Kitabı oku: «Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten», sayfa 17
Nun jedoch sickerte nach und nach die Erkenntnis in ihr Bewusstsein, dass genau das doch geschehen würde, und dass es ausgesprochen unwahrscheinlich war, dass sich noch ein Wunder ereignete, durch das sie gerettet wurde. Resignation begann sich in ihr breitzumachen.
Ein halbe Stunde, vielleicht eine Stunde, in der sie trübsinnig ihren Gedanken nachhing und zwischenzeitlich immer wieder im Kreis in dem Zimmer herumrannte, um sich ein wenig aufzuwärmen, verging, bis sie von draußen plötzlich sich nähernde Hufschläge hörte. Kurz darauf wurde der Riegel zurückgezogen und die Tür wieder geöffnet.
"Es ist so weit", sagte Rattengesicht. "Komm schon, Schätzchen, dein großer Auftritt steht bevor. Und zugleich auch dein letzter."
Umständlich richtete sich Miranya auf und trat auf ihn zu. Als sie sich für seinen Geschmack zu langsam bewegte, packte er sie und stieß sie vor sich her. Sie gingen auf die nach draußen führende Tür zu, doch bevor sie sie erreichten, hielt er Miranya noch einmal zurück.
"Eines solltest du noch wissen", sagte er. "Nimm es als einen freundschaftlichen Rat. Scruul hat kein Interesse daran, dass dein Magierfreund Maziroc getötet wird, solange er sein Vertrauen genießt und es unter Umständen noch zu seinem Vorteil ausnutzen kann. Solltest du jedoch nicht mitspielen und ihn trotz des Knebels irgendwie warnen, dann wird auch er sterben. Ich habe mehrere Bogenschützen im Gelände postiert. Wenn du also nicht willst, dass Maziroc mit dir zusammen stirbt, dann mach besser keine Dummheiten. Hast du verstanden?"
Miranya nickte niedergeschlagen. Sie wollte nicht, dass Kenran'Del in die Hand des Dunklen Bundes geriet, aber sie wollte auch nicht, dass Maziroc starb, und natürlich wollte sie auch ihren eigenen Tod nicht. Aber sie war hilflos, es gab nichts mehr, was sie dagegen tun, wie sie die anderen warnen konnte. So alt, erfahren und mächtig in der Magie Maziroc auch war, die Fähigkeit, ihre Gedanken zu lesen, beherrschte er nicht, und sie glaubte auch nicht, dass Kenran'Del dazu in der Lage war.
Sie verließen das Haus. Etwa drei Dutzend Schritte von ihr entfernt, am Ende des freien Platzes, standen Maziroc und ein ihr fremder Mann. Beide waren von ihren Pferden abgestiegen. Der Fremde war groß und schien sehr kräftig zu sein, obwohl dieser Eindruck auch durch den dicken Mantel erweckt werden konnte, den er trug. Dichtes dunkelblondes Haar umgab sein markant geschnittenes Gesicht. Obwohl er angespannt und ernst blickte, glitzerte in seinen Augen ein leicht spöttischer Ausdruck.
Es musste sich um Kenran'Del handeln.
Interessiert betrachtete Miranya ihn. Er war ein sehr gut aussehender Mann, offenbar sogar ein wahrer Hüne, und sie konnte sich vorstellen, dass ihm so manches Frauenherz zuflattern würde, wenn er es nur darauf anlegte. Auch auf sie machte er einen sympathischen Eindruck, aber das war auch alles. Fast war Miranya ein wenig enttäuscht. Sie wusste nicht recht, was sie erwartet hatte. Nach allem, was sie gehört hatte, wahrscheinlich eine Art Überwesen, eine Gestalt mit einem fast gottartigen Charisma, dabei hatte auch Maziroc in seiner Geschichte von seinem ersten Zusammentreffen mit Kenran'Del diesen als äußerlich völlig normalen Menschen mit ziemlich genau diesem Aussehen geschildert.
"Du bist Kenran'Del?", rief der Rattengesichtige.
Der blonde Mann nickte. "So ist es."
"Dann beweise es uns. Der Legende nach besitzt der echte Kenran'Del ein einzigartiges Flammenschwert."
