Kitabı oku: «Magie am Hof der Herzöge von Burgund», sayfa 8
2.3.5. Die Brüsseler Zeugen
Die sieben Brüsseler Männer, von denen uns Aussagen über die Ereignisse überliefert sind, sind alle nur über ihr Erscheinen in den Prozessakten nachzuweisen. Dies liegt an der bereits eingangs beschriebenen Quellenlage für das mittelalterliche Brüssel. Im Umfeld des burgundischen Hofes ist keiner der Männer über die Ereignisse hinaus anzutreffen. Neben dem Namen und der Berufsbezeichnung enthalten die Aussagen der Zeugen zudem einige Angaben zum Wohnort der Personen. Die Zeugen können dabei anhand ihrer Berufe in der Regel der Brüsseler Bürgerschicht und dem gehobenen Handwerk zugeordnet werden.325
Der erste Zeuge, Colart Faverreel, war Mediziner und wohnte in der Putterie, einem Quartier in Brüssel, in dem möglicherweise die Töpfer wohnten.326 Als Zweites wurde die Aussage von Josse Doegens aufgenommen, einem Wachszieher.327 Der Brüsseler Apotheker Franck taucht mit den Beinamen Merita und op te Waghe auf, wobei letzterer geläufiger gewesen zu sein scheint.328 Die vierte Person, die vor dem Brüsseler Schöffengericht aussagte, war der Minorit Jean Mussche.329 Es folgten die Aussagen des Steinmetzen Jacques de Knibbere, der bei den Karmelitern wohnte,330 und die des Formschneiders Jean Pepercoiren, wohnhaft in der Melestrate bei Sankt Nikolaus in Brüssel.331 Zuletzt wurde auch die Aussage des Goldschmiedes Jean de Lombeke festgehalten.332
Die Informationen über die aussagenden Personen sind also als eher dürftig zu bezeichnen; dennoch ergeben sie ein klares Bild über die Aktivitäten Jean de Bruyères und Charles de Noyers’ in Brüssel. Die beteiligten Personen, deren Professionen im Luxusgewerbe bzw. Kunsthandwerk sowie im Handwerk lagen oder die zur Geistlichkeit zählten, können dabei alle einer gehobenen sozialen Schicht zugerechnet werden.333 Die Kontakte mit oder zum Grafen von Étampes beschränkten sich auf wenige Personen. Für Jean de Bruyère und Charles de Noyers sind allerdings zahlreiche direkte Kontakte zu Informanten oder möglichen Auftragnehmern zu verzeichnen. Zudem kristallisieren sich die Personen Jean Mussche und insbesondere Franck op te Waghe als diejenigen Personen heraus, die die meisten Kontakte für Jean und Charles herstellten und daher als deren Brüsseler Ansprechpartner ausgemacht werden können.
2.4. Strategien und Taktiken – Die Rolle der Kommission und der Aussagenden im Processus contra dominum de Stampis
2.4.1. Der Ablauf der Befragungen
Der Prozess gegen Jean de Bruyère im Jahr 1463 weist einen sehr strukturierten, aufeinander aufbauenden Ablauf auf. Die Kommission, die die Befragungen durchführte, konnte dabei auf verschiedene Dokumente zurückgreifen. Es handelte sich zum einen um die schriftlich vorliegenden Zeugenaussagen, die vor dem Prozess vor dem Schöffengericht in Brüssel abgelegt worden waren. Zum anderen spielte bei den Befragungen auch die Korrespondenz zwischen dem Zeugen Franck und dem Befragten Jean de Bruyère, die der Kommission in Ausschnitten vorlag, eine wichtige Rolle. Sowohl auf die Briefe als auch auf die Zeugenaussagen stützten sich die Kommissare während ihrer Befragungen wiederholt. Die Kommission konnte zu Beginn der Befragungen also auf eine Reihe von Vorinformationen zurückgreifen, die die Untersuchungen erleichterten. Argumentationshilfen erhielten die Männer des kirchlichen Gerichts zudem bereits durch den Brief des Bischofs von Cambrai.334 Die Kommissare gingen bei den Untersuchungen schrittweise und offenbar sehr überlegt vor. Die Strategien der Kommission, aber auch die Aussagen und Taktiken der Befragten sollen im Folgenden dargestellt werden.
