Kitabı oku: «Blutrausch», sayfa 5
Mittwoch, 17.15 Uhr
Gegen Mittag war das Thermometer auf 29 Grad geklettert; aber obwohl sich die Sonne alle Mühe gab, die Dresdner mit Wärme und Helligkeit zu verwöhnen, zog Karin ein saures Gesicht. Die Straßen waren verstopft und jede Ampel grinste die Kommissarin mit rotem Licht an. Außerdem ärgerte sie sich über die verlorene Zeit am heutigen Morgen, denn den Abstecher zu Heiko Klügel hätte sie sich sparen können.
Der Mann konnte absolut nichts zur Aufklärung beitragen. Ja, er hatte gemeinsam mit Weise studiert. Einmal die Woche spielten sie zusammen Tennis, sonst gab es keinerlei Kontakt. Nur einmal vor Jahren, als Weise sein Haus bezogen hatte, war Klügel bei ihm gewesen. Sie hatten zusammen Bier getrunken und gequatscht, aber eigentlich wollte Norbert bloß mit seiner Bude angeben. Klügels Bekanntschaft mit Frau Bergmann beschränkte sich auf Telefonate, die geführt wurden, wenn es eine Terminänderung erforderte. Die Eltern von Weise kannte Klügel nicht. Über Feinde und private Kontakte konnte er ebenso keine Auskünfte erteilen.
Karins diplomatische Frage nach Weises Frauenbekanntschaften, auch während der Studienzeit, hatte Klügel ein trockenes Lachen entlockt. Da gab es nichts zu berichten. Weises Sexualleben glich dem eines Mönchs.
Karin hatte Klügel während des Gesprächs scharf gemustert. Und obwohl sich seine Trauer über Weises Tod in Grenzen hielt, war sie sich sicher, dass der Mann ihr die Wahrheit gesagt hatte. Es war eine Zweckgemeinschaft gewesen, um fit zu bleiben, ohne die geringste Spur einer Freundschaft.
Wäre ja zu schön gewesen, erhellende Informationen gleich zu Beginn einer Ermittlung zu erhalten. Karins Lachen klang bitter; um sich aufzuheitern, drehte sie den Lautstärkeregler nach rechts. W.A.S.P. legten volle Kraft mit Into The Fire los. Die intensive Musik lenkte ihre Gedanken von den unangenehmen Themen ab. Begeistert malträtierte sie im Takt der Musik den Knauf ihrer Gangschaltung.
Um einiges froher steuerte Karin ihren Fiesta auf das Gelände des Uni-Klinikums. Mit einem stummen Lächeln hielt sie dem Wachschutz an der Schranke ihren Dienstausweis vor die Nase und wurde kommentarlos durchgewunken.
Karin fragte sich, ob es kleinlich von ihr war, ihr bisschen Macht zu genießen, dennoch kostete sie es schamlos aus, ihren Wagen einfach vor dem Institut für Rechtsmedizin abstellen zu können.
»Hallo Mario, hast du bei deiner Skalpellfuchtelei einen Hinweis gefunden, der uns weiterbringt?«, fragte Karin beim Eintreten und schaute den Gerichtsmediziner schelmisch an.
Dr. Mario Bretschneider zog die Augenbrauen in die Höhe und holte tief Luft. »Wenn du so charmant fragst, muss ich ja liefern, sonst laufe ich Gefahr, von dir übers Knie gelegt zu werden.« Bretschneider lehnte sich hinter seinem Schreibtisch im Stuhl zurück und lächelte ironisch.
Karin war nicht im Geringsten verlegen. Ohne große Umstände setzte sie sich mit einer Hinterbacke auf die Tischkante, holte ein original Harley-Davidson-Shirt aus ihrem Rucksack und legte es vor den Doktor auf den Tisch. »Das ist mir letztens bei einer Internetauktion über den Weg gelaufen. Größe L, müsste dir doch passen?«
Sprachlos strich Dr. Bretschneider mit den Fingern über den schwarzen Stoff und zog andächtig die Konturen des Logos nach. »Womit habe ich das denn verdient?«
»Na ja«, Karin wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger, »zum Beispiel musst du meine Frechheiten ertragen und außerdem bist du der beste Gerichtsmediziner weit und breit.«
»Okay, wenn du das sagst, da werde ich mich mal anstrengen.« Der Doktor griff sich einen Kunststoffbeutel und hielt ihn vor Karins Nase. »Dieses modische Accessoire habe ich in der Beintasche des Toten entdeckt. Da Anwälte selten in der linksextremistischen Szene aktiv sind und du es bestimmt schon wüsstest, wenn er bei einer Spezialeinheit gewesen wäre, bleibt eigentlich nur eine Möglichkeit.«
»Darf ich?«, fragte Karin. Nachdem Bretschneider genickt hatte, öffnete sie den Beutel und zog eine schwarze Sturmhaube heraus. Sie pfiff leise und zog schnell die richtigen Schlüsse.
