Kitabı oku: «XXL-Pfarrei», sayfa 2

Yazı tipi:

2. Gemeinde, Pfarrei, Pfarrgemeinde – eine babylonische Sprachverwirrung

Von Andreas Unfried

Mit dem Konzil und mit der Synode haben die Katholiken die Gemeinde entdeckt. Spät genug möchte man aus evangelischer Perspektive sagen. Aber dafür immerhin nachhaltig, können wir dagegenhalten! Der Pastoraltheologe Ferdinand Klostermann stand im und nach dem Konzil für den Slogan: „Wo Pfarrei war, soll Gemeinde werden“. Und das entsprechende pastorale Programm war erfolgreich wie kaum eines in der deutschen Kirchengeschichte. Weder haben wir je einen so hohen Grad an ehrenamtlicher Mitarbeit in der Kirche gesehen wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, noch stand uns je eine differenziertere Theologie der Gemeinde zur Verfügung als im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils und seines regionalen Appendix, der Würzburger Synode von 1972 bis 1975.

Die Würzburger Synode entwickelt klarer, als das dem Konzil möglich war, das Programm der Gemeindetheologie: Wo bisher das Milieu die Kirchenmitgliedschaft prägte, sollte nun die bewusste Entscheidung für den Glauben stehen. Der Christ der Zukunft werde ein Mystiker sein, sekundierte dazu der führende Dogmatiker jener Zeit, Karl Rahner, und meinte damit einen Christenmenschen, der selber etwas erfahren hat mit seinem Gott. Allerdings muss man konstatieren, dass die mystagogische Erschließung der christlichen Botschaft in jenen Jahren faktisch eher unterentwickelt blieb und die Umsetzung des Prinzips der Gemeinde weniger unter dem Fokus der Nachfolge Jesu als unter dem Fokus der Gemeinschaftsbildung geschah.

Ohne verantwortungsvollen Projekten der Gemeindeentwicklung zu nahe treten zu wollen, behaupte ich, dass der Prozess der Neuorientierung vielfach nach dem Muster verlaufen ist: Wo „Pfarrei“ war und nun „Gemeinde“ werden soll, da gründen wir „Pfarrgemeinde“. Ich will damit sagen, dass das neue Paradigma das alte nicht einfach ablöste, sondern dass man den alten Idealen die neuen einfach an die Seite stellte. Die Fronleichnamsprozession sollte so feierlich wie immer sein, aber dafür jetzt mit begleitendem Kinderwortgottesdienst und Neuem Geistlichem Lied von der Jugendband. Bei alledem gab man sich wenig Mühe um die Definition der Begrifflichkeiten. Pfarrei, Gemeinde, Pfarrgemeinde – letztlich sollte sich alles gleich anfühlen, mit dem deutlichen Akzent auf den Primat der Gemeinde vor Ort. Sie war die maßgebliche Sozialgestalt der Kirche Jesu Christi auf Erden. An manchen Orten wurde das ideologisch so weit getrieben, dass die Teilnahme am Sonntagsgottesdienst in einer Nachbarpfarrei als unsolidarischer Akt gegenüber der eigenen Gemeinde gewertet wurde. Aber auch wenn das seltene Überzeichnungen gewesen sein mögen, so ist doch aufs Ganze festzuhalten, dass sich über die Jahre und Jahrzehnte vielfach und vielerorts eine sehr selbstbewusste (und teilweise sehr eigene) Identität als Gemeinde herausprägte.

Dabei gab man sich wie gesagt häufig wenig Rechenschaft über die konkrete Bedeutung des Begriffs „Gemeinde“. Vielfach schillert der Begriff zwischen theologischer Norm (vgl. die Aussagen der Apostelgeschichte zur Urgemeinde in Jerusalem), der Bezeichnung für die Gruppe der regelmäßigen Kirchgänger oder auch der Umschreibung für den Kreis der ehrenamtlich Engagierten. Kann man die Pfarrei soziologisch einigermaßen präzise erfassen (als Gesamtheit der in einem territorial umschriebenen Gebiet wohnhaften Katholikinnen und Katholiken), so ist dies für den Begriff „Gemeinde“ ungleich schwieriger. Was ist ein „regelmäßiger Kirchgänger“? Zählen jene, die einmal im Monat gehen, auch schon dazu? Und was ist mit denen, die regelmäßig immer Weihnachten kommen (allerdings nur da)? Vermeintlich einfacher ist es dann schon, den Gemeindebegriff auf die Mitarbeit in gemeindlichen Gruppen und Kreisen zu beziehen – freilich mit der schwierigen Konsequenz: Wie fasst man jene treuen Katholiken, die jeden Sonntag in die Kirche gehen, aber – aus welchen Gründen auch immer – sich nicht in der Gemeinde engagieren wollen oder können? Der Begriff der Gemeinde bleibt daher neben der theologischen Norm („Wo zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin ich mitten unter ihnen“) ein eher emotionaler.

