Kitabı oku: «Unternehmenssanierung, eBook», sayfa 28
Abb. 6: Standortkonzentration in der Fertigung
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Das ursprüngliche Fertigungslayout sah vier Standorte in drei Ländern vor. Die einzelnen Werke waren durch Programmerweiterungen und Expansionen in Niedriglohnstandorte historisch gewachsen und orientierten sich an Produktserien oder Absatzregionen. Keines der Werke integrierte einen vollständigen Fertigungsprozess, so dass alle Produkte, zum Teil grenzüberschreitend, für die Fertigstellung zwischen den Standorten bewegt werden mussten. Neben den hohen Logistikkosten und hohen Aufwendungen für Einrichten und Umrüsten der Anlagen erzeugte dieses Layout durch einen extrem hohen Steuerungsaufwand für die permanente Aufnahme der zugelieferten Vorprodukte und führte somit zu einer hohen endogenen Komplexität. Im Rahmen einer Sanierungsanalyse wurde festgestellt, dass diese Fertigungsstruktur immense offene und verdeckte Überkapazitäten enthielt und durch die komplexitätsinduzierte Kostenposition nicht mehr weiterbetrieben werden konnte. Der entscheidende limitierende Faktor für die Neuorganisation des Produktionsverbundes waren die beiden Galvaniken zur Oberflächenveredelung der Produkte. Da diese Anlagen bereits eine sehr hohe Kapazität hatten und Kapital in der Krise knapp war, kam eine Erweiterung der Galvanikkapazitäten aus Komplexitätsgründen an den Standorten ohne Galvanik natürlich nicht in Frage. Die Entscheidung musste demnach für eine Zusammenfassung der Produktion an den Galvanikstandorten fallen. Problematisch waren zunächst die geringen räumlichen Kapazitäten am ursprünglichen Standort 4. Hier konnte entweder eine Vorproduktion oder eine Montage installiert werden. Durch die Entscheidung für ein Montage- und Logistikzentrum am zweiten Galvanikstandort für alle Produkte und Märkte bildete sich aber schnell die künftige Produktionsstruktur heraus. Die Kosten konnten durch diese Maßnahmen erheblich gesenkt werden und es entstanden leicht steuerbare, schnelle und qualitativ verbesserte Produktionseinheiten.
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Möglich wurde diese Konzentration an zwei Standorten zum einen durch Hebung der Kapazitätsreserven in den Anlagen, zum anderen war aber eine umfangreiche Sortimentsbereinigung mit Abbau diverser unprofitabler Produkte und damit einer niedrigeren Ausbringungsmenge eine entscheidende Voraussetzung. Auch die konsequente Überprüfung der selbsterstellten Leistungen im Rahmen von make-or-buy-Entscheidungen bei Vor- aber auch Endprodukten lieferte einen wichtigen Beitrag für die Bereinigung der strukturellen Komplexität. Im geschilderten Falle wurde die komplette Dreherei geschlossen und die benötigten Vorprodukte bei einem spezialisierten Zulieferer beschafft. Außerdem wurde die Entscheidung getroffen, eine Serie des untersten Preissegmentes vollständig in Asien zuzukaufen.
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Neben der Schließung von Betriebsteilen zur Senkung der Komplexität ist häufig auch die Initiierung von Management-Buyouts (MBOs) ein probates Mittel, um die eigene Fertigungsstruktur zu bereinigen. Erfahrene oder engagierte Mitarbeiter sind häufig in der Lage, befreit vom Ballast der Gemeinkosten des Unternehmens, aus scheinbar defizitären Produktionsstätten profitable kleine Einheiten zu formen. Durch Kredite, Überlassungsverträge für Anlagen und Abnahmeverträge für die Anlaufphase können so häufig Entlassungen und damit verbundene kostspielige Auseinandersetzungen vermieden werden.