Bretschneider trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Tisch. »Lässt du mich an deinen Erkenntnissen teilhaben?«
»Was war eigentlich deine dritte Vermutung?« Karin grinste anzüglich.
»Fetischist.«
»Nah dran, Mario, aber nicht ganz.« Mit wenigen Worten setzte Karin den Gerichtsmediziner über die gefundenen Spannerfilme in Kenntnis. Danach betrachtete sie erneut die schwarze Mütze, dabei schob sie ihre Finger in die Öffnungen für Augen und Mund. »Widerlich, wenn du mich fragst. Andere Menschen beim Sex filmen, wenn die nichts davon wissen, ist einfach nur krank. Jedenfalls komplettiert die Sturmhaube sein Tarn-Outfit. Darf ich das Teil mitnehmen?«
Bretschneider nickte. »Ich habe Haare entnommen und ins Labor geschickt. Morgen habt ihr den DNA-Abgleich.«
Karin bedankte sich mit einem Lächeln und hob auffordernd die Brauen, damit er fortfuhr.
Mario, der gänzlich in seinem Beruf aufging, ließ sich nicht lange bitten. »Zuerst die allgemeinen Informationen. Der Mann war kerngesund. Nichtraucher, keine Anzeichen für Alkoholmissbrauch. Seine Muskulatur ist sehr gut ausgebildet, das lässt auf regelmäßigen Sport schließen.«
»Tennis«, kommentierte Karin trocken.
Der Doktor ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Todesursache ist eine tiefe und lange Wunde im Bauchraum. Sie wurde dem Mann mit einer mindestens 15 Zentimeter langen, scharfen Klinge beigebracht. Weise hat vermutlich durch Schmerz und Schock schnell das Bewusstsein verloren, das ist jedoch nur eine Annahme, es hängt immer von der physischen und psychischen Konstitution des Opfers ab.« Er räusperte sich. »Da der Täter die Schlagader schwer verletzt hat, ist der Anwalt binnen Minuten verblutet. An der Stelle wird es interessant …« Um seine Augen und den Mund trat ein angespannter Zug. »Ich bin kein Psychologe, aber so viel weiß ich, wenn ein Einbrecher überrascht wird, kann es zu einer Kurzschlusshandlung kommen, die eine Katastrophe auslöst. In so einem Fall sticht der Täter einmal oder mehrmals auf sein Opfer ein, je nach Höhe seines Stress-Levels. Und genau das trifft auf den Mörder des Anwalts nicht zu. Dieser Mann hat kaltblütig und überlegt gehandelt. Er hat das Mordinstrument kraftvoll und gleichmäßig, ohne das Messer abzusetzen, im Körper des Opfers nach oben gezogen und dadurch die Wunde bewusst vergrößert. Es liegt auf der Hand, dass er seinem Opfer absichtlich eine schwere Wunde zufügen wollte.«
Karin war sprachlos, mit dieser Wendung hatte sie nicht gerechnet. Ein leises Grauen wuchs in ihr und die Härchen auf ihren Armen richteten sich auf. »Bist du dir sicher?«, fragte sie mit belegter Stimme.
Mario nickte. Sein Blick wurde so eisig wie das Grab, in dem die Leiche des Anwalts bald ruhen würde. »Angst macht mir auch der Umstand, dass ich keinerlei Abwehrverletzungen an den Händen von Weise gefunden habe. Immerhin war er kräftig und 1,82 Meter groß. Durchtrainierte Männer stehen nicht starr vor Angst da und warten demütig auf den Todesstoß, sie wehren sich.«
Nach diesen Worten stieß Karin die Luft aus, die sie unbewusst angehalten hatte. Das mulmige Gefühl, das sie bereits in der Wohnung des Anwalts befallen hatte, vertiefte sich urplötzlich. Verzweifelt kämpfte sie gegen ihren Instinkt an, der ihr deutlich zu verstehen gab, dass sie mit ihrem Gefühl in der Wohnung des Opfers richtig gelegen hatte. Der Fall hielt viel Schlimmeres für sie bereit, als sie je zu denken gewagt hätte. »Es könnte also sein, dass der Mord nicht zufällig geschehen ist. Eventuell eine sorgfältig geplante Racheaktion?«, fragte sie mit einem letzten Rest kläglicher Hoffnung.
