Kitabı oku: «WattenAngst», sayfa 3

Yazı tipi:

Das Auftauchen von Hans Olaf Berger am Fenster des hell erleuchteten Wohnzimmers hier oben war für den Schützen die Gelegenheit gewesen, sein Opfer mit einem einzigen Schuss aus dem Verkehr zu ziehen. So eine Gelegenheit bot sich einem potenziellen Mörder kein zweites Mal.

Oder hatte es zum Plan gehört, dass Berger sich an der großen Fensterfront zeigte und sich dem Schützen wie auf dem Silbertablett servierte?

Fest stand, dass das Opfer seinen Peiniger im Dunkel der Nacht nicht hatte sehen können. Wiebke stellte sich vor, wie in der Dunkelheit das Mündungsfeuer aufblitzte, im nächsten Augenblick die Scheibe zerstört wurde und die Patrone Berger traf.

Ein einziger Schuss, der Bergers Schicksal besiegelt hatte. Das Klirren der großen Scheibe musste die ganze Nachbarschaft geweckt haben. Wie also konnte der Schütze dann unerkannt entkommen?

Ein Fahrzeug, das sich schnell vom Tatort entfernte, hätte von Nachbarn gesehen werden müssen. Oder war der Schütze zu Fuß gekommen – und versteckte sich noch in den Weiten der Salzwiesen? Wiebke hoffte, dass der Hubschrauber bald hier war, um die Gegend abzusuchen.

„Träumst du?“, riss Petersens Stimme sie aus den Gedanken.

Wiebke schlug die Augen auf und rang sich ein Lächeln ab. Dass ihr dabei das Blut ins Gesicht schoss, ließ sich nicht vermeiden. „Nein“, sagte sie. „Ich habe meditiert.“

„Mach ich auch immer so, wenn ich einen Mörder suche“, behauptete Petersen bierernst und schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Mal im Ernst, Wiebke: Ich glaube nicht an diesen esoterischen Scheiß.“

„Ich hab auch nur nachgedacht, mir vorgestellt, wie es passiert sein könnte“, verteidigte sich Wiebke. Ihr Partner kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie sich gern in einen neuen Fall „einfühlte“, wie sie das nannte.

„Hier hat er wohl gestanden“, mischte sich jetzt Piet Johannsen ein. Er stand an der Fensterfront und blickte sich zu den Kollegen um. „Seine Freundin anderthalb, vielleicht zwei Meter versetzt schräg hinter ihm. Ich könnte mir vorstellen, dass der Schütze sie gesehen hat.“

„Und dann hat er nur ein einziges Mal geschossen?“, zweifelte Petersen. „Sie ist doch eine Zeugin und könnte uns die Hinweise liefern, die ihn zu Fall bringen. Es wäre ein Leichtes gewesen, sie auch zu töten.“

„Jo, schon. Auf der anderen Seite …“ Johannsen winkte Petersen zu sich. Zögernd durchschritt er den Raum. Bei jedem Schritt knirschten Glassplitter unter seinen Schuhen. „Guck mal raus, du Meisterschnüffler.“ Johannsen machte eine ausladende Geste.

Jan Petersen blickte in die Nacht und runzelte die Stirn.

„Ich sehe Krankenwagen, Peterwagen, Gaffer mit Smartphones …“

„Weil die Kameraden vom Technischen Hilfswerk gerade eingetroffen sind und Scheinwerfer aufgestellt haben.“

„Sicher.“

„Kann man das abstellen?“, fragte Wiebke und trat neben die Männer. Der Nachtwind kühlte ihre erhitzte Stirn.

Johannsen betrachtete sie mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck. „Wozu soll das gut sein?“

„Ich will es so sehen, wie es Berger vor seinem Tod gesehen hat“, erwiderte Wiebke.

„Tu, was sie sagt“, brummte Petersen.

„Ich fass es nicht.“ Piet Johannsen zückte ein Funkgerät „Macht mal alles aus“, sprach er hinein. Es dauerte keine zwei Sekunden, und die leistungsstarken Scheinwerfer vor dem Haus erloschen. Gleichzeitig herrschte draußen eine gespenstische Stille, die nur vom Rattern der Stromaggregate überlagert wurde.

„Und nu?“, fragte Petersen.

