Kitabı oku: «Blutrausch», sayfa 3

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Mittwoch, 16. Juli, 06.45 Uhr

Cooles Anwesen, stellte Jan Klingenberg fest, nachdem er eine Runde um das Haus und durch den gepflegten Garten des Anwalts gedreht hatte. Er konnte es sich durchaus vorstellen, in so einer feudalen Bude zu leben. Leider würde dieser Wunsch mit den Bezügen eines Kriminalkommissars eine Utopie bleiben.

Gestern am späten Abend hatte ihn Karin angerufen, ihn über den Ermittlungsstand informiert und gebeten, das Haus zu checken, sobald die Techniker mit ihrer Arbeit fertig waren. Einen Schlüssel zum Haus hatte sie für ihn in der Polizeidirektion hinterlegt.

Sofort hatte Jan seine Chance gewittert. Wenn es ihm gelang, ein wichtiges Beweisstück aufzuspüren, würde ihn das der langersehnten Beförderung zum Oberkommissar ein Stück näherbringen. Gründlich, wie er war, hatte er seine Ermittlungen in der Kanzlei zu Ende gebracht, war dann nach einem Umweg über die Polizeidirektion nach Hause gefahren und hatte den Wecker auf 5 Uhr gestellt.

Der Chef der KTU war nicht amüsiert gewesen, als Jan ihn fünf nach fünf aus dem Schlaf gerissen hatte und von ihm wissen wollte, ob er endlich mit seinen Ermittlungen beginnen konnte.

Günther kriegt sich schon wieder ein, tröstete sich Jan, während er das Polizeisiegel entfernte und eine erste Besichtigungstour durch die Räume startete. Zurück am Ausgangspunkt seiner Wanderung, setzte er sich auf das Wohnzimmersofa und dachte nach. Ein Haus auf den Kopf zu stellen, wenn man nicht weiß, nach was man sucht und ob es überhaupt etwas zu finden gibt, ist wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen, ohne zu wissen, ob es eine Nadel gibt. Denn wenn der Anwalt sich nicht bedroht gefühlt hatte, bestand für diesen keine Veranlassung, Zeit und Mühe aufzuwenden, um einen Gegenstand zu verstecken.

Erneut lief Jan langsam durch das Haus, um sich ein Bild von dem ehemaligen Bewohner zu machen. Der Mann war ordentlich gewesen, aber nicht pedantisch. Das Haus war sauber, aber nicht klinisch rein. Ein ganz normaler Typ also.

Als Erstes wollte Jan in Erfahrung bringen, ob der Anwalt handwerklich begabt gewesen war. Das konnte ein entscheidender Hinweis über die Art eines Verstecks sein. Da es keinen Keller gab, forschte Jan in der Küche.

Er hatte den Bewohner richtig eingeschätzt, genau wie bei ihm zu Hause stand der Werkzeugkasten in einem Wandschrank. Mit einiger Mühe beförderte Jan einen Alu-Koffer mit einem kompletten Werkzeug-Set ans Tageslicht. Beim Öffnen musste er unwillkürlich grinsen. Jedes einzelne Werkzeug glänzte ihn mit strahlender Unbenutztheit an. Gleich oben, in einem Fach für Kleinteile, lag sogar noch der Kassenzettel. Weise hatte das Werkzeug-Set vor vierzehn Jahren erworben. Es war wie eine Versicherung, die man kauft und von der man hofft, dass man sie nie benötigt. Bevor Jan den Koffer zurückstellte, unterzog er das Fach einer akribischen Musterung. Außer einem halb leeren Eimer mit Wandfarbe konnte er nichts entdecken. Neugierig geworden hielt Jan nach Pinseln oder einer Malerrolle Ausschau. Fehlanzeige. Er zuckte mit den Schultern, vermutlich nach Gebrauch entsorgt. Verwendbar war die Farbe aber noch, das ergab zumindest Jans Schütteltest.