2.4.2. Die Überprüfung der Zeugenaussagen
Die Kommissare und die Delegierten befanden sich zu Beginn der Untersuchungen in der für sie komfortablen Lage, dass sie bereits verschiedene schriftliche Aussagen vorliegen hatten und sie die Zeugen aus Brüssel auch nach Le Quesnoy vorladen konnten. Diese Vorladungen erfüllen im Prozessverlauf zwei Funktionen: Zunächst ließen sich die Kommissare von Franck op te Waghe, Josse Doegens, Jean Pepercoiren, Jean de Lombeke und Jean Mussche die in Brüssel abgelegten Aussagen noch einmal bestätigen.335 Der bei den schriftlichen Aussagen zuerst aufgeführte Zeuge Colart Faverreel und auch der Goldschmied Jacques de Knibbere wurden nicht noch einmal angehört. Möglicherweise erwartete man von ihnen keine weiteren, die Untersuchungen voranbringenden Informationen. Dies spiegelt sich auch in der inhaltlichen Qualität der von ihnen in Brüssel abgelegten Aussagen wider. Jean Mussche durfte seine Bestätigung in Schriftform darlegen. Gemäß den Untersuchungsakten sagte der Minorit am 31. März aus und gab seine schriftliche Aussage am 2. April ab. Beim Kopieren der Prozessakten wurde die Aussage in dem Aktenmaterial den Brüsseler Aussagen zugeordnet.336
Die meisten Zeugen aus Brüssel wurden nicht nur danach gefragt, ob sie ihre Aussagen bestätigen wollen und können, auch einige Themen aus den Aussagen standen im Fokus der Nachfragen der Kommissare. Besonderes Interesse galt dabei der Frage nach den Wachsfiguren und den Formen sowie deren Verwendungszweck, Kontakten der Zeugen zu Jean de Bruyère, Charles de Noyers und anderen Personen sowie der Frage nach einem beschworenen Geist. Bei Franck, dem Apotheker, ging es zudem um (Zauber-)Utensilien, die zusätzlich gesucht worden waren, wie eine Ziege und Nadeln, aber auch um die Briefe, die er sich mit Jean de Bruyère geschrieben hatte. Die Befragung Francks wurde in dieser frühen Phase der Untersuchungen vergleichsweise lange geführt und dies in dem offensichtlichen Bestreben, einige zusätzliche Hinweise auf die Geschehnisse zu erhalten. Lediglich bei Josse Doegens scheint man auf weitere Fragen verzichtet zu haben und sich mit der Bestätigung der wahrheitsgemäßen Aussage zufrieden gegeben zu haben, zumal dieser offenbar auch ohne Befragung bereit war, zusätzliche Informationen zu geben.337
Eine Besonderheit weist die Befragung Jean Pepercoirens auf. Nur ihn fragten die Kommissare, ob er es wagen würde, seine Aussage auch vor Jean de Bruyère zu wiederholen.338 Warum man nur Jean Pepercoiren nach dem Einverständnis zur Gegenüberstellung fragte, erschließt sich nicht aus dem Aktenmaterial. Möglicherweise erhoffte man sich von ihm zusätzliche Informationen, war aber generell von seiner nur partiellen Beteiligung überzeugt und wollte daher sein Einverständnis abwarten. Bei dem stärker in die Angelegenheit verstrickten Apotheker Franck scheint die Gegenüberstellung dagegen bereits geplant gewesen zu sein, während sie bei Josse Doegens wohl weniger notwendig war.
Inhaltlich ging es bei den Aussagen um Ergänzungen zu bereits bekannten Aspekten. Franck offenbarte beispielsweise auf Nachfrage der Kommissare weiterführende Informationen zu den Konstellationen, in denen er mit Charles de Noyers und Jean de Bruyère zusammengetroffen war. Auch auf die Frage, an welchen Orten er mit den beiden auf der Suche nach den Formen und Figuren gewesen war, gab er detaillierte Aussagen. Diese wiederum können einerseits mit den Aussagen der anderen Brüsseler Zeugen verglichen werden, denn er nannte die Besuche bei Jean Pepercoiren und Jacques de Knibbere, andererseits gab er auch hier zusätzliche Informationen preis, die durch die namentliche Nennung weiterer besuchter Handwerker in Brüssel nachprüfbar schienen.339 Auch von Josse Doegens und Jean Pepercoiren erfuhren die Kommissare weitere Einzelheiten, die in der Akte beide mit »Und er sagt außer seiner Aussage« bzw. »Item außer seiner Aussage« eingeleitet werden.340 Diese Ausdrücke weisen auch an anderen Stellen auf zusätzliche Informationen hin.
