ihr …“
„Habt Ihr den Männern zugehört, General?“
„Ja!“
„Und Ihr glaubt ihnen nicht!“
„Doch. Aber ich halte es für unnötig, deswegen den Rat einzuberufen. Schon gar nicht Torgulas.“
Nalia sah ihn nachdenklich an.
„Überstürzt nichts, Hoheit. Lasst mich mit Gento sprechen und eine Schiffsflotte aussenden, die sich ein Bild von der Lage machen“, sagte Halldor.
„Also gut, Halldor.“
Er atmete erleichtert auf, bis Nalia aufstand.
„Schickt Schiffe aus! Aber was meine Entscheidung wegen des Rates anbelangt – diese werde ich fällen, sobald ich Melea einen Besuch abgestattet habe. Ich hoffe, sie ist wach und kann mir ein paar Fragen beantworten.“
3
Halldor schnappte sich seinen Helm und lief eilig zur Tür, aus der Nalia bereits hinaus war.
„Ich würde auch gerne zu Lea und sehen, wie es ihr geht“, sagte Geralt.
„Eigentlich wollte ich Euch mit Halldor und meinem Sekretär in die Stadt schicken. Ich hätte gerne die seltsamen Fische, damit meine Alchimisten diese untersuchen können. Außerdem muss Halldor zu meinem Flottenkommandanten. Und in derZwischenzeit wird mein Sekretär herausfinden, ob mein General einen Bruder hat.“
Geralt und Halldor sahen sich kurz an und grinsten zeitgleich, worauf die Königin meinte: „Eigentlich bedarf es nur einer schriftlichen Bestätigung seitens des Waisenhauses. Denn was ich sehe, lässt nur einen Schluss zu. Damit meine ich nicht nur eure äußerliche Ähnlichkeit.“
„Haben wir noch einen kleinen Moment Zeit? Ich möchte wirklich nur sehen, ob alles in Ordnung ist.“
Halldor warf der Königin auf Geralts Frage hin einen Blick zu.
„Also gut, ich kann Euch ja verstehen. Aber wirklich nur einen Moment, denn Halldors Auftrag duldet keinen Aufschub.“
Rion bekam alles nur mit einem Ohr mit. Seine Sorge um Lea und die Geschehnisse, von denen er erst vorhin erfahren hatte, machten ihm sehr zu schaffen. Und dann noch Mo mit seinen seltsamen Visionen.
„Meine Tochter soll ein Bündnis der Königsreiche herbeiführen? Der ist doch irre. Wie soll sie das bewerkstelligen?“, dachte er kopfschüttelnd.
„Und wie war das mit dem Feuerwesen? Ist das Ding jetzt wirklich in ihr?“
Er schaute zu Mo, der sicherheitshalber Abstand zu ihm wahrte, was auch gut war. Rion hätte ihn am liebsten erwürgt.
Er wäre fast in einen Leibwächter gelaufen, da Nalia und somit ihre Wachen unvermittelt stehengeblieben waren.
„Bevor wir weitergehen möchte ich, dass sich Geralt und Rion ein Zimmer aussuchen. Dort könnt ihr Euch nachher frisch machen und ausruhen.
Außerdem werde ich Euch frische Kleidung bringen lassen. Und falls Ihr sonst noch Wünsche habt, sagt es bitte der Dienerschaft.“
Nalias Wachen traten zurück, sodass sie die beiden Männer ansehen konnte.
„Wir sollen hier im Palast bleiben?“, fragte Geralt verblüfft.
„So ist es am einfachsten. Denn ich werde mit Sicherheit noch einige Fragen an Euch haben. Also, sucht Euch eine Tür aus.“
Geralt zuckte mit den Schultern.
„Als wir vorhin hier vorbeikamen, wäre ich am liebsten direkt durch diese Tür gegangen. Sie zieht mich irgendwie magisch an.“
Er drehte den Knauf und warf einen Blick in den Raum dahinter. Nalia nickte Rion aufmunternd zu, woraufhin er mit dem Kopf auf die Tür vor ihm deutete.
„Gut! Die Diener werden frisches Wasser und Getränke für Euch bereitstellen, solange wir noch unterwegs sind.“
Sie wandte sich Mo zu und sagte: „Ihr könnt Euch erst mal zurückziehen. Ich werde später nach Euch und Respa schicken lassen.“
„Dürfte ich auch kurz zu Melea? Ich würde gerne …“
„Du wirst dich von meiner Tochter fernhalten, verdammt!“
Rion hatte nicht laut gesprochen, dennoch kamen zwei Wachen herbei und bauten sich vor ihm auf.
