Kitabı oku: «Magie am Hof der Herzöge von Burgund», sayfa 6
2.1.2. Die Sprache des Prozesses
Die Prozessakten sind fast durchgehend auf Französisch verfasst, auch wenn sich einige wenige Teile auf Latein finden. Bei diesen handelt es sich zunächst um eine schriftlich niedergelegte Aussage des Minoritenbruders Jean Mussche. Auch der Brief des Bischofs von Cambrai, mit dem die Untersuchungskommission eingesetzt wurde, sowie die Korrespondenz zwischen Jean de Bruyère und Franck op te Waghe sind in lateinischer Sprache verfasst. Die Brüsseler Schöffen erwähnten bereits bei der Beglaubigung ihrer Protokolle, dass »unter den verschiedenen Schriftstücken eines auf Latein, einige auf Französisch und andere auf Niederländisch waren. Diejenigen, die auf Niederländisch waren, sind ins Französische übersetzt worden.«205 Hier wird es sich wohl um die Aussage des Formschneiders Jacques de Knibbere handeln, der vor dem Gericht zu Protokoll gab, dass er mit Franck anstelle von Charles de Noyers gesprochen habe, da letzterer kein Niederländisch (thioix) gesprochen habe.206 Die Praxis, bei in den Niederen Landen geführten Prozessen und Verwaltungsfällen auch das Flämische zu verwenden, war zudem ein durchaus übliches Vorgehen der burgundischen Herzöge, die auf diese Weise einer selbstbewussten flämischen Bevölkerung und den zum Teil fehlenden Französischkenntnissen Rechnung trugen.207 Nur bei dem Minoritenbruder Jean Mussche finden sich, wie erwähnt, auch Aussagen auf Latein, die in dieser Sprache belassen wurden. Diese Vorgehensweise und die Zusammenstellung des Materials in unterschiedlichen Sprachen begründet der Schreiber Jean Gros mit folgenden Worten:
»Dieser vorliegende Prozess wurde in der französischen Sprache und der Volkssprache begonnen, weitergeführt und geschrieben, in der Form, in der die Befragungen gemacht wurden, um sie nach Abschluss des genannten Prozesses ins Lateinische zu setzen und zu übersetzen, in der Art und Weise des Vorgehens der Kirche in Angelegenheiten des heiligen katholischen Glaubens, auf Anweisung der genannten Kommissare zu jenem Zweck, dass diese, die dort anwesend waren und kein Latein verstehen, alles dies verstehen und hören konnten, wonach Meister Jean de Bruyère gefragt wurde und wie er darauf antwortete. Und außerdem, weil der Hauptteil des Prozesses und seines Geständnisses, das er selbst mit seiner eigenen Hand aufgeschrieben hat, in dieser Volkssprache ist.«208
Es ist zunächst davon auszugehen, dass es sich bei den Personen, für die der Prozess in der französischen Sprache abgehalten wurde, um die Befragten handelte. Zwar können beispielsweise für Jean de Bruyère und für den Apotheker Franck durch ihre Korrespondenz Kenntnisse in lateinischer Sprache nachgewiesen werden, anderen Aussagenden kann man jedoch keine diesbezüglichen Fähigkeiten bescheinigen. Die Mitglieder der Kommission waren größtenteils Studierte der Theologie und der Rechtswissenschaften, sodass hier Lateinkenntnisse vorausgesetzt werden können. Bei den Delegierten der Kommission ist nur bei den Herren von Fourmelles und von Contay eine die lateinische Sprache umfassende Bildung nicht gesichert.209