Die Vorkenntnisse der Kommission führten dazu, dass die Kommissare im Umgang sowohl mit den Zeugen aus Brüssel als auch mit Jean de Bruyère oft Suggestivfragen einsetzten. Dies konnten Fragen sein, die bereits von gewissen Voraussetzungen ausgingen, wie die Frage, nach konkreten Informationen oder Dingen, die Jean in einem Brief an Franck erwähnt hatte.341 Zudem verwendeten sie dabei oft die Umschreibung »ob … gar.« So fragten sie den Apotheker Franck op te Waghe, »ob er gar wisse, dass der genannte Meister Jean Personen machen wollte, wovon er ihm geschrieben hat.«342 Die offeneren Fragen wie die erstgenannte konnten sowohl knappe als auch ausführliche Antworten hervorrufen, wohingegen die »ob … gar«-Fragen sowohl mit »Ja« als auch mit »Nein« oder einer ausführlichen Antwort erwidert werden konnten. Zu dieser Fragestrategie sind auch die Formulierungen zu zählen, bei denen die Kommissare die Zeugen durch ihre Wortwahl zu Spekulationen aufforderten, wie dies bei Franck, dem Apotheker, festzustellen ist, als die Kommissare ihn fragten, was er selber gedacht hatte, als Jean ihn um die Ziege gebeten habe.343
Nachdem sich die Kommission der in Brüssel getätigten Aussagen vergewissert und zusätzliche Informationen erhalten hatte, wurde noch am ersten Untersuchungstag Jean de Bruyère vor die Kommission geführt. Auch er wurde zunächst einigen Fragen unterzogen, die sich in Variationen auf die Aussagen der Brüsseler Zeugen vor dem Schöffengericht oder auf die erst kürzlich getätigten Aussagen bezogen. Diese erste Befragung dauerte nur kurz an, da die Kommissare sehr schnell zu der geplanten Konfrontation mit einigen der bereits gefragten Männer übergingen.
Die Brüsseler Zeugen, dies lässt sich dem Aktenmaterial entnehmen, waren durchaus gewillt und in der Lage, ihren bereits getätigten Aussagen zusätzliche Informationen hinzuzufügen. Wie im folgenden Kapitel zu zeigen sein wird, trug aber auch die Fragetaktik der Kommissare ein Übriges dazu bei, vertiefende Antworten zu erhalten.
2.4.3. Die Gegenüberstellungen
Die Gegenüberstellungen waren für die Kommission besonders interessant, konnten doch hier die Aussagen zweier Personen und deren Reaktionen direkt verglichen werden. Sie fanden am ersten und zweiten Untersuchungstag statt. Am ersten Tag wurde Jean de Bruyère mit den Zeugen Josse Doegens, Jean Pepercoiren und Jean de Lombeke konfrontiert. Erst am zweiten Tag der Untersuchungen wurde ihm auch Franck op te Waghe gegenübergestellt.
Bei der Konfrontation Jean de Bruyères mit Josse Doegens ging es unter anderem um die Aussage des Wachsziehers, wonach Jean de Bruyère ihm gesagt habe, dass er über 40 Meilen weit hören könne, was ein Mann sage. Josse bestätigte noch einmal seine Aussage. Jean de Bruyère hingegen verneinte dies und versuchte zudem, die Aussage Josses in eine andere Richtung zu drehen. Josse blieb jedoch, was seine Aussage angeht, standfest.344 Auch bei der darauffolgenden Gegenüberstellung Jean de Bruyères mit Jean Pepercoiren fanden sich Diskrepanzen in den Aussagen der beiden Männer. Hier ging es um die Frage, ob Jean de Bruyère während eines Besuchs beim Steinmetz selbst die Beispiel-Wachsfigur getragen hatte oder ob – wie Jean de Bruyère dies behauptete – Franck der Träger gewesen war. Offenbar zielte diese Frage, die ganz zu Beginn der Untersuchungen behandelt wurde, darauf ab, wer in die Suche nach den Wachsfiguren und den zugehörigen Formen wie stark involviert gewesen war. Auch hier versuchte Jean de Bruyère wieder, die Kommission von seiner Version zu überzeugen, während Jean Pepercoiren auf seiner ursprünglichen Aussage bestand.345 Bezüglich Jean de Lombeke kam es bei der Gegenüberstellung zu ähnlichen Ergebnissen: Dieser erwähnte auf die von Jean de Bruyère verneinte Frage, ob man noch weitere