Punkt eins war somit geklärt, in diesem Haus war es nicht erforderlich Abflüsse auseinanderzunehmen, Geräte zu öffnen und Schubfächer auf doppelte Böden zu untersuchen. Wenn es ein Versteck geben sollte, hatte der Anwalt mit Sicherheit eine unkompliziert zugängliche Position dafür gewählt. Mit Grausen erinnerte sich Jan an eine Drogenrazzia, bei der er gezwungen gewesen war, den Abfluss einer Toilette zu demontieren. Er lächelte erleichtert, das würde ihm in dieser Wohnung nicht passieren.

Seiner größten Sorge ledig, konnte sich Jan auf den nächsten Punkt seiner Liste konzentrieren. Die Indizien wiesen eindeutig auf einen Raubmord hin, somit blendete Jan die Existenz eines Geheimverstecks vorerst aus. Folglich bestand seine Aufgabe darin, Informationen zu sammeln.

Bei Wohnungsdurchsuchungen ließ Jan sich gern von seinen Gefühlen leiten. Er nahm an, dass das Verhalten eines Menschen von den tief in seiner Seele verborgenen Begierden bestimmt wird. Die Bestätigung für diese Annahme hoffte er, im Schlafzimmer des Anwalts zu finden.

Er stieg die Treppe hoch und widmete sich den oberen Räumen. Gleich zu Beginn wollte er die uninteressanten Bereiche abhaken und betrat die Veranda.

Überwältigt blieb er stehen, der Ausblick auf Bäume und Felder faszinierte ihn. Von seinem heimischen Balkon sah er bloß den Mietern des gegenüberliegenden Blocks in die Fenster. Erneut überkam ihn ein Anflug von Neid. Doch er verdrängte das Gefühl rasch und ließ seinen Blick über die Einrichtung wandern. Außer einem Klapptisch und einem Liegestuhl, der ordentlich in Folie verpackt an der Wand lehnte, und einer Flasche Sonnenmilch gab es nichts zu sehen. Allerdings erzählten diese Dinge dem Kommissar eine ganze Menge über den Menschen, der hier gelebt hatte. Der Anwalt wollte mit einer sportlichen Bräune glänzen und war gern für sich.

Im Wintergarten mit den üppigen Grünpflanzen fand Jan eine weitere Bestätigung für seine zweite Schlussfolgerung: An einem Tisch stand ein einsamer Stuhl.

Das Badezimmer entlockte Jan nur noch ein müdes Lächeln. Die Serie setzte sich fort: Keine zweite Zahnbürste und die Kosmetik – ausnahmslos von Hugo Boss – war für einen einzelnen Mann bestimmt.

Die Überprüfung des Arbeitszimmers war gleichfalls erfolglos. Lustlos blätterte Jan durch Aktenordner, fand jedoch nur Weises Steuererklärungen, Unterlagen der Krankenkasse und alle möglichen Dokumente zu dessen Haus. Das alles waren Dinge, die ihn nicht wirklich interessierten, und er war froh, dass nicht er sich mit Weises privaten Unterlagen befassen musste. Das gesamte Material würde auf Heidelindes Schreibtisch landen, genau wie Jans private Steuererklärung. Für eine gute Flasche Roten war die Kollegin jedes Jahr bereit, ihm diese Last abzunehmen.

Nach einem Computer hielt er im Arbeitszimmer vergeblich Ausschau. Vermutlich hat der Anwalt für seine Arbeiten den Laptop benutzt, der aus seinem Wohnzimmer geklaut worden war, schlussfolgerte er.

Mit leicht gedämpftem Optimismus öffnete er die Tür zum Schlafzimmer. Das Bett sah komfortabel und teuer aus, gemütlich für eine Person, zu schmal für ein Paar. Die Kleiderschränke offenbarten Weises Faible für hochpreisige Schuhe und Designeranzüge von Gucci. Eigentümlich wirkten die daneben liegenden Stapel mit Camouflage Klamotten. Bemerkenswert dabei war, dass die Sachen penibel nach den jeweiligen Jahreszeiten geordnet waren.