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Neben dem Risiko von Kostenremanenzen, welche von einer reduzierten Anzahl von Produkten getragen werden müssen, besteht weiterhin das Risiko der Fertigungsumstellung mit einem eventuellen Absinken der Qualitätskennzahlen oder Verzögerungen in der Auslieferung von Produkten. Diese Risiken sind aber in der Regel von temporärer Natur und können von engagierten Managern durchaus beherrscht werden. Die neuen, optimierten Fertigungsstrukturen führen aber zu einer beschleunigten, flexibleren Leistungserstellung bei erheblich niedrigeren Kosten und einem stark reduzierten Steuerungsaufwand. Die Komplexität in der Leistungserstellung und den Strukturen sinkt signifikant. Darüber hinaus können im Idealfall Verwertungserlöse durch Veräußerung von Anlagen oder Immobilien erzielt werden, welche im Krisenfall besonders willkommen sind.
2.3 Organisationale Komplexität
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Die Komplexität in Organisationen wird jedem Mitarbeiter und Manager durch die tägliche Arbeit deutlich vor Augen geführt, denn sie resultiert zu einem erheblichen Teil aus der Vielfältigkeit interpersonaler Beziehungen und Interaktionen in einem Unternehmen. Diese tägliche Herausforderung ist insbesondere in Krisensituationen immanent, da es zur Bewältigung von Krisen auf die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit jedes Mitarbeiters ankommt. Da die Aufarbeitung dieses Komplexitätstreibers aber den Rahmen dieses Kapitels deutlich sprengen würde, konzentrieren wir uns hier auf die Komplexität, welche aus dem Aufbau und der Anordnung der Einheiten eines Unternehmens resultiert.
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Klassische Linienorganisationen erzeugen aufgrund ihrer Struktur und Kommunikationswege entlang der Einheiten ein erhebliches Maß an organisationaler Komplexität. Da die Mitarbeiter nicht entlang der Prozesskette miteinander verbunden sind, bewegen sich Arbeitspakete und Entscheidungen in der Regel sowohl vertikal (innerhalb eines Bereiches) als auch horizontal (über Bereichsgrenzen hinweg) durch die Organisation. Es entstehen vielfältige Schnittstellen, welche als Verbindungen zwischen Elementen Komplexität erzeugen und für Wartezeiten sowie Kommunikationsverluste verantwortlich sind. Einen erheblichen Beitrag für die Reduktion der Komplexität kann die prozessorientierte Anordnung und Zusammenfassung der Unternehmenseinheiten leisten. Ein hervorragendes Beispiel für diese Form der Organisationsgestaltung ist die Einrichtung von „Auftragszentren“ im Unternehmen. Wie das Konzept des Business-Process-Reengineering (BPR) lehrt, soll bei jeder Form von Prozessgestaltung der Kunde den Start- und den Endpunkt bilden. Die Zusammenfassung verschiedener Unternehmensfunktionen zu einem Auftragszentrum bildet diese Prozessorientierung idealerweise ab, da die Verantwortlichkeit dieser Einheit mit der Auftragsannahme beginnt und mit der Bearbeitung möglicher Reklamationen endet. Um eine solche Konstruktion erfolgreich zu machen, müssen die Mitarbeiter verschiedenster Abteilungen integriert und unter einer einheitlichen Führung vereint werden. Hierzu zählen z.B.:
- | Vertriebsinnendienst (Auftragsannahme und Reklamationsbearbeitung), |
- | Beschaffung (Materialplanung und -steuerung – nicht der strategische Einkauf), |
- | Produktionsplanung und -steuerung (Gewährleistung des optimalen Fertigungsflusses). |
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Dieses Konzept reduziert die Schnittstellen und damit die Komplexität im Unternehmen signifikant. Die kundenorientierten Prozesse sind leichter und mit geringerem Aufwand steuerbar. Da die Mitarbeiter durch die Zusammenfassung in einer Einheit ein Job-Enrichment erfahren und nicht mehr verschiedenen Verantwortungsbereichen angehören, können sie sich gegenseitig vertreten und reduzieren damit die benötigten Personalressourcen im Gesamtunternehmen. Eine weitere Reduktion der Personalressourcen wird durch die geringere Anzahl zu besetzender Schnittstellen sowie den schnelleren und effektiveren Prozessdurchlauf erreicht.