Das alles wäre nicht weiter schlimm, wenn sich nicht vieles, was man unter „Nähe“ in der Seelsorge versteht, auf diesen Gemeindebegriff bezöge. Eines der Hauptargumente gegen die „XXL-Pfarreien“ äußert ja die Befürchtung, durch diese ins Riesenhafte aufgeblähten Strukturen ginge die Nähe in der Seelsorge verloren. Im Blick ist dabei das alte Bild von der Herde und ihrem Hirten, der jedes seiner Schafe kennt und dem jedes einzelne mit seinem Schicksal am Herzen liegt – ein Bild, das übrigens auch kirchlich hochoffiziell im can. 529 des kirchlichen Rechtsbuchs CIC als Aufgabenumschreibung des Pfarrers beschworen wird. Aber gleichgültig ob diese Art der Hirtenspiritualität traditionell vom Pfarrer oder nachkonziliar-modern etwa vom Pfarrgemeinderat wahrgenommen werden soll, immer wird man soziologisch auf die Wahrheit stoßen, dass dies jenseits einer Gemeindegröße von, sagen wir, 300 Mitgliedern ein unerfüllbarer Wunsch bleiben wird. Schon in den sich jetzt langsam verklärenden angeblich goldenen Zeiten der frühen siebziger Jahre konnte der Pfarrer also nicht alle Gemeindemitglieder persönlich kennen, viel weniger konnte er allen nahe sein. Zuzugeben ist, dass viele Pfarrer aber nach wie vor genau diesen Anspruch an sich selbst haben und dies auch ihren Gemeinden signalisieren – häufig auch bei Übernahme weiterer Pfarreien in Personalunion. Vielfach wurde und wird dann versucht, durch effiziente Terminplanung und geschickte Organisation zumindest den Anschein zu erwecken, jederzeit und für alle da sein zu wollen.

Auf diese Weise wurde die Vorstellung genährt, persönliche Nähe durch den Seelsorger (im Idealfall der Priester, wenn es nicht anders geht, aber eben auch die Pastoralreferentin oder der Gemeindereferent) sei der gemeindliche Normalfall. Wenn sie als defizitär erfahren wurde, dann handelte es sich um das persönliche Defizit des jeweiligen Seelsorgers. Und so sitzt es auch, glaube ich, in der Selbstwahrnehmung vieler Priester und pastoraler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fest. Allenfalls wurde zur Entlastung der einzelnen Personen die These vertreten, dass in Wahrheit Rom Schuld habe, weil es aus bekannten Gründen der Reformunfähigkeit eine angemessene Ausstattung der Gemeinden mit Seelsorgern verhindere. Jetzt hielte ich die Eröffnung neuer Zugangswege zum Weihesakrament durchaus für sinnvoll, ja für notwendig, ebenso wie eine Öffnung der Kirche für die Gleichberechtigung der Frau. Auf einem anderen Blatt steht für mich allerdings, dass es eine seelsorgliche Betreuung, wie im Hirtenbild der eben beschriebenen Gemeindetheologie vorgestellt, in der ganzen Kirchengeschichte wohl nie gegeben hat und aus eigentlich nachvollziehbaren Gründen auch nicht geben kann. Selbst die urgemeindlichen Verhältnisse dürften andere gewesen sein – sicher jedenfalls die Wirklichkeit der paulinischen Gemeinden, die ihren Gründer und Seelsorger oft nur wenige Monate in ihrer Mitte hatten und ansonsten nur per Bote oder brieflich mit ihm in Beziehung stehen konnten.