„Ihr seht selbst, dass das momentan keine gute Idee ist.“
Mo nickte der Königin zu und folgte einem Wachmann.
Sie ging daraufhin wortlos weiter und führte die Männer durch einige Flure zu den Krankenquartieren. Gerade als sie eine Tür öffnen wollte, kam ein älterer Mann heraus.
„Hoheit!“
Er fiel auf die Knie.
„Helimus hat mich soeben beauftragt, Euch zu holen.“
„Wie geht es meiner Tochter?“, fragte Rion.
Der Heiler blickte betrübt auf, woraufhin Rion versuchte, an den Wachen vorbeizukommen.
„Sagt schon!“
„Das werden wir gleich herausfinden“, sagte Nalia.
Der Heiler erhob sich und wich zur Seite, als die Königin das Krankenzimmer betrat. Doch nach zwei Schritten blieb sie schockiert stehen, denn so hatte sie ihre Heiler noch nie gesehen. Abgesehen vom Obersten waren noch drei weitere aus dem Orden im Raum, wobei alle vier mehr als erschöpft wirkten.
„Halt!“
Gleichzeitig mit dem Gebrüll des Wachmannes wurde Nalia sanft an den Schultern gepackt und einen Schritt nach vorne geschoben. Sie hob hastig eine Hand, da ihre Wachen ebenfalls an ihr vorbei wollten.
„Lasst ihn! Der Mann will nur zu seiner Tochter.“
Rion kniete bereits neben dem Bett und hielt Meleas Hand, schaute aber zu den Heilern hinüber.
„War sie schon wach?“
Keiner der vier antwortete.
„Was ist geschehen?“, fragte Nalia.
„Ich habe ihre zahlreichen Wunden geheilt, was anfangs auch reine Routine war.
Eine angebrochene Rippe, Hautabschürfungen und etliche Prellungen heilten problemlos, auch das Fieber verschwand. Aber eine Wunde will sich einfach nicht schließen. Zu viert haben wir es versucht, jedoch erfolglos. Und dass sie nicht erwacht, hängt wahrscheinlich mit dieser Wunde zusammen.“
Nalia wurde erneut einen Schritt voran geschoben. Wieder musste sie ihre Wachen davon abhalten, das Krankenzimmer zu stürmen.
„Was wollt Ihr damit sagen?“, fragte Geralt, der sich neben Rion hockte.
Sie hob eine Hand in seine Richtung und wandte sich Helimus zu.
„Ist es die Bisswunde am Oberarm?“
„Ja, Hoheit!“
„Mowanye berichtete, dass diese Tiere wahrscheinlich über Gift verfügen, welches sie durch den Biss abgeben. Könnte dies die Heilung der Wunde abwehren und Melea daran hindern zu erwachen?“
„Wir wissen von dem Gift und haben alles Erdenkliche versucht, um es aus ihrem Körper zu verbannen. Aber von uns kommt keiner dagegen an, was nur einen Rückschluss zulässt: Das Gift ist magischen Ursprungs! Die junge Frau befindet sich in einer Bewusstseinsstarre, und wenn uns nicht schnell etwas einfällt, dann …“
„Was?“, hakte Rion aufgebracht nach, da Helimus nicht weitersprach.
„Dann wird …“
„Dann werde ich persönlich dafür sorgen, dass Melea den Weg ins Leben zurückfindet“, unterbrach Nalia den obersten Heiler.
„Seid Ihr auch eine Heilerin?“
„Nein, Geralt. Meine Fähigkeiten liegen auf einem anderen Gebiet.“
Sie ging ans Kopfende des Bettes und berührte mit den Fingerspitzen Leas Stirn.
„Ich vermag es, in das Bewusstsein anderer Wesen einzudringen.“
„Wie meint Ihr das?“, fragte Rion flüsternd.
„Stellt Euch vor, Ihr könntet in den Kopf eines anderen Menschen eindringen und dessen Erinnerungen, Gedanken und Gefühle erforschen.“
Seine Augen weiteten sich ungläubig.
„Das ist unmöglich!“
Nalia musste lächeln.