»Möglich.« Der Doktor machte eine vage Handbewegung. »Bei einem derart grausamen Mord kommen mehrere Motive infrage.« Er musterte Karin mit einem besorgten Blick. »Aber das glaube ich nicht. Der Täter ist ein eiskalter Killer und wenn ich richtig liege, macht ihm das Töten Spaß.«
Zurück auf der Straße, zückte Karin ihr Handy und wählte Sandras Nummer.
Mailbox.
Sicher ist sie in die Kantine marschiert, um sich ein Stück Kuchen zu holen, und natürlich hat sie ihr Telefon auf dem Schreibtisch liegen lassen. Über Karins Gesicht zog ein Lächeln, sie kannte den grenzenlosen Appetit ihrer Freundin nur zu gut.
Als Nächstes probierte sie es bei Heidelinde. Die Oberkommissarin nahm sofort ab und war hocherfreut über Karins Anruf. Enthusiastisch fasste sie zusammen, was sie über die Geschäftspraktiken des Anwalts herausgefunden hatte.
Der Bericht verschlug Karin den Atem. »Gib Sandra Bescheid. Ich fahre sofort dorthin. Und Heidi, gute Arbeit.«
Mit dieser Wendung hatte Karin nicht im Traum gerechnet. Mit einem Fünkchen Glück konnten sie den Fall noch heute zu den Akten legen.
Mittwoch, 17.30 Uhr
Vom vielen Reden durstig und der mangelhaften Ausbeute deprimiert, bog Oberkommissar Rolf Brückner nach Stunden in die gefühlt tausendste Straße ein. Um seinen Gedanken bei der nervtötenden Befragung der Anwohner wenigstens etwas Sinnvolles zu tun zu geben, versuchte er sich die Gesichter ins Gedächtnis zu rufen, die er aus Weises Spannervideos kannte. Es war ein vergebliches Unterfangen, Weise hatte unzählige Menschen beim Sex gefilmt. Im Schnelldurchlauf waren über 20 Stunden Filmmaterial vor Rolfs Blick dahingerast. Wie Geisterschemen huschten die Bilder in seinem Kopf umher und je mehr er versuchte, sie zu fangen, umso schneller entwischten sie ihm. Wenn ein Opfer des Anwalts vor mir steht, werde ich es schon merken, tröstete er sich und lenkte sich mit den Gedanken an den zurückliegenden Vormittag ab.
Aus Sicherheitsgründen hatte Sandra den Inhalt von Weises USB-Stick nicht ins Netzwerk eingespeist, deshalb hatte sie für jedes Teammitglied ein Duplikat erstellt. Beim Aushändigen betonte sie mit todernster Miene und gefährlich blitzenden Augen, dass der Inhalt topsecret sei. Drohend fügte sie hinzu, dass sich jeder, der sich nicht an diese Vorgabe hielt, in Zukunft nicht einmal mehr den Verkehr regeln dürfte.
Rolf kannte Sandra schon einige Jahre und er traute es ihr durchaus zu, diese Warnung in die Tat umzusetzen.
Wenig später saßen die Kollegen vor ihren Monitoren und betrachteten die Ausbeute von Weises nächtlichen Ausflügen. Entsprechend der persönlichen Anschauung nahm jeder die erzwungene Pornoschau auf seine Weise auf. Jan überspielte seine Verlegenheit mit einem Grinsen. Karin warf wütende Blicke um sich. Sandras Lächeln fror ein und Heidelinde wurde noch stiller als gewöhnlich. Rolf selbst wurde nachdenklich. Er war der festen Meinung, dass Voyeure hinter Gitter gehörten. Die Privatsphäre anständiger Menschen war für ihn schon immer ein heiliges Gut. Schade, dass der Anwalt schon tot war. Rolf hätte ihm die Zeit im Knast, die einem Typ mit dieser Neigung bevorstand, von Herzen gegönnt.
Um Doppelbefragungen zu vermeiden, hatte er Jan zur Seite genommen und mit ihm im Vorfeld die Straßen von Weises Wohnviertel aufgeteilt.
Jetzt setzte er einsam einen Fuß vor den anderen, während ihm der Schweiß in dünnen Bächen über den Rücken lief. Doch auch in diesem Straßenzug waren die Ergebnisse mehr als dürftig. Einige Anwohner waren nicht daheim, die anderen wussten von nichts.
Rolf sah zur Uhr und seufzte tief. Langsam taten ihm die Füße weh.
