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2. Krisentypologien nach Hauschildt

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In der Literatur findet man zahlreiche Auflistungen einer Vielzahl von Krisenursachen, die auf Befragungen oder Untersuchungen von in der Vergangenheit krisenbehafteten Unternehmen basieren. Im Folgenden sind Krisenursachen in Form einer Balanced Scorecard aufgeführt, wie man sie bei Hauschildt findet (vgl. Abb. 4). Hauschildts Untersuchungen basieren auf Unternehmen, deren Krisen im manager magazin (mm) beschrieben wurden.[35]

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Abb. 4: Krisenursachen nach Hauschildt[36]


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In Abb. 4 werden Krisenursachen aufgezählt. Dabei werden vier Kategorien von Krisenursachen, nämlich in der Person des Unternehmers oder dominanten Managers liegende Ursachen, erfolgswirtschaftliche Ursachen, in der Institution oder Unternehmensverfassung liegende Ursachen sowie finanzwirtschaftliche Ursachen unterschieden. Infolge des Zusammenspiels mehrerer Krisenursachen durchläuft ein Unternehmen den bereits beschriebenen Krisenprozess mit den Phasen latente Krise, manifeste Krise sowie Insolvenz (vgl. Rn. 35 ff.).

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In der Person des Unternehmers oder des dominanten Managers bzw. in der Zusammenarbeit des Top-Managements liegende Ursachen umfassen die fehlende fachliche Qualifikation des Unternehmensführers sowie private Probleme, die sich auf seine berufliche Tätigkeit auswirken.

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Erfolgswirtschaftliche Ursachen sind diejenigen Ursachen, die sich auf die Ertragslage des Unternehmens auswirken, nämlich aufgrund ausbleibender Erträge, zu hoher Aufwendungen in den Bereichen Beschaffung bzw. Produktion sowie aufgrund von kapitalintensiven (Fehl-)Investitionen.

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In der Institution oder der Unternehmensverfassung liegende Ursachen ergeben sich aus dem organisationellen Rahmen der Unternehmensführung.

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Finanzwirtschaftliche Ursachen bewirken eine für das Unternehmen negative Veränderung der finanziellen Werte, z.B. infolge von Forderungsausfällen oder infolge der Kündigung von Kreditlinien.

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Eine einzelne der in Abb. 4 genannten Ursachen führt in der Regel noch nicht zur Unternehmenskrise. Selbst wenn in einem Unternehmen mehrere der in Abb. 4 genannten Sachverhalte erfüllt sind, muss dies nicht zwangsläufig in eine bestandsgefährdende Krise führen. Vielmehr ist die Wesentlichkeit der einzelnen Sachverhalte für den Fortbestand des betrachteten Unternehmens zu beachten. Beispielsweise können mehrere kleinere Forderungen ausfallen, ohne dass der Fortbestand des Unternehmens dadurch gefährdet würde. Allerdings kann der Ausfall einer einzigen, sehr hohen Forderung für das Gläubigerunternehmen bestandsgefährdend sein.

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Die Vielzahl der Ursachen lässt sich greifbar machen mit Hilfe der Clusteranalyse, indem kriselnde Unternehmen auf Gemeinsamkeiten hinsichtlich der Krisenursachen untersucht werden. Dabei konnten acht Typen von Krisenursachen bei den Unternehmen ermittelt werden, die später in eine Krise gerieten. Unternehmenskrisen können demnach ausgelöst werden durch:[37]


1. Persönlichkeitsdefizite,
2. Störungen der persönlichen Interaktion,
3. operative Störungen,
4. institutionelle Störungen,
5. unerwartete, abrupte Absatzprobleme,
6. Abhängigkeit von dominierenden Abnehmern oder Lieferanten,
7. starkes, unkontrolliertes Wachstum sowie
8. fraudulente Mitarbeiter.

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Ad 1. Die Persönlichkeitsdefizite im ersten Krisentyp sind vor allem bei solchen Unternehmensleitern zu finden, deren Handeln von Gewinnsucht, Verschwendung und/oder riskanten Spekulationen geprägt ist.