„Sei leise“, bat Wiebke ihn. Sie blickte hinaus in die Nacht. Das Grundstück tauchte ins Schwarz ab, die Salzwiesen ließen sich nur erahnen, in der Ferne glaubte sie das Meer im schwachen Mondlicht glitzern zu sehen.

„Du siehst nichts da draußen“, murmelte Wiebke.

„Ist ja auch dunkel wie im Bärenarsch.“

„Manchmal bist du echt anstrengend, Jan.“ Wiebke betrachtete ihren Partner mit vorwurfsvollem Blick. „Guck selber raus – wenn da einer steht und eine Kanone auf dich hält, den siehst du nicht!“

Petersen folgte ihrer ausgestreckten Hand und zog die Mundwinkel nach unten. „Nee, da muss sich der Typ nicht großartig verstecken.“

„Die Aufzeichnung der Überwachungskameras habt ihr morgen früh auf dem Schreibtisch“, mischte sich Johannsen ein.

„Wann?“ Petersen blickte sich mit erhobener Augenbraue zu ihm um.

„In drei, vier Stunden“, verbesserte sich der Kriminaltechniker schnell. „Die Festplatte mit den Aufzeichnungen habe ich schon sichergestellt.“

„So ist’s brav“, grinste Petersen. „Also“, sagte er dann zu Wiebke. „Worauf willst du hinaus, Mädchen?“

„Dass der Schütze keine Angst haben musste, erkannt zu werden. Es war dunkel, als er geschossen hat. Und ich bin mir sicher, dass er es ausschließlich auf Hans Olaf Berger abgesehen hatte.“

„Und?“

„Nichts – und. Das ist Stand der Dinge. Berger war das gesuchte – und gefundene – Opfer. Der Killer kam, tötete ihn und verschwand in der Nacht.“

„Also ein Auftragskiller?“

„Möglich.“

„Meinst du, der Mord an der Frau neben ihm hätte extra gekostet?“

„Kann doch sein.“

„Gut“, nickte Petersen. „Also gehen wir davon aus, dass der Mörder Berger aus dem Weg räumen sollte. Möglicherweise also ein Motiv aus dem bewegten Geschäftsleben unseres Opfers, das ja, wie wir wissen, nicht nur Freunde hatte.“

„Oder ein Mord, der von einer enttäuschten Ehefrau in Auftrag gegeben wurde.“

„Mord aus Eifersucht – gefällt mir“, grinste Petersen. „Immerhin ist das eines der häufigsten Mordmotive.“

„Ich bin sicher, ihr werdet es herausfinden“, behauptete Johannsen. „Jetzt würde ich aber gern weitermachen.“

„Klar, wir sind schon weg“, nickte Wiebke. Sie gab Petersen das Zeichen zum Rückzug. Die Zeit drängte.

*

Eine knappe Stunde vorher

Er hatte es nicht sonderlich eilig. Nachdem er den Schuss abgegeben hatte, war die große Fensterscheibe im Obergeschoss in tausend Stücke gesprungen. Er hatte sein Ziel getroffen – Berger war, von der Kugel getroffen, strauchelnd nach vorn und durch die zerborstene Scheibe in die Tiefe gestürzt, wo er regungslos liegengeblieben war.

Treffer versenkt.

Ein Arschloch weniger auf dieser Welt.

Eigentlich war alles gut gelaufen, wäre da nicht ihr gellender Schrei gewesen, den sie in Todesangst ausgestoßen hatte. Dieser Schrei hatte ihn kurz zweifeln lassen, ob alles richtig gewesen war. Doch nachdem er den toten Berger in seinem Blut und dem Meer aus winzigen Scherben hatte liegen sehen, wusste er, dass alles richtig gelaufen war.

Sekundenlang hatte er sie am Fenster stehen sehen, beide Hände vor das Gesicht gepresst. Wohl erst im zweiten Moment war sie sich darüber klar geworden, dass er sie sehen konnte. Einmal die Waffe ansetzen, den Abzug durchziehen, und – bäng, wäre es auch für sie vorbei gewesen. Doch das hatte er nicht vor. Trotzdem hatte er sie dabei beobachtet, wie sie sich schnell in Sicherheit brachte. Weinend suchte sie Schutz im hinteren Teil des Hauses. Wahrscheinlich, so dachte er sich, würde sie jetzt die Bullen rufen.

Höchste Zeit, sich vom Acker zu machen.