„Nein, ist es nicht. Ich besitze diese Fähigkeit. Und ich kann versuchen, Melea zu helfen, indem ich ihr den Weg zurück zeige.“
„Einen Weg zurück?“
„Manchmal verirrt sich der Geist eines Menschen in seinem Innersten. Oder er zieht sich zurück, weil er etwas Schreckliches erlebt hat. Dann ist es für denjenigen oft schwierig, den Weg in die Realität zurückzufinden. Wenn eine der Varianten auf Melea zutrifft, sollte es für mich kein Problem sein, sie zu finden und in die Realität zurückzuführen. Falls aber Magie eine Rolle spielt und das Blut des Wesens einen Zauber der Bewusstseinsstarre hervorruft, dann wird es ein wenig komplizierter.“
„Wie sollte Blut so etwas zustande bringen können?“
„Magie macht vieles möglich, Geralt.“
„Was meint Ihr mit komplizierter?“, fragte Rion.
„Nun ja, es könnte sein, dass Melea in ihrem eigenen Geist gefangen gehalten wird. Zum Beispiel in einer ihrer Erinnerungen. Sie darin zu finden, ist sehr zeitaufwendig.“
„Zeit, die wir nicht haben“, sagte Helimus.
„Denn selbst wenn Ihr die junge Frau dazu bewegt aufzuwachen, so tobt in ihrem Körper immer noch das Gift.“
„Sobald wir die Kiste vom Hafen haben, werden sich Valamar und die Alchimisten mit den Tieren befassen. Sie werden ein Gegengift finden.“
„Was macht Euch da so sicher?“
Nalia blickte in Rions feuchte Augen und lächelte ihm aufmunternd zu.
„Valamar ist ein Meistermagier. Wie ich eben schon sagte – Magie macht vieles möglich.“
Geralt streichelte sanft über Leas Wange und flüsterte: „Du bist stärker als das verfluchte Gift. Also kämpf gefälligst dagegen an. Und wenn ich nachher zurückkomme, will ich irgendeine Frechheit hören und dein freches Grinsen sehen.“
Er erhob sich, klopfte Rion auf die Schulter und sagte zur Königin: „Ich will auf dem schnellsten Weg zum Hafen und die Kiste holen. Habt Ihr ein Pferd für mich?“
„Halldor wird Euch eines zur Verfügung stellen.“
Geralt nickte, eilte zur Tür und sah Halldor an, der unter dem Rahmen stand.
„Los, beeilen wir uns!“
Auf das Nicken der Königin hin wandte sich der General ab. Sie lauschten den schweren Schritten der beiden Männer, die sich im Laufschritt entfernten. Als sie verhallt waren, trat Nalia an Rion heran und legte eine Hand auf seine Schulter.
„Darf ich bitte hierbleiben?“, fragte er leise.
„Nein, tut mir leid. Ich erwarte drei meiner Heiler. Wir wollen gleich einen neuen Versuch unternehmen, die Wunde zu schließen“, sagte Helimus.
„Aber sagtet Ihr nicht vorhin, Ihr hättet bereits alles Erdenkliche versucht?“
„Das heißt aber nicht, dass wir aufgeben.“
„Ich halte es ebenfalls für sinnvoll, wenn Ihr Euch ein wenig zur Ruhe begebt“, meinte Nalia.
„Ich werde keine Ruhe finden, solange es meinem Mädchen schlecht geht.“
„Ihr werdet Melea keine Hilfe sein, wenn Ihr vor Erschöpfung zusammenbrecht.“
„Und uns auch nicht! Wir haben mit Eurer Tochter wahrlich genug zu tun“, sagte Helimus, wobei er leicht lächelte.
„Kommt, Rion. Ich bringe Euch zu Eurem Zimmer.“
Widerwillig folgte er Nalia aus dem Krankenzimmer. Helimus stand seufzend auf, um die Tür zu schließen. Dabei bemerkte er die rauchige Erscheinung nicht, die hinter dem Kopfende des Bettes emporschwebte. Der dunkelgraue Dunst zerfaserte, und es bildeten sich fünf Auswüchse, die wie lange Finger anmuteten. Diese krochen über das Kissen zu Leas Kopf. Und während Helimus noch einen Blick auf den Flur warf, riss Lea Augen und Mund auf. Sämtliche Muskeln verkrampften. Ihr gesamter Körper zuckte unkontrolliert, als der unheilvolle Nebel durch Augen, Nase und Mund in ihren Körper drang.
„Verflucht, nicht schon wieder.“
Helimus warf die Tür hinter sich zu und eilte zum Krankenbett.