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Ad 2. Die Störungen in den persönlichen Interaktionen ergeben sich beispielsweise aufgrund von zwischenmenschlichen Problemen bzw. von erheblichen Dissonanzen im Managementteam, aber auch aufgrund von häufigem Wechsel in der Unternehmensleitung oder aufgrund von mangelnden Kontrollen durch den Aufsichtsrat oder ähnliche Gremien. Hierdurch ergeben sich Führungsfehler, die im normalen Geschäftsverlauf hätten verhindert werden können, z.B. wenn die mit einer Entscheidung verbundenen Chancen und Risiken gründlicher diskutiert und analysiert worden wären.

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Ad 3. Die Probleme der Unternehmen mit operativen Störungen können vor allem in den Bereichen Beschaffung, Produktion, Absatz und Investition bzw. Forschung und Entwicklung (F&E) liegen. Unternehmen mit Problemen im Absatzbereich nutzen z.B. veraltete Vertriebsmethoden. Mängel im Investitionsbereich treten bei den Unternehmen auf, denen es nicht gelingt, durch F&E langfristige Erfolgspotenziale zu generieren.

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Ad 4. Unternehmen mit institutionellen Störungen sind solche, die Mängel in der Organisation aufweisen. Zu diesen Mängeln zählen z.B. ungenaue Aufgabenverteilungen oder die Verteuerung der Abläufe durch Bürokratie.

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Ad 5. Unternehmen vor unerwarteten, abrupten Absatzproblemen geraten in einen Krisenprozess, weil sie die Marktentwicklung falsch einschätzen. Hier spielt die konjunkturelle Entwicklung eine wesentliche Rolle. Während die Krisenursachen für die vier zuvor genannten Typen im Unternehmen selbst zu suchen sind, liegt die Ursache bei diesem Krisentyp zumeist außerhalb des Einflussbereiches des Unternehmens.[38] So kann auch ein eigentlich gesundes Unternehmen mit Bedingungen konfrontiert werden, die es in eine Krise stürzen. So stieg als Folge der Finanzkrise die Anzahl der Insolvenzen in Westeuropa um 22 % im Vergleich zum Vorjahr an.[39]

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Ad 6. Unternehmen, die von einem dominierenden Abnehmer oder Lieferanten abhängig sind, geraten in Schwierigkeiten, wenn das dominierende Unternehmen die Geschäftsbeziehung beendet oder insolvent wird.

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Ad 7. Unternehmen mit starkem, unkontrolliertem Wachstum geraten in eine Krise, weil sie ihre Organisationsstruktur nicht an das Unternehmenswachstum angepasst haben.[40]

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Ad 8. Unternehmen mit fraudulenten Mitarbeitern geraten in eine Krise, weil Mitarbeiter dem Unternehmen wissentlich schaden, weil sie eigene, von den Unternehmenszielen abweichende Ziele verfolgen.[41]

3. Kritische Betrachtung der Krisenursachenforschung

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Krisenursachen sind komplex. Erst das Zusammenwirken vielfältiger Ursachen führt in der Regel zu einer Krise (Multikausalität). Das Zusammenwirken vollzieht sich oft in mehrstufigen Ursache-Wirkungs-Beziehungen (Mehrstufigkeit). Die Ursachen können zudem im Unternehmen und/oder außerhalb des Unternehmens liegen (Multilokalität).

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Dies hat zur Folge, dass auch die empirische Bestimmung von Krisenursachen sehr komplex ist. Oftmals werden Sachverhalte als Krisenursachen benannt, die bei genauerer Betrachtung Krisensymptome sind. Die tatsächlichen, originären Krisenursachen bleiben nicht selten unerkannt. Einige der Merkmale eines Unternehmens in der Krise, die in den umfangreichen in der Literatur zu findenden Listen von Krisenursachen aufgeführt werden[42], sind häufig eher Begleiterscheinungen einer Unternehmenskrise (Symptome) als tatsächliche Ursachen einer Unternehmenskrise.