Die Erfahrung von Nähe ist sicherlich andererseits die entscheidende Kategorie, an der sich eine erfolgreiche Pastoral von einer misslingenden unterscheiden lässt. Es muss aber präziser gefragt werden: Von wem geht diese Nähe aus? Und wem ist man nahe? Letzteres ist die Frage danach, wer zur Gemeinde gehört mit all den bereits erörterten Unsicherheiten der Definition. Ersteres ist die Frage danach, wer Subjekt der Seelsorge ist. In den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts haben wir dazu heftig die These der Befreiungstheologie diskutiert, dass jeder Getaufte und Gefirmte in dieser Weise Subjekt der Seelsorge werden solle. Die gesamtkirchliche Zurückweisung der Befreiungstheologie bezog sich meines Wissens nie auf diese Einsicht, die für sich in Anspruch nehmen kann, dass sie fest auf der Lehre von der Kirche, wie sie auf dem Konzil entwickelt worden ist, aufruht. Wenn dies aber stimmt, dann kommt für die Antwort auf die Frage, wer denn Nähe in der Seelsorge vermitteln kann, ein sehr viel größerer Personenkreis in Frage, als von uns bisher gemeinhin vorgestellt. Das ist auch nur gut und richtig so, denn der Kreis der seelsorglichen Zielgruppe wird sich ja auch erheblich weiten müssen, wenn wir uns nicht einfachhin zufriedengeben wollen mit der zunehmenden „Verkernung“ unserer Gemeinden und ihrer Verengung auf nur wenige gesellschaftliche Milieus.

Für problematisch halte ich dabei den gängigen Sprachgebrauch der „Pfarrgemeinde“, auch wenn er seit vielen Jahren bei uns „geadelt“ ist durch den „Pfarrgemeinderat“ und im alltäglichen Gebrauch der uns vertrauteste Begriff sein mag. Schwierig ist hier, dass der Begriff die Ebenen durcheinanderbringt, indem er eine soziologisch-organisatorische Begrifflichkeit (Pfarrei = Gesamtheit der auf einem bestimmten Territorium wohnhaften Katholikinnen und Katholiken) mit einem normativen Begriff wie dem der Gemeinde schlicht in eins setzt. Natürlich gibt er damit eine kirchliche Realität wieder, aber eben eine, die uns heute, so meine Überzeugung, zunehmend zum Problem wird. Ja, wir haben seinerzeit unseren Klostermann gelesen und versucht, aus „Pfarreien“ „Gemeinden“ zu machen. Indem wir aber faktisch „Pfarr-Gemeinden“ gebaut haben, haben wir die Erwartungen, die sich mit der alten Struktur verbunden haben, schlicht in die neue Struktur mitgenommen und die Erwartungen der neuen Struktur dazuaddiert. Der Pfarrer sollte fortan Hirte und Gemeindeleiter sein, moralische Autorität und Moderator von Willensbildungsprozessen, Spender der Sakramente und Animateur für ein möglichst reichhaltiges Gemeindeleben, starker Mann mit Richtlinienkompetenz und geschickter Makler zwischen verschiedenen Gemeindeinteressen – kurz: die eierlegende Wollmilchsau, als die sich viele Mitbrüder heute fühlen.

In unseren Diskussionen habe ich daher immer versucht, der beschriebenen „babylonischen Sprachverwirrung“ zu entgehen und terminologisch sauber von der Pfarrei zu sprechen, wenn vom theologischen und organisatorischen Rahmen die Rede ist. Pfarrei meint dabei im Sinne des CIC, can. 518, eine auf Dauer vom Bischof errichtete Gemeinschaft von Gläubigen, die einem Pfarrer anvertraut ist. Theologisch lässt sich die Pfarrei am sinnvollsten wohl verstehen als die kleinste Einheit, in der Kirche als Ganzes mit ihren vier Wesensvollzügen (gefeierter Glaube, gegebenes Zeugnis, tätige Nächstenliebe und praktizierte Gemeinschaft) verwirklicht ist. Unter Gemeinde bzw. Kirchort verstehe ich demgegenüber Orte christlichen Glaubens, wo sich Glaubensleben verbindlich und dauerhaft ereignet. Dies können in erster Linie natürlich die bisherigen Pfarrgemeinden mit ihren Kirchen und Gemeindehäusern, Kindertagesstätten und Pfarrbüros sein. Dies könnten aber auch Orte wie ein Behindertenheim, ein Eine-Welt-Laden oder ein Hospiz werden – immer unter der Voraussetzung, dass sich dort kirchliches Leben dauerhaft und verbindlich ereignet. Ohne die Auswirkungen einer solchen Neudefinition von Kirchorten bereits absehen zu können, würde ich mir davon einiges versprechen, was die Überwindung des pastoralen Schismas zwischen Caritas und Gemeindepastoral betrifft oder auch die Verengung des kirchlichen Lebens auf nur wenige Milieus.