Goldschmiede aufgesucht habe, dass er von einem Goldschmied namens Jean Lievin wisse, der Angebote für das Herstellen von Figuren von Jean de Bruyère bekommen habe. Auf diese Aussage habe Letzterer dann nichts mehr zu antworten gewusst.346 Dies deutet darauf hin, dass es der Kommission mit Hilfe der Zeugen an verschiedenen Stellen gelang, Jean de Bruyère zu verunsichern und mit den gezielten Fragen unter Druck zu setzen. Bei der Gegenüberstellung Francks mit dem Verdächtigen ergibt sich ein ähnliches Bild. Die Kommission erfuhr bei der gemeinsamen Befragung, die auch auf Grundlage des Briefwechsels zwischen den beiden Männern geführt wurde, dass Franck von Jean de Bruyère erfahren haben wollte, dass man über die Nadel, nach der gesucht werden sollte, Verse oder Psalmen sprechen müsse. Auch hier wollte Jean nichts von diesen Praktiken wissen, während Franck bei seiner Aussage blieb.347
Bei jeder der skizzierten Gegenüberstellungen zeigt sich also ein eindeutiges Muster, wonach die Zeugen aus Brüssel auch gegenüber Jean de Bruyère an ihren Aussagen festhielten, die sie vor dem Schöffengericht gemacht oder die sie vor der Kommission in Le Quesnoy zu Protokoll gegeben hatten. Dabei legten sie eine starke Selbstsicherheit an den Tag. Auch die gegenteiligen Behauptungen, die Jean de Bruyère bei allen Zeugen hervorbrachte, vermochten die Inhalte der Zeugenaussagen in keinerlei Weise zu ändern. Vielmehr wiesen die Berichte der Brüsseler Zeugen oft noch zusätzliche Details auf, die die vorherigen Aussagen ergänzten. Dies wird die Glaubwürdigkeit der Zeugen erhöht haben, zumal auch die Kommission gewillt schien, ihrer Version Glauben zu schenken. So wird dies auch in den Prozessakten vermerkt, wenn Jean Gros angesichts der Gegenüberstellung Jean de Bruyères mit Josse Doegens kommentierte, dass der Wachszieher frei und ohne zu variieren seine eigene Aussage bekräftigte und Jeans Version der Geschichte als erfunden dargestellt habe.348 Die Gegenüberstellungen waren geplant, um Jean de Bruyère in Bedrängnis zu bringen. Ein intensiveres Hinterfragen der Aussagen der Brüsseler Zeugen gehörte offenbar nicht zum Plan der Kommission, da das – vermutlich erwünschte – Ergebnis, die Belastung Jean de Bruyère, eingetreten war.
2.4.4. Die Taktiken Jean de Bruyères während der Befragungen
Jean de Bruyère selbst verwendete verschiedene Taktiken in den unterschiedlichen Befragungssituationen. Wie im vorangegangenen Kapitel bereits gezeigt, verlegte sich der Verhörte bei den Gegenüberstellungen auf das Leugnen oder versuchte, das Geschehen anders, in der Regel harmloser, darzustellen. Dabei geriet er in die Situation, dass er auf manche Fragen oder Behauptungen der Brüsseler Zeugen keine Antwort mehr zu geben wusste, oder er versuchte, die Flucht nach vorne zu ergreifen. Dies geschah beispielsweise, als die Kommission auf eine Erzählung Jean de Bruyères über eine Nadel einging. Dabei berichtete Jean, dass er mithilfe eines solchen Utensils Menschen an einem Tisch einschläfern könne.349 Hierauf antwortete Franck der Kommission während der Gegenüberstellung mit Jean de Bruyère auf die Frage, ob man für den Trick mit der Nadel Psalmen oder Verse benötige, dass er glaube, dass dies zutreffe. Anstatt diese Behauptungen lediglich zu verneinen, wie er dies oft getan hatte, fragte Jean offensiv zurück, welcher Psalm dies gewesen sei. Aber Franck gab darauf zurück, dass Jean dies besser wisse.350 An anderer Stelle versuchte Jean, sich der Meinung Francks, der von Charles de Noyers’ Plan mit einer Ziege nichts Gutes gedacht haben wolle, anzuschließen, indem er ebenfalls zu Protokoll gab, dass er Charles gegenüber argwöhnisch gewesen sei. Charles habe ihm aber erzählt, dass es um Zaubereien gegangen sei, um Frauen zu täuschen.351 Hier deutet