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In der Literatur findet man neben den empirischen Untersuchungen von Krisenursachen auch zahlreiche theoretische Konzepte von Unternehmenskrisen.[43] Diese Konzepte beschäftigen sich mit den Ursachen, dem Verlauf und dem Ausgang von Unternehmenskrisen. Die unterschiedlichen Konzepte konzentrieren sich jeweils auf die Wirkungsweise einzelner ausgewählter Ursachen. Die in diesen Ansätzen durch die Auswahl von Krisenursachen fokussierte Betrachtungsweise reduziert die reale Komplexität, da sich die Vielfalt der empirisch festzustellenden Ursachen nicht beurteilen/analysieren lässt. Deshalb kann ein Ursache-Wirkungs-Modell der Unternehmenskrise immer nur eine vereinfachende Abbildung der Realität sein. Kein Modell kann sämtliche Krisenursachen erfassen und miteinander verbinden.[44]

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Auflistungen von retrospektiv erkannten Krisenursachen sind aufgrund der Vielfalt der Ursachen unübersichtlich und wenig hilfreich. Unternehmensleiter können hieraus keine konkreten Hinweise für ein proaktives Krisenmanagement ziehen. Typologien von Unternehmenskrisen könnten diesbezüglich Abhilfe schaffen. Solche Typologien können die Unternehmensleiter zumindest für verschiedene Typen krisenverursachender Sachverhalte sensibilisieren.

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Eine besondere Rolle unter den Krisenursachen nehmen Fehler in der Unternehmensführung und finanzwirtschaftliche Ursachen ein. Führungsfehler verschärfen indirekt andere Krisenursachen und können also sowohl selbst Krisenursache als auch Katalysator anderer Krisenursachen sein.[45] Managementfehler werden bei Befragungen am häufigsten als Krisenursache genannt.[46] Tatsächlich lassen sich letztlich alle Fehlentwicklungen im Unternehmen auf Managementfehler zurückführen. Finanzwirtschaftliche Ursachen wirken sich für ein Unternehmen besonders gravierend aus. Beispielsweise können Zahlungsausfälle von Schuldnern unmittelbar zur Zahlungsunfähigkeit des Gläubigerunternehmens führen. Allerdings haben auch finanzwirtschaftliche Probleme häufig Managementfehler als Ursachen und sind nicht die eigentliche Ursache für die Krise, wenn beispielsweise ein Kredit an einen Kunden, d.h. eine große Lieferung auf Rechnung vom Management akzeptiert wurde, der Kunde aber zahlungsunfähig ist, wie das Management zu spät feststellt.

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Unternehmenskrisen können vermieden werden, sofern die potenzielle Krise frühzeitig erkannt wird und der Unternehmensleitung ein möglichst großer Handlungsspielraum sowie ein möglichst großer Zeitrahmen verbleiben, um die Krise abzumildern bzw. vollständig abzuwehren (vgl. Rn. 17). Voraussetzung hierfür ist, dass existenzgefährdende Tendenzen frühzeitig erkannt werden. Im Folgenden werden Instrumente beschrieben, die eine Krisenfrüherkennung erlauben.

IV. Krisenfrüherkennung

1. Überblick

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Die in der Literatur zahlreich vorzufindenden Aufzählungen von Krisenursachen sind für eine praktische Umsetzung in ein Krisenfrüherkennungsinstrument wenig geeignet. In der Regel bewirken verschiedene Ursachen gemeinsam den Eintritt einer Unternehmenskrise (vgl. Rn. 57). Die Multikausalität ist eine wesentliche Eigenschaft von Unternehmenskrisen; diese wird durch eine bloße Aufzählung einzelner Krisenursachen nicht berücksichtigt. Als Krisenursachen werden häufig solche Sachverhalte angeführt, die in der Schlussphase einer Unternehmenskrise, also kurz vor der Insolvenz, zu beobachten sind. Ziel der Krisenerkennung sollte indes sein, eine Unternehmenskrise möglichst früh zu erkennen. In der Praxis zeigt sich, dass die unterschiedlichen Ursachen oft miteinander verwoben sind und sich gegenseitig bedingen. Das macht die Krisenfrüherkennung zu einer schwierigen Aufgabe.[47]

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Der folgende Abschnitt geht auf die (gesetzlichen) Grundlagen der Krisenfrüherkennung durch ein Risikomanagementsystem ein. Die Vorschriften des AktG bzgl. des Risikomanagementsystems werden vorgestellt. Ferner werden die an ein Risikomanagementsystem zu stellenden Anforderungen für eine sichere und frühzeitige Krisenerkennung erläutert.