Ohne Hast ließ er die Pistole in seiner Jackentasche verschwinden. Der Lauf war noch warm. Sorgfältig zog er den Reißverschluss zu, dann wandte er sich um, duckte sich in die Dunkelheit und sah zu, dass er verschwand.

Gerade rechtzeitig, denn jetzt gingen in den umliegenden Häusern die Lichter an. Kein Wunder, der Schuss, das Klirren der großen Scheibe und ihr markerschütternder Schrei hatten alle Nachbarn aus dem Schlaf gerissen. Mit einem zufriedenen Grinsen auf den Lippen wandte er sich ab und lief los, bevor hier das Chaos ausbrach.

*

Annika Rüther war kreidebleich. Obwohl sie ihre feingliedrigen Hände im Schoß gefaltet hatte, zitterten sie. Das blonde Haar fiel ihr strähnig ins Gesicht. Ihr Make-

up war verwischt. Unter der Decke, die ihr der Sanitäter im Rettungswagen über die Schultern gelegt hatte, blitzte der spitzenbesetzte Ansatz eines weißen Negligees hervor.

Erst als Wiebke die Schiebetür des Rettungswagens hinter sich zuzog, erwachte die Frau aus ihrer Lethargie und betrachtete die Polizisten mit starrem Blick.

„Frau Rüther?“, fragte Wiebke leise und setzte ein freundliches Lächeln auf.

Anstelle einer Antwort erhielt sie ein stummes Nicken.

„Mein Name ist Ulbricht, Wiebke Ulbricht, von der Kripo in Husum.“ Sie legte eine Pause ein und achtete auf jede Regung im Gesicht ihres Gegenübers. Wiebke war klar, dass die Frau Schreckliches erlebt hatte. Sie gab ihr die nötige Zeit, über das Erlebte zu reden.

„Sie wollen wissen, was passiert ist?“ Annika Rüthers Stimme klang tränenerstickt.

Wiebke nickte. „Wie haben Sie es erlebt?“

„Wir hatten es uns auf dem Sofa gemütlich gemacht, Olaf und ich. Kerzenschein, eine Flasche Wein. Zu zwei die Nacht zum Tag gemacht, wenn Sie verstehen?“

„Ja, ich verstehe.“ Wiebke konnte sich bildhaft vorstellen, warum die beiden nicht geschlafen hatten, als der Schütze aufgetaucht war. Sie betrachtete Annika Rüther so unauffällig wie möglich. Die Geliebte von Hans Olaf Berger war hübsch, Wiebke schätzte sie auf Mitte dreißig. Ihre Augen waren strahlend blau, die Lippen voll und geschwungen. Die Nase war gerade und nicht zu groß, wenn sie den Mund verzog, bildeten sich Grübchen auf ihren Wangen. Kein Zweifel – Annika Rüther war eine hübsche Frau.

„Wir waren alleine und haben den Abend und die Nacht genossen.“

„Weiß Frau Berger, dass Sie …“

„Dass wir eine Affäre haben?“ Ihr Kopf ruckte hoch. Sekundenlang schien Annika Rüther durch Wiebke hindurchschauen zu können. Schließlich zuckte sie mit den Schultern. „Er hat behauptet, dass sie es weiß. Seine Ehe mit Karen bestand angeblich nur noch auf dem Papier.“

„Warum hat er sich dann nicht – Ihnen zuliebe – von ihr scheiden lassen?“, wagte Wiebke einen Vorstoß.

„Was wissen Sie schon … es geht bei Olaf um Geld, um sehr viel Geld. Er ist … er war ein einflussreicher Mann in Nordfriesland. Karen immer die Frau an seiner Seite, jedenfalls offiziell. Jeder Fleck auf seiner weißen Weste wäre fatal gewesen. Keine Ahnung, warum er sich nicht hat von ihr scheiden lassen. Fest steht, dass es vieles einfacher gemacht hätte.“

„Ist es nicht riskant, sich im Haus eines verheirateten Mannes blicken zu lassen, um die Nacht mit ihm zu verbringen?“, fragte Wiebke provokant.