Der Anblick, der sich ihm beim nächsten Anwesen bot, ließ seine Frustration verwehen wie ein Blütenblatt im Sommerwind. Eine Frau, Rolf schätzte sie Anfang vierzig, bekleidet mit ultrakurzen Shorts und einem Bikini-Oberteil, saß auf der Treppe vor dem Haus und arrangierte Blumen zu Sträußen.
Mit offenem Mund blieb der Oberkommissar am Zaun stehen und versuchte, das wunderschöne Bild zu verarbeiten. Das kann nur eine Fata Morgana sein, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. So gut meint es das Schicksal an diesem miesen Tag nicht mit dir, dass dir so ein schnuckliges Wesen über den Weg läuft. Er kniff die Augen fest zusammen und riss sie wieder auf.
Die Frau saß immer noch da und beobachtete ihn amüsiert. »Wollen Sie zu mir?«
Rolf musste schlucken, dann nickte er eifrig und hielt seinen Dienstausweis in die Höhe. »Kommissar Brückner, Kriminalpolizei. Ich hätte ein paar Fragen an Sie.«
Mit einer geschmeidigen Bewegung kam die Frau in die Höhe. »Das Tor ist offen, kommen Sie rein.« Lächelnd und ohne die geringste Spur von Verlegenheit wies sie auf ihre dreckigen Hände und hielt Rolf ihren Ellbogen entgegen.
Vollkommen überrumpelt drückte Brückner sanft ihren Unterarm und versuchte, die Begehrlichkeit aus seiner Mimik zu verbannen.
»Sie sehen aus, als hätten Sie Durst«, stellte die Gärtnerin mit Bestimmtheit fest. »Machen Sie es sich hinter dem Haus bequem, da wartet eine Sitzecke auf Sie.«
Mit einem wohligen Stöhnen streckte Rolf seine Beine unter den Tisch und lauschte dem Summen der Bienen, die emsig von einer Blüte zur nächsten flogen. Hier auf diesem kleinen Fleckchen Erde schien die Welt noch intakt zu sein. Er selbst verstand nicht viel von Gartengestaltung, hatte sich noch nie dafür interessiert und das Grundstück seiner Eltern war mehr von Pragmatismus als von Schönheitsempfinden geformt. Diese kleine Anlage sah hingegen ganz anders aus. Die Besitzerin, und Rolf zweifelte keine Sekunde daran, dass es sich dabei um die junge Frau handelte, hatte es verstanden, aus dem kleinen Gelände ein Schmuckstück zu machen. Ein hübsch angelegter Weg mäanderte zwischen Beeten mit Kräutern, Ziergräsern und Blumen entlang.
Rolf genoss das üppige Grün und fühlte ein angenehm warmes Gefühl in seinen Beinen emporsteigen.
Die Rückkehr der hübschen Gärtnerin, die zwei schäumende Weizenbiere auf den Tisch stellte, ließ sein Wohlbefinden ungeahnte Höhen erklimmen.
»Sind alkoholfrei«, erklärte sie und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
Rolf bedankte sich, prostete ihr zu und nahm einen gewaltigen Schluck, dabei musterte er sie über den Glasrand. Zu seinem Bedauern hatte sie eine Bluse übergezogen.
Als er sein Glas absetzte, jagte ein Blitz durch sein Gedächtnis. Ein Gesicht kristallisierte sich aus den wirren Geisterschemen heraus, die ihr neckisches Spiel mit seinem Verstand trieben. Erst vor ein paar Stunden hatte er seine Gastgeberin in voller Aktion gesehen. Sie war eine der Protagonistinnen in Weises Spannerfilmen.
Obwohl er unschuldig an den abartigen Begierden des Anwalts war, schämte sich der Oberkommissar. Er saß dieser arglosen Frau gegenüber und kannte dermaßen intime Details von ihr, die absolut nicht für fremde Augen bestimmt waren.
So gut es ihm möglich war, überspielte er seine Verlegenheit. »Ich habe ganz vergessen, Ihr Klingelschild anzusehen, Frau …?«
»Beatrice Wittig. Sagen Sie einfach Bea zu mir.« Das strahlende Lächeln, das ihre Worte begleitete, drang Rolf bis ins Mark.