Da ist jemand gern und oft auf die Pirsch gegangen, dachte Jan und wandte sich dem Nachttisch neben dem Bett zu. Diesen hatte er sich bis zum Schluss aufgehoben. Der Inhalt enttäuschte ihn jedoch maßlos. Verwundert kratzte sich Jan am Kopf. Statt der erwarteten Pornosammlung oder Sexspielzeug war er nur auf gewöhnliche Dinge gestoßen: eine Taschenlampe, Aspirin, Lesebrille und ein Buch. Mit letzter Hoffnung las Jan den Titel – es könnte immerhin ein Pornoroman sein –, zu seinem Kummer war es ein Krimi.

Für einen Moment sah Jan wie ein kleiner Junge aus, der gerade erfahren hatte, dass es Einhörner nur im Märchen gab. Doch das war nur ein kurzer Augenblick, denn wenn man Jan eine Eigenschaft zugestehen musste, dann war das Hartnäckigkeit.

»Nein, mein Freund«, sagte er laut in die Stille des Schlafzimmers hinein, »den Heiligen kaufe ich dir nicht ab. Was sagte Karin, wie alt du warst? Vierundvierzig? Und nie Besuch, der dir in einsamen Nächten einheizte? Warte, mein Freund, dir komme ich schon auf die Schliche.«

Zurück im Parterre, widmete sich Jan zunächst der großen Wohnküche, dann dem zweiten Bad. Er hatte nicht mit einem Treffer gerechnet und so blieb die Enttäuschung aus. Alles wie gehabt: gemütlich und praktisch eingerichtete Räume – für einen Bewohner.

Ehe Jan das Wohnzimmer betrat, blieb er an der Treppe stehen und schüttelte seinen Kopf. Er hatte seine Meinung geändert. Er wollte nicht in einem so großen Haus leben, da müsste er ja ständig nur putzen. Er fingerte sein Smartphone aus der Gesäßtasche und machte sich eine Notiz.

Mit einem gemurmelten »Jetzt kriege ich dich bei den Eiern« begann Jan seine Runde durch den Raum. Am Fernsehschrank blieb er stehen. Das Antennen- und HDMI-Kabel hatte der Räuber zurückgelassen, die Netzkabel fehlten. Ausgehend von der Exklusivität der Einrichtung, fiel es Jan nicht schwer, sich vorzustellen, was für Geräte hier vor anderthalb Tagen gestanden hatten. Der Räuber hatte einen guten Fang gemacht. Jan tippte eine zweite Notiz.

Im untersten Regalfach des Racks stand in Reih und Glied Weises DVD-Sammlung. Abermals stieß Jan nicht auf die erhoffte Erotik. Alte Kriegsfilme, Action- und Thrillerserien waren alles, was er fand.

»Hm«, brummte er, »richtige Männerfilme eben.« Er nickte andächtig, Weise hatte einen guten Filmgeschmack, die meisten der Streifen mochte Jan ebenfalls.

Die Schränke zu filzen, konnte er sich schenken. Begleitet von mehreren deftigen Flüchen, hatte ihm Günther Lachmann versichert, dass die Kriminaltechniker den Inhalt der Schubladen auf das Gründlichste durchsucht hatten. Die Theorie eines Raubmordes sollte nachgewiesen werden und das komplette Fehlen von Bargeld und Schmuck sowie eine aufgebrochene Geldkassette lieferten eindeutige Indizien dafür.

Eine letzte Chance war Jan geblieben. Sorgfältig begann er mit der Musterung der bequemen Sitzecke. Als er abgewetzte Stellen an einer Armlehne und eine ausgesessene Kuhle bemerkte, freute er sich. Egal, wie teuer Möbel sind, dem Kreislauf des Lebens entgehen auch sie nicht. Der junge Kommissar machte es sich exakt auf der Stelle, die der Anwalt bevorzugt hatte, gemütlich.