Der Begriff der Kirchengemeinde behält seine Bedeutung innerhalb des Kirchenvermögensverwaltungsgesetzes und meint dort die juristische Person, also das Rechtssubjekt, das Verträge schließen und rechtlich verbindliche Absprachen und Verpflichtungen eingehen kann. In der „Pfarrei neuen Typs“ ist die Kirchengemeinde identisch mit der Pfarrei und wird konkret vertreten durch den Verwaltungsrat.

3. Es war nicht immer so, wie es ist: Pfarrseelsorge im Wandel

Von Mathias Wolf

Die Kirche in unserem Land befindet sich bereits seit Jahren in einem leisen, aber nicht minder gravierenden Wandel. Das geht auch an der äußeren (Sozial-)gestalt der Kirche nicht spurlos vorüber. Die Jahrzehnte wachsender Gemeinden und Einnahmen, hoher Kirchenbesucherzahlen, selbstverständlichen persönlichen Engagements und starker Jahrgänge sind vorbei. Diese Aufwärtsbewegungen waren bedingt durch die außerordentliche Situation in der Folge des Krieges wie Werteverlust, millionenfaches Leid, Wirtschaftswachstum, Bevölkerungsbewegungen sowie -wachstum, die 68er Bewegung sowie Aufbruchstimmung in Konzil und Synode. Wir erkennen heute: Kirchengeschichtlich gesehen waren diese Jahrzehnte eine Ausnahme und singuläre Erscheinung am Ende der Phase des Kulturkampfes mit seinen geschlossenen katholischen Milieus.

In unserem Gedächtnis allerdings sind diese Phänomene der letzten Jahrzehnte aber oft normgebend im Sinne eines Idealbildes von „Pfarrgemeinde“. Der Abschied von diesem Idealbild fällt allen schwer. Beim Blick in die Bistumslandschaft in Deutschland entsteht der Eindruck, als habe auf der Leitungsebene operative Hektik und in einigen Fällen sogar offene Panik eingesetzt. Es werden in aller Eile Strukturen, die über Jahrhunderte das Kirchesein am Ort unter verschiedensten Umständen ermöglichten, aufgelöst. Es wirkt so, als geschehe dies, weil die hergebrachten Strukturen nicht mehr so „funktionieren“ wie in den letzten Jahrzehnten und das vermeintliche Idealbild nicht mehr erfüllen.

Der Blick in den Rückspiegel der Geschichte kann in der aktuellen Umbruchsituation vielleicht ein wenig mehr dazu beitragen, nicht die Orientierung zu verlieren.

Kirche und Glaube gab es auch vor unserer Zeit in oft noch größeren Gebieten mit wesentlich weniger Personal als heute und in unterschiedlichster Ausprägung vor Ort. Ein Wandel dieser Struktur ist also aus historischer Sicht nichts Neues. Ein durchgängiges Kontinuum über die Geschichte hinweg war die Pfarreistruktur – in welchen Zuschnitten auch immer. Die Christen waren bemüht, eine Pfarrei zu bilden, und haben dies oft auch unter größten Entbehrungen ermöglicht. So haben Pfarreien die Jahrhunderte der Religionskriege und der Säkularisation, des Gläubigen-, Geld- und Personalmangels überlebt oder sich immer wieder neu gegründet.