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Eine noch erheblich weitreichendere Reduktion der Komplexität erreicht man durch das Streichen ganzer Funktionen. In Krisensituationen muss sich jedes Unternehmen die Frage stellen, welche Aktivitäten, Bereiche und Funktionen tatsächlich erforderlich sind und welche ausgelagert oder sogar gestrichen werden können. Ein sehr weitgehender Weg, organisationale Komplexität zu reduzieren ist somit das Outsourcing von Unternehmenseinheiten und Funktionen. Neben dem Abbau von Managementaufwand für die ausgelagerten Einheiten entsteht eine vollständige Kostentransparenz über die tatsächlichen Kosten für die betreffenden Aktivitäten.
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Grundsätzlich stellt die Reduktion der organisationalen Komplexität einen der kritischen Bereiche in Krisensituationen dar. Die Mitarbeiter des Unternehmens sind vom Umbau der Organisation durch Versetzungen, Freisetzungen und Betriebsübergängen unmittelbar und nachhaltig betroffen und reagieren entsprechend verunsichert oder gar ablehnend. Hier ist es Aufgabe des Managements, frühzeitig die Reichweite der Krisensituation und ihre Auswirkungen auf alle Mitarbeiter zu kommunizieren, um ein gemeinsames Verständnis für mögliche Folgen zu erzielen. Außerdem müssen alle Mitarbeiter durch Kommunikation und Delegation in den Sanierungsprozess einbezogen werden, um aus ihnen Beteiligte zu machen. Das Management muss darüber hinaus sofort identifizieren, welche Schlüsselpersonen im Unternehmen für den Sanierungserfolg entscheidend sind. Diese Mitarbeiter müssen vorrangig durch das Aufzeigen von Perspektiven und die Ausweitung ihrer Verantwortungsbereiche an das Unternehmen gebunden werden.
2.4 Prozessuale Komplexität
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Die Komplexität im Bereich der Prozesse wächst ähnlich wie in den anderen Komplexitätsbereichen im Zeitverlauf. Die ursprüngliche Art und Weise, wie Unternehmen ihre Leistungen erbringen wird selten vollständig hinterfragt, mit dem Wachstum des Unternehmens jedoch um immer mehr Aktivitäten und betriebliche Funktionen erweitert. Die Abläufe in den Leistungsprozessen werden damit zunehmend intransparent und weisen Brüche an der ständig steigenden Anzahl von Schnittstellen sowie viele redundante Tätigkeiten auf. Auch die effektive Nutzung der IT-Systeme wird häufig durch „handgestrickte“ Parallellösungen verhindert, so dass der erhöhte Steuerungsaufwand die Komplexität deutlich erhöht.
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Die Lösung dieser Komplexitätsproblematik liegt auch im Krisenfall in den Methoden des Business-Process-Reengineering. Alle relevanten Leistungsprozesse müssen schnellstmöglich daraufhin untersucht werden, ob Aktivitäten zusammengefasst, auf andere Unternehmen übertragen oder gar ganz wegfallen können. Die Abläufe selbst müssen auf Redundanzen, unnötige Schnittstellen und Parallelisierungsmöglichkeiten überprüft werden. Auf diese Weise entstehen die Sollprozesse der künftigen Leistungserbringung, welche mit einer verbindlichen Nutzung der verfügbaren, eventuell optimierten, IT-Systeme unterlegt werden muss. Ein schönes Beispiel für einen derart optimierten Prozess stellt die Einrichtung eines Auftragszentrums aus dem vorhergehenden Abschnitt dar. Die organisatorische Anpassung konnte in diesem Falle selbstverständlich nur durch eine Neugestaltung des zugrundeliegenden Leistungsprozesses umgesetzt werden. In diesem Falle wurde ein Prozess realisiert, welcher nur noch eine geringe Anzahl von Schnittstellen aufwies, da fast alle Prozessbeteiligten organisatorisch zusammengefasst wurden. Die Integration der Verantwortung in das Team führte darüber hinaus zu einer weiteren Beschleunigung und eine gemeinsam genutzte Auftragsbearbeitungs- und Produktionsplanungssoftware bildete die Basis für die effiziente Steuerung des Gesamtprozesses. Insgesamt wurde durch die organisatorische Maßnahme und die umfassende Prozessoptimierung ein komplexitätsarmer Prozess geschaffen, welcher darüber hinaus auch durch einen reduzierten Personaleinsatz erhebliche Kostenreduktionen realisierte.