„Ach“, Annika Rüther machte eine wegwerfende Handbewegung. „Karen hat doch selber einen Stecher.“ Sie lachte humorlos auf. „Wissen Sie, wenn man so lange verheiratet ist wie die beiden, dann toleriert man einiges.“

„Ist das so?“

„Natürlich. Es läuft nichts mehr zwischen den beiden. Sie suchen sich außerhalb der Ehe das, was sie vermissen.“

Wiebke versuchte, sich auf den Mord zu konzentrieren. „Was ist heute Nacht geschehen?“

„Wir waren oben im Wohnraum, sind wohl eingeschlafen auf dem Sofa, nachdem wir miteinander geschlafen hatten.“

Wiebke schwieg und ließ Annika Rüther reden.

„Plötzlich wachten wir auf – der Hund im Zwinger hatte angeschlagen. Tagsüber bewegt er sich frei auf dem Gelände, nachts bringt Olaf ihn in den Zwinger. Der Hund hat wie gesagt angeschlagen. Olaf ging zum Fenster, um nachzusehen, ob sich Einbrecher auf dem Gelände befinden. Ich stand gleich neben ihm, als der Schuss die Scheibe zerstörte und Olaf mit einem Schrei nach draußen fiel. Es ging alles so schnell.“ Annika Rüther brach ab, barg das Gesicht in den Händen und schluchzte. „Ich stand direkt neben Olaf und konnte ihm nicht helfen. Das Fenster ging zu Bruch, Olaf stürzte, und ich habe einen Moment gebraucht, um zu verstehen, dass ich mich im Fadenkreuz des Schützen befand. Ich habe mich dann fallen lassen, hab mir ein paar Schnittwunden zugezogen und bin nach hinten ins Haus gerobbt. Von dort aus habe ich die Polizei angerufen.“

„Haben Sie etwas gesehen, als Sie neben Herrn Berger standen, bevor geschossen wurde?“

„Nein, nichts. Es war stockfinster. Nicht einmal das Mündungsfeuer habe ich gesehen.“

Ein Schalldämpfer, durchzuckte es Wiebke. Er hat einen Schalldämpfer benutzt. Eigentlich sinnlos, bei dem lauten Klirren des Fensters.

„Haben Sie jemanden gesehen, der flüchtete?“

„Sie hören mir nicht zu, Frau Ulbricht.“ Jetzt hatte Annika Rüthers Stimme einen schneidenden Unterton bekommen. „Ich sagte doch, dass ich nichts, aber auch gar nichts gesehen habe.“

„Danke.“ Wiebke erhob sich von dem Hocker, auf dem sie gesessen hatte. Sie überreichte der Frau eine Visitenkarte. „Hier“, sagte sie. „Wenn Ihnen noch etwas einfällt, kontaktieren Sie mich.“ Wiebke verließ den Rettungswagen und stand im nächsten Moment im gleißenden Licht der Scheinwerfer. Kurz war sie geblendet, dann sah sie ihren Partner, der gerade mit einer älteren Frau sprach. Als Petersen sie sah, verabschiedete er sich von der Frau und kam zu Wiebke.

„Wer war das?“, fragte sie.

„Das war Barbara Gerlach. Sie hat uns gerufen, nachdem seltsame Geräusche ihre Nachtruhe gestört haben. Erst hat wohl der Wachhund der Bergers Lärm gemacht, dann ein Knall und das Klirren von Glas, gefolgt von einem Schrei.“

„Moment“, sagte Wiebke und massierte sich die Schläfen. „Die Geliebte des Toten sagte, sie hätte uns alarmiert.“

„Ich kenne auch die Version, dass Barbara Gerlach den Notruf abgesetzt hat“, stimmte Petersen ihr zu. „Aber das lässt sich klären. Carstensen hat schon die Kontaktdaten der Zeugen notiert.“

„Gut.“ Wiebke schaute auf, als ein ziviler Dienstwagen aus Flensburg vorfuhr. Hauke Jensen, der Leiter des Flensburger K 1, stieg aus und nickte den beiden zu.

„Moin“, sagte er. Trotz früher Stunde wirkte Jensen wie aus dem Ei gepellt. Sein Anzug saß perfekt, sogar die dunkelblaue Krawatte korrespondierte mit der Farbe des Hemdes. Eine feine Duftwolke von seinem Aftershave umgab ihn. „Und?“

Wiebke und Petersen brachten ihn mit wenigen Sätzen über das Geschehene auf Stand. Hauke Jensen hörte aufmerksam zu und unterbrach Wiebke kein einziges Mal. Erst als sie ihre Ausführungen beendet hatte, räusperte er sich.