sich an, dass der Befragte versuchte, den Fokus der Befragungen von sich selbst auf eine andere Person zu lenken. Die angedeuteten Zaubereien gegenüber Frauen mögen ihm an dieser Stelle jedenfalls harmloser erschienen sein, da sie in den Bereich des Liebeszaubers fielen. Bei den immer wieder aufkommenden Fragen nach einem Geist mit brennenden Augen versuchte Jean, zu beteuern, dass er nichts von dem Geist wisse. Er betonte aber, dass Meister Gilles sich darauf verstünde, den Geist hervorzurufen und implizierte dabei zugleich, dass dieser dementsprechend mehr wisse.352 Ähnliches lässt sich auch bei der bereits geschilderten Gegenüberstellung mit Jean Pepercoiren beobachten, als der Verhörte behauptete, dass nicht er die Wachsfiguren getragen habe, sondern dies Franck gewesen sei.353 Durchgehend finden wir bei Jean de Bruyère die Taktik, sich selbst als Mitläufer zu stilisieren, indem er immer wieder betonte, dass es eigentlich Charles de Noyers gewesen sei, der bestimmte Dinge in Auftrag gegeben oder von ihnen gewusst habe. Dies zeigt sich insbesondere in den Beschreibungen seiner ersten Bekanntschaft mit Charles de Noyers, bei der Jean diesen als Initiator beschreibt.354
An den einzelnen Befragungstagen stellte sich entweder durch neuerliche Untersuchungen oder aber auf eigenes Betreiben Jean de Bruyères heraus, dass der Verhörte bei den vorangegangenen Befragungen Informationen zurückgehalten hatte.355 Wenn in den Prozessakten vermerkt ist, dass Jean auf eigenes Betreiben mit Mitgliedern der Kommission sprechen wollte oder nach einigen Tagen Befragungspause um ein Gespräch mit dem Grafen von Charolais bat und bisher nicht bekannte Informationen offen legte356, suggeriert dies, dass er auch während des Prozessverlaufs seine Taktik an die jeweiligen Befragungssituationen angepasst hatte. Immer dann, wenn es ihm sinnvoll erschien, mehr oder andere Informationen preiszugeben, sucht er das Gespräch. Diese Taktik lässt sich besonders gut bei der Entwicklung der Darstellung von Johann von Burgund beobachten.357 Wie noch zu zeigen sein wird, konnten während der Befragungen solche Situationen auch durch einen gewissen Druck seitens der Kommission erzeugt worden sein, aber offenbar war dies nicht immer nötig, um eine Variation der Aussagen Jean de Bruyères zu erhalten.
Während der Gegenüberstellungen blieb dem Verhörten also in einigen Situationen nur eine defensive Haltung, weil er die Aussagen der Zeugen bestenfalls dementieren konnte. Dennoch versuchte Jean de Bruyère, auch in diesen Situationen eine für ihn positive Darstellung der Ereignisse und Umstände zu finden bzw. die Verantwortung an andere Personen abzugeben. Bei den unterschiedlichen Verhörsituationen finden sich also Taktiken, die als typisch für Aussagen eines Beschuldigten bei einem Prozess gedeutet werden können. Bei Jean können wir ferner die Aussageeigenart der Konstanz einfacher Aussagen feststellen, die sich besonders im wiederholten Beteuern, Dinge nicht zu wissen, ausdrückt. Das Nicht-Erinnern-Wollen aber auch das Ausblenden von Erlebtem, das Reden, ohne wirkliche Neuigkeiten zum Prozessverlauf beizutragen, ausweichende Aussagen oder solche aus Loyalität zählt Kathrin Simon-Muscheid zu einer erweiterten Form von Schweigen vor Gericht. Dieses Schweigen drückt sich eben nicht nur im Nicht-Reden, sondern auch im (für den Prozessverlauf) nicht-zielführenden Reden aus.358 Hierzu passen die ausweichenden bzw. für den eigentlichen Gegenstand nicht bedeutsamen Antworten Jean de Bruyères. Solche Antworten erhielten die Kommissare spätestens mit dem Einsatz der Folter am dritten Verhandlungstag, deren Anwendung im folgenden Kapitel dargestellt werden sollte. Dabei soll auch auf mögliche Änderungen in Jean de Bruyères Aussageverhalten eingegangen werden.