„Ich muss noch einige Dinge in die Wege leiten, bevor ich zu Eurer Tochter gehe und den Versuch wage, in ihren Geist vorzudringen.“
„Ich möchte gerne dabei sein, wenn Ihr dies tut.“
„Ihr werdet vor der Tür warten müssen, Rion“, sagte Nalia.
„Sie ist meine Tochter, und ich will bei ihr sein. Ist das denn so schwer zu begreifen?
Verflucht noch mal“, brüllte er plötzlich.
Nalia musste mal wieder ihre Wachen davon abhalten, Rion anzugehen.
„Es erfordert absolute Konzentration, so etwas zu tun. Und es kann für Melea und auch für mich sehr gefährlich werden, sollte ich unerwartet aus ihrem Geist herausgerissen werden.“
Rion schüttelte verständnislos den Kopf und atmete tief durch.
„Verzeiht, Hoheit. Ich kenne mich mit derlei Dingen nicht aus.“
„Ich verstehe Euch. Glaubt mir bitte, wir tun wirklich alles, was in unserer Macht steht, um Melea zu helfen.“
„Ich danke Euch …“
Nalia unterbrach ihn, indem sie dazwischen sprach: „Ich muss nun wirklich los. Also, geht bitte in Euer Zimmer, macht Euch frisch, ruht Euch aus und esst etwas. Ich werde Euch nachher abholen, wenn ich zu den Krankenquartieren gehe.“
Rion wusste gar nicht, wie ihm geschah, als Nalia die Tür öffnete und ihn kurzerhand in den Raum schubste. Er zuckte ein wenig zusammen, da die Tür hinter ihm recht laut ins Schloss krachte.
Nalia blieb davor stehen und streichelte dem Wassermann über die Schwanzflosse. Dann ging sie zu der Tür, die Geralt ausgewählt hatte und murmelte: „Wer hätte das gedacht?“
Einen Moment lang betrachtete sie die gefiederte Seeschlange, dann eilte sie los.
Rion stand immer noch an der Tür und sah sich mit großen Augen um.
„Das Zimmer ist halb so groß wie mein Haus“, schoss es ihm durch den Kopf.
Der Raum maß fünfzehn Meter in der Länge und sieben in der Breite. Der Schlafbereich befand sich rechts von ihm und vereinnahmte ein Drittel des Zimmers. Allein das Bett war so groß, dass eine vierköpfige Familie darin Platz finden würde. Daneben stand ein kleines Tischchen mit einer Öllampe. Dann gab es einen Schrank, aus dem man ein weiteres Zimmer hätte machen können, und zwei Truhen, in die er sich bequem reinlegen könnte. Ein großer Kamin zierte die Wand vor ihm. Davor standen vier große Sessel.
Langsam ging Rion nach links und bestaunte die Fensterfront von fünf Metern Breite. Die Fenster reichten vom Boden bis unter die drei Meter hohe Decke. An der rechten Seite gab es eine Tür, die zum Balkon hinausführte. Es zog ihn jedoch zur linken Seite, wo es einen abgetrennten Bereich gab.
Vorsichtig, als hätte er Angst davor, dass ihn etwas anspringen könnte, schob Rion einen schweren Vorhang beiseite und warf einen Blick in den separaten Raum. Dort stand ein langer Tisch mit zwei eingelassenen Waschschüsseln. Ein großer Wasserkrug stand daneben auf einem Tischchen, auf dem auch weiße Tücher, Seife und Rasiermesser lagen.
Er schob den Vorhang nun ganz zur Seite und erblickte direkt den großen Badezuber zu seiner Rechten. Am Ende des Raums entdeckte er eine hölzerne Abdeckung auf dem Boden. Seine Überlegungen, welchem Zweck diese wohl diente, waren hinfällig, als er den Deckel anhob. Wegen des bestialischen Gestanks ließ er den Holzdeckel direkt wieder fallen und flüchtete ins Zimmer zurück. Er ging zur Balkontür, zog den Riegel zurück und wollte gerade hinausreten, als es vernehmlich klopfte. In der Annahme, die Königin sei zurück, eilte er durchs Zimmer und riss die Tür auf.
Ein alter, runzliger Mann ohne Haare und ein schwerbepackter Junge von vielleicht dreizehn Sommern schoben sich an ihm vorbei. Der Mann ging in die Richtung des Kamins, und der Junge schleppte einen großen Sack zum Bett.
„Kommt doch rein“, murmelte Rion und schloss die Tür.
Der Alte neigte sein Haupt, als Rion auf ihn zuging.