"Wie du willst." Der Mann drückte Maziroc die Zügel seines Pferdes in die Hand, dann schlug er langsam seinen Mantel zur Seite, griff an seinen Gürtel und zog ein Schwert aus der Scheide. Es sah aus wie jede andere Klinge, wie Miranya feststellte. Als er es jedoch ein paar Sekunden in der Hand gehalten hatte und auf einen Busch am Rande der Lichtung richtete, begann die Klinge plötzlich zu leuchten. Ein greller Blitz löste sich aus der Spitze, zuckte auf den Busch zu und ließ ihn in einer Stichflamme auflodern. Nur Asche und etwas brodelndes Wasser, in das sich der Schnee verwandelt hatte, blieben zurück.
"In Ordnung", sagte Rattengesicht. "Jetzt steck das Schwert wieder weg! Leg die Hände auf den Kopf und komm langsam zu uns herüber!"
Widerspruchslos folgte Kenran'Del dem Befehl. Er steckte das Schwert vorsichtig in die Scheide zurück, faltete die Hände über dem Kopf und kam auf die Mühle zu.
"Nicht erschrecken", hörte Miranya plötzlich eine männliche Stimme leise in ihr rechtes Ohr wispern, aber natürlich tat sie es doch. Sie zuckte zusammen wie unter einem Hieb und blickte sich hastig um, doch niemand stand rechts von ihr.
Der Rattengesichtige hatte ihr Zusammenzucken bemerkt und warf ihr einen kurzen misstrauischen Blick zu. Gleich darauf aber zuckte er mit den Schultern und beobachtet wieder den sich nähernden Kenran'Del.
"Hab keine Angst", vernahm Miranya erneut die leise Stimme. "Dir wird nichts passieren, aber lass dir jetzt nichts mehr anmerken, sonst bringst du uns nur beide in unnötige Gefahr."
Sie warf einen nervösen Blick zur Seite, doch auch weiterhin konnte sie niemanden sehen. Nicht nur das, sie spürte auch geistig nichts. Jedes intelligente Wesen, selbst die meisten ihr bekannten größeren Tiere, strahlten eine mentale Aura aus, eine Art geistiges Rauschen, das ein Magier und eine Hexe auffingen, auch wenn sie es meist nur unterbewusst wahrnahmen. Miranya bezweifelte, dass so etwas überhaupt möglich war, doch selbst wenn sie es mit einem so mächtigen Magier zu tun hätte, dass dieser sich unsichtbar machen könnte, müsste sie seine Gegenwart zumindest mental spüren. Aber so sehr sie sich auch anstrengte, sie empfing absolut nichts.
Obwohl es unmöglich war, weil sich neben ihr absolut niemand befinden konnte, spürte sie jedoch im nächsten Moment die Berührung einer kalten Messerklinge an ihren Handgelenken. Ihre Fesseln wurden bis auf einige dünne Faserstränge durchgeschnitten.
"Den Rest kannst du selbst zerreißen", raunte ihr die Stimme zu. "Warte, bis ich es dir sage, dann befreie dich und lauf zu Maziroc hinüber. Keine Sorge wegen der Heckenschützen, um die kümmere ich mich."
Unter anderen Umständen hätte die Gegenwart eines Mannes, den sie weder sehen noch mental spüren konnte, sie sicherlich geängstigt. Jetzt aber hatte sie nichts mehr zu verlieren, und offensichtlich versuchte der Fremde ihr wirklich zu helfen. Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung für sie.
Kenran'Del hatte mittlerweile mehr als die Hälfte der Strecke bis zur Mühle zurückgelegt. Er schien wirklich bereit zu sein, sich ohne jede Gegenwehr zu ergeben und den Caer-Sharuun auszuliefern, allerdings stand für Miranya außer Frage, dass er etwas von dem Befreiungsversuch wusste und vermutlich auch etwas mit ihrem unsichtbaren Helfer zu tun hatte.
In diesem Moment zuckte der Rattengesichtige plötzlich zusammen. Miranya sah, dass er ein Stück neben ihr zu Boden starrte, und als sie seinem Blick folgte, sah auch sie, was er entdeckt hatte. Ihr unsichtbarer Helfer mochte aufgrund einer ihr unbekannten Magie unsichtbar und mental stumm sein, aber in dem gut knöchelhohen Schnee hinterließ er Fußabdrücke wie jeder andere Mensch auch.