Die von Jean Gros angekündigte lateinische Übersetzung des Prozesses nach kirchlichem Recht ist uns ebenso wenig überliefert, wie es die Vorlagen für die uns vorliegenden Abschriften sind. Dies ist insbesondere deswegen bedauerlich, weil man dadurch mögliche Änderungen zwischen den einzelnen Entstehungsschritten nicht nachvollziehen kann. Die Sorgfalt, die Jean Gros aber der beglaubigten Abschrift – wie oben gezeigt – angedeihen ließ, lässt darauf schließen, dass der Sekretär seiner notariellen Pflicht mit großer Gewissenhaftigkeit nachgekommen ist und auch eine lateinische Abschrift keine inhaltlichen Änderungen aufgewiesen hätte. Die einleitenden und abschließenden Zusätze des Jean Gros sind zudem für die Einordnung des Processus contra dominum de Stampis sehr aufschlussreich, da sie einige Informationen zur Initiierung des Prozesses bereithalten.210
2.1.3. Datierung der Prozessakten
Der zeitliche Rahmen der Erstellung der Prozessakten lässt sich aus dem Material selbst bestimmen oder eingrenzen, geben doch die Akten durch die Nennung mehrerer Daten einige Hinweise auf ihre Entstehungszeit, was durch die datierten Unterschriften des Jean Gros ergänzt wird.211 Die in den Abschriften enthaltenen Aussagen aus Brüssel sind original auf den 19. März 1462 datiert. Der erste Befragungstag in Le Quesnoy ist nur kurze Zeit später, nämlich am 31. März zu verzeichnen. Da burgundisches Aktenmaterial in der Regel nach dem Osterjahr datiert ist, kann man – unter Einbeziehung des Ostertages, der 1463 auf den 10. April fiel, und durch die im Material verwandten Wendungen »vor Ostern« (avant Pasques) und »nach Ostern« (apres Pasques) – belegen, dass die Befragungen sich über die Ostertage hinzogen, was sich auch durch eine Befragungspause von mehreren Tagen nachvollziehen lässt;212 das Prozessmaterial ist demnach in das Jahr 1463 einzuordnen.213 Die Brüsseler Zeugenaussagen sind nicht einzeln datiert, aber es ist davon auszugehen, dass die Befragungen der Zeugen und die Aufnahme der Protokolle während weniger Tagen erfolgten und wohl ebenfalls im Frühjahr des Jahres 1463 – Ende Februar oder Anfang März – stattgefunden haben. Da bei einer der Zeugenaussagen als befragende Person auch ein Mitglied des Hofes des Grafen von Charolais und späterer Delegierter der Untersuchungskommission genannt wird,214 ist es sehr wahrscheinlich, dass die weitere Verfolgung der Anschuldigungen, also der Prozess in Le Quesnoy, in einer sehr kurzen Zeitspanne angestoßen wurde. Dies belegt weiterhin der Brief des Bischofs von Cambrai, der nach dem Bekanntwerden der Gerüchte um Jean de Bruyère, den Grafen von Étampes und andere Personen anlässlich der Einberufung einer Kommission verfasst wurde und auf den 28. März datiert ist.215
Die Abschriften der Prozesstage in Le Quesnoy sind sehr genau datiert und nach den Untersuchungstagen geordnet. Die Befragungen in Le Quesnoy erstreckten sich danach vom 31. März bis zum 17. April. In dieser Zeit lagen elf Untersuchungstage. Die Erläuterungen des Jean Gros geben Aufschluss darüber, dass auch nach Beendigung des Prozesses und der Abreise des Grafen von Charolais von Le Quesnoy zu seinem Vater, dem Herzog von Burgund, Kontakte zwischen der Kommission und dem Befragten Jean de Bruyère bestanden. Die Abschrift muss also einige Tage nach dem 17. April vollendet worden sein. Erste Reaktionen auf die Aufdeckung der Anschlagspläne seitens des burgundischen Hofes und der Kurie sind für Juni zu konstatieren, wovon im Falle der Kurie die mit dem Prozess überlieferten Schriftstücke zeugen. Inwieweit diese auch die Reaktion des burgundischen Hofes widerspiegeln, wird an späterer Stelle zu diskutieren sein.216
Fasst man die Ergebnisse zusammen, so müssen die Abschriften in den letzten Aprilwochen des Jahres 1463 entstanden sein und sich auf Material gestützt haben, das seit Februar, spätestens aber März 1463 gesammelt worden war. Nach diesem Befund wurde der Prozess sehr zügig durchgeführt.