Ein weiteres Phänomen wirkt heute zusätzlich bedrängend: der Priestermangel. Es gibt nicht mehr genug Priester, die als Pfarrer einer Pfarrei und der Eucharistiefeier vorstehen können und so viele (kleine) Pfarreien versorgen können. Das Projekt der massiven Reduzierung der Pfarreien ist dann oft der Versuch, die verbliebenen Priester zu entlasten und ihnen zugleich den größtmöglichen Einfluss zu erhalten. Es scheint ganz pragmatisch das Dilemma des Priestermangels zu lösen. Der erwünschte Effekt bleibt aber meist aus, da oft nur noch mehr Zusammenbrüche der verbleibenden Priester die Folge sind.

Angesichts dieser Veränderungen stehen wir vor der Herausforderung, die Kirche vor Ort und überörtlich so aufzustellen und zu organisieren, dass sie den Herausforderungen der Gegenwart gewachsen ist und zugleich ohne Priester und Eucharistiefeier überlebensfähig ist. Dies nicht, weil Priester und Eucharistiefeier nicht wichtig oder wünschenswert wären – das Gegenteil ist der Fall –, sondern weil sie aufgrund der bischöflichen Vorgaben einfach nicht mehr vorhanden sein werden.

Diese Herausforderung wird sich nicht durch Strukturen bewältigen lassen, die auf die wenigen Priester passgenau zugeschnitten sind. Was nottut, ist, die Kirche wieder auf die Füße zu stellen und sie zur Sache vieler zu machen. Das wird nur gelingen, wenn die Gläubigen in größtmöglicher Verantwortung ehrlich beteiligt werden und ihnen eine wie auch immer geartete Heimat im Glauben ermöglicht wird. Hierzu wird es nicht unbedingt Pfarrfeste, Pfarrgemeinderäte oder große Pfarrheime brauchen. Die Pfarreien der Jahrhunderte zuvor haben auch ohne all das lebendig sein können. Aber es wird Menschen brauchen, die da, wo sie leben (am Ort oder in ihren sozialen Milieus), gemeinsam dem Glauben eine Relevanz für ihr persönliches Leben einräumen. Wir stehen in unserer Zeit vor der Herausforderung, plausibel von Gott jenseits der Logik innerweltlicher Brauchbarkeit1, Nützlichkeit und permanenter Opitimierung zu sprechen.

Was die aktuellen Veränderungen allerdings von jenen der Vergangenheit unterscheidet, ist die rasende Geschwindigkeit der gesellschaftlichen Umbrüche und der Erodierungsprozess der verfassten Kirche in der westeuropäischen Gesellschaft der Moderne. Die Gründe hierfür sind vielseitig. Zahlreiche Religionssoziologen stellen sich der Suche nach den Ursachen im Inneren und Äußeren. Bei ehrlicher Sichtweise zeigt sich: Die verfasste Kirche befindet sich in einem Erosionsprozess, wie er in seinen äußeren Auswirkungen vielleicht zum letzten Mal in der Folge der Reformation in unseren Breiten stattfand. Dies bedeutet in der Konsequenz: Das tridentinische Organisationsmodell der Kirche, wie es in der Gegenreformation entwickelt, im CIC festgeschrieben und in der Folge des Kulturkampfes in Deutschland idealtypisch durchaus auch mit Erfolg umgesetzt wurde, ist an sein definitives Ende gekommen. Das Bild vom Pfarrer als „guten Hirten“ („pastor proprius“ der Pfarrei) – unzählige Male auf Pfarrhäusern dargestellt – und der „Herde“ der Gläubigen, die von ihm „betreut“ wird, hat längst keinen Anhaltspunkt mehr in der Realität und spukt dennoch in den Köpfen und Herzen vieler herum. So schmerzlich es ist: Wir müssen uns davon verabschieden. Neues muss sich entwickeln. Die Kirche ist unterwegs zu einem neuen Organisationsmodell – jenseits des vom Konzil von Trient entworfenen. Wir dürfen gespannt sein, wie es aussehen wird.2

1 H. J. Höhn, Herder Korrespondenz 4/2011; S. 180.

2 Einen ersten Einblick, wie es anders sein könnte, gibt R. Bucher im Herder Korrespondenz Spezial „Pastoral im Umbau“, April 2011, 6 ff.