Der Rattengesichtige hielt sich nicht erst lange mit Überlegungen auf, woher die Abdrücke stammten, obwohl er niemanden sehen konnte. Er stieß einen warnenden Ruf aus, während seine Hand zum Gürtel glitt. Blitzschnell zog er sein Schwert und ließ die Klinge in Leibeshöhe dort durch die Luft wirbeln, wo am Boden gerade ein weiterer Abdruck unter der Last eines unsichtbaren Fußes im Schnee entstand. Ein Schmerzensschrei ertönte aus dem Nichts.
Nur wenige Sekunden später wurde die alte Mühle von einer Explosion erschüttert. An gleich drei verschiedenen Stellen loderten Stichflammen empor, die in dem trockenen Holz sofort frische Nahrung fanden und sich in rasendem Tempo weiterfraßen. Die Männer, die sich noch in dem Gebäude aufhielten, kamen in Panik ins Freie gestürzt; sogar der Heckenschütze, der im Obergeschoss gelauert hatte, sprang voller Furcht direkt aus dem Fenster, da die Flammen ihm jeden anderen Fluchtweg abschnitten. Sekundenlang herrschte völliges Chaos.
Miranya sah, dass Kenran'Del mittlerweile wieder umkehrte und zu Maziroc zurückhastete. Sie zerriss die Reste ihrer Fesseln, tauchte unter dem Schwert des Rattengesichtigen hindurch und versetzte ihm einen Stoß, der ihn zurücktaumeln ließ. Gleich darauf wollte sie ebenfalls zu Maziroc hinüberrennen, doch die Hand ihres unsichtbaren Helfers ergriff sie am Arm und zerrte sie in eine andere Richtung, direkt auf die nächststehenden Büsche zu.
Hinter ihnen brüllte der Rattengesichtige irgendwelche Befehle, doch niemand hörte auf ihn. Die Mühle loderte bereits lichterloh, viel schneller, als sie in den wenigen Sekunden, die seit der Explosion erst verstrichen waren, eigentlich hätte brennen dürfen. Kopflos flüchteten die Männer vor dem Flammeninferno und der Höllenhitze, die von dem Gemäuer ausstrahlte. Keiner dachte daran, die flüchtende Miranya zu verfolgen, und von dem Unsichtbaren schien außer dem Mann mit dem rattenähnlichen Gesicht ohnehin keiner etwas mitbekommen zu haben. Dafür war alles zu schnell gegangen.
Als er merkte, dass niemand seinen Befehlen gehorchte, nahm der Rattengesichtige schließlich selbst die Verfolgung auf, doch hatten Miranya und ihr unsichtbarer Begleiter bis dahin bereits einen beträchtlichen Vorsprung. Sie tauchten in das dichte Buschwerk ein.
"Lauf noch ein Stück weiter und warte dann auf mich!", befahl der Unbekannte. "Ich halte ihn auf."
Er ließ ihren Arm los. Wie er es ihr aufgetragen hatte, lief Miranya weiter. Zwischen den Sträuchern lag nicht so viel Schnee, als dass es deutliche Spuren gegeben hätte, außerdem ließ sie bei jeder Berührung der Zweige hinter sich so viel Schnee herabwirbeln, dass dieser ihre Abdrücke sofort wieder verdeckte.
Sie bekam nicht genug Luft für die Anstrengung, aber immerhin hatte sie jetzt die Hände frei. Während des Laufens zerrte Miranya den Knebel aus dem Mund, schleuderte ihn zur Seite und genoss es, wieder frei durchatmen zu können.
Hinter sich hörte sie einen Schlag, dem ein Schmerzenslaut und gleich darauf ein dumpfer Fall folgten. Wenige Sekunden später trat ein ihr unbekannter Mann aus dem Unterholz. Er besaß eine vage Ähnlichkeit mit Kenran'Del, doch war er nicht ganz so groß und kräftig. Außerdem wirkte sein Gesicht feiner und ausdrucksstärker. Kleine Fältchen um seinen Mund und seine Augen und zwei Grübchen an seinen Wangen verrieten, dass er gerne lachte, doch in seinen braunen Augen, die durch die langen, seidigen Wimpern noch betont wurden, stand auch der Ausdruck eines tief in ihm verborgenen Schmerzes geschrieben; eine Melancholie und Traurigkeit, die sie auf sonderbare Weise anrührten. Sein Alter war schwer zu schätzen. Er mochte Anfang dreißig sein, vielleicht einige Jahre jünger, vielleicht älter.