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Grundsätzlich führen Prozessoptimierungen zu denselben Widerständen, die auch Organisationsanpassungen auslösen, da diese in der Regel nicht unabhängig voneinander realisiert werden können. Außerdem führt die Neuorganisation von Aufgaben und Verantwortlichkeiten häufig zu einem Gefühl der Überforderung und Überlastung. Führungskräfte sollten in diesem Falle mit denselben Mechanismen arbeiten, die auch in der Organisationsanpassung zum Erfolg führen und den betroffenen Mitarbeitern darüber hinaus insbesondere Angebote zur individuellen Anpassung an die neuen Anforderungen machen. Dies können neben Trainingsmaßnahmen, z.B. für neue Softwaresysteme, auch Coaching- oder Mentorenprogramme sein. Zur Reduktion der prozessualen Komplexität ist aber insbesondere auch die Qualität der Führung zu hinterfragen. Führungskräfte müssen extrem veränderungsbereit und auch veränderungsfähig sein, um ein Umdenken von einer vertikalen Linienorganisation in eine horizontale Prozessorientierung zu gewährleisten.
2.5 Kundenportfolio-Komplexität
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Eine klassische Strategie für Unternehmen in stagnierenden Märkten besteht darin, möglichst alle erreichbaren potentiellen Kunden mit individuellen Produkten für das Unternehmen zu gewinnen und an dieses zu binden. Diese Maßnahme führt in der Regel direkt in die unternehmerische Krise. Neben den Auswirkungen auf die Komplexität des Produktprogramms und damit auch auf die Fertigung, welche im nächsten Abschnitt beschrieben werden, hat dies auch unmittelbare Auswirkungen auf die Komplexität und Qualität des Kundenportfolios. Eine einfache Analyse der kumulierten Anzahl der Kunden im Verhältnis zum kumulierten Umsatz aller Kunden zeigt regelmäßig die Schieflage innerhalb des Kundenbestandes und lässt unmittelbar Rückschlüsse auf möglich Krisenursachen zu:
Abb. 7: Analyse der kumulierten Kundenumsätze
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Der graue Bereich des obigen Schaubildes ist der häufig anzutreffende Verlauf der kumulierten Kundenumsätze bei Krisenunternehmen. Bereits mit weniger als 10 % der Kunden werden mehr als 90 % des Umsatzes erzielt. Die verbleibenden 90 % der Kunden stehen jeweils nur für einen marginalen Anteil, erzeugen aber in der Regel einen ähnlichen Aufwand für Bearbeitung und Steuerung. Die Komplexität im Gesamtsystem wird damit zu einem Großteil durch Kunden determiniert, welche keinen relevanten Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten.
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Dramatischer wird diese Situation noch, wenn keine detaillierte, tiefgehende Kundendeckungsbeitragsrechnung vorliegt, so dass das ein Unternehmen gar nicht effektiv beurteilen kann, mit welchen Kunden wirklich Geld verdient wird. Anhand des obigen Bildes kann wunderbar verdeutlicht werden, welche Folgen z.B. eine Verteilung der Gemeinkosten innerhalb der Kundendeckungsbeitragsrechnung über den Schlüssel „Umsatz“ haben kann. Obwohl der Aufwand für die Auftragsbearbeitung häufig unabhängig vom Umsatz ist, bekämen die marginalen Kunden nur einen marginalen Anteil der Vertriebsgemeinkosten zugewiesen.