2.2. Eine kurze Skizze des Prozessthemas und Datierung der Ereignisse
Die uns zur Verfügung stehenden Materialien – die Aussagen aus Brüssel, die Prozessakten und die unterschiedlichen Briefe sowie die Erwähnungen in der zeitgenössischen Chronistik – lassen ein recht genaues Bild von den Ereignissen der Jahre 1462/63 zeichnen. Die Zeugenaussagen geben einen Eindruck davon, wie zwei Personen, Jean de Bruyère und Charles de Noyers, die als Bedienstete des Grafen von Étampes identifiziert werden können, in Brüssel auf der Suche nach Formen für Wachsfiguren und Meistern der Astrologie oder Nigromantie217 sowie verschiedener magische Künste waren. Die Zeugen stammen alle aus der Brüsseler Bürgerschaft, insbesondere aus dem Brüsseler Handwerk, die im Zuge der Suche nach Wachsfiguren aufgesucht worden waren, darunter ein Goldschmied, ein Formschneider und ein Steinmetz. Eine größere Rolle spielen der Minoritenbruder Jean Mussche und der Apotheker Franck op te Waghe. Die Zeugenaussagen lassen vermuten, dass Jean de Bruyère und Charles de Noyers einen Anschlag mit magischen Mitteln auf Karl von Burgund, Graf von Charolais, geplant hatten. Aufgrund dieser Zeugenaussagen wurde eine Kommission zur Vorbereitung eines kirchlichen Gerichts durch den Bischof von Cambrai einberufen, welche die in den Aussagen beschriebenen Vorkommnisse weiter untersuchen sollte. Die Kommission befragte den festgenommenen Hauptverdächtigen Jean de Bruyère – Charles de Noyers war zu diesem Zeitpunkt noch nicht gefasst worden – und stellte ihn verschiedenen Zeugen aus Brüssel gegenüber. Die Kommissare konnten an den elf Untersuchungstagen von Jean de Bruyère erfahren, dass Charles de Noyers und er im Auftrag des Grafen von Étampes Formen für Wachsfiguren und Meister für magische Praktiken suchen sollten. Die Idee dazu sei durch Charles de Noyers an den Grafen von Étampes herangetragen worden, die Planung und Durchführung soll allerdings durch Johann von Burgund selbst vorgenommen worden sein. Die Kommissare konnten herausfinden, dass der Graf von Étampes die Wachsfiguren dazu verwenden wollte, die Zuneigung von Ludwig XI. und Philipp dem Guten sowie deren Ehefrauen zu erlangen. Gegen Karl, den Grafen von Charolais und burgundischen Erben, sollte hingegen ein Schadenszauber erwirkt werden. Durch die in den Akten überlieferten Briefe erhält man zudem Informationen zur Reaktion des burgundischen Hofes.