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Hinsichtlich der Erkennung von Risiken sind zwei Vorgehensweisen zu unterscheiden, nämlich der Bottom-up- und der Top-down-Ansatz.

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Beim Bottom-up-Ansatz werden Einzelrisiken identifiziert und sukzessive gruppiert bzw. aggregiert und bewertet. Das Ergebnis ist ein Gesamtschadenerwartungswert als Summe der einzeln ermittelten Schadenerwartungswerte. Unter Rn. 108 ff. werden Bottom-up-Ansätze eines Frühwarnsystems vorgestellt. Hierbei wird zwischen operativen und strategischen Ansätzen unterschieden.

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Beim Top-down-Ansatz wird eine Gesamtunternehmensperspektive bzw. die Perspektive der Unternehmensleitung eingenommen. Risiken werden hierzu nicht einzeln betrachtet, sondern es wird das Gesamtrisiko des Unternehmens – die Ausfallwahrscheinlichkeit, die sog. Probability of Default (PD) – direkt ermittelt. Der hier vorgestellte Top-down-Ansatz beruht auf einer detaillierten Jahresabschlussanalyse. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt hierbei in der Aufbereitung von Informationen aus den Jahresabschlüssen und der Auswertung von diesbezüglichen Kennzahlen bzw. Kennzahlensystemen. Die Untersuchung von Jahresabschlüssen mit dem Ziel, ein Urteil über die wirtschaftliche Lage und Entwicklung eines Unternehmens zu fällen, wird als Jahresabschlussanalyse[48] bezeichnet. Die Jahresabschlussanalyse ist Gegenstand der Rn. 155 ff. Bei der Jahresabschlussanalyse ist zwischen den herkömmlichen und den „modernen“ Verfahren der Jahresabschlussanalyse zu unterscheiden. Bei den „modernen“ Verfahren werden mit Hilfe empirisch-statistischer Methoden die Jahresabschlüsse nach Kennzahlen-Muster für gesunde und kranke (später in die Insolvenz gegangene) Unternehmen analysiert.

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Die vorgestellten Bottom-up- und Top-down-Ansätze werden an den unter Rn. 102 ff. vorgestellten Anforderungen an Krisenfrüherkennungssysteme gemessen und kritisch beurteilt.

2. Grundlagen der Krisenfrüherkennung

2.1 Risikobegriff

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In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird der Risikobegriff nicht einheitlich verwendet. Im weitesten Sinne lässt sich der Begriff „Risiko“ als Unsicherheit bzw. als „Möglichkeit eines Abweichens vom erwarteten Wert“ umschreiben.[49] Als Risiko wird in der Finanztheorie die Abweichung vom erwarteten Wert in beide Richtungen verstanden, unabhängig davon, ob es sich um eine positive Abweichung – im Folgenden als Chance bezeichnet – oder um eine negative Abweichung, also ein Risiko im engeren Sinn – im Folgenden als Risiko bezeichnet – handelt. Abb. 5 gibt einen Überblick über die Begriffe „Chance“ und „Risiko“, wie sie in der Finanztheorie definiert sind, sowie über die unterschiedlichen Formen der Unsicherheit. Bei der Jahresabschlussanalyse werden die Begriffe der Chance als „Gewinnmöglichkeit“ und des Risikos als „Verlustgefahr“ verstanden. Im Folgenden werden diese Definitionen zugrunde gelegt.

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Abb. 5: Systematik des Risikobegriffs sowie Formen der Unsicherheit[50]


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Unternehmerische Entscheidungen werden unter Unsicherheit getroffen, d.h. in Unkenntnis der künftigen Entwicklung, beispielsweise der politischen, rechtlichen, technologischen und konjunkturellen Entwicklung. Aufgrund dieser Unsicherheit ist es möglich, dass Ziele, die die Unternehmensleitung für die künftige Entwicklung des Unternehmens gesetzt hat, verfehlt werden.