Mit Schrecken registrierte Miranya, dass sie ihn selbst jetzt mental nicht spüren konnte, obwohl sie ihn sah. Er war in dieser Hinsicht so stumm, als gäbe es ihn gar nicht, eine gänzlich fremde und unangenehme Erfahrung für sie. Aber auf jeden Fall hatte er ihr erst die Flucht ermöglicht und sie damit gerettet, also stand er wohl auf ihrer Seite. Dann sah sie, dass im linken Ärmel seines Mantels ein Loch klaffte. Die Ränder waren blutverschmiert, und jetzt erinnerte sie sich auch wieder, dass der Rattengesichtige ihn mit seinem Schwert angegriffen hatte.
"Du bist verwundet", stieß sie hervor und griff nach seinem Arm, um nach der Wunde zu sehen, doch er entzog sich ihr.
"Das ist nur ein kleiner Kratzer", behauptete er. "Darum können wir uns später kümmern. Jetzt müssen wir erst einmal weg von hier, bevor diese Kerle sich von ihrem Schrecken erholt haben und sich an die Verfolgung machen. Noch ein Stückchen weiter, dort warten zwei Pferde auf uns."
"Dann sag mir wenigstens, wie du heißt", verlangte Miranya. "Immerhin hast du mir das Leben gerettet. Diese Kerle wollten mich gar nicht austauschen. Sie hätten mich getötet, sobald sie Kenran'Del in ihrer Gewalt gehabt hätten."
"Ich weiß", erklärte der Fremde. "Maziroc und ich dachten uns bereits, dass irgendetwas an der Sache faul wäre. Deshalb habe ich mich unsichtbar schon vor der Ankunft deiner Entführer in der Mühe versteckt und dort einige Vorbereitungen getroffen. Anschließend habe ich sie unbemerkt belauscht und konnte mir anhand dessen zusammenreimen, was sie vorhatten."
"Dann kannst du dich wirklich unsichtbar machen?"
"Nicht aus eigener Kraft, aber ich besitze so etwas wie eine Tarnkappe."
Von der Seite her warf Miranya ihm einen verständnislosen Blick zu.
"Du und Maziroc, ihr würdet es wohl als eine Art Skiil bezeichnen."
"Dann musst du ein äußerst mächtiger Magier sein", sagte Miranya staunend. "Trotzdem hat Maziroc dich bislang nicht erwähnt. Kennst du ihn schon länger?"
"So könnte man es wohl nennen", erwiderte der Mann mit eigentümlicher Betonung. Als Miranya ihn anblickte, sah sie, dass er grinste. "Seit ungefähr tausend Jahren, wie ich mittlerweile erfahren habe, auch wenn ich den allergrößten Teil dieser Zeit verschlafen habe. Wesentlich mehr, als ich eigentlich geplant hatte. Diese Kerle waren hinter mir her. Ich bin Kenran'Del. Der echte."
Drachenflug
Trotz des wenigen Schlafs, den er in der vergangenen Nacht gehabt hatte, blieb Maziroc auch an diesem Abend in Ravenhorst noch lange wach und harrte zusammen mit den Zwergen der Rückkehr der übrigen Drachen und ihrer Reiter, doch sie warteten vergebens. Nicht ein einziger der vier noch vermissten Drachen kehrte zurück, und als schließlich Mitternacht verstrich, schwanden auch die Hoffnungen der größten Optimisten unter den Zwergen. Einer der Späher war sogar in die Nähe von Ai'Lith geschickt worden, um die Umgebung im Umfeld der Hohen Festung der Elben auszukundschaften, doch auch er blieb verschollen, und das bereitete Maziroc besonders große Sorgen. Entweder hatten die geflügelten Damonen die Späher bereits kurz nach ihrem Aufbruch aus Ravenhorst abgefangen und getötet, oder sie waren innerhalb der letzten Tage bereits sehr viel weiter vorgerückt und hatten größere Teile Arcanas unter ihre Kontrolle gebracht, als er in seinen schrecklichsten Alpträumen für möglich gehalten hatte.
Wenn sie sich wirklich geteilt hatten, und ihr einer Heerzug hatte bereits fast die Todessümpfe erreicht, dann war es auch durchaus möglich, dass der übrige Teil ihrer Armee Ai'Lith bereits in den nächsten Tagen erreichen würde. Die Hohe Festung der Elben stellte das letzte Bollwerk dar, das den Einfall der Damonen in die Westländer noch verhindern konnte. Möglicherweise aber waren sie dort sogar schon eingedrungen, wenn sie Ai'Lith einfach umgangen hatten, statt zu riskieren, in einem langen, blutigen Kampf um die Elbenfestung zu unterliegen und zurückgeworfen zu werden.