Die Datierung der Ereignisse, die in den Aussagen offengelegt werden, ist schwieriger als die des Prozesses und des Aktenmaterials. Anhaltspunkte geben uns hier die Aussagen der Brüsseler Zeugen und die Angaben, die durch das Verhör in Le Quesnoy zutage traten, sowie die Briefe, die zwischen Jean de Bruyère und dem Apotheker Franck op te Waghe gewechselt wurden.218 Durch die Aussagen Jean de Bruyères während der Befragungen in Le Quesnoy erfährt man, dass der erste Kontakt mit seinem Komplizen Charles de Noyers um das Weihnachtsfest 1461 stattgefunden hat.219 Die auf Charles’ Vorschlag hin beginnende Suche nach Formen und Figuren aus Wachs sowie die Durchführung der damit vorgesehenen Praktiken erstreckte sich über einen längeren Zeitraum, nämlich seit Ende 1461 bis mindestens zum Spätsommer 1462, möglicherweise aber auch noch bis zu Beginn des Jahres 1463. Einige konkrete Daten werden zudem in den Aussagen der Brüsseler Zeugen genannt. Colart Faverreel erwähnt den Besuch des Charles de Noyers bei Josse Doegens an Mariä Lichtmess (2. Februar), während Jean Mussche an diesem Tag mit Jean l’Alleman zusammentraf. Zudem erfahren wir von einem Treffen von Colart Faverreel und Josse Doegens sowie des Apotheker Franck an Aschermittwoch.220 Die Zeugenaussagen nennen zwar keine Jahreszahl, aber da die Treffen, anlässlich derer die Daten genannt wurden, ebenfalls der Suche nach Zaubereiutensilien und -praktiken dienten, ist es wahrscheinlich, dass es sich um das Jahr 1462 gehandelt hat.
Der Zeitpunkt der Durchführung des Rituals ist ebenfalls nicht sicher datierbar. Es findet sich bei den Aussagen Jean de Bruyères allerdings der Hinweis, dass die Verschwörer beim Gießen der Wachsfiguren auf »das Zeichen des Löwen« und »das Zeichen der Jungfrau« gewartet haben. Wenn man annimmt, dass es sich dabei um die monatlichen Tierkreiszeichen handelt, die direkt aufeinander folgen, so müsste sich das Gießen der Figuren im August des Jahres 1462 ereignet haben. Unter dieser Prämisse wäre auch das Treffen der Komplizen Jean und Charles mit den verschiedenen Personen in Brüssel auf das Frühjahr 1462 einzugrenzen, nach der Kontaktaufnahme zwischen Charles und Jean um Weihnachten 1461. Die Korrespondenz Jean de Bruyères und Franck op te Waghes ist auf den 18. Juni bzw. 26. Juni ohne Jahresangabe datiert. Da es sich um Briefe handelt, die vor der Festnahme der beiden Personen gewechselt wurden, dürfte es sich um das Jahr 1462 handeln. Die Briefe liefern unvollständige Nachrichten zur Suche nach Wachsfiguren bzw. deren Formen sowie Nadeln. Sie wurden also während der Vorbereitungen für den magischen Ritus in der Phase der Utensilienbeschaffung geschrieben. Die Aussagen Jean de Bruyères lassen vermuten, dass die auf das Gießen der Figuren folgenden Praktiken in nicht allzu langem Abstand durchgeführt wurden. Demnach kann man davon ausgehen, dass auch das Komplott auf das Jahr 1462 zu datieren ist. Inwieweit es Wiederholungen der Prozeduren gab, ist nicht ersichtlich.
Geht man von diesen groben Rahmendaten aus, so ist für die Vorbereitung und Durchführung des magischen Ritus ein Zeitraum von einem knappen Jahr anzunehmen. Von der Entdeckung der Verschwörung bis zum Ende der Befragungen sind hingegen nur wenige Wochen vergangen. Bezieht man die direkten Folgen der Untersuchungen mit ein, so endet die Affäre um den Grafen von Étampes im September 1463. Wie noch zu zeigen sein wird, kann der Fall Étampes aber erst 1468 durch die Ereignisse auf dem Kapitel des Ordens vom Goldenen Vlies in Brügge als beendet betrachtet werden.221
2.3. Die Akteure
2.3.1. Die Einberufung der Untersuchungskommission
Neben den Prozessakten ist der Brief des Bischofs von Cambrai, der an einige Mitglieder der Kommission adressiert und mit dem Prozessmaterial überliefert worden ist, eine weitere wichtige Quelle.222 Die Herkunft dieser Zeugnisse gilt es bei der Beschreibung und Bewertung der Kommission und ihrer Vorgehensweise zu beachten. Man kann zudem annehmen, dass der Graf von Charolais oder der burgundische Hof die einleitenden Worte Jean Gros’ zu der Einsetzung der Kommission autorisierte.
Die Schilderungen Jean Gros’ geben zunächst darüber Auskunft, dass es der Graf von Charolais gewesen sei, der das Verfahren gegen Jean de Bruyère in die Hände der Kirche gelegt habe. Er beschreibt die Ursachen, die den Grafen dazu bewogen haben sollen, wonach Karl von dem Vorhaben Jean de Bruyères und einiger anderer erfahren habe, mittels Wachsfiguren, Beschwörungen, Zauberei und diabolischen Anrufungen in Brüssel Schaden gegen ihn zu erwirken.223 Woher diese Informationen stammten, wird nicht berichtet. Da diese Angelegenheit nicht nur ihn beträfe, sondern auch den heiligen Glauben, habe er Meister Innocenz de Crécy, Lizentiat des Kirchenrechts und sein aulmosnier, zum Bischof von Cambrai geschickt, da Brüssel in den Zuständigkeitsbereich dieser Diözese falle.224
Diese Vorgehensweise war im spätmittelalterlichen Brüssel durchaus üblich. Besonders Angelegenheiten bezüglich Magie, Zauberei, Häresie, Moral oder Wuchers unterstanden spätestens seit dem 13. Jahrhundert der Gerichtsbarkeit des Bischofs von Cambrai.225 Diese Diözese, die vom Reich abhängig war, umfasste im 14. und 15. Jahrhundert Teile Flanderns, des Hennegaus und Brabants, darunter auch Brüssel.226 In der Diözese selbst gab es eindeutig festgelegte Regeln für die Handhabung von Zaubereifällen, die aus einem generellen Konflikt Herzog Philipps des Guten mit den Offiziellen der Diözese um die Zuständigkeiten des geistlichen Gerichtes im Jahre 1448 resultierten.227 Dabei heißt es in dem Abschnitt, der sich mit Zauberei befasst, das geistliche Gericht und die Offiziellen der justice temporelle sollen bei der Anrufung böser Geister, dem Leugnen der Heiligen Sakramente oder anderen Zaubereien das tun, was diesbezüglich ihre Gewohnheit ist.228
Die Prozessakten belegen mit der Übermittlung der vor dem Schöffengericht getätigten Aussagen zudem eine Zusammenarbeit des Brüsseler Gerichtes mit der kirchlichen Gerichtsbarkeit in Cambrai, die offenbar problemlos vor sich ging. Unklar bleibt an dieser Stelle allerdings, wann die Aussagen vor dem Schöffengericht getätigt wurden. Wurden die Aussagen aufgenommen, bevor Karl davon erfuhr, und waren sie damit der Grund für die Gerüchte? Oder ordnete man die Aussagen erst im Auftrag des Grafen aufgrund ebendieses Geredes an? Die Verhöre Jean de Bruyères liefern im Verlauf der Untersuchungen in dieser Frage verschiedene Anhaltspunkte. So berichtete er am dritten Befragungstag, als er gefragt wurde, wem er von den Figuren, mit denen man Zuneigung erzeugen könne, erzählt habe, dass dies Franck und zwei oder drei andere gewesen seien. Die Kommissare forschten daraufhin weiter nach, wer diese Personen gewesen seien und erfuhren, dass Jean mit Meister Thomas, dem Bailli d’Amiens, Philippe de Crèvecœur,229 und mit Henry de Chissey230 gesprochen hatte.231 Einen Tag später berichtete Jean auf die Frage, wie er inhaftiert wurde, dass er in Brüssel zunächst von der Verhaftung des Meisters Gilles gehört habe, den Jean auf der Suche nach Meistern der Magie kennengelernt hatte. Etwas später sei er dann vom Bailli d’Amiens, Philippe de Crèvecœur, und von Guillaume de Bery,232 maieur und lieutenant général des Bailli von Amiens sowie Seigneur de Hamel, Metz und de Seleux, befragt worden. Aus welchen Gründen man Meister Gilles festgenommen hatte, wird aus den Aussagen Jeans nicht ersichtlich. Er könnte aufgrund von Gerüchten verhaftet worden sein, weil er den falschen Leuten von seinem Wissen erzählt hatte oder weil in dieser Angelegenheit aktiv nach ihm gesucht wurde. Der Bailli d’Amiens, dies wird im Zuge der Aussagen dieses Tages deutlich, hatte auch Kontakte zu Meister Thomas, der ebenfalls in die Suche nach Formen und Wachsfiguren involviert war. Es besteht somit die Möglichkeit, dass Meister Thomas durch Kontakte mit Philippe de Crèvecœur die Untersuchungen initial ins Rollen brachte. Die Befragung Jean de Bruyères durch Philippe de Crèvecœur und Guillaume de Bery belegt zudem, dass bereits diese beiden picardischen Edelleute von der Suche nach Astrologen und Figuren wussten.233 Die Konsequenz für Jean de Bruyère aus diesen Gerüchten war, dass der Bailli d’Amiens den Grafen von Étampes darüber informierte und dieser seinen Bediensteten Jean daraufhin an den Hof des Grafen von Charolais schickte.234
Der Bailli d’Amiens und Guillaume de Bery waren bereits zu einem früheren Zeitpunkt mit Johann von Burgund in Verbindung zu bringen. Genau diese beiden Personen waren es nämlich, die der Graf von Étampes gemeinsam mit dem Seigneur de Saveuse 1460 nach Arras schickte, damit diese ihn, den herzoglichen Statthalter in der Picardie, bei den Untersuchungen der Vauderie d’Arras repräsentierten.235 Diese Männer, die also bereits aufgrund der Prozesse in Arras Erfahrung mit Zaubereivorwürfen hatten, könnten aufgrund ihrer Vorerfahrungen in diesem Bereich anhand der Gerüchte, die umhergingen, Verdacht geschöpft haben. Da Philippe de Crèvecœur und Guillaume de Bery aus dem engeren Umfeld des Grafen von Étampes stammten, diesem aber dennoch von den Verdächtigungen erzählen, ist davon auszugehen, dass das Komplott, das der Graf von Étampes mit seinen Komplizen Jean de Bruyère und Charles de Noyers geplant hatte, vor seinem Umfeld selbst verborgen werden konnte. Philippe de Crèvecœur wäre zudem ein schlechter Mitwisser gewesen; gehörte er doch zur Gruppe Vertrauter, die Karl bereits in seiner Jugend begleiteten und durch den der Bailli später zum Vliesordensritter ernannt wurde.236 Durch diese Verbindungen war es dem Grafen von Étampes an dieser Stelle auch nicht mehr möglich, die Angelegenheit zu vertuschen.
Ein weiterer Hinweis darauf, dass man die Vernehmungen in Brüssel nach dem Bekanntwerden der Gerüchte initiierte, findet sich zudem in der Aussage von Jacques de Knibbere. Dieser sei nach seiner Aussage sowohl von den Männern des Brüsseler Gerichtes als auch vom Archidiakon von Avallon, Guillaume de Clugny, einem späteren Mitglied der Kommission, verhört worden.237 Unklar ist aber auch hier, ob Guillaume de Clugny zufällig in Brüssel war und von den Schöffen hinzu gebeten wurde, oder ob eben bereits die Aussagen vor dem Schöffengericht mit Wissen des Grafen von Charolais getätigt wurden.238 Das Aktenmaterial lässt in diesem Punkt keine eindeutige Antwort zu.
Der Bischof von Cambrai, der ein Halbbruder Philipps des Guten war, hatte nun auf Anweisung des Grafen von Charolais Beauftragungsschreiben zur Einberufung Meister Enguerrand Signards, Doktor der Theologie, und Girard Vurrys, Doktor des Rechts, versandt, die nach den Regeln des Kirchenrechts gegen Jean de Bruyère vorgehen sollten. Im Brief des Bischofs ging dieser zunächst auf die Notwendigkeit ein, die Pfarreien von »schädliche[n] vom Teufel erfundene[n] Wahrsagereien und magische[r] Kunst«239 zu befreien, genauso wie von allen Männern und Frauen, die solchen Praktiken anhingen. Der Bischof zitierte an dieser Stelle den Apostel,240 dass bereits ein- oder zweimal verwarnte häretische Menschen zu meiden seien, wohne ihnen doch die Bosheit inne. Er betonte zudem, dass derart verderbte Personen, die die Unterstützung des Teufels suchen, sich dabei von ihrem Schöpfer entfernen und vom Teufel festgehalten würden. Nachdem er mit diesen Worten den Ernst der Angelegenheit unterstrichen hatte, erklärte der Bischof, ihm sei durch den Grafen von Charolais der Fall einer Anrufung von Dämonen und Bildmagie bekannt gemacht worden. Diese magischen Praktiken seien unter Vermischung mit den heiligen Sakramenten angewandt worden. Darin verwickelt seien Jean de Bruyère, Meister Egidius241, ein Arzt242, und Franck, ein Apotheker, gewesen. Ursächlich seien Einflüsterungen des Teufels gewesen; richten sollten sich die »schändlichsten« Taten gegen den Grafen von Charolais.
Erwähnenswert ist die rhetorische Erzählstruktur des Briefes. Die Verfehlungen der genannten Personen werden nicht nur geschildert, im Laufe dessen wird die Dringlichkeit der Angelegenheit sogar noch zweimal gesteigert. Wurden die Verfehlungen bereits durch die Einleitung des Briefes als von der Kirche abweichendes Verhalten gebrandmarkt, besteht die erste durch den Bischof angebrachte Steigerung aus dem Hinweis, dass es (nach all den vorher genannten Schrecklichkeiten) unvorstellbar zu sagen sei, dass diese Taten gegen den Grafen von Charolais gerichtet gewesen seien. Was aber noch fürchterlicher sei, sei die Tatsache, dass sie die Taten schon ausgeführt hätten.243
Von dieser Schilderung leitete der Bischof zu dem Auftrag an die Adressaten Enguerrand Signard und Girard Vurry über. Die beiden Geistlichen sollten sich über die Beschuldigten Jean, Egidius und Franck informieren und von diesen erwähnte Personen überprüfen. Weitere Verdächtige sollten nach dem Urteil der beiden Kommissare eingeladen werden können. Auch für den Fortgang dieser Untersuchungen übertrug der Bischof von Cambrai die Leitung und Amtsgewalt an Enguerrand Signard und Girard Vurry, damit diese in seinem Auftrag angemessen beurteilen, bestrafen und korrigieren mögen.244 Sie konnten wiederum weitere delegierte Richter zur Unterstützung berufen.
Zusammengefasst ordnete der Bischof in diesem Brief also im Auftrag des Grafen von Charolais die Untersuchungen an, die in den Prozessakten beschrieben sind. Jene Einflussnahme Karls, die schon im Brief deutlich zu erkennen ist, wird durch die Auswahl der Kommission noch unterstrichen, wie die Vorstellung der einzelnen Personen an späterer Stelle noch zeigen wird. Das Schreiben selbst betonte durch seinen Aufbau die Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit der Angelegenheit, indem zuerst im Allgemeinen magische Praktiken, Anrufungen von Dämonen oder Bildmagie als Devianz von der kirchlichen Lehre dargestellt und als Häresie gekennzeichnet wurden. Im zweiten Schritt wurden genau solche Vergehen geschildert, die vorher als abweichend benannt wurden und die durch die beschriebenen Steigerungen als deviant versichert wurden.
Enguerrand Signard und Girard Vurry, die commissaires juges deleguez en ceste partie,245 sollen, wie Jean Gros in der Einleitung des Prozesses weiter ausführte, aufgrund der ihnen vorliegenden Informationen dem Grafen von Charolais empfohlen haben, das Brüsseler Gericht zu kontaktieren, um dort bestimme Berichte246 oder Zeugen zu erbitten, die in der Angelegenheit Klärung verschaffen könnten. Dies sollte eine Entscheidung zur weiteren Vorgehensweise in der Angelegenheit sicherer machen. Mit diesem Vorgehen einverstanden habe der Graf von Charolais entsprechende Briefe an die Schöffen nach Brüssel geschickt, um die Zeugen nach Le Quesnoy überführen zu lassen.247 Die in der Sache beauftragten Richter beriefen zudem drei zusätzliche Personen als Mitglieder der Kommission: Die Seigneurs de Fourmelles und de Contay sowie Meister Guillaume de Clugny, den Archidiakon von Avallon. Diese Männer fungierten während der Untersuchungen als delegierte Richter; die Bezeichnung commissaires juges deleguez scheint jedoch ausschließlich Enguerrand Signard und Girard Vurry vorbehalten gewesen zu sein.
Während der Befragungen in Le Quesnoy sind nicht an jedem Tag alle Kommissare und Delegierte zugleich anwesend gewesen. Die Zusammensetzung der Kommission wird aber zu Beginn des jeweiligen Befragungstages angegeben. In der Regel führten die beiden Kommissare die Untersuchungen und bestellten zusätzlich die Seigneurs de Fourmelles, de Contay und den Archidiakon von Avallon dazu.248 Die Konstellationen während der Befragungen konnten aber auch divergieren. So bat Jean de Bruyère nach einigen Befragungstagen dezidiert die Seigneurs de Fourmelles und de Contay um ein Gespräch, bei dem er sich zu weiteren Einzelheiten hatte äußern wollen. Die beiden Seigneurs mussten hierzu die Erlaubnis der beiden Kommissare einholen.249 Enguerrand Signard und Girard Vurry wurden hier eindeutig als die Vorsitzenden der Untersuchungen benannt. Bei der in dieser Arbeit erfolgenden Einordnung des Aktenmaterials soll allerdings der Einfachheit halber den Begriff »die Kommission« oder »die Kommissare« verwendet werden. Ist die Konstellation der Kommission für die Darstellung der betreffenden Sachverhalte wichtig, so wird diese explizit angegeben.250
Die Untersuchungen fanden in dem zu der Diözese Cambrai gehörenden Ort Le Quesnoy in der Grafschaft Hennegau statt. Bereits zu Beginn der Untersuchungen waren neuerliche Befragungen der aus Brüssel erbetenen Zeugen sowie Gegenüberstellungen mit dem Verdächtigen Jean de Bruyère geplant, um deren Aussagen abzugleichen. Entsprechend dieser von Jean Gros festgehaltenen Informationen befand sich Jean de Bruyère zu diesem Zeitpunkt bereits an Ort und Stelle.251 Als Lokalität der Untersuchungen ist mit Le Quesnoy ein Ort gewählt worden, der neben der Lage in der Diözese Cambrai einen weiteren, entscheidenden Vorteil aufwies: Karl versuchte seit etwa 1457, sich im Bereich der Grafschaft Hennegau und in Teilen Hollands eine eigene Machtbasis zu schaffen. Zu diesem Zwecke hielt er sich sehr oft auf holländischem Gebiet und als Herr von Le Quesnoy auch oft auf der Burg dieser kleinen befestigten Stadt auf.252 Es ist daher anzunehmen, dass ebendiese Burg die Räumlichkeiten bot, die man für die Befragung und sichere Verwahrung des Verdächtigen benötigte.253