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Drei Formen von Unsicherheit über die künftigen Umweltzustände sind zu unterscheiden. Die Form der Unsicherheit bestimmt die Möglichkeit, die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Abweichung von einem Ziel zu bestimmen. Fast nie verfügt die Unternehmensleitung über die Kenntnis objektiver Eintrittswahrscheinlichkeiten. Das wäre nur gegeben, wenn die Eintrittswahrscheinlichkeit für die Abweichung zweifelsfrei feststünde, z.B. bei der Gewinnwahrscheinlichkeit in einer staatlichen Lotterie. Dieser Fall ist in der Unternehmensrealität aber nicht gegeben. In der Regel wird die Unternehmensleitung die Eintrittswahrscheinlichkeiten künftiger Umweltzustände nur subjektiv schätzen können, d.h. auf der Basis von subjektiven Erfahrungen und Überlegungen. Sofern bei einer Entscheidung für das Eintreten der relevanten Umweltzustände weder objektive noch subjektive Wahrscheinlichkeiten angegeben werden können, handelt es sich um eine Entscheidung unter Ungewissheit. Die Unternehmensleitung weiß in einem solchen Fall nicht, welche Werte eine Zustandsvariable annehmen kann. Die beiden Fälle der völligen „Ungewissheit“ und der „objektiven Eintrittswahrscheinlichkeit“ sind in der Praxis regelmäßig nicht gegeben, daher wird die Unternehmensleitung entweder nur subjektive Eintrittswahrscheinlichkeiten schätzen können oder die Unternehmensleitung folgt der Aufforderung von Galileo Galilei: „Zähle, was zählbar ist, miss, was messbar ist und was nicht messbar ist, versuche messbar zu machen!“ Dieser Aufforderung Galileo Galileis wird mit dem Konzept des Top-down-Ansatzes gefolgt. So kann man objektivierte Wahrscheinlichkeiten ermitteln, die sich mit Hilfe empirisch-statistischer Jahresabschlussdaten ermitteln lassen.

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Dass ein Unternehmen überhaupt Risiken eingeht, ist wegen der Chancenwahrnehmung unternehmerischen Handelns unverzichtbar, aber auch unproblematisch, solange sich die Unternehmensleitung dieser Risiken bewusst ist und diese Risiken mit den wahrzunehmenden Chancen abgleicht und adäquat steuert, d.h. dafür sorgt, dass die zusätzlichen Erträge aus wahrgenommenen Chancen größer sind als die zusätzlichen Aufwendungen aus dem Eintreten der damit verbundenen Risiken. Im Folgenden werden die Aufgaben des Risikomanagementsystems sowie der Risikomanagementprozess erläutert.

2.2 Begriff und rechtlicher Rahmen des Risikomanagementsystems

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Für den langfristigen Fortbestand eines Unternehmens ist dessen Gesamtrisikoposition von zentraler Bedeutung. Die Gesamtrisikoposition ist die Summe aller (sich möglicherweise gegenseitig beeinflussender) Einzelrisiken und Einzelchancen des Unternehmens; diese ist mit dem Risikomanagementsystem zu ermitteln. Das Ziel des Risikomanagements ist die Sicherung, die Erhaltung und die erfolgreiche Weiterentwicklung des Unternehmens im Sinne der unter Rn. 11 genannten finanziellen Ziele einer jeden erwerbswirtschaftlich orientierten Unternehmensführung.

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Das Risikomanagementsystem ist ein Instrument der Geschäftsführung. Es umfasst „die Gesamtheit aller organisatorischen Regelungen und Maßnahmen zur Risiko- (und Chancen-) Erkennung und zum Umgang mit den (Chancen und) Risiken unternehmerischer Betätigung.“[51] Die Leitung, die Planung und die Kontrolle unternehmerischer Betätigung sind nicht allein an Chancen auszurichten, sondern auch an den mit den Chancen verbundenen Risiken.[52]

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Die rechtliche Verpflichtung für die Einrichtung eines Risikomanagementsystems ergibt sich aus § 91 Abs. 2 AktG. Danach hat der Vorstand einer Aktiengesellschaft Maßnahmen zu treffen und vor allem ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Der Gesetzgeber hat diese Vorgabe ausdrücklich nicht nur auf Aktiengesellschaften beschränkt. Vielmehr sind nach dessen Auffassung alle Unternehmensleiter, vor allem auch GmbH-Geschäftsführer, verpflichtet, ein der Größe, der Komplexität und der Struktur des Unternehmens entsprechendes Risikomanagementsystem einzurichten.[53] Für den Gesetzgeber hat die Regelung des § 91 Abs. 2 AktG ohnehin nur klarstellenden Charakter.[54]