„Kollegen“, sagte er gedehnt, „es sieht aus, als hätten wir es mit einem sehr komplexen Fall zu tun – der Bekanntheitsgrad des Opfers spricht für sich. Wir werden die nächsten Tage wohl bei euch in Husum verbringen.“ Jetzt rang er sich ein schmallippiges Lächeln ab. „Ich nehme an, unsere Büros sind geheizt?“

„Nicht nur das“, grinste Petersen. Wiebke stellte erleichtert fest, dass sich sein Argwohn gegen die Kollegen aus Flensburg in Luft aufgelöst hatte. „Wir haben sogar eine neue Kaffeemaschine – falls es mal länger dauert.“

Hauke Jensen wollte eben etwas erwidern, als sich das Geräusch von Rotorblättern aus der Luft näherte. Sie legten die Köpfe in den Nacken und sahen den Helikopter, der mit eingeschalteten Suchscheinwerfern über dem Anwesen der Bergers kreiste.

„Wer hat den denn gerufen?“, wunderte sich Jensen.

„Ich war das“, sagte Wiebke. Ihre Befürchtung, dass sie dem Leiter der Kripo weitere unbequeme Fragen beantworten musste, zerschlug sich, als ihr Handy klingelte. Der Pilot des Helikopters wartete auf Anweisungen.

FÜNF

Wenningstedt, in der Vergangenheit

„Ich will ein Kind von dir.“ Sie lächelte ihn verliebt an und ließ ihre Fingerkuppen sanft über seine Brust kreisen.

Er erschauderte, dann schlug er die Augen auf. „Was?“

„Ich will ein Kind von dir“, wiederholte sie sanft.

Hastig richtete er sich im Bett auf. „Wie stellst du dir das vor?“

Jetzt musste sie lachen. „Du weißt ganz genau, wie das geht.“

„Das meine ich nicht.“ Er teilte ihren Humor nicht. „Was soll das heißen, du willst ein Kind von mir?“

„Was genau verstehst du nicht daran?“

Sekundenlang herrschte Stille im halbdunklen Schlafzimmer, nur der Sturm brauste noch immer ums Haus. Die nahe See zeigte sich heute von ihrer unwirtlichen Seite. Er wandte den Kopf ab und schaute zum Fenster. Die dunkelblauen Vorhänge standen offen. Der Wind trieb schwere Wolkenberge über den Nachthimmel über Sylt. Doch er hatte keine Augen für die wilden Schönheiten der Natur. Gedanken schossen ungeordnet durch seinen Kopf. Wie gern hätte er ihr diesen Wunsch erfüllt … Sie war seine Traumfrau, die Person, an deren Seite er alt werden wollte. Solange sie an seiner Seite war, würde er ihr jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Nur diesen einen Wunsch, der offenbar schon seit Tagen ihr Denken beherrschte … wie sollte er ihn umsetzen?

„Ich denke, wir wären gute Eltern“, flüsterte sie und lehnte sich an seine Schulter. Wie gern hätte er jetzt den Arm um sie gelegt, ihre Nähe gespürt, um sich ihr zu erklären. Doch er wagte es nicht, sie zu berühren, nicht jetzt. Keinen einzigen Ton brachte er über die Lippen. Er riss sich vom Blick aus dem Fenster los und stierte sekundenlang ins Leere.

„Warum sagst du nichts?“, riss ihn ihre sanfte Stimme aus den Überlegungen.

„Ich … ich weiß nicht“, antwortete er tonlos.

„Aber wir wollen doch heiraten, irgendwann“, sagte sie, und es klang fast verzweifelt, als sie fortfuhr: „Dazu gehört doch auch ein Kind. Ein Baby würde unser Glück vollkommen machen.“ Sie löste sich von ihm und schaute ihm tief in die Augen.

„Ja“, antwortete er nur, und er schalt sich einen Narren, sich nicht zu ihrem Wunsch zu äußern. Stattdessen schlug er die Bettdecke fort und erhob sich aus dem Bett. Gleich würde die Sonne aufgehen. Er musste aufs Festland, um dort einen wichtigen Termin wahrzunehmen. Vielleicht fand er auf der Autofahrt ein wenig Zeit, um sich Gedanken über ihren Wunsch zu machen. Als er in den flauschigen Morgenmantel schlüpfte, um sich in die Küche zu begeben, sah er, dass Tränen in ihren Augen standen.

Schweigend verließ er das Schlafzimmer.