»Gern, wenn Sie Rolf zu mir sagen.« Er trank einen weiteren Schluck, wischte sich den Schaum von den Lippen und kam zur Sache: »Ich ermittle in einem Mordfall, der hier in Weißig verübt wurde. Eventuell kannten Sie das Opfer sogar. Der Mann hieß Weise. Norbert Weise.«
Frau Wittig fuhr zusammen. Ihre Augen wurden groß. Fahrig begann sie, das vor ihr stehende Glas hin und her zu schieben. »Ich habe für Herrn Weise gearbeitet«, sagte sie nach einer langen Pause. »Seinen Garten gepflegt und sein Haus geputzt.«
Die aufsteigende Freude tief in seinem Inneren verbergend, bemühte sich Rolf um ein mitfühlendes Gesicht. Gleich drei Gründe waren es, die ihn fröhlich stimmten. Er hatte endlich einen Treffer gelandet, vor ihm stand ein noch halb volles Glas Bier und er durfte weiterhin Beas Gesellschaft genießen.
»Sie müssen wissen, ich habe früher in der Informatik gearbeitet. Programmierung«, sagte Beatrice scheinbar zusammenhanglos. »An meinem Gehalt gab es nichts auszusetzen, aber die Arbeitszeiten waren jenseits von Gut und Böse. An dem Punkt, als mein Konto immer dicker wurde, ich jedoch praktisch keine Gelegenheit hatte, das Geld auszugeben, zog ich einen Schlussstrich.« Sie deutete mit einer knappen Kopfbewegung zum Haus. »Die Raten sind abbezahlt und ich habe ein finanzielles Polster.« Sie unterbrach sich und lachte gleich darauf. »Warum erzähle ich Ihnen das eigentlich? Diese Informationen sind für Sie ja nicht von Bedeutung.« Sie zuckte mit den Schultern. »Vielleicht unterhalte ich mich in letzter Zeit zu oft mit den Blumen? Und die sind maulfaul bis zum Gehtnichtmehr, das können Sie mir glauben.«
Rolf konnte ihr nicht zustimmen. Erstens hörte er ihre Stimme gern und zweitens fand er ihre Ausführungen sehr interessant. Für eine Informatikerin wäre es ein Leichtes, den Rechner des Arbeitgebers auszuspionieren. Doch die Konsequenzen dieses Gedankens verdrängte er schnell. Das durfte einfach nicht sein.
Bevor er sich in Spekulationen erging, beschloss er seinen Fragenkatalog abzuarbeiten. Leider enttäuschte ihn Frau Wittig. Ihr Wissen über den Anwalt ging gegen null. Es hatte keinerlei privaten Kontakt gegeben und sie wusste nichts über Liebschaften oder andere Beziehungen des Mannes. Auch über Einbrüche im Wohnviertel war ihr nichts bekannt.
Bis zum Schluss hatte Rolf die Frage nach dem Alibi der Frau vor sich hergeschoben. Schließlich fiel ihm nichts mehr ein, was sein Bleiben rechtfertigen könnte. »Es tut mir leid«, begann er vorsichtig, »ich muss Sie bitten, sich morgen Vormittag in der Polizeidirektion einzufinden. Wir benötigen Ihre Fingerabdrücke zum Abgleich.«
Beatrice winkte schmunzelnd ab. »Kein Problem, ich muss morgen sowieso in der Stadt einkaufen.«
Die nächste Frage richtete Rolf an seine Schuhe, er brachte es nicht über sich, Bea in die Augen zu sehen. »Es ist mir sehr unangenehm, Ihnen diese Frage zu stellen. Aber um Sie als Täterin auszuschließen, bitte ich Sie mir zu sagen, wo Sie sich am Montagabend zwischen 18 und 23 Uhr aufgehalten haben.«
Bea wirkte nicht im Geringsten pikiert. Mit gespielter Erleichterung stieß sie die Luft aus. »Da hab ich ja noch mal Schwein gehabt.« Sie kicherte in sich hinein. »Bis 20 Uhr, das weiß ich genau, weil der Baumarkt da schließt, habe ich mit meiner Freundin Anja gefachsimpelt. Sie ist Verkäuferin in der Gartenabteilung und kennt sich aus, was Pflanzen angeht. Nachher sind wir zu mir gefahren, weil ich ein Problem mit meinen Rosen habe. Tja«, sie hob die Schultern und lächelte entwaffnend, »und danach haben wir gemeinsam zwei Flaschen Rotwein niedergemacht. Weil Anja dann zu breit war, um mit dem Auto nach Hause zu fahren, hat sie bei mir übernachtet.«
Unendlich erleichtert, weil Bea die Angelegenheit so locker sah, setzte Rolf nach: »Fein, da brauche ich nur noch Adresse und Telefonnummer der Gartenfee und dann sind Sie mich auch schon los.«
»Gebe ich Ihnen. Aber da ist noch etwas.« Sie hob die Hand und stoppte den Oberkommissar, der sich erheben wollte. »Deshalb habe ich vorhin um den heißen Brei geredet, weil mir die Sache ein bisschen unangenehm ist.« Mit einem Schlag war Beas Ton todernst. »Beim Putzen in Weises Haus habe ich vor ungefähr einem halben Jahr eine offen herumliegende Mappe entdeckt, und da ich neugierig bin, habe ich einen Blick hineingeworfen.«
Mit sachlichem Tonfall berichtete Beatrice Wittig, was sie beim Stöbern in den Dokumenten des Anwalts gelesen hatte.