„Verzeiht die Störung, mein Herr. Die Königin beauftragte uns, Euch einige Kleidungsstücke zu bringen. Mein Name lautet Poro, und der Junge heißt Lenas.“
Der Junge kam herbei, musterte Rion von allen Seiten und lief wieder zum Bett. Dort hatte er den Inhalt des Sackes verteilt und sortierte nun Kleidungsstücke aus. Dies tat er recht zügig. Letztlich packte er ein paar wenige Sachen wieder ein.
Rion warf einen Blick aufs Bett, auf dem nun Hosen, Hemden und zwei Umhänge lagen.
„Das sollte als Erstausstattung reichen.“
Völlig verblüfft schaute Rion die beiden abwechselnd an, bis Lenas auf seine Stiefel zeigte.
„Oh, da hast du wohl Recht, mein Junge.“
Rion schaute kurz an sich hinunter.
„Lenas ist der Meinung, Eure Stiefel hätten ihren Dienst getan, mein Herr. Er wird Euch gleich neue bringen“, sagte Poro lächelnd.
„Nennt mich bitte nicht so. Mein Name ist Rion.“
Er sah Lenas an und fragte: „Kannst du nicht sprechen?“
„Niemand weiß, wieso er nicht spricht. Auch die Heiler nicht. Lenas ist bereits sein halbes Leben hier und hat bisher nicht ein Wort gesprochen.“
Der Junge schnappte sich den fast leeren Sack und ging zur Tür.
„So, bis auf die Stiefel sind wir hier erst mal fertig.“
Rion sah die beiden verwundert an.
„Soll ich die Sachen nicht anprobieren?“
Poro schüttelte lächelnd den Kopf.
„Glaubt mir, sie werden passen, Lenas hat einen Blick dafür.“
Nachdem sie gegangen waren, stand Rion wieder allein im Zimmer und betrachtete seine Stiefel.
„So schlimm sehen die doch gar nicht aus“, dachte er.
Wenig später wühlte er in den Kleidungsstücken und murmelte erstaunt vor sich hin.
„Das sind ja alles neue Sachen.“
Er entschied sich für eine dunkle Lederhose und ein Hemd in der gleichen Farbe. Seine vor Dreck und Blut starrenden Klamotten warf er auf einen Haufen neben das Bett. Dann begab er sich hinter die Abtrennung, wusch sich ausgiebig, und nachdem er sich auch noch rasiert hatte, zog er die neuen Sachen an. Verwundert stellte er fest, dass sie wirklich perfekt passten.
Die anderen Sachen legte er ordentlich zusammen und verstaute sie im Schrank. Da er jetzt nichts mehr zu tun hatte, begann er damit, im Zimmer auf und ab zu gehen.
„Hoffentlich kann ihr dieser Heiler helfen“, murmelte er vor sich hin.
„Und was, wenn nicht?“, schoss es ihm durch den Kopf.
„Wird die Königin dann wirklich in Leas Geist eindringen? Wie soll das vonstattengehen? Mit Magie? Oh Mann, bloß keine Magie. Ich hasse Magie, sie führt zu nichts Gutem.“
Am Kamin blieb Rion stehen und schaute zur Tür.
„Ich halte diese Warterei nicht aus. Ob Geralt schon zurück ist?“
Er ging zu Geralts Zimmer, doch sein Klopfen blieb ungehört.
„Verdammt, er ist bestimmt mit seinem Bruder unterwegs. Falls Halldor denn sein Bruder ist.“
Missmutig kehrte er in sein Zimmer zurück, wo er von Lenas erwartet wurde. Er stand mitten im Raum, schaute ihn ernst an und reichte ihm ein zugeschnürtes Bündel. Rion nahm es entgegen und blickte Lenas verdattert nach, als der zur Tür hinausging.
„Danke“, rief er ihm nach.
„Seltsamer Junge“, dachte er und setzte sich auf einen Sessel.
Dort packte er seine neuen Stiefel aus und bekam große Augen. Solche Stiefel hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht besessen. Sie bestanden aus schwarzem Büffelleder, waren unglaublich weich und passten wie angegossen. Rion ging ein paar Schritte auf und ab und schüttelte verwundert den Kopf.
„Wie macht der Junge das nur? Nur durch Ansehen eines Menschen zu wissen, welche Kleidung er braucht … unglaublich.“
Seufzend setzte er sich wieder und hoffte auf weitere Ablenkung, doch die kam nicht. So wurde das Warten zur Tortur.