SECHS

Im Morgengrauen erreichte er Glücksburg. Hier, an der Ostseeküste, würde man nicht nach ihm suchen. In Ruhe konnte er den Tag hier beginnen, um die nächsten Schritte zu planen. Es fühlte sich gut an, endlich begonnen zu haben. Mit entspannten Gesichtszügen ließ er den Wagen durch die menschenleeren Straßen rollen. Ruhig lagen seine Hände auf dem Lenkrad, er hatte das Fenster einen Spalt breit geöffnet und genoss die frische Morgenluft, die in den Wagen wehte. Aus dem Autoradio erklang leise Musik. Sämtliche Radiosender, Radio RSH, der NDR und sogar Delta Radio hatten in den Nachrichten vom grausamen Mord an dem berühmten Unternehmer Hans Olaf Berger berichtet.

Für ihn fühlte es sich seltsam an. Irgendwie war er nicht stolz auf das, was er getan hatte. Und trotzdem konnte er mit dem Ergebnis zufrieden sein. Er hatte ein Zeichen gesetzt, das in ganz Schleswig-Holstein Gesprächsthema war. Und er war sicher, dass sich die Polizei im ganzen Land mit dem kaltblütigen Mord an Berger beschäftigte. Auch das spielte ihm in die Karten, denn so konnte er mit seiner eigentlichen Mission beginnen. Die Polizisten hatten anderes zu tun, als sich weiter um ihn zu kümmern.

Hinter Schleswig hatte er auf einem Parkplatz angehalten und die Nachrichten online gecheckt. Auch in den sozialen Netzwerken war der Tod von Hans Olaf Berger die Meldung, die alle bewegte. In der Facebook-Gruppe „Nordfriesland on Facebook“ war ein wahrer Shitstorm über den fragwürdigen Millionär losgebrochen. Alle Menschen, die irgendwann einmal mit Berger zu tun gehabt hatten, posteten mehr oder weniger sinnfreie Kommentare. Selten wurde ein gutes Haar an dem Mordopfer gelassen.

Jetzt war es höchste Zeit, die Knarre verschwinden zu lassen. Sie hatte ausgedient. Als linkerhand das Glücksburger Wasserschloss lag, atmete er auf. Stimmungsvoll war das strahlend weiße Gemäuer angeleuchtet. Die markante Fassade des geschichtsträchtigen Gebäudes spiegelte sich auf der Wasseroberfläche des Schlossteichs. Für ihn war es ein Etappenziel, nicht mehr und nicht weniger. Sein Weg führte ihn weiter in nordöstliche Richtung.

Die Straßen wurden schmaler und kurvenreicher, immer wieder musste er die Geschwindigkeit drosseln. In gemächlichem Tempo rollte er durch eine verwunschene Landschaft. Nebelschwaden waberten über die Felder und durch die Wälder. Umrisse von Scheunen und kleineren Häusern verwischten im grauen Dunst, der von der Ostsee ins Landesinnere kroch.

Er steuerte den Wagen weiter auf die Halbinsel Holnis. Dies war ein guter Ort für sein Vorhaben. Um diese Zeit einsam und verlassen. Zeugen konnte er keine gebrauchen.

Nachdem er den Wagen auf dem großen Parkplatz unweit des Fährhauses abgestellt hatte, stieg er aus. Die Luft hier oben roch salzig, und wenn er den Kopf lauschend schräglegte, glaubte er, das Rauschen der Ostseewellen zu hören.

Er blieb neben dem Wagen stehen und ließ den Blick schweifen. Wie im Dornröschenschlaf lag das Fährhaus um diese Zeit da. Wenige Fahrzeuge parkten auf dem Platz, wahrscheinlich Übernachtungsgäste der historischen Hofanlage.

Ohne Hast legte er den Fußweg zur Landzunge zurück und überlegte kurz, ob er die Pistole am Seemannsgrab oder an der Nordspitze entsorgen sollte. Schließlich entschied er sich für die zweite Lösung und schlug den Weg zu seiner Rechten ein. Wiesen und Hecken säumten seinen Weg. Nach gut sechshundert Metern hatte er die Küste erreicht. Ein eisiger Wind streifte sein Gesicht. Fluchend schlug er den Kragen seiner Jacke hoch und versenkte die Hände in den Taschen.