Die Füße auf den vor ihm stehenden Wohnzimmertisch gelegt, tastete er mit seinen Blicken das Umfeld ab. Das Rack stand vis-à-vis und rechts neben ihm, leicht mit der Hand zu erreichen, stand eine Truhe aus Massivholz. Ohne sich verrenken zu müssen, konnte Jan die Truhe öffnen und hineinsehen. Der Anblick einer Rolle Küchentücher ließ sein Herz höherschlagen. Er lachte leise. »Hab ich dich!«, flüsterte er und seufzte süffisant.

Nun musste er nur noch entdecken, wo Weise sich die Anregungen für sein Entspannungsprogramm geholt hatte. Also wühlte er in der Truhe, doch alte Tageszeitungen und Illustrierte schienen ihm ungeeignet, um als Stimulanz zu dienen. Eigentlich blieb nur der Fernseher, dummerweise war der weg. Natürlich war es möglich, zu erfragen, ob Weise Kunde bei diversen Pornokanälen gewesen war, aber den großen Durchbruch für Jans Karriere würde das nicht bringen.

Er wollte und konnte sich nicht damit abfinden. Jan spürte es genau, hier war etwas, hier musste einfach etwas sein.

Er sprang auf, war mit zwei großen Schritten bei dem TV-Rack, bückte sich und schaute unter das Glasregal. Auf den ersten Blick konnte er nichts entdecken, dazu war es unter dem Rack zu dunkel. Federnd kam er in die Höhe, jagte die Treppe zum Schlafzimmer hoch, schnappte sich die Taschenlampe aus dem Nachttisch, stürmte ins Wohnzimmer zurück, ging in die Knie und leuchtete jeden Quadratzentimeter unter dem TV-Regal aus.

Die SD-Karte, von der nur eine winzige Ecke unter der Schlaufe eines Antennenkabels hervorguckte, trieb Jan Freudentränen in die Augen.

Mittwoch, 07.30 Uhr

»Weißt du noch, hier irgendwo in der Gegend hat Jan seine erste große Flamme kennengelernt?«, sagte Karin zu Sandra, als sie mit ihr zusammen durch die Wilsdruffer Vorstadt zur Wohnung von Frau Bergmann lief.

»Ja, du hast recht.« Dieses Thema weckte Sandras Lebensgeister. »Bei einer Befragung. Mein Gott, war der verknallt.« Sie hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Gähnen dahinter zu verstecken. »Ich bin vielleicht müde, kein Wunder bei der unchristlichen Zeit.«

Karin gab ihr im Stillen recht. Gestern war es spät geworden und ihre Kopfschmerzen sowie der brennende Durst sagten ihr, dass sie möglicherweise ein Glas Rotwein zu viel getrunken hatte. Der Gedanke an die Nacht mit Sandra verdrängte das Unwohlsein auf der Stelle. Sie holte mit dem Hintern aus und stupste gegen Sandras Po. Doch statt des erwarteten Lächelns entdeckte sie eine tiefe Traurigkeit in den Augen der Freundin.

»Ich kann mich noch gut erinnern, dass Jan vollkommen am Ende war, als sie mit ihm Schluss gemacht hat.«

»So geht es vielen in unserem Job.« Karins Stimme klang bitter. Bei diesem Thema kamen immer die Erinnerungen an ihre eigene Ehe hoch. »Viele Partner kommen eben nicht damit klar, dass wir kaum zu Hause sind. Das Schlimme ist nur, dass Jan das Erlebnis nie richtig verarbeitet hat. Jetzt zahlt er anderen Frauen diese eine Zurückweisung heim. Sobald er eine neue Freundin hat, betrügt er sie, kaum das zwei Tage vergangen sind.«

»Aus Jan ist ein Zyniker geworden«, stimmte ihr Sandra zu. »Und der Ehrgeiz frisst ihn langsam auf. Manchmal könnte ich ihn packen und schütteln, bis der liebe und nette Junge wieder zum Vorschein kommt, der er mal gewesen ist.«