Am späten Abend fanden sich die Zwergenkönige erneut zu einer Krisenberatung zusammen. Als König der Krieger wurden Borrus angesichts der Bedrohung weitreichende Vollmachten erteilt. Auf seinen Befehl hin wurden sofort sämtliche Vorkehrungen für eine möglichst erfolgreiche Verteidigung Ravenhorsts im Fall eines Angriffs durch die Damonen getroffen.
Maziroc erfuhr lediglich durch Garwin davon. Da es sich bei diesen Verteidigungsvorbereitungen um geheime Angelegenheiten handelte, die nur das Zwergenvolk betrafen, hatte man ihn nicht gebeten, an der Sitzung teilzunehmen, und er hätte auch kein Interesse daran gehabt. Nach normalen Maßstäben war Ravenhorst unmöglich einzunehmen. Wer immer es versuchen würde, würde jeden eroberten Fußbreit Boden schon in den Sümpfen mit einem unvorstellbaren Blutzoll bezahlen. Er bezweifelte, dass selbst die Damonen sich solche Verluste leisten konnten. Sollten sie sich tatsächlich auf ein so selbstmörderisches Unterfangen einlassen, würde ihr Heer aufgerieben werden und keine Gefahr für die ungleich weniger geschützten Städte im übrigen Miirn mehr darstellen.
Ähnliches galt auch für Ai'Lith, wohin sich Mazirocs Gedanken immer wieder verirrten. Sollten die Damonen die Hohe Festung angreifen, so verschaffte jeder Tag, an dem sie gegen die unbezwingbaren Mauern anstürmten, Eibon und vor allem Charalon mehr Zeit, ihre Verteidigungsallianz zu schmieden, neue Truppen auszuheben und zusammenzuführen, um Larquina und die übrigen Westländer zu schützen.
Dennoch beruhigte dieser Gedanke Maziroc nicht, und als er sich gegen Mitternacht in seinem Quartier zur Ruhe begab, lag er trotz seiner Müdigkeit auch in dieser Nacht wiederum noch lange wach. Eine Mischung aus Sorge über das, was anderenorts auf Arcana passieren mochte, und die Vorfreude auf seinen bevorstehenden Drachenflug beschäftigte seine Gedanken so stark, dass er keine Ruhe fand. Fast zwei Stunden lang grübelte er vor sich hin, ehe es ihm schließlich gelang, wenigstens in einen leichten, wenig erholsamen Schlummer zu sinken.
Pünktlich mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne erwachte er am nächsten Morgen bereits wieder. Gerne hätte er vor seinem Aufbruch noch einmal mit den Königen gesprochen, doch wurde ihm mitgeteilt, dass sie noch schliefen und nach der langen Nachtsitzung wohl erst in mehreren Stunden aufstehen würden, und diese Zeit war ihm zu lang, um zu warten. So begab er sich auf den Weg zu Pollus und weckte ihn. Der Gardesoldat war vor Vorfreude auf den Flug noch wesentlich aufgeregter als Maziroc selbst, und nach einem ausgiebigen Frühstück machten sie sich auf den Weg zu den Drachengehegen.
Der oberirdisch gelegene Teil dieser Gehege, den Maziroc bereits gesehen hatte, bildete nur einen winzigen Teil der eigentlichen Anlage. Drachen waren Höhlentiere, und so lebten die meisten von ihnen in gewaltigen Kavernen, die den Ashran durchzogen und im Laufe der Jahrhunderte zu einem ins Innere des Berges gegrabenen Teil der Stadt ausgebaut worden waren. Manche der unterirdischen Höhlen bildeten regelrechte Gewölbe, so groß, dass selbst das Licht der zahlreichen Fackeln und Feuerschalen, von denen sie erhellt wurden, nicht ausreichte, bis zur Decke empor zu sehen oder von einem Ende der Höhle bis zum anderen zu blicken.
Bis dorthin allerdings war auch Maziroc noch nicht vorgedrungen; die unterirdischen Drachenhöhlen kannte er nur von den Schilderungen einiger Zwerge her, die bei einem Weingelage, das er vor einigen Jahren mit ihnen abgehalten hatte, allzu redselig geworden waren.