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Ein Beispiel aus der Textilbranche zeigt, welche Folgen dieser „Blindflug“ innerhalb eines Unternehmens haben kann. Das betreffende Unternehmen hat seine Produkte ursprünglich nur im B2B-Bereich des textilen Fachhandels abgesetzt. Durch die Konzentration in diesem Handelsbereich und das Aussterben des textilen Kleinhandels wurden aber zunehmend auch Einzelkunden direkt beliefert. Im Zeitablauf erodierten die Margen und das Unternehmen geriet in eine Schieflage. Die Kundenumsatzkurve glich der oben dargestellten, so dass entschieden wurde, über eine detaillierte Kundendeckungsbeitragsrechnung festzustellen, welche Kunden überhaupt profitabel sind. Über eine Prozessaufnahme und Aktivitätenbewertung stand ein Kostengerüst zur Verfügung, welches nun eine verursachungsgerechte Kostenzuweisung ermöglichte. Die spannendste Erkenntnis war die Tatsache, dass ein Durchlauf des Auftragsbearbeitungsprozesses über 40 EUR kostete – der durchschnittliche Bestellwert im Unternehmen aber inzwischen nur bei ca. 36 EUR lag. Mit einem Großteil der Kunden konnte also gar kein Geld verdient werden. Die ergriffenen Maßnahmen zielten in zwei Richtungen: Abbau der Komplexität durch Bereinigung des Kundenportfolios um langfristig unprofitable Kunden und Kundengruppen sowie „Profitabilisierung“ von Potenzialkunden. Dies wurde zum einen durch die Einführung eines Mindestbestellwertes erreicht, welcher automatisch einen Großteil der marginalen Kunden ausschloss und somit die Komplexität durch Bereinigung deutlich reduzierte. Zum anderen wurde für nicht registrierte Stammkunden eine Online-Bestellplattform als alleinigen Zugangsweg zu den Produkten eingerichtet, wodurch die Steuerung und Bearbeitung der Kleinaufträge extrem automatisiert und damit komplexitätsreduziert wurde.
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Natürlich besteht durch solche rigiden Methoden die Gefahr, potenzielle A-Kunden schon in der ersten Anbahnungsphase zu verlieren, aber in Krisensituationen muss das Risiko akzeptiert werden, potenzielle Kunden zu verlieren, um sich auf die wirklich profitablen Kunden mit stabilen Zukunftsperspektiven zu konzentrieren. Durch Einführung und Anwendung von Instrumenten und Maßnahmen zur Portfoliobereinigung können die Komplexität im Kundenbereich zum Teil erheblich reduziert und damit die Kosten für das Kundenmanagement deutlich gesenkt werden. Außerdem bleiben im Wesentlichen profitable Kunden zurück, so dass mit geringerem Umsatz geringere Kosten in fast allen Bereichen des Unternehmens sowie höhere Erträge einhergehen.
2.6 Sortimentskomplexität
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Analog zum Anstieg der Komplexität im Kundenportfolio wächst auch die Sortimentskomplexität aufgrund verschiedener Faktoren im Zeitverlauf an. Neben der gesteuerten Ausweitung des Geschäftes auf neue Geschäfts- oder Produktbereiche sowie neue regionale Märkte ist auch immer wieder eine „schleichende“ Sortimentsausweitung (in der Breite und in der Tiefe) aufgrund wirklicher oder subjektiv empfundener Markterfordernisse zu beobachten. Neue Kunden können vermeintlich nur gewonnen werden, wenn ihnen auch maßgeschneiderte Produkte offeriert werden. Und damit beginnt häufig eine Spirale starker Komplexitätsverstärkung, denn neue Produkte müssen entwickelt werden, beanspruchen Rüst- und Fertigungszeit in der Produktion, müssen als Stammdaten verwaltet und von Vertrieb und Marketing „an den Kunden gebracht“ werden.