4. Gefeierter Glaube, gegebenes Zeugnis, tätige Nächstenliebe, praktizierte Gemeinschaft: Wovon die Kirche lebt

Von Andreas Unfried

In der Pastoraltheologie ist es üblich, von drei bzw. vier Wesensvollzügen von Kirche zu sprechen: Liturgia (gefeierter Glaube), Martyria (gegebenes Zeugnis) und Diakonia (tätige Nächstenliebe) heißen die griechischen Fachbegriffe. Je nach pastoraltheologischer Schule wird die Koinonia (praktizierte Gemeinschaft) als viertes hinzugezählt oder als eine verbindende Kraft in den drei anderen Dimensionen verstanden. Um diese Wesensvollzüge für den Aufbau von Gemeinde wirklich nutzbar machen zu können, ist aber eine zusätzliche Betrachtung nötig: Für jeden dieser Grundvollzüge gilt, dass er eine Bedeutung „nach innen“ (für die Gemeinde selbst) und eine „nach außen“ (in die Gesellschaft hinein) hat. Martyria nach innen verwirklicht sich zum Beispiel in der Erstkommunionvorbereitung oder im Firmkurs. Zweifellos wird hier der christliche Glaube bezeugt – und zwar gegenüber den eigenen Kindern oder Enkeln. Es sind ja in der Regel nach wie vor die Kinder von Katholiken, die auf Wunsch ihrer Eltern getauft werden und dann im 3. Schuljahr auf die Erstkommunion vorbereitet werden wollen bzw. meist im Lebensalter um den 16. Geburtstag herum eingeladen werden, sich firmen zu lassen. Damit ist das Feld der Martyria aber noch nicht zureichend umschrieben. Wenn Kirche sich bemüht, bei einem Volksfest einen Stand zu übernehmen, wenn sie versucht, mit einer öffentlichkeitswirksamen Aktion zum Schutz des Sonntags die gesellschaftliche Diskussion zu beeinflussen, oder wenn sie in der Adventszeit im Einkaufszentrum für das Festgeheimnis von Weihnachten eintritt, indem man dort Adventslieder singt und Segensgrüße verteilt, dann ist das zweifellos ebenfalls ein gelebtes christliches Zeugnis, wenngleich zumeist von gänzlich anderer Art.

Auf diese Weise lassen sich alle vier kirchlichen Wesensvollzüge ausdifferenzieren. Man erhält auf diese Weise ein gewisses Anforderungsprofil, was Kirche leisten soll, ja muss, wenn sie dem Anspruch gerecht werden will, ihr Wesen nicht nur in Teilaspekten, sondern möglichst in Gänze darzubieten. Man könnte das im Einzelnen so beschreiben:


Das Problem eines solchen Anforderungsprofils ist nun allerdings, dass die meisten Pfarrgemeinden heutigen Zuschnitts ihm nicht (oder nicht mehr) gerecht werden dürften. Dies könnte zumindest nahelegen, dass der theologische Anspruch der Pfarrei, das Ganze der Kirche auf lokaler Ebene zu verwirklichen, unter den heutigen Bedingungen nicht mehr in den bisherigen Pfarreigrenzen realisiert werden kann. In der uns gewohnten Sicht der Dinge tragen wir dem ja auch bereits Rechnung und antworten darauf mit der verstärkten Kooperation zwischen den Pfarrgemeinden. Wo der Firmkurs von einer Pfarrgemeinde nicht mehr getragen werden kann, da erleben wir, dass die Kooperation im Pastoralen Raum, in der Pfarreiengemeinschaft (oder wie die Terminologie in den einzelnen Diözesen auch lauten mag) durchaus befriedigende Ergebnisse liefert. Dennoch: Es ist etwas anderes, ob ich eine solche Kooperation gleichsam als Notlösung betrachte gegenüber einem leider gegenwärtig nicht zu erreichenden Ideal der Selbständigkeit oder ob ich, ausgehend von der größer gedachten Pfarrei, ganz selbstverständlich davon ausgehen kann, dass nicht in jeder Teilgemeinde dieser Pfarrei das Ganze des kirchlichen Lebens repräsentiert sein kann oder braucht.