Zu Beginn entspannt zurückgelehnt, versteifte sich Rolf mit jedem ihrer Worte mehr. Was er erfuhr, jagte ihm einen Schauer über den Rücken, begleitet von einer lodernden Wut.
Mittwoch, 19.50 Uhr
Nur wenige Minuten Fußmarsch von ihrem Ziel entfernt, fand Karin eine Parklücke in einer ruhigen Seitenstraße. Sie wollte mit Herrn Oswald sprechen, dessen Name ihr von Heidelinde als Opfer von Weises fragwürdigen Geschäftspraktiken genannt worden war.
Der Mann wohnte im Stadtteil Gorbitz, ausgerechnet am Amalie-Dietrich-Platz. Dieser Ort hatte aufgrund von Randalen und offenem Drogenhandel eine traurige Berühmtheit erlangt.
Bis die Dämmerung das Gesindel aus ihren Winkeln hervorlockte, würde noch einige Zeit vergehen. Da Karin nicht einschätzen konnte, wie lange sich ihr Gespräch mit Oswald hinziehen würde, wollte sie die Unversehrtheit ihres Fiestas nicht aufs Spiel setzen und hatte ihn deshalb weitab vom Amalie-Dietrich-Platz abgestellt. Sie liebte ihr kleines Auto sehr. Deshalb wollte sie nicht riskieren, dass es als Ziel für leere Bierflaschen oder Steine herhalten musste. Im schlimmsten Fall würde ihr Auto als gigantische Fackel zur Belustigung einer johlenden Meute dienen.
Karin drückte den Klingelknopf und hoffte inständig, dass Oswald zu Hause war. Träfe sie ihn nicht an, hätte sie sich umsonst neun Kilometer durch die mit Autos verstopfte Stadt gequält. Es war dämlich von ihr gewesen, diese Fahrt völlig überstürzt anzutreten. Aber was sollte sie tun? Ihr lief die Zeit davon! Mit jeder verstrichenen Stunde sanken die Chancen, den Mörder des Anwalts zu fassen. Normalerweise rief Karin vor einem Gespräch an und verabredete einen Termin. Da Oswald aber keinen Festnetzanschluss besaß und es Heidelinde trotz umfangreicher Recherche nicht gelungen war, seine Mobilfunknummer zu ermitteln, hatte Karin alles auf eine Karte gesetzt und sich spontan auf den Weg gemacht.
Als nach dem dritten Klingeln eine heisere Stimme nach ihrem Begehr fragte, fielen die Befürchtungen wie überflüssiger Ballast von ihr ab.
Karin orientierte sich kurz im Eingangsbereich und stellte fest, dass Herrn Oswalds Wohnung in der 4. Etage lag. Ein Schild am Aufzug erklärte den Mietern, dass sie bis auf Weiteres laufen mussten. Das interessierte Karin nicht, sie nahm ohnehin lieber die Treppe. Der Schriftzug A.C.A.B., der im 2. Stockwerk an der Wand prangte, entlockt ihr ein müdes Lächeln. »All cops are bastards, von wegen! Mein Vater ist nun nicht gerade der Sympathieträger, aber meine Eltern waren ordentlich getraut«, flüsterte sie.
Zwei Etagen höher stand ein kleiner Mann – Karin schätzte ihn auf Mitte fünfzig – in der offenen Tür und schaute sie neugierig an. In seinem linken Mundwinkel wippte eine Zigarette.
»Guten Tag. Ich bin Kriminalkommissarin Wolf. Sind Sie Herr Oswald?«
Der Mann musterte Karin von oben bis unten, fuhr sich mit der Zungenspitze über die vertrockneten Lippen und nickte.
»Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen …« Karin ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen.
Oswald trat zur Seite, hielt ihr die Tür auf und bat sie mit einer linkischen Bewegung in den Flur. »Wenn ʼne Frau so aussieht wie Sie, istʼs mir egal, ob sie von den Bullen oder Zeugen Jehova kommt. Hauptsache sie kommt.« Er kommentierte seine Worte mit einem meckernden und von Husten unterbrochenen Lachen.
Aus der Wohnung schlug Karin ein Geruchsgemisch aus kaltem Rauch, schalem Fuseldunst, abgestandener Luft und Männerschweiß entgegen. Der Duft nach Freiheit und Abenteuer, dachte sie sarkastisch lächelnd und versuchte flach zu atmen.
Wider Erwarten war das Wohnzimmer, in das Oswald sie führte, relativ sauber. Nachdem Karin den Bezugstoff misstrauisch beäugt hatte, setzte sie sich in einen Sessel und stellte fest, dass der zwar abgewetzt, aber recht bequem war.
Ehe sie darum bitten konnte, schaltete Oswald den Fernseher aus und ließ sich in einen Sessel gegenüber der Flimmerkiste sinken.
Karin, die ihren Aufenthalt in diesen Räumen nicht unnötig ausdehnen wollte, kam sofort zur Sache. »Danke, dass Sie Ihre Zeit opfern. Da Ihr Name in einer Mordermittlung aufgetaucht ist, möchte ich gern einige offene Fragen mit Ihnen besprechen.«
»Wollʼn Sie ʼnen Wodka mit mir trinken, lockert die Stimmung.« Vollkommen unbeeindruckt griff sich Oswald die Flasche, die neben seinem Fernsehplatz parat stand, pustete in sein Glas und schenkte randvoll ein.
Lächelnd schüttelte Karin den Kopf.
»Ein Bierchen vielleicht? Tut gut bei der Hitze.«
Karin hätte tatsächlich liebend gern ein kühles Blondes gezischt, sie musste aber noch fahren und der Geruch in dieser Wohnung raubte ihr den Appetit. »Vielen Dank, ich bin im Dienst. Ich nehme an, der Name Weise sagt Ihnen etwas.«
Jetzt hatte sie Oswalds volle Aufmerksamkeit. »Den Namen kenn ich, hab ja auch schon vom Teufel gehört.« Er dachte kurz nach, dann wuchs ein Grinsen in seinem Gesicht. »Wollʼn Sie etwa zart andeuten, dass jemand Weises Licht ausgeknipst hat? Hätte nie gedacht, dass heute mein Glückstag ist.« Begeistert kippte er die klare Flüssigkeit und sein Grinsen wurde noch breiter. »Da spaziert ʼne gut aussehende Tusse in mein trautes Heim und, um das Kraut fett zu machen, erzählt sie mir, dass jemand das Scheusal plattgemacht hat. Ich wünsch dem Samariter, der das getan hat, alles Gute. Der Mann hat ʼn Orden verdient.«
Gleich darauf war er erneut mit Flasche und Glas zugange und Karin nutzte die Gelegenheit. »Ich möchte Sie bitten, mir alles zu erzählen, was Sie über Herrn Weise wissen.«
»Das Herr können Sie ruhig streichen. Das war ʼn Arschloch.« Er nickte bekräftigend. »Schaun Sie sich um! So leb ich heute. Vor ʼn paar Monaten noch wohnte ich im Haus meiner Eltern.« Oswald schnippte mit den Fingern. »Weg. Einfach so. Die Knete vom Verkauf hat sich der Weise eingesteckt, hat alles sauber eingefädelt.«
»Was ist geschehen?«
»Lange Geschichte. Wollʼn Sie die wirklich hören?« Der Mann konnte sein Glück kaum fassen. Endlich jemand, der ihm zuhörte. »Bevor der Weise aufkreuzte, ging es uns gut, Mama und mir. Ich hatte zwar keine Arbeit, aber wir kamen zurecht. Mamas Rente und die Stütze reichten geradeso. Miete mussten wir nich zahlen, das Haus gehörte Mama. Demenz hatte sie, sagte der Arzt. Aber ich war ja da, hab mich um sie gekümmert, hatte ja Zeit. Und Mama war zufrieden, saß bei schönem Wetter vorm Haus auf der Bank und guckte nach den Leuten. Alles lief gut.« Er schüttelte den Kopf und lachte freudlos. »Dann kam der feine Herr Anwalt, sagte, ich könnte mich nicht um meine Mama kümmern, sie bräuchte professionelle Hilfe. So ʼn Quatsch, ʼs ging ihr doch gut. Fragte nach der Vorsorgevollmacht. Sowas hatte ich nicht, weiß nicht mal, wie man das macht. Ich hab nich lang gefackelt und ihm gesagt, er solle verschwinden. Machte er auch. Kam aber zurück und zeigte mir so ʼnen Wisch, auf dem stand, dass er sich ab jetzt um Mama kümmert. Wäre besser für sie. Mama hat das gehört und war natürlich stocksauer. Hat ihn angespuckt, ist hoch von der Bank und hat ihren Stock geschwungen. Da hat er ʼne Biege gemacht, der feige Hund.« Die Erinnerung an diesen Vorfall zauberte ein Lächeln auf Oswalds Gesicht, es hielt nicht lange an und wich einer grenzenlosen Bitterkeit.