Auch an diesem Tag sollte er die Drachenhöhlen offenbar nicht zu Gesicht bekommen. Als er mit Pollus die Gehege erreichte, wurden sie bereits erwartet. Offenbar hatten die Zwerge damit gerechnet, dass sie schon so früh am Morgen würden aufbrechen wollen, denn es dauerte nur wenige Minuten, bis alles für ihren Aufbruch bereit war.
Ein Zwerg in mittlerem Alter mit einem verschmitzt wirkenden Gesicht kam auf sie zu, musterte sie ein paar Sekunden lang ernst und deutete dann vor Maziroc eine Verbeugung an. Wie schon die anderen seines Volkes ignorierte er Pollus schlichtweg. Allerdings war der Soldat so aufgeregt und voller Vorfreude darauf, einen Drachen aus unmittelbarer Nähe zu sehen und sogar darauf fliegen zu dürfen, dass es ihn gar nicht weiter zu kränken schien. Vielleicht hatte er sich auch einfach mittlerweile daran gewöhnt. Ursprünglich hatte Maziroc Schwierigkeiten mit den Zwergenkönigen befürchtet, wenn er darauf beharrte, dass Pollus ihn begleitete, doch es hatte lediglich einige nicht einmal besonders heftige Proteste Shiras gegeben.
"Mein Name ist Marrin", stellte der Zwerg sich vor. "Ich werde Euch nach Cavillon fliegen."
"Nicht nach Cavillon, zumindest nicht direkt", entgegnete Maziroc. "Es hat eine Änderung gegeben. Zunächst möchte ich Ai'Lith aufsuchen."
"Die Hohe Festung der Elben?", hakte der Zwerg nach, überrascht und unwillig. "Aber ich habe den Auftrag ..."
"Ich habe Grund zu der Vermutung, dass die Damonen auch in Richtung auf die Hohe Festung marschiert sind, und ich muss wissen, was dort geschieht", fiel Maziroc ihm ins Wort. "Ihr braucht nicht in Ai'Lith selbst zu landen, wenn Euch der Gedanke unangenehm ist. Es genügt, wenn Ihr mich in der Nähe absetzt, aber auf jeden Fall ist die Hohe Festung mein Ziel. Ich habe nicht um diese Hilfe gebeten, sie ist mir von Euren Königen angeboten worden. Falls Ihr jedoch ein Problem habt, sie mir zu gewähren, dann sagt es direkt, damit wir nach einem anderen Weg suchen können."
Marrin überlegte ein paar Sekunden lang und musterte den Magier abschätzend, dann nickte er schließlich. "Nein, ich glaube nicht, dass das ein Problem ist", erklärte er, doch besonders glücklich wirkte er dabei nicht. "Ein Ziel ist wohl so gut wie das andere, schließlich müsst Ihr wissen, wohin Ihr wollt."
Er führte sie auf einen Drachen zu, der bereits in der Nähe der Steilklippe wartete, die den Ashran in nördlicher Richtung begrenzte. Ohne es bewusst zu merken ging Maziroc genau wie auch Pollus automatisch immer langsamer, je näher sie ihm kamen. Im Gegensatz zu den allermeisten Menschen hatte er schon zuvor Drachen aus der Nähe gesehen, doch so nah war auch er ihnen noch nie gekommen.
Es handelte sich um das mit Abstand hässlichste Tier, das er je erblickt hatte, eine Bestie, die nur aus Muskeln, grünlich-grauen Panzerplatten und Wildheit zu bestehen schien, obwohl sie im Moment fast reglos stand. Das Gewicht ihres titanischen Körpers lastete auf vier extrem dicken, aber dafür sehr kurzen Beinen, sodass die Bauchseite ihres Leibes fast den Boden berührte. Die Beine endeten in mörderischen Klauen, von denen sich einige wie spielerisch in den massiven Felsuntergrund gegraben hatten. Das Maul des Drachen war groß genug, dass er einen Menschen mit einem Bissen verschlingen könnte, und die darin schimmernden Reißzähne waren lang wie Dolche.