»Wir müssen gut auf ihn aufpassen, dass er sich nicht irgendwann mal tief in die Scheiße reitet«, pflichtete Karin ihr bei und blieb stehen. »Hier ist es. Frau Bergmann wohnt in Haus Nummer 7.«

Obwohl die Sonne loderte und der Wetterbericht fast 30 Grad vorhergesagt hatte, empfing sie Frau Bergmann in einem eleganten Businesskostüm, als wäre heute ein ganz normaler Arbeitstag.

Sie bat die beiden Kommissarinnen in eine blitzsaubere Wohnung und der Geruch nach Reinigungsmitteln, der noch in den Räumen hing, verriet deutlich, dass die Putzaktion erst vor kurzer Zeit stattgefunden hatte.

Melanie Bergmann hob entschuldigend die Hände. »Den Gestank von dem Zeug bekommt man erst durch stundenlanges Lüften weg. Ich konnte nicht schlafen und da habe ich eben die Wohnung sauber gemacht. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Kaffee vielleicht?«

Sandra nahm dankend an, Karin bat um ein Glas Wasser.

Während Frau Bergmann in die Küche verschwand, um die Getränke zu holen, ließ Karin ihren Blick wandern. Die Hausherrin besaß einen erlesenen Geschmack, den sie sich einiges kosten ließ. Schlecht hat die Gute beim Anwalt nicht verdient, zog sie ihre ersten Schlüsse. Eventuell lief da sogar noch mehr zwischen Chef und Mitarbeiterin. Und wenn es so ist, kitzle ich es auf jeden Fall aus ihr heraus.

Die Rückkehr von Melanie Bergmann riss Karin aus ihren Gedanken. Ihr Augenmerk richtete sich auf die Füße der Frau. Eindeutig eine 38, maximal 39, schätzte sie. Der Abdruck neben dem Rosenstock stammte zweifelsfrei nicht von ihr.

Sie bedankte sich für das Wasser, beäugte misstrauisch das kleine Glas, das in krassem Widerspruch zu ihrem großen Durst stand, und trank es halb leer. Um nicht zu gierig zu erscheinen, stellte sie das Glas kommentarlos vor sich auf den Tisch. »Eine hübsche Wohnung haben Sie. Leben Sie allein mit Ihrer Tochter?«

»Danke.« Ein Lächeln vertrieb den traurigen Ausdruck aus Frau Bergmanns Gesicht. Sie deutete auf das gerahmte Foto eines Mädchens. »Das ist mein Sonnenschein. Wir zwei müssen uns allein durchschlagen. Als Frau mit Kind ist es schwer, einen Partner zu finden.«

Karin und Sandra nickten verständnisvoll.

Zeit zur Sache zu kommen, dachte Karin und forderte die junge Frau auf, ihnen Schritt für Schritt die Ereignisse des gestrigen Tages zu schildern.

Nach einem Schluck Kaffee fasste Frau Bergmann mit leiser Stimme die Abläufe für die Beamtinnen zusammen. Sie endete mit den Worten: »Muss ich jetzt mit Konsequenzen rechnen? Ich meine, ich habe mir immerhin unerlaubt Zutritt zu Herrn Weises Haus verschafft.«

»Von unserer Seite nicht«, beruhigte sie Karin. »Haben Sie in der Wohnung etwas angefasst oder sonst irgendwie verändert?«

Vehement schüttelte Frau Bergmann den Kopf. »Gleich, nachdem ich das Haus betreten hatte, fiel mir der komische Geruch auf. Da war es noch keine Gewissheit, eher eine böse Ahnung, aber ich war auf der Stelle wachsam. Als ich dann meinen Chef auf dem Boden liegen sah, dachte ich nur noch an Flucht. Ich wollte raus aus diesem Haus und hatte furchtbare Angst, dass der Mörder noch da sein könnte.«