2.4.5. Die Folter und ihre Rolle im Prozess
Aufgrund von »Abwandlungen und Gegensätzlichkeiten« (variacions et contrarietez)359 in den Aussagen Jean de Bruyères gegenüber der »Beständigkeit und Beharrung« (constance et perseverance)360 der Aussagen der Brüsseler Zeugen beschlossen die Kommissare Enguerrand Signard und Girard Vurry sowie die Delegierten, Jean de Bruyère auch unter dem Einsatz von Folter zu befragen. Die Befugnis zur Folter, dies wurde betont, sei den Kommissaren Enguerrand Signard und Girard Vurry durch den Bischof von Cambrai übertragen worden. In einem Zwischenurteil (sentence interlocutoire), wie es in den Akten genannt wird, erklärten sie daher, dass Jean de Bruyère unter Folter befragt werden sollte.361
Obwohl an dem entsprechenden dritten Befragungstag, dem 4. April, schon vorher feststand, dass man den Befragten unter Folter verhören wollte, wurde er zunächst von den Kommissaren eindringlich ermahnt, die Wahrheit zu sagen; ein Verfahren, das auch bei anderen Fällen gerichtlicher Folter im Vorfeld angewandt wurde.362 In einer kurzen, einleitenden Befragungsrunde wurden aber anscheinend keine befriedigenden Erkenntnisse offenbart, da die Kommission bereits nach kurzer Zeit beschloss, ihn unter Folter zu befragen. So »wurde er auf die question du chapelet363 angebracht und gesetzt, welche relativ leicht und ohne Verstümmelung der Glieder funktionierte.«364 Unter Folter wurde er daraufhin mit sehr vielen kleinteiligen Fragen konfrontiert, deren Thema oft gewechselt wurde. So sprang die Kommission gleich zu Beginn in den Befragungen von den Beschwörungen zur Erlangung von Zuneigung, über die Nachfrage nach Personen, die gekürzten Briefe, die Nadeln und Alchimie bis zu dem Kontakt Jeans mit Charles de Noyers. Auch im weiteren Verlauf blieb die Befragung unstet. Es wurden viele Themen angeschnitten, die oft aber nicht mit zusätzlichen Fragen weitergeführt wurden. Zwar wurden auch bei späteren Befragungen immer wieder verschiedene Aspekte angesprochen, aber die Kommission blieb dann in der Regel für mehrere Fragen bei einem Thema. Diese plötzlichen Wechsel können auf eine gewisse Fragestrategie hin deuten: Möglicherweise versuchten die Kommissare, durch den schnellen Themenwechsel Ungereimtheiten aufzudecken, etwa damit der Verhörte sich durch die Taktik überrumpelt fühlte und nicht bei seinen ursprünglichen Aussagen blieb. Auch scheinen sie den Befragten zum Teil bewusst mit Vermutungen ihrerseits konfrontiert zu haben, um neue oder abweichende Informationen zu erhalten. So ließen sie Mutmaßungen über den Charakter der Beschwörungen in ihre Fragen einfließen, spekulierten über den Sinn der verschwundenen Stellen in den Briefen zwischen Jean und Franck oder versuchten, durch präzisere Fragestellungen Genaueres herauszufinden.365
Jean selbst versuchte zunächst, bei vielen der angeschnittenen Themen möglichst vage zu bleiben, indem er vorgab, nichts zu wissen oder Informationen über größeres Wissen bei anderen Personen zu vermuten.366 Als die Kommission bei der Frage nach Mitwissern die unbestimmte Antwort Jeans, er habe Franck und zwei oder drei anderen Personen von den Figuren erzählt, nicht gelten ließ und genauer nachfragte, erhielt sie dann auch eine ausführlichere Antwort, in der Jean Namen der Personen preisgab.367 Ob diese erweiterte Aussage unter konkreter Anwendung der Folterinstrumente entstanden war, ist aus den Akten zwar nicht zu belegen, am Beispiel der Frage nach den Beschwörungen aber lässt sich die Änderung des Aussagegehaltes bei Jean de Bruyère unter der Folter gut nachvollziehen. Die Frage, ob man für das Herstellen der Figuren auch Beschwörungen benötige, ist die erste, die die Kommissare nach der Ankündigung, die Folter beginnen zu lassen, stellten. Dabei fragten sie, auf welche Art oder mit welchen Beschwörungen man die Figuren den gedachten Personen zuordnete und ob ihm Charles de Noyers dazu etwas gesagt habe. Jean antwortete, dass Charles ihm nichts gesagt habe, außer dass ein Prior die Zuneigung zwischen den Personen herstellen wolle.368 Einige Fragen später kamen die Verhörenden wieder auf das Thema zurück, indem sie fragten, welche Beschwörungen man für die Figuren benötige. Auch hier antwortete Jean erwartungsgemäß, er denke, dass man gar keine Beschwörungen dafür benötige, wisse es aber nicht sicher.369 Kurz darauf wurde er gefragt, ob die Figuren vor der Abreise Charles de Noyers’ beschworen wurden, woraufhin er erneut Unwissenheit angab. An anderer Stelle wurde Jean gefragt, warum er die Kunst der Zuneigung lernen wolle, erlange man diese doch durch Zauberei und Beschwörungen. Hier kann man schon eine erste Abweichung von den vorangegangenen Aussagen Jean de Bruyères erkennen, wenn er nämlich an dieser Stelle zu Protokoll gab, darüber nichts Schlimmes gehört zu haben.370 Er bestritt also nicht mehr, wie er es vorher getan hatte, überhaupt etwas Näheres darüber zu wissen, sondern versuchte lediglich, die negativen Implikationen, die die Kommissare mit ihrer Frage aufgeworfen hatten, abzuschwächen. Später bejahte Jean de Bruyère die Frage, ob Charles ihm gesagt habe, dass er die Figuren beschwören würde, und er erwähnte auch wieder den Prior, der die Beschwörungen durchführen müsse.371 Dies war die letzte Aussage, die Jean de Bruyère unter Folter über die Beschwörungen machte. Aber auch bei seinem anschließenden Bericht über seine ersten Treffen mit Charles de Noyers kam Jean immer wieder auf die Beschwörungen und andere, während der Folter angesprochene Themen zu sprechen. Dabei bestritt er nicht mehr, dass Charles mehrere Male über Beschwörungen und deren Verwendung gesprochen hatte.