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Dieser Einschätzung des Gesetzgebers ist zuzustimmen, da Risikomanagement eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit zur unternehmerischen Chancenwahrnehmung darstellt. Die Implementierung eines adäquaten, also an die unternehmensspezifischen Gegebenheiten angepassten Risikomanagementsystems ergibt sich nicht nur aus der Verantwortung der Unternehmensleitung, den Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Vielmehr ist ein funktionierendes Risikomanagementsystem auch ein Instrument zur Leitung des Unternehmens, um die finanziellen und die operativen Ziele, vor allem aber die Unternehmensstrategie möglichst unter Berücksichtigung des Verhältnisses von sich gegebenenfalls ändernden Risiken und Chancen zu optimieren. Das Risikomanagementsystem unterstützt die Leitungsfunktion des Top-Managements umso besser, je stärker die Mitarbeiter sensibilisiert werden, die mit den wahrzunehmenden Chancen sich ergebenden Risiken zu identifizieren und zu bewerten und die für die Bewältigung der Risiken notwendigen Maßnahmen zu ergreifen bzw. beim Management anzuregen. Denn je eher ein Risiko – auf welcher Hierarchieebene oder in welcher Abteilung auch immer – identifiziert und analysiert wird, desto mehr Zeit bleibt dem zuständigen Management, angemessen auf dieses Risiko zu reagieren.[55] Demnach handelt es sich bei der in § 91 Abs. 2 AktG kodifizierten Verpflichtung zur Einrichtung eines Risikomanagementsystems um eine Konkretisierung der allgemeinen Leitungsfunktion des Vorstandes, welche sich aus § 76 Abs. 1 AktG ergibt.[56]

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Da der Gesetzgeber eine Unternehmenskrise richtigerweise als einen Prozess versteht, der die Existenz des Unternehmens gefährden kann, war es die Zielsetzung des Aktien-Gesetzgebers, eine Regelung zu schaffen, mit der Unternehmenskrisen von der Unternehmensleitung möglichst rechtzeitig erkannt werden.[57] Das vom Gesetzgeber mit dem Risikomanagementsystem implizit geforderte Frühwarnsystem darf sich dementsprechend nicht auf einzelne Risiken beschränken. Da Unternehmenskrisen multikausal verursacht werden (vgl. Rn. 57), muss ein Monitoring sämtlicher Teilrisiken gewährleistet sein, um auch eine Existenzgefährdung aus dem Zusammenwirken verschiedener Risiken bzw. Ursachen erkennen zu können.[58]

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Der Begriff bzw. das Konstrukt des Risikomanagements wird durch die Deutschen Rechnungslegungs-Standards (DRS) im DRS 20 definiert. Danach umfasst der Prozess des Risikomanagements die Identifikation, Bewertung, Steuerung und Kontrolle von Risiken. “

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Beim Bottom-up-Ansatz des Risikomanagementprozesses ist die Risikoidentifikation Ausgangspunkt der Analyse. Im Rahmen einer Inventur der Risiken[59] sind die Risiken nach Unternehmensbereichen, Geschäftsprozessen, Art der Bedrohung oder Beeinflussbarkeit der Risiken zu erfassen. Ziel der Risikoanalyse ist, diejenigen Risiken zu identifizierten, die einzeln oder in Kombination den Fortbestand des Unternehmens beeinträchtigen (können) bzw. dessen wirtschaftliche Lage negativ beeinflussen (können). Hierbei ist zwischen vornehmlich strategischen und vornehmlich operativen Risiken zu unterscheiden. Strategische Risiken sind aufgrund ihres stärkeren Zukunftsbezugs schwieriger zu erkennen als operative Risiken.[60] Gegenstand der Risikobewertung ist, die identifizierten und analysierten Risiken monetär zu quantifizieren, d.h. den Erwartungswert des akkumulierten Verlustes aus allen identifizierten Krisenursachen abzuschätzen. Der Schadenserwartungswert, also das bewertete Risiko, entspricht dem rechnerischen Produkt der Höhe des drohenden Vermögensverlustes (Quantitätsdimension) und der Wahrscheinlichkeit des drohenden Vermögensverlustes (Intensitätsdimension). Schwierigste Aufgabe bei der Ermittlung des Gesamtschadenerwartungswertes ist die Risikoaggregation. Hier sind die Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen identifizierten Risiken zu berücksichtigen. Einzelrisiken können einander verstärken oder aufheben. Des Weiteren kann ein Risiko ein anderes Risiko verursachen. Die Risikosteuerung umfasst alle Maßnahmen und Mechanismen eines Unternehmens, die dazu dienen, Risiken zu beeinflussen.[61] Die Unternehmensleitung kann Risiken durch unterschiedliche Maßnahmen abmildern. Sie muss u.a. entscheiden, ob sie ein Risiko


- in voller Höhe eingeht (Risikoakzeptanz),
- vermindert (z.B. indem ein Joint Venture-Partner hinzugezogen wird),
- in Teilen überwälzt (z.B. indem eine Versicherung abgeschlossen wird) oder
- gänzlich vermeidet (z.B. indem entschieden wird, eine riskante Akquisition nicht durchzuführen oder ein Produkt nicht herzustellen).

Die Arbeit des Risikomanagementsystems und auch die Arbeitsergebnisse sind angemessen zu dokumentieren. Der Dokumentation kommt besondere Bedeutung zu. Die Interne Revision und später auch der Abschlussprüfer müssen die Angemessenheit der Risikomanagementinstrumente prüfen, können dies aber nur im Abgleich mit einer adäquaten Dokumentation. Zu prüfen ist, ob der Vorstand ein angemessenes Risikomanagementsystem implementiert hat und ob dieses wirksam ist.

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Das Risikomanagementsystem umfasst drei zentrale Elemente: Das Risikofrühwarnsystem, das Risikoüberwachungssystem und das Risikobewältigungssystem. Gesetzlich verpflichtend für AG sind nach § 91 Abs. 2 AktG nur die ersten beiden Bestandteile, die gem. § 317 Abs. 2, 4 HGB sowie § 321 Abs. 4 HGB auch Gegenstand der Abschlussprüfung sind. Die Notwendigkeit, ein Risikobewältigungssystem einzurichten, ergibt sich aus der allgemeinen Sorgfaltspflicht des Vorstands nach § 93 Abs. 1 AktG. Des Weiteren ist Risikomanagement ein kontinuierlicher Risikoerkennungs- und Risikobewertungsprozess, der stets zu entsprechenden Risikobewältigungsentscheidungen führen muss. Ein Risikofrühwarnsystem und ein Risikoüberwachungssystem wären somit ohne ein Risikobewältigungssystem nicht sinnvoll. Gegenstand der drei Elemente ist es, die Einzelrisiken sowie das sich daraus ergebende Gesamtrisiko des Unternehmens kontinuierlich zu ermitteln, zu überwachen und zu bewältigen.

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Eine frühzeitige Krisenerkennung ist für das Unternehmen von großer Bedeutung, da sich der Handlungsspielraum für das Unternehmen in den späteren Krisenphasen verringert (vgl. Rn. 17). Frühwarnsysteme zielen darauf ab, die Krise möglichst schon zu Beginn der latenten Krisenphase (vgl. Rn. 27) zu erkennen.[62] In dieser Phase kann das Unternehmen durch ein präventives Krisenmanagement die Krise abwenden. In einer späteren Phase greifen meist nur noch Maßnahmen des reaktiven Krisenmanagements. Ein Unternehmen, welches lediglich im normalen Geschäftsbetrieb strategisch und langfristig orientiert agieren würde, indem es Chancen unter der Berücksichtigung der mit diesen Chancen verbundenen Risiken ergreifen oder nicht ergreifen würde, wird zum lediglich kurzfristig orientierten Reagieren gezwungen. Gegenüber reaktivem Handeln hat proaktives Handeln den Vorteil, dass z.B. Störungen (vgl. Rn. 15) unmittelbar bei ihrem Auftreten entgegengewirkt wird, um diese zu beseitigen. Störungen und daraus resultierende Krisen sind beim proaktiven Handeln besser beherrschbar.[63]

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1882 s. 71 illüstrasyon
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9783811464056
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