»Das spart Ihnen und uns eine Menge Arbeit«, stellte Karin trocken fest. »Nur wenn unsere Techniker außer Herrn Weises weitere Fingerabdrücke finden, müssten wir uns deswegen noch mal bei Ihnen melden. Seit wann arbeiten Sie bereits für Herrn Weise?«

»Seit fünf Jahren.«

»Während einer so langen Zeit erfährt man so einiges über seinen Chef. Wissen Sie, ob er eine Freundin oder einen Freund hatte?«

»Tut mir leid, diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten.«

»Ach kommen Sie. Nach fünf Jahren weiß man doch über das Liebesleben der Kollegen Bescheid.« Zum ersten Mal ergriff jetzt Sandra das Wort. »Bestimmt wurde er mal abgeholt oder Sie sind ungewollt Zeugin eines Telefonats geworden.«

Frau Bergmann reagierte pikiert und versteifte sich. »Unser Kontakt beschränkte sich ausschließlich auf die Arbeit. In den ersten Monaten habe ich versucht, die Atmosphäre aufzulockern, und von mir und meiner Tochter erzählt. Von ihm kam jedoch nie etwas zurück, da habe ich es gelassen.«

»War er nur in dieser Beziehung abweisend oder im Allgemeinen schwierig im Umgang?«, schob Sandra die nächste Frage nach.

»Abgesehen vom Privaten war mein Chef stets freundlich und zuvorkommend.« Sie dachte einen Moment nach. »Wir sind eigentlich gut klargekommen.«

»Wie gut?« Karin sah sie vielsagend an.

»Nicht was Sie jetzt denken. Leider.« Frau Bergmann schien die Angelegenheit locker zu sehen. »Ich bin Single, Norbert war recht attraktiv … Nun, ich wäre nicht abgeneigt gewesen, aber er hat nicht einmal den Versuch eines Flirts gestartet.«

»Sie sind eine hübsche Frau. Haben Sie eine Vermutung, weshalb er Sie links liegen ließ? War er eventuell nicht an Frauen interessiert?«

Ohne wirklich etwas wahrzunehmen, glitt Frau Bergmanns Blick zum Fenster. Sie versuchte, in Worte zu fassen, was sich tief in ihrem Bewusstsein verbarg. Schließlich atmete sie tief ein und sagte: »Komisch ist es mir ja auch vorgekommen und da habe ich mir natürlich meine Gedanken gemacht. Ich denke aber, an Frauen war Norbert durchaus interessiert. Es gab die eine oder andere Klientin, der er mit begehrlichem Blick nachgestarrt hatte, aber …« Sie stockte. »Ich kann es schwer beschreiben, irgendetwas war seltsam an ihm. Fragen Sie mich aber bitte nicht was.« Sie hob die Hände.

Karin nickte, ließ das Gesagte so stehen und wechselte das Thema. »Lassen wir Herrn Weises Liebesbeziehungen mal beiseite. Mit wem pflegte er soziale Kontakte?«

»Da fällt mir nur Heiko Klügel ein. Herr Klügel ist Notar, hat gemeinsam mit meinem Chef studiert und traf sich einmal die Woche mit ihm zum Tennis. Und natürlich seine Eltern. Zu denen hatte Herr Weise ein gutes Verhältnis. Jedes zweite Wochenende war er bei ihnen zum Mittagessen.«

»Mehr nicht?«, hakte Sandra nach. »Das ist ein ungewöhnlich kleiner Bekanntenkreis.«

Frau Bergmann hob die Schultern. »Meine Sozialkontakte beschränken sich auch nur auf eine Freundin. Verkehren Sie mit mehr Leuten?«

Die Worte der Frau brachten eine Saite in Sandra zum Klingen. Wenn sie es recht bedachte, hatte sie außerhalb des Jobs nur zu Karin Kontakt. Ist auch nicht schlimm, tröstete sie sich. Auf meine Süße achtzugeben, lastet mich vollkommen aus.

Während Sandra diesem Gedanken nachgegangen war, hatte sich Karin die Anschrift von Heiko Klügel geben lassen. »Welcher Art waren die Fälle, die Norbert Weise vertrat?«, fragte sie und steckte ihr Notizbuch weg.

Das Verhalten der Bergmann änderte sich schlagartig, sie presste die Lippen aufeinander und begann mit der linken Hand an ihrer Bluse herumzuzupfen. »Er übernahm die Vormundschaft und Fürsorge für Menschen, die dazu selbst nicht mehr in der Lage waren.«

Karin lehnte sich zurück und zog interessiert die Augenbrauen in die Höhe. »Was muss ich mir darunter konkret vorstellen?«

»Es kommt vor, dass Menschen bedingt durch Alter oder Krankheit geistig oder körperlich nicht mehr imstande sind, für sich selbst zu sorgen. Sind dann keine Angehörigen da oder mit dieser Aufgabe überfordert, wird ein staatlicher Betreuer gestellt. Derartige Fälle hat Herr Weise rechtlich betreut.«

»Könnte er sich in diesem Zusammenhang Feinde gemacht haben? Gab es da eventuell jemanden, der nicht betreut werden wollte?«

»Haben Sie eine ungefähre Vorstellung davon, wie viele Formulare ich unterzeichnen musste, die mich zur Verschwiegenheit verpflichten?« Frau Bergmann versuchte sich an einem Lächeln, bis in die Augen kam es jedoch nicht. »Ohne eine richterliche Verfügung beantworte ich keine diesbezüglichen Fragen. Ich lege mir die Schlinge doch nicht selbst um den Hals.«

Sie wollte nach ihrer Tasse greifen, aber als sie das Zittern ihrer Finger bemerkte, ließ sie es. »Ich bin heute früh sehr zeitig zur Kanzlei gefahren, weil ich wenigstens meinen Schreibtisch aufräumen und die letzten Berichte abschließen wollte. Sobald alles geklärt ist, müssen die Akten an Herrn Weises Nachfolger übergeben werden und dafür wollte ich alles vorbereiten. Daraus wurde nichts, ein Polizeisiegel stoppte mich an der Tür. Sie wissen schon, dass Sie das nicht dürfen?«

»In einer Mordermittlung …«, setzte Karin an.

Frau Bergmann hob die Hand und schnitt Karin das Wort ab. »Das können Sie jemand anderem erzählen, aber nicht mir. Ich habe einen Abschluss als ›Bachelor of Laws‹.« Die tückischen Wasser waren erfolgreich umschifft und Melanie Bergmann war in ihrem Element. Lächelnd lehnte sie sich im Sessel zurück und schlug die Beine übereinander. »Wäre in der Kanzlei ein Verbrechen verübt worden oder bestände der Verdacht, dass Mitarbeiter der Kanzlei in kriminelle Machenschaften involviert sind und Spuren beseitigen wollen, dann, und nur dann, hätten Sie das Recht, die Räume zu versiegeln. Ich fordere Sie auf, das Polizeisiegel umgehend zu entfernen!«

»Ein paar Stunden werden Sie sich schon gedulden müssen. Die zuständige Staatsanwältin prüft die Angelegenheit gerade«, log Sandra mit einem treuherzigen Lächeln und das sehr überzeugend, wie Karin fand.

»Kommen wir auf Herrn Weise zurück«, rückte Sandra die Prioritäten zurecht. »Beschränkten sich Herrn Weises Tätigkeiten auf die von Ihnen beschriebenen Fälle oder war er auch auf anderen Gebieten tätig?«

»Er vertrat zusätzlich Klienten bei Erbschaftsfragen.« Frau Bergmann schwieg nach diesen Worten. Eine nervtötende Stille breitete sich aus.

Sandra sah sich das fünf Minuten an, dann machte sie eine ungeduldige Handbewegung. »Und weiter?«

»Da gibt es kein Weiter. Auf mehr Hochzeiten tanzte Herr Weise nicht.«

Sandra seufzte leicht genervt. »Gab es bei den Erbschaftsangelegenheiten verärgerte Klienten? Oder dürfen Sie sich dazu auch nicht äußern?«

»Da Ihre Frage allgemein gehalten ist, beantworte ich sie«, sagte Frau Bergmann mit herablassendem Lächeln. »Die Erben waren immer nur aufeinander sauer. Die Gesetze sind eindeutig, da hat ein Anwalt wenig Spielraum.«

Karin, die gerade den Rest ihres Wassers trank, musste lachen und verschluckte sich prompt. »Machen Sie Scherze? Wir wissen doch alle, wie biegsam Gesetze sind.«

»Wenn Sie sich so gut auskennen.« Frau Bergmanns Kinn hob sich trotzig und abwehrend.

Karin hielt es für klüger, die Sache zu übergehen. »Hatte Herr Weise außerhalb seiner Arbeit Feinde? Hat ihn jemand bedroht?«

»Da ist mir nichts bekannt.«

Karin schloss für einen Augenblick ergeben die Augen. »Nur noch eine Frage, dann sind Sie uns los. Eigentlich ist es nur eine Formalie, um Sie gleich zu Beginn der Ermittlungen als Täterin auszuschließen. Wo haben Sie sich am Montag zwischen 18 und 23 Uhr aufgehalten?«

Frau Bergmann lächelte, offensichtlich erleichtert. »Zu Hause.« Das Lächeln wurde breiter. »Und ich habe sogar Zeugen, jedenfalls bis Dienstag 1 Uhr. Eine Schulfreundin meiner Tochter war bei uns. Die Mädchen haben sich eine DVD angesehen.«

Sandra sah Frau Bergmann irritiert an. »Ich schätze Ihre Tochter auf sechs bis acht Jahre. Hat sie eine Freundin, die so alt ist, dass sie nach Mitternacht allein draußen rumstromern darf?«

»Leonie geht in die Klasse meiner Tochter.« Sie grinste hinterhältig. »Natürlich war sie in Begleitung ihrer Mutter. Nicht, dass Sie mir jetzt die Fürsorge auf den Hals hetzen. Während die Kinder ihren Spaß hatten, haben wir uns einen gemütlichen Mädelsabend gemacht. Janina ist die Freundin, die ich vorhin erwähnte.«

Karins Blick wurde eisig. »Sie müssen nicht so aggressiv sein, wir sind nicht Ihre Feinde. Für den Namen und die Adresse Ihrer Freundin wären wir dankbar.« Erneut zückte sie ihr Notizbuch und, nachdem sie die Daten notiert hatte, verabschiedeten sich die Kommissarinnen kühl.

»Jan ist doch ein Schlitzohr, versiegelt der einfach die Räume«, sagte Sandra zu Karin auf dem Rückweg zur Polizeidirektion. »Hoffentlich hat er auch ein paar wichtige Akten fotografiert. Du wirst doch gnädig mit ihm sein?«

»Jan hat eindeutig seine Befugnisse überschritten. Du hast die ›Bachelor of Laws‹ ja gehört. Ich denke mal, zwei Tage Knast sind das Minimum«, antwortete Karin mit einem Bühnenzwinkern.

Lachend boxte Sandra sie in die Seite, wurde aber sofort ernst. »Die Bergmann war ganz schön schräg drauf. Wenn die ein reines Gewissen hat, fresse ich einen Besen.«

»Du warst aber auch nicht gerade Princess Charming, das entspricht gar nicht deiner einfühlsamen Art. Wolltest wohl auch mal ›Böser Bulle‹ spielen?«

Sandra zuckte mit den Schultern. »Traust du der Bergmann etwa über den Weg?«

Auf Karins Lippen malte sich ein müdes Lächeln.

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9783946734604
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Serideki Altıncı kitap "Wolf & König"
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