Mit Fortschreiten der Folter kam es also immer seltener vor, dass Jean de Bruyère ausweichend antwortete oder vorgab, nichts zu wissen. Im Gegenteil wurden die Aussagen detaillierter und ausführlicher, sodass man zu einigen Themen neue Informationen erhielt. Die dazugehörigen Fragen der Kommissare waren während der Folter zudem sehr kleinschrittig, sodass konkretere Antworten herausgefordert wurden. So fragten sie beispielsweise, ob es Charles auf Zuneigung besonders zwischen bestimmte Personen abgesehen hatte, worauf Jean erläuterte, dass es sich um den Grafen von Charolais und den Grafen von Étampes handelte, zwischen denen Zuneigung geschaffen werden sollte.372 Diese Frage gehört zu mehreren aufeinanderfolgenden, mit denen man offenbar gegen Ende der Folter versuchte, gewisse Sachverhalte konkreter zu fassen.
Aus der Folter entlassen wurde Jean de Bruyère erst, als er selbst darum bat. Er versprach im Gegenzug, in der weiteren Befragung die Wahrheit zu sagen. Laut den Prozessakten erteilten die Kommissare daraufhin tatsächlich die Anweisung, Jean von der Folter zu befreiten, und er wurde auf einem Stuhl sitzend weiter befragt.373 Ob es auch schon vor diesem Zeitpunkt Bitten um eine Entlassung aus der Folter gab, ist nicht überliefert, wohl aber denkbar.
In den folgenden Tagen wurden die Befragungen ohne Ausübung der Folter geführt. Zu Beginn der weiteren Untersuchungen standen allerdings zunächst die Bestätigungen der Aussagen des vorangegangenen Tages durch Jean de Bruyère an, die zur Bestätigung vorgelegt wurden.374 Bei der folgenden Befragung stand Jean de Bruyère ausführlich Rede und Antwort. Etwaige Androhungen von Folter in dieser Phase sind dem Material nicht zu entnehmen. Am 6. April bat Jean offenbar aus eigenem Antrieb um eine Unterredung mit den Seigneurs de Fourmelles und de Contay.375 Allerdings scheinen auch die neuen Aussagen Jeans immer weitere Fragen bei den Kommissaren und Delegierten aufgeworfen zu haben, die sie zunächst allerdings »durch sanfte Ermahnung«376 zu eruieren suchten. Dass der Verhörte nach dem Tag der Folter die Seigneurs de Fourmelles und de Contay gesondert um eine Unterredung bat, deutet darauf hin, dass er zu diesen Männern mehr Zutrauen als zu anderen Mitgliedern der Kommission hatte, deren Verhalten im Einzelnen jedoch nicht aus den Akten ersichtlich wird. Die Kommissare nutzten diesen Umstand für sich aus, indem sie diese beiden am darauf folgenden Tag wiederum autorisierten, allein mit dem Verhörten zu sprechen, um sich die Aussagen, die Jean am Vortag in ihrem Beisein gemacht hatte, bestätigen zu lassen und weitere Einzelheiten durch neuerliche Befragungen heraus zu finden.
Erst am 15. April wurde Jean de Bruyère, wieder aufgrund von Variationen in seinen Aussagen, in das Zimmer gebracht, in dem die Folter stattgefunden hatte.377 Der Kommissar Enguerrand Signard und die hinzugezogenen Delegierten, die Seigneurs de Fourmelles und de Contay sowie Guillaume de Clugny, der Archidiakon von Avallon, forderten den Verhörten auf, die Wahrheit über die Wachsfiguren zu gestehen. Den Prozessakten ist zu entnehmen, dass Jean de Bruyère »aus seinem vollen Ermessen und seinem freien Willen ohne ein einziges Mal auf die Folter gebracht zu werden, die Dinge sagte und aussagte, die hierauf erklärt werden.«378 Die Möglichkeit, wieder unter Folter befragt zu werden, hatte hier offenbar nachhaltig Wirkung gezeigt. Diese Vermutung wird auch dadurch unterstützt, dass er an diesem Tag besonders schwerwiegende Aussagen tätigte, die seine eigenen und die Taten seines Komplizen sowie die des Grafen von Étampes in ein schlechtes Licht rückten.379
Zwei weitere Stellen der Prozessakten weisen auf den Umstand hin, dass allein die Nähe oder Ferne zu den Örtlichkeiten der Folter Einfluss auf die Psyche des Befragten hatte.380 Wie bereits gezeigt, wurde zu Beginn des 5. April, dem ersten Befragungstag nach der Folter, erwähnt, dass man Jean de Bruyère in einem Zimmer neben seiner Zelle befragte, das weit weg von dem Ort der Befragung lag.381 Eine ähnliche Beschreibung findet sich auch in der Einleitung der Befragung am 16. April.382 Die explizite Erwähnung der Entfernung des Befragungsortes von dem Folterort lässt darauf schließen, dass man sehr wohl die räumliche Nähe oder Entfernung zu der Stätte der Folter nutzte, um den Druck auf den Befragten zu regulieren.
Diese Beispiele der Befragungen Jeans während und nach der Folter zeigen deutlich, dass die Kommissare die Folter sowohl als unmittelbares Druckinstrument nutzten, sie dies aber auch wirkungsvoll indirekt einzusetzen wussten. Die Folter wurde von der Kommission demnach als ein probates Mittel angewandt, um die Wahrheit zu ergründen. Die Anwendung von Gewalt als Mittel zur Wahrheitsfindung wurde zwar im 16. Jahrhundert als zunehmend problematisch empfunden. Für das 15. Jahrhundert ist aber zu konstatieren, dass die Folter noch problemlos eingesetzt werden konnte, da man sich darauf berief, die befragte Person zur Ehrlichkeit bekehren zu wollen und dies unter Beachtung juristischer Verfahrensregeln tat. Auch am Parlament von Paris oder bei den politischen Prozessen Ludwigs XI. gegen den Grafen von Saint-Pol (1475) und den Grafen von Nemours (1476/77), denen Majestätsverbrechen zur Last gelegt wurde und die beide zum Tode verurteilt wurden, wandte man dieses Verfahren an.383 Die wesentlichen auch dort zu beobachtenden Charakteristika der procédure extraordinaire – der Verhörte weiß nichts genaues über die Anklagepunkte, der Angeklagte kann keine eigenen Zeugen berufen und die Folter kann angewandt werden – ähneln also in eben diesen Punkten auch den inquisitorischen Befragungen durch die Kommission des Processus contra dominum de Stampis. Auch Philipp der Gute sah bei der Ermordung seines Vaters die Anwendung von Folter als probates Mittel bei der Untersuchung dieses Verbrechens an.384 Hans Fehr beschreibt die Folter als ein den Gottesurteilen nachfolgendes und somit reinigendes Instrument.385 Eine hingegen weit verbreitete Regel war im Spätmittelalter, dass die Folter erst dann angewendet werden sollte, wenn nur noch ein Geständnis zum Beweis des Verbrechens fehlte,386 wobei die Verwertung des auf diese Weise erhaltenen Geständnisses aus juristischer Sicht dessen Überprüfung voraussetzte. Ein solches Verfahren ist auch bei den Befragungen Jean de Bruyères in Le Quesnoy zu beobachten. Für diese Befragungen unter Folter kann man allerdings sicherlich auch der Aussage LEMBKES zustimmen, dass »die Wahrheit, die Richter durch Gewalt in Form eines Geständnisse erpressen ließen, ihrer eigenen und den Erwartungen einer bestimmten sozialen Gruppe entsprechen [musste].«387 Im vorliegenden Falle konstituierte sich die soziale Gruppe um Karl von Burgund, dessen Anhänger und Vertraute die Mitglieder der Befragungskommission stellten und in denen sich die Erwartungen des Hofes des Grafen von Charolais spiegelten. Ausgelöst wurden diese durch die Hinweise in den Zeugenaussagen, die Aussagen Jeans selbst und umgehende Gerüchte. Die Anwendung der Folter als Teil der vormodernen Gerichtsbarkeit, dies belegt dieses Beispiel deutlich, war damit auch ein Ausdruck herrschaftlicher Macht, um Beweise gegen einen politischen Gegner zu sammeln.
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