»Das nächste Mal kam er mit großem Gefolge. Krankenwagen, Polizei, Arzt. Mama wollte nicht mit, hat sich gewehrt, um sich geschlagen. Der dämliche Weißkittel hat ihr ʼne Spritze verpasst, da wurde sie still. Sie haben Mama in ʼnen Rollstuhl gesetzt, dabei konnte sie immer gut laufen. Als die Kerle sie in den Wagen schoben, schlief sie schon. Ich hab die Polizisten gefragt, ob die das dürften. Die haben mir irgend so ʼnen Wisch gezeigt und gesagt, dass man da nichts machen könnte.« Weiter kam er nicht, die Erinnerung an den Tag holte ihn ein. Dumpf vor sich hinbrütend, stierte er in sein Glas.
Karin hörte den tiefen Atemzug, der seinen Körper beben ließ. Schlichte Worte, doch das menschliche Leid dahinter, schien grenzenlos. Sie störte Herrn Oswald nicht, ließ ihm die Zeit, die er brauchte. Und obwohl sie keine Schuld an den Vorfällen trug, schämte sie sich. Zu oft hatte sie miterleben müssen, dass gewissenlose Typen Lücken in den Gesetzen suchten und fanden, um sie schamlos auszunutzen und sich zu bereichern.
»Eigentlich brauch ich jetzt noch ʼn Schnaps«, holte Oswalds Stimme Karin aus ihren Gedanken. »Aber mein Limit liegt bei vier pro Tag und die hatte ich heute schon.«
Karin kniff überrascht die Augen zusammen. Man lernt eben nie aus, dachte sie.
»Tja.« Müde hob Oswald seine Hände. »Dann kamen die Rechnungen angeflattert. Jeden Monat. Zuzahlung fürs Heim. Als das Sparbuch leer war, wurde das Haus zwangsversteigert.« Traurig schielte er zu seinem Glas und focht einen stillen Kampf, schob es jedoch mit einer trotzigen Bewegung beiseite. »Stütze und Wohngeld reicht zum nicht Krepieren und für all das hier.« Er warf einen bezeichnenden Blick in die Runde. »Ich versteh nich viel von solchen Sachen, komm auch mit dem Geschreibsel nich klar, hab mich an einen Rechtshilfeverein gewandt. Die haben alles geprüft, konnten aber nichts machen.«
Oswald schwieg eine Weile, doch Karin spürte die Trauer, die in ihm wühlte.
»Kurz nachdem das Haus futsch war, verlegte der Anwalt Mama in ein Heim nach Tschechien. Jetzt kann ich sie nur noch einmal im Monat besuchen. Für mehr langt das Geld nich.« Er sah Karin traurig an und rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Nach kurzer Stille verschwand der Kummer aus seinen Augen und ihm entfuhr ein hörbarer Schnaufer der Freude. »Jedenfalls werd ich heut Nacht besser schlafen, weil das Schwein tot ist.«
Die mit schlichten Worten erzählte Geschichte hatte sich eiskalt auf Karins Seele gelegt. Trotz der dumpfen Wärme in der Wohnung begann sie zu frieren. Fast hilflos sagte sie zu Oswald: »Es tut mir leid, aber ich muss Sie das fragen. Wo waren Sie letzten Montag zwischen 18 und 23 Uhr?«
Zu ihrer Verblüffung blieb Oswalds Miene fröhlich. Schelmisch grinsend schlug er seine rechte Faust in die linke Handfläche und fuhr mit so viel Schwung aus seinem Sessel, als hätte sich eine der Federn selbstständig gemacht und ihn hinauskatapultiert. »Kommen Sie!« Er winkte mit dem Finger und latschte, ohne sich umzusehen, zur Wohnungstür.
Karin musste sich beeilen, um den Anschluss nicht zu verlieren. Trotz ihrer Hast holte sie Oswald erst im Treppenhaus ein. Der stand feixend vor der Tür der Nachbarwohnung und klingelte Sturm.
Das lockte einen Mann mit einem beeindruckenden Bauch, über dem ein Feinrippunterhemd spannte, aus seiner Bude. Er war etwa in Oswalds Alter, hatte dünnes graues Haar, das er mit einer Menge Haarwasser in Form gebracht hatte. »Was ʼn los?«
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.