Selbst den Damonen stand die Flugechse an Scheußlichkeit kaum nach, dennoch ließ sie sich in keiner Form mit ihnen vergleichen. Es schien sich um ein noch recht junges Tier zu handeln, zumindest war es nicht annähernd so groß, wie beispielsweise der verletzte Drache vom vergangenen Nachmittag. Obwohl es sich kaum bewegte und trotz seines abstoßenden Äußeren wirkte es auf schwer zu beschreibende Art dennoch majestätisch, und als Maziroc in seine glitzernden Facettenaugen blickte, hatte er fast das Gefühl, es mit einem intelligenten Wesen zu tun zu haben.
Er schauderte, obwohl er nicht recht wusste, was der Auslöser dafür war: Die ungeheure Größe und Stärke des Drachen oder der fast intelligente Ausdruck in den Augen des Tieres. Ärgerlich versuchte er, dieses Gefühl zu verdrängen, doch es gelang ihm nicht. Der bevorstehende Flug auf dem Drachen versprach eines der herausragendsten Erlebnisse seines Lebens zu werden, doch mit einem Mal fühlte er sich in der Nähe der gewaltigen Echse geradezu unwohl.
"Also los, worauf wartet Ihr?", fragte Marrin und deutete auf die Strickleiter, die von dem Transportkorb auf dem breiten Rücken des Drachen herabhing. Seine Stimme klang mürrisch, anscheinend konnte er sich auch jetzt noch nicht recht mit dem neuen Reiseziel anfreunden. Vielleicht behagte ihm aber auch der ganze Auftrag nicht. Manchen Zwergen mochte es als ein Sakrileg erscheinen, einem Magier und einem der so verachteten normalen Menschen zu gestatten, auf einem Drachen zu fliegen. Falls es sich so verhielt, war es Maziroc allerdings schleierhaft, warum man ausgerechnet jemanden mit einer solchen Einstellung für diese Aufgabe ausgewählt hatte.
Er überwand sein Unbehagen, trat an den Drachen heran und stieg die Strickleiter hoch. Dicht gefolgt von Pollus kletterte er in den Korb. Eigentlich entsprach das Gebilde diesem Namen nicht ganz. Es handelte sich eher um eine Art hölzerne Plattform, die von einem Geländer aus Metallstreben und dickem Leinenstoff umgeben war. Mit mehreren gut meterbreiten Gurten und dicken Seilen war die Konstruktion auf dem Rücken der Flugechse festgezurrt. Da der Drache selbst noch längst nicht ausgewachsen war, war auch der Korb nicht ganz so groß wie bei einigen anderen Tieren, bot aber immerhin auch noch mindestens vier bis fünf Dutzend Zwergen oder Menschen Platz.
Pollus holte die Strickleiter ein und blickte sich mit leuchtenden Augen um, während Maziroc beobachtete, wie Marrin geschickt am Hals des Drachen hinaufkletterte. Unmittelbar hinter einer Art Höcker nahm er in einer wie für diesen Zweck geschaffenen Vertiefung Platz. Der aus dem Hals der Echse herausragende Höcker stellte eine äußerst sensible Art von Nervenknoten dar. Durch leichten Druck darauf mit den Händen konnte der Reiter seinen Drachen ohne jede Kraftanstrengung wesentlich sanfter und präziser lenken, als dies beispielsweise bei einem Pferd selbst mit dem besten Zaumzeug der Welt möglich wäre.
"Seid ihr bereit?", fragte er und wandte kurz den Kopf zu den beiden Menschen um.
Maziroc nickte zustimmend.
"Dann haltet euch jetzt gut fest. Es kann etwas ungemütlich werden, bis wir in der Luft sind." Spott, fast schon Schadenfreude schien in der Stimme des Zwerges mitzuklingen.
An der Innenseite des Korbes gab es eine Vielzahl kleiner Lederschlaufen. Genau wie Pollus schob Maziroc seine Hände in zwei davon, und gleich darauf setzte sich der Drache in Bewegung. Gleitend richtete er sich auf. Er warf seinen Kopf in den Nacken, dass Maziroc bereits befürchtete, Marrin müsste durch den Ruck davongeschleudert werden, doch der Zwerg saß sicher und fest in seiner Vertiefung. Mit hoch erhobenem Kopf stieß der Drache einen lauten, wilden Schrei aus und entfaltete seine bislang eng am Körper angelegten Flügel. Scheinbar probeweise schlug er ein paarmal mit den Schwingen auf und ab, dann lief er los.