Und auch in diesem Bereich zeigt eine ABC-Analyse auf Basis einer Deckungsbeitragsrechnung mit verursachungsgerechter Gemeinkostenzuordnung häufig die Probleme der Unternehmen bei der Steuerung ihrer Sortimentsergebnisse auf.
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Auf Basis der Deckungsbeitragsrechnung könnten die C-Artikel, insbesondere jene mit neutralem oder negativem Deckungsbeitrag, einfach gestrichen werden, um eine deutliche Reduktion der Sortimentskomplexität und damit der Ergebnisqualität zu erzielen. Da sich aber in dieser Sortimentsgruppe auch neu entwickelte Potenzialprodukte sowie strategische Produkte verbergen, ist auch in Krisensituationen eine differenziertere Herangehensweise angezeigt.
Daher sollte das gesamte Sortiment im Rahmen einer Sortimentsbereinigung nach folgenden Kriterien sowohl quantitativ als auch qualitativ untersucht werden:
- | Betrachtung der Produkte aus der Finanzperspektive mit Hilfe der Deckungsbeitragsanalyse, |
- | Portfolioüberlegungen aus der Marketingperspektive (z.B. Potenzialprodukte), |
- | Komplexitätsüberlegungen aus der Fertigungsprozessperspektive, |
- | Kundenüberlegungen aus der Vertriebsperspektive (z.B. strategische Produkte). |
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Diese Perspektiven können, je nach Unternehmenssituation, unterschiedlich gewichtet werden. In der latenten Krise wird z.B. die Marketingperspektive im Hinblick auf die profitable Entwicklung des Portfolios einen höheren Stellenwert haben als in der akuten Krise, in welcher sicherlich die Finanz- und Fertigungsperspektive deutlich überwiegen. Innerhalb der Perspektiven werden die einzelnen Produkte beziehungsweise Serien mit Scores versehen, so dass sich aus der Multiplikation mit dem Gewicht der Perspektive schlussendlich eine Bewertung ergibt. Produkte unterhalb eines Grenzwertes sollten dann gestrichen werden, wobei der Prozess des Streichens sauber gesteuert werden muss, um keine Probleme mit wichtigen Kunden, der eigenen Fertigung sowie den Verantwortlichen für die Lagerbestände zu provozieren.
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Besondere Risiken bei der Bereinigung der Sortimentskomplexität bestehen in möglichen remanenten Kosten, welche nicht analog zu den Produkten abgebaut werden können sowie dem möglichen Verlust von Kunden beim Wegfall ihrer Lieblingsprodukte. Diese Auswirkungen lassen sich aber im Vorfeld relativ transparent ermitteln und durch geeignete Maßnahmen in der Regel dämpfen. Stärkere negative Auswirkungen könnte die Streichung von Potenzialprodukten haben, da dieses die künftige Entwicklung des Unternehmens behindern und somit zeitversetzt zu einer noch größeren Krise führen könnte. Gleichwohl senkt eine Bereinigung des Sortimentes die Komplexität im Unternehmen deutlich. Die Steuerung der Fertigung wird wesentlich vereinfacht da diese in der Regel ebenfalls verkleinert und die Fertigungsprozesse optimiert werden können. Es werden weniger Vorprodukte benötigt und die Lagerhaltung von Komponenten und Endprodukten wird reduziert. Die Folge ist eine geringere Kapitalbindung und eine Konsolidierung auf weniger Fläche mit entsprechenden Strukturkostenvorteilen sowie eventuell Verwertungserlöse für Gebäude und Anlagen, sofern die Fertigung drastisch reduziert werden kann.