Statt also ein Ideal von Gemeinde zu formulieren und anschließend Entschuldigungen zu suchen, warum dieses Ideal gegenwärtig nur unvollkommen erreicht werden kann, auf dass die Lahmen und Blinden sich der Not gehorchend zusammentun müssen und sich gegenseitig in ihren Schwächen stützen und einander an ihren Stärken teilhaben lassen, schlage ich doch sehr entschieden vor, gleich von vornherein von der größer verstandenen Einheit her zu denken. Die Gemeinde vor Ort ist dann nicht defizitär, weil es von ihr gar nicht erst erwartet werden kann, dass sie alles kann. Das ist alles andere als bloß eine Umetikettierung, nach der sich in den neuen Flaschen immer noch der alte Wein verbirgt. Es geht vielmehr darum zu erkennen, dass unsere gegenwärtigen Gemeinden keineswegs zuallererst schwach und defizitär sind. Im Gegenteil: Sie dürfen sich als Teil des Ganzen selbstbewusst als unverzichtbar erkennen, weil die neue Pfarrei aus ihnen lebt und ohne sie nicht leben könnte.

Darum sprechen wir in unseren Diskussionen von der neuen Pfarrei als von einer „Pfarrei neuen Typs“. Sie ist etwas anderes als eine räumlich und von der Katholikenzahl her größer gedachte Pfarrgemeinde klassischer Vorstellung. So gibt es in der „Pfarrei neuen Typs“ nicht per se den einen Gottesdienst, in dem sich alle Gemeindemitglieder als Gemeinschaft erfahren können, wie es Weihnachten, Ostern, Fronleichnam oder ein Gottesdienst zum Pfarrfest für uns gute Gewohnheit gewesen sind. In der „Pfarrei neuen Typs“ gibt es für einen solchen Gottesdienst in der Regel überhaupt keinen geeigneten Kirchenraum. Es wird auch keinen Sinn machen, ein Dankeschönfest für Ehrenamtliche auf Ebene der neuen Pfarrei zu feiern. Schon an praktischen Fragen (Größe des Gemeindesaals) würde man wahrscheinlich scheitern. Die neue Pfarrei wird und muss also aus und in den Gemeinden leben. Dort wird entscheidend der Ort sein, wo man Nähe und Beheimatung erfährt – oder eben auch nicht. Die Pfarrei als solche wird nur für die wenigsten die emotionale Heimat werden. Ihre Bedeutung besteht darin, den Gemeinden einen stabilen theologischen und organisatorischen Rahmen zu bieten und dafür zu sorgen, dass Kommunikation und Miteinander gelingen können.

Damit ist aber auch bereits die Spur gelegt, durch wen künftig die Dimension der Nähe in der Kirche erfahrbar werden soll: Es wird nicht in erster Linie der Pfarrer sein können und nur sehr eingeschränkt die hauptamtlichen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Nähe wird erfahrbar werden, wo die Gemeindemitglieder selbst zu Subjekten der Seelsorge werden. Das bedeutet natürlich, dass das gemeindliche Leben an vielen Stellen anders aufgebaut sein muss als heute gewohnt. Ein Kommunionkurs, der von Ehrenamtlichen selbst getragen werden können soll, muss so gestaltet sein, dass man dafür nicht wöchentlich zu Büroöffnungszeiten im Pfarrbüro präsent sein muss, weil die organisatorischen Anforderungen so hoch sind, dass sie einen ehrenamtlich Tätigen völlig überfordern. Auch müssen die pädagogischen und theologischen Anforderungen an die Katechetinnen und Katecheten an deren Kompetenzen und Möglichkeiten angepasst sein.

Vieles muss wahrscheinlich einfacher gestaltet werden. „Niveauverlust!“ rümpfen jetzt vielleicht manche die Nase. Aber mit Blick auf die absehbare Entwicklung beim Priesternachwuchs wie bei den übrigen Seelsorgsberufen kann man nur dagegenhalten: Wer nicht will, dass in zehn Jahren gar keine Erstkommunionvorbereitung in den Gemeinden stattfinden kann, der arbeite tunlichst in der nächsten Dekade daran, wie ein entsprechendes katechetisches Niveau in den Gemeinden aufgebaut werden kann. Im Bild gesprochen: Priestern wie hauptamtlichen pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern kommt künftig weniger die Rolle des Spielers als die des Trainers (mindestens des Spielertrainers) zu. Sie müssen weniger selber agieren, als zunehmend andere zum Agieren befähigen und sie in ihrer Arbeit begleiten.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺486,58