Aufgrund seiner ungeheuren Größe wirkten seine Schritte zunächst langsam, geradezu schwerfällig, aber in Wahrheit waren sie weder das eine noch das andere. Binnen weniger Sekunden erreichte der Drache die Klippe. Es gab einen harten Ruck, als sich unter ihm plötzlich kein Boden mehr befand und das Tier in die Tiefe zu stürzen begann.
Pollus stieß einen entsetzten Schrei aus, und auch Maziroc klammerte sich starr vor Schrecken an die Halteschlaufen, doch der Moment der Furcht dauerte nicht mehr als ein, zwei Sekunden. Nach kaum einem halben Dutzend Meter Fall fing sich genügend Wind unter den riesigen Schwingen der Echse, um den Sturz in ein sanftes Gleiten übergehen zu lassen. Mit einem weiteren Flügelschlag katapultierte sich das Tier wieder nach oben, stieg bis über die Höhe des Ashran und schien dann geradewegs zum Himmel emporzuschießen.
Allmählich entspannte Maziroc sich und ließ kurz darauf auch die Griffe los. Der Flug des Drachen war so sanft, dass selbst während der gelegentlichen Flügelschläge kaum Bewegungen zu spüren waren. Fast schwerelos schien er auf seinen gewaltigen Schwingen dahinzugleiten, nutzte mehr das Spiel von Auftrieb und Fallwinden, als dass er mit den Flügeln schlug.
Höher und höher stieg der Drache, sodass die Welt unter ihnen immer kleiner zu werden schien. Schon jetzt waren Ravenhorst und der Ashran nur noch ein kleiner Punkt inmitten der Todessümpfe. Kurze Zeit später bereits überflogen sie die morastige Ostküste des großen Binnenmeeres, und dann erstreckte sich in jeder Himmelsrichtung schließlich nur noch Wasser unter ihnen, soweit der Blick auch reichte.
Das Binnenmeer war gewaltig. Es teilte Arcana in die östlichen und die westlichen Länder, und es war auch dafür verantwortlich, dass jeder Reisende sich entscheiden musste, ob er eine nördliche oder südliche Route einschlug, je nachdem, welchen Weg er wählte, es zu umgehen. Trotz seiner Größe gab es auf dem Binnenmeer keine Schifffahrt, was an der Beschaffenheit der Küste lag. Im Osten und im Süden ging das Meer direkt in die Sümpfe über, und das Ufer war zu morastig, als dass dort Schiffe anlegen könnten. Im Westen und Norden hingegen bestand es größtenteils aus Steinklippen, und wo die Küste einigermaßen flach war, da lauerten dicht vor dem Ufer gefährliche, scharfe Riffe, die den Rumpf jedes Bootes aufschlitzen würden.
So aufregend der Flug während der ersten Minuten war, wurde Maziroc es schon bald leid, auf die schier endlose Wasserfläche zu starren, die sich tief unter ihnen ausbreitete. Mit dem Rücken gegen das Geländer gelehnt, setzte er sich auf den Boden des Transportkorbes. Hier war er auch dem scharfen Flugwind nicht so stark ausgesetzt, der ihm zuletzt die Tränen in die Augen getrieben und jede Unterhaltung unmöglich gemacht hatte.
Bald darauf setzte sich auch Pollus zu ihm. Seine Augen tränten ebenfalls, doch schien ihm das nichts auszumachen.
"Ist das nicht fantastisch?", schwärmte er mit geradezu kindlicher Begeisterung in der Stimme. "Wir fliegen, wir fliegen wirklich. Es ist fast so, als ob wir selber Flügel hätten."
"Na ja, nicht ganz", schränkte Maziroc schmunzelnd ein. Obwohl es unter ihnen zurzeit nicht viel zu sehen gab, und der Wind über der Brüstung alles andere als angenehm war, stellte diese Reise auch für ihn ein besonderes Erlebnis dar, und Pollus' ungebändigte Freude mitzuerleben, steigerte das Vergnügen für ihn noch zusätzlich.
"Als Kind habe ich oft davon geträumt", sprach der Soldat weiter. "Aber meine Eltern hatten dafür keinerlei Verständnis. Sie sagten immer nur, dass die Götter uns mit Flügeln erschaffen hätten, wenn sie wollten, dass wir flögen. Aber da dies nun mal nicht der Fall war, würde sich nie ein Mensch weiter in die Luft erheben, als er springen könnte. Ich wünschte, sie könnten mich jetzt sehen."