Sekundenlang stand er einfach da und betrachtete die wilde Landschaft von Deutschlands nördlichstem Fjord. Der Wind trieb schwere Wolkenberge über den Himmel. Er atmete tief durch und sog die würzige Luft der Ostsee tief in seine Lungen ein. Als er die Augen zu schmalen Schlitzen verengte, glaubte er, auf der gegenüberliegenden Seite des Fjords die Lichter des Yachthafens von Gråsten zu sehen. Weiter rechts erkannte er die markanten Zwillingstürme der Kirche von Broager. Majestätisch erhoben sich die grauen Spitzen über der strahlend weißen Fassade in den Morgenhimmel. Sie schienen die Wolkendecke durchbohren zu wollen.

Während er einfach so dastand und auf den Fjord blickte, rückte seine Mission in unendlich weite Ferne. Hier fühlte er sich zum ersten Mal seit Wochen frei.

Er sehnte sich nach Ruhe und Harmonie, nach Normalität in seinem Leben. Im Grunde genommen wollte er nur glücklich sein. Doch diese Ruhe war ihm nicht gegönnt. Je länger er über sein armseliges Leben nachdachte, umso klarer wurde ihm, dass er immer auf der Schattenseite gestanden hatte. Seine Schulkameraden hatten gute Noten geschrieben. Sie hatten ihre ersten Freundinnen am Wochenende ins Kino nach Westerland ausgeführt, sie hatten wilde Partys mit ihren Mädchen am Strand von Kampen gefeiert, während er alleine auf den Holzstegen am Strand gestanden und stundenlang auf die Nordsee geblickt hatte. Einsam. Melancholisch. Doch damals war ihm nicht bewusst gewesen, dass er anders war als die Jungs aus der Nachbarschaft. Auch später, als sie längst im Berufsleben standen, war der Alltag bei ihm anders verlaufen. Viele seiner Freunde hatten die Insel verlassen. Sie hatten Probleme gehabt, einen vernünftigen Job zu bekommen. Auch der bezahlbare Wohnraum auf Sylt war von Jahr zu Jahr knapper geworden. Die Touristen und die Saisonarbeiter hatten die Einwohner von Sylt aufs Festland vertrieben.

Auch er flüchtete irgendwann auf das nordfriesische Festland, um hier neu anzufangen. Doch wirklich glücklich gewesen war er damit nie. Vertrieben von der eigenen Insel … wie sich das anhörte!

Wut keimte in ihm auf, je länger er darüber nachdachte. Dass er die rechte Hand zu einer Faust geballt hatte, bemerkte er erst, als sich die Fingernägel in den Handballen gruben und dort rote Stellen hinterließen. Schnell lockerte er den Griff. Er atmete ein paar Mal tief durch und beruhigte sich. Jetzt spürte er sie wieder, die Freiheit.

Doch es war eine trügerische Freiheit, denn er war noch lange nicht am Ziel angelangt. Der Tod von Berger sollte erst der Auftakt seiner Mission sein.

Die rechte Hand in der Tasche strich über das glatte Metall der Waffe. Es herrschte Ostwind, ein Umstand, der ihm in die Karten spielte. Mit einer gleitenden Bewegung zog er die Waffe aus der Tasche und wog sie in der Hand. Beinahe liebevoll glitten seine Fingerkuppen über das glatte Metall.

Zeit, Abschied zu nehmen, dachte er, holte weit aus und schleuderte die Pistole in weitem Bogen ins Meer. Es gluckste leise, dann sank die Waffe auf den Grund. Nachdem er einmal tief durchgeatmet hatte, versenkte er die Hände wieder in den Taschen, wandte sich um und trat den Rückweg an. Er nutzte die Zeit, um seine Gedanken zu ordnen. Die nächsten Schritte wollten gut geplant sein. Eigentlich, so dachte er sich, war alles gut verlaufen. So sollte es bleiben.

Dass er auf dem Rückweg beobachtet worden war, hatte er nicht bemerkt. Das junge Pärchen, das sich in die Einsamkeit der Nordspitze zurückgezogen hatte, wunderte sich, weil der Mann einen Gegenstand ins Wasser geworfen hatte. Doch genauso schnell, wie es den Fremden gesehen hatte, war er auch schon wieder vergessen. Die jungen Leute beschäftigten sich wieder mit sich selbst …

₺101,39

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
26 mayıs 2021
Hacim:
400 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783827184030
Yayıncı:
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre